I

[23] Die erste Kunde von den Ereignissen am 18. und 19. März 1848 erhielt ich im Hause meines Gutsnachbarn, des Grafen von Wartensleben auf Karow, zu dem sich Berliner Damen geflüchtet hatten. Für die politische Tragweite der Vorgänge war ich im ersten Augenblick nicht so empfänglich wie für die Erbitterung über Ermordung unsrer Soldaten in den Straßen. Politisch, dachte ich, würde der König bald Herr der Sache werden, wenn er nur frei wäre; ich sah die nächste Aufgabe in der Befreiung des Königs, der in der Gewalt der Aufständischen sein sollte.

Am 20. meldeten mir die Bauern in Schönhausen, es seien Deputirte aus dem dreiviertel Meilen entfernten Tangermünde angekommen, mit der Aufforderung, wie in der genannten Stadt geschehen war, auf dem Thurme die schwarz-roth-goldne Fahne aufzuziehn, und mit der Drohung, im Weigerungsfalle mit Verstärkung wiederzukommen. Ich fragte die Bauern, ob sie sich wehren wollten: sie antworteten mit einem einstimmigen und lebhaften »Ja«, und ich empfahl ihnen, die Städter aus dem Dorfe zu treiben, was unter eifriger Betheiligung der Weiber besorgt wurde. Ich ließ dann eine in der Kirche vorhandene weiße Fahne mit schwarzem Kreiz, in Form des eisernen, auf dem Thurme aufziehen und ermittelte,[23] was an Gewehren und Schießbedarf im Dorfe vorhanden war, wobei etwa fünfzig bäuerliche Jagdgewehre zum Vorschein kamen. Ich selbst besaß mit Einrechnung der alterthümlichen einige zwanzig und ließ Pulver durch reitende Boten von Jerichow und Rathenow holen.

Dann fuhr ich mit meiner Frau auf umliegende Dörfer und fand die Bauern eifrig bereit, dem Könige nach Berlin zu Hülfe zu ziehen, besonders begeistert einen alten Deichschulzen Krause in Neuermark, der in meines Vaters Regiment »Carabiniers« Wachtmeister gewesen war. Nur mein nächster Nachbar sympathisirte mit der Berliner Bewegung, warf mir vor, eine Brandfackel in das Land zu schleudern, und erklärte, wenn die Bauern sich wirklich zum Abmarsch anschicken sollten, so werde er auftreten und abwiegeln. Ich erwiderte: »Sie kennen mich als einen ruhigen Mann, aber wenn Sie das thun, so schieße ich Sie nieder.« – »Das werden Sie nicht,« meinte er. – »Ich gebe mein Ehrenwort darauf,« versetzte ich, »und Sie wissen, daß ich das halte, also lassen Sie das.«

Ich fuhr zunächst allein nach Potsdam, wo ich am Bahnhofe Herrn von Bodelschwingh sah, der bis zum 19. Minister des Innern gewesen war. Es war ihm offenbar unerwünscht, im Gespräch mit mir, dem »Reaktionär«, gesehen zu werden; er erwiderte meine Begrüßung mit den Worten: »Ne me parlez pas.« – »Les paysans se lèvent chez nous,« erwiderte ich. »Pour le Roi?« – »Oui.« – »Dieser Seiltänzer,« sagte er, die Hände auf die thränenden Augen drückend. In der Stadt fand ich auf der Plantage an der Garnisonkirche ein Bivouak der Garde-Infanterie; ich sprach mit den Leuten und fand Erbitterung über den befohlenen Rückzug und Verlangen nach neuem Kampfe. Auf dem Rückwege längs des Kanals folgten mir spionartige Civilisten, welche Verkehr mit der Truppe gesucht hatten und drohende Reden gegen mich führten. Ich hatte vier Schuß in der Tasche, bedurfte ihrer aber nicht. Ich stieg bei meinem Freunde Roon ab, der als Mentor des Prinzen Friedrich Karl einige Zimmer in dem Stadtschlosse bewohnte, und besuchte im »Deutschen Hause« die Generale von Möllendorf, noch steif von den Mißhandlungen, die er erlitten, als er mit den Aufständischen unterhandelte, und von Prittwitz, der in Berlin commandirt hatte. Ich schilderte ihnen die Stimmung des Landvolks, sie gaben mir dagegen Einzelheiten über die Vorgänge bis zum 19. Morgens. Was sie zu berichten hatten und was an spätern Nachrichten aus Berlin hergelangt war, konnte mich nur in dem Glauben bestärken, daß der König nicht frei sei.[24]

