10. Verhalten zur Welt

[234] Yen Hui befragte den Kung Dsï und sprach: »Ich habe Euch sagen hören, Meister, daß es nichts gebe, dem man nachgehen solle, daß es nichts gebe, dem man entgegengehen solle. Darf ich fragen, wie man das erreichen kann?«

Kung Dsï sprach: »Die Männer des Altertums wandelten sich äußerlich, aber blieben innerlich ungewandelt. Heutzutage wandeln sich die Menschen innerlich, aber bleiben äußerlich unverwandelt. Wenn man sich in Anpassung an die Verhältnisse wandelt und dabei doch ein und derselbe bleibt, so ist das in Wirklichkeit kein Wandel. Man bleibt ruhig im Wandel und bleibt ruhig im Nichtwandel; man bleibt ruhig bei allen Berührungen mit der Außenwelt und läßt sich nicht in die Vielheit hineinreißen. So hielten's die Leute in den Gärten und Hallen der alten Weisen. Die Herren aber, die sich in den verschiedenen Gelehrtenschulen zusammenschlossen, bekämpften einander mit Behaupten und Widerlegen. Und wie sieht es da erst heutzutage aus! Der berufene Heilige weilt in der Welt, aber er verletzt nicht die Welt. Und weil er die Welt nicht verletzt, kann er auch nicht von der Welt verletzt werden. Und wer also unverletzlich ist, vermag den Menschen zu begegnen und ihnen nachzugehen.

Wälder und Wiesen machen uns fröhlich und glücklich; aber noch ehe das Glück zu Ende ist, folgt ihm der Schmerz. Das Kommen von Glück und Schmerz kann ich nicht hindern, ihr Gehen vermag ich nicht aufzuhalten. Wie traurig ist es doch, daß die Menschen der Welt nur Herbergen sind für die Außendinge! Sie erkennen nur das, was ihnen begegnet; aber sie erkennen nicht, was ihnen nicht begegnet. Sie vermögen nur das, was in ihren Kräften steht, und vermögen nicht das, was[234] über ihre Kräfte geht. Diese Unwissenheit und dieses Unvermögen ist etwas, dem die Menschen nie entgehen werden. Und dabei doch sich immer Mühe geben, dem Unvermeidlichen zu entgehen, ist das nicht traurig? Höchste Rede enträt der Rede, höchstes Tun enträt des Tuns. Wenn man nur versteht, das vorhandene Wissen zu ordnen, so bleibt man im Seichten stecken.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 234-235.
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