Schamgefühl

[279] Schamgefühl besteht in einer seelischen Depression, Verwirrung, welche sich (primär) an das Bewußtsein eines eigenen Zustandes knüpft, dessen Bekanntheit bei anderen (indirect auch bei sich selbst) das eigene Ich (wirklich oder scheinbar) geringer macht. Es ist das Gefühl, das sich an das Bewußtsein knüpft, die (physische oder geistige) »Blöße« sei der Gegenstand fremder Aufmerksamkeit. Es ist ein sociales Product. PLATNER erklärt: »Scham ist Verdruß über die Sichtbarkeit selbsteigener Schwachheiten« (Philos. Aphor. II, § 937 ff.). Nach LIPPS entsteht das Schamgefühl, wenn eine Persönlichkeit das sinnlich Animalische an sich, von andern wahrgenommen, als Herabsetzung oder Beleidigung empfindet (Eth. Gr. S. 173). Die Schamhaftigkeit ist »die deutliche Anerkenntnis des niedrigeren Ranges des Sinnlichen gegenüber dem Geistig-Sittlichen« (l. c. S. 175). Nach TH. ZIEGLER ist Scham »die Furcht, sich vor anderen eine Blöße zu geben, oder das Unbehagen, eine solche gegeben zu haben« (Das Gef.2, S. 172). RENOUVIER erklärt: »La pudeur est d'abord une crainte que nous avons de déplaire, d'avoir a rougir de nos imperfections de nature« (Nouv. Monadol. p. 221). Das sexuelle Schamgefühl führen einige (HELLWALD, LIPPERT u. a.) auf das Bewußtsein, der Kleidung, die einen sociale Achtung erweckenden Schmuck darstellt, entledigt zu sein. Nach SIMMEL ist die Quelle der Scham das Bewußtsein der Beobachtung eines Schwächezustandes des Ich. Vgl. H. ELLIS, Geschlechtstrieb und Schamgefühl.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Band 2. Berlin 1904, S. 279.
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