1. Das Leben

[198] Wer des Lebens Bedingungen versteht, der wird sich nicht abmühen um Dinge, die für das Leben überflüssig sind. Wer die Bedingungen des Schicksals kennt, der wird sich nicht abmühen um Dinge, die wir nicht wissen können. Um unseren Leib erhalten zu können, sind wir angewiesen auf den Besitz, und doch kommt es vor, daß einer Besitz hat im Überfluß und damit dennoch nicht seinen Leib erhalten kann. Um das Leben zu erhalten, sind wir darauf angewiesen, daß unser Leib nicht von uns getrennt wird, und doch kommt es vor, daß einer von seinem Leib nicht getrennt wird und daß dennoch sein Leben zugrunde geht. Wenn das Leben kommt, so läßt es sich nicht abweisen; wenn es geht, so läßt es sich nicht festhalten. Ach, daß die Leute der Welt denken, es genüge, den Leib zu pflegen, um das Leben zu wahren! In Wirklichkeit genügt die Pflege des Leibes nicht, um das Leben zu wahren. Darum genügt es nicht, zu handeln wie die Welt. Wer aber, obwohl es nicht der Mühe wert ist zu handeln, es dennoch nicht über sich bringt, vom Handeln abzulassen, der entgeht dem Handeln nicht. Wer dem Handeln um des Leibes willen entgehen will, der tut am besten, die Welt aufzugeben. Gibt man die Welt auf, so wird man frei von Verwicklungen. Ist man frei von Verwicklungen, so erreicht man Gerechtigkeit und Frieden. Hat man Gerechtigkeit und Frieden, so findet man die Wiedergeburt im SINN. Wer wiedergeboren ist, der ist am Ziel. Und weshalb lohnt es sich, die Weltgeschäfte aufzugeben und dem Leben den Rücken zu[199] kehren? Gibt man die Weltgeschäfte auf, so bleibt der Leib frei von Bemühung. Kehrt man dem Leben den Rücken, so bleibt die Keimkraft frei von Verlust. Wer völlig ist in seinem Leibe und seine Keimkraft wieder erlangt hat, der wird eins mit dem Himmel. Himmel und Erde sind Vater und Mutter aller Geschöpfe; vereinigen sie sich, so entsteht ein leibliches Gebilde; trennen sie sich wieder, so entsteht der Anfang zu etwas Neuem. Wenn Leib und Keimkraft frei bleiben von Verlust, so haben wir den Zustand, von dem es heißt, daß man imstande ist, die Lebenskräfte zu übertragen. Wer zu dem Lebenskeim des Lebenskeimes vordringt, der kehrt zurück zur Fähigkeit, Gehilfe des Himmels zu sein.

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 198-200.
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