Kreibig, Josef Klemens

[364] Kreibig, Josef Klemens, geb. 1863 in Wien. Regierungsrat. Privatdozent in Wien.

K. ist von Brentano und jetzt noch mehr von Meinong beeinflußt, verbindet aber damit (von Mach u. a. beeinflußt) eine biologisch-voluntaristische Betrachtungsweise psychologischer Vorgänge. So bestimmt er die Aufmerksamkeit als »ein Wollen, das darauf gerichtet ist einen äußeren Eindruck oder eine reproduzierte Vorstellung, beziehungsweise bestimmte Einzelheiten darin klar und deutlich bewußt zu machen«. Die Triebfedern, des Willens sind die Gefühle, welche eine Förderung oder Hemmung der Bewußtseinstätigkeit bedeuten.[364] Der Wert ist eine »gefühlsmäßige Bedeutung«, nämlich »die Bedeutung, welche ein Empfindungs- oder Denkinhalt vermöge des mit ihm unmittelbar oder assoziativ verbundenen aktuellen oder dispositionellen Gefühles für ein Subjekt hat«. Eigen- und Wirkungswert sind zu unterscheiden, ferner die drei Wertgebiete der »Autopathik«, »Heteropathik«, »Ergopathik«. Die Heteropathik ist die Lehre von der Bewertung nach den Gegensätzen gut und schlecht, bezogen auf ein fremdes Subjekt. Die Ethik ist ein Teil der Heteropathik, sie ist »die Lehre von der Bewertung menschlicher Gesinnungen nach den Gegensätzen gut und böse«. Sittlich gut ist eine Gesinnung, welche darauf gerichtet ist, fremde Lust auszulösen oder fremde Unlust zu unterdrücken. Die »Timologie« (Werttheorie) hat anzugeben, »was Wert ist, welche Klassen der Wertungen zu unterscheiden sind und welche Gesichtspunkte die Rangordnung der Wertrealisierungen bestimmen«.

Das Kunstschaffen beginnt mit dem »Stadium der Konzeption, kulminiert in der Tätigkeit der Komposition und findet durch ein Verfahren der Koadaption seinen Abschluß«. Das Wesen des Kunstschaffens liegt in einer »außergewöhnlichen Potenzierung der Leistungen der Phantasie im Hervorbringen von Gestaltqualitäten mit Schönheitswert«.

In der Logik verbindet K. den biologisch-psychologischen mit dem Wert-Gesichtspunkt und mit der »Gegenstandstheorie« Meinongs. Die psychologischen, rein logischen und erkenntnistheoretischen Bestandteile der intellektuellen Funktionen sollen zur scharfen Sonderung gelangen. Von den Denkverrichtungen ist ein Teil auf die »Inhalte«, ein anderer auf die »Gegenstände« gerichtet; zur ersteren Grundart gehören die »Erneuerungsfunktionen« (Reproduzieren, Phantasieren) und die »Verarbeitungsfunktionen« (Trennen, Verbinden), zu den zweiten die Urteils- und die Schlußfunktion. Der Funktionsverlauf der ersten Funktionsreihe ist durch einen intellektuellen und einen emotionalen Faktor bestimmt; der erstere entscheidet, welche Inhalte überhaupt erneuerungs-, bezw. verarbeitungsfähig sind, der letztere setzt den Grund, warum in einem gegebenen Zeitpunkte gerade dieser Inhalt und kein anderer erneuert oder verarbeitet wird. Das biologische Fundament des Denkens ist zu beachten. Die reine Logik ist ein Ideal, »das sich von der Denkpsychologie durch prinzipielles Absehen vom Subjekt und von der Wirklichkeit der Denkerlebnisse unterscheidet und anderseits durch den Wertgesichtspunkt des Erkenntnismaximums in das Gebiet der praktischen Wissenschaften eingeht«. Die reine Logik ist nicht normativ, wenn sie auch den Wertgesichtspunkt berücksichtigt.

Der Begriff ist psychologisch eine »unanschauliche Vorstellung mit repräsentativem Charakter«, logisch eine »Vorstellung mit repräsentativem Charakter, deren Inhalt durch die relative Konstanz der Bestandteile ausgezeichnet ist«. Wissenschaftlichen Begriffen ist ferner die »denkökonomische Auswahl der besondern Merkmale, welche in den Inhalt aufgenommen sind«, eigentümlich. Das Urteil ist psychologisch der Akt, durch den »ein bestimmter Tatbestand als objektiv- vorhanden« gedacht wird, logisch ein Satz, durch den ein solcher Tatbestand als objektiv vorhanden ausgedrückt wird (»Tatbestandstheorie«). Das Schließen ist kein bloßes Urteil, sondern eine[365] eigene Bewußtseinsfunktion, nämlich (psychologisch), »das Fürwahrhalten eines Urteils mit dem Bewußtsein, daß dieses Fürwahrhalten von dem Fürwahrhalten anderer Urteile bedingt ist«. Logisch ist der Schluß »eine Abfolge von Urteilssätzen, bei denen das Wahr- oder Wahrscheinlichsein eines Urteilssatzes durch das Wahr- oder Wahrscheinlichsein anderer Urteilssätze bedingt ist«. Wie alles Denken ist das Schließen eine Anpassung an die Gegenstände. Die Erkenntnis der äußeren Realität ist eine indirekte, vermittelst der Phänomene (der funktional zugeordneten psychischen Zeichen der Realität); hingegen wird die innere Realität des Geistigen, bei welcher Wahrnehmungsgegenstand und real Existierendes zusammenfallen, direkt erkannt.

SCHRIFTEN: Epikur, 1886. – Geschichte und Kritik des ethischen Skeptizismus, 1896. – Die Aufmerksamkeit, 1897. – Krapotkins Morallehre. 2, A. 1899. – Die fünf Sinne des Menschen, 1901; 2. A. 1908. – Psychol. Grundlegung eines Systems der Werttheorie, 1902. – Über den Begriff »Sinnestäuschung«, Zeitschr, f. Philos. u. philos. Krit. 120. Bd., 1902. – Über die Natur der Begriffe. Wissensch. Beilage zum 16. Jahresbericht der Philos. Gesellsch. Wien, 1903. – Die intellektuellen Funktionen, 1909. – Beitrag zur Psychologie des Kunstschaffens, Zeitschr. f. Ästhetik, IV, 1909, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 364-366.
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