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[104] Die Entfremdung, die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klenze und Anderen entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur »Territion« kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen[104] Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündet oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amts vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegenprojekten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redaktionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen Ansichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die österreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidnen Respects vor England betrachtete. Manteuffel vermied es, durch schärferes Vertreten seiner Auffassung den König noch mehr zu verstimmen oder durch Eintreten für meine angeblich russische Auffassung die Westmächte und Oesterreich zu reizen, er effacirte sich lieber. Marquis Moustier kannte diese Stellung, und mein Chef überließ ihm gelegentlich die Aufgabe, mich zur westmächtlichen Politik und zur Vertretung derselben beim Könige zu bekehren. Bei einem Besuche, den ich Moustier machte, riß ihn die Lebhaftigkeit seines Temperaments zu der bedrohlichen Aeußerung hin: »La politique que vous faites, va vous conduire a léna.« Worauf ich antwortete: »Pourquoi pas a Leipzig ou a Rossbach?« Moustier war eine so unabhängige Sprache in Berlin nicht gewohnt und wurde stumm und bleich vor Zorn. Nach einigem Schweigen setzte ich hinzu: »Enfin toute nation a perdu et gagné des batailles. Je ne suis pas venu pour faire avec vous un cours d'histoire«. Die Unterhaltung kam nicht wieder in Fluß. Moustier beschwerte sich über mich bei Manteuffel, der die Beschwerde an den König brachte. Dieser aber lobte mich Manteuffel gegenüber, später auch direkt, wegen der richtigen Antwort, die ich dem Franzosen gegeben hatte.

Die leistungsfähigen Kräfte der Bethmann-Hollweg'schen Partei, Goltz, Pourtales, zuweilen Usedom, wurden durch den Prinzen von Preußen auch bei dem Könige zu einer gewissen Geltung gebracht. Es kam vor, daß nothwendige Depeschen nicht von Manteuffel, sondern von dem Grafen Albert Pourtales entworfen wurden, daß der König mir dessen Entwürfe zur Revision gab, daß[105] ich über die Amendirung wieder mit Manteuffel Fühlung nahm, daß der den Unterstaatssekretär Le Cocq zuzog, daß dieser die Fassung aber lediglich von dem Standpunkte französischer Stylistik prüfte und eine Tage lange Verzögerung mit der Anführung rechtfertigte, er habe den genau angemessenen französischen Ausdruck noch nicht gefunden, der zwischen dunkel, unklar, zweifelhaft und bedenklich die richtige Mitte hielte, – als ob es auf solche Lappalien damals angekommen wäre.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 104-106.
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