I

[399] Graf Harry Arnim vertrug wenig Wein und sagte mir einmal nach einem Frühstücksglase: »In jedem Vordermanne in der Carrière sehe ich einen persönlichen Feind und behandle ihn dementsprechend. Nur darf er es nicht merken, so lange er mein Vorgesetzter ist«. Es war dies in der Zeit, als er nach dem Tode seiner ersten Frau aus Rom zurückgekommen, durch eine italienische Amme seines Sohnes in roth und gold Aufsehen auf den Promenaden erregte und in politischen Gesprächen gern Macchiavell und die Werke italienischer Jesuiten und Biographen citirte. Er posirte damals in der Rolle eines Ehrgeizigen, der keine Scrupel kannte, spielte hinreißend Klavier und war vermöge seiner Schönheit und Gewandtheit gefährlich für die Damen, denen er den Hof machte. Diese Gewandtheit auszubilden, hatte er frühzeitig begonnen, indem er als 16jähriger Schüler des Neustettiner Gymnasiums von den Damen einer wandernden Schauspielertruppe sich in die Lehre nehmen ließ und das mangelnde Orchester am Clavier ersetzte, nach dem er schon früher das Cösliner Gymnasium aus Gründen, welche das Lehrercollegium seiner sittlichen Haltung entnahm, hatte verlassen müssen.

Unter den Persönlichkeiten, welche neben ausländischen Einflüssen, neben der »Reichsglocke« und ihren Mitarbeitern in aristokratischen und Hofkreisen und in den Ministerien meiner Collegen, neben dem verstimmten Junkerthume und dessen Aera-Artikeln in der Kreuzzeitung, die alle daran arbeiteten, mir das Vertrauen[399] des Kaisers zu entziehen, spielte Graf Harry Arnim eine hervorragende Rolle.

Am 23. August 1871 wurde er auf meinen Antrag zum Gesandten, demnächst zum Botschafter in Paris ernannt, wo ich seine hohe Begabung trotz seiner Fehler im Interesse des Dienstes nützlich zu verwerthen hoffte; er sah in seiner Stellung dort aber nur eine Stufe, von der aus er mit mehr Erfolg daran arbeiten konnte, mich zu beseitigen und mein Nachfolger zu werden. Er machte in Privatbriefen an den Kaiser geltend, daß das preußische Königshaus gegenwärtig das älteste in Europa sei, welches sich in ununterbrochener Regierung erhalten habe, und daß dem Kaiser, als dem doyen der Monarchen, durch diese Gnade Gottes eine Verpflichtung erwachse, die Legitimität und Continuität andrer alter Dynastien zu überwachen und zu schützen. Die Berührung dieser Saite im Gemüthe des Kaisers war psychologisch richtig berechnet, und wenn Arnim allein denselben zu berathen gehabt hätte, so wäre es ihm vielleicht gelungen, das klare und nüchterne Urtheil dieses Herrn durch ein künstlich gesteigertes Gefühl von angestammter Fürstenpflicht zu trüben. Aber er wußte nicht, daß Se. Majestät mir in seiner geraden und ehrlichen Weise die Briefe mittheilte und dadurch Gelegenheit gab, der politischen Einsicht, man könnte sagen, dem gesunden Verstande des Herrn die Schäden und Gefahren der Rathschläge darzulegen, welchen wir auf dem von Arnim empfohlenen Wege der Herstellung der Legitimität in Frankreich entgegengehen würden.

Meine schriftlichen Auslassungen in diesem Sinne erlaubte der Kaiser später Arnim'schen Schmähschriften gegenüber zu veröffentlichen. In einer derselben ist Bezug darauf genommen, daß dem Könige bekannt sei, daß Arnim's Aufrichtigkeit in maßgebenden Kreisen angezweifelt werde und daß man ihn am englischen Hofe als Botschafter nicht gewünscht habe, »weil man ihm kein Wort glauben würde«. Graf Arnim hat wiederholt Versuche gemacht, ein Zeugniß des englischen Cabinets gegen diese meine Andeutung zu erlangen, und von den ihm mehr als mir wohlwollenden englischen Staatsmännern die Versicherung erhalten, daß ihnen nichts derart bekannt sei. Doch war die von mir angedeutete präventive Zurückweisung Arnims in einer Gestalt an den Kaiser gelangt, daß ich mich öffentlich auf Sr. Majestät Zeugniß über die Thatsache berufen konnte.

