2. Die legale Herrschaft mit bureaukratischem Verwaltungsstab.

[124] Vorbemerkung: Es wird hier absichtlich von der spezifisch modernen Form der Verwaltung ausgegangen, um nachher die anderen mit ihr kontrastieren zu können.[124]

§ 3. Die legale Herrschaft beruht auf der Geltung der folgenden untereinander zusammenhängenden Vorstellungen,

1. daß beliebiges Recht durch Paktierung oder Oktroyierung rational, zweckrational oder wertrational orientiert (oder: beides), gesatzt werden könne mit dem Anspruch auf Nachachtung mindestens durch die Genossen des Verbandes, regelmäßig aber auch: durch Personen, die innerhalb des Machtbereichs des Verbandes (bei Gebietsverbänden: des Gebiets) in bestimmte von der Verbandsordnung für relevant erklärte soziale Beziehungen geraten oder sozial handeln; –

2. daß jedes Recht seinem Wesen nach ein Kosmos abstrakter, normalerweise: absichtsvoll gesatzter Regeln sei, die Rechtspflege die Anwendung dieser Regeln auf den Einzelfall, die Verwaltung die rationale Pflege von, durch Verbandsordnungen vorgesehenen, Interessen, innerhalb der Schranken von Rechtsregeln, und: nach allgemein angebbaren Prinzipien, welche Billigung oder mindestens keine Mißbilligung in den Verbandsordnungen finden; –

3. daß also der typische legale Herr: der »Vorgesetzte«, indem er anordnet und mithin befiehlt, seinerseits der unpersönlichen Ordnung gehorcht, an welcher er seine Anordnungen orientiert, –


Dies gilt auch für denjenigen legalen Herrn, der nicht »Beamter« ist, z.B. einen gewählten Staatspräsidenten.


4. daß – wie man dies meist ausdrückt – der Gehorchende nur als Genosse und nur »dem Recht« gehorcht.


Als Vereinsgenosse, Gemeindegenosse, Kirchenmitglied, im Staat: Bürger.


5. gilt in Gemäßheit von Nr. 3 die Vorstellung, daß die Verbandsgenossen, indem sie dem Herrn gehorchen, nicht seiner Person, sondern jenen unpersönlichen Ordnungen gehorchen und daher zum Gehorsam nur innerhalb der ihm durch diese zugewiesenen rational abgegrenzten sachlichen Zuständigkeit verpflichtet sind.


Die Grundkategorien der rationalen Herrschaft sind also

1. ein kontinuierlicher regelgebundener Betrieb von Amtsgeschäften, innerhalb:

2. einer Kompetenz (Zuständigkeit), welche bedeutet:

a) einen kraft Leistungsverteilung sachlich abgegrenzten Bereich von Leistungspflichten, –

b) mit Zuordnung der etwa dafür erforderlichen Befehlsgewalten und

c) mit fester Abgrenzung der eventuell zulässigen Zwangsmittel und der Voraussetzungen ihrer Anwendung.

Ein derart geordneter Betrieb soll »Behörde« heißen.


»Behörden« in diesem Sinn gibt es in großen Privatbetrieben, Parteien, Armeen natürlich genau wie in »Staat« und »Kirche«. Eine »Behörde« im Sinne dieser Terminologie ist auch der gewählte Staatspräsident (oder das Kollegium der Minister oder gewählten »Volksbeauftragten«). Diese Kategorien interessieren aber jetzt noch nicht. Nicht jede Behörde hat in gleichem Sinne »Befehlsgewalten«; aber diese Scheidung interessiert hier nicht.


Dazu tritt

3. das Prinzip der Amtshierarchie, d.h. die Ordnung fester Kontroll- und Aufsichtsbehörden für jede Behörde mit dem Recht der Berufung oder Beschwerde von den nachgeordneten an die vorgesetzten. Verschieden ist dabei die Frage geregelt, ob und wann die Beschwerdeinstanz die abzuändernde Anordnung selbst durch eine »richtige« ersetzt oder dies dem ihr untergeordneten Amt, über welches Beschwerde geführt wird, aufträgt.

