1. In der Welt, nicht von der Welt

[207] Dschuang Dsï wanderte in den Bergen. Da sah er einen großen Baum mit reichem Blätterschmuck und üppigem Gezweig. Ein Holzfäller stand daneben, aber berührte ihn nicht. Nach der Ursache befragt, antwortete er: »Er ist unbrauchbar.« Dschuang Dsï sprach: »Diesem Baum ist es durch seine Unbrauchbarkeit zuteil geworden, seines Lebens Jahre zu vollenden.«

Als der Meister das Gebirge wieder verlassen, nächtigte er im Haus eines alten Bekannten. Der alte Bekannte war erfreut (über den Besuch) und hieß seinen Diener eine Gans schlachten und braten. Der Diener erlaubte sich zu fragen: »Die eine kann schreien, die andere kann nicht schreien; welche soll ich schlachten?« Der Gastfreund sprach: »Schlachte die, die nicht schreien kann!« Andern Tags fragten den Dschuang Dsï seine Jünger und sprachen: »Kürzlich im Gebirge dem Baum ist es durch seine Nutzlosigkeit zuteil geworden, seines Lebens Jahre zu vollenden. Die Gans des Gastfreundes dagegen hat ihre Nutzlosigkeit mit dem Tode büßen müssen. Was ist vorzuziehen, Meister?« Dschuang Dsï lächelte und sprach: »Ich ziehe es vor, die Mitte zu halten zwischen Brauchbarkeit und Unbrauchbarkeit. Das heißt, es mag so scheinen; denn in Wirklichkeit genügt auch das noch nicht, um Verwicklungen zu entgehen. Wer aber sich dem SINN und LEBEN anvertraut, um (diese Welt) zu überfliegen, dem geht es nicht also. Er ist erhaben über Lob und Tadel, bald wie der Drache, bald wie die Schlange; entsprechend den Zeiten wandelt er sich und ist allem einseitigen Tun abgeneigt; bald hoch oben, bald tief unten, wie es das innere Gleichgewicht erfordert; er schwebt empor zum Ahn der Welt. Die Welt als Welt[208] behandeln, aber nicht von der Welt sich zur Welt herabziehen lassen: so ist man aller Verwicklung enthoben.

Ganz anders der, der wichtig nimmt die Dinge der Welt und die Überlieferungen menschlicher Beziehungen. Wo Einigung, da Trennung; wo Werden, da Vergehen; wo Ecken sind, da wird gefeilt; wo Ansehen ist, da wird geurteilt; wo Taten sind, da gibt es Mißerfolg; wo Klugheit ist, da gibt es Pläne, und Unbrauchbarkeit wird verachtet. Wie könnte es für einen solchen Sicherheit geben? Ach, meine Schüler, merkt es euch: Im SINNE nur und LEBEN sei unsere Heimat!«

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 207-209.
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