Vormittagssitzung.

[549] M. HERZOG: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter! In der gestrigen Nachmittagsverhandlung habe ich dem Gerichtshof die Bedingungen vorgetragen, unter denen der Arbeitseinsatz in Frankreich nach und nach erzwungen wurde, und ich war bis zur zweiten Aktion des Angeklagten Sauckel gekommen, die durch die Gesetze und Anordnungen vom 24. Februar 1943 gekennzeichnet ist.

Die zweite Aktion des Angeklagten Sauckel beschleunigte die Zwangsaushebung der Franzosen während der Monate Februar und März 1943. Mehrere zehntausend junger Leute der Klassen 1940 bis 1942 wurden unter Anwendung des Gesetzes vom 16. Februar nach Deutschland deportiert. Das Tempo der Deportationen verlangsamte sich im Monat April, aber der Arbeitseinsatz erhob sofort neue Forderungen. Am 9. April 1943 verlangte der Angeklagte Sauckel von den französischen Behörden, daß man ihm 120000 Arbeiter während des Monats Mai und 100000 im Monat Juni zur Verfügung stelle. Im Juni gab er bekannt, er wünsche, bis zum 31. Dezember 500000 Arbeiter abzutransportieren.

Die dritte Aktion Sauckels sollte nunmehr beginnen. Sie sollte unter dem Datum des 5. Juni 1943 durch die totale Mobilisierung des Jahrgangs 1942 gekennzeichnet sein. Alle Ausnahmen, die durch das Gesetz vom 16. Februar und den nachfolgenden Gesetzen vorgesehen waren, wurden widerrufen, und den jungen Leuten der Klasse 1942 wurde in ganz Frankreich nachgejagt.

In Wirklichkeit zeichnet sich die dritte Aktion Sauckels im wesentlichen durch einen gewaltsamen Druck des Angeklagten aus, durch den er versuchte, eine Massendeportation im Wege der Zwangsanwerbung durchzusetzen. Ich lege als Beweismaterial drei Dokumente vor, die die Aktion, die von Sauckel während des Sommers 1943 durchgeführt wurde, bezeugen.

Das erste Dokument ist ein Brief von Sauckel an Hitler, der vom 27. Juni 1943 stammt. Er ist von dem Angeklagten nach der Rückkehr von einer Reise nach Frankreich verfaßt und enthält den Entwurf eines Planes für die Aushebung französischer Arbeiter während der zweiten Hälfte des Jahres 1943. Es handelt sich einerseits darum, daß eine Million Arbeiter in Frankreich den französischen Rüstungsfabriken zugewesen und andererseits, daß [549] fünfhunderttausend französische Arbeiter nach Deutschland deportiert werden sollten. Dieses Schreiben ist Dokument 556-PS-39, das ich dem Gerichtshof als RF-65 vorlege. Ich verlese:

»Weimar, am 27. Juni 1943.

Mein Führer!

Hiermit bitte ich, mich von meiner Dienstreise nach Frankreich zurückmelden zu dürfen.

Auf Grund der Tatsache, daß die freien Arbeitsreserven in den von der Deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten zahlenmäßig weitgehendst erfaßt sind, prüfe ich zur Zeit eingehend die Möglichkeiten der Mobilisierung weiterer Arbeitsreserven für die deutsche Kriegswirtschaft im Reich und in den besetzten Gebieten.

In meinen Darlegungen vom 20. 4. durfte ich schon darauf hinweisen, daß nunmehr eine intensive und sorgfältige Bewirtschaftung der europäischen Arbeitskräfte, soweit sie in den direktem deutschem Einfluß unterstehenden Gebieten vorhanden sind, durchgeführt werden muß.

Es war der Zweck meines jetzigen Pariser Aufenthaltes, nunmehr die Möglichkeiten, die noch in Frankreich für den Arbeitseinsatz vorhanden sind, durch eingehende Besprechungen und eigene Nachprüfung zu untersuchen. Auf Grund einer sorgfältig aufgestellten Bilanz bin ich zu folgendem Entschluß gekommen:

1. Unter der Voraussetzung, daß in Frankreich auch nur einigermaßen ernstliche, ja nur annähernd ähnliche kriegswirtschaftliche Maßnahmen wie bei uns in Deutschland durchgeführt werden, können der für deutsche Aufträge und Aufgaben arbeitenden französischen Kriegs- und Rüstungsindustrie bis zum 31. 12. 43 noch eine Million Arbeitskräfte, und zwar Frauen und Männer, zugeführt werden. In diesem Falle können noch zusätzliche deutsche Aufträge nach Frankreich gelegt werden.

2. Unter Berücksichtigung dieser Maßnahmen können bei sorgfältiger Überprüfung und Zusammenarbeit unserer deutschen Rüstungsdienststellen und der deutschen Arbeitseinsatzbehörden bis zum Ende dieses Jahres auch noch 500000 französische Arbeiter und Arbeiterinnen zur Arbeit ins Reich überführt werden.

Die Voraussetzungen für die Erfüllung dieses von mir aufgestellten Programms sind:

1. die engste Zusammenarbeit aller deutschen Dienststellen, insbesondere gegenüber den französischen Dienststellen,

[550] 2. die ständige Überprüfung der französischen Wirtschaft durch gemeinsame Kommissionen, wie sie zwischen dem Herrn Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Pg. Speer, und mir bereits vereinbart sind,

3. eine ständige, geschickte und durchschlagende Propaganda gegen die de Gaulle- und Giraud- Cliquen,

4. eine ausreichende Ernährungssicherung der für Deutschland arbeitenden französischen Bevöl kerung,

5. eine nachdrückliche Vertretung dieser Notwendigkeiten gegenüber der Französischen Regierung, insbesondere gegenüber dem Marschall Pétain, der noch ein Haupthindernis für eine weitere Heranziehung der französischen Frau zum Arbeitseinsatz darstellt,

6. eine starke Erhöhung des bereits von mir in Frankreich eingeführten Umschulungsprogramms auf kriegswirtschaftliche Berufe.«

Ich überspringe den nächsten Absatz und komme zum letzten:

»Ich bitte Sie deshalb, mein Führer, mit meinem Vorschlage, eine Million Franzosen und Französinnen für die deutsche Kriegswirtschaft in Frankreich selbst im Laufe des 2. Halbjahres 1943 freizumachen und weitere 500000 Franzosen und Französinnen bis zum Ende dieses Jahres ins Reich zu überführen, einverstanden zu sein. Ihr stets getreuer und gehorsamer gez. Fritz Sauckel.«

Das Dokument, auf das ich jetzt die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs lenken möchte, beweist, daß der Führer seine Zustimmung zum Programm Sauckels gab. Eine Notiz, die am 28. Juli 1943 von Dr. Stothfang aus dem Amte des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz aufgesetzt wurde, gibt einen Bericht über eine Unterhaltung zwischen Sauckel und dem Führer.

Es handelt sich um Dokument 556-PS-41, das ich dem Gerichtshof als RF-66 unterbreite. Ich beschränke mich darauf, nur den letzten Absatz zu verlesen:

»Die in Aussicht genommene Umschichtung von 1 Million Arbeitskräften in Frankreich zugunsten der in Frankreich tätigen Rüstungsbetriebe bis zum Ende dieses Jahres und die weiter vorgesehene Hereinnahme von 500000 franz. Arbeitskräften ins Reich hat die Zustimmung des Führers gefunden.«

Ein Dokument stellt weiterhin fest, daß der Angeklagte Sauckel, bestärkt durch die Zustimmung des Führers, versucht hat, sein Programm dadurch durchzuführen, daß er auf die französischen Behörden einen Druck auszuüben versuchte. Dieses Dokument stellt ein Schreiben von Sauckel an Hitler dar, das vom 13. August 1943 stammt, nachdem der Angeklagte von einer Reise nach Frankreich, [551] Belgien und Holland zurückgekehrt war. Es ist Dokument 556-PS-43, das ich jetzt als unsere Nummer RF-67 verlese:

»Weimar, den 13. August 1943.

Mein Führer!

Ich bitte, mich von meiner Dienstreise Frankreich, Belgien und Holland zurückmelden zu dürfen. In zähen, harten und langwierigen Verhandlungen habe ich folgendes Programm für die letzten fünf Monate des Jahres 1943 den besetzten Westgebieten auferlegt und umfassende Maßnahmen für seine Durchführung – in Frankreich mit dem Militärbefehlshaber, der Deutschen Botschaft, der Französischen Regierung, in Belgien mit dem Militärbefehlshaber und in Holland mit den Dienststellen des Reichskommissars – vorbereitet. Das Programm sieht vor:

1. In Frankreich Umschichtung von 1 Million franz. Arbeiter und Arbeiterinnen aus der franz. zivilen Industrie zugunsten der deutschen Kriegsfertigung in Frankreich. Diese Maßnahme soll eine weitere starke Verlagerung deutscher Aufträge nach Frankreich arbeitsmäßig ermöglichen.

2. Werbung und Verpflichtung von 500000 franz. Arbeitern für die Arbeit in Deutschland. Diese Zahl soll nach außen hin nicht bekanntgegeben werden.

3. Um die passive Resistenz weiterer franz. Beamtenkreise gegenstandslos zu machen, habe ich mit Einverständnis des Militärbefehlshabers in Frankreich die Einführung von Arbeitseinsatzkommissionen für je 2 franz. Departements angeordnet und unter die Aufsicht und Führung der deutschen Gauarbeitsämter gestellt. Auf diese Weise ist eine vollkommene Erfassung des franz. Arbeitspotentials und dessen intensive Auswirkung erst möglich.

Die Französische Regierung hat zugestimmt.«

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich das Zitat zu Ende lesen, obschon die folgenden Absätze sich auf Belgien und Holland beziehen. Dies wird mir ermöglichen, diese Abschnitte im Verlaufe meiner gegenwärtigen Darlegungen zu erwähnen, ohne sie dann verlesen zu müssen:

»4. In Belgien wurde ein Programm für 150000 Arbeiter für den Einsatz im Reich sichergestellt und eine entsprechende Arbeitseinsatzorganisation wie in Frankreich, mit Zustimmung des Militärbefehlshabers in Belgien, festgelegt.«

Ich überspringe einige Zeilen und fahre fort:

»5. Für Holland wurde ebenfalls ein Programm für 150000 Arbeiter zum Einsatz nach Deutschland und 100000 Arbeiter [552] und Arbeiterinnen aus der holländischen Zivilwirtschaft in die deutsche Kriegsproduktion vorbereitet.«

So war das Programm Sauckels 1943. Sein Plan wurde teilweise durch den Widerstand der vaterlandsliebenden Beamten und Arbeiter zunichte gemacht. Der Beweis dafür ist in einem Geständnis des Angeklagten enthalten. Ich beziehe mich auf die Niederschrift über eine Sitzung der Zentralen Planung vom 1. März 1944, die ich dem Gerichtshof gestern als R-124, RF-30, vorgelegt habe.

Ich verlese von der ersten Seite der französischen Übersetzung, zweiter Absatz, im deutschen Text Seite 1768:

»Der Arbeitseinsatz ist im Herbst vorigen Jahres, soweit es sich um den ausländischen Arbeitseinsatz handelt, weitestgehend zerschlagen worden. Über die Gründe will ich mich hier nicht auslassen; sie sind genug erörtert worden. Ich muß Ihnen aber erklären: er ist zerschlagen worden.«

Sauckel ließ sich jedoch durch die Schwierigkeiten, denen er im Jahre 1943 begegnete, nicht entmutigen. Im Jahre 1944 versuchte er, ein neues Programm durch eine vierte Aktion durchzusetzen.