Nachdem Arnim sich 1873 in Berlin überzeugt hatte, daß seine Aussichten, an meine Stelle zu treten, noch nicht so reif waren,[400] wie er angenommen hatte, versuchte er einstweilen das frühere gute Verhältniß herzustellen, suchte mich auf, bedauerte, daß wir durch Mißverständnisse und Intriguen Andrer auseinander gekommen wären, und erinnerte an Beziehungen, die er einst mit mir gehabt und gesucht hatte. Zu gut von seinem Treiben und von dem Ernst seines Angriffs auf mich unterrichtet, um mich täuschen zu lassen, sprach ich ganz offen mit ihm, hielt ihm vor, daß er mit allen mir feindlichen Elementen in Verbindung getreten sei, um meine politische Stellung zu erschüttern, in der irrigen Annahme, er werde mein Nachfolger werden, und daß ich an seine versöhnliche Gesinnung nicht glaube. Er verließ mich, indem er mit der ihm eignen Leichtigkeit des Weinens eine Thräne im Auge zerdrückte. Ich kannte ihn von seiner Kindheit an.

Mein amtliches Verfahren gegen Arnim war von ihm provocirt durch seine Weigerung, amtlichen Instructionen Folge zu leisten. Ich habe die Thatsache, daß er Gelder, die er zur Vertretung unsrer Politik in der französischen Presse erhielt, 9000 bis 10000 Thaler, dazu verwandte, in der deutschen Presse unsre Politik und meine Stellung anzugreifen, in den Gerichsverhandlungen niemals berühren lassen. Sein Hauptorgan, in welchem er mich mit steigender Siegeszuversicht angriff, war damals die »Spener'sche Zeitung«, die, im Absterben begriffen, ihm käuflich war. In derselben ließ er Andeutungen machen, als ob er allein ein Mittel wisse, den Kampf mit Rom siegreich zu Ende zu führen, und daß nur mein unberechtigter Ehrgeiz einen überlegenen Staatsmann, wie er sei, nicht an's Ruder kommen lasse. Gegen mich hat er sich über dieses Arcanum nicht ausgesprochen. Dasselbe bestand in dem von einzelnen Canonisten vertretenen Gedanken, daß die römisch-katholische Kirche durch die Beschlüsse des Vaticanums ihre Natur verändert habe, ein andres Rechtssubject geworden sei und die in ihrem früheren Dasein erworbenen Eigenthums- und Vertragsrechte verloren habe. Ich habe dieses Mittel früher als er erwogen, glaube aber nicht, daß dasselbe eine stärkere Wirkung auf den Austrag des Streits geübt haben würde, als die Gründung der altkatholischen Kirche es vermochte, deren Berechtigung logisch und juristisch noch einleuchtender und rechtfertiger war, als es die angerathene Lossagung der Preußischen Regierung von ihren Beziehungen zur römischen Kirche gewesen sein würde. Die Zahl der Altkatholiken giebt das Maß für die Wirkung, welche dieser Schachzug auf den Bestand der Anhänger des Papstes und des Neokatholicismus geübt haben würde. Noch weniger versprach[401] ich mir von dem Vorschlage, den Graf Arnim in einem der veröffentlichten Berichte gemacht hat, die preußische Regierung möge »Oratores« zur Erörterung der dogmatischen Fragen in das Concil schicken. Ich vermuthe, daß er darauf durch das Titelkupfer der von Paolo Sarpi verfaßten Geschichte des Tridentiner Concils gekommen ist, auf dem die Versammlung abgebildet ist und zwei an einem besonderen Tische sitzende Personen als Oratores Caesareae Majestatis bezeichnet sind. Ist meine Vermuthung richtig, so hat Graf Arnim wissen müssen, daß »orator« in der clericalen Latinität jener Zeit der Ausdruck für Gesandter ist.

