Nachmittagssitzung.

[115] JUSTICE JACKSON: Ich möchte einige Fragen an Sie richten über Ihre Aufgaben und Ihre Tätigkeit bei der Zentralen Planung. Sie gehörten der Zentralen Planung an, nicht wahr?

MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Wie lange waren Sie Mitglied?


MILCH: Von Anfang an. Ich glaube, das war im Jahre 1941 oder 1942, bis zum Ende.


JUSTICE JACKSON: Außer Ihnen gehörte der Angeklagte Speer diesem Gremium an?


MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Der Angeklagte Funk?


MILCH: Jawohl, aber erst später.


JUSTICE JACKSON: Wann ist er eingetreten?


MILCH: In dem Augenblick, als ein großer Teil der zivilen Produktion auf das Ministerium Speer, auf das Rüstungsministerium überging.


JUSTICE JACKSON: Und Körner? War Körner ein Mitglied der Zentralen Planung?

MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Wer war Dr. Sauer?


MILCH: Sauer war ein Beamter im Ministerium Speer; er gehörte aber nicht zur Zentralen Planung.


JUSTICE JACKSON: Er führte aber einige Male das Protokoll, nicht wahr?


MILCH: Nein, meiner Meinung nach hat er es nicht geführt.


JUSTICE JACKSON: Sauckel war häufig bei den Sitzungen anwesend, nicht wahr?


MILCH: Oft nicht, aber gelegentlich.


JUSTICE JACKSON: Was waren die Aufgaben der Zentralen Planung?


MILCH: Die Verteilung der Rohstoffe unter verschiedene Kontingentträger, wie Wehrmacht, Heer, Marine, Luftwaffe und der zivile Bedarf für die verschiedenen Zweige, wie Bergbau, Industrie, industrielle und private Bautätigkeit und so weiter.


JUSTICE JACKSON: Und Arbeiter?


MILCH: Pardon, Arbeiter? Hatten wir nicht zu verteilen.


JUSTICE JACKSON: Sie hatten nichts mit Arbeitern zu tun? Habe ich Sie richtig verstanden?


[115] MILCH: Vorschläge zu machen, aber nicht die Verteilung vorzunehmen.


JUSTICE JACKSON: Sie meinen damit nicht die Verteilung unter den verschiedenen Industrien, die sich gegenseitig die Arbeiter wegzunehmen versuchten?


MILCH: Das war natürlich ein Punkt, der die Rüstung hauptsächlich anging, weniger die Zentrale Planung.


JUSTICE JACKSON: Wußten Sie, daß Speer alle seine persönlichen Papiere und Listen einschließlich der Protokolle über die Zentrale Planung den Vereinigten Staaten übergeben hat?


MILCH: Das wußte ich nicht, ich höre es hier.


JUSTICE JACKSON: Ich möchte bitten, daß die Protokolle, die Protokollbände, die das US-Dokument R-124 darstellen und als französisches Beweisstück RF-30 vorgelegt worden sind, dem Zeugen zur Durchsicht im deutschen Original zur Verfügung gestellt werden. Ich möchte einige Fragen darüber an Sie richten.


MILCH: Ja.


[Dokument R-124 wird dem Zeugen übergeben.]


JUSTICE JACKSON: Wollen Sie dem Zeugen Seite 1059, Zeile 22 zeigen? Dies, Zeuge, soll das Protokoll der 21. Sitzung der Zentralen Planung vom 30. Oktober 1942 im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition sein, und das Protokoll führt Sie als anwesend an. Können Sie sich erinnern, daß Sie an dieser Besprechung teilnahmen?

MILCH: Aus dem einen Satz kann ich es noch nicht sehen, ich möchte es aber wohl annehmen. Ja, ich sehe hier in dem Protokoll, daß mein Name öfter genannt wird.


JUSTICE JACKSON: Ich lenke nun Ihre Aufmerksamkeit auf Seite 1059, Zeile 22, auf die folgende Eintragung, und ich frage Sie, ob dies Ihre Erinnerung über die Funktionen dieser Behörde auffrischt?

»Speer: Die Bummelantenfrage ist auch ein Punkt, den wir behandeln müssen. Ley hat festgestellt, daß dort, wo Betriebsärzte sind und die Leute von den Betriebsärzten untersucht werden, sofort der Krankenstand auf ein Viertel bis ein Fünftel sinkt. SS und Polizei könnten hier ruhig hart zufassen und die Leute, die als Bummelanten bekannt sind, in KZ-Betriebe stecken. Anders geht es nicht. Das braucht nur ein paarmal zu passieren, das spricht sich herum.«

Befaßten Sie sich bei dieser Sitzung nicht mit der Arbeitslage, und erinnert Sie dies nicht an die Behandlung von Arbeitsfragen?

MILCH: Ich kann mich erinnern, daß über die Bummelantenfrage gesprochen wurde. Es handelte sich aber um Bummelanten, [116] um Arbeiter, um Leute, die in normalen Zeiten, im Frieden, nicht bei der Arbeiterschaft bei uns waren, sondern die durch die Erfassung der totalen Arbeitskraft im Kriege zur Arbeit verpflichtet wurden. Bei diesen Leuten, ich wiederhole, die nicht zur normalen Arbeiterschaft gehörten, gab es einige Bummelanten, die aber überall den guten Geist in der Arbeiterschaft störten, und um diese Leute handelt es sich.

JUSTICE JACKSON: Diese sollten in Konzentrationslager gesandt werden, wie Sie wissen?


MILCH: Ja, das ist mir gesagt worden. Aber daraufhin ist ja noch kein Beschluß gefaßt worden. Außerdem waren wir gar nicht dafür zuständig, jemand in ein Konzentrationslager zu schicken.


JUSTICE JACKSON: Gut, aber wurde nicht gesagt, daß man nichts dagegen habe, daß die SS sie übernehme? Sie wußten, daß die SS die Konzentrationslager unter sich hatte, nicht wahr?

MILCH: Ja, natürlich.


JUSTICE JACKSON: Und daher wußten Sie, daß, wenn man sie der SS übergibt und sie in die Konzentrationslager bringt, dies ein Mittel war, sie zu zwingen, mehr Waren zu produzieren, nicht wahr?


MILCH: Ja, natürlich sollten die Leute dazu gezwungen werden. Es handelte sich um Deutsche, die ihre Pflicht ihrem Vaterland gegenüber nicht erfüllen wollten.


JUSTICE JACKSON: Handelte es sich hier nur um Deutsche?


MILCH: Soweit ich weiß, handelte es sich hier nur um Deutsche. Wenn der Ausdruck Bummelanten, oder Gelegenheitsarbeiter wurden sie auch genannt, gebraucht wurde, waren es nur die Leute, die frei herumzogen, die viermal im Monat ihren Arbeitsplatz wechselten und uns hauptsächlich von den Vertretern unserer eigenen Arbeiter angegeben wurden. Unsere eigenen Arbeiter beschwerten sich darüber, daß diese Leute alle Vorteile für Verpflegung und so weiter bekamen, während sie nichts taten und immer wieder rechtzeitig aus dem Betrieb herausgingen, und daß jeder Betrieb froh war, diese Leute loszuwerden.


JUSTICE JACKSON: Und man wurde sie los, indem man sie in die der SS unterstehenden Konzentrationslager sandte?


MILCH: Sie sollten erzogen werden, weil von der Seite aus gesagt wurde, daß die Leute bei einer anderen Art der Verteilung ihrer zusätzlichen Verpflegung, nicht der Grundverpflegung, die dort eben abhängig gemacht wurde von der Leistung, sehr schnell erzogen wurden. Ich kann mich aber entsinnen, daß vorgeschlagen wurde, diese Behandlung zeitlich zu beschränken auf zwei, drei Monate, um sie dann wieder herauszuholen, und wenn sie dann [117] vernünftig waren, sie wieder in dem völlig freien Verhältnis zu belassen.


JUSTICE JACKSON: Hatten Sie in der Zentralen Planung irgend etwas mit dem Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen zu tun?


MILCH: Nein, meiner Meinung nach nicht.


JUSTICE JACKSON: Gut, dann bitte ich, daß Ihnen das Protokoll der 22. Sitzung der Zentralen Planung vom 2. November 1942 gezeigt wird, in dem Sie auf Seite 1042, Zeile 24, zitiert werden. Die englische Übersetzung befindet sich auf Seite 27.

Ich bitte Sie, zur Auffrischung Ihres Gedächtnisses den folgenden Absatz zu lesen:

»Milch: Nach meiner Auffassung muß die Landwirtschaft ihre Arbeitskräfte kriegen. Hätte man der Landwirtschaft, theoretisch gesprochen, 100000 Mann mehr gegeben, dann hätte man 100000 Mann mehr, die einigermaßen gut ernährt wären, während das, was wir so bekamen, vor allen Dingen die Kriegsgefangenen, nicht gerade besonders arbeitsfähig ist.«

Haben Sie das gesagt?