Die nationalsozialistischen Behörden entschlossen sich 1944, die Herbeischaffung von vier Millionen Fremdarbeitern nach Deutschland sicherzustellen. Diese Entscheidung wurde am 4. Januar 1944 im Verlauf einer Besprechung, die im Hauptquartier des Führers und in seiner Gegenwart stattfand, getroffen. Die Niederschrift dieser Besprechung bildet Dokument 1292-PS. Ich lege es dem Gerichtshof als RF-68 vor und verlese von Seite 3 der französischen Übersetzung, Seite 6 des deutschen Textes, letzter Absatz:

»Endergebnis der Besprechung:

1. Der GBA soll mindestens 4 Millionen neue Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten beschaffen.«

Die Einzelheiten über die jedem der besetzten Gebiete auferlegten Kontingente sollten am 16. Februar 1944 im Verlaufe einer Besprechung der Zentralen Planung beim Beauftragten für den Vierjahresplan festgelegt werden. Ich habe diese Niederschrift gestern zu Beginn meiner Ausführungen als Nummer RF-20 vorgelegt. Ich zitiere heute die Ergebnisse, die sich im Dokument F-675, RF-20, auf der ersten Seite der Übersetzung, der dritten Seite des deutschen Originals, befinden:

»Ergebnisse der 53. Sitzung der Zentralen Pla nung am 16.2.1945.

Arbeitseinsatz 1944.

1. An inneren deutschen Reserven könnten bei äußerster Anstrengung etwa 500000 Kräfte neu mobilisiert werden.«

Das übrige lasse ich aus.

[553] »2. Anwerbung von italienischen Arbeitskräften in Höhe von 1500000, davon von Januar bis April monatlich 250000 = 1000000 und von Mai bis Dezember 500000.

3. Anwerbung von 1000000 franz. Arbeitskräften in gleich großen Monatsraten, ab 1.2. bis 31.12. 44 (rd. 91000 monatlich).

4. Anwerbung von 250000 Arbeitskräften aus Belgien.

5. Anwerbung von 250000 Arbeitskräften aus den Niederlanden.«

Hier höre ich mit dem Zitat auf, da die anderen Absätze die Ostgebiete betreffen.

Der Gerichtshof hat gesehen, daß von Frankreich verlangt wurde, ein bedeutendes Kontingent von Arbeitern zu stellen. Am 15. Januar begab sich Sauckel nach Frankreich, um seinen Willen den französischen Behörden aufzuzwingen.

Die vierte Aktion Sauckels ist durch zwei bestimmte Maßnahmen gekennzeichnet; die sogenannte Auskämmung der Industrie und die Veröffentlichung eines Gesetzes vom 1. Februar 1944, das den Bereich des Zwangsarbeitseinsatzes erweiterte. Das System der Auskämmung der Industrie hat die Arbeitseinsatzbehörde dazu geführt, Rekrutierungen in der Industrie unmittelbar vorzunehmen. Gemischte deutsch-französische Kommissionen wurden in jedem Departement gebildet. Sie setzten den Prozentsatz der Arbeiterfest, die deportiert werden sollten, und führten deren Aushebung und Abtransport durch. Die Praxis der Auskämmung der Industrie selbst stellt die Verwirklichung von Plänen dar, die der Angeklagte Sauckel schon seit dem Jahre 1943 ausgearbeitet hatte. In den Dokumenten, aus denen ich dem Gerichtshof soeben verlesen habe, hat Sauckel seine Absicht, diese gemischten Arbeitskommissionen zu gründen, bekanntgegeben.

Das Gesetz vom 1. Februar 1944 bezeichnete den Höhepunkt der Handlungen, die Sauckel im Wege des Gesetzes unternahm. Es erweiterte den Anwendungsbereich des Gesetzes vom 4. September 1942. Vom Februar 1944 an waren alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren und alle Frauen zwischen 18 und 45 Jahren der Arbeitsdienstpflicht unterworfen.

Ich lege dem Gerichtshof Gesetz vom 1. Februar 1944 als Dokument RF-69 vor und bitte den Gerichtshof, hiervon amtlich Kenntnis zu nehmen.

Der Beweis für den Druck, den Sauckel auf die französischen Behörden ausübte, um die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu erzwingen, ist in einem Bericht des Angeklagten Sauckel an Hitler enthalten. Dieser Bericht stammt vom 25. Januar 1944 und wurde somit während der Verhandlungen, die die vierte Aktion des Angeklagten Sauckel kennzeichnen, angefertigt. Es ist Dokument [554] 556(55)-PS, das ich dem Gerichtshof als RF-70 vorlege. Ich möchte das Dokument jetzt verlesen:

»25. Januar 1944

Mein Führer!

Die Französische Regierung hat mit Marschall Pétain am 22.1.1944 meinen Forderungen auf Erhöhung der 40 Stundenwoche auf die 48 Stundenwoche sowie auf Erweiterung des Dienstpflichtgesetzes für Frankreich und für den Einsatz von französischen Arbeitskräften ins Reich weitgehend entsprochen. Einer Dienstverpflichtung von französischen Frauen ins Reich hat der Marschall nicht zugestimmt, jedoch einer Frauendienstverpflichtung innerhalb Frankreichs selbst, und zwar von Frauen im Alter von 26 bis 45 Jahren. Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren sollen nur am Wohnort dienstverpflichtet werden. Da dies immerhin angesichts der äußerst schwierigen Verhandlungen, die ich in Paris führen mußte, doch ein beachtlicher Fortschritt ist, habe ich unter der Voraussetzung, daß die deutschen Forderungen energisch durchgesetzt und erfüllt werden, dem Gesetz, um keine Zeit zu verlieren, zugestimmt.

Die Französische Regierung hat auch meine Forderung angenommen, französische Beamte, die die Durchführung des Dienstpflichtgesetzes sabotieren, mit schweren Strafen – bis zur Todesstrafe – zur Verantwortung zu ziehen.

Ich habe aber keinen Zweifel darüber gelassen, daß, wenn die Forderungen auf Gestellung der benötigten Arbeitskräfte nicht erfüllt werden, weitere verschärfte Maßnahmen ergriffen werden.

Ihr stets gehorsamer und getreuer Fritz Sauckel.«

Ich lenke die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf das Problem der Arbeitsdienstverpflichtung der Frauen, auf das sich die beiden vorhergehenden Dokumente beziehen. Die französischen Behörden haben sich der Einführung des Frauenarbeitsdienstes lange Zeit kategorisch entgegengestellt. Der Angeklagte Sauckel wurde nicht müde, in dieser Beziehung rücksichtslos vorzugehen.

Am 27. Juni 1943 schlug er in einem Brief an Hitler vor, daß bei der Französischen Regierung eine energische Vorstellung der deutschen Notwendigkeiten gemacht werden sollte. Ich habe diesen Brief dem Gerichtshof bereits als 556(39)-PS, RF-65, vorgelegt und will darauf nicht noch einmal zurückkommen. Aber ich möchte betonen, daß das Gesetz vom 1. Februar Sauckel nicht befriedigte und seine Forderungen nicht beruhigte.

Seine Unzufriedenheit und sein Wille zur Fortsetzung seiner Zwangspolitik offenbart sich in einem Bericht vom 26. April 1944, [555] der seine Unterschrift trägt, und der durch einen seiner Adjutanten, namens Berk, übermittelt worden ist.

Es handelt sich um vier Berichte von Sauckel, die in der gleichen Übersetzung zusammengefaßt sind. Diese Berichte sind im Dokument 1289-PS enthalten, das ich dem Gerichtshof als unsere Nummer RF-71 vorlege. Ich verlese von Seite 2:

»Frankreich.

1. Frauenfrage. Bei Erlaß des französischen Dienstpflichtgesetzes wurde von französischen Stellen (insbesondere vom Marschall Pétain) dringend gewünscht, daß Dienstverpflichtung von Frauen nach Deutschland ausgeschlossen bleibe. Unter größtem Bedenken wurde von Seiten des GBA dieser Ausnahme zugestimmt. Dabei wurde Vorbehalt gemacht, daß die Zustimmung unter der Voraussetzung erfolgt, daß die auferlegten Kontingente erfüllt werden. Der GBA müsse sich andernfalls weitere Maßnahmen vorbehalten.

Nachdem nunmehr Kontingente nicht im entferntesten erfüllt sind, muß an die Französische Regierung die Forderung herangebracht werden, die Dienstpflicht auch auf Frauen auszudehnen.«

Die vierte Aktion Sauckels wurde daher in der Richtung geführt, die gesamte Arbeitskraft Frankreichs auszunützen. Die französische Widerstandsbewegung und die Entwicklung der militärischen Operationen behinderten die Ausführung dieses Sauckel schen Planes. Der Angeklagte hatte jedoch Sondermaßnahmen vorgesehen, die er am Tage der Landung der alliierten Armeen auszuführen trachtete. Ich beziehe mich wiederum auf Dokument 1289-PS, RF-71, und verlese:

»Arbeitseinsatzmaßnahmen im Falle einer Invasion:

In den besetzten Gebieten sind teilweise bereits Vorkehrungen getroffen worden, um im Falle einer Invasion die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten zurückzuführen und wertvolle Arbeitskräfte dem Zugriff des Feindes zu entziehen. Es kommt bei der gegenwärtigen Lage des Arbeitseinsatzes in Deutschland darauf an, leistungsfähige Arbeitskräfte in möglichst großem Umfang sofort einem zweckentsprechenden Einsatz im Reich zuzuführen. Eine befehlsmäßige Sicherung auf Seiten der Wehrmachtstellen ist für die Durchführung dieser Maßnahme unerläßlich.

Für einen Führerbefehl wäre folgende Fassung vorzuschlagen.«

Den Text der von Sauckel vorgeschlagenen Anordnung werde ich nicht verlesen.

[556] Die Schnelligkeit des Sieges der Alliierten war derart, daß Sauckel seinen Plan der Massenverschleppung nicht durchführen konnte. Er versuchte jedoch, ihn auszuführen, und die Verschleppungen von Arbeitern dauerten bis zum Tage der Befreiung des Gebiets an. Mehrere Hunderttausende französischer Arbeiter befanden sich damals in Deutschland auf Grund der verschiedenen Aktionen Sauckels. Ich bitte den Gerichtshof, dies in Erinnerung zu behalten.

In Norwegen wurde der Zwangsarbeitsdienst in der gleichen Weise wie in Frankreich eingeführt. Die Angeklagten erpreßten von den norwegischen Behörden den Erlaß eines Gesetzes, das die allgemeine Registrierung norwegischer Staatsbürger einführte und ihre zwangsweise Erfassung vorschrieb. Ich verlese in diesem Zusammenhang einen von der Norwegischen Regierung gefertigten Vorbericht über die Verbrechen Deutschlands gegen Norwegen, der dem Hohen Gerichtshof als Dokument UK-79 vorliegt. Ich lege ihn nunmehr als RF-72 vor und verlese von der ersten Seite den dritten Absatz:

»Das Ergebnis des Erlasses Sauckels in Norwegen bestand darin, daß am 3. Februar 1943 ein Quisling-›Gesetz‹ erlassen wurde, das sich mit der Zwangsregistrierung norwegischer Männer und Frauen für den sogenannten Arbeitseinsatz befaßte. Terboven und Quisling haben offen zugegeben, daß dieses Gesetz erlassen wurde, um die Arbeitskraft der norwegischen Bevölkerung zugunsten der deutschen Kriegsindustrie einzusetzen. In einer Rede am 2. Februar erklärte Terboven unter anderem, daß er selbst und das Deutsche Reich hinter diesem Gesetz stünden; er drohte mit der Anwendung von Gewalt gegen jedermann, der versuchen würde, seine Durchführung zu verhindern.«

In Belgien und Holland wandten die deutschen Behörden ein direktes Verfahren an. Der Zwangsarbeitsdienst wurde durch Verordnungen der Besatzungsmacht organisiert.

In Belgien sind es Erlasse des Militärbefehlshabers und in Holland solche des Reichskommissars. Ich erinnere den Gerichthof, daß die Vollzugsgewalt des Militärbefehlshabers in Belgien sich auch auf Nordfrankreich erstreckte.