Prittwitz, der älter als ich war und ruhiger urtheilte, sagte: »Schicken Sie uns keine Bauern, wir brauchen sie nicht, haben Soldaten genug; schicken Sie uns lieber Kartoffeln und Korn, vielleicht auch Geld, denn ich weiß nicht, ob für die Verpflegung und Löhnung der Truppen ausreichend gesorgt werden wird. Wenn Zuzug käme, würde ich aus Berlin den Befehl erhalten und ausführen müssen, denselben zurückzuschlagen.« – »So holen Sie den König heraus!« sagte ich. Er erwiderte: »Das würde keine große Schwierigkeit haben; ich bin stark genug, Berlin zu nehmen, aber dann haben wir wieder Gefecht; was können wir thun, nachdem der König uns befohlen hat, die Rolle des Besiegten anzunehmen? Ohne Befehl kann ich nicht angreifen.«

Bei diesem Zustand der Dinge kam ich auf den Gedanken, einen Befehl zum Handeln, der von dem unfreien Könige nicht zu erwarten war, von einer andern Seite zu beschaffen, und suchte zu dem Prinzen von Preußen zu gelangen. An die Prinzessin verwiesen, deren Einwilligung dazu nöthig sei, ließ ich mich bei derselben melden, um den Aufenthalt ihres Gemahls zu erfahren (der, wie ich später erfuhr, auf der Pfaueninsel war). Sie empfing mich in einem Dienerzimmer im Entresol, auf einem fichtnen Stuhle sitzend, verweigerte die erbetene Auskunft und erklärte in lebhafter Erregung, daß es ihre Pflicht sei, die Rechte ihres Sohnes zu wahren. Was sie sagte, beruhte auf der Voraussetzung, daß der König und ihr Gemahl sich nicht halten könnten, und ließ auf den Gedanken schließen, während der Minderjährigkeit ihres Sohnes die Regentschaft zu führen. Um für diesen Zweck die Mitwirkung der Rechten in den Kammern zu gewinnen, sind mir formelle Eröffnungen durch Georg von Vincke gemacht worden. Da ich zum Prinzen von Preußen nicht gelangen konnte, machte ich einen Versuch mit dem Prinzen Friedrich Karl, stellte ihm vor, wie nöthig es sei, daß das Königshaus Fühlung mit der Armee behalte, und wenn Se. Majestät unfrei sei, auch ohne Befehl des Königs für die Sache desselben handle. Er erwiderte in lebhafter Gemüthsbewegung, so sehr ihm mein Gedanke zusage, so fühle er sich doch zu jung, ihn auszuführen, und könne dem Beispiel der Studenten, die sich in die Politik mischten, nicht folgen, er sei auch nicht älter als die. Ich entschloß mich dann zu dem Versuche, zu dem Könige zu gelangen.

Der Prinz Karl gab mir im Potsdamer Schlosse als Legitimation und Paß das nachstehende offne Schreiben:

Ueberbringer – mir wohlbekannt – hat den Auftrag, sich bei[25] Sr. Majestät meinem Allergnädigsten Bruder persönlich nach Höchstdessen Gesundheit zu erkundigen und mir Nachricht zu bringen, aus welchem Grunde mir seit 30 Stunden auf meine wiederholten eigenh. Anfragen »ob ich nicht nach Berlin kommen dürfe« keine Antwort ward.


Potsdam 21. Maerz 1848

1 Uhr N.M.

Carl Prinz v. Preußen.