MILCH: Ich kann mich im einzelnen nicht erinnern, ich nehme es aber an; ich weiß nicht, ob ich das Protokoll hier gesehen habe. Aber ich weiß, daß wir uns mit der Frage auch befaßt haben, daß die Landwirtschaft möglichst ihre Arbeiter bekam, weil ja die Ernährungstrage so außerordentlich wichtig war, und die Landwirtschaft natürlich über die Rationen, die die Zivilbevölkerung bekam, hinausgehend ihre Leute verpflegen konnte. Diese Frage, daß man diese Leute in die Landwirtschaft steckte, entsprach durchaus meiner Auffassung. Aber es sind dies hier von Seiten der Zentralen Planung nur Anregungen gewesen. Ich weiß, Herr Sauckel hat auch an dieser Sitzung teilgenommen. Wir haben auch den Leuten, die mit der Rüstung zu tun hatten, unsere Meinung gesagt, wie man hier und dort helfen könnte.

JUSTICE JACKSON: Und Sie machten Empfehlungen an den Reichsmarschall, nicht wahr?


MILCH: Das kann ich im Moment aus dem Gedächtnis nicht sagen. Ich weiß das nicht.


JUSTICE JACKSON: Haben Sie das nie getan?

MILCH: Ich weiß es nicht, ich kann dies so aus dem Gedächtnis nicht sagen.


JUSTICE JACKSON: Dann kannten Sie die Wünsche des Reichsmarschalls bezüglich der Verwendung von Kriegsgefangenen, nicht wahr?


[118] MILCH: Daß Kriegsgefangene auch in der Arbeit waren, ist mir bekannt, besonders auf dem Lande waren sehr viele Kriegsgefangene eingesetzt.


JUSTICE JACKSON: Waren Sie bei einer Besprechung des Führers mit Minister Speer anwesend?


MILCH: Zu welchem Termin?


JUSTICE JACKSON: Am 5. März 1944.


MILCH: Am 4. März?


JUSTICE JACKSON: Am 5. März 1944?


MILCH: Am 5. März, jawohl, bin ich bei einer Besprechung beim Führer gewesen, und zwar handelte es sich damals um die Frage, einen Jägerstab einzusetzen, das heißt, eine gemeinsame Anstrengung der gesamten Rüstung, um möglichst viele Jagdflugzeuge zu erzeugen.


JUSTICE JACKSON: Gut, ich möchte jetzt bitten, daß man Ihnen Speers Aktennotiz über diese Besprechung mit dem Führer zeigt, bei der General Bodenschatz und Oberst von Below auch zugegen waren. Waren sie nicht dabei?

Die englische Übersetzung befindet sich auf Seite 35, die deutsche auf Seite 139. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Absatz:

»Dem Führer den Wunsch des Reichsmarschalls vorgetragen zur weiteren Ausnutzung der Leistungskraft der Kriegsgefangenen, die Führung der Stalag an die SS zu geben, mit Ausnahme der Engländer und Amerikaner. Der Führer hält den Vorschlag für gut und hat Herrn Oberst von Below veranlaßt, Entsprechendes einzuleiten.«

Ich frage Sie, wie konnte die SS die Leistung der Kriegsgefangenen erhöhen; welche Schritte erwarteten Sie? Beantworten Sie nur meine Frage! Welche Schritte seitens der SS erwarteten Sie, um die Produktion der Kriegsgefangenen zu erhöhen?

MILCH: Das kann ich heute nicht mehr sagen. Jedenfalls zu dieser Zeit war uns von der Art, was von der SS gemacht wurde, in dem Sinne, wie man das heute weiß, nichts bekannt.

JUSTICE JACKSON: Das war im März 1944?


MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Gut, Sie wissen also nichts über die Methoden der SS, die Produktion der Kriegsgefangenen zu steigern? Wollen Sie es so stehen lassen?


MILCH: Nein, nein, so will ich es nicht stehen lassen. Ich überlege gerade diesen Punkt. Ich muß einen Augenblick nachdenken. Ich glaube, daß es sich um die Frage handelte, ob Kriegsgefangene zur Verfügung gestellt wurden oder nicht. Es sollte sich nicht[119] darum handeln, daß die Kriegsgefangenen bei der SS irgendwelche Dienste taten, sondern nur, daß sie für Arbeitszwecke zur Verfügung gestellt wurden. So muß ich es annehmen.


