V

[428] Herr von Gruner, während der Neuen Aera Unterstaatssecretär in dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, wurde bald nach meiner Uebernahme des Ministeriums des Auswärtigen zur Disposition gestellt und durch Herrn von Thile ersetzt. Er gehörte schon seit meiner Ernennung zum Bundesgesandten zu meinen Gegnern, da er diese Stellung als ein Erbtheil von seinem Vater Justus Gruner angesehen hatte; er blieb mir feind und war geschäftlich unfähig. Im November 1863 richtete er an Se. Majestät ein Schreiben über den Budgetstreit in demselben Sinne, in welchem der Oberstlieutnant von Vincke auf Olbendorf (vergl. Seite 203f.) und Roggenbach denselben Schritt zu thun für gut befunden hatten. Indem diese Herren ihre Vorschläge an den König richteten, gingen sie von der Voraussetzung aus, daß derselbe, wenn er ihrem Rathe folgend dem Abgeordnetenhause nachgäbe, ein andres Ministerium, wenigstens einen andern Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen berufen werde, ein Ergebniß, für welches[428] außerhalb des öffentlichen Lebens Einflüsse in Thätigkeit waren, denen der Hausminister von Schleinitz mit andern dem Hofe nahestehenden Personen seine Dienste widmete. Auch später lebte Herr von Gruner in den Kreisen, welche 1876 die »Reichsglocke« protegirten und speisten.

Nachdem der Redacteur dieses Blattes im Januar 1877 verurtheilt und ich im März das von Sr. Majestät abgelehnte Abschiedsgesuch eingereicht hatte, kam es im Juni, während ich mich zur Cur in Kissingen befand, im Geschäftswege zu meiner Kenntniß, daß Herr von Gruner in das Hausministerium berufen, zugleich ohne Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers zum Wirklichen Geheimen Rath ernannt sei und daß Herr von Schleinitz an den Curator des »Reichs- und Staats-Anzeigers« das Ansinnen gestellt habe, diese Ernennung in dem amtlichen Blatte zu publiciren.

Ich schrieb darüber unter dem 8. Juni an den Chef der Reichskanzlei Geheimenrath Tidemann, zur Mittheilung an das Staatsministerium:


»Meiner Ansicht nach wäre der amtliche Theil des Reichs- und Staats-Anzeigers für solche Veröffentlichungen bestimmt, welche bezüglich der Reichs- und der Preußischen Staats-Angelegenheiten unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers beziehungsweise des Preußischen Staatsministers erfolgen. Wird die Ernennung Gruners' zum Wirklichen Geheimenrath in dem amtlichen Theile angezeigt, so kann selbst durch die vorgängige Erwähnung der Ueberweisung an das Hausministerium die Präsumtion nicht entkräftet werden, daß das Staatsministerium die Ernennung mit seiner Verantwortlichkeit decke. Die öffentliche Meinung und der Landtag würden kaum annehmen, daß das Staatsministerium diese Auszeichnung seines notorischen Gegners gewünscht habe; sie würden vielmehr die Wahrheit errathen, daß das Staatsministerium bei Hofe nicht das hinreichende Ansehen, bei Sr. Majestät nicht den hinreichenden Einfluß gehabt habe, um diese Anerkennung für Bekämpfung der Regierung zu hindern; man würde auch darüber nicht zweifelhaft sein, daß diese im Staatsanzeiger veröffentlichte Ernennung von dem Staatsministerium more solito contrasignirt gewesen sei.

Ich bin nicht ohne Besorgniß, daß wir in dem Grunerschen Vorgange eine Sonde zu erblicken haben, die von Herrn von Schleinitz und seinen Rathgebern (nicht von Sr. Majestät) angelegt wird, um zu probiren, was man uns bieten kann und wie hoch wir unsre[429] ministerielle Autorität anschlagen. Meiner Ansicht nach wäre Fügsamkeit gegen diese unberechtigten Einflüsse auf die Allerhöchsten Entschließungen nicht das Mittel, sie abzuschneiden; sie würden im Gegentheil wachsen, und der Conflict, der jetzt ein nur formaler ist, würde sich auf ungünstigeren Feldern und unter Hineinziehung großer Parteifragen wiederholen.

Nach meiner augenblicklichen Lage könnte ich mich jeder amtlichen Aeußerung enthalten, aber ich habe das Gefühl, daß die für mich persönlich doch sehr wichtige Frage meines Wiedereintritts in die Geschäfte auf diesem Wege auch ohne Rücksicht auf meine Gesundheit präjudicirt werden würde. Da ich hoffe, daß meine Gesundheit sich bessern wird, und da ich für diesen Fall mir gern den Wiedereintritt in die Geschäfte, so weit er dem Allerhöchsten Willen entspricht, offen erhalte, so nehme ich ein persönliches Interesse daran, daß das Ansehen der Ministerstellung hinreichend gewahrt werde, um mir die Wiederaufnahme einer solchen nach meinem Gewissen möglich zu erhalten.

