Empedokles von Agrigent

[151] Empedokles von Agrigent, geb. um 483 v. Chr., durchzog verschiedene Länder als Arzt, Sühnpriester und Redner, als wundertätig berühmt. Die ihm von seinen Mitbürgern angebotene Königswürde soll er ausgeschlagen haben. Aus seiner Vaterstadt verbannt, dürfte er im Peloponnes gestorben sein; sein Tod wurde sagenhaft ausgeschmückt, so soll er sich in den Krater des Ätna gestürzt haben, u. dgl.

E. gehört zu den jüngeren griechischen Naturphilosophen, welche insgesamt eine Vielheit des Seienden annehmen. Wie die Eleaten betont er, daß es ein eigentliches Werden (physis), ein Entstehen aus und ein Vergehen zu nichts nicht gibt, sondern nur Mischung (mixis) und Entmischung (diallaxis) von Teilen. Was sich verbindet und trennt, das sind die vier Elemente, die bei E. »Wurzeln« (rhizômata) der Dinge heißen und die selbst unveränderlich sind: Feuer, Luft, Wasser und Erde. Die Kräfte, welche dem Geschehen zugründe [151] liegen, sind Liebe oder Freundschaft (philotês, philia) und Haß oder Streit (neikos). Ursprünglich sind die Elemente m einer Kugel (sphairos) miteinander zur Einheit vermischt, da gibt es, indem die Liebe herrscht, nur Ruhe, keine Vielheit einander entgegengesetzter Dinge. Durch den Haß erfolgt die Bildung von Einzeldingen, ja die Trennung kann so weit gehen, daß nur Elemente ohne Komplexe existieren, bis dann die Liebe wieder überwiegt, zur Bildung von Ding-Komplexen und schließlich wieder zum Sphairos führt – ein Prozeß, der sich unendliche Male wiederholt. Der Sphairos als solcher ist göttlich; denn Gott ist kein menschenähnliches Wesen, sondern die (zugleich geistige) Welteinheit.

Durch Verbindung der Elemente sind auch die Organismen entstanden und zwar gingen aus der Erde zuerst die Pflanzen, dann die Tiere hervor. Erst traten, indem einzelne Teile (wie Augen ohne Gesichter, u. dgl.) sich einseitig ausbildeten, Mißgeburten auf, die nicht lebensfähig waren und verschwanden, während andere Organismen sich erhielten (Vorahnung der Selektionstheorie). Schon die Pflanzen besitzen Empfindung und Streben. Die Sinneswahrnehmung beruht darauf, daß von den Dingen Ausflüsse (aporrhoai) ausgehen und in die Poren (poroi) der Sinneswerkzeuge eintreten, wo sie sich (beim Sehen) mit den aus diesen kommenden Ausflüssen begegnen. Gleiches wird durch Gleiches (in uns) erkannt, Wärme durch Wärme usw. (hê gnôsis tou homoiou tô homoiô). Die Seele muß wegen ihrer Schuld im Zustande der Präexistenz durch verschiedene Leiber wandern (tên psychên kantoia eidê zôôn kai phytôn endyesthai). Es ist. dies ein Anklang an Lehren der »Orphiker« und der Pythagoreer. Durch Reinigungen muß sich der Mensch zu einem höheren Zustande erheben.

Pseudo-Empedokles: Eine dem Empedokles fälschlich zugeschriebene Schrift über die Elemente hat im 10. Jahrh. ein Araber aus Cordova, Mohammed Ibn Mesarra, nach Spanien gebracht und diese ist in lateinischer Übersetzung seit dem 12. Jahrhundert öfter zitiert worden. Aus der von Gott geschaffenen Urmaterie emaniert der Intellekt, aus diesem die Seele; die Einzelseelen sind Teile der Weltseele, aus der die Natur hervorgeht.

Von seinen Schriften: Peri physeôs und Katharmoi sind Fragmente erhalten. – Vgl. DIELS, Poëtarum philos. fragm. Fragm. der Vorsokratiker I. – H. STEIN, Empedocl. fragmenta, 1852. – WINNEFELD, Die Philos. d. E., 1862.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 151-152.
Lizenz: