2. Die Vandalen.

[314] Nachdem die 80000 Krieger, mit denen Geiserich nach Afrika hinübergegangen sein soll, sowohl auf Grund der sachlichen Erwägung wie des positiven Quellenzeugnisses des Victor Vitensis gefallen sind, wäre es wünschenswert, für die 80 Tausendschaften eine annehmbare Erklärung zu finden, und ich denke, das läßt sich machen. Die Quellen überliefern uns, daß der König sein Volk gezählt habe, als er über das Meer setzen wollte. Dieser Termin ist schwerlich ein zufälliger: es handelt sich um die Feststellung der für die Überfahrt nötigen Schiffe. Deshalb wurden nicht die Krieger, sondern, wie Victor sagt, die Köpfe gezählt und deshalb auch zweifellos, obgleich er diese nicht nennt, die Weiber. Das hat mit Recht SCHMIDT, Gesch. d. Vandal., S. 37, bemerkt. Hatte also jede der Abteilungen 1000 Köpfe, so zählte sie nicht mehr als etwa 200 Krieger, ja sogar sicherlich weniger, da die Zahl »1000« vermutlich nach oben abgerundet war und die Vandalen sehr viele Sklaven hatten. Bei Procop (I, 5) ist das mittelbar bezeugt durch eine andere Tradition, die die Menge nur auf 50000 angab: diese Zahl mag bedeuten, daß man die 80 Tausendschaften auf 50000 oder jede einzelne auf etwa 625 Köpfe Präsenzstand schätzte. Zählte nun jede der Abteilungen demgemäß nicht viel mehr als etwa 100 Krieger, so ist es klar, daß wir so ziemlich dasselbe wie die alten Hundertschaften vor uns haben. MOMMSEN (Ostgot. Studien, N. Archiv 14, 499) hat die Vermutung ausgesprochen, daß die »χιλίαρχοι«, von denen Procop spricht, nichts als Übersetzung des lateinischen Titels »tribunus« seien; die Abteilungen selbst werden »λόχοι« genannt. Dem steht im Wege eine Stelle bei Victor Vitensis I, 10: »Fuit autem Vandalus de illis, quos millenarios vocant.« Danach möchte ich es nicht für unmöglich halten, daß Geiserich, ehe er nach Afrika übersetzte, sein Heer und Volk nicht bloß gezählt, sondern auch reorganisiert hat. Die alten Geschlechter (Hundertschaften) mußten sehr ungleich geworden sein. Außer den Vandalen gehörten auch Alanan, Goten und wohl noch andere verlaufene Kriegsknechte zur Masse. Es ist also wohl denkbar, daß Geiserich durch Teilung und Zusammenfassung einigermaßen gleichmäßige Scharen schuf und sie nach der annähernden Kopfzahl, vielleicht auch wirklich um zu täuschen (was ihm denn freilich mehr der Nachwelt als den Zeitgenossen gegenüber gelungen ist), Tausendschaften nannte, obgleich es nach der alten Vorstellung nur Hundertschaften waren.

II, 3 schildert Procop die Vandalenschlacht: »Βανδίλων δὲ χέρας μέν ἑκάτερον οἱ χὶλίαρχοι εἶχον, ἕκαστός τε ἡγεῖτο τοῦ ἀμφ᾽ αὐὸν λόχου«. Wir werden uns noch des Näheren überzeugen, daß Procop nur ein sehr geringes militärisches Verständnis hatte, aber eine Schlachtordnung, in der »auf jedem Flügel die Obersten standen, die ihre Regimenter anführten«, ist doch schon nicht mehr bloß unmilitärisch, sondern unsinnig. Trotzdem ist wohl klar, was gemeint ist: Procop will sagen: auf den Flügeln standen die Tausendschaften, das Volksaufgebot, im Gegensatz zu den königlichen Gefolgsmannschaften, die im Zentrum standen, und hinter ihnen die verbündeten Mauren.[315]

Nehmen wir an, daß die alten Hundertschaften vielfach sehr klein geworden waren, durch Zersplitterung oder Verluste, so mögen diese innerhalb der neuen Tausendschaften immer noch einen besonderen Zusammenhang bewahrt haben, der bei der Ansiedelung wieder zur Geltung kam, indem man solche Gruppen beieinander ließ und zusammen ansetzte. Als die Vandalen aus Karthago dem Belisar entgegenzogen, erzählt Procop (I, 18), kamen sie »οὐδενὶ κόσμῳ οὐδὲ ὡς ἐς μάχην ξυντεταγμένοι, ἀλλα κατὰ συμμορίας, καὶ ταύτας βραχείας«. Diese Symmorien mögen solche Geschlechts- und Ansiedlungs-Gruppen innerhalb der Tausendschaft gewesen sein.

8-10000 Krieger, auch noch weniger, waren als Streitmacht groß genug, das Reich in Afrika zu begründen und auch noch Sizilien, Sardinien und andere Inseln dazu zu erobern, besonders da Geiserich in den Barbaren in Afrika selbst, den Wüstenstämmen, die durch die Legionen früher im Zaum gehalten waren, Bundesgenossen fand. Mit den Vandalen zusammen sind sie zur Plünderung Roms ausgezogen, und noch in der letzten Schlacht haben die Mauren als Untertanen oder Verbündete Gelimers gegen die Wiederherstellung der römischen Herrschaft in Afrika gekämpft.

BRUNNER i. d. 2. Aufl. d. »Deutsch. Rechtsg.« I, 62 will jetzt zugeben, daß die Zahl 50000 immerhin noch zu hoch gegriffen sein möge, meine Herabsetzung auf 8-10000 Krieger aber ginge »viel zu weit«. Diese Art der Argumentation, die es vermeidet, das Problem überhaupt sachlich anzupacken, scheint mir denn doch gar zu billig.

Zur 3. Aufl. Daß in die Volkszählung notwendig die Frauen einbegriffen waren, legt von Neuem dar L. Schmidt, Byzant. Zeitschr. 1906, S. 620.[316]

Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1921, Teil 2, S. 314-317.
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