Vormittagssitzung.

[236] [Der Zeuge Jüttner im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm!

RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe gestern auf die Frage hin, wie lange ich das Rückkreuzverhör durchführen werde, eine sicherlich zu lange Zeit angegeben. Nach Sichtung des Materials glaube ich festzustellen, daß vieles mit der SA überhaupt nichts zu tun hat und ich deswegen das Rückverhör stark kürzen kann.


[Zum Zeugen gewandt:]


Im Zusammenhang mit Dokument 4011-PS, Herr Zeuge, wollte ich Sie nur noch einmal fragen im Zusammenhang mit der Meldung, daß sich 21 Gruppen mit dem Transport von Gefangenen beschäftigt haben. Wie ist diese Meldung zustande gekommen, und auf wessen Veranlassung haben diese Leute die Gefangenen transportiert, das heißt, waren diese Leute zum Transport von Gefangenen von der SA abgestellt, oder wurde diese Tätigkeit ausgeübt im Rahmen der Eigenschaften dieser Leute als Soldaten?

JÜTTNER: Die Meldung ist zustande gekommen durch die Tätigkeitsberichte, die die Gruppen allmonatlich, später vierteljährlich, einreichten. Die Männer unterstanden zur Bewachung der Gefangenen der Wehrmacht; diese hob sie aus und setzte sie ein.

RA. BÖHM: Ist Ihnen die Zahl bekannt von denjenigen SA-Angehörigen, die hier als Wehrmachtsangehörige tätig waren im Zusammenhang mit dem Transport von Gefangenen?


JÜTTNER: Die Zahl ist mir nicht bekannt; aber es handelt sich um ganz kleine Abteilungen.


RA. BÖHM: Der Herr Vertreter der Anklage hat gestern behauptet, die sogenannte Wehrerziehung vor Beginn und nach Beginn des zweiten Weltkrieges wäre dieselbe gewesen. Ich möchte Sie fragen, Herr Jüttner: Wurde vor dem 1. September 1939 Schießdienst mit gefechtsmäßigem Verhalten geübt, oder handelte es sich nur um Kleinkaliberschießen?


JÜTTNER: Es handelte sich nur um Kleinkaliberschießen, wie wir es vorher auch geübt haben.

Ich habe aber gestern betont, daß bald nach Kriegsbeginn vermehrter Wert auf die wehrsportlichen Übungen gelegt wurde, während sportliche Übungen, die Leibesübungen, etwas zurücktraten.

[236] RA. BÖHM: Stimmen Sie überein mit zahlreichen eidesstattlichen Versicherungen, die in diesem Zusammenhang besagen, daß es in der SA verboten war, bei Geländeübungen militärische Lagen zugrunde zu legen?


JÜTTNER: Das war verboten, und dazu waren wir auch gar nicht in der Lage, weil die SA-Führer zu einem sehr großen Teil militärisch gar nicht vorgebildet waren, um militärische Lagen für die Übungen zugrunde zu legen.


RA. BÖHM: Dann eine kleine geschichtliche Frage auf Grund von Behauptungen der Anklage im Zusammenhang mit Ausführungen auf Seite 14 des Dokuments 4011-PS: Wissen Sie noch, Herr Jüttner, wann das Memelland ins Dritte Reich gekommen ist? Ist Ihnen vielleicht bekannt, daß das der März des Jahres 1939 war?


JÜTTNER: So genau kann ich das nicht sagen, es wird aber zutreffen.


RA. BÖHM: Gehorte die Landschaft des Memellandes zu Lettland, Estland und Litauen, oder handelt es sich um einen Teil, der zur Provinz Ostpreußen gehörte? Ich glaube feststellen zu können, daß die Anklage hier verwechselt die SA-Gruppe Ostland mit dem sogenannten Reichskommissariat.

JÜTTNER: Dazu möchte ich sagen: Wir haben in Ostpreußen, also SA-Gruppe Ostland, SA-Truppen gehabt und organisiert und auch geführt. Im übrigen wurde in Ostland, Litauen, Lettland und so weiter niemals eine deutsche SA organisiert, aufgebaut oder von uns geführt. Diese Frage hängt wohl zusammen mit anderen, gestern von der Anklagebehörde auszugsweise vorgelesenen Dokumenten.

Ich darf vielleicht Euer Lordschaft dazu erklären, daß ich seit Beginn des Kreuzverhörs in Einzelhaft bin und keinerlei Verbindung mit der Verteidigung der SA habe. Deshalb glaube ich, zu den gestern vorgelegten Dokumenten mit ihren ungeheuerlichen und unzutreffenden Beschuldigungen der SA-Führer und der SA als Organisation folgende drei knappe Sätze sagen zu dürfen:

  • 1. Zu so schwerwiegenden Dokumenten kann man nur erschöpfend Stellung nehmen, wenn man sie eingesehen und in Ruhe hat prüfen können. Das war mir nicht möglich.

  • 2. Zu zahlreichen, auszugsweise vorgelesenen Dokumenten wurde überhaupt keine Frage gestellt, zum Beispiel zum Brief Blombergs.

  • 3. Zu den mir vereinzelt vorgelegten Dokumenten wurden nur Fragen gestellt, die auf den sachlichen Inhalt kaum Bezug hatten, so zum Beispiel über die Meldung der Brigade 50 über die Zerstörung der Synagogen.

Ich halte auch heute noch diese Meldung für unecht, weil diese angebliche Meldung sowohl ihrem Inhalt nach unmöglich ist und [237] zweitens, weil das, was in der Meldung ausgeführt ist, zeitlich gar nicht durchführbar war. Ich glaube aber, daß die Verteidigung durch Fragen die Zweifel klären wird.

RA. BÖHM: Aus dem Dokument 4011-PS zieht die Anklage den Schluß, daß sich die SA-Führung mit fremden Völkern beschäftigt habe, und ich möchte Sie im Zusammenhang fragen: Haben Sie das getan, und wäre das jemals Ihre Absicht gewesen?

JÜTTNER: Wir haben uns mit fremden Völkern in der SA nicht beschäftigt, und es war auch nie unsere Absicht.


RA. BÖHM: Herr Zeuge! Ihnen ist sicher die Verfügung der Reichsregierung bekannt, daß im Reichskommissariat Ostland die Einrichtung der Parteigliederungen untersagt war. Konnte daher in Estland, Litauen oder Lettland eine SA-Gruppe oder eine SA-Brigade »Wilna« bestehen?


JÜTTNER: Nein, da konnte keine bestehen; es ist von uns auch keine organisiert und keine aufgestellt worden. Männer, die von der SA dort tätig waren, unterstanden nicht der SA-Führung. Zum Beispiel waren die gestern genannten SA-Führer Kunze, Kramer z. V.-Führer, Führer zur besonderen Verfügung. Sie unterstanden nicht der SA-Führung, als sie da drüben eingesetzt waren. Diese Männer trugen auch eine andere Uniform als die SA. Vielleicht beruhen darauf Verwechslungen.


RA. BÖHM: Hätten Sie gegen eine derartige Anordnung der Reichsregierung verstoßen?


JÜTTNER: Unter gar keinen Umständen.


RA. BÖHM: Wäre es deshalb möglich gewesen, daß die SA mit der Verwaltung des Ghettos in Wilna betraut worden wäre?


JÜTTNER: Die SA hat weder Ghettos aufgestellt noch verwaltet; es wurde auch die SA als Organisation oder die Führung mit derartigen Aufgaben zu keiner Zeit betraut.


VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm, wenn Sie von einem Befehl der Reichsregierung sprechen, beziehen Sie sich auf ein Dokument?


RA. BÖHM: Nein, sondern auf eine Anordnung der Reichsregierung, auf einen Befehl der Reichsregierung, der allgemein bekannt ist.


[Zum Zeugen gewandt:]


Es wurde gestern eine eidesstattliche Versicherung von einem Herrn Szloma Gol vorgelegt. In dem Zusammenhang möchte ich Sie kurz fragen: Hat Ihnen jemals der Stadtkommissar von Wilna in irgendeiner Weise unterstanden, hatten Sie ihm gegenüber irgendeine Befehlsgewalt, und hat er irgendwelche Aufgaben in Ihrem Auftrag erfüllt?

[238] JÜTTNER: Keiner der Kommissare im Ostland unterstand der SA-Führung; keiner hat auch Befehle von der SA-Führung erhalten. Bei diesem Kommissar wurden, wenn ich mich recht erinnere, gestern auch weibliche SA-Angehörige genannt. Solche hat es niemals gegeben.

RA. BÖHM: Unterstand Ihnen jemals der Landkommissar von Wilna?


JÜTTNER: Ich habe schon gesagt, daß die Kommissare der SA-Führung nicht unterstanden.


RA. BÖHM: Aus dieser eidesstattlichen Versicherung geht nicht hervor, ob es sich bei dem Mann, um den es sich hier dreht, um einen Kommissar drehen könnte. Hier heißt es lediglich, der Sachbearbeiter für jüdische Fragen war ein SA-Führer Murer. Ist dieser Ihnen in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit in Wilna unterstanden?

JÜTTNER: Auch das bei den Kommissaren tätige Personal war der SA-Führung nicht unterstellt, infolgedessen dieser hier genannte Mann auch nicht. Wenn er dort eingesetzt war, war er für die Dauer seines Einsatzes aus der SA beurlaubt und erfüllte dort seine Aufgaben und Pflichten, ohne daß die SA-Führung irgendwelchen Einfluß auf ihn nehmen konnte.


RA. BÖHM: Im Zusammenhang mit der Anklage gegen eine andere Organisation hat die Anklagebehörde das Exhibit US-276 vorgelegt. Ich darf zitieren auf Seite 2 dieses Dokuments, letzter Absatz:

»Ebenso wurden schon in den ersten Stunden nach dem Einmarsch, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten, einheimische antisemitische Kräfte zu Pogromen gegen die Juden veranlaßt. Befehlsgemäß war die Sicherheitspolizei entschlossen, die Judenfrage mit allen Mitteln und aller Entschiedenheit zu lösen.«

In der Anklage gegen den SD behauptet die Anklagevertretung, daß es die Sicherheitspolizei war, die die Pogrome in Wilna, in Schaulen und in Kowno ausführte. In der Anklage gegen die SA dagegen behauptet die Anklage, daß es die SA gewesen sei. Ich als Verteidiger möchte wissen, wer tatsächlich die Schuld an den Judenpogromen in den dortigen Städten trägt. Ich frage Sie: Hat die Oberste SA-Führung durch Befehle oder Anweisungen bei irgendwelcher Ausschreitung oder bei irgendeinem Judenmord in dieser Gegend mitgewirkt oder mitwirken lassen?

JÜTTNER: Zu keiner Zeit und unter gar keinen Umständen.

RA. BÖHM: Es wurde dann gestern weiter vorgelesen eine eidesstattliche Erklärung eines Herrn Chaim Kagan. Der Zeuge will [239] Mädchen in SA-Uniform gesehen haben. Hat es bei der SA jemals weibliche Angehörige gegeben?


JÜTTNER: Ich habe darauf schon geantwortet, daß wir weibliche SA-Mitglieder nicht hatten. Niemals.


RA. BÖHM: Ist die Unsinnigkeit dieser Zuschreibung der Schuld in der eidesstattlichen Erklärung nicht dadurch schon offensichtlich, daß behauptet wird, daß die Leute deshalb SA-Leute gewesen seien oder sein mußten, weil sie eine braune Uniform trugen? Diese Behauptung ist in dieser eidesstattlichen Versicherung wiederholt aufgestellt.


JÜTTNER: Ich habe bei meinen gestrigen und vorgestrigen Ausführungen bei verschiedenen Gelegenheiten schon darauf hingewiesen, daß im Laufe der Jahre und also auch immer jeder Mann, der ein braunes Hemd trug, als SA-Mann bezeichnet wurde. Dieser Fall liegt hier demnach auch wieder vor, obwohl die Betreffenden mit der SA nichts zu tun hatten.


RA. BÖHM: Genauso verhält es sich mit der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Leib Kibart, der gleichfalls die Leute, von denen er hier spricht und die er zum Teil mit SA-Leuten bezeichnet, deswegen als SA-Leute identifiziert, weil sie braune Uniformen mit der Hakenkreuzbinde getragen haben. Wurde diese Hakenkreuzbinde und die braune Uniform nicht auch von allen anderen, und in erster Linie von den Leuten getragen, die im Rahmen des Ostministeriums und aller damit zusammenhängenden Aufgaben beschäftigt waren? Es hat doch eine Ostuniform gegeben? Ist diese Ostuniform von der SA getragen worden? Und war sie mit der Uniform der SA zu verwechseln?


JÜTTNER: Die Ostuniform wurde von denen getragen, die im Rahmen dieser Aufgabe eingesetzt waren, und zwar nicht von der SA eingesetzt waren, sondern eben von der Ostverwaltung. Sie war braun und hatte meines Wissens auch die Hakenkreuzbinde und war zweifellos, wie jede andere braune Uniform, mit dem SA-Dienstanzug zu verwechseln.


RA. BÖHM: Es ist gestern ein Dokument R-135 vorgelegt worden. Das ist ein Schreiben des Reichskommissars für das Ostland, geschrieben am 18. Juni 1943. Was ich Sie fragen wollte, war das: Hat Ihnen, beziehungsweise der SA-Führung, der Reichskommissar für das Ostland zu irgendeiner Zeit unterstanden?