JUSTICE JACKSON: Der SS zur Verfügung gestellt werden, meinen Sie das?

Gut, gehen wir jetzt zur 33. Sitzung der Zentralen Planung vom 16. Februar 1943 über, bei der unter anderen Speer und Sauckel anwesend waren. Die englische Übersetzung finden Sie auf Seite 28, den deutschen Text auf den Seiten 2276 und 2307. Bei der Sitzung fand, um es zusammenzufassen, eine längere Diskussion über die Arbeitslage statt, zuerst berichtete Schreiber, und dann gab Timm einen allgemeinen Überblick über die Arbeitslage. Ich verweise Sie auf Ihre Ausführungen auf Seite 2298 oben.


MILCH: Jawohl, ich habe es eben gelesen.


JUSTICE JACKSON: Es heißt dort:

»Milch: Wir haben die Forderung gestellt, daß bei uns in der Flakartillerie ein gewisser Prozentsatz Russen ist. 50000 sollen im ganzen heran; 30000 sind schon als Kanoniere da. Das ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen.«

Was war an der Tatsache, daß die russischen Kriegsgefangenen die Kanonen bedienen mußten, witzig?

MILCH: »Wir haben diese Forderung gestellt«; »Wir« ist nicht die Zentrale Planung, sondern Hitler hatte diese Forderung gestellt.

JUSTICE JACKSON: »Wir« heißt Hitler?


MILCH: Jawohl, die Deutsche Regierung. Und ich finde es eigenartig, daß man Kriegsgefangene auf die Flugzeuge ihrer Bundesgenossen schießen lassen sollte. Wir waren unwillig, weil wir diese Leute aus der Arbeit bei uns abgeben mußten. Wir waren dagegen, daß sie in der Flakartillerie verwandt wurden.


JUSTICE JACKSON: Sie sagten, »es ist eine witzige Sache, daß Russen die Kanonen bedienen müssen«, was war daran so witzig?


MILCH: Was witzig heißt? Etwa eigenartig, merkwürdig. Ich kann aber nicht sagen, ob das Wort so gefallen ist. Ich habe das Protokoll nicht gesehen.


JUSTICE JACKSON: Ich verweise Sie nun auf den Rest Ihrer Ausführungen:

»Es fehlen noch die letzten 20000. Ich habe gestern einen Brief vom Oberkommando des Heeres bekommen, in dem mitgeteilt wird, wir können keinen einzigen mehr abgeben, wir haben selbst zu wenig. Also diese Sache wird für uns nicht gerade erfolgreich werden.«

[120] Auf wen bezieht sich »für uns«, wenn nicht auf Ihre industriellen Bedürfnisse?

MILCH: Ich halte dieses Protokoll für falsch abgefaßt, so ist das nie besprochen worden, es ist an sich unrichtig. Ich kann dieses Protokoll in der Form nicht anerkennen.

Um diese Angelegenheit klarzustellen, kann ich sagen, daß es sich um das Problem handelte, Leute aus der Rüstungsindustrie herauszunehmen und sie in die Luftabwehr zu bringen. Wir, die wir mit der Rüstung zu tun hatten, wollten diese Leute nicht abgeben, wir waren dagegen. Das war der Gedanke der ganzen Sache, und das OKH erklärte, daß es nicht genügend Leute hätte.


JUSTICE JACKSON: Ich verstehe dies so, daß Sie bestimmte Arbeiter für die Rüstungsindustrie anforderten und daß das OKW sich weigerte, Ihnen die Leute zu geben, mit der Behauptung, sie seien bereits damit beschäftigt, Kanonen herzustellen und andere Arbeiten auszuführen. Ist das der Sinn Ihrer Ausführungen oder nicht?

MILCH: Nein, nicht ganz.


JUSTICE JACKSON: Dann sagen Sie mir, was Sie meinen.


MILCH: Soweit ich mich entsinne, sollte die Rüstungsindustrie etwa 50000 russische Kriegsgefangene an die Luftwaffe abgeben für die Luftabwehr, während die Rüstungsindustrie diese Leute nicht entbehren konnte.


VORSITZENDER: Ich glaube, wir müssen jetzt wegen technischer Schwierigkeiten die Verhandlung unterbrechen.


[Kurze Pause.]


