Vorrede [zum zweiten Band]

Wenn auch eine Aussprache, wie sie beim Schluss des ersten Bandes des Deutschen Sprichwörter-Lexikon, nothwendig war, jetzt nicht erforderlich ist, so scheint es mir doch angemessen, auch den zweiten Band mit einigen Worten zu begleiten.

Zuerst gebe ich dem Gefühl der Freude darüber Ausdruck, dass der Druck des Werks ohne Unterbrechung hat stattfinden können; dass ungeachtet des noch im grössern Umfange zuströmenden Materials, das durchgesehen, gesichtet und einverleibt werden musste, dieser zweite Band in einem kürzern Zeitraum beendet worden ist, als der erste erfordert hat; und dass es mir vergönnt gewesen ist, die anstrengende und ermüdende Arbeit bisjetzt fortzuführen.

Während die Vollendung des ersten Bandes gegen vier und ein halbes Jahr erfordert hat, hat sich der zweite mit drei Jahren begnügt; vielleicht gelingt es, den dritten in noch kürzerer Zeit zu beenden.

Die Grundeinrichtung ist natürlich durchgehends dieselbe geblieben; allein es wird dem Kenner dieses Literaturzweigs nicht entgangen sein, in welcher Weise unausgesetzt innerlich an der Verbesserung gearbeitet worden ist.

Je bestimmter der Charakter des Kreises hervortrat, in welchem das Deutsche Sprichwörter-Lexikon eine Heimstätte findet, um so leichter war es auch, das Gepräge zu bestimmen, das der Inhalt zu erhalten hatte. Es ist daher aus dem ursprünglichen Manuscript, das sich einen sehr gemischten Besitzerkreis gedacht hatte, je länger je mehr das ausgeschieden worden, was nicht streng sachlich erscheint, und was die Beurtheiler der ersten Lieferungen als subjective Beigaben für überflüssig bezeichnen zu müssen glaubten. Es ist dies geschehen, ohne dass dadurch der Anschauungsstandpunkt des Herausgebers irgendeine Veränderung erlitten hat.

Nicht nur in diesem Punkte, sondern in jedem, der eine wirkliche Verbesserung andeutete, habe ich den Anforderungen der Kritik Rechnung zu tragen gesucht, und im allgemeinen hat sie dies, soweit mir Mittheilungen darüber zugegangen sind, auch anerkannt.

Gibt es Federn, die deshalb dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon den wissenschaftlichen Charakter absprechen, weil es ihren Fabrikaten im Wege steht; so kann ich ihnen nur empfehlen, etwas Besseres zu leisten. Aber ich denke, diese Weisen werden mit ihren Werken so lange warten, bis unser Deutsches Sprichwörter-Lexikon beendet ist, weil ihre Arbeit dann viel leichter sein wird.

Auch diejenigen, welche an der Aufnahme fremder Sprichwörter, insofern sie in der Reihe der deutschen stehen, Anstoss nehmen, werden gefunden haben, dass ihre Zahl und mit dieser ihr Aergerniss geringer geworden ist, Ich bin ganz damit einverstanden, dass sie nicht in den Text gehören, und lasse sie nur dann dort stehen, wenn ich ein deutsches, dem ich sie als Parallele beifügen kann, augenblicklich nicht finde. Denn daran, dass es für jeden, durch ein fremdes Sprichwort ausgedrückten Gedanken ein deutsches gibt, zweifle ich nicht; aber es aus 150000 – 200000 herauszufinden, ist nicht das Werk des Suchens, sondern des zufälligen Begegnens. Und so bitte ich denn diejenigen patriotischen Augen, welche sich dadurch verletzt fühlen, für diese Fremdlinge um einstweilige Schonung.25 Für mich hat es einmal ein Interesse, zu vergleichen, wie Nichtdeutsche, und wären es selbst Neger, über einen verwandten Gegenstand denken und in welche Form sie ihre Gedanken kleiden. Dieser Grund und nicht die mir wohlwollend untergeschobene Absicht, die Zahl der deutschen Sprichwörter zu erhöhen, hat mich dabei geleitet. Um den letztern Zweck zu erreichen, brauchen wir keine Sprichwörter zu importiren; es darf blos jeder deutsche Lehrer an seinem Orte ein einziges bisher noch nicht gedrucktes – und es gibt an jedem Orte mehr als eins – zu Papier bringen, so wächst der in Schrift gefasste deutsche Sprichwörterschatz um hunderttausend, während sich im Text des Deutschen Sprichwörter-Lexikon zusammen kaum eintausend fremde befinden dürften. [5] Diese Bemerkung soll durchaus keinen polemischen Charakter haben; sie soll blos die Kritik, welche gerade gegen diesen Punkt Sturm läuft, beruhigen.


