James, William

[292] James, William, geb. 1842 in New York, Prof. an der Harvard-Universität, gest. 1910; der bedeutendste (amerikanische) Vertreter der modernen introspektiven Psychologie und des Pragmatismus.

J. (der philosophisch von Lotze, Renouvier u. a. beeinflußt ist) ist ein Gegner der das Bewußtsein als eine Summe psychischer Elemente auffassenden »atomistischen« Psychologie und des Assoziationismus. Die Psychologie ist die Lehre vom seelischen Leben und dessen Bedingungen. Das Seelische ist genau zu beschreiben und zu analysieren, aber auch in seiner Bedingtheit durch physiologische Vorgänge zu erforschen. Auch ist der biologische, immanent-teleologische Charakter der psychischen Vorgänge zu beachten. Wenn auch die Metaphysik zur Annahme einer unsterblichen Seelensubstanz, die mit dem Leibe in Wechselwirkung steht, gelangen kann, so hat doch die Psychologie sich auf den Zusammenhang (Parallelismus) der psychischen Vorgänge mit den physiologischen zu beschränken und das Seelische als Prozeß (Aktualismus) aufzufassen.

Das Bewußtsein (welches keine Teile hat, nicht aus psychischen Atomen besteht) hat vier Eigenschaften: »1) Jeder, Zustand' tritt auf, mit dem Anspruch, Teil eines persönlichen Bewußtseins zu sein.« »2) Innerhalb jedes persönlichen Bewußtseins wechseln die Zustände fortwährend.« »3) Jedes persönliche Bewußtsein ist merklich kontinuierlich.« 4) Das Bewußtsein ist durch sein Interesse auswählend (selektiv), es wählt unter den Reizen und Gegenständen. Es besteht nicht aus unverbundenen Gliedern, sondern »fließt«, ist ein »Strom« (stream of consciousness) mit konstanteren, »substanzartigen« Ruhestellen und »transitiven« Bewegungsstellen. Das Bewußtsein des ein Bild umgebenden »Hofes« (halo) von Relationen ist dessen psychischer »Oberton«, dessen »Franse« (fringe; relation-fringes). Das Bewußtsein ist nie rein passiv, sondern reaktiv oder aktiv, so besonders in der Aufmerksamkeit, im Denken und Wollen. Den Empfindungen ist ein Ausdehnungsgefühl (»original Sensation of space«) eigen (ein »element of voluminousness«). Der Zeitvorstellung [292] liegt physiologisch die Arbeit des Gehirnprozesses (»the feature of the brain process«) zugrunde. Die Assoziation findet nicht zwischen Vorstellungen (als Vorgängen), sondern zwischen Bewußtseinsgegenständen statt; Ursache der Assoziation ist die Gewohnheit, die Grundeigenschaft der Materie und des Lebens und Erlebens, und auch das Interesse ist hier von Bedeutung. Die Aufmerksamkeit hat eine »selektive« Funktion und eine Tendenz zur Zentralisierung (»Fokalisierung«), so aber, daß die ferngehaltenen Erregungen den »Hof« oder »Band« des Bewußtseins beeinflussen.

Die Aufmerksamkeitsanstrengung ist das Wesen des Willens. Dieser ist ein Befehl, ein Entscheid, eine Zustimmung; das »Fiat« ist das eigentliche Willenselement (»the element of consent or resolve that the act shall ensue«). Im einfachen Willensvorgang liegt nur eine »kinästhetische« Vorstellung des zu Geschehenden, ein »antizipierendes Bild« der Bewegung vor, das sich in wirkliche Bewegung umsetzt (»ideomotorischer« Prozeß). Das Bewußtsein ist seiner Natur nach »impulsiv« und motorisch. Im höheren Willen kommt nun das »Fiat«, daß gewisse Konsequenzen einer Bewegung sich verwirklichen sollen, hinzu. Die Affekte (Gemütsbewegungen) sind nicht Ursachen, sondern schon Folgen organischer Zustände vasomotorischer Art, welche direkt durch bestimmte Wahrnehmungen ausgelöst werden. »Wir sind traurig, weil wir weinen, zornig, weil wir zuschlagen, erschrocken, weil wir zittern.« »Ohne die körperlichen Zustände, die auf die Wahrnehmung folgen, würde die letztere rein intellektuellen Charakter besitzen.« Im Selbstbewußtsein ist die funktionelle Identität das einzig Gegebene. »Sukzessiv auftretende denkende Subjekte, numerisch verschieden, aber sämtlich dieselbe Vergangenheit in derselben Weise erfassend, bilden einen vollständig genügenden Träger für alle Erfahrung persönlicher Einheit und Identität, die wir tatsächlich machen«. Es bestellt die Möglichkeit mehrerer Ichs, eines bewußten und unterbewußten (»subliminalen«). Eine Unsterblichkeit der Seele, ein Fortwirken derselben ist durchaus möglich.