Die richtige Erledigung wäre meiner Ansicht nach, für den amtlichen Theil des Staats-Anzeigers die von dem Hausminister beantragte Veröffentlichung abzulehnen. Die amtliche Aufnahme ist vor Mißdeutung in der Oeffentlichkeit nicht zu schützen und bleibt ein partieller Sieg der Reichsglocken-Intrigue über die gegenwärtige Regierung. Bekanntmachungen des Hausministeriums gehören an und für sich nicht in den ›Reichs- und Staats-Anzeiger‹; soll letzterer zugleich ein ›Königlicher Haus-Anzeiger‹ sein, so können doch meines Erachtens in seinem amtlichen Theile Anordnungen des Hausministers nicht Platz greifen, der keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des amtlichen Blattes trägt; dieselben müßten immer in der einen oder andern Gestalt das von dem Hausminister nachzusuchende Placet des verantwortlichen Staatsministeriums erhalten, bevor sie abgedruckt würden. Diese Placet ist im vorliegenden Falle nicht nachgesucht; der Hausminister hat ein Verfügungsrecht über den Staats-Anzeiger in Anspruch genommen, und wäre deshalb sein Verlangen angebrachtermaßen unter Anführung dieses formellen Grundes abzulehnen. Geht ein Befehl zur Aufnahme einer Angelegenheit des Königlichen Hauses von Sr. Majestät dem Könige selbst ein, so wird seine Ausführung in den Fällen, welche die Regel bilden, ja kein Bedenken haben; nur wird es sich selbst in unverfänglichen Fällen empfehlen, die amtlichen Bekanntmachungen des Königlichen Hauses durch ihren Platz von denen des Staates gesondert erscheinen zu lassen. Diese[430] Sonderung wäre meines Erachtens in der Weise vorzunehmen, daß die das Königliche Haus angehenden Allerhöchsten Anordnungen nicht promiscue mit denen des Staatsministeriums erscheinen, sondern es würde neben den beiden großen amtlichen Rubriken ›Deutsches Reich‹ und ›Königreich Preußen‹, am höflichsten zwischen beiden, eventuell auch nach ›Königreich Preußen‹, mit der Bezeichnung ›Königliches Haus‹ einzuschalten seien, von den andern beiden Rubriken ebenso mittelst durchgehender Striche geschieden, wie jetzt Preußen und das Reich. Damit ließe sich die formale Frage für die Zukunft erledigen, und in einer, wie mir scheint, nach keiner Seite hin verletzenden Form.

Etwas andres aber ist es, wenn eine Allerhöchste Entschließung amtlich bekannt gemacht wird, welche in der Oeffentlichkeit, ungeachtet der in den Acten verbleibenden Versicherung des Gegentheils, dasjenige bekundet, was man in constitutionellem Sprachgebrauch Mangel an Vertrauen des Monarchen zu seinen Ministern zu nennen pflegt. Dagegen haben Minister natürlich kein andres Hülfsmittel als den Rücktritt aus ihrer Stellung. Daß dieser Fall jetzt für meine Herrn Collegen vorliege, nehme ich nicht an.

Eine Begnadigung des Herrn von Nathusius, eine Auszeichnung des Grafen Nesselrode und des Herrn von Gruner gerade in der Zeit, wo die Verleumdungen des Organs dieser Herren gegen mich die öffentliche Meinung und die Gerichte beschäftigten, wo der Zusammenhang dieser Herren mit jenem Blatte offenkundig wurde, enthalten einen Act Königlichen Wohlwollens für Leute, die durch weiter nichts bekannt sind, als durch ihre Feindschaft gegen die Regierung und durch öffentliche Verletzung meiner persönlichen Ehre. Letztere aber sollte, so lange ich des Königs Diener bin, unter Sr. Majestät Schutze stehen. Wird mir das Gegentheil dieses Schutzes zu Theil, so liegt ein persönliches Motiv vor, welches mich viel gebieterischer aus dem Dienste vertreibt, als die Rücksicht auf meine Gesundheit es jemals könnte. Je nach der Entwicklung der Sache werden diese Erwägungen für die Möglichkeit meines Wiedereintritts in die Geschäfte entscheidend sein.

