I

[369] In Versailles hatte ich vom 5. bis 8. November mit dem Grafen Ledochowski, Erzbischofe von Posen und Gnesen, Verhandlungen gehabt, die sich vorwiegend auf die territorialen Interessen des Papstes bezogen. Gemäß dem Sprüchwort »Eine Hand wäscht die andre« machte ich ihm den Vorschlag, die Gegenseitigkeit der Beziehungen zwischen dem Papste und uns zu bethätigen durch[369] päpstliche Einwirkung auf die französische Geistlichkeit im Sinne des Friedensschlusses, immer in Sorge, wie ich war, daß eine Einmischung der neutralen Mächte uns die Früchte der Siege verkümmern könne. Ledochowski und in engeren Grenzen Bonnechose, Cardinal-Erzbischof von Rouen, machten bei verschiedenen Mitgliedern des hohen Klerus den Versuch, sie zu einer Einwirkung in dem bezeichneten Sinne zu bestimmen, hatten mir aber nur von einer kühlen, ablehnenden Aufnahme ihrer Schritte zu berichten, woraus ich entnahm, daß es der päpstlichen Macht entweder an Stärke oder an gutem Willen fehlen müsse, uns im Sinne des Friedens eine Hülfe zu gewähren, werthvoll genug, um die Verstimmung der deutschen Protestanten und der italienischen Nationalpartei und der letzteren Rückwirkung auf die zukünftigen Beziehungen beider Völker in den Kauf zu nehmen, welche das Ergebniß eines öffentlichen Eintretens für die pästlichen Interessen bezüglich Roms sein mußte.

In den Wechselfällen des Krieges ist unter den streitenden italienischen Elementen Anfangs der König als der für uns möglicherweise gefährliche Gegner erschienen. Später ist die republikanische Partei unter Garibaldi, die uns bei Ausbruch des Krieges ihre Unterstützung gegen napoleonische Velleitäten des Königs in Aussicht gestellt hatte, uns auf dem Schlachtfelde in einer mehr theatralischen als praktischen Erregtheit und in militärischen Leistungen entgegengetreten, deren Formen unsre soldatischen Auffassungen verletzten. Zwischen diesen beiden Elementen lag die Sympathie, welche die öffentliche Meinung der Gebildeten in Italien für das in der Geschichte und in der Gegenwart parallele Streben des deutschen Volkes hegen und dauernd bewahren konnte, lag der nationale Instinct, der denn auch schließlich stark und praktisch genug gewesen ist, mit dem früheren Gegner Oesterreich in den Dreibund zu treten. Mit dieser nationalen Richtung Italiens würden wir durch ostensible Parteinahme für den Papst und seine territorialen Ansprüche gebrochen haben. Ob und in wie weit wir dafür den Beistand des Papstes in unsern innern Angelegenheiten gewonnen haben würden, ist zweifelhaft. Der Gallicanismus erschien mir stärker, als ich ihn 1870 der Infallibilität gegenüber einschätzen konnte, und der Papst schwächer, als ich ihn wegen seiner überraschenden Erfolge über alle deutschen, französischen, ungarischen Bischöfe gehalten hatte. Bei uns im Lande war das jesuitische Centrum demnächst stärker als der Papst, wenigstens unabhängig von ihm; der germanische Fractions- und Parteigeist unsrer[370] katholischen Landsleute ist ein Element, dem gegenüber auch der päpstliche Wille nicht durchschlägt.

Desgleichen lasse ich dahingestellt, ob die am 16. desselben Monats vor sich gegangenen Wahlen zum preußischen Landtage durch das Fehlschlagen der Ledochowski'schen Verhandlungen beeinflußt worden sind. Die letzteren wurden in etwas andrer Richtung aufgenommen von dem Bischof von Mainz, Freiherrn von Ketteler, zu welchem Zweck er mich bei Beginn des Reichstags, 1871, mehrmals aufsuchte. Ich war 1866 mit ihm in Verbindung getreten, indem ich ihn befragte, ob er das Erzbisthum Posen annehmen würde, wobei mich die Absicht leitete, zu zeigen, daß wir nicht antikatholisch, sondern nur antipolnisch wären. Ketteler hatte, vielleicht auf Anfrage in Rom, abgelehnt wegen Unkenntniß der polnischen Sprache. 1871 stellte er mir im Großen und Ganzen das Verlangen, in die Reichsverfassung die Artikel der preußischen aufzunehmen, welche das Verhältniß der katholischen Kirche im Staate regelten und von denen drei (15, 16, 18) durch das Gesetz vom 18. Juni 1875 aufgehoben worden sind. Für mich war die Richtung unsrer Politik nicht durch ein confessionelles Ziel bestimmt, sondern lediglich durch das Bestreben, die auf dem Schlachtfelde gewonnene Einheit möglichst dauerhaft zu festigen. Ich bin in confessioneller Beziehung jeder Zeit tolerant gewesen bis zu den Grenzen, welche die Nothwendigkeit des Zusammenlebens verschiedener Bekenntnisse in demselben staatlichen Organismus den Ansprüchen eines jeden Sonderglaubens zieht. Die therapeutische Behandlung der katholischen Kirche in einem weltlichen Staate ist aber dadurch erschwert, daß die katholische Geistlichkeit, wenn sie ihren theoretischen Beruf voll erfüllen will, über das kirchliche Gebiet hinaus den Anspruch auf Betheiligung an weltlicher Herrschaft zu erheben hat, unter kirchlichen Formen eine politische Institution ist, auf ihre Mitarbeit die eigne Ueberzeugung überträgt, daß ihre Freiheit in ihrer Herrschaft besteht und daß die Kirche überall, wo sie nicht herrscht, berechtigt ist, über diocletianische Verfolgung zu klagen.

