Cornelius, Hans

[106] Cornelius, Hans, Prof. in München, geb. 1863 ebenda.

C. ist idealistischer, kritischer Positivist, von Kant beeinflußt, in manchem sich Mach u. a. nähernd. Die Grundlage aller erkenntnistheoretischen Beweisführung ist die »Analyse und Beschreibung der unmittelbar gegebenen Tatsachen des Bewußtseins«, die Psychologie. C. ist aber ein Gegner der »atomistischen« Psychologie indem er jeden psychischen Vorgang als Moment eines Gesamtzusammenhanges betrachtet. Die Psychologie hat die Tatsachen des geistigen Lebens nicht physiologisch zu erklären, sondern »vollständig auch in der einfachsten Weise zu beschreiben«. Die Schwächen der Assoziationspsychologie sind da auffällig, wo es sich um die Erklärung derjenigen Tatsachen handelt, für deren Zustandekommen der »Zusammenhang unserer Erlebnisse zur Einheit des Bewußtseins« maßgebend ist. Die Assoziationsgesetze sind notwendige Folgen der Bedingungen, ohne welche die Einheit unseres Bewußtseins nicht gedacht werden kann. Von verschiedenen Assoziationen (durch Berührung oder Ähnlichkeit) ist die eingeübtere die wahrscheinlichere. Es gibt keine eigentliche »Reproduktion«, nur eine »symbolische Funktion« der Gedächtnisbilder, denen eine durch die umgebenden Inhalte bedingte »Relationsfärbung« (vgl. James) anhaftet. Die Merkmale der Komplexe von Empfindungen, durch welche sich die Komplexe von der Summe der Merkmale ihrer Bestandteile unterscheiden, sind Gestaltqualitäten. Von Wichtigkeit ist überhaupt, daß unsere Bewußtseinsinhalte jederzeit als Teile von Komplexen auftreten und so in Beziehungen zu anderen Inhalten stehen. Allgemeine Relationsbegriffe oder Anschauungsformen sind die Begriffe Gesamtheit und Teil, Zahl, Mehrheit, Zeit. Ähnlichkeit, Gleichheit, Konstanz, Veränderlichkeit, Richtung. Unbewußte psychische Tatsachen sind die »dauernden gesetzmäßigen Zusammenhänge, welche unser gesamtes psychisches Leben beherrschen«. Unsere Empfindungen müssen bestimmten physischen Vorgängen parallel gehen, weil die physischen Vorgänge nichts anderes sind, als die gesetzmäßigen Zusammenhänge, denen wir unsere Empfindungen einordnen. Für den Vorstellungsvorgang, der sich an die Empfindungen anschließt, besteht unmittelbar kein physiologischer Parallelvorgang. Der Glaube an eine Unsterblichkeit ist möglich.

In der Erkenntnislehre betrachtet C. als das A priori des Erkennens das Prinzip der Denkökonomie. Alle Erklärung ist identisch mit dem Prozeß der »Vereinfachung unserer Erkenntnis«. Das Prinzip der Denkökonomie[106] ist das Grundgesetz aller Verknüpfung unserer Erfahrungen, es ist nur der Ausdruck unserer Begriffsbildungen, welche aus den »notwendigen Bedingungen für die Einheit unserer Erfahrungen« herfließen. Das Streben nach »Begriffen für die Zusammenfassung der Erscheinungen« ist von Anfang an wirksam. Die »naturalistischen« Begriffe (Ding, Ich, Raum usw.) sind kritisch zu verarbeiten, auf ihren Ursprung in der Erfahrung und deren Verarbeitung zurückzuführen. Die Kategorien sind Formen des Erfahrungszusammenhanges. Erkenntnis ist vereinheitlichte und vereinfachte Zusammenfassung wirklicher und möglicher Erfahrungen, ohne metaphysische Zutaten.

Die Gegensätze voll Objekt und Subjekt, Innen- und Außenwelt u. dgl werden in der Einheit des Erfahrungszusammenhanges überwunden. Ein unerkennbares »Ding an sich« ist unvorstellbar, widerspruchsvoll, die Objekte sind (mit Ausnahme des fremden Ich) nur mögliche Bewußtseinsinhalte. Die »Außenwelt« ist nur der »einfachste zusammenfassende Ausdruck für die Gesamtheit unserer sinnlichen Wahrnehmungen«. Aber der Gegenstand ist nicht ein bloßes Zusammen, sondern ein gesetzlicher Zusammenhang von Wahrnehmungen, die niemals gleichzeitig gegeben sind. Die Inhalte, die wir unserem Ich zurechnen, gehören dem »Zusammenhang unseres Bewußtseins« an. Die Identität des Ich ist nicht Schein, weil das Ich immer denselben, durch ein eigenes Gefühl charakterisierten Zusammenhang bedeutet. Durch psychische Prozesse bilden sich Begriffe »konstanter Faktoren unserer Persönlichkeit« dauernde Dispositionen. Stets bedeutet beharrende Existenz Wahrnehmungsmöglichkeiten (vgl. J. St. Mill) welche erwartet werden. Existieren ist dauerndes Stehen in gesetzmäßigen Zusammenklingen. Das bleibende Sein ist nur das bleibende Gesetz für die Veränderung der Erscheinungen. Das Existentialgefühl ist die »besondere Relationsfärbung, die jeder auf den Gegenstand bezüglichen Vorstellung vermöge der vielfältigen Erfahrungszusammenhänge zukommt, in welche wir dieselbe auf Grund unserer Erfahrungen einordnen müssen.« Durch eine begriffliche Ordnung schließt sich das Chaos unserer Erlebnisse zur Einheit des Erfahrungsganzen (mit konstanten Teilen) zusammen. Prinzipien dieser Ordnung sind die logischen Axiome, die Auschauungsformen und endlich die Begriffe, welche dem Mechanismus unserer Erfahrungsurteile entspringen (Ding, Eigenschaft, Raum, Kausalität). Die Welt ist »ein Fluß der Erscheinungen, innerhalb dessen der gesetzmäßige Zusammenhang sich als das einzige Bleibende bewährt«. – Werte (wertvoll) sind die Qualitäten, welche wir den Dingen vermöge ihrer erfreulichen Wirkungen auf unseren Gefühlszustand beilegen. Bedingungen aller übrigen Werte sind die »Persönlichkeitswerte«. Ein Wert kann für uns bestehen, ohne daß wir ihn kennen. Die Aufgabe der Ethik besteht in der »allgemeinen Bestimmung der wertvollen Ziele unserer Entwicklung«. Das Sittengesetz lautet: »Handle so daß dein 'Ziel nach dem Stande deiner Erfahrungen als das positiv Wertvollste unter allen möglichen Zielen erscheine.« Eigene und fremde Persönlichkeitswerte sind zu fördern. Die Dinge sind (begrifflich symbolisierte) gesetzmäßige Zusammenhänge von Wahrnehmungen.

SCHRIFTEN: Psychologie als Erfahrungswissenschaft, 1897. – Einleitung in d.[107] Philosophie, 1903. – Versuch einer Theorie d. Existentialurteils, 1894. – Elementargesetze der bildenden Kunst, 1908, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 106-108.
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