II

[388] Roons Erwartung erfüllte sich nicht; die conservative Partei blieb, was sie war; der Conflict, in welchen sie sich mit mir versetzt hatte, dauerte mehr oder weniger latent fort. Ich begreife, daß meiner Politik die mit dem vulgären Namen »Kreuzzeitung« bezeichnete conservative Richtung feindlich war, in manchen Mitgliedern aus achtbaren principiellen Gründen, die in dem Einzelnen eine stärkere Triebkraft ausübten als ihr mehr preußisches wie deutsches Nationalgefühl. In andern, ich möchte sagen in meinen Gegnern zweiter Classe, lag das Motiv der Opposition im Streberthum – ôte-toi, que je m'y mette – deren Prototyp Harry Arnim, Robert Goltz und Andre waren. Als dritte Classe möchte ich meine Standesgenossen im Landadel bezeichnen, die sich ärgerten, weil ich in meinem exceptionellen Lebenslauf aus dem mehr polnischen als deutschen Begriff der traditionellen Landadelsgleichheit herausgewachsen war. Daß ich vom Landjunker zum Minister wurde, hätte man mir verziehen, aber die Dotationen nicht und vielleicht auch den mir sehr gegen meinen Willen verliehenen Fürstentitel nicht: die »Excellenz« lag innerhalb des gewohnheitsmäßig Erreichbaren und Geschätzten; die »Durchlaucht« reizte die Kritik. Ich kann das nach empfinden, denn dieser Kritik entsprach meine eigne. Als mir am Morgen des 21. März 1871 ein eigenhändiges Handschreiben des Kaisers die Erhebung in den Fürstenstand anzeigte, war ich entschlossen, Se. Majestät um Verzicht auf Seine Absicht zu bitten, weil diese Standeserhöhung in die Basis meines Vermögens und in meine ganzen Lebensverhältnisse eine mir unsympathische Aenderung bringe. So gern ich mir meine Söhne als bequem situirte Landedelleute dachte, so unwillkommen war mir der Gedanke an Fürsten mit unzulänglichem Einkommen nach dem Beispiel von Hardenberg und Blücher, deren Söhne die Erbschaft des Titels nicht antraten – der Blücher'sche wurde Jahrzehnte später erst infolge einer reichen und katholischen Heirath erneuert. In Erwägung aller Gründe gegen eine Standeserhöhung, die ganz außerhalb des Bereichs meines Ehrgeizes lag, langte ich auf den oberen Stufen der Schloßtreppe an und fand dort zu meiner Ueberraschung[388] den Kaiser an der Spitze der königlichen Familie, der mich herzlich und mit Thränen in seine Arme schloß, indem er mich als Fürsten begrüßte, seine Freude, mir diese Auszeichnung gewähren zu können, laut äußerte. Dem gegenüber und unter den lebhaften Glückwünschen der königlichen Familie blieb mir keine Möglichkeit, meine Bedenken anzubringen. Das Gefühl, daß man als Graf wohlhaben sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letzteres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Ich würde die Mißgunst meiner früheren Freunde und Standesgenossen noch bequemer ertragen haben, wenn sie in meiner Gesinnung begründet gewesen wäre. Sie fand ihren Ausdruck und ihre Vorwände in der Verurtheilung, welcher meine Politik von Seiten der preußischen Conservativen unter der Führung des mir verwandten Herrn von Kleist-Retzow bei Gelegenheit des Schulaufsichtsgesetzes 1872 und bei einigen andern Anlässen unterzogen wurde.

Die Opposition der Conservativen gegen das noch von Mühler vorgelegte Schulaufsichtsgesetz begann schon im Abgeordnetenhause und ging darauf aus, die Lokalinspection über die Volksschule gesetzlich dem Ortsgeistlichen zu vindiciren, auch in Polen, während die Vorlage den Behörden freie Hand in der Wahl des Schulinspectors ließ. In der erregten Debatte, an welche manche alte Mitglieder des Landtags sich 1892 erinnert haben werden, sagte ich am 13. Februar 1872:

»Der Vorredner (Lasker) hat gesagt, es sei ihm und den Seinigen undenkbar gewesen, daß in einer principiellen und von uns für die Sicherheit des Staates für wichtig erklärten Sache die bisherige conservative Partei der Regierung offen den Krieg erklärte. Ich will mir diesen letzteren Ausdruck nicht aneignen, aber ich darf das wohl bestätigen, daß es auch mir undenkbar gewesen ist, daß diese Partei die Regierung in einer Frage im Stiche lassen werde, in welcher die Regierung ihrerseits entschlossen ist, jedes constitutionelle Mittel zur Anwendung zu bringen, um sie durchzuführen«.