[125] 4. Die »Regeln«, nach denen verfahren wird, können

a) technische Regeln, –

b) Normen sein.

Für deren Anwendung ist in beiden Fällen, zur vollen Rationalität, Fachschulung nötig. Normalerweise ist also zur Teilnahme am Verwaltungsstab eines Verbandes nur der nachweislich erfolgreich Fachgeschulte qualifiziert und darf nur ein solcher als Beamter angestellt werden. »Beamte« bilden den typischen Verwaltungsstab rationaler Verbände, seien dies politische, hierokratische, wirtschaftliche (insbesondere: kapitalistische) oder sonstige.

5. Es gilt (im Rationalitätsfall) das Prinzip der vollen Trennung des Verwaltungsstabs von den Verwaltungs- und Beschaffungsmitteln. Die Beamten, Angestellten, Arbeiter des Verwaltungsstabs sind nicht im Eigenbesitz der sachlichen Verwaltungs- und Beschaffungsmittel, sondern erhalten diese in Natural-oder Geldform geliefert und sind rechnungspflichtig. Es besteht das Prinzip der vollen Trennung des Amts- (Betriebs-)Vermögens (bzw. Kapitals) vom Privatvermögen (Haushalt) und der Amtsbetriebsstätte (Bureau) von der Wohnstätte.

6. Es fehlt im vollen Rationalitätsfall jede Appropriation der Amtsstelle an den Inhaber. Wo ein »Recht« am »Amt« konstituiert ist (wie z.B. bei Richtern und neuerdings zunehmenden Teilen der Beamten- und selbst der Arbeiterschaft), dient sie normalerweise nicht dem Zweck einer Appropriation an den Beamten, sondern der Sicherung der rein sachlichen (»unabhängigen«), nur normgebundenen, Arbeit in seinem Amt.

7. Es gilt das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung, auch da, wo mündliche Erörterung tatsächlich Regel oder geradezu Vorschrift ist: mindestens die Vorerörterungen und Anträge und die abschließenden Entscheidungen, Verfügungen und Anordnungen aller Art sind schriftlich fixiert. Akten und kontinuierlicher Betrieb durch Beamte zusammen ergeben: das Bureau, als den Kernpunkt jedes modernen Verbandshandelns.

8. Die legale Herrschaft kann sehr verschiedene Formen annehmen, von denen später gesondert zu reden ist. Im folgenden wird zunächst absichtlich nur die am meisten rein herrschaftliche Struktur des Verwaltungsstabes: des »Beamtentums«, der »Bureaukratie«, idealtypisch analysiert.


Daß die typische Art des Leiters beiseite gelassen wird, erklärt sich aus Umständen, die erst später ganz verständlich werden. Sehr wichtige Typen rationaler Herrschaft sind formal in ihrem Leiter anderen Typen angehörig (erbcharismatisch: Erbmonarchie, charismatisch: plebiszitärer Präsident), andere wieder sind material in wichtigen Teilen rational, aber in einer zwischen Bureaukratie und Charismatismus in der Mitte liegenden Art konstruiert (Kabinettsregierung), noch andre sind durch die (charismatischen oder bureaukratischen) Leiter anderer Verbände (»Parteien«) geleitet (Parteiministerien). Der Typus des rationalen legalen Verwaltungsstabs ist universaler Anwendung fähig und er ist das im Alltag Wichtige. Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung.


§ 4. Der reinste Typus der legalen Herrschaft ist diejenige mittels bureaukratischen Verwaltungsstabs. Nur der Leiter des Verbandes besitzt seine Herrenstellung entweder kraft Appropriation oder kraft einer Wahl oder Nachfolgerdesignation. Aber auch seine Herrenbefugnisse sind legale »Kompetenzen«. Die Gesamtheit des Verwaltungsstabes besteht im reinsten Typus aus Einzelbeamten (Monokratie, im Gegensatz zur »Kollegialität«, von der später zu reden ist), welche

1. persönlich frei nur sachlichen Amtspflichten gehorchen,

2. in fester Amtshierarchie,

3. mit festen Amtskompetenzen,

4. kraft Kontrakts, also (prinzipiell) auf Grund freier Auslese nach

[126] 5. Fachqualifikation – im rationalsten Fall: durch Prüfung ermittelter, durch Diplom beglaubigter Fachqualifikation – angestellt (nicht: gewählt) sind, –

6. entgolten sind mit festen Gehältern in Geld, meist mit Pensionsberechtigung, unter Umständen allerdings (besonders in Privatbetrieben) kündbar auch von seiten des Herrn, stets aber kündbar von seiten des Beamten; dies Gehalt ist abgestuft primär nach dem hierarchischen Rang, daneben nach der Verantwortlichkeit der Stellung, im übrigen nach dem Prinzip der »Standesgemäßheit« (Kap. IV),

7. ihr Amt als einzigen oder Haupt-Beruf behandeln,

8. eine Laufbahn: »Aufrücken« je nach Amtsalter oder Leistungen oder beiden, abhängig vom Urteil der Vorgesetzten, vor sich sehen,

9. in völliger »Trennung von den Verwaltungsmitteln« und ohne Appropriation der Amtsstelle arbeiten,

10. einer strengen einheitlichen Amtsdisziplin und Kontrolle unterliegen.

Diese Ordnung ist im Prinzip in erwerbswirtschaftlichen oder karitativen oder beliebigen anderen priva te ideelle oder materielle Zwecke verfolgenden Betrieben und in politischen oder hierokratischen Verbänden gleich anwendbar und auch historisch (in mehr oder minder starker Annäherung an den reinen Typus) nachweisbar.


1. Z.B. ist die Bureaukratie in Privatkliniken ebenso wie in Stiftungs- oder Ordenskrankenhäusern im Prinzip die gleiche. Die moderne sog. »Kaplanokratie«: die Enteignung der alten weitgehend appropriierten Kirchenpfründen, aber auch der Universalepiskopat (als formale universale »Kompetenz«) und die Infallibilität (als materiale universale »Kompetenz«, nur »ex cathedra«, im Amt, fungierend, also unter der typischen Scheidung von »Amt« und »Privat«-Tätigkeit) sind typisch bureaukratische Erscheinungen. Ganz ebenso der großkapitalistische Betrieb, je größer desto mehr, und nicht minder der Parteibetrieb (von dem gesondert zu reden sein wird) oder das durch, »Offiziere« genannte, militärische Beamte besonderer Art geführte moderne bureaukratische Heer.

2. Die bureaukratische Herrschaft ist da am reinsten durchgeführt, wo das Prinzip der Ernennung der Beamten am reinsten herrscht. Eine Wahlbeamten-Hierarchie gibt es im gleichen Sinne wie die Hierarchie der ernannten Beamten nicht: schon die Disziplin vermag ja natürlich niemals auch nur annähernd die gleiche Strenge zu erreichen, wo der unterstellte Beamte auf Wahl ebenso zu pochen vermag wie der übergeordnete und nicht von dessen Urteil seine Chancen abhängen. (S. über die Wahlbeamten unten § 14.)

3. Kontrakts-Anstellung, also freie Auslese, ist der modernen Bureaukratie wesentlich. Wo unfreie Beamte (Sklaven, Ministeriale) in hierarchischer Gliederung mit sachlichen Kompetenzen, also in formal bureaukratischer Art, fungieren, wollen wir von »Patrimonialbureaukratie« sprechen.

4. Das Ausmaß der Fachqualifikation ist in der Bureaukratie in stetem Wachsen. Auch der Partei-und Gewerkschaftsbeamte bedarf des fachmäßigen (empirisch erworbenen) Wissens. Daß die modernen »Minister« und »Staatspräsidenten« die einzigen »Beamten« sind, für die keine Fachqualifikation verlangt wird, beweist: daß sie Beamte nur im formalen, nicht im materialen Sinne sind, ganz ebenso wie der »Generaldirektor« eines großen Privataktienbetriebs. Vollends der kapitalistische Unternehmer ist ebenso appropriiert wie der »Monarch«. Die bureaukratische Herrschaft hat also an der Spitze unvermeidlich ein mindestens nicht rein bureaukratisches Element. Sie ist nur eine Kategorie der Herrschaft durch einen besonderen Verwaltungsstab.

