Vorbemerkung.

[312] Dogmatisch ist der grundsätzliche Unterschied zwischen der societas des römischen Rechts und der wichtigsten Gruppe der modernen Gesellschaftsformen, der handelsrechtlichen, speziell der offenen Handelsgesellschaft, oft erörtert und genügend aufgeklärt. Historisch ist die Entwicklung der modernen Grundsätze aus dem Verkehrsleben der Mittelmeerländer, speziell Italiens, von wo aus der internationale Handelsverkehr sie als für sich praktikabel allgemein übernahm, in den Hauptzügen klargestellt.

Wie aber, besonders in den früheren Entwicklungsstadien, sich im einzelnen die Rechtsbildung gestaltet hat, – ob hier ganz neue Rechtsgedanken, aus den schnell sich vervielfältigenden Bedürfnissen des Tages erwachsen, durch Uebergang in den Handelsgebrauch und von da in das Handelsgewohnheitsrecht, sich Anerkennung verschafften, oder ob und inwiefern eine Anknüpfung an vorgefundene Rechtsinstitute stattfand, ist vielfach noch nicht außer Zweifel gestellt, und da das von Lastig2 in Aussicht gestellte umfassende Werk über die Handelsgesellschaften, welches, nach den bisherigen Proben zu schließen, auf einer Fülle uns unzugänglichen[312] urkundlichen Materials zu fußen in der Lage sein wird, noch auf sich warten läßt, darf der Versuch immer noch als lohnend gelten, im Anschluß an die bisherigen Arbeiten, auf Grund des gedruckten Materials eine konkretere Vorstellung von den hier für die Entwicklung wesentlichen Motiven zu gewinnen. Nach Lage des mir zugänglichen Quellenmaterials kann hiernach, wie vorweg zu bemerken ist, die Illusion nicht aufkommen, als ob die hier zu gewinnenden Ergebnisse nicht selbst in den Hauptpunkten wesentliche Korrekturen auf Grund mir unzugänglichen, insbesondere handschriftlichen Materials, zu gewärtigen hätten3.

Daß die nachstehende, aus Erweiterung und Umarbeitung einer seiner Zeit im Seminar des Herrn Geheimrat Goldschmidt in Berlin vorgelegten Arbeit entstandene Untersuchung sich nicht als Geschichte der offenen Handelsgesellschaft, sondern als Beitrag zur Geschichte der Handelsgesellschaften überhaupt bezeichnet, wird der Inhalt rechtfertigen. Nur einzelne Institute des Vermögensrechtes sowohl der offenen als der Kommanditgesellschaft sind hier zu beleuchten versucht. Allerdings nehme ich an, daß dieselben besonders geeignet sind, den Gegensatz beider historisch klarzustellen. Benutzt ist, wie bemerkt, nur gedrucktes Material und auch dies nur, soweit es in der Berliner Bibliothek und dem Privatbesitz des Herrn Geheimrat Goldschmidt, welcher mir die Benutzung seiner reichen Bibliothek gütigst gestattete, zugänglich war. Weniger neue Gesichtspunkte, als vielleicht eine Korrektur und konkretere Umgrenzung der bereits gewonnenen können hiernach das Ergebnis bilden.


Quelle:
Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Hrsg. von Marianne Weber. Tübingen 21988, S. 312-313.
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