JÜTTNER: Es haben keinerlei Reichskommissare im Ostland der SA-Führung unterstanden, sondern sie unterstanden der Ostverwaltung. Auf diese hatte die SA-Führung keinen Einfluß. Das war auch nicht ihre Aufgabe.


RA. BÖHM: Ich möchte Ihnen nun den Absatz vorhalten, der gestern Gegenstand der Ausführungen des Herrn Anklagevertreters [240] war, der aber nach meinem Dafürhalten aus dem Zusammenhang gerissen war. Er lautet nämlich: »Auf Anordnung des Chefs der Bandenbekämpfung...«


VORSITZENDER: Wie war die Kennzeichnung?


RA. BÖHM: Die Nummer? R-135, Herr Präsident!

Es ist das in diesem Dokument der vorletzte Absatz.

»Auf Anordnung des Chefs der Bandenbekämpfung, SS-Obergruppenführer von dem Bach, haben auch Einheiten der Wehrmannschaften an dem Unternehmen teilgenommen. SA-Standartenführer Kunze hat die Wehrmannschaften geführt, zu denen auch 90 Angehörige meiner Behörde und des Gebietskommissariats Minsk-Stadt gehörten. Unsere Männer sind gestern ohne Verluste von dem Unternehmen zurückgekehrt. Einen Einsatz der Beamten und Reichsangestellten des General kommissariats im rückwärtigen Heeresgebiet lehne ich ab. Die bei mir tätigen Männer sind schließlich nicht darum uk. gestellt worden, um anstelle der Wehrmacht und der Polizei aktiv Bandenbekämpfung zu betreiben. Von den Wehrmannschaften ist ein Eisenbahner verwundet worden (Lungenschuß).«

Geht daraus nicht klar hervor, daß es sich um aus Eisenbahnern und Behördenangehörigen zum Zwecke der Bandenabwehr gebildete Kampfkommandos handelt, wie es auf Grund des sowjetrussischen Befehls sein mußte? Hat es sich in diesem Zusammenhang um ein SA-Kommando handeln können?

JÜTTNER: Nein, unter gar keinen Umständen! Das waren Wehrmannschaften – so wurden sie bezeichnet – unter einem SA-Führer Kunze, der seit längerer Zeit schon aus dem Führerkorps, aus dem aktiven Führerkorps der SA ausgeschieden war. Er war z. V.-Führer, hatte im Osten – den kenne ich, den Kunze; daß er im Osten eingesetzt war, erfahre ich jetzt erst –, hatte also dort Verwendung gefunden, aber nicht als SA-Führer, sondern im Rahmen der Ostverwaltung. Wenn er Wehrmannschaften gebildet hat, dann waren das keine SA-Wehrmannschaften. Solche gab es dort überhaupt nicht und wurden von uns gar nicht organisiert, gebildet oder irgendwie beeinflußt.

RA. BÖHM: Es wird also demnach wohl richtig sein, wenn ich annehme, das Kunze ein Behördenmitglied des Gebietskommisariats Minsk-Stadt gewesen ist, der als solcher mit der Obersten SA-Führung gar nichts zu tun hatte?


JÜTTNER: Das ist zutreffend.


RA. BÖHM: Durch eine eidesstattliche Versicherung des...


[241] VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm! Wollen Sie dem Zeugen die Frage vorlegen, was das Wort »Wehrmannschaften« eigentlich bedeutet?


RA. BÖHM: Der Zeuge hat gestern dazu schon Stellung genommen, indem er nämlich auseinandergehalten hat zwischen SA-Wehrmannschaften und Wehrmannschaften, wie sie hier genannt sind. Herr Jüttner, würden Sie bitte...


VORSITZENDER: Ich habe Sie gefragt, was das Wort »Wehrmannschaften« in der wörtlichen Übersetzung bedeutet!


RA. BÖHM: Herr Zeuge! Ich möchte Sie bitten, dem Herrn Präsidenten klarzulegen, was Sie unter dem Wort »Wehrmannschaften« verstehen?


JÜTTNER: Euer Lordschaft! Ich darf unterscheiden zwischen SA-Wehrmannschaften und Wehrmann schaften, wie sie hier genannt sind. Die SA-Wehrmannschaften sollten nach dem Erlaß Adolf Hitlers vom Januar 1939 von der SA im Reichsgebiet aus zur Entlassung gekommenen Soldaten gebildet werden, damit sie dort körperlich und geistig wehrbereit gehalten werden. Diese Wehrmannschaften, die hier genannt sind, haben ohne unser Zutun diese Bezeichnung bekommen, und ich stelle mir darunter vor, daß in diesen Wehrmannschaften Kräfte zusammengefaßt worden sind zur Bekämpfung von Banden im besetzten Gebiet.


VORSITZENDER: Der Zeuge hat immer noch nicht gesagt, was das Wort bedeutet. Es ist ein deutsches Wort, und wir wollen eine Übersetzung dieses Wortes haben, wenn so ein Wort überhaupt zu übersetzen ist.


RA. BÖHM: Wenn ich es klären darf, dann würde ich sagen, es ist ein Zusammenschluß von Personen, die gewillt sind, einen von irgendeiner Seite kommenden Angriff von sich abzuwehren.


VORSITZENDER: Stimmen Sie damit überein, was Ihr Verteidiger oder der Verteidiger für die Organisationen über die Bedeutung dieses Wortes gesagt hat?


JÜTTNER: Man kann es auch anders definieren: Es ist eine unter einem Führer zusammengefaßte Abteilung hier in diesem Fall zum Einsatz gegen feindliche Aktionen im besetzten Gebiet, also hinter der Front, eine Abwehrorganisation.


RA. BÖHM: Ich glaube, daß es notwendig ist, Herr Präsident, daß ich Ihnen klarlege und an Hand des Dokuments 4011-PS demonstriere, um Ihnen den Unterschied zu zeigen zwischen den Wehrmannschaften und SA-Wehrmannschaften. In dem Dokument 4011-PS, Seite 10, spricht das Stellvertretende Generalkommando IV. A.K., und zwar ist das der dritte Absatz in der vorletzten Zeile...


VORSITZENDER: Seite 10 von was?


[242] RA. BÖHM: Ich glaube, das schon gesagt zu haben, 4011-PS, Herr Präsident! Es ist der dritte Absatz. Da spricht das Stellvertretende Generalkommando IV. A.K. von SA-Wehrmannschaften, und die gleiche Bezeichnung ist auch gebraucht auf der gleichen Seite desselben Dokuments im Absatz 5. Das ist eine Stellungnahme des Stellvertretenden Generalkommandos V. A.K. Da heißt es auch: »Gelegentlich meines Beiwohnens beim Dienst der SA-Wehrmannschaften am 2. 6. 1940...« Wenn es sich also um Wehrmannschaften der SA gehandelt hat, dann waren es SA-Wehrmannschaften, und es sind diese auch ausschließlich vor allen Dingen aber mit der Dienstbezeichnung als SA-Wehrmannschaften bezeichnet worden; und um ein Verständnis...

VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm! Die Übersetzung, die wir haben, heißt:

»Gelegentlich meines Beiwohnens beim Dienst der SA-Wehrmannschaften am 2. 6. 40 habe ich festgestellt, daß die vormilitärische Wehrertüchtigung der SA-Mannschaften, besonders unter den durch die augenblicklichen Zeitverhältnisse bedingten erschwerten Umständen, von allen Beteiligten mit großem Eifer betrieben wird...«

RA. BÖHM: Ja, gewiß, Herr Präsident! Ich möchte in Gegensatz stellen die Bezeichnung »SA-Wehrmannschaften«, wenn es solche waren, und die Bezeichnung »Wehrmannschaften«, wenn es solche nicht waren, nämlich solche der SA.

VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß es irgendeinen Wert hat, darüber zu streiten. Ich habe Sie nur gefragt, was das Wort bedeutet. Der Zeuge hat mir jetzt erklärt, daß gemäß dem Hitler-Erlaß vom Januar 1939 gewisse Leute, die Wehrmannschaften genannt wurden, im Reich aufgestellt werden sollten, um, wie er sagt, zur Verteidigung bereit zu sein. Wenn Sie das bestätigen können, wäre es vielleicht nützlich.


RA. BÖHM: Wenn die Klarlegung dieses Begriffes genügt, Herr Präsident, dann kann ich weiterfahren.


VORSITZENDER: Ja, gewiß.


RA. BÖHM: [zum Zeugen gewandt] Durch eine eidesstattliche Versicherung des Rudolf Schönberger soll hervorgehen, daß die Oberste SA-Führung befehlsgemäß die Bewachung von Zwangsarbeitslagern hatte. Es ist dies zwar die erste eidesstattliche Erklärung, die in diesem Zusammenhang abgegeben worden ist; ich möchte Sie aber fragen, wem unterstanden die Zwangsarbeitslager? Können Sie diesen Fall, Herr Jüttner, klären; haben Sie jemals Leute abgestellt als SA-Mannschaften oder als SA-Einheiten zur Hilfspolizei oder zu einer anderen Behörde zum Zwecke der Beschäftigung oder Verwendung dieser Leute für derartige Arbeitslager?


[243] JÜTTNER: Ich habe dazu zu sagen, daß polizeiliche Aufgaben zu keiner Zeit zum Aufgabenbereich der SA gehörten. Eine polizeiliche Aufgabe ist auch die Bewachung und Beaufsichtigung von Zwangsarbeitern. Wenn SA-Männer für diese Aufgaben herangezogen worden sind, so wurden sie hierzu auf gesetzlicher Basis zu diesem Dienst verpflichtet und schieden damit aus der Befehlsgewalt der SA aus. Sie versahen dort ihre polizeiliche Aufgabe ebenso wie jeder andere in einem anderen Beruf Stehende dort seine Aufgaben erfüllte. Er blieb SA-Mann, war aber für die Zeit seines Einsatzes für die polizeiliche Aufgabe von der SA beurlaubt und unterstand nicht mehr dem Einfluß der SA-Führung.


RA. BÖHM: Auch nicht in der Befehlsgebung?


JÜTTNER: Auch nicht in der Befehlsgebung.


RA. BÖHM: Ein weiteres Dokument, das ich Ihnen dann vorlegen möchte, ist das Dokument 3661-PS. Aus diesem Dokument, das unterzeichnet ist von einem gewissen Gewecke, will ebenfalls die Anklage den Anteil der Obersten SA-Führung beziehungsweise der Organisation an Übergriffen gegen Juden im Ostland nachweisen. Ich möchte Sie deshalb fragen: Geht aus dem Briefkopf des Gebietskommissars in Schaulen nicht hervor, daß diese Angelegenheit eine Angelegenheit des Reichskommissariats Ostland gewesen ist? Geschrieben ist dieser Brief nämlich am 8. September 1941, und der Briefkopf lautet: »Der Gebiets-Kommissar in Schaulen«. War der Gebietskommissar in Schaulen Ihnen jemals in irgendeiner Weise unterstanden?


JÜTTNER: Ich habe schon wiederholt betont, daß die Kommissare in den besetzten Ostgebieten überhaupt wie die in den besetzten Gebieten eingeteilten und eingesetzten Kräfte in keiner Weise der SA-Führung unterstellt gewesen sind und infolgedessen auch keinerlei Weisungen von der SA-Führung erhielten und erhalten konnten. Auch dieser Gebietskommissar stand nicht unter der Einflußnahme der SA.


RA. BÖHM: Der Sachverhalt ist an sich geklärt, unterschrieben von einem gewissen Gewecke. Gewecke ist tatsächlich SA-Mann gewesen; aber es ist interessant, in diesem Zusammenhang hervorzuheben, daß sich aus dem Inhalt dieses Dokuments ergibt, daß sich dieser Gewecke beschwert über Übergriffe gegen die Juden, die seitens der SS-Führung begangen worden sind.

Das nächste Dokument ist vorgelegt worden unter D-970 – »Der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement«. Hinsichtlich dieses Dokuments der Anklage darf ich erst feststellen, daß Kattowitz beziehungsweise der Außenposten Ilkenau nicht im Generalgouvernement, sondern in Oberschlesien liegt. Ich [244] möchte Sie nun fragen, wenn Sie folgenden Satz beachten, den ich zitiere:

»Daher wurde von dem Baustab Kattowitz ein besonderes Kommando in Stärke von 12 SA-Männern beauftragt, in den einzelnen Dörfern Arbeitskräfte einzutreiben.«

Geht daraus nicht hervor, daß die Befehlsstelle nicht eine SA-Dienststelle, sondern eine Behördenstelle ist, nämlich der Baustab Kattowitz, der zufälligerweise unter anderem auch Leute ausgewählt hatte, die eben SA-Angehörige waren. Haben Sie mich verstanden, Herr Zeuge?

JÜTTNER: Jawohl! Welche Frage soll ich zuerst beantworten?

RA. BÖHM: Ist Ihnen jemals ein Baustab Kattowitz unterstanden?


