Zeller, Eduard

[850] Zeller, Eduard, geb. 1814 in Kleinbottwar (Württemberg), studierte in Tübingen und Berlin, 1840 Privatdozent in Tübingen. 1847 Prof. der Theologie in Bern, 1849 in Marburg, 1862 Prof. der Philosophie in Heidelberg, 1872 in Berlin, lebte seit 1897 in Stuttgart, gest. 1906.

Z., der besonders als Historiker bekannt ist, ging von Hegel aus, verwarf aber bald dessen aprioristische Weltkonstruktion und forderte schon 1862 die Rückkehr zum Kritizismus im Geiste Kants, ohne orthodoxer Kantianer zu werden. Die Philosophie muß auf äußerer und innerer Erfahrung basieren und Idealismus und Realismus vereinigen. Sie stellt die Grundbegriffe der Wissenschaften fest und bringt den Zusammenhang der Wissenschaften zum. Bewußtsein. Die Erkenntnistheorie untersucht die Bedingungen, an welche die Bildung unserer Vorstellungen durch die Natur unseres Geistes geknüpft ist, und bestimmt hiernach, ob und unter welchen Voraussetzungen der menschliche Geist zur Erkenntnis der Wahrheit befähigt ist. Unsere Vorstellungen sind das gemeinsame. Produkt objektiver Eindrücke und der sie verarbeitenden subjektiven Tätigkeit, wobei das Denken die allgemeinen Gesetze und Gründe der Dinge entdeckt. Raum, Zeit und Zahl sind insofern a priori, als die Gesetze der Vorstellungsbildung es sind. Das Denken stützt sich auf den Satz. vom Grunde als das A priori, vermöge dessen wir allen Erfahrungsinhalt in kausalen Zusammenhang bringen. Zur Unterscheidung der Objekte von uns berechtigt nur die Konstanz und Wirkungsfähigkeit des Wahrgenommenen. Das Außenweltsbewußtsein besteht in einem unbewußten Schlüsse, der sich mit der Wahrnehmung innigst verknüpft. Die Natur unseres Denkens nötigt uns, nach der Ursache der Empfindungen zu fragen, und wir müssen diese Ursache außer uns suchen, da die Wahrnehmungen von unserer Tätigkeit nicht abhängen. In gewissem Umfange können wir das, was den Dingen selbst zukommt, vom Subjektiven unterscheiden und so mittelbar (durch Vergleichung, verifizierte Annahmen) die Dinge erkennen, wie sie selbst sind. Die Kausalität erleben wir unmittelbar nur in unseren eigenen Willenshandlungen. Die Einheit des Selbstbewußtseins ist nur möglich, wenn ein einheitliches Wesen, die Seele, vorhanden ist, in welchem und durch welches die Einheitssynthese erfolgt. Die Welt kann nie ohne Leben und Vernunft gewesen sein, »weil die gleichen Ursachen, welche das Leben und die Vernunft jetzt hervorbringen, schon von Ewigkeit her wirkten und sie daher immer hervorgebracht haben müssen«. Die Welt als Ganzes müssen wir als das Werk der absoluten Vernunft betrachten, die mit unbedingter Notwendigkeit wirkt. »Aber weil es ein und dieselbe Ursache ist, aus der alle Wirkungen in letzter Beziehung entspringen, weil alle Naturgesetze nur die Art und Weise bezeichnen, die diese Ursache, der Notwendigkeit ihres Wesens entsprechend, nach verschiedenen[850] Seiten hin wirkt, muß aus der Gesamtheit dieser Wirkungen notwendig ein in allen Teilen zusammenstimmendes Ganzes, eine in ihrer Art vollkommene, mit absoluter Zweckmäßigkeit eingerichtete Welt hervorgehen.« Das Sittliche besteht in der Herrschaft des Vernünftigen, Geistigen über das Sinnliche. Die Religion ist Bewußtsein des Göttlichen nach seiner Beziehung aufs Subjekt, »Leben des Subjekts in Gott«. Sie hat eine empirische Grundlage im Gefühl, ist aus Bedürfnissen, aus Furcht und Wunsch entstanden und dient dem Streben, sich durch Verbindung mit der Gottheit Güter zu erwerben und Übel los zu werden. Im Denken hat sie eine apriorische Grundlage, darf aber nicht rein intellektualistisch aufgefaßt werden.

Schriften: Platonische Studien, 1839. – Krit. Rundschau über die neuesten Bearbeit. d. christl. Glaubenslehre, Theol. Jahrb. 1843 (Vgl. 1842). – Die Philosophie der Griechen, 1844-52; 2. A. 1855-68; 3. – 5. A., 3 Teile in 6 Bdn., 1879-1909 (Hauptwerk). – Das theol. System Zwinglis, 1853. – Vorträge und Abhandlungen, 1865; 2. A. 1875; 2. Samml. 1877; 3, Samml. 1884 (Über Bedeut. u. Aufgabe der Erkenntnistheorie, 1862; Über die Aufgabe der Philos., 1868; Über teleol. u. mechan. Naturerklär., 1876: Über das Kantsche Moralprinzip, 1879; Über Begriff und Begründ. der sittl. Gesetze, 1882; Über die Gründe unseres Glaubens an die Realität der Außenwelt, 1884, u. a.). – Gesch. d. deutschen Philos. seit Leibniz, 1872; 2. A. 1875. – Staat u. Kirche, 1873. – Über d. Messung psych. Vorgänge, 1881. – D. Fr. Strauß, 1874. – Friedrich d. Große als Philosoph, 1886. – Grundriß d. Gesch. d. griech. Philos., 2. A. 1886; 9. A. 1908. – Kleine Schriften I, 1910, u. Abhandlungen zur Gesch. d. Philos. – Erinnerungen eines Neunzigjährigen, 1908. – Vgl. DIELS, Gedächtrede auf Zeller, 1908.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 850-851.
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