Meinen Herren Collegen stelle ich ergebenst anheim, im Interesse ihrer ministeriellen Zukunft dafür Sorge tragen zu wollen, daß die amtliche Publication von Gruner's Ernennung, wenn Se. Majestät nicht überhaupt darauf verzichten will, doch in einer Form stattfinde, aus der die Nichtcontrasignatur zweifellos ersichtlich ist. Es würde dies durch die oben vorgeschlagene Dreitheilung erreichbar sein, namentlich wenn die Presse dazu einige Erläuterungen[431] erhält. Empfehlen würde es sich ferner meines Erachtens, die Anstellung Gruners im Hausministerium vorher in separato unter der Rubrik Hausministerium zu veröffentlichen und am folgenden Tage bekannt zu machen, daß Se. Majestät geruht hätten, den und den im Hausministerium Angestellten den Titel eines Wirklichen Geheimenraths zu verleihen; jedenfalls eine, wenn auch ganz geringe Abweichung von der sonst üblichen Form der Bekanntmachung zu wählen.«


Diesem, an den Geheimenrath Tidemann gerichteten, unter fliegendem Siegel an den Minister von Bülow beförderten Schreiben fügte ich für Letzteren mit dem Anheimstellen vertraulicher Benutzung bei den Collegen Folgendes hinzu:


»Ich bin, wie ich glaube, von dem Vorgange in einem stärkeren Maße betroffen als meine Collegen; höchstens Camphausen ist außer mir noch von der Reichsglockenpartei verleumdet worden, aber doch lange nicht mit der Niederträchtigkeit wie ich. Man hat ihn sachlich in Bezug auf sein Amt mit unwürdigen Mitteln angegriffen, aber doch seine persönliche Ehre nicht angetastet. Das Staatsministerium im Ganzen ist gewiß in der Lage, sich durch die Form der Ernennung Gruners verletzt zu finden und gegen diese Verletzung zu reagiren, um seine Rechte und seine Würde für die Zukunft sicher zu stellen. Die Verletzung aber, welche in der Thatsache der Ernennung Gruners liegt, trifft wesentlich mich allein; seine langjährige Feindschaft gegen mich ist es allein, was die Aufmerksamkeit auf ihn hat lenken können, denn er besitzt weder Fähigkeiten noch Verdienste, war im Auswärtigen Amte durch seine in wichtigen Momenten an Geisteskrankheit grenzende Unfähigkeit ein Hinderniß und hat nunmehr seit 15 Jahren nichts geleistet, als mit der ganzen Verbissenheit verkannter Selbstüberschätzung gegen mich zu sprechen, zu schreiben und zu intriguiren. Ich sehe dabei für den Augenblick ganz davon ab, daß gerade die Reichsglocken-Elemente mir die Erfüllung meiner Amtspflicht in einem meine Kräfte übersteigenden Maße erschweren. Ich spreche nur von dem Schlage, der dadurch gegen meine Person hat geführt werden sollen, daß dieser Mann Sr. Majestät zu einer Auszeichnung mit Erfolg hat empfohlen werden können. Wenn ich in meinem Schreiben an Tidemann sage, daß für meine Herrn Collegen meines Erachtens ein zwingendes Motiv zum Rücktritt nicht vorliegt, so erscheint mir meine Lage als eine wesentlich andre.[432]

Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mit Camphausen, Friedenthal und Falk in diesem Sinne vertraulich sprechen wollten. Das Verhalten Wilmowski's gestaltet sich anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte bisher auf ihn als auf einen sichern Bundesgenossen gegen die Schleinitz'sche Camarilla gerechnet; seine Thätigkeit in diesem Falle aber verstehe ich nicht recht. Er wird mit Eulenburg und Leonhard das Staatsministerium um das Maß von Selbstachtung und schließlich auch um die considération im Lande bringen, ohne welches sich in diesen schwierigen Lagen am Hofe und im Lande die Staatsgeschäfte nicht führen lassen. Gegen Eulenburg wird man sich nur so äußern dürfen, wie es wiedererzählt werden kann. Wie stellt sich eigentlich Hofmann zu der Sache?

Die Kur scheint mir gut zu bekommen, doch markirt sich jeder Rückschlag über ärgerliche Eindrücke in empfindlicher Weise und läßt mich voraussehen, daß mein Gesundheitszustand ein dienstfähiger schwerlich wieder werden wird. Vor der einfachen Besorgung der Amtsgeschäfte würde ich nicht zurückschrecken; aber die faux frais der Hofintrigue vermag ich nicht mehr in der Weise zu tragen wie früher, vielleicht auch deshalb, weil sie an Umfang und Wirkung in erschreckender Weise zugenommen haben. Diese eigentlichen Gründe meiner fortbestehenden Absicht, zurückzutreten, habe ich vor drei Monaten verschwiegen, obwohl es damals wesentlich dieselben waren; und ich werde auch demnächst aus Rücksicht für den Kaiser keine andern Motive für mein Ausscheiden anführen können als den Zustand meiner Gesundheit.«


Die Sache schloß damit ab, daß die Ernennung Gruners zum Wirklichen Geheimrath im Staatsanzeiger nicht veröffentlicht wurde.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 428-433.
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