VORSITZENDER: Justice Jackson, ich möchte Ihnen mitteilen, daß die Sitzung heute um 4.30 Uhr aufgehoben wird.

JUSTICE JACKSON: Ich hoffe, daß wir vorher das Verhör beendet haben werden.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich werde nun Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Bemerkung auf Seite 2297 lenken, in der englischen Übersetzung ungefähr auf Seite 28, die folgenden Wortlaut hat:

»Milch: Im Osten ist natürlich auch irgendwo eine Front. Diese Front wird sich eine gewisse Zeit halten. Das, was der Russe als einzig für ihn brauchbar zunächst in dem von uns geräumten Gebiet erbt, sind die Menschen. Es fragt sich, ob man nicht grundsätzlich die Menschen vorher zurückführt, bis 100 Kilometer hinter die Front. Die ganze Zivilbevölkerung geht 100 Kilometer hinter die Front zurück.«

[121] Haben Sie das gefunden?

MILCH: Jawohl, ich habe es gefunden.

JUSTICE JACKSON: Ich hatte Ihre Erklärung heute Morgen dahin verstanden, daß es eine in Ihrem Buch veröffentlichte Regel war, die Zivilbevölkerung nicht zu stören.


MILCH: Aus dem letzten Absatz, nach welchem mit Schanzarbeiten die Leute nicht mehr beschäftigt werden, geht hervor, daß diese Leute zuletzt als Schanzarbeiter eingesetzt waren. Was das für Leute im einzelnen waren, vermag ich nicht zu sagen. Sie waren also zur Arbeit schon irgendwo eingesetzt.


JUSTICE JACKSON: Und Sie wußten das? Sie wußten, daß sie zu solchen Arbeiten verwandt wurden?


MILCH: Es steht hier so. Ich weiß es heute nicht mehr. Das ist ja im Protokoll gesagt worden, voraus gesetzt, daß das Protokoll richtig ist.


JUSTICE JACKSON: Und Sie wußten, daß die Zivilbevölkerung gezwungen wurde, Schanzarbeiten für Ihre Truppen auszuführen?


MILCH: Ich habe keine Erinnerung mehr daran, aber damals ist es laut Protokoll so gesagt worden.


JUSTICE JACKSON: Ich mache Sie jetzt auf das Protokoll der elften Konferenz der Zentralen Planung vom 22. Juli 1942 aufmerksam, deutscher Text Seite 3062, englische Übersetzung Seite 38.

Ich weise zunächst auf die Tatsache hin, daß bei der Sitzung anscheinend unter den Anwesenden sich Speer, Sie selbst und Körner befanden. Vertrat Körner den Reichsmarschall?


MILCH: Ja, für den Vierjahresplan; er war der Vertreter für den Vierjahresplan.


JUSTICE JACKSON: Körner vertrat den Reichsmarschall bei allen Sitzungen dieser Körperschaft, nicht wahr?


MILCH: Ja, er hat ihn für den Vierjahresplan vertreten.


JUSTICE JACKSON: Und Sauckel war anwesend, und Vertreter der Eisen- und Kohlenverbände und des Ministeriums für Rüstung und Munition?

MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Es wurden das Arbeitsproblem und die Bedürfnisse dieser Industrien des längeren besprochen. Auf Seite 3062 verweise ich Sie auf die folgende Eintragung:

»Generalfeldmarschall Milch übernimmt es, die Heranschaffung der kriegsgefangenen Russen aus den Lagern zu beschleunigen.«

[122] Ich frage Sie, welche Maßnahmen gedachten Sie zu treffen, um die Heranschaffung der Kriegsgefangenen aus den Lagern zu beschleunigen?

MILCH: Da ich Soldat war, habe ich es übernommen, diese Frage an das OKW heranzubringen, dem die Kriegsgefangenen unterstellt waren.

JUSTICE JACKSON: Sie haben sich also nicht persönlich mit den Kriegsgefangenen befaßt, Sie haben es aber übernommen, sie vom OKW zu bekommen?


MILCH: Es waren uns diese Kriegsgefangenen von der Regierung für die Arbeit zur Verfügung gestellt. Die Überführung dauerte sehr lange und, da mit dem OKW darüber zu sprechen war, wurde ich gebeten, und ich habe es übernommen, dem OKW zu sagen, daß das Tempo der Abtransporte etwas beschleunigt werden möchte.


