Czolbe, Heinrich

[112] Czolbe, Heinrich, geb. 1819 bei Danzig, Oberstabsarzt in Königsberg, gest. 1873.

C. vertritt einen »Sensualismus« und »Naturalismus«, der in seiner ersten Periode materialistischen Charakter hat, um sich später dem Spinozismus[112] zu nähern. Die philosophische Erkenntnis hat alles Übersinnliche preiszugeben und nur anschauliche, empirisch fundierte Begriffe zu verwenden. In der zweiten Schrift wird das Psychische auf Bewegungen zurückgeführt. Das Selbstbewußtsein erklärt C. durch Annahme einer »Zeitung der Gehirnbegegnug in kreisförmiger Linie, wodurch in jedem Punkte Anfang und Ende beisammen sind«. Die Wahrnehmung der Außenwelt gibt Abbilder von den Eigenschaften der Dinge selbst. Das Organische ist ebenso ursprünglich wie das Anorganische. In der dritten Schrift wird dieser Gedanke beibehalten, aber der Materialismus aufgegeben. Die Existenz einer »Weltseele« wird gelehrt, welche die Körperwelt durchdringt, und die Empfindungen werden als räumlich ausgedehnt betrachtet. In der vierten Schrift endlich kommt dazu die Auffassung des Weltraums als der Weltsubstanz, deren Inhalt die Weltseele ist und die zugleich in Atome sich gliedert; die Zeit ist die vierte Dimension des Raumes. Der Geist ist eine Äußerung der Weltseele, welche durch das Nervensystem nur vermittelt wird. Empfindungen und Gefühle sind objektiv im Weltraum enthalten und werden durch ihre Verdichtung bewußt. Sie werden »aus dem die Körperwelt, mithin auch das Gehirn der Menschen und Tiere durchdringenden unbegrenzten Raume, in welchem sie als sein ruhender Inhalt, Tals tote, unsichtbare Spannkraft überall verborgen sind, durch ganz bestimmte Gehirnbewegungen als lebendige, zum Bewußtsein kommende Kräfte freigemacht oder ausgelöst« (Grenz. u. Urspr. d. m. Erk. S. 200 ff.). Die menschliche Seele ist eine Summe von »Mosaikbildern«. Das Bild unseres Körpers befindet sich neben den (ausgedehnten) Empfindungen ohne Projektion im Raume. Der in der Welt herrschende Zweckzusammenhang ist eine »höhere Potenz oder Kombination des Kausalzusammenhangs«. Endzweck ist das möglichste Glück aller Wesen, so daß der Eudämonismus das ethische Prinzip ist.

SCHRIFTEN: Neue Darstellung des Sensualismus, 1855. – Die Entstehung des Selbstbewußtseins, 1856. – Die Grenzen o. d. Ursprung d. menschl. Erkenntnis, 1865. – Grundzüge einer extensionalen Erkenntnistheorie, 1875. – Vgl. VAIHINGER, Die drei Phasen d. C.schen Naturalismus, Philos. Monatshefte, Bd. 12, 1876.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 112-113.
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