I

[145] Im folgenden Jahre, 1856, begann der König sich mir wieder zu nähern; Manteuffel, vielleicht auch Andre, fürchteten, ich könnte auf seine und ihre Kosten Einfluß gewinnen. Unter diesen Verhältnissen machte mir Manteuffel den Vorschlag, ich solle das Finanzministerium übernehmen, er das Präsidium und das auswärtige[145] Ressort behalten, später aber mit mir tauschen, so daß er als Vorsitzender Finanzminister, ich Auswärtiger würde. Er that, als ginge der Vorschlag von ihm aus. Obwohl mir derselbe sonderbar erschien, lehnte ich nicht gerade ab, sondern erinnerte nur daran, daß die Zeitungen, als ich zum Bundesgesandten ernannt war, den Scherz des witzigen Dechanten von Westminster über Lord John Russel auf mich angewandt hatten: Der Mensch würde auch das Commando einer Fregatte oder eine Steinoperation übernehmen. Wenn ich Finanzminister würde, so könnten dergleichen Urtheile mit mehr Geltung auftreten, obschon ich die unterschreibende Thätigkeit Bodelschwinghs als Finanzminister allenfalls auch würde leisten können. Es komme alles darauf an, wie lange das Interimistikum dauern solle. In der That war der Vorschlag vom Könige ausgegangen; und als der Manteuffeln fragte, was er ausgerichtet hätte, antwortete derselbe: »Er hat mich geradezu ausgelacht.«

Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille Manteuffels nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten, wie: »Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, Sie müssen Minister werden,« so behielt ich doch immer den Eindruck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum »Gehorsam« zu bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können.

Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hof- und Regierungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand als mit andern Gesandten und mich wiederholt als Ministerkandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oesterreichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er vorauszusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es ungerecht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine sichere Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen[146] hinsichtlich der Rheingrenze werde daher Frankreich früher oder später zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht werde von Europa unerträglich befunden werden. – »devrait engendrer la coalition«, werde schwerer zu behalten als zu nehmen sein, – »un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendrait reprendre«, eine solche an Napoleon I. erinnernde Prätension sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man werde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb werde Jedermanns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes »une petite rectification des frontières« verlangen, könne aber ohne solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andererseits sei das letztere an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer gerade zu einem französischen See zu machen, »mais à peu près«. Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials wie die griechischen Matrosen, ein zu gefährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Eindruck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte eher leid that und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Krieges zurecht machte, in den [er wie] England unter seiner Mitwirkung nach dem Ausdruck seines Auswärtigen Ministers wie ein steuerloses Schiff hineingetrieben war – we are drifting into war.

Als Ergebniß eines nächsten Krieges denke er sich ein Verhältniß der Intimität und Abhängigkeit Italiens zur Frankreich, vielleicht die Erwerbung einiger Küstenpunkte. Zu diesem Programm gehöre, daß Preußen ihm nicht entgegen sei. Frankreich und Preußen seien aufeinander angewiesen; er halte es für einen Fehler, daß Preußen 1806 nicht wie andre deutsche Mächte zu Napoleon gehalten hätte. Es sei wünschenswerth, unser Gebiet durch die Erwerbung Hannovers und der Elbherzogthümer zu consolidiren, um damit die Unterlage einer stärkeren preußischen Seemacht zu[147] gewinnen. Es fehle an Seemächten zweiten Ranges, die durch Vereinigung ihrer Streitkräfte mit der französischen das jetzt erdrückende Uebergewicht Englands aufhöben. Eine Gefahr für sie selbst und für das übrige Europa könne darin nicht liegen, weil sie sich ja zu einseitig egoistisch-französischen Unternehmungen nicht einigen würden, nur für die Freiheit der Meere von der englischen Uebermacht. Zunächst wünsche er sich der Neutralität Preußens zu versichern für den Fall, daß er wegen Italiens mit Oesterreich in Krieg geriethe. Ich möge den König über dieses Alles sondiren.

Ich antwortete, ich sei doppelt erfreut, daß der Kaiser diese Andeutungen gerade mir gemacht habe, weil ich darin einen Beweis seines Vertrauens sehen dürfe, und zweitens, weil ich vielleicht der einzige preußische Diplomat sei, der es über sich nehmen würde, diese ganze Eröffnung zu Hause und auch seinem Souverän gegenüber zu verschweigen. Ich bäte ihn dringend, sich dieser Gedanken zu entschlagen; es läge außer aller Möglichkeit für den König Friedrich Wilhelm IV., auf dergleichen einzugehen; eine ablehnende Antwort sei unzweifelhaft, wenn demselben die Eröffnung gemacht würde. Dabei bleibe im letzteren Falle die große Gefahr einer Indiskretion im mündlichen Verkehr der Fürsten, einer Andeutung darüber, welchen Versuchungen der König widerstanden habe. Wenn eine andre deutsche Regierung in die Lage versetzt würde, über dergleichen Indiskretionen nach Paris zu berichten, so werde das für Preußen so werthvolle gute Benehmen mit Frankreich gestört werden. »Mais ce ne serait plus une indiscrétion, se serait une trahison«, unterbrach er mich etwas beunruhigt. »Vous vous embourberiez!« fuhr ich fort.

Der Kaiser fand diesen Ausdruck schlagend und anschaulich und wiederholte ihn. Die Unterredung schloß damit, daß er mir für diese Offenheit seinen Dank aussprach und ich ihm absolutes Schweigen über seine Eröffnung zusagte. Bis zum Kriege 1870 ist von dieser Unterredung kein Wort über meine Lippen gekommen, erst in einer der langen Winternächte in Versailles wurde sie von mir einem hohen Herrn erzählt und von einem meiner Begleiter aufgezeichnet.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 145-148.
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