III

[444] Betrachtungen analog denen, welche den Versuch widerriethen, die complicirten Schwierigkeiten von 1863 auf dem Wege eines russischen Bündnisses zu lösen, standen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ebenfalls einer stärkeren Accentuirung der russischen Freundschaft ohne Oesterreich entgegen. Ich weiß nicht, in wie weit Graf Peter Schuwalow vor Beginn des letzten Balkankrieges und während des Congresses ausdrücklich beauftragt war, die Frage eines deutsch-russischen Bündnisses zu besprechen; er[444] war nicht in Berlin beglaubigt, sondern in London, seine persönlichen Beziehungen zu mir gestatteten ihm aber, sowohl bei seinen vorübergehenden Berührungen Berlins auf der Durchreise wie während des Congresses mit mir alle Eventualitäten rückhaltslos zu besprechen. Noch vor dem Congreß berührte er die Frage eines russisch-deutschen Schutz- und Trutzbündnisses und stellte sie direct. Ich besprach mit ihm offen die Schwierigkeiten und Aussichten, welche die Bündnißfrage und zunächst, wenn der Dreibund der Ostmächte nicht haltbar wäre, die Wahl zwischen Oesterreich und Rußland für uns habe. Er sagte unter Anderm in der Discussion: »vous avez le cauchemar des coalitions«, worauf ich erwiderte: »nécessairement«. Als das sicherste Mittel dagegen bezeichnete er ein festes, unerschütterliches Bündniß mit Rußland, weil bei Ausschluß der letzteren Macht aus dem Kreise unsrer Coalitionsgegner keine für uns lebensgefährliche Combination möglich sei.

Ich gab dies zu, sprach aber meine Befürchtung aus, daß die deutsche Politik, wenn sie ihre Möglichkeiten auf das russische Bündniß einschränkte und allen übrigen Staaten den russischen Wünschen entsprechend absagte, Rußland gegenüber in eine ungleiche Stellung gerathen könne, weil die geographische Lage und die autokratische Verfassung Rußlands demselben für das Aufgeben des Bündnisses stets mehr Leichtigkeit gewähre, als wir haben würden, und weil das Festhalten an der alten Tradition des preußisch-russischen Bundes doch immer nur auf zwei Augen stehe d.h. von dem Gemüthsleben des jedesmaligen Kaisers von Rußland abhänge. Unsre Beziehungen zu Rußland beruhten auf dem persönlichen Verhältniß beider Monarchen zu einander und auf dessen richtiger Pflege durch höfische und diplomatische Geschicklichkeit, respective Gesinnung der beiderseitigen Vertreter. Wir hätten das Beispiel gehabt, daß bei ziemlich hülflosen preußischen Gesandten in Petersburg durch die Geschicklichkeit von Militärbevollmächtigten, wie der Generale von Rauch und des Grafen Münster, die gegenseitigen Beziehungen intim geblieben wären, trotz mancher berechtigten Empfindlichkeit auf beiden Seiten. Wir hätten ebenso erlebt, daß jähzornige oder reizbare Vertreter Rußlands, wie Budberg und Oubril, durch ihre Haltung in Berlin und durch ihre Berichterstattung, wenn sie persönlich verstimmt waren, Eindrücke erzeugten, welche auf die gegenseitigen Gesammtbeziehungen zweier Völker von eineinhalb Hundert Millionen gefährlich zurückwirken konnten.[445]

Ich erinnere mich, daß Fürst Gortschakow, als ich in Petersburg Gesandter war und seines unbegrenzten Vertrauens mich erfreute, mir mitunter, wenn er mich warten ließ, noch unerbrochene Berliner Berichte zu lesen gab, bevor er selbst sie durchgesehen hatte. Ich war zuweilen erstaunt, daraus zu entnehmen, mit welchem Uebelwollen mein früherer Freund Budberg seiner Empfindlichkeit über irgend ein Erlebniß in der Gesellschaft oder auch nur dem Bedürfniß, einen witzigen Sarkasmus über Berliner Verhältnisse am Hofe und in dem Ministerium anzubringen, die Aufgabe der Erhaltung der gegenwärtigen Beziehungen unterordnete. Seine Berichte wurden natürlich dem Kaiser vorgelegt und zwar ohne Commentar und ohne Vortrag, und die kaiserlichen Randbemerkungen, von denen Gortschakow mir in der weiteren geschäftlichen Correspondenz mitunter Einsicht gestattete, lieferten mir den zweifellosen Beweis, wie der uns wohlgesinnte Kaiser Alexander II. für die verstimmten Berichte von Budberg und Oubril empfänglich war und daraus nicht auf die falsche Darstellung seiner Vertreter, sondern auf den in Berlin herrschenden Mangel an einsichtiger und wohlwollender Politik schloß. Wenn der Fürst Gortschakow mir derartige Dinge unerbrochen zu lesen gab, um mit seinem Vertrauen zu coquettiren, so pflegte er zu sagen: »Vous oublierez ce que vous ne deviez pas lire«, was ich natürlich, nachdem ich im Nebenzimmer die Depeschen durchgesehen hatte, zusagte und, so lange ich in Petersburg war, auch gehalten habe, da es nicht meine Aufgabe war, die Beziehungen beider Höfe durch Anklagen gegen den Vertreter des russischen in Berlin zu verschlechtern und da ich ungeschickte Verwerthung meiner Meldungen zu höfischen Intriguen und Verhetzungen befürchtete.