5. Das feste Gehalt ist das Normale. (Appropriierte Sporteleinnahmen wollen wir als »Pfründen« bezeichnen: über den Begriff s. § 8). Ebenso das Geldgehalt. Es ist durchaus nicht begriffswesentlich, entspricht aber doch am reinsten dem Typus. (Naturaldeputate haben »Pfründen«-Charakter. Pfründe ist normalerweise eine Kategorie der Appropriation von Erwerbschancen und Stellen.) Aber die Uebergänge sind hier völlig flüssig, wie gerade solche Beispiele zeigen. Die Appropriationen kraft Amtspacht, Amtskauf, Amtspfand gehören einer andern Kategorie als der reinen Bureaukratie an (§ 7 a, 3 am Schluß).

6. »Aemter« im »Nebenberuf« und vollends »Ehrenämter« gehören in später (§ 19 f.) zu erörternde Kategorien. Der typische »bureaukratische« Beamte ist Hauptberufsbeamter.

[127] 7. Die Trennung von den Verwaltungsmitteln ist in der öffentlichen und der Privatbureaukratie (z.B. im großkapitalistischen Unternehmen) genau im gleichen Sinn durchgeführt.

8. Kollegiale »Behörden« werden weiter unten (§ 15) gesondert betrachtet werden. Sie sind in schneller Abnahme zugunsten der faktisch und meist auch formal monokratischen Leitung begriffen (z.B. waren die kollegialen »Regierungen« in Preußen längst dem monokratischen Regierungspräsidenten gewichen). Das Interesse an schneller, eindeutiger, daher von Meinungskompromissen und Meinungsumschlägen der Mehrheit freier Verwaltung ist dafür entscheidend.

9. Selbstverständlich sind moderne Offiziere eine mit ständischen Sondermerkmalen, von denen andernorts (Kap. IV) zu reden ist, ausgestattete Kategorie von ernannten Beamten, ganz im Gegenteil zu Wahlführern einerseits, charismatischen (§ 10) Kondottieren andererseits, kapitalistischen Unternehmeroffizieren (Soldheer) drittens, Offizierstellen-Käufern (§ 7 a am Schluß) viertens. Die Uebergänge können flüssig sein. Die patrimonialen »Diener«, getrennt von den Verwaltungsmitteln, und die kapitalistischen Heeres unternehmer sind ebenso wie, oft, die kapitalistischen Privatunternehmer, Vorläufer der modernen Bureaukratie gewesen. Davon später im einzelnen.