In diesem Sinne hatte ich einige Auseinandersetzungen mit Herrn von Ketteler bezüglich seines genauer accentuirten Anspruchs auf ein verfassungsmäßiges Recht seiner Kirche, das heißt der Geistlichkeit, auf Verfügung über den weltlichen Arm. Er verwandte in seinem politischen Argumenten auch das mehr ad hominem gehende, daß bezüglich unsres Schicksals nach dem irdischen Tode die Bürgschaften für die Katholiken stärker seien als für andre,[371] weil, angenommen, daß die katholischen Dogmen irrthümlich seien, das Schicksal der katholischen Seele nicht schlimmer ausfalle, wenn der evangelische Glaube sich als der richtige erweisen sollte, im umgekehrten Falle aber die Zukunft der ketzerischen Seele eine entsetzliche sei. Er knüpfte daran die Frage: »Glauben Sie etwa, daß ein Katholik nicht selig werden könne?« Ich antwortete: »Ein katholischer Laie unbedenklich; ob ein Geistlicher, ist mir zweifelhaft; in ihm steckt ›die Sünde wider den heiligen Geist‹, und der Wortlaut der Schrift steht ihm entgegen.« Der Bischof beantwortete diese in scherzhaftem Tone gegebene Erwiderung lächelnd durch eine höflich ironische Verbeugung.

Nachdem unsre Verhandlungen resultatlos abgelaufen waren, wurde die Neubildung der 1860 gegründeten, jetzt Centrum genannten katholischen Fraktion mit steigendem Eifer besonders von Savigny und Mallinckrodt betrieben. An dieser Fraktion habe ich die Beobachtung zu machen gehabt, daß, wie in Frankreich, so auch in Deutschland der Papst schwächer ist, als er erscheint, nicht so stark ist, daß wir seinen Beistand in unsern Angelegenheiten durch den Bruch mit den Sympathien andrer mächtiger Elemente erkaufen durften. Von dem désaveu des Cardinals Antonelli in dem Briefe an den Bischof Ketteler vom 5. Juni 1871, von der Centrumsmission des Fürsten Isenburg, von der Unbotmäßigkeit des Centrums bei Gelegenheit des Septennats habe ich den Eindruck erhalten, daß der Partei- und Fractionsgeist, welchen die Vorsehung dem Centrum an Stelle des Nationalsinns andrer Völker verliehen hat, stärker ist als der Papst, nicht auf einem Concil ohne Laien, aber auf dem Schlachtfelde parlamentarischer und publicistischer Kämpfe innerhalb Deutschlands. Ob das auch der Fall sein würde, wenn der päpstliche Einfluß sich ohne Rücksicht auf concurrirende Kräfte, namentlich den Jesuitenorden, geltend zu machen vermöchte, lasse ich, ohne an den plötzlichen Tod des Cardinal-Staatssekretärs Franchi zu denken, dahingestellt sein. Von Rußland hat man gesagt: gouvernement absolu tempéré par le régicide. Ist ein Papst, der in der Nichtachtung der in der Kirchenpolitik concurrirenden Organe zu weit ginge, vor kirchlichen »Nihilisten« sicherer als der Czar? Gegenüber Bischöfen, die im Vatican versammelt sind, ist der Papst stark; und wenn er mit dem Jesuitenorden geht, stärker, als wenn er außer halb seiner Residenz versucht, den Widerstand der weltlichen Jesuiten zu brechen, welche die Träger des parlamentarischen Katholicismus zu sein pflegen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 369-372.
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