JÜTTNER: Nein, überhaupt Baustäbe – vermutlich handelt es sich um Baustäbe der Organisation Todt – haben niemals der SA-Führung unterstanden. Wenn ein Baustab SA-Angehörige zu solchen Aufträgen herangezogen hat, wird er sie aus seinem Personal genommen haben, die in dem Falle SA-Mitglieder waren. Sollte er andere SA-Männer, die nicht seiner Befehlsgewalt unmittelbar unterstanden, herangezogen haben, dann lag das außerhalb der Befugnisse der SA-Führung. Sollten solche Männer sich dabei rechtswidrige Handlungen zuschulden kommen lassen haben, verdienen sie die gerechte Strafe. Jedenfalls hatte die SA-Führung auf solchen Einsatz, wie das Dokument ja auch schon sagt, keinerlei Einfluß, sondern der Einsatz ist erfolgt von dem Baustab, der der SA-Führung nicht unterstand.


RA. BÖHM: Sollte es Ihnen entgangen sein, daß es tatsächlich in Kattowitz SA-Einsatzkommandos gegeben hat, von denen Sie nichts erfahren hatten? Wäre das möglich?


JÜTTNER: Ich habe gestern schon mit allem Nachdruck betont und wiederhole das heute, daß der Begriff »Einsatzkommandos« der SA völlig fremd war und wir Einsatzkommandos auch für solche Zwecke nie gebildet und auch nicht gehabt haben. Wenn Einsatzkommandos existiert haben und dabei SA-Angehörige sich in den Reihen der Einsatzkommandos befanden, so ist das nicht auf eine Anweisung der SA zurückzuführen, auch nicht auf eine Billigung durch die SA.


RA. BÖHM: Die Anklage hat gestern weiter vorgelegt ein Schreiben, des Reichsführer-SS – Inspekteur der Konzentrationslager – an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei in Berlin vom 21. Februar 1940. Es ist mir leider die Exhibitnummer entgangen, die gestern gegeben worden ist. Es kann aber über dieses Schreiben keinen Zweifel geben, weil ich es hier in der Photokopie habe. Ich möchte Sie nun fragen, Herr Jüttner, ob in der [245] Obersten SA-Führung ein Arbeitslager für Trunkenbolde und Arbeitsscheue bestanden hat, wie es gestern die Anklage behauptet hat, und wie es auch aus diesem Dokument hervorgehen könnte. Da heißt es nämlich betreffend Lager Frauenberg bei Admont:

»Die Bewachung erfolgt durch die SA, etwa 20 Mann!«

Was sagen Sie zu dem von der Anklage vorgelegten Dokument über das Arbeitslager Frauenberg in der Steiermark, über das Arbeitslager, in dem 20 SA- Leute zur Bewachung verwendet werden sollten? Möchten Sie das Dokument sehen? Haben Sie das Dokument schon gesehen?

JÜTTNER: Nein.


[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]


RA. BÖHM: Sie finden diese Feststellung auf der zweiten Seite dieses Dokuments im letzten Drittel.

JÜTTNER: Ich darf dazu sagen, Euer Lordschaft, daß nach der Übernahme der Konzentrationslager durch den Reichsführer-SS, meines Wissens Ende 1933, die SA als Organisation und die SA mit Konzentrationslagern und auch Bewachung von solchen Lagern nichts zu tun hatte. Wenn hier in der Tat SA-Männer zur Bewachung herangezogen wurden, dann sind sie behördlicherseits notdienstverpflichtet worden als Hilfspolizei oder ähnliches, um diese Aufgabe durchzuführen. Damit aber schieden sie aus der Verantwortlichkeit und Befehlsgebung der SA vollkommen aus.


RA. BÖHM: Ein weiteres Dokument, das vorgelegt worden ist, ist Dokument 4013-PS. In ihm heißt es:

»Von englischer ernstester Seite werde ich heute morgen angefragt, ob es möglich sei, daß hinter dem Rücken Hitlers und Habichts die Österreicher aus Deutschland in Österreich einbrechen könnten. Man habe, so fügte mein Gewährsmann hier hinzu, bisher die österreichischen Angriffe beiseite geschoben, doch sei diese Meldung von einer derart ernsten Stelle gekommen, daß man sich unbedingt mit uns in Verbindung setzen wolle. Ich befürchte unter Umständen eine Provokation seitens gedungener Elemente, die eben dann in die Welt hinausgerufen, die Konflikte hervorrufen können.«

Ich möchte Sie in diesem Zusammenhang nur fragen, handelt es sich hier um eine der üblichen Enten, wie sie in der vergangenen Zeit häufig üblich waren? Kennen Sie das Dokument?

JÜTTNER: Nein, ich kenne es nicht.


[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]


Ich darf dazu sagen, daß mir von der Angelegenheit bis zum gestrigen Tage nichts bekannt war. Ich hätte das bestimmt wissen, erfahren müssen. Die geflüchteten oder ausgewiesenen Österreicher, [246] die sogenannte österreichische Legion, das spätere Hilfswerklager Nord-West, wurde bewußt weit von der österreichischen damaligen Grenze, abseits gelegen mehrere 100 Kilometer, nämlich am Rhein, untergebracht. Schon daraus dürfte hervorgehen, daß man irgendwelche Grenzzwischenfälle oder was vielleicht hier der Erfinder dieser Vermutung befürchtet, gar nicht in Betracht ziehen konnte. Jedenfalls war mir von der Angelegenheit bisher nichts bekannt.

RA. BÖHM: Die Anklage hat dann gestern ein weiteres Dokument vorgelegt, D-951. Auf dem zweiten Blatt dieses Dokuments heißt es:

»Nach Meldung des Wehrkreiskommandos VI sollen auch bereits die SA-Brigadeführer Bildung einer solchen Stabswache in Aussicht nehmen und dazu SA-Leute auf 1 bis 11/2 Jahre Dienstzeit verpflichten... Zahlenmäßig würde sich das im Bereiche des Wehrkreiskommandos VI allein auf 6000 bis 8000 Mann ständig mit Gewehr und Maschinengewehr bewaffneter SA-Leute auswirken.«

Das Schreiben datiert vom 6. März 1934 beziehungsweise 2. März 1934, und in dem zweiten Schreiben heißt es:

»Die Ausbildung ist am Gewehr 98 durchzuführen.«

Haben Sie dieses Dokument gesehen?

JÜTTNER: Nein, aber gestern davon gehört.


[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]


RA. BÖHM: Beziehen sich diese Dokumente nicht auf die von Röhm in Aussicht genommene Volksmiliz, an der er gescheitert ist? Ich bitte Sie, die Volksmilizpläne Röhms in ihrem politischen Zusammenhang zu schildern; aber ich darf Sie bitten, sich kurz zu fassen.

JÜTTNER: Zunächst zu der Frage der Stabswachen: Stabswachen hat es gegeben – zum Teil bewaffnet – zum Schutze der Dienststellen und zur Aufstellung von Ehren- und sonstigen Wachposten in aller Öffentlichkeit. Daß in Höchst am Main hier die Stabswache 6000 Mann umfaßt haben soll, ist völlig ausgeschlossen. Herr von Blomberg hatte sich wiederholt geirrt, anscheinend auch hier. Seine Irrtümer gehen besonders deutlich hervor aus einem Briefwechsel nach dem Tode Röhms, wo er mich persönlich damals wegen eines Befehls vom 8. Mai 1934 angriff und den Sachverhalt völlig falsch dargestellt hatte und auf Vorstellungen meinerseits und Stabschefs Lutze hin sich entschuldigte mit der Begründung, in solchen aufgeregten Zeiten könnten solche Irrtümer vorkommen. Wenn Euer Lordschaft wünschen, kann ich den Sachverhalt näher darstellen. Im übrigen hat der Stabschef Röhm, wie er sich auf Führerbesprechungen wiederholt ausgelassen hat, neben der Reichswehr die Schaffung einer Miliz aus der SA heraus angestrebt in [247] Stärke von 300000 Mann. Bei seinen Ausführungen hat er immer wieder betont, das von der Staatsführung dem alten Herrn, damit war Feldmarschall von Hindenburg gemeint, gegebene Wort müsse gehalten werden, das heißt, die Reichswehr dürfe nicht angetastet werden. Über seine Milizpläne hat er ganz offen mit den Militärattachés der Westmächte gesprochen. Ich bin selbst zweimal Zeuge gewesen und habe dabei den unzweideutigen Eindruck gewonnen, daß besonders der Militärattaché von Frankreich diesen Plänen keineswegs abwegig gegenüberstand.


VORSITZENDER: Ich glaube nicht, daß wir diese Erörterungen weiter auszudehnen brauchen. Ich entnehme der Aussage des Zeugen, daß sich dieses Dokument auf eine Miliz bezieht, die Röhm aufstellen wollte. Stimmt das?


RA. BÖHM: Gewiß, das waren die Pläne Röhms.


VORSITZENDER: Nun, das ist alles, was wir brauchen.


RA. BÖHM: Und ich möchte eine kurze Frage daran anknüpfen: Sind diese Pläne dann mit dem Tode Röhms restlos zu den Akten gelegt worden beziehungsweise ins Wasser gefallen?


JÜTTNER: Meines Wissens sind diese Pläne in keiner Weise weiter verfolgt worden. Im Gegenteil, die verhältnismäßig wenigen Waffen, die die Stabswachen hatten, wurden nach dem 30. Juni 1934 eingezogen und abgegeben.


RA. BÖHM: Ich komme dann zum nächsten Dokument, 3050-PS, die erste Seite A. Es ist dieses Dokument gestern im Kreuzverhör vorgelegt worden und enthält eine Sammlung von Artikeln aus dem »SA-Mann«, zu denen ja an sich in der Kommission hinreichend Stellung genommen worden ist, und bei denen ja genügend geklärt worden ist, welche Bedeutung der »SA-Mann« dem einzelnen SA-Angehörigen gegenüber hatte, und wie und welches der Einfluß der Obersten SA-Führung im Verhältnis zu dieser Zeitung war. Nachdem diese Dinge aber nun neuerdings vorgelegt worden sind, muß hierzu noch einmal, wenn auch in aller Kürze, Stellung genommen werden. Grundsätzlich falsch ist es auch dann, wenn man den Artikel zitiert, ihn nur auszugsweise zu zitieren.


VORSITZENDER: Sie scheinen nicht zu verstehen, daß Sie hier nicht argumentieren, sondern dem Zeugen Fragen vorlegen sollen. Wenn Sie ihn befragen wollen, tun Sie das!


RA. BÖHM: Gewiß, Herr Präsident! Ich möchte einen Artikel zitieren, der hier noch nicht angeführt worden ist, und zwar ist es das Dokument 3050-a-PS. Dieser Artikel muß von mir zitiert werden, Herr Präsident, weil ich daran dann eine Frage stellen möchte; er lautet nämlich – und ich bitte, das amtlich festzustellen – aus der Vorlage des »Der SA-Mann« durch die Anklagebehörde nicht so, wie er hier wiedergegeben ist. Der Artikel lautet nämlich:

[248] »Da auch der Marsch letzten Endes eine sportliche Übung ist, gelten für ihn dieselben Grundsätze wie für jeden anderen Sport. Gesundheit und Abhärtung des Körpers ist die Voraussetzung für ein erfolgreiches Marschtraining. Dazu kommt für die Marschierenden die ganz besonders wichtige Fußpflege.«

In diesem Artikel wird dann die Fußpflege weiter geschildert. Damit will ich Sie, meine Herren Richter, nicht aufhalten, und es wird dann darauf hingewiesen, daß

»der Marsch nicht nur für den Soldaten in der Wehrmacht wichtig ist, sondern auch für den politischen Soldaten, den SA-Mann.«

Also nach meinem Dafürhalten eine vollkommen unmilitärische Angelegenheit. In Dokument 3050-c-PS sehe ich einen Artikel, auch aus »Der SA-Mann« vom 24. März 1934 mit der Überschrift: »Wir gehen ins Gelände.« Das ist der dritte Artikel, der dem Gericht mit Dokument 3050-PS vorgelegt worden ist. Es soll eine militärische Einstellung der SA nachgewiesen werden. Er soll deshalb auch vorgelegt werden.

VORSITZENDER: Ich hatte schon eben gesagt, daß Sie jetzt über das Dokument 3050-PS argumentieren. Was Sie aber tun sollen, ist, den Zeugen über das Dokument zu befragen.

RA. BÖHM: Herr Jüttner! Das Dokument, das ich Ihnen vorgelesen habe, nachdem ich die Fehlstellen nachgeprüft habe, sollte nach der Auffassung der Anklage den militärischen Charakter der SA deshalb nachweisen, weil es von der Fußpflege spricht und weil dieser Artikel in »Der SA-Mann« erschienen ist. Ist dieser Artikel von Ihnen veranlaßt?


JÜTTNER: Die Aufsätze in »Der SA-Mann« hat die Oberste SA-Führung nicht veranlaßt, sondern dafür war verantwortlich die Schriftleitung. Einen militärischen Charakter hat die SA nicht besessen und auch niemals angestrebt. Wenn, wie gestern gesagt wurde, auch »Der SA-Mann«, die Zeitung, bei der Erziehung und Ausbildung der SA auch als Hilfsmittel herangezogen werden soll, so bezieht sich das...


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Wir wollen diese Argumentation nicht immer wieder hören. Wir wissen sehr wohl, daß Sie sagen, diese Dokumente über die Ausbildung bezogen sich nur auf den Sport; der Zeuge hat dies auch mindestens zwanzigmal im Verlauf seines Verhörs ausgesagt.