Es liegt ein Erlaß vom 6. März 1942 vor, der die Grundlagen des Zwangsarbeitseinsatzes in Belgien festlegt. Er ist im Verordnungsblatt für die besetzten Gebiete Belgiens und Nordfrankreichs 1942, Seite 845, erschienen. Ich lege ihn dem Gerichtshof als Beweisstück RF-73 vor und bitte, ihn amtlich zur Kenntnis zu nehmen. Der Erlaß vom 6. März schloß die Möglichkeit zwangsweiser Verschleppung von Arbeitskräften nach Deutschland aus. Die Verschleppungen [557] wurden jedoch durch eine Verordnung vom 6. Oktober 1942 vorgeschrieben, die im Verordnungsblatt 1942 auf Seite 1060 erschienen ist. Ich habe diese dem Gerichtshof im Laufe meiner Darlegungen bereits als RF-57 vorgelegt.

Diese deutsche Tätigkeit in Belgien verursachte Proteste führender belgischer Persönlichkeiten, unter anderem des Königs der Belgier und des Kardinals van Roey.

Die Verordnungen, die den Zwangsarbeitsdienst in Belgien und Nordfrankreich ausführten, trugen die Unterschrift des Generals von Falkenhausen; aber dieser hat seine Verordnung vom 6. Oktober auf Anweisung von Sauckel erlassen. Ich beziehe mich abermals auf die Zeugenaussage des Generals von Falkenhausen, die ich dem Hohen Gerichtshof als RF-15 vorgelegt habe. Ich bitte den Hohen Gerichtshof um die Erlaubnis, die folgenden Sätze verlesen zu dürfen, Seite 1, Absatz 5:

»Frage: Am 6. Oktober 1942 erschien eine Verordnung, die die Zwangsarbeit in Belgien und in den Departements von Nordfrankreich für Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren und für unverheiratete Frauen im Alter von 21 bis 25 Jahren einführte.

Antwort: Ich war Befehlshaber für Nordfrankreich und Belgien.

Frage: Erinnert sich der Zeuge, diese Verordnung erlassen zu haben?

Antwort: Ich erinnere mich des Wortlautes dieser Verordnung nicht genau, weil sie nach einer langen Debatte mit dem Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, Sauckel, erfolgte.

Frage: Hatten Sie mit Sauckel irgendwelche Schwierigkeiten?

Antwort: Ich stand der Einführung des Zwangsarbeitsdienstes grundsätzlich ablehnend gegenüber und ließ mich erst zur Ausgabe der Verordnung herbei, nachdem ich einen Befehl hierfür erhalten hatte.

Frage: Dieser Befehl wurde daher nicht auf die Initiation von Falkenhausen selbst erlassen?

Antwort: Im Gegenteil.

Frage: Wer gab die Anweisungen in diesem Fall?

Antwort: Ich glaube, daß zu jener Zeit Sauckel bereits der verantwortliche Bevollmächtigte für die Beschaffung von Arbeitskräften war und daß er mir damals alle Anweisungen auf Befehl Hitlers gegeben hat.«

Ich übergehe einiges und nehme die Verlesung auf Seite 3, Absatz 4 der französischen Übersetzung wieder auf:

[558] »Frage: Da Sie zu der Idee des Zwangsarbeitsdienstes in Widerspruch standen, haben Sie nicht dagegen Stellung genommen, als Sie diese Anweisungen erhielten?

Antwort: Es gab zwischen Sauckel und mir endlose Streitigkeiten. Diese trugen zu einem großen Teil zu meiner Entlassung bei.«

Dies ist das Ende des Zitats.

Der heftige Druck, den der Angeklagte Sauckel auf Belgien ausübte, um seinen Plan des Zwangsarbeitsdienstes einzuführen, geht übrigens aus dem Schriftstück hervor, das ich dem Gerichtshof soeben als 556-PS-43, RF-67, unterbreitet habe. Der Gerichtshof wird sich erinnern, daß es sich um den von Sauckel gelegentlich seiner Rückkehr aus Frankreich, Belgien und Holland an Hitler gerichteten Bericht vom 13. August 1943 handelt.

Es bleibt mir noch die Behandlung der Einführung der Zwangsarbeit in den Niederlanden.

Ich bitte den Gerichtshof, die Einführung des Zwangsarbeitsdienstes in den besetzten niederländischen Gebieten durch den Angeklagten Seyß-Inquart auch dem Angeklagten Sauckel zur Last zu legen.

Tatsächlich ist die Verschleppung der holländischen Arbeiter durch die Verordnungen des Reichskommissars organisiert worden. Sie begründen seine Verantwortlichkeit um so mehr, als er kraft seines Amtes als Reichskommissar seine Befugnisse unmittelbar vom Führer ableitete.

Der Angeklagte Seyß-Inquart hat den Zwangsarbeitsdienst in den Niederlanden durch eine Verordnung vom 28. Februar 1941 eingeführt, die im Verordnungsblatt für die besetzten niederländischen Gebiete von 1941 als Nummer 42 erschienen ist. Ich habe mich auf diese Verordnung bereits gestern im Verlauf meiner Ausführungen als RF-58 bezogen und bitte den Gerichtshof, von ihr amtlich Kenntnis zu nehmen.

Wie in Belgien, so wurde der Zwangsarbeitsdienst ursprünglich nur für den Einsatz in den besetzten Ländern selbst verlangt; aber wie in Belgien wurde er bald erweitert, um die Verschleppung von Arbeitskräften nach Deutschland zu ermöglichen. Die Erweiterung wurde durch eine Verordnung von Seyß-Inquart vom 23. März 1942 durchgeführt, die als Verordnung Nummer 26 im Verordnungsblatt 1942 erschienen ist. Ich lege sie dem Gerichtshof als Beweisstück RF-74 vor und bitte den Gerichtshof, sie in das Verfahren einzufügen.

Der Angeklagte Seyß-Inquart hat auf diese Weise den Weg gewiesen, auf dem der Angeklagte Sauckel zu weiteren Aktionen schreiten konnte. Sauckel handelte tatsächlich derart, daß er das [559] gesamte menschliche Potential Hollands einspannte; aber bald wurden neue Maßnahmen erforderlich, Maßnahmen, die Seyß-Inquart guthieß.

Eine Verordnung vom 6. Mai 1943, Verordnungsblatt 1943, Seite 173, ordnete die Aushebung aller Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren an. Ich lege diesen Erlaß als Beweisstück RF-75 vor.

Am 19. Februar 1943 hatte Seyß-Inquart eine Verordnung erlassen, nach der seine Dienststellen alle zweckmäßig erscheinenden Maßnahmen für die Beschaffung von Arbeitskräften treffen konnten.

Diese Verordnung, die im Verordnungsblatt 1943 erschienen ist, wird dem Gerichtshof als Beweisstück RF-76 vorgelegt.

Die Bedeutung der Verschleppungen aus Holland im Jahre 1943 geht aus einem Brief des Vertreters von Sauckel in den Niederlanden vom 16. Mai 1943 hervor.

Dieser Brief, der in der französischen Dokumentensammlung die Nummer F-664 trägt, wird dem Gerichtshof als RF-77 vorgelegt. Ich verlese:

»Auf Grund der Anmeldeverordnung vom 7. Mai 1943 sind die Jahrgänge 1920 bis 1924 karteimäßig erfaßt worden. Neben dieser sehr umfangreichen Arbeit konnten trotzdem 22986 Arbeitskräfte ins Reich vermittelt werden und dazu noch die überstellten Kriegsgefangenen. Im Monat Juni wird die für Monat Mai nicht restlos erfüllte Zahl ausgeglichen werden.

Die Jahrgänge umfassen nach dem niederländischen statistischen Reichsamt je 80000. Aus diesen Jahrgängen heraus sind bis jetzt die Vermittlungen ins Reich durchgeführt. Bis zum 1. Juni 1943 wurden ins Reich 446493 vermittelt, die zum Teil wieder zurückgeflutet sind. Die jetzt karteimäßig erfaßten Zahlen haben folgende Stärke:

Jahrgang 1921 43331

Jahrgang 1922 45354

Jahrgang 1923 47593

Jahrgang 1924 45232

Da Rückstellungen bis zu 80 % erfolgt sind, muß nunmehr mit dem Abtransport geschlossener Jahrgänge ins Reich begonnen werden. Der Reichskommissar hat seine Zustimmung zu dieser Aktion gegeben. Die anderen Stellen der Wirtschaft, Rü stung, Landwirtschaft und Wehrmacht haben ihre Zustimmung auf Grund der Notwendigkeit gegeben.«

Gegen Ende des Jahres 1944 verschärften die deutschen Behörden ihren Druck in Holland. Zu dieser Zeit wurden Zehntausende von Personen in zwei Tagen in Rotterdam festgenommen. Systematische Razzien fanden in allen Großstädten Hollands statt, bisweilen unerwartet, bisweilen nach einem Aufruf an die Bevölkerung, sich [560] an bestimmten Stellen einzufinden. Ich lege dem Gerichtshof verschiedene Proklamationen dieser Art vor, die in dem Dokument 1162-PS enthalten sind und von Herrn Dodd bereits unterbreitet wurden. Ich möchte sie nicht noch einmal verlesen, sondern beziehe mich auf sie zur Unterstützung meiner Beweisführung auf Dokument RF-78.

Diese Dokumente berichten nicht Einzelfälle. Sie zeigen jedoch, daß die Angeklagten ihre systematische Politik bis zum 5. Mai 1945 fortsetzten, dem Tage, als die Kapitulation Deutschlands die Befreiung Hollands mit sich brachte.

Ich schulde dem Gerichtshof noch eine ergänzende Erklärung:

Die Angeklagten haben sich nicht darauf beschränkt, die Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten einzuführen. Ich habe erklärt, daß sie verbrecherische Zwangsmaßnahmen ergriffen haben, um die Durchführung dieser Mobilisierung der Fremdarbeiter sicherzustellen. Hierfür will ich Beweise erbringen. Die Maßnahmen, welche die nationalsozialistischen Behörden ergriffen haben, um die Zwangsregistrierung der Fremdarbeiter sicherzustellen, können im übrigen nicht von dem Verfahren getrennt werden, das sie anwendeten, um die sogenannten freiwilligen Anwerbungen sicherzustellen. Der Druck war stärker, aber er entsprang derselben Denkart. Es handelt sich darum, zu täuschen und, falls diese Methode versagte, zu erzwingen. Die Angeklagten waren sich bald darüber klar, daß keine Propaganda diese Zwangsarbeit ihren Opfern annehmbar machen konnte. Wenn sie irgendwelchen Zweifel darüber gehegt hatten, so hätten die Berichte der Besatzungsbehörden diesen schnell zunichte machen müssen. Diese letzten berichteten einstimmig von der politischen Unruhe, die durch die Zwangsaushebung hervorgerufen wurde und von dem Widerstand, dem sie begegneten. Die Angeklagten haben deshalb durch Gewaltanwendung versucht, diese zivile Mobilisierung sicherzustellen.

Als hauptsächlichste Zwangsmaßnahme, welche die Deutschen ergriffen, verweise ich auf die Verweigerung der Lebensmittelkarten an Widerspenstige. Es ist dem Gerichtshof bekannt, daß diese Maßnahme bereits im Januar 1942 in einem Rundschreiben von Dr. Mansfeld vorgesehen war, das ich als 1183-PS, RF-26, verlesen habe. Der Gerichtshof erinnert sich, daß der Befehl des Führers vom 8. September 1942, den ich als 556-PS-2, RF-55, vorgelegt habe, vorschrieb, daß die Maßnahmen durchgeführt werden müßten. Nach diesem Befehl durften die Lebensmittel- und Kleiderkarten weder an Personen ohne Arbeitsnachweis noch an solche Personen ausgegeben werden, die die Zwangsarbeit verweigerten.

Der Befehl Hitlers wurde in allen besetzten Gebieten durchgeführt.

[561] In Frankreich untersagte das Rundschreiben der Besatzungsbehörde die Erneuerung der Lebensmittel-und Kleiderkarten an Franzosen, die sich dem Meldeverfahren auf Grund des Gesetzes vom 14. Februar 1943 entzogen hatten.

In Belgien wurde der Entzug der Rationierungskarten durch eine Verordnung des Militärbefehlshabers geregelt. Es ist die Verfügung vom 5. März 1943, die im Verordnungsblatt für Belgien erschien, und die ich dem Gerichtshof als RF-79 vorlege.