Als ich mich in den vierziger Jahren, nachdem die erste Reinschrift eine Arbeit in Stärke von 700 Bogen hergestellt hatte, vergeblich bemühte, eine Verlagshandlung für den Druck zu finden, »weil das Buch zu stark werde«, bedauerte ich dies gar sehr, liess mich indess von der Fortsetzung der Arbeit auch dann nicht abhalten, als der Durchschuss das frühere Manuscript auf 1400 Bogen gebracht hatte. Erst nach einer Reihe von Jahren, als sich die Handschrift mittels Durchschuss noch einmal verdoppelt hatte, gewann die jetzige Verlagshandlung Vertrauen zu dem Unternehmen; und ich würde es für jetzt nicht nur aufs äusserste bedauern, wenn das erste Manuscript gedruckt worden wäre; ich würde es ebenso stark beklagen, wenn das jetzige Manuscript so zum Abdruck gelangt wäre, wie es beim Abschluss vorlag, Ich habe schon in der Vorrede zum ersten Bande hervorgehoben, in welchem Grade erst in neuerer Zeit der mundartlichen und sprichwörtlichen Literatur, infolge des Erwachens eines neuen nationalen Geistes, Beachtung geworden ist.

Nicht nur das Quellenverzeichniss des ersten Bandes, auch das des zweiten liefert den Beweis von einer Anzahl neu erschienener, dies Gebiet berührender Schriften.

Ein Blick in die 1822 erschienene Literatur der Sprichwörter von Nopitsch, wie in die spätern ergänzenden Arbeiten dieser Art von Duplessis und Zacher wird die Ueberzeugung gewähren, wie dürftig die Bearbeitung dieses Literaturzweigs in früherer Zeit gewesen ist.

Allein das, was seit Beginn des Drucks aus dem Volksmunde aller Gauen Deutschlands wie aus der Literatur in allen ihren Zweigen an Sprichwörtern gesammelt und in unser Deutsches Sprichwörter-Lexikon übergegangen ist, übersteigt ohne Uebertreibung alles, was in den von Nopitsch aufgeführten deutschen Arbeiten enthalten ist.

Es wird erlaubt sein, von dem zu sprechen, was in dieser Hinsicht das Deutsche Sprichwörter-Lexikon geleistet hat. Vollständig einsehen wird man es erst, wenn die Quellenkunde des Deutschen Sprichworts, an der mein Freund J. Franck in Annweiler seit dreissig Jahren arbeitet, erschienen ist, ein Werk deutscher Gründlichkeit und Ausdauer, wie demselben schwerlich ein anderes Volk ein ähnlicheswird zur Seite stellen können.26

[6] Man wird dann vielleicht nicht begreifen können, wie mit den bisherigen Hülfsmitteln noch ein Werk wie das Deutsche Sprichwörter-Lexikon, und noch dazu in einer kleinen Stadt oder gar auf dem Lande zu schaffen war. Doch liegt es mir fern, in die Schilderung der Schwierigkeiten, die mir oft bei einem einzelnen Artikel, ja bei einem einzelnen Sprichwort begegneten, einzugehen.

Seit dem Beginn des Drucks haben aber fortgesetzt Anregungen stattgefunden, wenn auch nicht mit gleichmässigem Erfolge; indess hat wol jede Einladung zur Mitwirkung jeder ausgegebenen Lieferung an irgendeinem Punkte zu irgendeiner Theilnahme veranlasst. In einzelnen Gauen unsers Vaterlandes haben die Ansprachen, aus dem Volksmunde zu sammeln, ausserordentlich günstig gewirkt.27 In andern blieben sie fast ganz wirkungslos. Dazu gehört leider Schlesien, das Land, in dem ich wohne und arbeite, selbst. Von den so und so viel tausend Lehrern haben sich, wie aus dem Verzeichniss der Mitarbeiter zu ersehen ist, etwa fünf oder sechs zu irgendeiner Theilnahme bewegen lassen, und doch erfordert das Sammeln keine grössern Opfer als den Gebrauch von Auge und Ohr, Bleistift und ein Blatt Papier.

Jeder Aufforderung zum Sammeln wird in der Regel die Antwort: Es gibt hier keine nicht bereits allbekannte Sprichwörter, oder eine ähnliche. Es dürfte aber keinen deutschen Gau geben, der eine so unvollkommene Sammlung seiner Sprichwörter aufzuweisen hat wie Schlesien; keinen, der ein so dürftiges Idiotikon besitzt wie Schlesien. Und dennoch hat fast jeder Ort einen Reichthum von Spracheigenheiten, von Sprichwörtern und Redensarten, von volksthümlichen Sitten, Gebräuchen, Aberglauben u.s.w. Aber alle Versuche, sie zu sammeln, bleiben, wie vor mir Prof. Weinhold u.a. erfahren haben, erfolglos.

Man möge diese Bemerkung besonders deshalb entschuldigen, weil die schlesischen Sprichwörter bei weitem nicht in der Vollständigkeit im Deutschen Sprichwörter-Lexikon erscheinen, als sie nach dem Reichthum, in welchem sie im Volksmunde vorhanden sind, vertreten sein könnten, und als man wol beanspruchen und erwarten dürfte, da der Herausgeber gerade in Schlesien lebt. Wenn es sich bestätigte, was vor einiger Zeit ein Reisender dem Verfasser als Merkwürdigkeit erzählte, dass er in der Bibliothek der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur in Breslau vergeblich nach einem Exemplar des Deutschen Sprichwörter-Lexikon gefragt habe, so würde darin nur die Theilnahme für alles Schlesische ihren consequenten Ausdruck finden.

Wenn man dem Deutschen Sprichwörter-Lexikon das Zeugniss geben sollte, dass es in der einen oder andern Hinsicht an Werth gewonnen habe; so fühle ich mich vor allem denen zu besonderm Dank verpflichtet, die mich dabei in dieser oder jener Weise bei meiner Arbeit unterstützt haben. Es ist keine Lieferung ausgegeben worden, in der ich von dieser Unterstützung nicht Zeugniss geben konnte. Die grösste Anzahl derer, die Beiträge zum ersten Bande gegeben haben, sind dem Unternehmen ausdauernd treu geblieben, und an Stelle derer, die wir durch den Tod verloren haben oder die in ihrem Kreise Neues nicht fanden, haben sich andere Freunde gefunden, denen allen ich hier auf das verbindlichste danke und sie um weitere Unterstützung ersuche.

Was die Zahl der in diesem zweiten Bande enthaltenen Sprichwörter betrifft, so ist sie der des ersten Bandes im allgemeinen gleich. Der erste Band enthält (vgl. Vorrede, S. XI) in runder Zahl 45000 deutsche und 15000 sinnverwandte fremde Sprichwörter, und dies Zahlenverhältniss ist auch im zweiten Bande geblieben. Jede Lieferung bietet also durchschnittlich 3000 deutsche und 1000 fremde, zusammen 4000 Sprichwörter, und es ist mithin, was schon früher einmal angedeutet worden ist, das Deutsche Sprichwörter-Lexikon nicht blos die vollständigste, es ist auch beziehungsweise die wohlfeilste aller Sprichwörtersammlungen. Vor nicht langer Zeit hob ein Recensent im Magazin für die Literatur des Auslandes die 1867 in Stockholm erschienene vergleichende Sprichwörtersammlung von K. Marin rühmend hervor. Sie kostet 11/5 Thaler und enthält 532 Sprichwörter in fünf oder sechs Sprachen, während eine Lieferung des Deutschen Sprichwörter-Lexikon mehr als sechsmal so viel bietet, und zwar wohlgeordnet, mit Erklärung und einer die ganze Literatur umfassenden Citatenangabe versehen, viele nicht nur in mehrern Mundarten, sondern in sechs bis zehn Sprachen, sodass aus jeder unserer Lieferungen [7] ein halb Dutzend weit reichhaltigere Sammlungen, wie die schwedische ist, gemacht werden können.