RA. BÖHM: Jawohl, Herr Präsident! In irgendeiner Weise muß natürlich der Zeuge, nachdem diese Dokumente gestern eingeführt worden sind, zu dieser Sache Stellung nehmen, Herr Präsident. Und ich muß ihn dazu fragen und muß ihm den Inhalt dieser Dokumente [249] bekanntgeben, wenn überhaupt zu diesen Dokumenten noch Stellung genommen werden soll innerhalb der Beweisaufnahme. Ich finde sonst ja keine andere Gelegenheit mehr.


VORSITZENDER: Er hat genügend Gelegenheit gehabt, sich mit den Dokumenten vertraut zu machen. Sie sind ihm gestern vorgelegt worden.


RA. BÖHM: Sie sind ihm nicht vorgelegt worden, Herr Präsident! Keine Fragen wurden gestellt.


VORSITZENDER: Er sagte gestern, daß das ein Vortrag von Lutze gewesen sei.


RA. BÖHM: Nein, in diesem Dokument nicht, Herr Präsident! Zu der ganzen Dokumentenserie, die hier vorgelegt worden ist...


VORSITZENDER: Wenn Sie dem Zeugen Fragen stellen wollten, anstatt zu argumentieren, würden wir besser vorwärts kommen. Wenn Sie aber keine Fragen stellen wollen, müssen Sie überhaupt mit Ihrem Verhör aufhören.


RA. BÖHM: Jawohl, Herr Präsident.


[Zum Zeugen gewandt:]


In einem weiteren Artikel innerhalb des Dokuments 3050-PS vom 24. März mit der Überschrift: »Wir gehen ins Gelände« heißt es:

»Es ist das wirksamste Mittel in der Hand eines klugen Führers, der heranwachsenden Jugend die Liebe zur Natur in die Herzen zu pflanzen und die Generation zu stählen körperlich und geistig.«

Entnehmen Sie aus diesem Artikel, der ebensowenig wie alle anderen von Ihnen beziehungsweise in Ihrem Auftrage geschrieben worden ist, daß damit eine militärische Einstellung oder eine militärische Ausbildung zum Ausdruck gebracht worden ist?

JÜTTNER: Nein.

RA. BÖHM: In dem Dokument 3050-e-PS wird auf der dritten Zeile gesagt:

»Für den SA-Mann gibt es kein Ermüden, kein träges Ausruhen, sei es im politischen Kampf, sei es im Einsatz zur Erhaltung und Rettung wertvoller Güter der deutschen Volkswirtschaft. Immer ist die SA bereit zur Tat.«

Entnehmen Sie daraus eine militärische Einstellung? Ich weiß nun nicht, wer den Artikel geschrieben hat, jedenfalls ist er auch nicht von Ihnen veranlaßt – kann man aber aus einer derartigen Einstellung, die hier zum Ausdruck gebracht wird, eine militärische Erziehung oder militaristische Einstellung entnehmen?

JÜTTNER: Das wird kein Mensch annehmen, daß man daraus eine militärische Einstellung entnehmen kann oder anstrebt.

[250] RA. BÖHM: Das Dokument 3050-f-PS wird deshalb als militärisches bezeichnet, weil ein Dienstplan enthalten ist, in dem sechs Stunden Ordnungsdienst, drei Stunden Schießsport und sechs Stunden Geländedienst in einem Monat von den SA-Angehörigen gefordert werden.

Ich möchte Sie fragen: Erstens, was wurde im Ordnungsdienst gemacht?


JÜTTNER: Im Ordnungsdienst wurden, wie der Name sagt, Ordnungsübungen geübt für das öffentliche Auftreten der SA bei Großkundgebungen, bei Märschen und dergleichen. Das war eine Selbstverständlichkeit, sogar Notwendigkeit. Wenn man zum Beispiel, wie mir es eben oblag, beim Reichsparteitag 120000 Männer bei Großaufmärschen bewegen soll, dann mußten sie in Ordnungsübungen dazu vorbereitet sein, wenn das überhaupt ein einigermaßen erträgliches Bild abgeben soll. Für alle solche Zwecke und die äußere Haltung des Mannes wurden diese Ordnungsübungen geübt, wie das auch in anderen Ländern der Fall ist.


RA. BÖHM: Und auf was erstreckte sich der Schießdienst?


JÜTTNER: Wir hatten nur Kleinkalibergewehre, und zwar das Sportmodell. Infolgedessen konnten wir nur mit Kleinkaliber schießen; das war ein sportliches Schießen.


RA. BÖHM: Und was wurde im Geländedienst verlangt?


JÜTTNER: Im Geländedienst wurde angestrebt, den Mann auch geistig und willensmäßig zu schulen und die Liebe zur Natur zu wecken. Er sollte durch die verschiedensten Übungen zum Nachdenken gezwungen werden, zu Mutübungen, zu erfinderischem Geist, ähnlich wie bei Motorsportübungen des NSKK der Motorradfahrer im Geländefahren auch trainiert werden sollte zur Überwindung von Hindernissen und geschicktem Verhalten in schwierigem Gelände.


RA. BÖHM: Es ist dann in diesem Dokument ein weiterer Artikel enthalten, in dem es heißt:

»Unterschied zwischen Schuß und Sicht charakterisiert den Unterschied zwischen der Ausbildung der SA und der des Waffenträgers der Nation, der Wehrmacht;«

weiterhin heißt es, daß

»das militärische Geländesehen nur ein Teilausschnitt von dem war, was unter SA-mäßigem Geländesehen zu verstehen ist«.

Ich möchte Sie nun fragen, inwieweit das Gelände sehen der SA mit dem militärischen etwas zu tun hat, insbesondere ob es richtig ist, daß das Geländesehen der SA weit über die militärischen Punkte nicht hinausgegangen ist? Ist es richtig, daß der SA-Mann das[251] Geländesehen keineswegs vielleicht nur aus schießtechnischen Gründen betrachtet und angesehen hat? Ist es richtig, daß er in erster Linie in diesem Geländesehen auch seine Heimat kennenlernte und in dieser Richtung bei Märschen und im Geländesehen erzogen worden ist?

JÜTTNER: Herr Verteidiger! Alle diese Fragen waren in der Tat keine Suggestivfragen. Das ist so klar für jeden SA-Mann, daß unser Geländesehen der SA mit dem militärischen Geländesehen, das rein auf das Militärische abgestellt war, gar nicht zu vergleichen ist, weil wir mit dem Geländesehen und Geländedienst überhaupt eng verbunden haben die weltanschauliche Erziehung des Mannes, nämlich die Liebe zu seinem Heimatboden zu wecken und zu vertiefen. Er sollte durch den Geländedienst vor allem die Schönheiten seiner Heimat kennenlernen, die geschichtliche Bedeutung der Abschnitte, die die Geländeübung umfaßte.

VORSITZENDER: Ich befürchte, Sie haben mich nicht verstanden. Ich glaube, ich sagte Ihnen, daß wir Ihre Argumente, daß die Ausbildung der SA nicht für militärische Zwecke, sondern für andere friedliche Zwecke erfolgte, sehr wohl verstehen. Ihre Argumentation wird nicht durch Wiederholungen bewiesen. Der Gerichtshof will nichts mehr davon hören.


RA. BÖHM: Gewiß, Herr Vorsitzender! Dann kann ich diese nächsten Artikel, die praktisch alle auf das gleiche hinauslaufen und inhaltlich alle das gleiche bedeuten, übergehen. Ich stelle dann weitere Fragen nicht.

Es ist dann gestern das Dokument 4009-PS vorgelegt worden. Es soll beweisen, daß es sich bei der Zeitschrift »Der SA-Mann« um offiziöse Artikel der Obersten SA-Führung handelt. Es ist das auch ein Thema, das wiederholt besprochen worden ist; aber wenn diese Sachen zehnmal vorgelegt werden, Herr Präsident, dann bitte ich, mir auch zehnmal zuzulassen, daß ich dazu Stellung nehme. Diese Dinge sind vor der Kommission bis ins kleinste behandelt worden, sind vor der Kommission bis ins kleinste klargestellt worden, und gestern ist das Dokument wieder vorgelegt worden, und ich werde deshalb gezwungen, dazu noch einmal Stellung zu nehmen, so ungern ich das auch tue, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sie können Fragen über das Dokument an den Zeugen stellen. Ich vermute, daß Sie in Ihrer Sprache einen Unterschied zwischen Kommentieren und Fragestellen machen. Wollen Sie dem Zeugen eine Frage vorlegen?


RA. BÖHM: Jawohl, Herr Präsident!


[Zum Zeugen gewandt:]


Herr Zeuge! Es ist hier ein Dokument vorgelegt worden, geschrieben von dem Pressereferenten der Zeitung »Der SA-Mann« [252] an den Herrn Körbel, der damals Reichsleiter gewesen ist. Er ist veranlaßt worden, einen Artikel zu schreiben. Hatte das mit der Obersten SA-Führung etwas zu tun?

JÜTTNER: Ich habe nicht ganz verstanden. Körbel war nicht Reichsleiter. Der Brief ist gerichtet an wen?

RA. BÖHM: Der Brief ist gerichtet an den Reichsleiter Rosenberg.


JÜTTNER: Ein Brief des Körbel an Rosenberg?


RA. BÖHM: Jawohl.


JÜTTNER: Den hat er in seiner Eigenschaft als Schriftleiter des »Der SA-Mann« geschrieben. Wenn er einen Artikel für den »Der SA-Mann« haben wollte, da war das völlig seine Sache. Wenn er gleichzeitig als Pressereferent der Obersten SA-Führung sich titulierte, dann hatte er in dieser Eigenschaft lediglich die Aufgabe, der übrigen deutschen Presse Nachrichten, die wir gerne veröffentlicht haben wollten, zuzuleiten und für ihre Veröffentlichung dort Sorge zu tragen.


RA. BÖHM: In diesem Brief ist von 750000 Abonnenten die Rede, und es besteht der Verdacht, daß man hier annehmen wollte oder könnte – obwohl das hier nicht zum Ausdruck gebracht worden ist –, daß diese 750000 Angehörige der SA gewesen seien. Können Sie sich dazu äußern?


JÜTTNER: Wie sich die 750000 Abonnenten zusammensetzen, ist mir im einzelnen nicht bekannt. Ich weiß nur, daß die Zeitung, die wir selber mit sehr geteilten Gefühlen betrachtet haben, in SA-Kreisen nur wenig Anklang gefunden hat, infolgedessen auch wenig gelesen worden ist, verhältnismäßig wenig.


RA. BÖHM: Sie wissen aber, daß diese Zeitung dann verboten worden ist?


JÜTTNER: Sie ist im Jahre 1939 verboten worden.


RA. BÖHM: Es ist gestern ein weiteres Dokument vorgelegt worden, EC-366-1. Es ist das ein Bericht des Herrn Köchling als Sonderbeauftragter des OKW beim Jugendführer des Deutschen Reiches in Zusammenhang mit dem Sudetendeutschen Freikorps.

Ich möchte Sie bitten, den Zusammenhang, der hier zwischen der SA und dem Sudetendeutschen Freikorps bestanden hat, aufzuklären.


JÜTTNER: Euer Lordschaft! Ich habe mich hierüber meiner Erinnerung nach vor der Kommission bereits geäußert. Ich selbst war der von der SA für Konrad Henlein bestellte Verbindungsführer.


RA. BÖHM: Herr Jüttner! Einen Moment, das ist geklärt, ich kann es vielleicht abkürzen, indem ich frage: Ist es richtig, daß eine [253] Beteiligung oder Mitarbeit der SA an diesem Sudetendeutschen Freikorps lediglich insoweit der Fall war, als diese Leute in der Zeit, in der sie als Flüchtlinge in Deutschland waren, in der sie auch als Freikorps nicht zusammengestellt waren, wirtschaftlich von der SA unterstützt worden sind, indem der eine oder andere Decken und ein Eßgeschirr bekommen hat, so daß er das Notwendigste bekommen hat, was er als Mensch brauchte, um überhaupt existieren zu können?


JÜTTNER: Es wurde einzelnen Gruppen der Freikorps-Abschnittgruppen von vereinzelten SA-Männern, ohne daß sie Befehle von uns dazu hatten, geholfen, einmal in der Weise, wie das der Verteidiger eben ausgeführt hat. Sie haben für das Zurückführen der Flüchtlinge gesorgt und für die Ausstattung der Freikorpsangehörigen mit dem Notwendigen an Decken, Kochgeschirren und ähnlichem. Und dann haben diese SA-Männer den Männern des Freikorps geholfen bei der Zusammenfassung ihrer Gruppen. Das Freikorps selber besaß keinerlei militärischen Wert. Wenn ich mich drastisch ausdrücken darf, war es eine lose Bande, ein Bandenhaufen, der sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die zum Teil in größter Not zurückströmenden Flüchtlinge aufzunehmen, sie zurückzuleiten in Flüchtlingslager und an der Grenze Zwischenfälle, Überfälle, wie sie tatsächlich vorgekommen sind, zu verhindern, also ihre Landsleute zu schützen. Militärischen Wert besaß dieses Freikorps nicht.


RA. BÖHM: Es ist dann weiter gestern vorgelegt worden ein Dokument 3993-PS. Es ist das ein Schreiben des Stabschefs Lutze an den Reichsleiter Alfred Rosenberg, in dem er sich für eine Gratulation bedankt, die er bekommen hat deswegen, weil ihm die vor- und nachmilitärische Ausbildung der SA übertragen worden war. Dazu ist wiederholt Stellung genommen worden. Ist es richtig, daß es zu dieser vor- und nachmilitärischen Ausbildung soweit gekommen ist, als sie geplant war?