General von Falkenhausen, der diese Verordnung unterzeichnete, hat ihre Richtigkeit in der Vernehmung, die ich dem Gerichtshof als RF-15 vorgelegt habe, zugegeben. Ich möchte auf sie zurückkommen. Der General hat erklärt, daß der Angeklagte Sauckel der Urheber dieser Verordnung gewesen sei, und daß Sauckel sich geweigert habe, die Amnestie zu gewähren, die General von Falkenhausen vorgeschlagen hatte. Ich zitiere Seite 4 der französischen Übersetzung, fünfter Absatz:

»Frage: Kann sich der Zeuge einer Verordnung vom 5. März 1943 erinnern, nach der den Arbeitsverweigerern die Lebensmittelkarten entzogen werden sollten?

Antwort: Ich kann mich dessen nicht mehr entsinnen. Nachdem die Verordnung wegen der Männer im Alter von 18 bis 50 Jahren erlassen worden war, sind die Durchführungsbestimmungen nicht von mir, sondern von meinen Dienststellen gemacht worden. Und was die Durchführung der Strafen betrifft, so kenne ich die Einzelheiten nicht. Ich war nicht der ausführende Chef der Verwaltung, sondern ich stand darüber.

Frage: Aber zu dieser Zeit waren Sie doch über die Art und Weise der Druckmaßnahmen unterrichtet, welche die Besatzungsbehörden anzuwenden gedachten?

Antwort: Ich will meine Verantwortlichkeit im ganzen nicht ableugnen, da mir doch schließlich vieles bekannt war. Ich kann mich insbesondere der Verordnung über die Lebensmittelkarten erinnern, da ich des öfteren eine Amnestie für die in der Illegalität lebenden Personen vorgeschlagen habe, die ohne Lebensmittelkarten waren.

Frage: Wem wurde dieser Vorschlag gemacht?

Antwort: Sauckel, im Einvernehmen mit dem Präsidenten Revert.

Frage: Welche Stellungnahme wurde damals von Sauckel eingenommen?

Antwort: Er weigerte sich, dieser Amnestie zuzustimmen.«

Das ist das Ende des Zitats.

[562] Auch in Holland wurde in gleicher Weise die Erneuerung derjenigen Lebensmittelkarten untersagt, die nicht den Stempel der Arbeitsämter trugen.

Aber die Angeklagten haben ein weiteres Zwangsverfahren angewandt, das noch verbrecherischer war als die Entziehung der Lebensmittelkarten. Ich möchte dabei über die Verfolgungen sprechen, denen die Familien der Arbeitsverweigerer ausgesetzt waren. Ich erkläre, daß dieses Verfahren deshalb verbrecherisch war, weil es auf dem Begriff der Sippenverantwortlichkeit beruhte, der den fundamentalen strafrechtlichen Grundsätzen zivilisierter Nationen widerspricht. Dieser Grundsatz wurde trotzdem durch mehrere Gesetzgebungsakte der Nationalsozialisten bestätigt und erzwungen.

Für Frankreich zitierte ich das Gesetz vom 11. Juni 1943, das ich dem Gerichtshof vorlege, und das ich bitte, als RF-70 amtlich zur Kenntnis nehmen zu wollen.

Für Belgien beziehe ich mich auf die Verordnung des Militärbefehlshabers vom 30. April 1943, im besonderen auf deren Paragraphen 8 und 9. Die Verordnung ist am 6. Mai 1943 im Verordnungsblatt für Belgien und die besetzten Gebiete von Nordfrankreich erschienen. Ich reiche sie dem Gerichtshof als RF-81 ein und bitte, von ihr amtlich Kenntnis nehmen zu wollen.

Das Verfahren der Angeklagten richtete sich in gleicher Weise gegen die Arbeitgeber wie gegen die Beamten der Arbeitsämter. In Frankreich wurde die Aktion durch zwei Gesetze vom 1. Februar 1944 ausgelöst. Ich unterstreiche, daß diese Gesetze am gleichen Tage wie das Gesetz über den Zwangsarbeitsdienst erschienen sind und behaupte, daß sie zur gleichen Zeit wie das letztere erzwungen wurden. Zur Bekräftigung meiner Behauptung beziehe ich mich auf das Eingeständnis des Angeklagten Sauckel. Ich beziehe mich dabei auf sein Schreiben vom 25. Januar 1944, das ich dem Gerichtshof bereits als 556-PS-55, RF-80 verlesen habe. Ich lege dem Gerichtshof die Gesetze vom 1. Februar 1944 als RF-82 vor und bitte, von ihnen amtlich Kenntnis zu nehmen.

Es gab noch andere Druckmittel, zum Beispiel die Ausschließung der widerspenstigen Studenten von den Fakultäten und Schulen. Dies wurde in Belgien am 28. Juni 1943 und in Frankreich am 15. Juli 1943 verfügt. In Holland wurden die Studenten Ende Februar und im März 1943 das Opfer einer systematischen Deportation. Ich verlese zu diesem Zweck einen Brief des Höheren SS- und Polizeiführers vom 4. Mai 1943. Es handelt sich um Dokument F-665, das ich als Beweisstück RF-83 überreiche.

VORSITZENDER: Vielleicht ist es Zeit, eine Pause zu machen.


[Pause von 10 Minuten.]


[563] M. HERZOG: Herr Vorsitzender, Hoher Gerichtshof! Vor der Pause stand ich gerade im Begriff, ein Schreiben vom 4. Mai 1943 zu verlesen, das den Beweis für die in Holland durchgeführte Aktion einer systematischen Deportation der Studenten erbringt. Es ist Dokument RF-83. Ich verlese:

»Betrifft Studentenaktion.

Diese Aktion startet nunmehr doch am Donnerstag früh. Da es für die Presseveröffentlichung heute bereits zu spät ist, wird der Aufruf des Höheren SS- und Polizeiführers ab morgen früh 7 Uhr über Drahtfunk, ferner in der morgigen Morgen- und Abendpresse bekanntgegeben. Im übrigen bleibt es bei den Richtlinien des Fernschreibens von gestern.«

Es folgt der Text des Aufrufs: »Anordnung über die Meldung von Studierenden.«

Ich überspringe den ersten Absatz und verlese:

»Alle männlichen Personen, die im Studienjahr 1942/1943 eine niederländische Universität oder Hochschule besucht und ihr Studium noch nicht lehrplanmäßig abgeschlossen haben (im folgenden Studierende genannt), haben sich am 6. Mai 1943 in der Zeit von 10 Uhr bis 15 Uhr bei den nach ihrem Aufenthaltsort zuständigen Kommandeuren der SS- und Polizeisicherungsbereiche zum Zwecke der Erfassung für den Arbeitseinsatz zu melden.«

Ich überspringe wieder die Abschnitte 2 und 3 und verlese Abschnitt 4:

»1. Wer den Bestimmungen dieser Anordnung zuwiderhandelt, oder sie zu umgehen versucht, wer insbesondere der Verpflichtung zur Meldung nicht nachkommt, oder wer vorsätzlich oder fahrlässig unwahre Angaben macht, wird mit Gefängnis und Geldstrafe in unbeschränkter Höhe oder mit einer dieser Strafen bestraft, sofern nicht nach anderen Bestimmungen eine strengere Strafe verwirkt ist.«

Ich verlese den vierten Unterabschnitt:

»Die Inhaber der elterlichen Gewalt oder Vormundschaft über die Studierenden sind für das pflichtgemäße Erscheinen der Studierenden mitverantwortlich. Sie unterliegen der gleichen Strafe wie der Täter selbst.

Diese Anordnung tritt mit ihrer Verkündigung in Kraft.«

Da keine dieser Maßnahmen die Arbeiter in den besetzten Gebieten einzuschüchtern vermochte, riefen die Angeklagten schließlich ihre Polizeikräfte auf, um die Festnahme der Arbeiter, die sie nach Deutschland deportieren wollten, sicherzustellen. Dieser Eingriff der Polizei war vom Angeklagten Sauckel gefordert worden.

[564] Ich lege zum Beweis zwei Dokumente vor. Das erste stellt einen Bericht über eine Konferenz dar, die am 4. Januar 1944 im Führerhauptquartier stattfand. Ich habe dieses Dokument bereits als Beweisstück 1292-PS, RF-68, eingereicht. Ich verlese von Seite 2 der französischen Übersetzung den letzten Absatz. Im deutschen Original ist es Seite 4 auf der Mitte der Seite. Es handelt sich um Dokument RF-68:

»GBA Sauckel erklärte, daß er mit fanatischem Willen den Versuch machen werde, diese Arbeitskräfte zu beschaffen. Bisher habe er seine Zusagen in Bezug auf die Zahlenhöhe der zu beschaffenden Arbeitskräfte stets gehalten, für 1944 sei er jedoch mit dem besten Willen nicht in der Lage, eine feste Zusage zu geben. Er werde alles tun, was in seinen Kräften stehe, um für 1944 die gewünschten Arbeitskräfte zu beschaffen. Ob dies gelinge, hänge aber im wesentlichen davon ab, welche deutschen Exekutivkräfte zur Verfügung gestellt würden. Mit einheimischen Exekutivkräften sei seine Aktion nicht durchzuführen.«

Ich beziehe mich nunmehr auf die Erklärungen von Sauckel, die dieser auf der Sitzung der Zentralen Planung beim Beauftragten für den Vierjahresplan am 1. März 1944 abgegeben hat. Es ist Dokument R-124, RF-30, auf das ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs bereits wiederholt hingelenkt habe. Der Teil, den ich verlesen werde, ist vor dem Gerichtshof bisher noch nicht verhandelt worden. Es handelt sich um die Seite 3 der französischen Übersetzung und im deutschen Text um die Seite 1775 ff.:

»Der S-Betrieb in Frankreich ist nichts anderes als eine Abschirmung vor dem Zugriff Sauckels! Das ist von den Franzosen so aufgefaßt und kann ja auch von ihnen gar nicht anders aufgefaßt werden, denn sie sind ja Franzosen und sie haben hier eine deutsche Divergenz in der Auffassung und Durchführung festzustellen. Inwieweit die Schutzbetriebe zweckmäßig und notwendig sind, unterliegt nicht meiner Kritik. Nur so, wie ich es geschildert habe, sieht es von mir aus aus. Ich hoffe aber auf der einen Seite durch meine alte Agentenorganisation und mein Schutzkorps und zweitens durch die Maßnahmen, die ich glücklicherweise bei der Französischen Regierung durchdrücken konnte, doch noch durchzukommen. Ich habe es in 5 bis 6-stündiger Verhandlung mit Herrn Laval durchgesetzt, daß die Todesstrafe für Beamte ausgesprochen werden kann, die den Arbeitseinsatz und andere Maßnahmen sabotieren. Glauben Sie mir: das ist sehr schwer gewesen. Das war für mich ein sehr bitterer Kampf, das durchzusetzen. Aber es ist jetzt geschehen und ich bitte darum, vor allem auch die Wehrmacht, daß nun in [565] Frankreich, wenn die Französische Regierung nicht durchgreift, deutscherseits wirklich kategorisch durchgegriffen wird. Nehmen Sie mir die Bemerkung nicht übel: Ich habe mit meinen Herren in Frankreich einige Male vor Situationen gestanden, in denen ich erklären mußte: gilt denn der deutsche Leutnant und 10 Mann in Frankreich überhaupt nichts? Monatelang hat man jedes Wort von mir mit der Antwort paralysiert: Was wollen Sie denn, Herr Gauleiter; wir haben ja gar keine Exekutive; wir können in Frankreich nichts machen! – Das ist mir immer wieder entgegengehalten worden. Wie soll ich da den Arbeitseinsatz in Frankreich durchführen? Hier müssen die deutschen Stellen zusammenarbeiten, und, wenn die Franzosen trotz aller Versprechungen nicht durchgreifen, müssen wir von deutscher Seite aus ein Exempel statuieren und auf Grund dieses Gesetzes unter Umständen mal einen Präfekten oder Bürgermeister an die Mauer stellen, wenn er nicht mitzieht; sonst geht überhaupt kein Franzose mehr nach Deutschland.«

Auf diese Weise wurde schließlich die Deportation der Arbeiter nach Deutschland durch Verhaftung und Androhung von Vergeltungsmaßnahmen sichergestellt. Es lag in der Logik des nationalsozialistischen Systems begründet, daß die Politik des Zwangsarbeitseinsatzes der Fremdarbeiter durch Polizeiterror durchgeführt werden mußte.