Ich fuhr nach Berlin. Vom Vereinigten Landtage her vielen Leuten von Ansehn bekannt, hatte ich für rathsam gehalten, meinen Bart abzuscheeren und einen breiten Hut mit bunter Kokarde aufzusetzen. Wegen der gehofften Audienz war ich im Frack. Am Ausgange des Bahnhofes war eine Schüssel mit einer Aufforderung zu Spenden für die Barrikadenkämpfer aufgestellt, daneben ein baumlanger Bürgerwehrmann mit der Muskete auf der Schulter. Ein Vetter von mir, mit dem ich beim Aussteigen zusammengetroffen war, zog die Börse. »Du wirst doch für die Mörder nichts geben,« sagte ich, und auf einen warnenden Blick, den er mir zuwarf, »und Dich vor dem Kuhfuß nicht fürchten?« Ich hatte in dem Posten schon den mir befreundeten Kammergerichtsrath Meier erkannt, der sich auf den »Kuhfuß« zornig umwandte und dann ausrief: »Bismarck? wie sehen Sie aus! Schöne Schweinerei hier!«

Die Bürgerwache im Schlosse fragte mich, was ich dort wolle. Auf meine Antwort, ich hätte einen Brief des Prinzen Karl an den König abzugeben, sagte der Posten, mich mit mißtrauischen Blicken betrachtend, das könne nicht sein; der Prinz befinde sich eben beim Könige. Ersterer mußte also noch vor mir von Potsdam abgereist sein. Die Wache verlangte den Brief zu sehen, den ich hätte; ich zeigte ihn, da er offen und der Inhalt unverfänglich war, und man ließ mich gehen, aber nicht in's Schloß. Im Gasthof Meinhard, parterre, lag ein mir bekannter Arzt im Fenster, zu dem ich eintrat. Dort schrieb ich dem Könige, was ich ihm zu sagen beabsichtigt hatte. Ich ging mit dem Briefe zum Fürsten Bogislaw Radziwill, der freien Verkehr hatte und ihn dem Könige übergeben konnte. Es stand darin u.A., die Revolution beschränke sich auf große Städte und der König sei Herr im Lande, sobald er Berlin verlasse. Der König antwortete nicht, hat mir aber später gesagt, er habe den auf schlechtem Papier schlecht geschriebenen Brief als das erste Zeichen von Sympathie, das er damals erhalten, sorgfältig aufbewahrt.[26]

Auf meinen Gängen durch die Straßen, um die Spuren des Kampfes anzusehen, raunte ein Unbekannter mir zu: »Wissen Sie, daß Sie verfolgt werden?« Ein andrer Unbekannter flüsterte mir unter den Linden zu: »Kommen Sie mit«; ich folgte ihm in die Kleine Mauerstraße, wo er sagte: »Reisen Sie ab, oder Sie werden verhaftet.« »Kennen Sie mich?« fragte ich. »Ja,« antwortete er, »Sie sind Herr von Bismarck.« Von welcher Seite mir die Gefahr drohen sollte, von welcher die Warnung kam, habe ich nie erfahren. Der Unbekannte verließ mich schnell. Ein Straßenjunge rief mir nach: »Kiek, dat is och en Franzos,« eine Aeußerung, an die ich durch manche spätere Ermittlung erinnert worden bin. Mein allein unrasirter langer Kinnbart, der Schlapphut und Frack hatten dem Jungen einen exotischen Eindruck gemacht. Die Straßen waren leer, kein Wagen sichtbar; zu Fuß nur einige Trupps in Blusen und mit Fahnen, deren einer in der Friedrichstraße einen lorbeerbekränzten Barrikadenhelden zu irgend welcher Ovation geleitete.

