IV

[488] Die Königin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regierungspolitik; die Neue Aera der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später[488] ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regierung ihres Schwagers und später ihres Gemahls. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regierungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regierung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reiches auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oesterreich Hand in Hand gehen konnte, war die Stimmung gegen Oesterreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oesterreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art von Gegenministeriums der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege der Privatcorrespondenz angeknüpft hatte, um eine förmliche diplomatische Berichterstattung in seiner Hand zu concentriren. Ich erhielt die Beweise dafür durch den Zufall, daß einige dieser Berichte, aus deren Fassung die Thatsache der Continuität der Berichterstattung ersichtlich war, durch Mißverständniß der Feldjäger oder der Post an mich gelangten und amtlichen Berichten so genau ähnlich sahen, daß ich erst durch einzelne Bezugnahmen im Texte stutzig wurde, mir das dazu gehörige Couvert aus dem Papierkorb suchte und darauf die Adresse des Herrn von Schleinitz vorfand. Zu den Beamten, mit welchen er solche Verbindungen unterhielt, gehörte unter Anderen ein Consul, über den mir Roon unter dem 25. Januar 1864 schrieb, derselbe stehe im Solde von Drouyn de L'Huys und schreibe unter dem Namen Siegfeld Artikel für das »Mémorial Diplomatique«, welche u.A. der Occupation der Rheinlande durch Napoleon das Wort reden und sie in Parallele[489] stellen mit unsrer Occupation Schleswigs. Zur Zeit der »Reichsglocke« und der gehässigen Angriffe von der conservativen Partei und der »Kreuzzeitung« auf mich konnte ich ermitteln, daß die Colportage der »Reichsglocke« und ähnlicher verleumderischer Preßerzeugnisse im Bureau des Hausministeriums besorgt wurde. Der Vermittler war ein höherer Subalternbeamter Namens Bernhard (?), welcher der Gräfin [Frau von] Schleinitz die Federn schnitt und den Schreibtisch in Ordnung hielt. Durch ihn wurden allein an unsre höchsten Herrschaften dreizehn Exemplare der »Reichsglocke«, davon zwei in das Kaiserliche Palais, berichtmäßig eingesandt und andre an andre verwandte Höfe.

Als ich einmal den geärgerten und darüber erkrankten Kaiser des Morgens aufsuchen mußte, um über eine höfische Demonstration zu Gunsten des Centrums eine unter den obwaltenden Umständen dringliche Beschwerde zu führen, fand ich ihn im Bette und neben ihm die Kaiserin in einer Toilette, die darauf schließen ließ, daß sie erst auf meine Anmeldung herunter gekommen war. Auf meine Bitte, mit dem Kaiser allein sprechen zu dürfen, entfernte sie sich, aber nur bis zu einem dicht außerhalb der von ihr nicht ganz geschlossenen Thüre stehenden Stuhle und trug Sorge, durch Bewegungen mich erkennen zu lassen, daß sie Alles hörte. Ich ließ mich durch diesen, nicht den ersten, Einschüchterungsversuch nicht abhalten, meinen Vortrag zu erstatten. An dem Abende desselben Tages war ich in einer Gesellschaft im Palais. Ihre Majestät redete mich in einer Weise an, die mich vermuthen ließ, daß der Kaiser meine Beschwerde ihr gegenüber vertreten hatte. Die Unterhaltung nahm die Wendung, daß ich die Kaiserin bat, die schon bedenkliche Gesundheit ihres Gemahls zu schonen und ihn nicht zwiespältigen politischen Einwirkungen auszusetzen. Diese nach höfischen Traditionen unerwartete Andeutung hatte einen merkwürdigen Effect. Ich habe die Kaiserin Augusta in dem letzten Jahrzehnt ihres Lebens nie so schön gesehen wie in diesem Augenblicke; ihre Haltung richtete sich auf, ihr Auge belebte sich zu einem Feuer, wie ich es weder vorher noch nachher erlebt habe. Sie brach ab, ließ mich stehn und hat, wie ich von einem befreundeten Hofmanne erfuhr, gesagt: »Unser allergnädigster Reichskanzler ist heute sehr ungnädig.«

Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmählig ziemliche Sicherheit in der Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch ge boten erschienen, aus eigner Ueberzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War ersteres[490] der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, welche Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußerungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den gewonnenen Erfolg zu befestigen durch Aeußerung von Zweifeln, ob der Kaiser im Stande sein werde, die geäußerte Absicht oder Meinung »Bismarck gegenüber« aufrecht zu erhalten. Wenn Se. Majestät nicht auf Grund eigener Ueberzeugung, sondern weiblicher Bearbeitung widerstand, so konnte ich dies daran erkennen, daß seine Argumente unsachlich und unlogisch waren. Dann endete eine solche Erörterung, wenn ein Gegenargument nicht mehr zu finden war, wohl mit der Wendung: »Ei der Tausend, da muß ich doch sehr bitten.« Ich wußte dann, daß ich nicht den Kaiser, sondern die Gemahlin mir gegenüber gehabt hatte.

Alle Gegner, die ich mir in den verschiedensten Regionen im Laufe meiner politischen Kämpfe nothwendig und im Interesse des Dienstes zugezogen hatte, fanden in ihrem gemeinsamen Hasse gegen mich ein Band, welches einstweilen stärker war als ihre gegenseitigen Abneigungen gegen einander. Sie vertagten ihre Feindschaft, um einstweilen der stärkeren gegen mich zu dienen. Den Krystallisationspunkt für diese Uebereinstimmung bildete die Kaiserin Augusta, deren Temperament, wenn es galt ihren Willen durchzusetzen, auch in der Rücksicht auf Alter und Gesundheit des Gemahls nicht immer Grenze fand.

Der Kaiser hatte während der Belagerung von Paris, wie häufig vorher und nachher, unter dem Kampfe zwischen seinem Verstande, seinem königlichen Pflichtgefühl einerseits und dem Bedürfniß nach häuslichem Frieden und weiblicher Zustimmung zur Politik zu leiden. Die ritterlichen Empfindungen, welche ihn gegenüber seiner Gemahlin, die mystischen, welche ihn der gekrönten Königin gegenüber bewegten, seine Empfindlichkeit für Störungen seiner Hausordnung und seiner täglichen Gewohnheiten haben mir Hindernisse bereitet, welche zuweilen schwerer zu[491] überwinden waren als die von fremden Mächten oder feindlichen Parteien verursachten, und vermöge der herzlichen Anhänglichkeit, welche ich für die Person des Kaisers hatte, die aufreibende Wirkung der Kämpfe erheblich gesteigert, die ich bei pflichtmäßigem Vertreten meiner Ueberzeugung in den Vorträgen durchzumachen hatte.

Der Kaiser hatte das Gefühl davon und machte in den letzten Jahren seines Lebens mir gegenüber kein Geheimniß aus seinen häuslichen Beziehungen, berieth mit mir, welche Wege und Formen zu wählen seien, um seinen häuslichen Frieden ohne Schädigung der Staatsinteressen zu schonen; »der Feuerkopf« pflegte der hohe Herr in vertraulichen, aus Verdruß, Respect und Wohlwollen gemischten Stimmungen die Gemahlin zu bezeichnen und diesen Ausdruck mit einer Handbewegung zu begleiten, welche etwa sagen wollte: »Ich kann nichts ändern«. Ich fand diese Bezeichnung außerordentlich treffend; die Königin war eine muthige Frau, so lange nicht physische Gefahren drohten, getragen von einem hohen Pflichtgefühl, aber auf Grund ihres königlichen Empfindens abgeneigt, andre Autoritäten als die ihrige gewähren zu lassen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 488-492.
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