Es wäre überhaupt zu wünschen, daß wir an jedem befreundeten Hofe durch Diplomaten vertreten wären, die ohne der Gesammtpolitik des eignen Vaterlandes vorzugreifen, doch nach Möglichkeit die Beziehungen beider betheiligten Staaten dadurch pflegten, daß sie Verstimmungen und Klatsch nach Möglichkeit verschwiegen, ihr Bedürfnis, witzig zu sein, zügelten und eher die förderliche Seite der Sache hervorhöben. Ich habe die Berichte unsrer Vertreter an deutschen Höfen höhern Orts oft nicht vorgelegt, weil sie mehr die Tendenz hatten, pikant zu sein oder verstimmende Aeußerungen oder Erscheinungen mit Vorliebe zu melden und zu würdigen, als die Beziehungen zwischen beiden Höfen zu bessern und zu pflegen, so lange letzteres, wie in Deutschland stets der Fall ist, die Aufgabe unsrer Politik war. Ich habe mich für berechtigt gehalten,[446] aus Petersburg und Paris Dinge, die zu Hause nur zwecklos verstimmen konnten oder sich lediglich zu satirischen Darstellungen eigneten, zu verschweigen und, als ich Minister war, dergleichen allerhöchsten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung eines Botschafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflichtung zur mechanischen Berichterstattung über alle am Domicil des Botschafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht Anwendung. Ein Botschafter nicht nur, sondern auch jeder deutsche Diplomat an einem deutschen Hofe sollte nicht Berichte schreiben, wie sie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach Hause sandten in der Berechnung, daß dieselben als witzig mit Interesse und mit selbstgefälliger Heiterkeit gelesen würden, sondern er sollte sich, so lange die Verhältnisse freundlich sind und bleiben sollen, des Hetzens und Klatschens enthalten. Wer nur das Förmliche des Geschäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigste halten, daß der Gesandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es dem Minister überläßt, über was er hinwegsehen und was er betonen will. Ob das aber sachlich zweckmäßig ist, hängt von der Persönlichkeit des Ministers ab. Da ich mich für ebenso einsichtig hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tieferen und gewissenhafteren Antheil an dem Schicksal unsres Landes nahm als er, so habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht zu seiner Kenntniß zu bringen, was in seinen Händen Verhetzungen und Intriguen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die nicht die des Königs war.

Ich kehre von dieser Abschweifung zu den Besprechungen zurück, die ich zur Zeit des Balkankrieges mit dem Grafen Peter Schuwalow gehabt habe. Ich sagte ihm, daß wir, wenn wir der Festigkeit eines Bündnisses mit Rußland die Beziehungen zu allen andern Mächten zum Opfer brächten, uns bei acuten Vorkommnissen von französischer und österreichischer Revanchelust bei unsrer exponirten geographischen Lage in einer gefährlichen Abhängigkeit von Rußland befinden würden. Die Verträglichkeit Rußlands mit Mächten, die nicht auch ohne sein Wohlwollen bestehen könnten, hätte ihre Grenzen, namentlich bei einer Politik wie die des Fürsten Gortschakow, die mich mitunter an asiatische Auffassungen erinnerte. Er habe oft jeden politischen Einwand einfach mit dem Argumente niedergeschlagen: »l'empereur est fort irrité«, worauf ich ironisch zu antworten pflegte: »Eh, le mien donc!« Schuwalow bemerkte dazu: »Gortschakow est un animal«, was in dem Petersburger Jargon nicht so grob gemeint ist, wie es[447] klingt: »il n'a aucune influence«; er verdanke es überhaupt nur der Achtung des Kaisers vor dem Alter und dem früheren Verdienste, daß er formell noch die Geschäfte führe. Worüber könnten Rußland und Preußen ernsthaft jemals in Streit gerathen? Es gebe gar keine Frage zwischen ihnen, die wichtig genug dazu wäre. Das letztere gab ich zu, erinnerte aber an Olmütz und den siebenjährigen Krieg, man gerathe auch aus unwichtigen Ursachen in Händel, sogar aus Formfragen; es würde manchen Russen auch ohne Gortschakow schwer, einen Freund als gleichberechtigt zu betrachten und zu behandeln, ich wäre in dem Punkte der Form persönlich nicht empfindlich – aber das jetzige Rußland habe bis auf Weiteres nicht blos die Formen, sondern auch die Ansprüche Gortschakows.

Ich lehnte die »Option« zwischen Oesterreich und Rußland auch damals ab und empfahl den Bund der drei Kaiser oder doch die Pflege des Friedens zwischen ihnen.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 444-448.
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