Nicht wegen der Warnung, sondern weil ich in Berlin keinen Boden für eine Thätigkeit fand, kehrte ich an demselben Tage nach Potsdam zurück und besprach mit den beiden Generalen Möllendorf und Prittwitz noch einmal die Möglichkeit eines selbstständigen Handelns. »Wie sollen wir das anfangen?« sagte Prittwitz. Ich klimperte auf dem geöffneten Klavier, neben dem ich saß, den Infanteriemarsch zum Angriff. Möllendorf fiel mir in Thränen und vor Wundschmerzen steif um den Hals und rief: »Wenn Sie uns das besorgen könnten!« »Kann ich nicht,« erwiderte ich; »aber wenn Sie es ohne Befehl thun, was kann Ihnen denn geschehn? Das Land wird Ihnen danken und der König schließlich auch.« Prittwitz: »Können Sie mir Gewißheit schaffen, ob Wrangel und Hedemann mitgehn werden? wir können zur Insubordination nicht noch Zwist in die Armee bringen.« Ich versprach das zu ermitteln, selbst nach Magdeburg zu gehn und einen Vertrauten nach Stettin zu schicken, um die beiden kommandierenden Generale zu sondiren. Von Stettin kam der Bescheid des Generals von Wrangel: »Was Prittwitz thut, thue ich auch.« Ich selbst war in Magdeburg weniger glücklich. Ich gelangte zunächst nur an den Adjutanten des Generals von Hedemann, einen jungen Major, dem ich mich eröffnete und der mir seine Sympathie ausdrückte. Nach kurzer Zeit aber kam er zu mir in den Gasthof und bat mich, sofort abzureisen, um mir eine Unannehmlichkeit und dem alten General eine Lächerlichkeit zu ersparen; derselbe beabsichtige, mich als Hochverräther festnehmen zu lassen. Der damalige Oberpräsident von Bonin, die[27] höchste politische Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlassen des Inhalts: »In Berlin ist eine Revolution ausgebrochen; ich werde eine Stellung über den Partheien nehmen.« Diese »Stütze des Thrones« war später Minister und Inhaber hoher und einflußreicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldt'schen Kreise an.

Nach Schönhausen zurückgekehrt, suchte ich den Bauern begreiflich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich sei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem revolutionären Schwindel angesteckt zu sein. Ich machte ihnen daher den Vorschlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus Schönhausen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reisen sollten, um selbst zu sehen und den General von Prittwitz, vielleicht den Prinzen von Preußen zu sprechen. Als wir am 25. den Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort eingetroffen und von einer großen Menschenmenge in wohlwollender Stimmung empfangen worden. Ich sagte meinen bäuerlichen Begleitern: »Da ist der König, ich werde Euch ihn vorstellen, sprecht mit ihm.« Das lehnten sie aber ängstlich ab und verzogen sich schnell in die hintersten Reihen. Ich begrüßte den König ehrfurchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem Schlosse. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im Marmorsaale an die Offiziere des Gardecorps richtete. Bei den Worten: »Ich bin niemals freier und sichrer gewesen als unter dem Schutze meiner Bürger« erhob sich ein Murren und Aufstoßen von Säbelscheiden, wie ein König von Preußen es in Mitten seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird1.

Mit verwundetem Gefühl kehrte ich nach Schönhausen zurück.

Die Erinnerung an das Gespräch, welches ich in Potsdam mit dem General-Lieutenant von Prittwitz gehabt hatte, veranlaßte mich, im Mai folgendes, von meinem Freunden in der Schönhauser Gegend mitunterzeichnetes Schreiben an ihn zu richten:

»Jeder, dem ein preußisches Herz in der Brust schlägt, hat gewiß gleich uns Unterzeichneten mit Entrüstung die Angriffe der Presse gelesen, welchen in den ersten Wochen nach dem 19. März die Königlichen Truppen zum Lohn dafür ausgesetzt waren, daß sie ihre Pflicht im Kampfe treu erfüllt und auf ihrem befohlenen Rückzuge ein unübertroffenes Beispiel militärischer Disciplin und[28] Selbstverleugnung gegeben hatten. Wenn die Presse seit einiger Zeit eine schicklichere Haltung beobachtet, so liegt der Grund davon bei der dieselbe beherrschenden Partei weniger in einer ihr seither gewordenen richtigen Erkenntniß des Sachverhältnisses als darin, daß die schnelle Bewegung der neueren Ereignisse den Eindruck der älteren in den Hintergrund drängt und man sich das Ansehen giebt, den Truppen wegen ihrer neuesten Thaten2 die früheren verzeihen zu wollen. Sogar bei dem Landvolk, welches die ersten Nachrichten von den Berliner Ereignissen mit kaum zu zügelnder Erbitterung aufnahm, fangen die Entstellungen an Consistenz zu gewinnen, welche von allen Seiten und ohne irgend erheblichen Widerspruch, theils durch die Presse, theils durch die bei Gelegenheit der Wahlen das Volk bearbeitenden Emissäre verbreitet worden sind, so daß die wohlgesinnten Leute unter dem Landvolk bereits glauben, es könne doch nicht ohne allen Grund sein, daß der Berliner Straßenkampf von den Truppen, mit oder ohne Wissen und Willen des vielverleumdeten Thronerben, vorbedachter Weise herbeigeführt sei, um dem Volke die Concessionen, welche der König gemacht hatte, zu entreißen. An eine Vorbereitung auf der anderen Seite, an eine systematische Bearbeitung des Volkes, will kaum einer mehr glauben. Wir fürchten, daß diese Lüge, wenigstens im Bewußtsein der unteren Volksschichten, auf lange Zeit hin zu Geschichte werde, wenn ihr nicht durch ausführliche, mit Beweisen belegte Darstellungen des wahren Hergangs der Sache entgegengetreten wird, und zwar sobald als möglich, da bei dem außer aller Berechnung liegenden Lauf der Zeit heut und morgen neue Ereignisse eintreten könnten, welche die Aufmerksamkeit des Publikums durch ihre Wichtigkeit dergestalt in Anspruch nähmen, daß Erklärungen über die Vergangenheit keinen Anklang mehr fänden.

