I

[181] Während dieser Wochen regten der Fürst von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum Minister des Auswärtigen an. Es fand infolge dessen im Palais eine Art von Conseil statt, das aus dem Fürsten Auerswald, Schleinitz und mir bestand. Der Regent leitete die Besprechung mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln, zu welchem ich riethe. Ich legte dasselbe in der Richtung, die ich später als Minister verfolgt habe, in so weit offen dar, daß ich als die schwächste Seite unsrer Politik ihre Schwäche gegen Oesterreich bezeichnete, von der sie seit Olmütz und besonders in den letzten Jahren während des italienischen Krieges beherrscht gewesen sei. Könnten wir unsre deutsche Aufgabe im Einverständnis mit Oesterreich lösen, um so besser. Die Möglichkeit würde aber erst vorliegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im entgegengesetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürchteten. Die zur Durchführung unsrer Politik wünschenswerthe Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oesterreich leichter sein als mit Oesterreich. Unmöglich aber schiene mir das auch im letzteren Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kenntniß des russischen Hofes und der dort leitenden Einflüsse. Wir hätten dort aus dem Krimkriege und den plonischen Verwicklungen her einen Saldo, welcher bei geschickter Ausnutzung uns die Möglichkeit lassen könnte, mit Oesterreich uns zu verständigen, ohne mit Rußland zu brechen; ich fürchtete nur, daß die Verständigung mit Oesterreich wegen der dortigen Ueberschätzung der eignen und Unterschätzung der preußischen Macht mißlingen werde, wenigstens so lange, als man in Oesterreich nicht von dem vollen Ernst unsrer eventuellen Bereitschaft auch zu Bruch und Krieg überzeugt sei. Der Glaube an solche Möglichkeit sei in den letzten Jahrzehnten unsrer Politik unter Manteuffel und Schleinitz in Wien verloren gegangen, man habe sich dort auf der in Olmütz errungenen Basis als auf einer dauernden eingelebt und nicht gemerkt oder vergessen, daß die olmützer Convention ihre Rechtfertigung hauptsächlich in der vorübergehenden Ungunst unsrer Situation fand, welche durch die Verzettelung unsrer Cadres und durch die Thatsache hervorgerufen war, daß das ganze Schwergewicht der russischen[181] Macht zur Zeit jener Convention in die Wagschale Oesterreichs gefallen war, wohin sie nach dem Krimkriege nicht mehr fiel. Die österreichische Politik uns gegenüber sei aber nach 1856 ebenso anspruchsvoll geblieben, wie zu der Zeit, wo der Kaiser Nicolaus für sie gegen uns einstand. Wir hätten uns der österreichischen Illusion, so lange Manteuffel und Schleinitz die Geschäfte führten, in einer Weise unterworfen, welche an das Experiment erinnerte, ein Huhn durch einen Kreidestrich zu fesseln. Die österreichische Zuversicht, ein geschickter Gebrauch der Presse und ein großer Reichthum an geheimen Fonds ermögliche dem Grafen Buol die Aufrechthaltung der österreichischen Phantasmagorie und das Ignoriren der starken Stellung, in welcher Preußen sich befinden werde, so bald es bereit sei, den Zauber des Kreidestrichs zu brechen. Worauf sich die Erwähnung der österreichischen geheimen Fonds bezog, war dem Regenten bekannt.

Nachdem ich meine Auffassung entwickelt hatte, erging an Schleinitz die Aufforderung, die seinige gegenüber zu stellen. Es geschah das in Anknüpfung an das Testament Friedrich Wilhelms III., also unter geschickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des Regenten ihren Anklang nie versagte, unter Schilderung der Bedenken und Gefahren, welche von Westen (Paris) und im Innern drohten, wenn die Beziehungen zu Oesterreich trotz aller berechtigten Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren russisch-französischer Verbindungen, die schon damals in der Oeffentlichkeit eine Rolle spielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preußisch-russischer Verbindungen als von der öffentlichen Meinung verurtheilt dargestellt. Charakteristisch war, daß, sobald Schleinitz sein letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages gesprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in klarer Entwicklung erklärte, daß er sich in Erinnerung an die väterlichen Traditionen für die Darstellung des Ministers von Schleinitz entscheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geschlossen.

Die Schnelligkeit, mit welcher er sich entschied, nachdem das letzte Wort des Ministers gefallen war, ließ mich annehmen, daß die ganze mise en scène vorher verabredet war und nach dem Willen der Prinzessin sich entwickelt hatte, um den Ansichten des Fürsten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berücksichtigung zu gewähren, während sie schon damals sich mit diesen Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu stärken, nicht im Einklang befand.[182]

In der Politik der Prinzessin, welche für ihren Gemahl und für den Minister von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich annahm, eher gewisse Abneigungen den Ausschlag als positive Ziele. Die Abneigungen richteten sich gegen Rußland, gegen Louis Napoleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht stand, gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen wiederholter Weigerung, Ansichten der hohen Frau bei ihrem Gemahl als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten in demselben Sinne. Herr von Schleinitz war politisch ihr Geschöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politische Ueberzeugung.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 181-183.
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