Günther, Anton

[217] Günther, Anton, geb. 1785 in Lindenau (Böhmen), studierte in Raab, wurde 1820 Weltpriester, gest. 1861 in Wien. 1857 wurden seine Lehren von der Kirche verdammt.

G. bekämpft den Pantheismus Schellings und Hegels, ist aber doch von beiden beeinflußt und verarbeitet Hegels dialektisches Prinzip in seinen (zum Teil auf Descartes zurückgreifenden) Dualismus hinein. Die Philosophie kann zwar[217] nicht das »Wie« des Weltgeschehens erklären, aber das »Warum« von allem, auch der Mysterien, muß sie zu ergründen trachten. Der Glaube muß sich zum Wissen erheben. Gott steht über der Welt und ist persönlich. Er denkt sich selbst, unterscheidet sich von sich und verbindet seine Gegensätze zur Einheit des göttlichen Selbstbewußtseins. Der absolute Prozeß des göttlichen Lebens vollzieht sich in drei realen Momenten, die untrennbar zusammenhängen. Der trinitarische Prozeß der Objektsubjektivierung ist ein Selbstwerdungsprozeß. Gott ist auch die absolute Liebe der drei Personen zueinander. Mit Weglassung alles Endlichen sind die Geisteskategorien auch auf Gott zu übertragen. Ohne die Weltidee kommt die persönliche Gottesidee nicht zustande. Die Welt hat Gott als seine »Kontraposition« geschaffen. Das Ich kann sich nicht selbst denken, ohne Gott als das Unbedingte mitzudenken. Ebenso muß das Ich, das sich als das Prinzip seiner Tätigkeit erfaßt, auch die anderen Dinge auf ein reales Prinzip zurückführen, auf die Natur. Diese ist das »Eine in Vielen«, das Realallgemeine, die Substanz der Dinge.

Die Natur entfaltet und verinnerlicht sich immer mehr bis zur Seele (Psyche), welche sowohl Lebensprinzip, als Prinzip des Empfindens, Strebens, des niederen Urteilens usw. ist. Das Naturprinzip ist als Lebensprinzip seelisch; nachdem es im materiellen Bilden die äußerste Grenze erreicht hat, gelangt, es vermittelst der organischen Individuen zum Vorstellen, zum Bewußtsein (aber ohne Selbstbewußtsein). Die lebendige Natur ist nicht bloßes Objekt, sondern auch Subjekt für sich. Den Gegensatz zur Natur (samt der Seele) bildet erst der immaterielle Geist, der Träger des Selbstbewußtseins, des aktiven Denkens und Wollens, im Unterschiede von der Seele, die nur das organisierte und subjektivierte Naturprinzip ist. Geist und beseelter Leib stehen in Wechselwirkung. Das »geistige« Denken und Wollen wirkt auf das »psychische« Denken und Wollen (und umgekehrt) ein. Die Materie ist nur »eine Erscheinung des Naturprinzips«, kein selbständiges Sein neben dem Geiste.

Das Denken der bloßen Naturwesen (Tiere) ist ohne Bewußtsein. Beim Menschen ist die Existenz des Ichs die unbezweifelbare Tatsache des Selbstbewußtseins, in welchem sich das Subjekt als Identisches, als reales Sein, als Substanz, als kausales Prinzip auffaßt. Das »cogito ergo sum« ist ein »ontologischer« oder »ideeller« oder »Vernunftschluß«. Das Bewußtwerden des Geistes ist ein Wissensprozeß. Das Urrecht des Geistes ist es, alle Objekte seines Wissens dem Gesetze seines Erkennens zu unterwerfen. In sich selbst findet er die Gesetze und Formen seines Erkennens. Aus dem Selbstbewußtsein sind die Kategorien zu entwickeln und auf die Objekte zu übertragen, vom unbestimmten Sein angefangen. Auch Raum und Zeit sind Kategorien, apriorische Formen, zuerst Lebensformen im Geiste (Nach- und Nebeneinander der Kräfte im Ich), dann Formen jedes geschöpflichen Seins. Die Wurzelkategorie der Relation treibt drei Stämme: die Stammkategorien der Substanz, der Ursache und des Zweckes. Die Kategorien sind (subjektiv) apriorische Formen des Selbstbewußtseins, Bedingungen desselben; zugleich haben sie objektive, transzendente Geltung. Die Kategorien sind »das reflektierte Selbstbewußtsein selber«, sie ergeben sich aus dem Prius des reinen Geisteslebens. Die[218] Grundideen sind Geist, Natur, Mensch und Gott. Der höhere subjektive Zweck des Geistes liegt in der praktischen Verwirklichung der eigenen Idee, der höchste objektive Zweck in der Vereinigung mit Gott.

Güntherianer sind J. H. Pabst, C. von Hock, E. Melzer, J. Merten, P. Knoodt, Veith, V. Knauer, Elvenich, Th. Weber, Löwe, Kaulich, Volkmuth, Kreuzhage, F. X. Schmid u. a. Gegner G.s sind Oischinger, F. J. Clemens, Fr. Michelis u. a.

Schriften (teils bizarr und satirisch gehalten): Vorschule zur spekulativen Theologie des positiven Christentums, 1828; 2. A. 1846-48. – Süd- und Nordlichter am Horizonte spekulativer Theologie, 1832. – Januskopfe, 1834. – Thomas a scrupulis, 1835. – Die Juste-milieus in der deutschen Philosophie, 1838. – Eurystheus und Herakles, 1843. – Antisavarese, hrsg. von P. Knoodt, 1883, u. a. – Gesammelte Schriften, 1881. – Lydia, 1849-54 (Zeitschrift). – Vgl. P. KNOODT, A. G., 1881, und Anhang zu »Anti-Savarese«. – E. MELZER, Erkenntnistheoret. Erörterungen über die Systeme von Ulrici u. Günther, 1886. – OISCHINGER, Die G.sche Philos., 1852.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 217-219.
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