§ 5. Die rein bureaukratische, also: die bureaukratisch-monokratische aktenmäßige Verwaltung ist nach allen Erfahrungen die an Präzision, Stetigkeit, Disziplin, Straffheit und Verläßlichkeit, also: Berechenbarkeit für den Herrn wie für die Interessenten, Intensität und Extensität der Leistung, formal universeller Anwendbarkeit auf alle Aufgaben, rein technisch zum Höchstmaß der Leistung vervollkommenbare, in all diesen Bedeutungen: formal rationalste, Form der Herrschaftsausübung. Die Entwicklung »moderner« Verbandsformen auf allen Gebieten (Staat, Kirche, Heer, Partei, Wirtschaftsbetrieb, Interessentenverband, Verein, Stiftung und was immer es sei) ist schlechthin identisch mit Entwicklung und stetiger Zunahme der bureaukratischen Verwaltung: ihre Entstehung ist z.B. die Keimzelle des modernen okzidentalen Staats. Man darf sich durch alle scheinbaren Gegeninstanzen, seien es kollegiale Interessentenvertretungen oder Parlamentsausschüsse oder »Räte-Diktaturen« oder Ehrenbeamte oder Laienrichter oder was immer (und vollends durch das Schelten über den »hl. Bureaukratius«) nicht einen Augenblick darüber täuschen lassen, daß alle kontinuierliche Arbeit durch Beamte in Bureaus erfolgt. Unser gesamtes Alltagsleben ist in diesen Rahmen eingespannt. Denn wenn die bureaukratische Verwaltung überall die – ceteris paribus! – formal-technisch rationalste ist, so ist sie für die Bedürfnisse der Massen verwaltung (personalen oder sachlichen) heute schlechthin unentrinnbar. Man hat nur die Wahl zwischen »Bureaukratisierung« und »Dilettantisierung« der Verwaltung, und das große Mittel der Ueberlegenheit der bureaukratischen Verwaltung ist: Fachwissen, dessen völlige Unentbehrlichkeit durch die moderne Technik und Oekonomik der Güterbeschaffung bedingt wird, höchst einerlei ob diese kapitalistisch oder – was, wenn die gleiche technische Leistung erzielt werden sollte, nur eine ungeheure Steigerung der Bedeutung der Fachbureaukratie bedeuten würde – sozialistisch organisiert ist. Wie die Beherrschten sich einer bestehenden bureaukratischen Herrschaft normalerweise nur erwehren können durch Schaffung einer eigenen, ebenso der Bureaukratisierung ausgesetzten Gegenorganisation, so ist auch der bureaukratische Apparat selbst durch zwingende Interessen materieller und rein sachlicher, also: ideeller Art an sein eigenes Weiterfunktionieren gebunden: ohne ihn würde in einer Gesellschaft mit Trennung des Beamten, Angestellten, Arbeiters, von den Verwaltungsmitteln und Unentbehrlichkeit der Disziplin und Geschultheit die moderne Existenzmöglichkeit für alle außer den noch im Besitz der Versorgungsmittel Befindlichen (den Bauern) aufhören. Er funktioniert für die zur Gewalt gelangte Revolution und für den okkupierenden Feind normalerweise einfach weiter wie für die bisher legale Regierung. Stets ist die Frage: wer beherrscht den bestehenden bureaukratischen Apparat? Und stets ist seine Beherrschung dem NichtFachmann[128] nur begrenzt möglich: der Fach-Geheimrat ist dem Nichtfachmann als Minister auf die Dauer meist überlegen in der Durchsetzung seines Willens. Der Bedarf nach stetiger, straffer, intensiver und kalkulierbarer Verwaltung, wie ihn der Kapitalismus – nicht: nur er, aber allerdings und unleugbar: er vor allem – historisch geschaffen hat (er kann ohne sie nicht bestehen) und jeder rationale Sozialismus einfach übernehmen müßte und steigern würde, bedingt diese Schicksalhaftigkeit der Bureaukratie als des Kerns jeder Massenverwaltung. Nur der (politische, hierokratische, vereinliche, wirtschaftliche) Kleinbetrieb könnte ihrer weitgehend entraten. Wie der Kapitalismus in seinem heutigen Entwicklungsstadium die Bureaukratie fordert – obwohl er und sie aus verschiedenen geschichtlichen Wurzeln gewachsen sind –, so ist er auch die rationalste, weil fiskalisch die nötigen Geld mittel zur Verfügung stellende, wirtschaftliche Grundlage, auf der sie in rationalster Form bestehen kann.

Neben den fiskalischen Voraussetzungen bestehen für die bureaukratische Verwaltung wesentlich verkehrstechnische Bedingungen. Ihre Präzision fordert Eisenbahn, Telegramm, Telephon und ist zunehmend an sie gebunden. Daran könnte eine sozialistische Ordnung nichts ändern. Die Frage wäre (s. Kap. II, § 12), ob sie in der Lage wäre, ähnliche Bedingungen für eine rationale, und das hieße gerade für sie: straff bureaukratische Verwaltung nach noch festeren formalen Regeln zu schaffen, wie die kapitalistische Ordnung. Wenn nicht, – so läge hier wiederum eine jener großen Irrationalitäten: Antinomie der formalen und materialen Rationalität, vor, deren die Soziologie so viele zu konstatieren hat.