Ich habe dem Gerichtshof vorgetragen, daß der Widerstand, den die Kriegsgefangenen und die Arbeiter der besetzten Gebiete der hinterlistigen und gewalttätigen Aktion der Angeklagten entgegensetzten, schließlich den Plan der Aushebung von Fremdarbeitern zum Scheitern brachte. Der Angeklagte Sauckel hat zugegeben, daß er die größten Schwierigkeiten gehabt habe, um die von Hitler und den Angeklagten Göring, Speer und Funk genehmigten Programme durchzuführen.

Das bedeutet nicht, daß es dem nationalsozialistischen Deutschland nicht gelungen wäre, Massendeportationen von Fremdarbeitern tatsächlich durchzuführen. Die Zahl der Arbeiter, die aus den besetzten westeuropäischen Gebieten stammten und nach Deutschland deportiert wurden, ist sehr hoch. Noch größer war die Zahl der Arbeiter, die gezwungen wurden, an Ort und Stelle in den Fabriken und Werken zu arbeiten, die von den Besatzungsbehörden kontrolliert wurden.

Ich werde dem Gerichtshof statistische Angaben vorlegen, die es ihm ermöglichen, meine Behauptungen nachzuprüfen. Diese statistischen Angaben sind lückenhaft. Sie stammen aus Berichten, welche die Regierungen der besetzten Länder nach ihrer Befreiung aufgestellt haben, ebenso wie auch aus Denkschriften, die während [566] des Krieges von den Arbeitseinsatzbehörden an die zuständigen Stellen gerichtet worden sind.

Die statistischen Angaben alliierten Ursprungs sind unvollständig, und die Archive, mit deren Hilfe sie angefertigt wurden, sind zum Teil zerstört. Andererseits besitzen die Verwaltungen der besetzten Gebiete nur Auskünfte aus zweiter Hand, dann nämlich, wenn die Aushebung der Arbeiter unmittelbar von den Besatzungsbehörden durchgeführt wurde. Was die deutschen statistischen Angaben betrifft, so sind auch sie unvollständig, da die Alliierten Behörden noch nicht alle Archive des Feindes entdeckt haben.

Dennoch ist es möglich, dem Gerichtshof eine genaue Schätzung des Umfangs der von Deutschland durchgeführten Deportierungen zu geben. Diese Schätzung wird den Beweis erbringen, daß die von den Angeklagten begangenen Verletzungen des Völkerrechts nicht im Stadium des Versuchs steckengeblieben sind, der durch einen Anfang der Ausführung gekennzeichnet und für sich allein schon strafbar ist. Sie haben die soziale Unordnung herbeigeführt, die vom Standpunkt der Strafgesetzgebung die Vollendung des Verbrechens selbst bedeutet. Ich verlese zunächst die statistischen Angaben, die von der Französischen Regierung stammen.

Der Bericht der Französischen Regierung stammt aus dem Institut für Konjunkturforschung. Er enthält zahlreiche statistische Tabellen, aus denen ich nur die Globalzahlen entnehme. Der Bericht gibt nachfolgende Einzelheiten:

738000 Arbeiter sind zur Zwangsarbeit in Frankreich eingesetzt worden,

875952 französische Arbeiter sind in deutsche Fabriken deportiert worden,

987687 Kriegsgefangene sind in der deutschen Kriegswirtschaft beschäftigt worden.

Insgesamt sind 2601639 Arbeiter französischer Nationalität gezwungen worden, für die Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen Deutschlands zu arbeiten.

Aus dem amtlichen Bericht der Belgischen Regierung ergibt sich, daß 150000 Personen zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden, und der Bericht der Holländischen Regierung gibt die Zahl von 431400 Personen an, wobei hinzugefügt werden muß, daß diese Zahl weder die systematischen Razzien, die während des Monats November 1944 durchgeführt wurden noch auch die Deportationen aus dem Jahre 1945 einschließt.

Ich unterbreite dem Gerichtshof nunmehr genaue Angaben über alle Stadien der Politik, die sich auf die Aushebung von Fremdarbeitern bezieht.

[567] Diese Angaben entstammen den Berichten des Angeklagten Sauckel selbst oder der verschiedenen Verwaltungen, die sich mit der Deportation von Arbeitskräften beschäftigt haben.

Die Bedeutung der Arbeitskräfte, die in den besetzten Gebieten eingesetzt wurden, ergibt sich aus der Statistik über die Arbeiter, die bei dem Bau des Atlantikwalls innerhalb der Organisation Todt beschäftigt waren, von der ich bemerken möchte, daß ihre Leitung nach dem Tode ihres Begründers von dem Angeklagten Speer übernommen wurde.

Ich finde diese Statistik in einem Fernschreiben vom 17. Mai 1943, das der Angeklagte Sauckel an Hitler gerichtet hat. Es ist Dokument 556-PS-33, das ich dem Gerichtshof als RF-84 einreiche:

»Mein Führer!

Über den Arbeitseinsatz bei der Organisation Todt bitte ich folgende Zahlen vorlegen zu dürfen:

Zusätzlich zu den durch den Arbeitseinsatz seit meiner Amtsübernahme der gesamten deutschen Wirtschaft zugewiesenen Arbeitskräften wurde auch die Organisation Todt laufend mit neuen Arbeitskräften versehen.

Die Gesamtzahl der bei der OT beschäftigten Arbeitskräfte betrug:

Ende März 1942 270969 und

Ende März 1943 696003.

Dabei ist beachtlich, daß der Arbeitseinsatz insbesondere der OT im Westen zum Zwecke der Durchführung der Arbeiten am Atlantikwall beschleunigt und mit großer Energie Arbeitskräfte zugewiesen hat. Dieses ist umso bemerkenswerter, weil

1. in Frankreich, Belgien und Holland...« – ich überspringe einige Zeilen und lese auf Seite 2:

»Trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten wurde der Bestand der OT im Westen von

Ende März 1942 66701 Kräften

bis Ende März 1943 auf 248200 Kräfte erhöht.«

Schluß des Zitats.

Die Zahlen der Fremdarbeiter, die bis zum 30. September 1941 nach Deutschland deportiert wurden, sind in einem Bericht enthalten, der in den Archiven des OKW gefunden wurde. Es ist dies Dokument 1323-PS, das ich als RF-85 vorlege. Nach diesem Dokument waren am 30. September 1941 1226686 Arbeiter in Deutschland beschäftigt. Von diesen kamen 483842 aus den besetzten Westgebieten. Ich verlese dieses Dokument, das Einzelheiten über das Ursprungsland der deportierten Arbeiter enthält.

[568] Ich beschränke mich auf die Auszüge, die die Westgebiete behandeln, da die Statistik über die deportierten Ostarbeiter in den Bereich meines Sowjetkollegen gehört:

Dänemark: 63309; Holland: 134093; Belgien: 212903; Frankreich: 72475; Italien: 238557.

Schließlich legte Sauckel am 7. Juli 1944 in einem seiner letzten Berichte der nationalsozialistischen Regierung gegenüber Rechenschaft ab über die Ergebnisse seines Feldzugs im ersten Halbjahr 1944.

Ich verlese das Dokument, das die Nummer 208-PS trägt und überreiche es dem Gerichtshof als RF-86.

Ich verlese von der zweiten Seite:

»Von den Ausländern kamen... aus Frankreich, ohne Nordfrankreich: 33000; Belgien mit Nordfrankreich: 16000; Niederlande: 15000; Italien: 37000.«

Es handelt sich um die neuen Arbeitskräfte, die der deutschen Industrie zwischen dem 1. Januar und 30. Juni 1944 zur Verfügung gestellt wurden.

Ich habe dem Gerichtshof den Beweis erbracht, den ich ihm schuldete. Der Gerichtshof wird sich im übrigen auch des Geständnisses erinnern, das Sauckel auf der 58. Sitzung des Vierjahresplans abgegeben hat, und das ich bereits früher verlesen habe. Sauckel hat gestanden, daß es in Deutschland 5 Millionen Fremdarbeiter gegeben hat, von denen nur 200000 als wirkliche Freiwillige zu bezeichnen wären. Die Tatsache des Verbrechens, das ich hier bloßstelle, erhellt sowohl aus den Umständen seiner Ausführung als auch aus der Zahl der betroffenen Opfer. Um den Ernst seiner Wirkung zu beweisen, bleibt mir nur noch übrig, die den Fremdarbeitern in Deutschland zuteil gewordene Behandlung zu erläutern.

Die deutsche Propaganda hat immer behauptet, daß die nach Deutschland deportierten Fremdarbeiter genau so behandelt worden wären, wie die deutschen Arbeiter: Gleiche Lebensbedingungen, gleiche Arbeitsbedingungen und gleiche Disziplin. Diese These ist für sich allein nicht beweiskräftig. Meine amerikanischen Kollegen haben die Eingriffe bewiesen, die die nationalsozialistischen Verschwörer in die Würde und in die Lebensführung der deutschen Arbeiter vorgenommen haben. Die Wirklichkeit ist noch schlimmer. Die Fremdarbeiter haben in Deutschland nicht die Behandlung erfahren, auf die sie als menschliche Wesen ein Recht hatten. Ich behaupte dies und werde dem Gerichtshof den Beweis dafür erbringen.

Ich möchte jedoch zunächst die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die Bedeutung des neuen Verbrechens hinlenken, das ich ankündige. Es vollendet nicht nur das Verbrechen der Deportierung an sich, sondern gibt ihm erst seinen wirklichen Sinn. Ich habe dargelegt, daß die Politik der Angeklagten in den besetzten Gebieten [569] in folgendem Satz zusammengefaßt werden kann: Ausnutzung der schaffenden und Ausrottung der unproduktiven Kräfte. Man muß von dieser Idee, die einen der Leitsätze des Nationalsozialismus darstellt, ausgehen, um die Behandlung beurteilen zu können, welche die Angeklagten den Fremdarbeitern zuteil werden ließen. Die Deutschen haben die menschliche Arbeitskraft in den besetzten Gebieten bis zur äußersten Grenze der persönlichen Kräfte ausgenutzt.

Sie haben den Fremdarbeitern Entgegenkommen gezeigt, wenn es ihnen darauf ankam, die Arbeitsleistung zu erhöhen. Sie haben ihnen aber das allgemeine Los der Deportierten in dem Maße aufgezwungen, wie ihre Arbeitskraft abnahm. Ich will meine Behauptung beweisen, indem ich dem Gerichtshof die Arbeits- und Lebensbedingungen beschreibe, die den Fremdarbeitern in Deutschland aufgezwungen wurden, und ihm von der besonderen Disziplin Mitteilung machen, der die Fremdarbeiter unterworfen waren.

Ich bitte den Gerichtshof, die Tatsache, die ich vorbringe, dem Angeklagten Sauckel zur Last zu legen. Die allgemeinen Arbeitsbedingungen für die Fremdarbeiter sind unter der Kontrolle des Angeklagten durch ein Übereinkommen festgesetzt worden, dem er freiwillig zugestimmt hat. Der Text dieses Übereinkommens, der mit dem Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Ley, geschlossen wurde, ist im Reichsarbeitsblatt 1943, Teil I, Seite 588, erschienen. Ich habe ihn dem Gerichtshof zu Beginn meiner Darlegungen als RF-18 vorgelegt. Aus diesem Abkommen geht hervor, daß die Behandlung der Fremdarbeiter der Kontrolle eines Arbeitseinsatzinspekteurs unterstellt war. Der Angeklagte Sauckel mußte also von den Mißhandlungen Kenntnis haben, denen die Fremdarbeiter in Deutschland ausgesetzt waren. Wenn er diese Mißhandlungen auch nicht selbst angeordnet hat, so hat er sie doch geduldet.