In dem Gerichtsverfahren gegen ihn verfolgte ich nur den Zweck, die von mir dienstlich gestellte, von Arnim definitiv abgelehnte Forderung der Herausgabe bestimmter, zweifellos amtlicher Bestandtheile der Botschaftsacten durchzusetzen. Mir kam es nur darauf an, als Vorgesetzter die amtliche Autorität zu wahren; ein Straferkenntniß gegen Arnim habe ich weder erstrebt noch erwartet, im Gegentheile würde ich, nachdem ein solches erfolgt war, seine Begnadigung wirksam befürwortet haben, wenn dieselbe in der durch das Contumacial-Erkenntniß geschaffenen Lage juristisch zulässig gewesen wäre. Mich trieb keine persönliche Rachsucht, sondern, wenn man eine tadelnde Bezeichnung finden will, eher bureaukratische Rechthaberei eines in seiner Autorität mißachteten Vorgesetzten. War schon das Erkenntniß in dem ersten Proceß auf neun Monat Gefängniß ein meiner Ansicht nach übertrieben strenges, so war die Verurtheilung in dem zweiten Processe zu fünf Jahren Zuchthaus doch nur, wie der Verurtheilte selbst richtig bemerkt hat, dadurch möglich geworden, daß der regelmäßige Strafrichter nicht in der Lage ist, die Sünden der Diplomatie in internationalen Verhandlungen mit vollem Verständnisse zu beurtheilen. Dieses Erkenntniß würde ich nur dann für adäquat gehalten haben, wenn der Verdacht erwiesen gewesen wäre, daß der Verurtheilte seine Verbindungen mit dem Baron Hirsch benutzt hätte, um die Verzögerung der Ausführung seiner Instructionen Börsenspeculationen dienstbar zu machen. Ein Beweis dafür ist in dem Gerichtsverfahren weder geführt noch versucht worden. Die Annahme, daß er lediglich aus geschäftlichen Gründen die Ausführung einer präcisen Weisung unterlassen habe, blieb immerhin zu seinen Gunsten möglich, obschon ich mir den Gedankengang, dem er dabei gefolgt sein müßte, nicht klar machen kann. Der erwähnte [Verdacht] ist aber meinerseits nicht ausgesprochen worden, obschon er dem Auswärtigen Amte und der[402] Hofgesellschaft durch Pariser Correspondenzen und Reisende mitgetheilt worden war und in diesen Kreisen colportirt wurde. Es war ein Verlust für den diplomatischen Dienst bei uns, daß die ungewöhnliche Begabung Arnims für diesen Dienst nicht mit einem gleichen Maße von Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit gepaart war.

Welche Eindrücke die diplomatischen Kreise empfingen, zeigt u.A. der nachstehende Brief des Staatssecretärs von Bülow vom 23. October 1874:


»Die Kreuzzeitung enthält heut eine perfide Einsendung, offenbar von dem Grafen Arnim selbst auf die Melodie: Was habe ich denn Böses getan? Es ist schwer, während der Untersuchung auf solche Verdrehungen zu antworten. Gestern war der Feldmarschall von Manteuffel bei mir, zumeist, um sich nach der causa Arnim zu erkundigen. Er sprach in sehr passender Weise seine Ueberzeugung aus, daß man nicht anders habe handeln können und daß er den Reichskanzler und die Diplomatie bedaure, mit solchen Erfahrungen die Geschäfte leiten zu müssen. Da er übrigens Arnim von Jugend auf kenne und unter oder neben ihm in Nancy genug habe leiden müssen, so überrasche die Katastrophe ihn nicht; Arnim sei ein Mann, der bei jeder Sache nur gefragt habe: Was nützt oder schadet sie mir persönlich? Wörtlich dasselbe sagten mir Lord Odo Russel als Ergebniß seiner römischen Erfahrungen und Nothomb als Erinnerung aus Brüssel. Am merkwürdigsten war mir, daß der Feldmarschall wiederholt darauf zurückkam, daß Arnim im Sommer 1872 angefangen habe, gegen E.D. ihn selbst zu sondiren und durch seine Haltung gegen Thiers dessen Sturz mit allen üblen politischen Folgen hauptsächlich mit verschuldet habe. Ueber letzteres Kapitel sprach er mit großer Sach- und Personalkenntniß und nicht ohne Hindeutung auf den Einfluß, den damals Arnim sich allerhöchsten Orts zu verschaffen gewußt, durch Schüren gegen Republik und für legitime Ueberlieferung. Am Tage von Thiers' Sturz habe er mit mehreren hervorragenden Orleanisten dinirt; die Bulletins aus Versailles seien ihm während des Diners zugegangen und mit Jubel begrüßt worden – ein Rückhalt für die Partei, ohne den sie vielleicht nicht den moralischen Muth zu dem coup d'état vom 24. Mai gehabt. Im gleichen Sinne sagte mir Nothomb, Thiers habe ihm vorigen Winter über Arnim gesagt: cet homme m'a fait beaucoup de mal, beaucoup plus même que ne sait ni pense Monsieur de Bismarck«.[403]

In dem Verleumdungsprozeß gegen den Redacteur der »Reichsglocke«, Januar 1877, sagte der Staatsanwalt:

»Ich mache für diese verbrecherische Tendenz alle Mitarbeiter des Blattes, auch alle Diejenigen, die das Blatt durch Rath und durch That unterstützen, moralisch verantwortlich, zunächst insbesondere den Herrn von Loë, sodann aber auch den Grafen Harry von Arnim. Es ist gar nicht zu bezweifeln, daß alle die Artikel ›Arnim contra Bismarck‹, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, seit Jahr und Tag die Person des Fürsten Bismarck anzugreifen, herabzusetzen, im Interesse des Grafen Arnim geschrieben werden.«

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 399-404.
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