4. Vermögensrecht der Seesozietäten.

[335] Welche Bedeutung haben nun diese bis hierher historisch und geographisch von uns verfolgten Institute für die hier behandelte Frage?

Wir haben im obigen gesehen, daß ein bestimmter Einschuß von Kapital dieser Sozietät von Anfang an wesentlich ist, daß[335] dieser Einschluß sogar mit ihrem Namen, als »societas«, bezeichnet wird, als sei er ihr eigentlicher Repräsentant. Welche Stellung also nimmt dieser Fonds gegenüber dem übrigen Vermögen der socii und welche nach außen ein?

Zunächst ist es eben einfach ein Fonds, ein Komplex von Rechtsobjekten, welcher zum Behuf der Auseinandersetzung besondere Berechnung dessen erfordert, was als Gewinn in ihn hineinfällt, als Verlust aus ihm abgeht. Da er bezüglich der Gefahr und der Verteilung des Gewinnes besonderer Abrechnung unterliegt, so muß er von den übrigen vom tractator mitgeführten Waren und Kapitalien gesondert werden, er bildet ein besonderes Konto; und wie die heutige Buchführung sich der anschaulichen Vorstellung bedient, als seien die Konti Rechtssubjekte und hätten untereinander Forderungen und Schulden, so wird auch in den genuesischen Urkunden die societas mit dem, was in sie hineinfällt und was sie belastet, wie eine Art Rechtssubjekt behandelt. Hat aber damit dieser Fonds auch nur im Verhältnis unter den socii die Stellung eines Sondervermögens gewonnen? Sicherlich ebensowenig wie ein heutiges Buchkonto, und um so weniger dritten gegenüber. Die Verhältnisse der Kommenda und societas maris sind an sich vollkommen auch auf dem Boden des römischen Rechts möglich, die Urkunden erinnern in der Fassung an diejenige, welche wir für die römische societas kennen44. Das ganze[336] Verhältnis ist durch Forderungsrechte der socii untereinander vollständig juristisch darstellbar.

Dieser prinzipielle Standpunkt des genuesischen Rechts ist nun aber nicht ganz unerschüttert geblieben. Es finden sich Ansätze, welche den Anfang einer weitergehenden Entwicklung bedeuten. Ein solcher ist insbesondere darin zu finden, daß die Statuten dem socius stans an den Sozietätssachen, d.h. an den in die Sozietät eingebrachten und den aus Sozietätsgeld erworbenen Objekten, ein Recht – wie wir sagen würden – »auf abgesonderte Befriedigung« einräumen45. Damit sind praktisch die zur Einlage gehörigen oder ihr zugeschriebenen oder aus ihren Mitteln erworbenen Vermögensstücke dem Zugriff der Privatgläubiger des reisenden socius entzogen, nur die Gewinnquote fiel in seine Konkursmasse. Daß andererseits die Privatgläubiger des socius stans jedenfalls bei Geldkommenden nicht unmittelbar den Sozietätsfonds angreifen konnten, ergibt die Natur der Sache, sie können vom tractator nur Herausgabe des capitale und lucrum, welches dem stans zukommt, fordern. Mithin mußte unter allen Umständen über den Sozietätsfonds eine besondere Auseinandersetzung stattfinden.

Wie aber stand es, wenn der reisende socius im Betrieb des Geschäftes Schulden gemacht, Forderungen erworben hatte?

Die nomina gehören nach ausdrücklicher Bestimmung der Statuten zu den vom Vorzugs- und Absonderungsrecht des socius mitbetroffenen Objekten, nach den Statuta Perae kann der stans dieselben auch ohne weiteres einklagen, als seien es seine eigenen46.

[337] Was die im Betriebe der Geschäfte der societas kontrahierten Schulden anlangt, so sind sie an sich natürlich – daran besteht kein Zweifel – einfach Schulden des tractator. Es findet sich in den Quellen keine Andeutung, daß auch der socius stans durch sie verhaftet wurde. Stehen aber vielleicht die materiell für Rechnung der Sozietät dem tractator kreditierenden Gläubiger zu dem Sozietätsfonds in irgendeiner Sonderbeziehung? Es findet sich47 keine ausdrückliche Bestimmung darüber in den Quellen. Immerhin ist zu bemerken, daß die Statuten der Bestimmung betr. das unbedingte Vorrecht des socius im Konkurse an den präsumtiven Sozietätssachen die Beschränkung ausdrücklich beifügen: »nisi sit res illa, de qua venditor nondum sit pretium consecutus« (Stat. Perae l. cit. c. 211, Stat. v. 1567 c. 43). Besonders deutlich drücken sich auch die Statuten von Albenga48, aus dem 14. Jahrhundert, unter genuesischem Einflusse stehend, aus, welche in dem bezeichneten Falle dem Verkäufer eine rei vindicatio utilis geben.

Da nun der tractator wesentlich Kauf- und Verkaufsgeschäfte für die societas abschloß, so waren damit die Hauptgläubiger der societas durch ein noch stärkeres Vorrecht als der socius auch diesem gegenüber geschützt.

Es wird nach alledem zugegeben werden müssen, daß in der Tat einige Anfänge dazu da waren, den Komplex von Rechten und Verbindlichkeiten, welcher durch die im Betriebe der societas geschlossenen Geschäfte gebildet wurde, nach Art eines Sondervermögens besonderen Schicksalen zu unterwerfen. Aber in der Tat nur Anfänge; namentlich ist die Stellung der Gläubiger zum Sozietätsfonds nicht durchgebildet; das Verhältnis ist in der Entwicklung auch in dieser Beziehung wenig weiter gelangt,[338] als über eine Art der Konstruktion, wie sie heute für den Konkurs des Kommissionärs benutzt wird, um den Verkaufskommittenten zu schützen. Das Vorhandensein der gekauften Sachen ist die Voraussetzung.

Die Vermögensstellung des Sozietätsfonds ist eine höchst fragmentarische; trotz der gedachten Modifikationen trifft hier49 noch zu, was Lastig über die juristische Struktur dieser Sozietäten sagt: daß wesentlich nach außen der tractator, nach innen der socius stans der Berechtigte war – letzteres natürlich nur, sofern der stans im einzelnen Fall der Unternehmer war.

Vollends ist klar, daß das Prinzip der solidarischen Haftung hier seine Grundlage nicht haben kann. Schärfer als dadurch, daß das Verhältnis des socius stans zu den Gläubigern des tractator in Konkursvorrechten am Vermögen des letzteren zur Erscheinung gelangt, konnte kaum zum Ausdruck gebracht werden, daß der stans selbst, mit seinem nicht in der societas steckenden Vermögen, zu den Gläubigern des tractator, auch soweit sie mit letzterem mit Bezug auf zur Sozietät gehörige Sachen kontrahiert hatten, nicht in Beziehung trat. Dies ist in Genua nach den Statuten von 1567 noch ebenso wie im 13. Jahrhundert.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 335-339.
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