Die Arbeitsverhältnisse der nach Deutschland deportierten Arbeiter erbringen den ersten Beweis dafür, daß die Angeklagten gewillt waren, die menschliche Arbeitskraft der besetzten Gebiete bis zur äußersten Grenze auszunutzen. Zunächst möchte ich die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf die den Fremdarbeitern auferlegte Arbeitszeit lenken. Die gesetzliche Arbeitszeit war in Deutschland durch einen Erlaß Sauckels vom 22. August 1942 auf vierundfünfzig Stunden in der Woche festgelegt worden. In Wirklichkeit mußte die Mehrzahl der Fremdarbeiter eine noch viel härtere Arbeitszeit auf sich nehmen. Außergewöhnliche Arbeiten, welche die Arbeiter dazu zwangen, Überstunden zu machen, wurden meist den Fremdarbeitern anvertraut. Es war nicht selten, daß diese gezwungen waren, elf Stunden am Tage, das heißt also sechsundsechzig Stunden in der Woche zu arbeiten, damit sie in den Genuß des wöchentlichen Ruhetages kamen.

[570] Ich führe zu diesem Zweck den Bericht des Ministeriums für Kriegsgefangene, Deportierte und Flüchtlinge an. Es handelt sich um Dokument UK-78 (3), das ich dem Gerichtshof als RF-87 vorlege.

Ich lese Absatz 2:

»Arbeitsstunden.

Die durchschnittliche Zahl der Arbeitsstunden betrug elf Stunden pro Tag, in gewissen Werkstätten, wie in der Maschinenfabrik Berlin, waren es dreizehn Stunden. In Berlin-Spandau verlangten die Alkett-Werke eine Arbeitszeit von zehneinviertel Stunden am Tage oder zwölf Stunden in der Nacht. In den Kruppwerken in Königsberg, in denen Raupenketten hergestellt wurden, verlangte man zwölf Stunden pro Tag.«

Die Arbeit der Fremdarbeiter wurde mit einem Lohn entgolten, der dem der deutschen Arbeiter gleich kam.

Ich möchte die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf den illusorischen Charakter dieser Gleichsetzung lenken: Die Politik der Blockierung der Löhne war ein Bestandteil der von der nationalsozialistischen Regierung durchgeführten Preispolitik, was dazu führte, daß der Lohn der in Deutschland beschäftigten Arbeiter begrenzt und im übrigen mit Abgaben und Steuern belastet war. Schließlich war er noch bedroht durch die Geldstrafen, die von den deutschen Unternehmungen ihren Arbeitern auferlegt werden konnten. Diese Geldstrafen konnten für leichtere Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin die Höhe eines Wochenlohnes erreichen.

Zum Beweis hierfür lege ich Dokument D-182 vor. Es handelt sich um die Entwürfe zweier Ansprachen an die ausländischen Zivilarbeiter. Die eine dieser Reden war für die russischen und polnischen Arbeitet bestimmt. Ich überlasse ihre Erläuterung meinen Sowjetkollegen. Die andere Rede lege ich dem Gerichtshof als Beweisstück RF-88 vor:

»Entwurf einer Ansprache für die ausländischen Zivilarbeiter, ›Erhaltung der Arbeitsdisziplin‹, (Januar 1944).

Ich habe Ihnen folgendes mitzuteilen:

Die Zunahme von Unpünktlichkeiten und Versäumnissen hat dazu geführt, daß die zuständigen behördlichen Stellen verschärfte Bestimmungen zur Sicherung der Arbeitsdisziplin erlassen haben. Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin wie wiederholte Unpünktlichkeit, grundloses oder unentschuldigtes Fehlen, eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstelle werden künftig mit Geldstrafen bis zur Höhe eines durchschnittlichen Tagesverdienstes geahndet. In schwereren Fällen, also z.B. bei wiederholtem unentschuldigtem oder grundlosem Fehlen, bei Widerspenstigkeiten treten Geldbußen bis zur Höhe eines durchschnittlichen Wochenverdienstes ein. Außerdem sind in [571] solchen Fällen die Lebensmittelzusatzkarten unter Umständen bis zur Dauer von vier Wochen zu entziehen.«

Die unsicheren Löhne, die die Fremdarbeiter nach diesen verschiedenen Abzügen tatsächlich erhielten, erlaubten es ihnen nicht, die Lebensbedingungen zu verbessern, die ihnen in den Orten zugestanden waren, in die sie verschleppt worden waren. Ich sage, daß dieses Lebensniveau unzureichend war, und daß die Verhältnisse des Arbeitseinsatzes eine ausgesprochene Verletzung der elementaren Grundsätze des Völkerrechts darstellen. Ich werde dies darlegen, indem ich dem Gerichtshof den Beweis dafür erbringe, daß sowohl die Ernährung als auch der ärztliche Beistand, auf den diese Fremdarbeiter ein Recht hatten, ungenügend waren.

Die deutschen Propaganda-Dienststellen haben in Frankreich illustrierte Heftchen herausgegeben, in denen die Einrichtungen für die Arbeiterunterkunft in Deutschland als sehr angenehm dargestellt waren. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Ich werde mich über diesen Punkt nicht weiter auslassen, da mein amerikanischer Kollege, Herr Dodd, dem Gerichtshof bereits Dokument D-288 vorgelegt und dazu nähere Erläuterungen gegeben hat. Es handelt sich hierbei um die eidesstattliche Erklärung Dr. Jägers, des Chefarztes der Arbeitslager der Kruppwerke. Ich möchte diesen Bericht nicht noch einmal verlesen, möchte aber daran erinnern, daß Dr. Jäger in diesem Dokument erklärte, daß die französischen Arbeiter in den Kruppwerken, Kriegsgefangene, beinahe ein halbes Jahr in Hundeställen, Aborten und alten Backöfen untergebracht waren, und daß die Männer in diesen drei Fuß hohen, neun Fuß langen und sechs Fuß breiten Hundeställen zu fünft geschlafen haben. Ich lege dieses Dokument zur Unterstützung meines Vortrags als RF-89 vor.

Zu den ungesunden Wohnungsverhältnissen kam noch eine schlechte Ernährung hinzu. In dieser Beziehung schulde ich dem Gerichtshof noch eine Erklärung. Ich behaupte nicht, daß die nach Deutschland deportierten Fremdarbeiter dort systematisch ausgehungert wurden. Ich sage nur, daß der nationalsozialistische Leitgedanke in der Lebensmittelversorgung der Fremdarbeiter seinen Ausdruck findet. Sie wurden anständig ernährt, solange der Arbeitseinsatz ihre Arbeitsleistung erhalten oder vergrößern wollte. Sie wurden aber auf schmale Kost gesetzt, sobald aus irgendwelchen Gründen ihre Leistungsfähigkeit abnahm. Sie traten alsdann in die Kategorie der nutzlosen Kräfte ein, deren Ausrottung der Nationalsozialismus predigte.

Am 10. September 1942 erklärte der Angeklagte Sauckel auf dem ersten Kongreß der Arbeitseinsatzbehörden Großdeutschlands:

»Die Ernährung und die Bezahlung der Fremdarbeiter muß im Verhältnis zu ihrer Arbeitsleistung und zu ihrem guten Willen stehen.«

[572] Er hat diese Einstellung in den Dokumenten näher entwickelt, die ich jetzt dem Gerichtshof als Beweismaterial vorlege. Ich verlese zunächst ein Schreiben Sauckels an Rosenberg, das in Dokument 016-PS wiedergegeben ist, das ich nicht verlesen werde, da dies bereits durch meinen amerikanischen Kollegen geschehen ist. Ich möchte jedoch die Aufmerksamkeit des Gerichtshofs auf Absatz 2, Seite 20 dieses Dokuments lenken, der die Verpflegung der Kriegsgefangenen und der Fremdarbeiter behandelt und der folgendermaßen lautet:

»Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmöglichste Leistung hervorbringen.«

Ich bitte den Gerichtshof, sich diese Formel zu merken. Es handelt sich darum, bei sparsamstem Einsatz die fremde Arbeitskraft in größtmöglichster Weise auszubeuten. Es ist die gleiche Auffassung, die ich auch in einem Schreiben finde, das Sauckel am 14. März 1943 an die Gauleiter richtete. Es ist dies Dokument 633-PS, das ich dem Gerichtshof als RF-90 vorlege:

»Betrifft: Behandlung und Betreuung der ausländischen und fremdvölkischen Arbeitskräfte.

Nicht nur die Ehre und das Ansehen und noch viel mehr unsere nationalsozialistische Weltanschauung verlangen im Gegensatz zu den Methoden der Plutokraten und Bolschewisten eine pflegliche Behandlung der fremden – also auch selbst der sowjetrussischen – Arbeitskräfte, sondern vor allem auch die kalte Vernunft. Unterernährte, dahinsiechende, unwillige, verzweifelte und haßerfüllte Sklaven ermöglichen niemals eine höchste Ausnützung ihrer unter normalen Bedingungen erzielbaren Leistungen.«

Ich gehe jetzt weiter zum letzten Absatz über:

»Da wir aber die fremden Arbeitskräfte jahrelang brauchen und auch deren Ersatz sogar sehr begrenzt ist, kann ich sie nicht kurzfristig ausbeuten und ihr Arbeitsvermögen nicht verwirtschaften lassen....«

Die verbrecherische Auffassung, die diese Dokumente ausdrücken, kommt insbesondere in der Anwendung der Verpflegungssanktionen zum Ausdruck, die den deportierten Arbeitern auferlegt wurden. Ich beziehe mich auf Dokument D-182, das ich dem Gerichtshof soeben als Nummer RF-88 vorgelegt habe, und erinnere daran, daß in diesem Dokument die Möglichkeit vorgesehen wird, die widerspenstigen Arbeiter dadurch zu bestrafen, daß ihnen die Lebensmittelkarten entzogen wurden.

Obgleich die Fremdarbeiter wegen ihrer schlechten Unterbringung und Verpflegung irgendwelchen Krankheiten und Epidemien in [573] besonderem Maße ausgesetzt waren, wurde ihnen dennoch keine angemessene ärztliche Pflege zuteil.

Zum Beweis lege ich einen Bericht vom 15. Juni 1944 vor, der von Dr. Fevrier, dem Leiter des Gesundheitsdienstes der Französischen Delegation bei der Deutschen Arbeitsfront stammt. Es ist dies Dokument F-536. Ich überreiche es dem Gerichtshof als RF-91 und verlese von Seite 15 des französischen Originaltextes, Seite 13 der deutschen Übersetzung, den letzten Absatz von Seite 15 des französischen Originaltextes:

»In Auschwitz laufen in einem sehr schönen Lager für 2000 Arbeiter Tuberkulöse frei herum, die von dem zuständigen deutschen Arzt des dortigen Arbeitsamtes als solche anerkannt worden sind. Dieser Arzt hat sich jedoch aus feindlicher Einstellung heraus nicht um ihren Rücktransport gekümmert. Ich unternehme im Augenblick Schritte, um ihren Heimtransport zu erreichen. In einem sauberen, hellen und gutgelüfteten Spital in Berlin, in dem der deutsche Chefarzt nur alle drei Wochen Visite macht, und in dem eine russische Ärztin einheitlich allen Kranken Beruhigungstropfen verabreicht, sah ich ein Dutzend Fälle von Lungentuberkulose, unter denen sich drei frühere Kriegsgefangene befanden, die alle, mit einer Ausnahme, bereits die äußerste Grenze überschritten hatten, jenseits derer die Behandlung noch einige Wirkung haben könntet«

Eine Statistik der während der Deportation verstorbenen Fremdarbeiter ist nicht aufgestellt worden. Professor Henri Dessaille, der Generalinspekteur für Gesundheitswesen im Arbeitsministerium, ist der Ansicht, daß schätzungsweise 25000 französische Arbeiter in Deutschland während ihrer Deportation gestorben sind, keineswegs aber alle aus Krankheitsgründen; denn zu der langsamen Ausrottung hat sich die schnelle Vernichtung in den Konzentrationslagern gesellt.