J. bekennt sich erkenntnistheoretisch zum aktiven »radikalen Empirismus«, nach welchem nur das existiert und wahr ist, was sich in irgendwelchen Erfahrungen bewährt. Auch für die apriorisch-idealen Relationen mathematischer, logischer u. a. Art muß die Erfahrung die Verifikation liefern. Für den »radikalen Empirismus« sind die Naturgesetze keine absoluten Wesenheiten vor den Dingen, sondern »unveränderliche Gewohnheiten« der Dinge selbst. Finden »Pluralismus« sind verschiedene Auffassungen der Welt, ja verschiedene Arten der Wirklichkeit selbst möglich, und ebenso besteht für ihn eine Vielheit von Wesen, aus denen das Universum sich zusammensetzt. Eine Einheit ist die Welt nur durch die Verbindungen der Dinge, nicht als Prinzip, sondern als Resultat fortschreitender Entwicklung der durchaus »plastischen« Welt.

Der Pragmatismus (vgl. Peirce), den J. neben F.C.S. Schiller, Dewey u. a. vertritt, verlangt eine Philosophie, die zur wirklichen Welt menschlicher Lebendigkeiten einen Zugang herstellt. Urteile werden nach pragmatischer Methode dadurch gedeutet und gewertet, daß man ihre »praktischen« Konsequenzen untersucht; ist zwischen zwei Urteilen kein praktischer Unterschied vorhanden, dann ist der[293] Streit müßig, das Problem hinfällig. Der Pragmatismus wendet sich dein Handeln zu, ist also aktivistisch. Für ihn sind Theorien nur »Werkzeuge«, deren Wert in ihrer Leistung (»power to work«) liegt. Indem die Theorien zu neuen Wahrheiten und zu zweckmäßigem Verhalten führen, unsere Erkenntnis und unser Leben zweckvoll beeinflussen, sind sie pragmatistisch »wahr«, d.h. gut, wertvoll, brauchbar, lebensfördernd. Nach der »instrumentalen« Wahrheitstheorie bedeutet die Wahrheit der Ideen deren »Arbeitswert«. Das Wahre ist das, was uns »auf dein Wege des Denkens vorwärts bringt«, was uns von einem Teile der Erfahrung zu anderen führt, was sich intellektuell als gut erweist, was »uns am besten führt, was für jeden Teil des Lebens am besten paßt, was sich mit der Gesamtheit der Erfahrungen am besten vereinigen läßt«. Wahre Vorstellungen sind solche, die wir verifizieren können; in der Bewahrheitung, in ihrer sich Geltend-Machung selbst ersteht und besteht die Wahrheit, die also wie die Wirklichkeit nichts Fertiges ist. Mit der Wirklichkeit »übereinstimmen« wird jede Idee, die uns dazu verhilft, »logisch oder praktisch mit einer bestimmten Wirklichkeit und dem, was zu ihr gehört, zu operieren«.