JÜTTNER: Ich habe gestern schon betont, durch den Erlaß Hitlers vom Januar 1939...


RA. BÖHM: Darf ich Sie bitten, ganz kurz, Herr Jüttner?


JÜTTNER:.. war diese Aufgabe der SA übergeben worden. Es ist praktisch...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hat darüber im Kreuzverhör Fragen gestellt. Was hat es für einen Zweck, es nochmals vorzubringen? Er hat seinen Bericht darüber im Kreuzverhör abgegeben.


RA. BÖHM: Herr Vorsitzender! Ich habe gebeten, es nur ganz kurz zu machen. Ich habe es nur der Vollkommenheit wegen getan.


VORSITZENDER: Wozu noch einmal, wenn er es doch schon getan hat? Ob Sie es auch kurz machen oder nicht, er sagt ja doch wieder dasselbe.


[254] RA. BÖHM: Es ist weiter das Dokument D-923 vorgelegt worden. Es sind Ihnen die Fälle...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht, daß Sie einsehen, daß es nicht die Aufgabe des Wiederverhörs ist, die Aussagen des Kreuzverhörs zu wiederholen, sondern nur zu erklären und abzuändern oder klarzustellen – wenn Sie dieses Wort vorziehen –, was im Kreuzverhör gesagt worden ist.


RA. BÖHM: Gewiß, Herr Vorsitzender!


[Zum Zeugen gewandt:]


Es ist Ihnen gestern das Dokument D-923 vorgelegt worden, das die gerichtliche Behandlung der Fälle Pflaumer und Schlögel enthält. Waren Sie bei dem Zustandekommen der Maßnahmen, die das Ergebnis dieses Verfahrens waren, in irgendeiner Weise beteiligt? Haben Sie eingewirkt auf den einen oder den anderen Richter, der hier tätig geworden ist, oder haben Sie grundsätzlich bei allen Verfahren, die zu amnestieren waren, auf dem Standpunkt gestanden, daß die Amnestie beziehungsweise der Amnestieerlaß eine Angelegenheit des Staates ist, und daß Sie sie selbstverständlich auf die Angehörigen der SA anwenden wollten in den Fällen, in denen das möglich war?

JÜTTNER: An diesen beiden Fällen – das habe ich gestern wohl auch schon gesagt – war ich nicht beteiligt, und zwar entzog sich das meiner Kenntnis. Die SA-Führung hat grundsätzlich Missetäter zur Verantwortung gezogen und der Bestrafung zugeführt. Das war ihr Grundsatz; nach dem hat sie sich gerichtet. Bei der Amnestierung hatte sie sich in der Anwendung auch für die SA eingesetzt.

Eines wäre vielleicht hier noch von Wichtigkeit zu erwähnen, daß die Bestrafung der KZ-Bewachung Hohnstein, die gerichtliche Bestrafung, ausdrücklich auf Veranlassung nicht des Reichsstatthalters Mutschmann, sondern des SA-Obergruppenführers von Killinger in die Wege geleitet und durchgeführt worden ist; also die SA-Führung hat die Bestrafung gerade der Hohnstein-Leute veranlaßt und auch durch das Gericht durchführen lassen.


RA. BÖHM: Dann ist gestern weiter vorgelegt worden das Dokument Nummer 784-PS, von dem behauptet worden ist, daß es ein typischer Fall von der Vergewaltigung politischer Gegner sei. Ich habe bei meinem Aktenstudium festgestellt, daß insbesondere auch alte Kämpfer der NSDAP mißhandelt worden sind, wobei es sich zum Beispiel um einen gewissen Stahl handelt, der 1933 zur SS gegangen ist, um einen gewissen Seifert, einen alten Kämpfer aus dem Jahre 1924, den Kreisobmann Krüger von der Deutschen Arbeitsfront und einem Angehörigen der NSDAP seit dem Jahre 1931, namens Ginsk.

In diesem Zusammenhang, Herr Vorsitzender, möchte ich die Herren Vertreter der Anklage bitten, mir die hier fehlenden [255] Schreiben, insbesondere des Stabschefs Lutze und das Schreiben von Heß, das gestern mein sehr verehrter Herr Kollege Seidl erbeten hat, mir auch zukommen zu lassen.

Ich möchte Sie nun bitten, Herr Zeuge, ganz kurz zu dem Fall Stellung zu nehmen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Ich habe danach suchen lassen. Wir haben diese Dokumente nicht, die Antworten des Angeklagten Heß oder des Stabschefs Lutze.


RA. BÖHM: Es wäre dieses Schreiben natürlich äußerst wesentlich gewesen, Herr Vorsitzender, um die Einstellung des Stabschefs Lutze hierzu kennenzulernen.

Ich muß nun noch einmal mit dem Dokument 1721-PS kommen, Herr Präsident, und zwar ist das die Vollzugsmeldung der Brigade 50 an die Gruppe Kurpfalz-Mannheim und der Befehl der Obersten SA-Führung im Zusammenhang mit den im Jahre 1938 möglicherweise gestohlenen oder sonstwie abhanden gekommenen Gegenständen.

Herr Zeuge! Die Situation ist gestern hier im Kreuzverhör so behandelt worden, als ob eine Reihe von Anhaltspunkten stimmten und für die Echtheit der Meldung der Brigade 50 sprächen.

Ich bitte Sie nun, von der Vollzugsmeldung zunächst Kenntnis zu nehmen und oben rechts die drei Buchstaben zu besehen, die auf diesem Dokument enthalten sind, »z. d. A«. Die gleichen Buchstaben sind enthalten auf Ihrem Befehl, der mit »Jüttner« unterzeichnet ist, links unten neben dem Eingangsstempel. Sie sind zwar kein Schriftsachverständiger, aber auch dem Laien ist es möglich festzustellen, ob diese Buchstaben von der gleichen Hand stammen. Ich bitte Sie, sich zunächst dazu zu äußern.

JÜTTNER: Meiner Erinnerung nach bin ich gestern gefragt worden ob ich diese Zeichen sehe. Das habe ich bejaht. Wenn ich sie vergleiche, muß ich sagen, daß auf dem einen Dokument eine andere Handschrift diese Buchstaben geschrieben hat wie auf dem anderen. Das geht aus dem Schnörkel, aus dem sehr auffallenden »A« und »d« besonders hervor; auch das »Z« ist anders.


RA. BÖHM: Also, es ist unschwer für den Laien, dieses festzustellen. Nun darf ich Sie aber auch noch bitten, bei dem Eingangsstempel auf Ihrem Befehl auf der linken Seite unten – und es sind dort eingezeichnet in dem ersten Karo...


JÜTTNER: Ja, ich sehe.


RA. BÖHM:... zwei Zeichen. Ist es wahrscheinlich, daß diese beiden Zeichen, die vielleicht das gleiche bedeuten sollen, von der gleichen Hand geschrieben sind?


[256] JÜTTNER: Bei näherer Betrachtung der Einzeichnungen auf dem Stempel muß man zu dem Ergebnis kommen, daß auch hier nach der Meldung der Brigade 50 der Stempel unecht ist, gefälscht ist.

Die Unterschiede sind so augenscheinlich, das »F« zum Beispiel, das »H« und das schrägstehende »G« oder was das daneben sein soll, deuten darauf hin, daß es nachgemacht ist.


RA. BÖHM: Haben Sie sonst an dem Dokument noch einen Umstand festgestellt...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe jetzt nur noch vier Fragen, die sich mit dem Affidavit von Herrn. Ministerpräsident Dr. Högner, das gestern vorgelegt worden ist, beschäftigen. Und das sind die letzten Fragen.

Herr Zeuge! In der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Högner, die gestern hier verlesen worden ist, heißt es:

»Bereits im Jahre 1922 – ich glaube, es war der sogenannte ›Deutsche Tag von Coburg‹ – beherrschte die SA mit ihren bewaffneten Banden die Straße, machte Überfälle auf die friedliche Bevölkerung – insbesondere auf politisch anders Denkende – und fuhr in Lastwagen zu allen Veranstaltungen der nationalsozialistischen Bewegung.«

Ich möchte Sie nun fragen: Wie lagen die Verhältnisse in Coburg, und wie spielten sich dort die Ereignisse ab? Wer überfiel wen? Bitte fassen Sie sich kurz.

JÜTTNER: Ich habe an dem erstmaligen Heraustreten der SA außerhalb Münchens am Deutschen Tag von Coburg nicht teilgenommen, bin aber durch eine Reihe von Mitarbeitern, die Teilnehmer waren, genau unterrichtet. Lange Zeit vorher schon forderte die gegnerische Fresse dazu auf, diesen SA-Aufmarsch zu verhindern und hetzte dagegen. Bereits bei Abfahrt der Transporte in München kam es zu Zusammenstößen, und die Polizei nahm Durchsuchungen der abfahrenden SA auf Waffen vor. Das gleiche geschah bei dem Eintreffen der Transporte in Coburg. In Coburg war eine Mehrheit der politischen Gegner, SPD und so weiter; die SA war weit in der Minderheit. Daß es dort nicht zu größeren Auseinandersetzungen gekommen ist, ist ausschließlich ihrem disziplinierten Verhalten zuzuschreiben.

Dafür ist gerade Coburg ein klassisches Beispiel. Die Überfälle wurden nicht nur von den Coburger politischen Gegnern, sondern [257] auch von den auswärts Zugeströmten, die sich in größerer Übermacht gegenüber der Stärke der SA befanden, begonnen und durchgeführt.


RA. BÖHM: Dr. Högner sagt in seiner eidesstattlichen Erklärung dann weiter:

»Das Auftreten der SA war umso gefährlicher, als sie selbst von der Reichswehr als eine Art Hilfs truppe ausgebildet wurde und teils eigene geheime Waffenlager besaß, teils Zugang zu den geheimen Waffenlagern der Reichswehr hatte.«

Ist das richtig?

JÜTTNER: Diese Behauptung ist mir geradezu unverständlich. Die Reichswehr hat damals mit Zustimmung der Regierung Ausbildung betrieben, nämlich für Grenzschutzzwecke, besonders nach den Aufständen an der polnischen Grenze zum Schutze der Landesgrenzen. Die Männer, die zur Ausbildung herangezogen waren, wurden aus den Verbänden entnommen: »Stahlhelm«, »Jung-Deutscher Orden«, »Reichsbanner«. Nur eine Organisation war zu dieser Ausbildung nicht zugelassen, das war nämlich die SA, und zwar hauptsächlich auf Betreiben der Zivilbehörden, die meiner Erinnerung nach Herrn Dr. Högners Partei damals außerordentlich nahestanden. Zweitens hat die Reichswehr ebenfalls für die Grenzschutzaufgaben Waffenlager gehalten, und diese Waffenlager hat sie streng geheimgehalten, mit Recht, weil in Deutschland überall Aufstände und Aufruhr – ich denke an Braunschweig, Hamburg und so weiter – aufflackerten, damit diese Waffen nicht in die Hände von Unbefugten fielen. Bei dem Polenaufstand, wo ich selbst in einem Freikorps teilgenommen habe, wurde eines dieser Lager auch mit Zustimmung der dort vorhandenen Interalliierten Kommission benutzt, von der ein englischer Offizier mir besonders nahestand aus dem vorigen Kriege und der uns in der ritterlichsten Form unterstützte. Es ist eigenartig, daß Herr Dr. Högner diese Waffenlager auf die SA überträgt, obwohl er doch eigentlich wissen mußte, daß sein ihm nahestehender Minister Noske die Zustimmung zur Anlegung dieser Lager von der Reichswehr gegeben hat. Drittens habe ich dazu zu sagen, daß zwischen SA und Reichswehr eine außerordentliche Spannung bestand. Das weiß ich von Generaloberst Heye, der der Nachfolger von Generaloberst Seeckt war und den ich aus dem vorigen Kriege her gut kenne. Es geht auch daraus hervor, daß der General von Lossow im November 1923 der General war, der die Aktion in München, die von der SA mitgetragen wurde, zum Scheitern brachte. Es geht aber auch daraus hervor, daß der Generaloberst von Seeckt stark gegen die NSDAP eingestellt war. Das hätte Herr Högner auch wissen müssen, denn über diese Frage hat dann später...

VORSITZENDER: Das ist Auffassungssache.


[258] RA. BÖHM: Das genügt. Meine Frage war nur, ob Sie zu diesen Lagern – wenn diese Lager überhaupt als geheime Reichswehrlager vorhanden waren – Zugang hatten?


JÜTTNER: Nein, kam gar nicht in Frage. Darf ich fortfahren?

RA. BÖHM: Das genügt. Dr. Högner hat in seinem Affidavit dann weiter behauptet, daß am 9. November 1923 Ludendorff in Aussicht genommen war, den Nationalkrieg zu entfesseln. Was ist Ihnen davon bekannt?


JÜTTNER: Ich bitte um Entschuldigung, aber so etwas kann eigentlich nur ein Phantast behaupten. General Ludendorff hat nach dem vorigen Kriege sich für einen freundschaftlichen Ausgleich...


VORSITZENDER: Es genügt, wenn der Zeuge Ihre Frage mit Nein beantwortet. Die Erklärungen sind nichtig.


RA. BÖHM: Jawohl, Herr Präsident!


[Zum Zeugen gewandt:]


Können Sie sich erinnern, daß im Gewerkschaftshaus in München 1933 Waffen gefunden wurden?

