Das Reislaufen.

[624] Der Söldnerdienst, dem schon in den ältesten Zeiten die Bergbewohner nachgegangen waren, nahm, je mehr das Kriegertum bei ihnen gepflegt wurde umsomehr zu, und schließlich nahm die Obrigkeit selber die Vermittelung in die Hand.581 1373 wurde die erste Abmachung dieser Art mit Visconti, dem Herrn von Mailand, getroffen – ein Seitenstück zu jenen Soldverträgen, durch die deutsche Fürsten und Ritter ihre Kriegskraft in den Dienst eines auswärtigen Königs oder einer Reichsstadt stellten.

Ob die Nachricht Tschudis (II, 197) richtig ist, daß Zürich Ulm im Jahre 1430 einen Zuzug von 1100 »wohlgerüster Gesellen« gegen die Hussiten gestellt habe, erscheint mir fragwürdig.

1388 aber halfen 100 Spieße, d.h. wohl Ritter, und 1000 Gewappnete von Bern dem Herzog von Savoyen gegen den Bischof von Sitten, 1443 zogen ihm 338 zu Roß und 981 zu Fuß zu gegen die räuberischen französischen Soldbanden, die Ecorcheurs. In den Jahren 1448/49 wurde von neuem viel verhandelt, daß die Berner dem Herzog Söldner gegen Sforza stellen sollten. Es wurde aber nichts daraus, da der Herzog das Geld nicht hatte. Sein Vater, Papst Felix V, warnte ihn: wenn er die Schweizer nachher nicht bezahlen könne, würde er sie, die bisher die besten Freunde seien, zu Feinden haben.

Um dieselbe Zeit, 1449, bat in dem Kriege mit Albrecht Achilles der deutsche Städtebund Luzern um ein Korps von »800[624] guter verwissender wohlgerüster Gesellen, die vormals in euwren Kriegen sich och gearbeit haben«, und wir werden gleich von diesem Schweizer Zuzug noch zu sprechen haben.

1453 wollte Karl VII. für seinen Krieg mit England Schweizer werben, die Tagsatzung aber lehnte seinen Antrag ab, da man nicht gewohnt sei, die eigenen Knechte für Fremde fechten zu lassen. Es nahmen aber so viel Schweizer auf eigene Hand französischen Sold, daß die Tagsatzung, Januar 1455, beschloß, daß jeder Ort bei Strafe an Leib und Gut das Reisen verbieten solle. Nichtsdestoweniger zogen schon das Jahr darauf, 1454, 3000 Berner dem Herzog von Savoyen gegen den Delphin zu Hilfe. Es kam aber zu keiner kriegerischen Aktion.

In den Kämpfen zwischen Ludwig XI. und Karl dem Kühnen (Ligue du bien public 1465) wurde von der Eidgenossenschaft abermals ein Verbot des Reislaufens erlassen, und es ist nicht richtig, daß Schweizer an der Schlacht von Montl'héry teilgenommen. Erst nach dieser Schlacht zog ein Trupp dem Burgunderherzog zu. Als die Leute aber wieder nach Hause kamen, beschlossen die Räte von Bern, die ungehorsamen Reisläufer sollten jeder von ihrem Sold 3 Gulden zum Bau der St. Vincenz-Kirche zahlen und 8 Tage im Turm liegen. Wer aber keine drei Gulden heimbrächte, solle bei Wasser und Brot in Haft bleiben, bis die Räte für gut befinden würden, ihn wieder freizulassen.

Die Söldnerfahrten trugen natürlich nicht wenig dazu bei, den kriegerischen Sinn und die Kriegserfahrung unter den Schweizern auch in den Zeiten zu nähren, wo daheim Friede war, und umgekehrt sind auch einige Anzeichen vorhanden, daß die Schweizer die Besonderheiten ihres Kriegertums schon damals in andere Länder zu tragen, angefangen haben. Freilich was Olivier de la Marche von den letzterwähnten Reisläufern im Dienst Karls des Kühnen erzählt,582 ist mehr ein Zeugnis für ihre Gewandtheit und ihren Mut, als gerade etwas spezifisch Schweizerisches. Beim Plänkeln, sagt er, seien immer ein Pikenier, ein Armbruster und ein Couloevrinier zusammengegangen und hätten sich gegenseitig unterstützt und so die Reiter nicht gefürchtet. Daß Olivier das so[625] sehr rühmt, ist wohl in erster Linie als Zeugnis zu verwerten, wie wenig eigentlich den einzelnen Armbrust- oder Feuerschützen gegen einen Reiter zugetraut werden konnte. Wirkliche schweizerische Eigentümlichkeit erscheint an folgenden Stellen.


Quelle:
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Berlin 1923, Teil 3, S. 624-626.
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