Wentecher, Max

[812] Wentecher, Max, geb. 1862 in Graudenz, Prof. in Bonn. W. ist besondere von Lotze beeinflußt. Er vertritt einen kritischen Realismus, nach welchem die Körper Erscheinungen immaterieller Substanzen sind. Die Seele ist eine besondere Substanz, die mit dem Leibe in Wechselwirkung steht. Es kann durch die Seele potentielle Energie ausgelöst werden, ohne daß Energie dabei aufgewandt wird. Freies Wollen ist nach W. ein Wollen, das ganz aus unserem eigenen, von uns selbst gewollten Wesen hervorgeht, wobei die Entscheidung nicht im Vorangegangenen bedingt, sondern ein neuer, autonomer Akt ist. Freiheit ist »Fähigkeit, mit bewußter Wahl das Ziel zu suchen, ein eigenes, selbständiges Wesen zu begründen«. Doch ist Willensfreiheit nicht motivloses, zufälliges Geschehen. Die Ethik bestimmt W. als Idealwissenschaft, welche die »möglichen Ziele menschlichen Willens und Handelns« zeigen und Maßstäbe für deren Wert oder Unwert an die Hand legen soll. Sie ist eine »auf empirischer Grundlage ruhende spekulative Wissenschaft«. Sie sucht den Inhalt des Sittlichen zu bestimmen, die allgemeinen Merkmale der als sittlich beurteilten Handlungen, die Faktoren des sittlichen Inhalts, die Quelle der sittlichen Urteile und die Entstehungsbedingungen des Sittlichen. Der gute Wille ist der Wille in seiner vollen Autonomie. Der Wille jedes willensfähigen. denkenden Wesens ist bestrebt, sich immer mehr zu einem vollendeten eigenen, freien Willen dieses Wesens zu entwickeln. Das in sich selbst vollkommene, freie Wollen ist das sittlich gute Wollen. Die obersten Imperative lauten: 1. »Strebe nach höchster Ausprägung wahrhaft eigenen Wesens und fester Grundsätze eines vollendet eigenen, freien Willens.« 2. »Mache von dieser Tätigkeit freier Betätigung eigenen Wesens den kraftvollsten und umfassendsten Gebrauch.«

Schriften: Lotzes Gottesbegriff, 1893. – Phys. u. psych. Kausalität u. d. Prinzip d. psychophys. Parallelismus, 1896. – Über den Pessimismus u. seine Wurzel, 1897. – Zur Theorie des Gewissens, Arch. f. system. Philos. V. – Der psychol. Realismus, Zeitschr. für Philos. u. philos. Krit. 117. Bd. – Ethik, 1902-05. – Einführ, in d. Philos., 1906. – Du Problem d. Lehrfreiheit, 1907, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 812.
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