Nachdem das Gesetz in der von der Regierung genehmigten Fassung mit 207 Stimmen gegen 155 Stimmen von Clericalen, Conservativen und Polen angenommen war, gelangte es am 6. März in dem Herrenhause zur Berathung. Aus meiner Rede will ich eine Stelle anführen:

»Die Frage ist nach der evangelischen Seite hin zu einer Wichtigkeit aufgebläht worden, als wollten wir jetzt sämmtliche Geistliche[389] absetzen, eine tabula rasa schaffen und mit diesen 20000 Thalern, die wir fordern, den evangelischen Staat auf den Kopf stellen. Wären diese Uebertreibungen nicht geschehen, so wären die bedauerlichen Streitigkeiten und Reibungen vollständig überflüssig gewesen; das Gesetz hat seine Wichtigkeit erst durch den uns ganz unerwarteten Widerstand der conservativen Partei evangelischer Confession erhalten, einen Widerstand, in dessen Genesis ich hier nicht näher eingehen will – ich könnte es nicht, ohne persönlich zu werden – der aber für die Staatsregierung eine tief schmerzliche und für die Zukunft entmuthigende Erfahrung bildet. Nachdem ich Ihnen mit einer Offenheit, zu der conservative Leute die Staatsregierung niemals zwingen sollten, die Genesis und Tendenz dieses Gesetzes dargelegt habe, sollten Sie die Nothwendigkeit, daß unsre bisher nicht deutsch sprechenden Landsleute Deutsch lernen, anerkennen. Das ist für mich der Hauptpunkt dieses Gesetzes«.

In einem Hause von 201 stimmten 76 gegen das Gesetz. Ich hatte noch am Abend vorher mit großer Anstrengung versucht, Herrn von Kleist die muthmaßlichen Folgen der Politik darzustellen, zu welcher er seine Freunde verleitete, fand mich aber einem parti pris gegenüber, bezüglich dessen Unterlage ich keine Conjectur machen will. Der Bruch mit mir wurde von jener Seite mit einer Schärfe äußerlich vollzogen, aus welcher ebenso viel persönliche als politische Leidenschaft hervorleuchtete. Die Ueberzeugung, daß dieser mir persönlich nahestehende Parteimann das Land und die conservative Sache schwer geschädigt hat, währt bis auf den heutigen Tag. Wenn die conservative Partei, anstatt mit mir zu brechen und mich mit einer Bitterkeit und einem Fanatismus zu bekämpfen, worin sie keiner staatsfeindlichen Partei etwas nachgab, der Regierung des Kaisers geholfen hätte, in ehrlicher gemeinsamer Arbeit die Reichsgesetzgebung auszubauen, so würde der Ausbau nicht ohne tiefe Spuren solcher conservativen Mitarbeit geblieben sein. Ausgebaut mußte werden, wenn die politischen und militärischen Errungenschaften vor Zerbröckelung und centrifugaler Rückbildung geschützt werden sollten.

Ich weiß nicht, wie weit ich conservativer Mitwirkung hätte entgegenkommen können, jedenfalls weiter, als es in den durch den Bruch entstandenen Verhältnissen geschehen ist. Ich hielt für die damalige Zeit bei den Gefahren, welche unsre Kriege geschaffen hatten, die Unterschiede der Parteidoctrinen für untergeordnet im Vergleiche mit der Nothwendigkeit der politischen Deckung nach Außen durch möglichst geschlossene Einheit der Nation in sich.[390] Als erste Bedingung galt mir die Unabhängigkeit Deutschlands auf Grund einer zum Selbstschutz hinreichend starken Einheit, und ich hatte und habe zu der Einsicht und Besonnenheit der Nation das Vertrauen, daß sie Auswüchse und Fehler der nationalen Einrichtungen heilen und ausmerzen wird, wenn sie daran nicht durch die Abhängigkeit von dem übrigen Europa und von inneren Fraktions- und Sonderinteressen verhindert wird, wie es bis 1866 der Fall war. In dieser Auffassung kam es mir auf die Frage, ob liberal, ob conservativ, in der damaligen Kriegs- und Coalitionsgefahr so wenig wie heute in erster Linie an, sondern auf die freie Selbstbestimmung der Nation und ihrer Fürsten. Ich gebe auch heute die Hoffnung nicht auf, wenn auch ohne die Gewißheit, daß unsre politische Zukunft nicht noch durch Mißgriffe und Unfälle im weiteren Ausbau geschädigt werden wird.

Quelle:
Bismarck, Otto Eduard Leopold: Gedanken und Erinnerungen. Stuttgart 1959, S. 388-391.
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