Diesen Pragmatismus wendet nun, J. besonders auf die Religion an, auch hier den Intellektualismus und Rationalismus bekämpfend und sich für die lochte des persönlichen Erlebens und Fühlens einsetzend. Der Glaube (belief) ist der Wirklichkeitssinn (sense of reality). Ein »Wille zum Glauben«, ein Glaubensbedürfnis besteht. »Wir fordern eine Beschaffenheit des Universums, zu der unsere Gefühlserregungen und Betätigungstriebe passen.« Der Glaube ist eine Bereitwilligkeit zum Handeln, auch wo der Ausgang nicht im voraus garantiert wird; ein Wagemut ist damit verbunden, der auf Erfolg hofft, den erst die Erfahrung bewähren kann. Jeder Glaube, der uns wahrhaft befriedigt, unser Leben fördert, sich in der Erfahrung und im Handeln bewährt, ist berechtigt, wertvoll. Der Glaube an eine unsichtbare Ordnung, an ein göttliches, geistiges, ewiges Sein ist nicht auszurotten; er selbst ist ein Faktor der Vergeistigung der Welt. Haben wir doch, gemäß dem »Meliorismus«, die Kraft, die Welt zu verbessern, die noch keineswegs abgeschlossen, sondern im Werden begriffen ist. Die Religion untersucht J. psychologisch in allen ihren Formen, auch in ihren pathologischen. Die Wurzel der Religion (= die Gesamtreaktion eines Menschen auf das Leben, »a mans total reaction upon life«) ist das Gefühl. Insbesondere durch seine unterbewußten Erlebnisse (die des »subliminalen Ich«) stellt der Mensch in Beziehung zur übersinnlichen Welt, nun Göttlichen. Die mystischen Erlebnisse, ja auch die pathologischen Visionen usw. haben für den Erlebenden vollen Wirklichkeits- und Wirkungswert, ja sie können trotz ihrer Abnormität ebensogut auf eine Realität außer ihnen hinweisen. Mindestens aber können religiöse Erlebnisse auf pragmatistische Wahrheit Anspruch machen, wenn sie sich eben im Leben bewähren. Die Religion ist »wahr«, wenn sie förderlich ist. Verschiedene Arten der Religion sind möglich; gefordert wird nur, daß die Kraft jenseits des Menschen eine andere und weitere ist als unser bewußtes Ich. Es braucht diese Kraft nicht unendlich und nicht vereinzelt zu sein, eine Vielheit von Ichen (Geistern) könnte existieren, so daß eine Art »Polytheismus« gültig wäre. Die Idee eines »spirituel universe«[294] aber gehört zu jeder Religion, ebenso die Empfindung, daß wir vom Übel erlöst werden, indem wir mit den höheren Mächten in Verbindung treten.

Während die Psychologie vom freien Willen abstrahiert, postuliert die Ethik die Willensfreiheit. Diese bedeutet pragmatistisch soviel; »daß in unserer Welt Neues entsteht«, daß die Zukunft nicht eine bloße Wiederholung und Nachahmung der Vergangenheit sein wird; vielleicht ist die Natur nur annäherungsweise gleichförmig. Die Wirklichkeit verändert sich, sie ist nicht durch die früheren Zustände eindeutig festgelegt. Von verschiedenen Alternativen, zu handeln, ist nicht bloß eine möglich. Das Weltganze wird nicht durch einen Teil desselben gänzlich bestimmt.

SCHRIFTEN: The Feeling of Effort, 1880. – What is an Emotion, Mind IX, 1884. – The Physical Basis of Emotion, Psychol. Review l, 1899. – Principles of Psychology, 1890. – Briefer Course, 1892: deutsch (Psychologie) 1909. – Will to believe, 1897; deutsch 1899. – Human Immortality, 1898. – Talks to Teachers, 1899; deutsch 1900. – The Varieties of Religious Experience, 1902; deutsch von Wobbermin, 1907. – Pragmatism, 1907; deutsch von W. Jerusalem, 1908. – The Pragmatist account of truth Philos. Rev. XVII 1908 u. andere Abhandlungen. – A Pluralistic Universe, 1909; deutsche Übersetzung in Vorbereitung. – The Meaning of Truth, 1909. – Vgl. HÖFFDING, Moderne Philosophen, 1905, sowie Aufsätze von GOLDSTEIN, JERUSALEM u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 292-295.
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