Es würde unsrer Meinung nach von dem erheblichsten Einfluß auf die politischen Ansichten der Bevölkerung sein, wenn sie über die unlautere Quelle der Berliner Bewegung einigermaßen aufgeklärt werden könnte, sowie darüber, daß der Kampf der Märzhelden zur Erreichung des vorgeschützten Zweckes, nämlich der Vertheidigung der von Sr. Majestät versprochenen constitutionellen Institutionen, ein unnöthiger war. Ew. Excellenz als Befehlshaber der ruhmwürdigen Truppen, welche bei jenen Ereignissen thätig waren, sind unseres Erachtens vorzugsweise berufen und im Stande, die Wahrheit über dieselben auf überzeugende Weise ans Licht zu[29] bringen. Die Ueberzeugung, wie wichtig dies für unser Vaterland sein und wie sehr der Ruhm der Armee dabei gewinnen würde, muß uns zur Entschuldigung dienen, wenn wir bei Ew. Exzellenz so dringend als ehrerbietig bitten, eine, insoweit die dienstlichen Rücksichten es gestatten, genaue und mit Beweisstücken versehene Darstellung der Berliner Ereignisse vom militärischen Standpunkt so bald als möglich der Oeffentlichkeit übergeben zu lassen.«

Der General von Prittwitz ist auf diese Anregung nicht eingegangen. Erst am 18. März 1891 hat der General-Lieutenant z.D. von Meyerinck in dem Beiheft des »Militär-Wochenblatts« eine Darstellung zu dem von mir bezeichneten Zwecke geliefert, leider so spät, daß grade die wichtigsten Zeugen, namentlich die Flügeladjutanten Edwin von Manteuffel und der Graf Oriola, inzwischen verstorben waren.

Als Beitrag zu der Geschichte der Märztage seien hier Gespräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen nach denselben mit Personen hatte, die mich, den sie als Vertrauensmann der Conservativen betrachteten, aufsuchten, die einen, um sich über ihr Verhalten vor und an dem 18. März rechtfertigend auszusprechen, die andern, um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizeipräsident von Minutoli beklagte sich dabei, daß ihm der Vorwurf gemacht werde, er habe den Aufstand vorausgesehen und nichts zur Verhinderung desselben gethan, und bestritt, daß irgend welche auffallende Symptome zu seiner Kenntniß gekommen wären. Auf meine Entgegnung, mir sei in Genthin von Augenzeugen gesagt worden, daß während der Tage vor dem 18. fremdländisch aussehende Männer, meistens polnisch sprechend, einige offen Waffen mit sich führend, die andern mit schweren Gepäckstücken, in der Richtung nach Berlin passirt wären, erzählte Minutoli, der Minister von Bodelschwingh habe ihn Mitte März kommen lassen und Besorgniß über die herrschende Gährung geäußert; darauf habe er denselben in eine Versammlung vor den Zelten geführt. Nachdem Bodelschwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er gesagt: »Die Leute sprechen ja ganz verständig, ich danke Ihnen, Sie haben mich vor einer Thorheit bewahrt.« Bedenklich für die Beurtheilung Minutoli's war seine Popularität in den nächsten Tagen nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräsidenten als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich.

