5. Erlösung vom Leid

[213] Kung Dsï fragte den Meister Sang Hu und sprach: »Ich wurde zweimal aus Lu vertrieben. In Sung wurde ein Baum über mir gefällt, (um mich zu töten). Ich mußte den Staub von meinen Füßen schütteln in We. Ich hatte Mißerfolg in Schang und Dschou. Ich ward von Feinden umringt zwischen Tschen und Tsai. All diese Leiden trafen mich, und meine Bekannten wenden sich immer mehr von mir ab; meine Schüler und Freunde zerstreuen sich immer mehr. Woher kommt das?«

Meister Sang Hu sprach: »Habt Ihr noch nicht gehört von der Flucht der Leute von Gia? Darunter war einer namens Lin Hui. Der ließ sein Szepter, das tausend Lot Goldes Wert war, im Stich, nahm einen Säugling auf den Rücken und eilte davon. Jemand sprach zu ihm: ›Warum wirfst du dein goldenes Szepter weg und eilst mit dem Säugling auf dem Rücken davon? Tust du es, weil das Kind dir wertvoll scheint? Aber der Wert des Säuglings ist nur gering. Tust du es um der Bürde willen, die das Szepter dir gemacht? Aber die Bürde, die dieser Säugling dir machen wird, ist noch größer.‹ Da sprach Lin Hui: ›An das Szepter bindet mich nur Gewinn; an dieses Kind aber himmlische Bande. Was durch Gewinn vereinigt ist, läßt einander im Stich, wenn Bedrängnis, Mißerfolg, Unglück, Leid und Schaden drohen. Was durch himmlische Bande verbunden ist, wird einander erst recht zu eigen, wenn Bedrängnis, Mißerfolg, Unglück, Leid und Schaden drohen.[213] Ein anderes ist's, einander zu eigen werden, ein anderes, einander verlassen. Der Edle ist für die andern schmacklos wie das Wasser; der Gemeine ist für die andern süß wie Most. Aber des Edlen Schmacklosigkeit führt zur Liebe; des Gemeinen Süßigkeit führt zum Überdruß. Jene, die ohne Grund sich zusammentun, trennen sich auch wieder ohne Grund.‹«

Kung Dsï sprach: »Mit Ehrfurcht habe ich Eure Belehrung vernommen.« Darauf ging er langsamen Schritts und leichten Herzens nach Hause. Er gab das Lernen auf und entsagte den Büchern. Seine Schüler bezeugten ihm nicht mehr äußere Ehrerbietung, aber ihre Liebe ward um so größer.

Am andern Tag sprach Sang Hu abermals: »Als Schun zum Sterben kam, da gab er dem Yü seine Befehle und sprach: Sei auf deiner Hut! Wichtiger als Äußeres ist innere Verbundenheit; wichtiger als Gefühle ist rechte Leitung. Wenn (deine Untertanen mit dir) innerlich verbunden sind, so werden sie dich nicht verlassen. Wenn du sie richtig zu leiten verstehst, so bleibst du fern von Mühsal. Wenn sie dich nicht verlassen und du fern von Mühsal bleibst, so brauchst du nicht in Abhängigkeit vom Äußeren den Schein zu suchen. Wer unabhängig ist vom Äußeren und nicht den Schein zu suchen braucht, der ist wirklich unabhängig von der Welt.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 213-214.
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