Ziehen, Theodor

[854] Ziehen, Theodor, geb. 1862 in Frankfurt a. M., Prof. in Berlin. Herausgeber der »Monatsschr. f. Psychol. u. Neurologie«.

Z. ist einer der bedeutendsten Vertreter der physiologischen Psychologie, die bei ihm den Charakter der Assoziationspsychologie hat: zugleich[854] vertritt er eine Art Immanenzphilosophie (ähnlich wie Verworn u. a.). Die Assoziation ist der »Vorgang der Aneinanderreihung der Vorstellungen«. Ihr Grundgesetz lautet: »Jede Vorstellung ruft als ihre Nachfolgerin entweder eine Vorstellung hervor, welche ihr inhaltlich ähnlich ist, oder eine Vorstellung, mit welcher sie oft gleichzeitig aufgetreten ist« (innere und äußere Assoziation). Die Assoziation beruht wie die anderen psychischen Prozesse auf Vorgänge in der Hirnrinde (Koordinationen, Leitungsprozesse u. a.) In bestimmten Ganglienzellen-Gruppen werden Erinnerungsbilder deponiert und dies ist die »Retention«. Die Erinnerungsbilder sind materielle Veränderungen, mit denen psychische Zustände als »Epiphänomen« einhergehen. Alles Psychische als solches ist bewußt, unbewußt können nur Gehirnprozesse sein. Auf zusammengesetzten Assoziationen beruht alles Denken; die »Apperzeption« ist ein mystisches Seelenvermögen. Wir müssen denken, wie die gerade vorhandenen Assoziationen es bestimmen, wobei der Vorgang von Bewegungsempfindungen begleitet ist. Das Urteil besteht nur im Hinzudenken einer »Beziehungsvorstellung« zu zwei Vorstellungen. Ein besonderes Willensvermögen gibt es nicht; das Wollen reduziert sich auf Vorstellungen intendierter Bewegungen, begleitet von Gefühlstönen.

Die Objekte sind Empfindungskomplexe. Jede Empfindung hat einen »Reduktionsbestandteil« und die »reduzierten Empfindungen«, die unabhängig vom individuellen Erleben sind, bilden die Dinge der Außenwelt.

Schriften: Physiolog. Psychologie, 1891; 8. A. 1908. – Psychiatrik, 1894; 3. A. 1907. – Psychophysiol. Erkenntnistheorie, 1898; 2. A. 1907. – Über die allgemeinen Beziehungen zwischen Gehirn- und Seelenleben, 1902. – Die Geisteskrankheiten des Kindesalters, 1902-06. – Das Gedächtnis, 1908. – Das Verhältnis der Herbartschen Psychol. zur physiol.-experim. Psychol., 1900, u. a.

Quelle:
Eisler, Rudolf: Philosophen-Lexikon. Berlin 1912, S. 854-855.
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