Angebliche Ansätze zur Wandlung

der römischrechtlichen Grundsätze.

[319] Im allgemeinen muß dies entschieden in Abrede gestellt werden, für das Gebiet des Privatrechts unbedingt.

Man könnte in einzelnen Bestimmungen eine Ueberschreitung jener Grenzen finden wollen. So wenn dem socius das Recht gegeben wird – D 63 § 5 pro socio – bei Zahlungsunfähigkeit eines socius sich an diejenigen anderen socii zu halten, welche ihren Teil von demselben voll beigetrieben haben.

Diese anscheinende Ueberschreitung der rein quotenmäßigen Regelung des Verhältnisses ist indessen nur eine Konsequenz der Natur der actio pro socio, bei welcher – es handelt sich nur um das Verhältnis unter den socii – die bona fides gleichmäßige Teilung der Verluste fordert.

[319] Rößler6 hat ferner D. 44 § 1 de aed. ed. herangezogen: Proponitur actio ex hoc Edicto in eum, cujus maxima pars in venditione fuit, quia plerumque venaliciarii ita societatem coëunt, ut quid-quid agant, in commune videantur agere; aequum enim Aedilibus visum est, vel in unum ex his, cujus major pars, aut nulla parte minor esset, aedilicias actiones competere, ne cogatur emptor cum singulis litigare. – In der Tat liegt in dieser, der Praxis des Marktgerichts entwachsenen Bestimmung eine von den Juristen durch die präsumtive Interessengemeinschaft der venaliciarii als billig motivierte, juristisch nicht weiter analysierbare Singularität vor, deren Grundlage im Sozietätsrecht nicht zu suchen ist. Die präsumtive Sozietät wird nicht als rechtliches Fundament der erweiterten Klage, sondern nur als legislatorisches Motiv der Aedilen dargestellt.

Schon eher könnte das Verhältnis der plures argentarii als eine wirkliche Modifikation der römischen Auffassung gelten. Die davon handelnden Quellenstellen7 ergeben in der Tat eine wohl aus Besonderheiten des Litteralkontrakts und der Buchführung (»nomina simul facta«) der Bankiers hervorgehende Rechtsbildung, jedoch nicht eigentlich ein Institut des Sozietätsrechts. Das Bestehen einer Sozietät wird nicht als der Rechtsgrund hervorgehoben.

Tatsächlich aus dem Rechtsgrund der Sozietät hervorgehende Solidarberechtigungen enthält dagegen anscheinend das Statut der latinischen Colonia Malaca8 in der, hinsichtlich der Bedeutung des Ausdrucks »socius« freilich nicht zweifelsfreien Bestimmung: Lex Malac. c. 65 (es handelt sich um den Verkauf der praedes praediaque):


... ut ei qui eos praedes cognitores ea praedia mer cati erunt praedes socii heredesque eorum i[i]que ad quos ea res pertinebit de is rebus agere easque res petere persequi recte possit.[320]

Also: der socius des Käufers hat eine direkte Klage wie der heres. Zu berücksichtigen ist, daß wir uns auf dem Boden des Verwaltungsrechts befinden und ein durch die Hand des Magistrats geschlossener Kontrakt vorliegt. Wie weit hier die besondere Natur der öffentlichrechtlichen leges contractus9 einwirkt, und daher das Privatrecht zessiert, steht dahin10.

Auf dem Boden des Privatrechts11 finden wir jedenfalls auch im spätrömischen und im Recht der Basiliken und ihrer Scholien12 noch keine Modifikationen der alten Grundsätze. Daß jene erwähnten Spezialrechtssätze oder daß lokale Rechtsbildungen des Vulgärrechts. Anknüpfungspunkte für die spätere, dem mittelalterlichen Großverkehr angehörige Entwicklung der von uns zu behandelnden Institute geboten haben sollten, dafür fehlt zum mindesten jeder Anhalt.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 319-321.
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