Die disziplinären Maßnahmen gegenüber den Fremdarbeitern waren in der Tat von einer Härte, die mit den Bestimmungen des Völkerrechts im Widerspruch standen. Ich habe bereits einige Beispiele für Strafen angeführt, denen die Fremdarbeiter ausgesetzt wurden. Es gab deren aber noch schlimmere. Die Arbeiter, die von den Wachmannschaften als widerspenstig betrachtet wurden, verbrachte man in besondere Straflager. Manche Arbeiter sind für immer in den Konzentrationslagern verschwunden.

Ich darf den Gerichtshof darauf aufmerksam machen, daß ich für die Tatsache, zu der ich nunmehr komme, bereits mittelbar Beweis angeboten habe. Im Verlauf meiner Darlegungen habe ich als RF-44 die Verordnung Sauckels vom 29. März 1943 vorgelegt, der die Dauer der Arbeitsverträge um die Zeit verlängert, die die Arbeiter im Gefängnis oder im Internierungslager verbracht haben. [574] Ich will mich mit dieser Frage nicht aufhalten. Mein amerikanischer Kollege, Herr Dodd, hat dem Gerichtshof die Dokumente vorgelegt, die den Beweis für die Überführung der Deportierten von der Arbeitsstelle in die Konzentrationslager erbringen. Ich erlaube mir im übrigen, den Gerichtshof auf die Erklärungen zu verweisen, die Herr Dubost ihm in einigen Tagen unterbreiten wird.

Ich darf jedoch die Tragweite dieser Verfolgung der Fremdarbeiter unterstreichen. Sie stellt die Vollendung des Verbrechens der Deportation von Arbeitern dar und ergibt den Beweis für die Folgerichtigkeit der deutschen Ausrottungspolitik.

Ich habe dem Gerichtshof den Bericht über die Ereignisse vorgelegt, die die zivile Mobilisation der Fremdarbeiter zur Arbeit im nationalsozialistischen Deutschland bedeuten. Ich habe gezeigt, wie die Einrichtung der Zwangsarbeit in den allgemeinen Rahmen der deutschen Machtpolitik eingeschaltet wurde.

Ich habe die Methoden entwickelt, die von den Angeklagten angewandt wurden, um die Zwangsaushebung von Fremdarbeitern durchzuführen, und habe die Bedeutung der Deportationen hervorgehoben, die vom Arbeitseinsatz vorgenommen wurden. Schließlich habe ich dem Gerichtshof vorgeführt, auf welche Weise die Deportierten behandelt und mißhandelt worden sind.

Die Politik der Zwangsarbeit umfaßt alle Vergehen, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fallen: Verletzung internationaler Vereinbarungen, Verstoß gegen das Völkerrecht, Verbrechen nach gemeinem Recht.

Alle Angeklagten sind für diese Verbrechen nach Maßgabe ihrer Zuständigkeit verantwortlich: Die Reichsregierung hat die Grundsätze der Politik der Zwangsaushebung aufgestellt; das Oberkommando der Wehrmacht hat für ihre Durchführung in den Betrieben der Wehrmacht, der Kriegsmarine und der Luftwaffe gesorgt; die Zivilverwaltungen haben auf sie die deutsche Kriegswirtschaft gestützt.

Ich verweile im besonderen bei der Schuld einzelner Angeklagter; Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, hat an dem Erlaß und an der Durchführung der Pläne für die Aushebung der Fremdarbeiter mitgearbeitet; Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, der die Erlasse Hitlers mitunterzeichnet hat, hat die Zwangsarbeit zu einem Bestandteil seiner Politik zur Erhöhung der militärischen Effektivstärken gemacht; Funk, der Reichswirtschaftsminister, und Speer, der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, haben ihre Programme für die Produktion von Kriegsgerät auf die Zwangsarbeit gegründet; Sauckel endlich der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, hat sich als entschlossener und, nach seinen eigenen Worten, fanatischer Verfechter der Politik [575] der Zwangsaushebung gezeigt, die in Holland von Seyß-Inquart eingeführt und durchgeführt wurde.

Der Gerichtshof wird die Verantwortlichkeit der Einzelnen beurteilen, ich aber stelle den Antrag, das Verbrechen der Mobilisierung der Fremdarbeiter zu verdammen, und bitte den Gerichtshof, die Würde der menschlichen Arbeit wiederherzustellen, die von den Angeklagten entehrt worden ist.

M. CHARLES GERTHOFFER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE FRANZÖSISCHE REPUBLIK: Herr Vorsitzender, meine Herren Richter: Die französische Anklagevertretung ist mit dem Vortrag desjenigen Teiles der Anklage beauftragt, der sich mit den Taten beschäftigt, die die Angeklagten im westlichen Teile Europas begangen haben, und mit denen ihnen ein Verstoß gegen Artikel VI B des Statuts vom 8. August 1945 zur Last gelegt wird. Diese Stelle sieht die Verletzung der Gesetze und Gebräuche des Krieges vor, und zwar einmal gegenüber Personen und zum anderen gegenüber dem zivilen und öffentlichen Eigentum.

Derjenige Teil der Anklage, der sich auf die Verbrechen gegenüber Personen bezieht, das heißt also Mißhandlung von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, Folterung, Mord, Deportationen, sowie die Zerstörungen, die durch keinerlei militärische Bedürfnisse gerechtfertigt waren, ist durch meinen Kollegen vorgetragen worden, und dies wird auch weiterhin so sein. Herr Delpech und ich haben jedoch die Ehre, Ihnen die Plünderungen des privaten und öffentlichen Eigentums vorzutragen. Der Gerichtshof wird den trockensten Teil des Vortrags der französischen Anklagevertretung zu hören bekommen, aber wir werden uns bemühen, diesen Teil so kurz wie möglich vorzutragen, die Verlesung der zahlreichen vorgelegten Dokumente möglichst kurz zu gestalten und, soweit wie möglich, das Zahlenmaterial einzuschränken, um nur die wichtigsten Tatsachen ans Licht zu bringen.

Wir werden jedoch manchmal auf Einzelheiten eingehen müssen, damit der Gerichtshof gewisse charakteristische Tatsachen beurteilen kann, die wir den Angeklagten vorwerfen, Tatsachen, die man sich gewöhnt hat, unter dem Ausdruck »wirtschaftliche Ausplünderung« zu bezeichnen.

Bevor ich dieses Thema behandle, möchte ich den Gerichtshof um die Erlaubnis bitten, daß die Mitglieder der Wirtschaftsabteilung der französischen Delegation ihre Dankbarkeit gegenüber ihren Kollegen der alliierten Delegationen zum Ausdruck bringen dürfen, insbesondere der »American Section of the Economic Case« gegenüber, die ihr zahlreiche von der Armee der Vereinigten Staaten entdeckte deutsche Dokumente und wichtige Einrichtungen zur Vervielfältigung solcher Dokumente zur Verfügung gestellt hat.

[576] Ich habe die Ehre, dem Gerichtshof nacheinander folgendes vorzutragen:

1. Allgemeine Betrachtungen über die wirtschaftliche Ausbeutung der besetzten westeuropäischen Länder.

2. Der besondere Fall Dänemark.

3. Der Fall Norwegen.

4. Der Fall Holland.

Mein Kollege, Herr Delpech, wird Ihnen einen fünften Teil vortragen, der Belgien und dem Großherzogtum Luxemburg gewidmet ist. Ich selbst werde die Ehre haben, einen sechsten Teil vorzutragen, der sich mit Frankreich beschäftigt, und sodann die Schlußworte zu sprechen.

Schließlich wird Herr Delpech in einer besonderen Darstellung Einzelheiten über die Plünderung von Kunstschätzen in den besetzten westeuropäischen Gebieten geben.

Während dieser Ausführungen werden wir eine gewisse Anzahl von Dokumenten vorlegen. Wir werden aus ihnen nur die Stellen verlesen, die uns am wichtigsten erscheinen. Wenn sich das gleiche Dokument auf verschiedene Fragen bezieht, so werden wir für den Fall, daß es wegen des verwickelten Charakters der Tatsachen unmöglich sein sollte, alle Auszüge zu gleicher Zeit zu verlesen, nur diejenigen Auszüge verlesen, die sich auf die gerade behandelte Frage beziehen, und die übrigen zurückstellen. Wir werden dann aber jeweils eine Verweisung auf das Dokumentenbuch vornehmen.

Hitler hat in seinen Schriften und Reden niemals die wirtschaftlichen Ziele des Angriffs verheimlicht, dessen Deutschland sich schuldig gemacht hat.

Die Rassenlehre und die Lehre vom Lebensraum vermehrte die Gier der Deutschen und reizte gleichzeitig ihre kriegerischen Instinkte.

Nachdem sie Österreich und die Tschechoslowakei kampflos erobert hatten, wandten sie sich gegen Polen und bereiteten den Angriff auf die Länder Westeuropas vor, in denen sie das zu finden hofften, was ihnen zur Sicherung ihrer Herrschaft noch fehlte. Diese Tatsache ist in förmlicher Weise im Dokument EC-606, das von der Armee der Vereinigten Staaten entdeckt wurde, zum Ausdruck gebracht. Ich lege es dem Gerichtshof als RF-92 vor. Es handelt sich um die Niederschrift über eine am 30. Januar 1940 bei dem Angeklagten Göring stattgehabte Besprechung, bei der Oberstleutnant Conrath. und Direktor Lange von der Wirtschaftsgruppe Maschinenbau zugegen waren. Dies ist die wichtige Stelle:

»Feldmarschall Göring sagte mir zu Beginn, daß er mich unterrichten müsse über die Absichten des Führers und die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Maßnahmen.

Er führte aus:

[577] Der Führer ist fest davon überzeugt, daß es ihm durch einen Großangriff im Westen gelingen werde, die Kriegsentscheidung im Jahre 1940 herbeizuführen. Er rechnet damit, daß Belgien, Holland und Nordfrankreich in unseren Besitz kommen, und er, der Führer, habe sich ausgerechnet, daß die Industriegebiete von Douai und Lens und die von Luxemburg, Longwy und Briey rohstoffmäßig die Lieferungen Schwedens ersetzen können. Infolgedessen habe sich der Führer entschlossen, jetzt ohne Rücksicht auf spätere Zeiten unsere Rohstoffreserven voll einzusetzen, zu Lasten evtl. späterer Kriegsjahre. Die Richtigkeit dieses Entschlusses wird beim Führer bestärkt durch die Auffassung, daß die beste Bevorratung nicht Rohstoffbevorratung, sondern die von fertigem Kriegsgerät sei. Außerdem müsse man damit rechnen, daß, wenn der Luftkrieg begonnen hätte, auch unsere Fertigungsstätten zerschlagen werden könnten. Der Führer ist außerdem der Auffassung, daß es darauf ankommt, im Jahre 1940 Höchstleistungen zu erreichen, und daß man deswegen sich später auswirkende Programme zur Beschleunigung der sich 1940 nicht auswirkenden, zurückstellen solle.«

Im Augenblick ihrer Besetzung war in den Ländern Westeuropas ein Überfluß von Erzeugnissen aller Art vorhanden. Nach vier Jahren systematischer Ausplünderung und Vergewaltigung der Produktionskraft sind diese Länder zugrunde gerichtet, und die Gesamtheit ihrer Bevölkerung ist infolge der rigorosen Einschränkungen körperlich geschwächt.

Um zu derartigen Ergebnissen zu gelangen, haben die Deutschen alle möglichen Verfahren angewandt, insbesondere Gewalt, List und Erpressung.

Diese Darstellung hat zum Gegenstand, die wichtigsten Plünderungen aufzuzeigen, die von den deutschen leitenden Persönlichkeiten in den westeuropäischen Ländern angeordnet wurden, und weiterhin, zu beweisen, daß sie Kriegsverbrechen darstellen, die unter die Zuständigkeit des »Internationalen Militärgerichtshofes für die Hauptkriegsverbrecher« fallen.

Es ist nicht möglich, eine genaue Bilanz der deutschen Plünderungen aufzustellen und den Gewinn zu berechnen, den sie auf Grund der Vergewaltigung der Produktionskraft der besetzten Gebiete gezogen haben. Einerseits haben wir hierfür nicht genügend Zeit, und andererseits sehen wir uns materiellen Schwierigkeiten gegenüber, die sich daraus ergeben, daß gewisse Operationen im geheimen durchgeführt wurden und daß manche Archive durch den Krieg zerstört oder im Augenblick der deutschen Niederlage freiwillig vernichtet worden sind.