JÜTTNER: Jawohl.

RA. BÖHM: Und dann eine letzte Frage: Wie war das Verhältnis der SA zu Himmler?


JÜTTNER: Das Verhältnis des Stabschefs Lutze zu Himmler war denkbar schlecht. Das Verhältnis der SA zur Person des ehemaligen Reichsführer-SS war ausgesprochen schlecht.

Darf ich jetzt zu den gestellten Fragen abschließend noch eine ganz knappe Erklärung abgeben, Euer Lordschaft?


RA. BÖHM: Zu welchen Fragen möchten Sie sich noch äußern?


VORSITZENDER: Herr Dr. Böhm! In Ihrem Plädoyer können Sie natürlich alle von Ihnen gewünschten Argumente vorbringen. Ich glaube nicht, daß dieser Zeuge etwas von sich aus erklären sollte, wenn es keine Antwort auf eine Ihrer Fragen ist, außer er wünscht etwas in seiner Aussage aufzuklären.


RA. BÖHM: Der Zeuge wollte eine Erklärung abgeben zu einigen Fragen, die ich gestellt habe, wenn ich ihn richtig verstanden habe.


VORSITZENDER: Zu welcher Frage wollen Sie sich äußern?


JÜTTNER: Zu der Frage, ob die SA Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit schlechthin begangen hat.


RA. BÖHM: Ich würde bitten, Herr Vorsitzender, diese Erklärung zuzulassen.


VORSITZENDER: Sehr wohl, wenn er sich kurz faßt.

JÜTTNER: Ich werde mich ganz kurz fassen, Euer Lordschaft. Ich möchte zum Abschluß der Fragen, die an mich gestellt wurden, [259] unter meinem Eid versichern, daß wir von der SA nichts Böses getan haben. Wir haben keinen Krieg gewollt und keinen Krieg vorbereitet. Wir von der SA, von der Führung und Organisation, haben nur das getan, was in anderen Ländern von den Männern der anderen Nationen als sittliche Pflicht erwartet wird und das, was Präsident Truman oder Marschall Stalin oder die Staatsmänner von England und Frankreich von ihren Mannschaften erwarten, nämlich alles zu tun zum Schutze der Heimat und zur Erhaltung des Friedens. Wir von der SA haben auch keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Weder hat die Führung solche angeordnet, noch geduldet, noch die Organisation sich welche zuschulden kommen lassen. Wo einzelne Missetaten begangen haben, sollen sie bestraft werden und – das ist auch unser Wille – der gerechten Strafe zugeführt werden.

Wir bitten daher nicht um Gnade oder gar um Mitleid unter Schilderung unserer häuslichen Not. Wir bitten nur um Gerechtigkeit, um weiter nichts, weil unser Gewissen rein ist.

Wir haben gehandelt als Patrioten. Wenn man allerdings Patrioten als Verbrecher stempeln sollte, dann sind wir Verbrecher gewesen.

RA. BÖHM: Danke, ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. OTTO PANNENBECKER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN FRICK: Herr Vorsitzender! Es steht noch ein Dokument für Frick aus, das mir vor dem Ende der Beweisaufnahme bewilligt war, das aber noch nicht eingegangen ist. Ich bitte, das jetzt vorlegen zu dürfen. Es ist die Beantwortung eines Fragebogens von Dr. Konrad in Berlin, der die Einstellung des Innenministeriums zur Kirchenpolitik enthält. Es ist Exhibit Frick-15. Ich glaube, ich darf wohl darauf Bezug nehmen, ohne es im einzelnen zu verlesen.

VORSITZENDER: Jawohl! Der Anwalt für den Angeklagten Funk wollte den Angeklagten noch einmal in den Zeugenstand zurückrufen. Wollen Sie das jetzt tun? Ja, Dr. Stahmer?


DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Herr Vorsitzender! Ich habe am 34. August einen schriftlichen Beweisantrag eingereicht, über den noch nicht entschieden ist und wohl auch noch nicht entschieden sein kann. Ich vermag nicht zu übersehen, ob dieser Beweisantrag noch Berücksichtigung finden wird, wenn ich auf ihn nicht in dem gegenwärtigen Stadium des Verfahrens zurückgreife. Er befaßt sich mit Vorgängen, die in der Sitzung vom 9. August in dem Kreuzverhör des Zeugen Sievers durch die englische Anklagebehörde erörtert wurden. Bei dieser Gelegenheit wurde der Angeklagte Göring in Verbindung gebracht [260] mit medizinischen Versuchen, die an Konzentrationslagerhäftlingen durchgeführt wurden. Und zwar handelt es sich um Versuche, Meerwasser trinkbar zu machen, um ein Mittel zur Bekämpfung von Fleckfieber zu erproben und schließlich um Versuche mit Unterkühlung. Diese Versuche sollen an Konzentrationslagerhäftlingen vorgenommen worden sein, und es wurde behauptet, daß das alles auf Anweisung beziehungsweise mit Genehmigung von Göring erfolgt sei. Ich will nun den Beweis erbringen dafür, daß Göring diese Versuche nicht angeordnet hat, sie demnach in seinem Auftrag nicht vorgenommen worden sind und daß er nicht einmal Kenntnis von solchen Vorgängen gehabt hat.

Dafür habe ich als Zeugen benannt einmal den Generaloberstabsarzt der Luftwaffe Dr. Schröder, der sich in englischer oder amerikanischer Gefangenschaft befinden soll; und ich habe dafür ferner benannt den Angeklagten Göring selbst als Zeugen, weil es ja un gewiß ist, ob es gelingen wird, den Zeugen Schröder rechtzeitig zu beschaffen. Ich bitte daher um die Erlaubnis, Göring nochmals auf den Zeugenstand rufen zu dürfen, damit ich ihn zu diesen eben angeregten und umrissenen Fragen noch als Zeugen vernehmen kann.


VORSITZENDER: Möchten Sie bitte dem Gerichtshof die Stelle des Protokolls angeben, wo der Angeklagte Göring über diese Experimente aussagt.


DR. STAHMER: Herr Vorsitzender! Ich habe das versucht, ich will das noch nachweisen. Ich hatte bisher das Protokoll noch nicht bekommen; es sind diese Urkunden vorgelegt worden in der Nachmittagssitzung am 9. August. Die einzelnen Nummern habe ich noch nicht bekommen können, ich werde sie aber heute noch nachreichen.


VORSITZENDER: Sie haben mich mißverstanden. Ich bat Sie um einen Hinweis auf das Protokoll, wo Göring selbst über diese Experimente, wie ich vermute, ganz allgemein befragt wurde.


DR. STAHMER: Jawohl, er ist schon im allgemeinen dazu gehört worden, und dazu hat sich auch der Zeuge Milch im allgemeinen ausgelassen. General Milch ist dazu am 8. März 1946 gehört worden...


VORSITZENDER: Jawohl, Dr. Stahmer.

DR. STAHMER: Generalfeldmarschall Milch ist dazu gehört worden am 8. März 1946 (Band IX, Seite 61/62 des Sitzungsprotokolls). Ich mache aber darauf aufmerksam, daß Feldmarschall Milch nur zu einem Teil dieser Fragen sich ganz allgemein geäußert hat. Es sind jetzt aber ganz spezielle Vorwürfe erhoben worden, die mir damals nicht bekannt waren und zu denen ich weder den Angeklagten Göring noch den Zeugen Milch habe vernehmen können.


VORSITZENDER: Ich wollte, abgesehen von General Milch, wissen, auf welcher Seite im Protokoll sich Göring mit dieser [261] Angelegenheit befaßt hat, sei es in direktem Verhör, im Kreuzverhör oder im Wiederverhör.


DR. STAHMER: Das kann ich noch nicht sagen, ich werde es aber sofort nachreichen.


VORSITZENDER: Dann wollen wir darüber beraten.

Hat die Anklage irgendwelche Bemerkungen zu dem Antrag zu machen, der für den Angeklagten Göring soeben gestellt worden ist?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Es ist das erstemal, daß ich etwas über diesen Antrag höre, daher spreche ich aus dem Gedächtnis.

Wenn ich mich recht erinnere, hat die Anklagevertretung in Bezug auf diese Experimente einen Briefwechsel vorgelegt, das war beim Kreuzverhör des Feldmarschalls Milch durch Justice Jackson, so daß, als der Angeklagte Göring als Zeuge auftrat, ihm die Frage seiner Verbindung mit den Experimenten bekannt war; er hätte sie also damals erörtern können. Herr Vorsitzender! Ich möchte dasselbe tun, was, wie ich glaube, der Gerichtshof wünscht, nämlich zu prüfen, wie weit er sich damit beschäftigt hat; sollte sich irgendein weiterer Punkt hierbei ergeben, so könnte ich dies dem Gerichtshof vielleicht später mitteilen.


VORSITZENDER: Könnten Sie das gegen Schluß der Sitzung tun?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Herr Vorsitzender! Ich werde es gleich nachsehen lassen.


VORSITZENDER: Vielleicht könnte uns auch Dr. Stahmer sagen, um welche Seiten im Protokoll es sich handelt. Vielleicht um 1.00 Uhr oder 2.00 Uhr, lieber wäre uns um 1.00 Uhr.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das würde uns eine große Hilfe bedeuten.


DR. SAUTER: Mit Genehmigung des Gerichts rufe ich den Angeklagten Funk auf den Zeugenstand.


[Der Angeklagte Funk betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Angeklagter! Sie sind sich bewußt, daß Sie noch unter Eid stehen.

WALTHER FUNK: Ja.


VORSITZENDER: Sie können sich setzen.


DR. SAUTER: Herr Dr. Funk! Verstehen Sie mich so?


FUNK: Ja.


DR. SAUTER: Herr Dr. Funk! Ich muß Sie heute vernehmen über dieses Affidavit, das die Anklage in der vorigen Woche von dem früheren SS-Obergruppenführer Pohl von den KZ-Lagern vorgelegt hat. Sie selber sind über diesen Komplex bereits am 7. Mai hier vernommen worden. In dieser Vernehmung vom 7. Mai haben [262] Sie auf eine Frage erklärt, daß Sie seinerzeit diesen SS-Gruppenführer Pohl einmal gesehen haben, und zwar – ich zitiere hier aus dem Protokoll vom 7. Mai:

»Ich habe ihn einmal in der Bank gesehen, als er mit Herrn Pohl« – das ist der Vizepräsident der Bank – »oder mit anderen Herren des Direktoriums zu Mittag aß. Ich ging durch den Raum und sah ihn dort sitzen. Ich persönlich habe mit Herrn Pohl« – das ist der Gruppenführer der SS – »niemals über diese Dinge gesprochen. Es ist mir völlig neu, daß solche Dinge gemacht worden sind.«

Das ist das wörtliche Zitat aus Ihrer Aussage vom 7. Mai. Nun hat der Gruppenführer Pohl in dem Affidavit, 4045-PS, das hier am 5. Mai vorgelegt worden ist, angegeben, er habe zweimal mit Ihnen gesprochen. Können Sie sich an das andere Gespräch, von dem Sie uns seinerzeit noch nichts gesagt haben, jetzt erinnern? Ja oder nein?

FUNK: Nein.

DR. SAUTER: Was können Sie von diesem anderen Gespräch bezüglich der Angaben des Gruppenführers Pohl sagen, Herr Zeuge? Ich meine hier jetzt das Gespräch, bezüglich dessen der Obergruppenführer Pohl erklärt hat, er habe mit Ihnen gesprochen im Auftrage Himmlers, damit Sie als Reichswirtschaftsminister die SS bei der Zuteilung von Textilien, wahrscheinlich für Uniformen, bevorzugt berücksichtigen sollen. Was können Sie zu dem Komplex sagen?