Auch der General von Prittwitz, der die Truppen um das Schloß befehligt hatte, suchte mich auf und erzählte mir, mit dem Abzuge derselben sei es so zugegangen: Nachdem ihm die Proclamation[30] »An meine lieben Berliner« bekannt geworden, habe er das Gefecht abgebrochen, aber den Schloßplatz, das Zeughaus und die einmündenden Straßen zum Schutze des Schlosses besetzt gehalten. Da sei Bodelschwingh an ihn mit der Forderung herangetreten: »Der Schloßplatz muß geräumt werden.« »Das ist unmöglich,« habe er geantwortet, »damit gebe ich den König preis.« Darauf Bodelschwingh: »Der König hat in seiner Proclamation befohlen, daß alle ›öffentlichen Plätze‹3 geräumt werden sollen; ist der Schloßplatz ein öffentlicher Platz oder nicht? Noch bin ich Minister, und ›ich habe es wohl auswendig gelernt‹, was ich als solcher zu thun habe. Ich fordere Sie auf, den Schloßplatz zu räumen.«

»Was,« so schloß Prittwitz seine Mittheilung, »was hätte ich darauf andres thun sollen als abmarschieren?« »Ich würde,« antwortete ich, »es für das Zweckmäßigste gehalten haben, einem Unteroffizier zu befehlen: ›Nehmen Sie diesen Civilisten in Verwahrung.‹« Prittwitz erwiderte: »Wenn man vom Rathhause kommt, ist man immer klüger. Sie urtheilen als Politiker; ich handelte ausschließlich als Soldat auf Weisung des auf eine unterschriebene allerhöchste Proclamation sich stützenden dirigirenden Ministers.« – Von andrer Seite habe ich gehört, Prittwitz habe diese seine letzte im Freien stattfindende Unterredung mit Bodelschwingh damit abgebrochen, daß er blauroth vor Zorn den Degen in die Scheide gestoßen und die Aufforderung gemurmelt habe, die Götz von Berlichingen dem Reichscommissar durch das Fenster zuruft. Dann habe er sein Pferd links gedreht und sei durch die Schloßfreiheit schweigend und im Schritt abgeritten. Durch einen vom Schlosse gesendeten Offizier nach dem Verbleib der Truppen gefragt, habe er bissig geantwortet: »Die sind mir durch die Finger gegangen, wo Alle mitreden«4.

Von Offizieren der nächsten Umgebung Sr. Majestät habe ich Folgendes gehört. Sie suchten den König auf, der momentan nicht zu finden war, weil er aus natürlichen Gründen sich zurückgezogen hatte. Als er wieder zum Vorschein kam und gefragt wurde: »Haben Ew. Majestät befohlen, daß die Truppen abmarschiren?« erwiderte der König: »Nein.« – »Sie sind aber schon auf dem Abmarsch,« sagte der Adjutant und führte den König an ein Fenster. Der Schloßplatz war schwarz von Civilisten, hinter denen noch die letzten Bajonette der abziehenden Soldaten zu sehen waren.[31] »Das habe ich nicht befohlen, das kann nicht sein,« rief der König aus und hatte den Ausdruck der Bestürzung und Entrüstung.

Ueber den Fürsten Lichnowski wurde mir erzählt, daß er abwechselnd oben im Schlosse einschüchternde Nachrichten über Schwäche der Truppen, Mangel an Lebensmitteln und Munition verbreitet und unten auf dem Platze den Aufständischen deutsch und polnisch zugeredet habe auszuhalten, oben habe man den Muth verloren.

1

Die meiner Erinnerung und sich unter einander widersprechenden Berichte der Allgemeinen Preußischen, der Vossischen und der Schlesischen Zeitung liegen mit vor. (Wolff, Berliner Revolutions-Chronik Band I 424.)

2

Am 23. April hatten sie Schleswig besetzt.

3

Die Proclamation sagt: »alle Straßen und Plätze«.

4

Das Schreiben des Pastors von Bodelschwingh vom 8. November 1891 (Kreuzzeitung vom 18. desselben Monats) und die Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlach's sind mir bekannt.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 32.
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