5. Die ideelle Welt und die Wirklichkeit

[44] Die Männer des Altertums führten ihre Erkenntnis weiter bis zu einem letzten Ausgangspunkt. Was war dieser Ausgangspunkt? – Sie nahmen einen Zustand an, da die Existenz der Dinge noch nicht begonnen hatte. Damit ist in der Tat der äußerste Punkt erreicht, über den man nicht hinausgehen kann. Die nächste Annahme war, daß es zwar Dinge gab, aber ihre Getrenntheit noch nicht begonnen hatte. Die nächste Annahme war, daß es zwar in gewissem Sinn Getrenntheiten gab, aber Bejahung und Verneinung noch nicht begonnen hatten. Durch die Entfaltung von Bejahung und Verneinung verblaßte der SINN. Durch die Verblassung des SINNS verwirklichte sich einseitige Zuneigung. Gibt es nun in Wahrheit eine solche Verwirklichung und Verblassung, oder gibt es in Wahrheit keine solche Verwirklichung und Verblassung? Die Welt der Wirklichkeit, in der der SINN verblaßt ist, sie gleicht der Musik, die den Saiten entströmt. Die Welt aber jenseits der Wirklichkeit und Verblassung des SINNS, sie gleicht der Musik, die nicht mit Saiten hervorgebracht wird.

Es gab so manche Meister, die es weit gebracht hatten in ihrer Kunst und sich ihr ganzes Leben damit beschäftigten. Sie hatten ein Interesse daran, anders zu sein als die andern, und hatten ein Interesse daran, die andern aufzuklären. Aber die andern besaßen nicht die Klarheit, daß sie hätten aufgeklärt werden können. Darum verloren sie sich schließlich in die Irrtümer logischer Spitzfindigkeiten, und ihre Schüler verstrickten sich schließlich in die Fäden ihrer Worte und brachten es ihr ganzes Leben lang zu nichts Wirklichem. Wenn man das als wirklichen (Erfolg) bezeichnen kann, so ist auch mein Ich etwas Wirkliches. Wenn man das aber nicht als wirklichen (Erfolg) bezeichnen kann, so sind Ich und Welt beide nichts Wirkliches. Darum ist es der Flimmerglanz der Ahnung, was der Berufene ersehnt. Er entfaltet keine Tätigkeit vom Standpunkt des Ichs aus, sondern beruhigt sich beim allgemein Anerkannten. Das ist der Weg zu (wahrer) Erleuchtung.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 44-45.
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