An Berichtigungen habe ich nur geben können, was mir von freundlicher Hand zugegangen ist oder was ich zufällig entdeckt habe. Die Redaction und Ergänzung des Manuscripts, das den wackern Setzer mitunter zu einer Stelle unter den Märtyrern berechtigt, nimmt, verbunden mit dem Lesen der letzten Correcturen, meine Zeit so in Anspruch, dass ich etwaigen Fehlern nicht so nachspüren kann, als ich selbst möchte, Ich würde aber sehr dankbar dafür sein, wenn diejenigen Besitzer des Deutschen Sprichwörter-Lexikon, welche dazu in der Lage sind, so wie es bereits einzelne gethan haben, die Fehler und Irrthümer, die ihnen beim Gebrauch begegnen, auf ein Blatt notiren und mir, sei es direct oder durch die Verlagshandlung, zugehen lassen wollten, damit ich vor dem Schluss des ganzen Werks die betreffenden Berichtigungen mittheilen könnte, Ich muss bekennen, dass mir gar manches, was einer Verbesserung bedürfte, aller Sorgfalt ungeachtet, oft wo infolge der Ermüdung, entgeht, was dem fremden Leser sofort ins Auge fällt.

In einer Fortsetzung des Quellenverzeichnisses habe ich alle die Schriften aufgeführt, welche seit dem Erscheinen des ersten Bandes zur Benutzung hinzugekommen oder von Mitarbeitern für den Zweck ausgebeutet worden sind. Von verschiedenen Seiten sind mir Broschüren, Nummern von Zeitschriften, in denen sich Stoff zur Benutzung oder Artikel zur Beachtung fanden, zugegangen, wofür ich den Förderern des Werks besten Dank sage. Doch darf ich wol bemerken, dass auf dem grossen Gebiet des deutschen Zeitschriftwesens sehr viel Sprichwörtliches unbeachtet bleibt.

An das Quellenverzeichniss schliessen sich die Namen derjenigen an, welche mich durch Beiträge unterstützt haben. Endlich habe ich auch wieder eine Zusammenstellung von Gruppen verwandter sprichwörtlicher Redensarten beigefügt.

Herr Oberstudienrath Wagner in Darmstadt schliesst eine seiner Besprechungen, mit denen er in treuer Ausdauer das Deutsche Sprichwörter-Lexikon von Beginn seines Erscheinens bisjetzt begleitet hat, mit den Worten: »In diesem ebenso für die deutsche Sprache – dem jetzt einzigen Bande und einzigen gemeinsamen Kleinod der deutschen Nation in ihrer Gesammtheit – wie für die deutsche Culturgeschichte wichtigen Werke, in welchem die Anschauungen, Ansichten, Urtheile, Irrthümer und Erfahrungen, Rechtsgrundsätze, Klugheits- und Weisheits-, Glaubens-und Sittenlehren der frühern Geschlechter aller Bildungsschichten und Berufsklassen sich abspiegeln, ist ein sprechendes Bild des deutschen innern Wesens und Charakters, wenn auch nur in einzelnen, unverbundenen Strichen gegeben«, und will es dadurch den »Vermöglichen« und »namentlich den öffentlichen Bibliotheken« empfehlen, Ich bin dadurch dieser unnützen Mühe überhoben und kann mit dem Wunsche schliessen, dass mir die Beendigung eines Werks vergönnt sein möge, das, was auch die berechtigte Kritik daran aussetzen oder die weniger berechtigte Silbenstecherei dagegen einwenden möge, so lange es eine deutsche Literatur gibt, doch der Krystallisationspunkt für den deutschen Sprichwörterschatz bleiben wird, wobei es sich, ohne Veränderung des Knochengerippes, blos um Ausscheidungen und Zusätze handeln kann.


Hermsdorf bei Warmbrunn, 11. August 1870.

K.F.W. Wander.


Quelle:
Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon, Band 3. Leipzig 1873.
Lizenz:

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