FUNK: Nach meiner Überzeugung hat dieses Gespräch nicht stattgefunden. Ich kann mich jedenfalls beim besten Willen an ein solches Gespräch mit Pohl nicht erinnern. Es spricht auch vieles dagegen. Erstens habe ich mich mit derartigen Spezialfragen, wie der Zuteilung von Textilkontingenten an eine Waffengattung, niemals zu beschäftigen gepflegt. Zweitens pflegte ich derartige Gespräche stets in Gegenwart meines Staatssekretärs oder des zuständigen Abteilungsleiters und Fachreferenten zu führen, insbesondere, wenn es sich um ein Gespräch gehandelt hätte mit einem Menschen, den ich bisher noch gar nicht kannte. Ich bin mit der Frage der Lieferung von Alttextilien aus Konzentrationslagern überhaupt niemals beschäftigt worden. Diese Dinge wurden behandelt im Aufgabengebiet des Reichskommissars für Altmaterialverwertung. Das war eine Dienststelle außerhalb des Ministeriums. Diese Stelle arbeitete naturgemäß mit dem Textilreferat des Ministeriums zusammen. Nach meiner Überzeugung gingen die Dinge so vor sich, daß die in den Sammellagern befindlichen Altmaterialien, also Alttextilien, direkt an die Betriebe gingen, die solche Materialien verarbeiteten. Ich bin also der Überzeugung, daß auch die Beamten des Wirtschaftsministeriums von derartigen Lieferungen aus den Konzentrationslagern nichts wußten. Denn vorher wurden ja diese [263] Materialien schon von der Wirtschaftsabteilung der SS, die unter Leitung von Pohl stand, gesammelt. Ich habe bis zu diesem Prozeß gar nicht gewußt, daß Pohl die Konzentrationslager unterstanden. Ich kannte die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaftsabteilung der SS und den Konzentrationslagern überhaupt nicht. Diese Lieferungen von Altmaterialien spielten im Verhältnis zu der Gesamtproduktion auch keine so entscheidende Rolle, daß man mich damit überhaupt befaßt hat. Aber ich unterstelle einmal, daß Herr Pohl bei mir war. Mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, insbesondere nicht nach den jahrelangen Krankheiten, die ich durchgemacht habe, so daß mir ein solcher Besuch, der, wie Pohl sagt, nur wenige Minuten gedauert haben soll, entfallen sein könnte. Wenn Pohl mir einen solchen Wunsch Himmlers zum Ausdruck gebracht hätte, dann hätte ich diese Angelegenheit bestimmt an meinen Staatssekretär weitergegeben zur Erledigung. Ungeheuerlich ist nun aber die Behauptung von Pohl, daß er mir in diesem Zusammenhange etwas von toten Juden erzählt haben will, von denen die Lieferungen angeblich kamen, die die SS als Altmaterialien abgab. Es soll im Jahr 1941, vielleicht auch 1942 gewesen sein. Daß Pohl mir, den er gerade zum erstenmal sah, ein bis zum Schluß auf das strengste behütetes Geheimnis mitteilen sollte, ist schon an sich unglaublich. Aber er hatte gar keine Veranlassung, mich auf die toten Juden hinzuweisen, denn, wenn er mir sagte, es kommen größere Lieferungen von der SS, so war mir das sehr plausibel, da ja in dem großen Bereich der SS, wo Hunderttausende von Menschen kaserniert waren und öffentlich bekleidet wurden, fortlaufend Altmaterialien an Textilien, Decken, Uniformen, Wäsche und so weiter...


VORSITZENDER: Das ist eine Argumentation, keine Aussage über Tatsachen.

FUNK: Jedenfalls bestreite ich ganz entschieden, daß Pohl mir eine solche Mitteilung gemacht hat. Ich bezeichne dies als eine Lüge und als eine Verleumdung, denn ich habe bis zu diesem Prozeß von keinem Menschen etwas erfahren, es hat niemand mit mir darüber gesprochen, daß in den Konzentrationslagern die Juden ermordet worden sind.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Das ist der eine Punkt, über den ich Sie vernehmen wollte.


FUNK: Ich hätte eine solche Mitteilung auch nicht auf sich beruhen lassen, sondern ich hätte mich sofort an meine vorgesetzte Dienststelle gewandt – das war der Beauftragte für den Vierjahresplan – und hätte ihm davon Mitteilung gemacht.


DR. SAUTER: Herr Zeuge! Das ist der eine Punkt. Ich glaube, er ist durch Ihre Vernehmung genügend geklärt, und ich möchte jetzt zum zweiten Punkt übergehen, und bitte Sie, sich auch hier so kurz zu fassen, daß wir bis 1.00 Uhr, wenn möglich, fertig sind.

[264] Herr Zeuge! Sie haben schon im Mai bei Ihrer Vernehmung – ich glaube, es war am 6. Mai – erklärt, daß Sie den SS-Gruppenführer Pohl einmal beim Mittagessen in der Reichsbank, im Kasino der Reichsbank getroffen haben. Auf dieses Gespräch – das möchte ich Ihnen vorhalten – hat der Zeuge Pohl in einem Affidavit, Dokument 4045-PS, auch Bezug genommen; er sagt hier – ich lasse alles andere weg –, daß er mit Puhl, mit Ihrem Vizepräsidenten, gesprochen haben soll. Denn darüber wissen Sie ja nichts, es wäre also nur Zeitverschwendung, wenn ich das von Ihnen fragen würde. Ich halte Ihnen nun vor, was er über Sie sagt. Er sagt im Protokoll vom 5. August in der Wiedergabe:

»Nachdem wir« – also der Gruppenführer Pohl und der Vizepräsident Pohl und einige andere Herren – »in den Gewölben der Reichsbank die verschiedenen Wertsachen besichtigt hatten, gingen wir hinauf in ein Zimmer, um mit dem Reichsbankpräsidenten Funk zu Mittag zu essen; es war für die Zeit nach der Besichtigung arrangiert. Es nahmen außer Funk und Puhl« – das ist Ihr Vizepräsident – »die Herren meines Stabes teil« – des Stabes Pohl –. »Wir waren ungefähr 10-12 Personen. Ich saß nächst zu Funk und« – da bitte ich jetzt besonders acht zu geben, Herr Zeuge – »und wir unterhielten uns unter anderem Über die Wertsachen, die ich in seinem Gewölbe« – also im Gewölbe der Reichsbank meinte er – »gesehen habe.«


VORSITZENDER: Herr Dr. Sauter! Wir haben diese Aussage neulich gehört. Könnten Sie dem Zeugen nicht die Umstände vorhalten und ihn fragen, ob es wahr ist oder nicht. Sie brauchen doch nicht alles vorzulesen.

DR. SAUTER: Ich lese ja nur die zwei Sätze vor, die sich auf den Angeklagten beziehen. Es sind nur zwei Sätze. Alles andere lasse ich ja ohnehin weg. Aber ich muß ihm das natürlich vorlesen, damit er genau weiß, was der Pohl gesagt hat. Was ich bisher vorgelesen habe, Herr Präsident, ist der eine Satz, und jetzt kommt ein ganz kurzer zweiter Satz, der sagt:

»Bei dieser Gelegenheit kam es klar zum Ausdruck, daß ein Teil der Wertsachen, die wir besichtigt hatten, von Konzentrationslagern stammte.«

Das ist das Ende des Zitats und damit das Ende des zweiten Satzes.

Herr Zeuge! Sie haben gehört, was Pohl, dieser Gruppenführer, in seinem Affidavit behauptet. Stimmt das, oder stimmt das nicht? Das können Sie mit Ja oder Nein beantworten, und wenn nein, dann können Sie die Erklärung dazu geben.

FUNK: Daß er sich bei diesem Frühstück mit mir unterhalten hat, daran erinnere ich mich. Daß er mit mir über die von der SS [265] eingelieferten Wertgegenstände gesprochen hat, daran erinnere ich mich nicht. Aber bestimmt weiß ich, daß er nicht mit mir über diejenigen Wertsachen gesprochen hat, die ich gar nicht kannte, also über den Teil der Einlieferungen der SS, die nicht zur Verwertung für die Reichsbank eingeliefert wurden, sondern zur Verwertung für das Reichsfinanzministerium, also Goldsachen und Schmuck und alles, was dabei war; diese Dinge kannte ich nicht; diese Dinge habe ich nicht gesehen, und über diese Dinge hat sich Pohl mit mir nicht unterhalten, denn dann hätte ich ja über sie Bescheid gewußt, hätte mich danach erkundigt. Es ist nun völlig ausgeschlossen, daß Pohl mit mir in Gegenwart von zwölf Herren, worunter vielleicht noch drei oder vier oder fünf Reichsbankdirektoren waren, und in Gegenwart des Bedienungspersonals darüber sprach, daß diese Dinge aus Konzentrationslagern kommen und womöglich von ermordeten Juden stammen. Daß von der SS Gold, Devisen, Noten und Wertpapiere abgeliefert wurden und daß solche Dinge auch aus Konzentrationslagern kamen, das wußte ich und habe ich auch mit Pohl besprochen. Das war der Ausgangspunkt dieser ganzen furchtbaren Angelegenheit, indem Himmler mich bat, ihm für diese Dinge, die beschlagnahmt worden waren, in der Reichsbank Tresorraum zur Verfügung zu stellen und ich Himmler selbst gebeten habe, dieses für das legale Reichsbankgeschäft in Frage Kommende vorbereiten zu dürfen. Aber über die anderen Dinge habe ich nichts Näheres gewußt, kannte also nichts über die Art, Umfang und ganz und gar nicht ihre Herkunft.

DR. SAUTER: Zeuge! Ich möchte eine letzte Frage abschließend an Sie stellen, damit das ganz klar wird: Wann haben Sie erfahren, daß zum Beispiel diese Brillenfassungen oder diese Goldzähne und dergleichen, also diese Dinge außer den Goldmünzen und den Devisen, die ablieferungspflichtig waren, daß solche häßlichen Dinge in Ihre Reichsbank gekommen sind? Wann haben Sie zum erstenmal davon erfahren? Sie sagen hier unter Eid aus.


FUNK: Hier im Prozeß.


DR. SAUTER: Jawohl. Können Sie das mit gutem Gewissen beschwören?


FUNK: Ich kann es beschwören. Herr Dr. Sauter, ich muß aber da hinzufügen...


VORSITZENDER: Er hat das bereits ausgesagt.


DR. SAUTER: Es war nur eine kurze Frage.


FUNK: Das, was natürlich im Depot der SS lag, das wußte ich nicht, das habe ich nie gesehen. Daß darin auch andere Dinge sein konnten wie Devisen, Gold und Effekten, das war mir schon klar...


DR. SAUTER: Das haben Sie sicher bereits klargestellt.

Danke sehr, Herr Präsident, ich habe keine weiteren Fragen.


[266] MR. DODD: Sie sagen uns nunmehr, daß Sie von den Golddepots und Juwelen, die aus Konzentrationslagern kamen, wußten. Ist das richtig?

FUNK: Wußte ich nichts, nein.


MR. DODD: Sie haben nichts davon gewußt? Dann muß ich Sie falsch verstanden haben. Ich dachte, Sie sagten soeben dem Gerichtshof, Sie hätten von diesen Golddepots und Halbedelsteinen und Juwelen, die Ihnen durch Himmler übergeben wurden, gewußt.


FUNK: Das wußte ich nicht. Nein, das wußte ich nicht. Ich habe nur gesagt: das, was in den Depots der SS war; daß die SS solche Depots bei uns hatte, war mir wohl bekannt, aber was in den Depots war, wußte ich nicht, denn ich habe diese Dinge nie gesehen, und es hat mich auch niemand über den Umfang, die Art und die Herkunft dieser Gegenstände unterrichtet.


MR. DODD: Sie erinnern sich wohl, daß ich, als Sie vor dem Gerichtshof am 7. Mai aussagten, Sie fragte, ob Sie etwas über die Goldeinlieferungen wußten, die aus Konzentrationslagern stammten (Band XIII, Seite 186). Damals erklärten Sie, Herr Puhl habe Ihnen eines Tages berichtet,

»daß von der SS ein Golddeposit angekommen ist, und er sagte weiterhin etwas ironisch, am besten ist, wir stellen nicht fest, was das ist.«

Das war Ihre eigene Aussage in diesem Gerichtssaal, im gleichen Stuhl und vor dem gleichen Gerichtshof vor ein oder zwei Monaten. Nun wußten Sie doch, daß etwas Anrüchiges an diesen Lieferungen war, als Ihnen Direktor Puhl sagte, daß es am besten sei, nicht zu versuchen festzustellen oder zuviel zu wissen, woraus diese Lieferungen bestehen. Was haben Sie nun heute vormittag dazu zu sagen? Was sind die wirklichen Tatsachen?

FUNK: Ich habe diese Aussage insofern bereits berichtigt, als die erste Unterredung über diese Vorgänge zwischen Himmler und mir stattfand, indem Himmler mir sagte, daß die SS erhebliche Werte beschlagnahmt habe im Osten und daß darunter auch Werte seien, die für die Reichsbank interessant seien, wie Gold, ausländische Münzen, ausländische Noten, Wertpapiere und andere Devisen.

Ich habe ihn daraufhin gebeten – das habe ich auch ausgesagt –, jemand zu beauftragen, der mit dem Vizepräsidenten Puhl diese Dinge bespricht. Daraufhin hat Himmler Pohl zu Puhl geschickt, nachdem ich vorher Puhl von dem Gespräch mit Himmler unterrichtet hatte. Als dann die Dinge ankamen, als dann die ersten Einlieferungen wahrscheinlich ankamen und in die Depots eingeliefert wurden, da hat Puhl zu mir gesagt: »Es sind jetzt von der SS Einlieferungen ins Depot vorgenommen worden« – und dabei hat er irgendeine etwas sarkastische Bemerkung gemacht –, »wer weiß, [267] was da alles drin ist.« Das entspricht ungefähr dem, was ich hier ausgesagt habe.


MR. DODD: Sie haben auch, und zwar am gleichen Tage und als Antwort auf die nächste Frage, dem Gerichtshof erklärt:

»Ich habe aber angenommen, daß es sich um ein Golddeposit handelte, daß dieses Golddeposit aus kleinen Münzen oder ausländischem Geld oder ähnlichem bestand, das von den Insassen der Konzentrationslager abgeliefert wurde...«

Sie hatten also einiges Wissen über die Quelle und die Herkunft dieser Deposits, nicht wahr? Sie wußten, woher sie kamen, und das ist alles, was wir hier feststellen wollen. Sie hatten, gelinde gesagt, eine ziemlich gute Kenntnis.

FUNK: Das brauchte nicht allein aus den Konzentrationslagern zu kommen. Aber, daß die Insassen der Konzentrationslager...

MR. DODD: Einen Augenblick! Wir brauchen uns darüber überhaupt nicht zu streiten. Was ich festzustellen versuche, ist die Tatsache, daß Sie selber dem Gerichtshof erklärten, Sie nahmen an, die Dinge stammten von den Insassen der Konzentrationslager. Das ist Ihre eigene Aussage vom 7. Mai.


