3. Der König des Lebens

[130] Mein Meister sprach: Der SINN – wie abgrundtief ist sein Dasein, wie einzig ist seine Reinheit! Ohne ihn vermögen die Saiten keinen Klang zu geben; denn wenn auch die Saiten die Fähigkeit des Tönens haben: sie müssen berührt werden, um zu klingen. Wer ist es nun, der allen Wesen ihren Platz zu weisen vermag?

Der Mensch, der königlich das LEBEN beherrscht, geht ungekannt dahin. Er schämt sich, allerlei Einzelkünste zu verstehen. Er ist gegründet in Wurzel und Ursprung, und sein Erkennen hat Anschluß an den Geist. Darum kommen die Kräfte seines LEBENS allem zu gute. Was aus seinem Herzen hervorkommt, wird von allen Geschöpfen aufgenommen.[130] Darum: allein der SINN gibt Dasein der Form, und allein das LEBEN gibt Licht dem Dasein. Der die Form erhält, das Dasein erschöpft, das LEBEN festigt, den SINN leuchten läßt: ist es nicht der, der königlich das LEBEN beherrscht? Erhaben ist es, wie er unbedingt sich äußert, siegreich sich regt, und alle Geschöpfe folgen ihm. Das ist der Mensch, der königlich das LEBEN beherrscht. Er blickt hinein ins Unsichtbare; er horcht auf das Lautlose. Inmitten des unsichtbaren Dunkels sieht er allein es dämmern, inmitten des Lautlosen vernimmt er allein Harmonien. Darum: der Tiefen Tiefstes weiß er zu fassen; des Geistigen Geistigstes vermag er zur Samenkraft zu gestalten. So steht er inmitten der Welt der Dinge. Das äußerste Nicht-Sein muß seinen Zielen dienen; die fliehende Zeit vermag er zum Stehen zu zwingen. Großes ist klein für ihn; Langes ist kurz für ihn; Fernes ist nah für ihn.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 130-131.
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