Die bureaukratische Verwaltung bedeutet: Herrschaft kraft Wissen: dies ist ihr spezifisch rationaler Grundcharakter. Ueber die durch das Fachwissen bedingte gewaltige Machtstellung hinaus hat die Bureaukratie (oder der Herr, der sich ihrer bedient), die Tendenz, ihre Macht noch weiter zu steigern durch das Dienst-wissen: die durch Dienstverkehr erworbenen oder »aktenkundigen« Tatsachenkenntnisse. Der nicht nur, aber allerdings spezifisch bureaukratische Begriff des »Amtsgeheimnisses« – in seiner Beziehung zum Fachwissen etwa den kommerziellen Betriebsgeheimnissen gegenüber den technischen vergleichbar – entstammt diesem Machtstreben.

Ueberlegen ist der Bureaukratie an Wissen: Fachwissen und Tatsachenkenntnis, innerhalb seines Interessenbereichs, regelmäßig nur: der private Erwerbsinteressent. Also: der kapitalistische Unternehmer. Er ist die einzige wirklich gegen die Unentrinnbarkeit der bureaukratischen rationalen Wissens-Herrschaft (mindestens: relativ) immune Instanz. Alle andern sind in Massenverbänden der bureaukratischen Beherrschung unentrinnbar verfallen, genau wie der Herrschaft der sachlichen Präzisionsmaschine in der Massengüterbeschaffung.

Die bureaukratische Herrschaft bedeutet sozial im allgemeinen:

1. die Tendenz zur Nivellierung im Interesse der universellen Rekrutierbarkeit aus den fachlich Qualifiziertesten,

2. die Tendenz zur Plutokratisierung im Interesse der möglichst lang (oft bis fast zum Ende des dritten Lebensjahrzehnts) dauernden Fach einschulung,

3. die Herrschaft der formalistischen Unpersönlichkeit: sine ira et studio, ohne Haß und Leidenschaft, daher ohne »Liebe« und »Enthusiasmus«, unter dem Druck schlichter Pflichtbegriffe; »ohne Ansehen der Person«, formal gleich für »jedermann«, d.h. jeden in gleicher faktischer Lage befindlichen Interessenten, waltet der ideale Beamte seines Amtes.

Wie aber die Bureaukratisierung ständische Nivellierung (der normalen, historisch auch als normal erweislichen Tendenz nach) schafft, so fördert umgekehrt jede soziale Nivellierung, indem sie den ständischen, kraft Appropriation der Verwaltungsmittel und der Verwaltungsgewalt, Herrschenden und, im Interesse der »Gleichheit«, den kraft Besitz zu »ehrenamtlicher« oder »nebenamtlicher«[129] Verwaltung befähigten Amtsinhaber beseitigt, die Bureaukratisierung, die überall der unentrinnbare Schatten der vorschreitenden »Massendemokratie« ist, – wovon eingehender in anderem Zusammenhang.

Der normale »Geist« der rationalen Bureaukratie ist, allgemein gesprochen:

1. Formalismus, gefordert von allen an Sicherung persönlicher Lebenschancen gleichviel welcher Art Interessierten, – weil sonst Willkür die Folge wäre, und der Formalismus die Linie des kleinsten Kraftmaßes ist. Scheinbar und zum Teil wirklich im Widerspruch mit dieser Tendenz dieser Art von Interessen steht

2. die Neigung der Beamten zu material-utilitarisch gerichteter Behandlung ihrer Verwaltungsaufgaben im Dienst der zu beglückenden Beherrschten. Nur pflegt sich dieser materiale Utilitarismus in der Richtung der Forderung entsprechender – ihrerseits wiederum: formaler und in der Masse der Fälle formalistisch behandelter – Reglements zu äußern. (Darüber in der Rechtssoziologie.) Unterstützung findet diese Tendenz zur materialen Rationalität von seiten aller derjenigen Beherrschten, welche nicht zu der unter Nr. 1 bezeichneten Schicht der an »Sicherung« Interessierten gegen besessene Chancen gehören. Die daher rührende Problematik gehört in die Theorie der »Demokratie«.


Quelle:
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 51980, S. 124-130.
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