[578] Trotzdem erlauben uns die jetzt gesammelten Dokumente zusammen mit den eingezogenen Erkundigungen, ein Mindestmaß von Plünderungen festzustellen.

An dieser Stelle sind drei Vorbemerkungen erforderlich:

1. Die zahlreichen Fälle individueller Einzelplünderungen, die von den Deutschen begangen worden sind, werden in dieser Darstellung nicht aufgeführt, da sie in die Zuständigkeit einer anderen Gerichtsbarkeit fallen.

2. Wir werden nur beiläufig die unberechenbaren finanziellen Folgen der deutschen Grausamkeiten erwähnen, zum Beispiel den materiellen Nachteil, der den Anverwandten der ermordeten Ernährer ihrer Familien zugefügt wurde, oder den Nachteil, den manche Opfer durch die schlechte Behandlung erlitten haben, derzufolge sie entweder ganz oder teilweise, zeitweilig oder dauernd arbeitsunfähig geworden sind. Und schließlich wollen wir auf die Schäden hinweisen, die durch die aus Rache oder Einschüchterungsgründen vorgenommenen Zerstörungen von Ortschaften und Grundstücken entstanden sind.

Endlich, Hoher Gerichtshof, werden wir diejenigen Schäden beiseite lassen, die durch echte militärische Operationen entstanden sind, und die sich nicht als pekuniäre Folgen von Kriegsverbrechen darstellen. Wenn solche Schäden behandelt werden, die durch militärische Schäden entstanden sind, dann werden wir eine nähere Erklärung dafür abgeben.

Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich jetzt nur den Teil »Allgemeine Darlegungen über die wirtschaftliche Ausplünderung Westeuropas« beginnen.

Unter wirtschaftlicher Ausplünderung versteht man die Wegnahme von Reichtümern aller Art sowie die Vergewaltigung der Produktionskraft in den verschiedenen überfallenen Ländern.

Um zu einem solchen Ergebnis zu gelangen, besonders in Ländern, die allgemein stark industrialisiert und in denen zahlreiche Vorräte an Fertigwaren und ein Überfluß an landwirtschaftlichen Erzeugnissen vorhanden waren, sah sich das deutsche Unternehmen erheblichen Schwierigkeiten gegenübergestellt.

Obwohl die Deutschen dieses Verfahren bis zur höchsten Vollendung entwickelt haben, waren ihnen die Requisitionen von Anfang an nicht ausreichend. Sie mußten vielmehr nach Möglichkeiten suchen, um die verschiedenartigsten Dinge aufzuspüren, die manchmal von den Bewohnern versteckt gehalten wurden. Andererseits mußten sie die wirtschaftliche Tätigkeit dieser Länder zum Nutzen Deutschlands aufrechterhalten.

[579] Das einfachste Verfahren, um sich der Verteilung der vorhandenen Erzeugnisse und der Produktion selbst zu bemächtigen, bestand darin, sich in den Besitz fast aller Zahlungsmittel zu setzen und die Verteilung dieser Zahlungsmittel, notfalls durch Gewalt, im Austausch gegen Waren oder Dienstleistungen zu erzwingen, während gleichzeitig die etwaige Preiserhöhung bekämpft wurde.

Die Bevölkerung war daher gezwungen, unmittelbar oder mittelbar für Deutschland zu arbeiten, um dem drohenden Hungertod zu entgehen.

Der erste Teil dieser Darlegungen ist in fünf Kapitel eingeteilt:

1. Übernahme der Zahlungsmittel durch Deutschland.

2. Vergewaltigung der Produktionskraft der besetzten Länder.

3. Einzelkäufe, die nicht mit den individuellen Plünderungen verwechselt werden dürfen.

4. Schwarzhandel, der von Deutschland zu seinen Gunsten organisiert wurde.

5. Wir werden die Frage der wirtschaftlichen Ausplünderung vom Blickpunkt des Völkerrechts, insbesondere nach dem Haager Abkommen, betrachten.

Kapitel 1: Übernahme der Zahlungsmittel durch Deutschland.

Um sich in den Besitz der Zahlungsmittel zu setzen, haben die Deutschen in den verschiedenen Ländern ungefähr die gleichen Methoden angewandt. Zunächst ergriffen sie zwei Hauptmaßnahmen:

Die erste bestand in der Ausgabe von Papiergeld. Sie erfolgte auf Grund einer Verordnung vom 9. Mai 1940, die im »Verordnungsblatt für die besetzten französischen Gebiete«, dem amtlichen deutschen Organ, Seite 69, veröffentlicht wurde. Ich werde das Verordnungsblatt künftig unter seiner amtlichen Abkürzung »VOBIF« zitieren. Ich lege dem Gerichtshof diese Verordnung als RF-93 vor. Sie betrat zunächst Dänemark und Norwegen und wurde am 19. Mai 1940 auch auf die besetzten Gebiete Belgiens, Hollands, Luxemburgs und Frankreichs für anwendbar erklärt. Die Deutschen schritten zur Ausgabe von Reichskreditkassenscheinen, die nur in den einzelnen besetzten Ländern gültig waren.

Die zweite Maßnahme der Deutschen bestand in der Blockierung der bestehenden Zahlungsmittel im Innern der besetzten Gebiete. Diese erfolgte für Frankreich auf Grund der Verordnung vom 10. Mai 1940, durch die Verordnung auf Seite 58 des VOBIF, die ich als Dokument RF-94 vorlege, für Holland durch die Verordnungen vom 24. Juni, 14. August, 16. August und 18. September 1940, die als Dokument RF-95, RF-96 und RF-97 vorgelegt werden und für Belgien durch die Verordnungen vom 17. Juni und 22. Juli 1940, die als RF-99 und RF-100 vorgelegt werden.

[580] Diese Maßnahmen, insbesondere die Ausgabe von Papiergeld, die der ausschließlichen Willkür der Deutschen überlassen und keiner Kontrolle seitens der Finanzverwaltungen der besetzten Gebiete unterworfen war, mußten, wie wir sogleich sehen werden, als gewaltiges Druckmittel dienen, um die Auferlegung ungeheurer Kriegstribute unter dem Vorwand der Versorgung der Besatzungstruppen vorzunehmen, und angebliche Zahlungsabkommen zu erzwingen, die als sogenannte »Clearing«-Abkommen bekannt waren, und zum fast ausschließlichen Nutzen des Besatzungsträgers funktionierten.

Auf diese Weise verschaffte sich die Besatzungsmacht in betrügerischer Weise die Zahlungsmittel, deren sie zur Durchführung von Operationen zu ihrem ausschließlichen Vorteil bedurfte, und die sich auf erhebliche Beträge beliefen.

Alle landwirtschaftlichen und industriellen Erzeugnisse, alle Rohstoffe und Erzeugnisse aller Art sowie alle Dienstleistungen, die von Deutschland scheinbar regelmäßig, sei es durch Banknoten der Reichskreditkasse oder durch sogenannte Clearing-Abkommen, oder durch Kriegstribute, die als Entschädigungen für den Unterhalt der Besatzungstruppen galten, bezahlt wurden, sind wissentlich ohne jede Gegenleistung erbracht worden.

Es steht fest, daß derartige Regelungen nur fiktiv waren, und daß sie das am häufigsten angewandte betrügerische Verfahren darstellten, um die wirtschaftliche Ausplünderung der westeuropäischen Länder zu verwirklichen.

Alle diese Fragen werden im Verlauf unserer Darlegungen noch genauer untersucht werden. Um aber die wirtschaftliche Ausplünderung der besetzten Gebiete mittels ihres eigenen Geldes durchzuführen, mußte dieses Geld in seiner angemessenen Kaufkraft erhalten werden, weshalb sich die Deutschen um eine Stabilisierung der Preise bemühten. Eine solche Reglementierung stellte die Preiserhöhung unter Strafe, wie aus verschiedenen Erlassen hervorgeht, die auf den Seiten 8, 60 und 535 des VOBIF abgedruckt sind und die ich nunmehr als Dokument RF-101 vorlege. Jedoch konnte die Zuflucht zu solchen Maßnahmen das Spiel der wirtschaftlichen Gesetze nicht verhindern. Die Bezahlung von Kriegstributen, die im Vergleich zu den Hilfsquellen der überfallenen Länder übermäßig hoch waren, hatte eine fortschreitende Preissteigerung zur Folge. Die leitenden Persönlichkeiten des Reiches waren sich der Lage vollständig bewußt, verfolgten die Preissteigerung mit der größten Aufmerksamkeit und versuchten, ihr Einhalt zu gebieten.

Wir wissen dies aus den geheimen Berichten von Hemmen, dem Vorsitzenden der Wirtschaftsabteilung bei der Waffenstillstandskommission. Wir werden diesen Bericht behandeln, wenn wir den besonderen Fall Frankreichs besprechen werden.

[581] Kapitel 2: Unterjochung der Produktionskraft der besetzten Gebiete.

Als die Deutschen die Länder Westeuropas überfielen, herrschte dort als Folge dieses Überfalls die größte Unordnung. Die Bevölkerung hatte sich angesichts des vorrückenden Feindes zurückgezogen. Die Industrien waren lahmgelegt. Deutsche Truppen bewachten die Fabriken und verwehrten jedem den Eintritt. Es ist mir nicht möglich, eine Liste der betroffenen Industrieunternehmen zu geben, da sie fast alle unter dieser Situation zu leiden hatten.

Als Beispiel will ich jedoch dem Gerichtshof das Original einer der zahlreichen Bekanntmachungen vorlegen, die in den Industrieunternehmen Frankreichs angeschlagen wurden. Ich lege diese Bekanntmachung dem Gerichtshof als RF-102 vor. Sie ist vom 28. Juni 1940 datiert und stammt aus Paris. Ein Text ist deutsch und der andere ist französisch:

»Dieser Betrieb ist gemäß Befehl des Generalfeldmarschalls Göring vom 28. 6. 1940 vom Generalluftzeugmeister treuhänderisch übernommen.

Das Betreten desselben ist nur mit besonderer Genehmigung des Generalluftzeugmeisters Verbindungsstelle Paris gestattet.«

Kaum waren diese Fabriken militärisch besetzt, als unmittelbar nach den Truppen deutsche Ingenieure eintrafen, die eine methodische Entfernung der besten Maschinen durchführten. Aus einem vom Dezember 1940 stammenden Geheimbericht des Obersten Hedler vom Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW, Seite 77 und 78, geht hervor, daß die Wegnahme der besten Maschinen in den besetzten Gebieten organisiert werden sollte, trotz der Bestimmungen des Artikels 53 des Haager Abkommens. Ich lege dieses Dokument als EC-84, RF-103 vor.

Andererseits versammelten sich die bereits mittellosen Arbeiter sofort nach dem Einfall um diese Fabriken, in der Hoffnung, durch Arbeit ihren Lebensunterhalt zu sichern.

In allen besetzten Gebieten erhoben sich die gleichen Probleme, nämlich die Plünderung der Maschinen, die in einem schnellen Tempo vor sich ging, zu stoppen und den Arbeitern Arbeit zu verschaffen.

Die Deutschen verfügten ihrerseits die Wiederaufnahme der Arbeit in den Fabriken, und zwar unter dem Vorwand, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Die Verordnung vom 20. Mai 1940, die in der VOBIF auf Seite 31 veröffentlicht ist und die wir als Dokument RF-104 vorlegen, schreibt bezüglich der Niederlande, Hollands, Belgiens, Luxemburgs und Frankreichs die [582] Wiederaufnahme der Arbeit in allen Handwerksbetrieben, Betrieben der Nahrungsmittelindustrie und der Landwirtschaft vor. Die gleiche Verordnung schreibt die Ernennung vorläufiger Administratoren in denjenigen Fällen vor, in denen die Leiter abwesend sind oder andere Gründe höherer Gewalt vorliegen.

VORSITZENDER: Vielleicht könnten wir jetzt abbrechen.


[Das Gericht vertagt sich bis

21. Januar 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 5, S. 549-584.
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