Wider die Kultur II

[108] Solang die Pferde auf den Steppen weilen, fressen sie Gras und saufen Wasser. Haben sie eine Freude aneinander, so kreuzen sie die Hälse und reiben sich; sind sie böse aufeinander, so drehen sie sich den Rücken und schlagen aus. Darin besteht ihre ganze Kenntnis. Spannt man sie aber an die Deichsel und zwingt sie unters Joch, dann lernen die Pferde scheu umherblicken, den Hals verdrehen, bocken, dem Zaum ausweichen und die Zügel heimlich durchbeißen. So werden die Pferde klug und geschickt in allerhand Kniffen. Das alles ist die Schuld des ersten Pferdebändigers.

Im goldenen Zeitalter, da saßen die Leute umher und wußten nicht, was tun; sie gingen und wußten nicht, wohin; sie hatten den Mund voll Essen und waren glücklich, klopften sich den Leib und gingen spazieren. Darin bestanden die ganzen Fähigkeiten der Leute, bis dann die »Heiligen« kamen und Umgangsformen und Musik zurechtzimmerten, um das Benehmen der Welt zu regeln, ihnen Moralvorschriften aufhängten und sie darnach springen ließen, um den Herzen der Welt Trost zu spenden. Da erst fingen die Leute an zu rennen und zu stolpern in ihrer Sucht nach Erkenntnis und begannen sich zu streiten in der Jagd nach Gewinn, bis kein Halten mehr war. Das alles ist die Schuld der »Heiligen«.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 108.
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