FUNK: Nicht das Gold allein, sondern auch Devisen, Noten und alles, was für den legalen Geschäftsverkehr der Reichsbank in Frage kam von diesen Dingen. Daß das auch aus Konzentrationslagern stammen könnte, war mir klar, denn den Insassen der Konzentrationslager mußten ja diese Dinge genau so abgenommen werden wie jedem anderen Menschen. Das war mir klar. Nur die anderen Dinge habe ich nicht gekannt, die also für das Reichsfinanzministerium bei der Reichsbank eingeliefert wurden; von den Abmachungen zwischen dem Finanzministerium und der SS ist mir nichts bekannt gewesen.


MR. DODD: Wollen wir sehen, ob Sie davon wußten oder nicht. Sie waren hier im Gerichtssaal, als Herr Elwyn Jones von der Britischen Anklagevertretung das Dokument 4024-PS vorlegte, das von der Aktion »Reinhardt« handelt. Sie haben zugehört, als dieses Dokument hier besprochen wurde, nicht wahr?


FUNK: Ja.


MR. DODD: Dieses Dokument liegt dem Gerichtshof vor. In dieser Aktion allein – und wir wissen nicht einmal, ob das alles ist – wurde eine Gesamtsumme von RM. 100.047.000.- entweder bei der Reichsbank oder im Wirtschaftsministerium deponiert. Dies nur aus dieser einen Aktion. Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß dieser Betrag von über 100 Millionen Reichsmark im Laufe eines Jahres, oder zum mindesten eines Jahres, in Ihrer Bank deponiert oder diese Werte gutgeschrieben worden sind, ohne daß Sie als Reichsbankpräsident etwas davon wußten? Sie hätten doch davon wissen müssen, nicht wahr?


[268] FUNK: Darf ich die Summe noch einmal hören? Es scheint nicht richtig übersetzt worden zu sein.


MR. DODD: Wir brauchen nicht auf den Pfennig zu gehen. Es waren über 100 Millionen Mark.


FUNK: Eine Million?


MR. DODD: Nein, 100 Millionen.


FUNK: 100 Millionen Mark an Devisen? Das ist völlig ausgeschlossen. Das ist ja absurd.


MR. DODD: Aber das Dokument zeigt es.


FUNK: Wo sollen da 100 Millionen herkommen? Das ist absurd.


MR. DODD: Nett, daß Sie sich darüber freuen! Aber wollen wir etwas weitergehen. Dieses Dokument der SS-Männer besagt weiter, daß es sich um eine Summe von 500000 amerikanischen Dollars handelte. Hätten Sie nicht wissen müssen, daß derartige Gelder in Ihre Bank eingelegt wurden oder Ihnen zur Verfügung standen? Ich nehme an, das ist ziemlich viel Geld für Deutschland im Jahre 1943, in Dollars.


FUNK: Sicherlich! Aber ich erinnere mich nicht, daß mir jemals davon etwas berichtet worden ist, von diesen 500000 Dollars. Es ist das eine Summe, über die man mit mir schon hätte sprechen können; das gebe ich zu. Aber es ist nicht gesprochen worden mit mir.


MR. DODD: Sie wissen, daß das Dokument weiterhin Geld aus praktisch jedem Land der Welt aufführt, und zwar in großen Mengen. Sie wissen das, nicht wahr? Sie wissen, daß dieses Geld Ihrer Bank von der SS in sehr großen Summen übergeben wurde – 500000 Dollar, Tausende von britischen Pfunden, Francs und Geld aller Art. Sie mußten sicherlich wissen, daß dieses Geld im Jahre 1943 in Ihre Bank eingebracht wurde, auf Grund des so hohen Betrages mußten Sie auch wissen, woher es kam. Was sagen Sie dazu?


FUNK: Daß von der SS auf Grund der hier erörterten Aktion Valuten, also Devisen und Noten und Goldmünzen und was weiß ich noch alles, an die Reichsbank eingeliefert wurden, wußte ich. Der Umfang dieser Einlieferungen ist mir nicht gemeldet worden. Ich erinnere mich jedenfalls daran nicht. Die zusammengefaßte Summe kenne ich jedenfalls nicht. Ich bin erstaunt, daß es so viel ist.


MR. DODD: Ja, wir auch. Wichtig ist hier, daß Sie als Chef dieser Bank doch unmöglicherweise – stimmen Sie mir darin nicht zu – über diese Summen in Unwissenheit geblieben sein konnten. Sie waren dort doch sicherlich mehr als ein Dekorationsstück. Und gerade aus diesem Grunde muß doch der Gerichtshof und auch jeder andere annehmen, daß Sie über die Depots solch großer Summen Bescheid wissen mußten, besonders über Devisen. Meines Erachtens ist Ihre Antwort absolut nicht zufriedenstellend. Ist das Ihre ganze [269] Antwort, daß Sie sich nicht mehr daran erinnern oder daß Sie überhaupt nichts davon wußten, oder beides?


FUNK: Die zuerst genannte Summe von 100 Millionen Mark halte ich für absolut absurd. Die zweite Summe von 500000 Dollars halte ich für möglich. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, daß solche Summen bei den ganzen Aktionen den Menschen abgenommen wurden, die zum Beispiel in Konzentrationslager eingeliefert wurden und auch sonst in den Aktionen...


MR. DODD: Nun, ich frage Sie nicht, ob es möglich ist, daß sie abgenommen wurden; wir wissen, daß sie abgenommen wurden.


FUNK: Ich wußte, daß das normalerweise weggenommen werden mußte. Das war klar. Aber die Summe als solche ist mir nicht genannt worden. Die kenne ich nicht, das wußte ich nicht.


MR. DODD: Ich will nicht all diese Dokumente durchgehen, aber Sie haben wahrscheinlich die Liste der aufgeführten Artikel gelesen, von den Tausenden von Weckern und Füllfederhaltern? Sie wußten als Wirtschaftsminister davon, nicht wahr?


FUNK: Davon habe ich kein Wort gewußt.


MR. DODD: Wußten Sie, daß die Million Waggons an Textilwaren, die diese SS-Männer angaben, verschickt oder gelagert zu haben, aus der Bekleidung von toten Juden und anderen Konzentrationslagerhäftlingen stammten, die vernichtet wurden. Als Wirtschaftsminister mußten Sie doch etwas davon wissen?


FUNK: Nein, davon habe ich kein Wort gewußt. Ich habe die Erklärung dafür abgegeben hier, weil diese Dinge an den Reichskommissar für Altmaterialverwertung gingen und weil sie zu den einzelnen Betrieben aus den Sammellagern direkt kamen. Mich hat über beschlagnahmte Textilien aus Konzentrationslagern nie ein Mensch mit einem Wort unterrichtet.


MR. DODD: Gut...


FUNK: Darf ich zu der Reichsbanksache noch etwas sagen? Ich stehe hier ja selbst, ich möchte fast sagen, vor einem unbegreiflichen Ereignis, vor einem Rätsel. Daß ich über diese Lieferungen von Pretiosen, Perlen und so weiter nicht unterrichtet worden bin, hat seinen Grund wahrscheinlich darin, daß diese Dinge nicht für die Reichsbank abgeliefert wurden, sondern daß die Reichsbank hier nur Abrechnungsstelle war und daß infolgedessen mir darüber niemand Näheres gesagt hat. Aber ich trage die Verantwortung für alles, was in der Reichsbank geschehen ist, als Präsident zusammen mit den Herren des Direktoriums. Wenn aber hier Beamte Verdacht schöpfen mußten, daß hier Dinge vorkamen, die auf Grund verbrecherischer Handlungen vorgekommen sind, dann war es ihre Pflicht, mir offen und klar das zum Ausdruck zu bringen und nicht, [270] wie es einmal – wie mir jetzt auch in Erinnerung ist – Herr Wilhelm in einem Gespräch getan hat, als er davon sprach, daß das eine schwere Verantwortung für die Beamten wäre – eine schwere Belastung, so etwas hat er gesagt – eine schwere Belastung für die Beamten wäre. Wie sollte ich denn damals, wo ich von den Dingen nichts kannte, wie sollte ich darauf kommen, daß es sich hier um eine moralische Belastung handelt.


MR. DODD: Ich weiß nicht, wie lange Sie darüber noch reden wollen, aber was mich betrifft, so haben Sie mir bereits alle Auskünfte gegeben, die ich benötige.

Herr Vorsitzender! Ich glaube nicht, daß dies dem Gerichtshof sehr viel nützt. Diese Art von Erklärung ist keine Antwort auf irgendeine meiner Fragen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich will vor der Mittagspause nur noch ein oder zwei Fragen an Sie stellen.

Haben Sie jemals mit dem Finanzminister Oswald Pohl irgendwelche Schwierigkeiten gehabt? Er ist der Mann, der erklärte, er hätte darüber mit Ihnen gesprochen, sogar über die widerliche Tatsache, daß die Kleider von toten Juden stammten? Oder hatten Sie in Ihrem Leben Schwierigkeiten mit ihm, solche persönlicher Art?

FUNK: Ich habe mit Pohl, soweit ich mich erinnere, überhaupt nur einmal gesprochen, und bei mir war er vielleicht zweimal.

MR. DODD: Die Antwort ist also nein, stimmt das?


FUNK: Nein.


MR. DODD: Nun, Sie haben natürlich dieses Affidavit gesehen. Er gibt da in allen Einzelheiten an, wann er Sie sah, wo er Sie sah, wer sonst noch zugegen war, selbst die Zahl der Leute, die bei Ihrem kleinen Essen im Speisesaal dort waren. Wissen Sie irgendeinen Grund, warum er sich solche Aussagen wie diese gegen Sie erdichten sollte? Sollten sie Ihnen oder dem Gerichtshof helfen? Können Sie überhaupt irgendeine Vermutung, ein Motiv, eine Ursache angeben, warum er so furchtbar über Sie lügen sollte?

FUNK: Das ist meines Erachtens ein rein psychologischer Grund, weil Menschen, die in einer so furchtbaren Situation sind wie Pohl, die hier des Mordes an Millionen angeklagt werden, üblicherweise – das kennen wir auch – andere zu belasten pflegen.


MR. DODD: Darf ich Sie unterbrechen? Sie wollen sagen, daß er in der gleichen Lage ist, in der Sie sich befinden?


FUNK: Nein, ich betrachte mich nicht als Millionenmörder.


MR. DODD: Nun, ich will mich mit Ihnen darüber nicht streiten. Ich wollte Ihnen die Gelegenheit geben, dem Gerichtshof einen Grund anzugeben, den Sie gehabt haben mochten – und ich glaube, Sie haben einen. Dann noch eine andere Sache. [271] Ich möchte Sie fragen – wir haben darüber keinerlei Zweifel: Obwohl es sich um Millionen von Wertgegenständen gehandelt haben muß, die den Leuten, die in Konzentrationslagern getötet wurden, abgenommen und von Ihrem Wirtschaftsministerium mit Unterstützung Ihrer Reichsbank erbeutet wurden, wünschen Sie, daß wir Ihrer Aussage entnehmen sollen, Sie hätten nichts davon gewußt? Können Sie das kurz mit Ja oder Nein beantworten? Habe ich recht mit meiner Formulierung? Sie wußten nichts davon?


FUNK: Habe ich nie behauptet, daß ich gar nichts davon wußte. Ich habe immer gesagt, daß ich wußte, daß von der SS beschlagnahmte Werte ins Depot zur Reichsbank kamen und daß Devisen, Gold und andere ausländische Effekten und Noten von der Reichsbank verwertet wurden. Daß ich aber nichts wußte...


MR. DODD: Einen Augenblick bitte! Ich glaube nicht, daß Sie meine Frage mißverstanden haben. Ich fragte Sie vorerst nur über die Textilien. Ich glaube, Sie erklärten dem Gerichtshof, Sie wüßten von den Textilien. Sie wußten überhaupt nichts über die Textiltransaktion?


FUNK: Nein! Ich wußte nicht, daß Textilwaren von den Konzentrationslagern in diesem Umfange zur Verwertung...


MR. DODD: Das ist alles, was ich zu hören wünsche, das ist Ihre Antwort.

Tausende anderer Artikel persönlicher Art, wie Armbanduhren, Füllfederhalter, Damenhandtaschen, allerlei Juwelen und Schmuck, ein enormer Teil davon floß nach der Aussage offenbar durch Ihr Wirtschaftsministerium mit Hilfe der Reichsbank, und Sie wollen dem Gerichtshof erklären, Sie hatten sehr wenig Wissen von einer, von all diesen Transaktionen?


FUNK: Über diese Dinge habe ich nichts gewußt, gar nichts.


MR. DODD: Und Goldzähne, Goldplomben waren in den Safes Ihrer Bank, aber Sie wußten gar nichts über dieses merkwürdige Depot? Sie wußten gar nichts über diese Riesensummen von Devisen, die tatsächlich durch Ihre Reichsbank gingen und dort deponiert waren?


FUNK: Über die Riesensummen, die hier genannt sind, wußte ich nichts. Ich wußte nur, daß Devisen abgeliefert wurden.


MR. DODD: Sind Sie wirklich ganz sicher, daß Sie damals in der Reichsbank waren?


FUNK: Jawohl.


MR. DODD: Ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Wir wollen uns jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 236-273.
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