JUSTICE JACKSON: Lassen Sie uns zur Sitzung Nummer 36 vom 22. April 1943, englische Übersetzung Seite 13, deutsche Seite 2125, übergehen. Ich verweise Sie da wieder auf die Tatsache, daß Speer, Sie, Sauckel und Körner unter den Anwesenden waren Auch hier wurde das Arbeitsproblem besprochen, nicht wahr?


MILCH: Jawohl.


JUSTICE JACKSON: Und Körner berichtete wie folgt:

»Am 1. April hatten wir in der Landwirtschaft einen Fehlbedarf von rund 600000 Menschen. Er sollte durch Hereinführung von Kräften aus dem Osten gedeckt werden, hauptsächlich durch Frauen. Diese Kräfte müssen erst gestellt werden, ehe wir andere Kräfte aus der Landwirtschaft herausziehen. Wir kommen jetzt in die Zeit der großen Feldarbeit, die viele Menschen erfordert«

und das Zitat geht noch weiter, ich will aber keine Zeit damit verlieren.

Ich verweise jetzt auf Seite 2128, Ihren Beitrag zu dieser Besprechung, der wie folgt lautet:

»Wenn man es so macht, wie ich es vorgeschlagen habe, was auch der Ansicht von Timm entspricht, kann kein Schaden entstehen. Man soll es unbedingt tun. Im übrigen bin auch ich der Meinung, wir müssen jetzt für den Kohlenbergbau unbedingt Leute heranbringen. Die Masse der Kräfte, die wir aus dem Osten bekommen, werden ja Frauen sein. Die Frauen aus dem Osten sind aber an die landwirtschaftlichen Arbeiten gut gewöhnt, ganz besonders an die Arbeiten, die in den nächsten Wochen für die Landwirtschaft entstehen, das Hacken und Verziehen der Rüben und so weiter. Dazu kann man die Frau durchaus nehmen. Nur [123] muß man auf eins achten: Man muß der Landwirtschaft zunächst die Frauen geben und erst dann die Männer wegnehmen, Zug um Zug. Es ist schlecht, wenn die Männer weggehen und die Landwirte sitzen nun 4 bis 6 Wochen ohne Ersatzkraft da. Wenn die Frauen dann kommen, kommen sie zu spät.«

Ich frage Sie, wieviel Frauen wurden als Ergebnis dieser Besprechung zur landwirtschaftlichen Arbeit herantransportiert?

MILCH: Auf Grund dieser Konferenz gar keine, sondern diese Besprechung war ja nur Anregung von unserer Seite, da in Industrie und Landwirtschaft ein Ausgleich stattfinden sollte, um dieser die notwendigen Arbeitskräfte zu geben. Ohne die Arbeitskräfte für den Kohlenbergbau war der Krieg nicht mehr weiterzuführen. Es mußten also Arbeitskräfte heran. Und hier ist ein Vorschlag gemacht worden, wie man einen Austausch vornehmen könnte, Männer, die noch in der Landwirtschaft beschäftigt waren, durch Frauen zu ersetzen, die man natürlich nicht in Bergwerke schicken konnte.

JUSTICE JACKSON: Und wem machten Sie diese Vorschläge? Sie sagen, es war keine Entscheidung, sondern es waren nur Vorschläge?

MILCH: Nein, die Vorschläge wurden Vertretern des Arbeitsministeriums oder der Arbeits-Einsatzbehörde gegenüber gemacht. Ich lese den Namen Timm. Das war einer der höheren Beamten aus dieser Behörde.


JUSTICE JACKSON: Und Sauckel?


MILCH: Ich weiß nicht, ob Sauckel bei dieser Konferenz dabei war. Ich sehe immer nur den Namen Timm.


JUSTICE JACKSON: Aus dem Protokoll geht hervor, daß er da war, aber, ob er nun da gewesen ist oder nicht, Sie haben Sauckel bezüglich des Arbeiterbedarfs Vorschläge gemacht und ihn gebeten, Arbeitskräfte heranzuschaffen, nicht wahr?


MILCH: Jawohl, es war notwendig im Kohlenbergbau Arbeiter zu haben. Neue Arbeiter waren nicht zu gewinnen, also konnte nur ein Austausch gemacht werden.


JUSTICE JACKSON: Wir verstehen Sie. Sie würden uns viel Zeit ersparen, wenn Sie nur die Fragen beantworteten.

Jetzt kommen wir zur Sitzung Nummer 54 der Zentralen Planung vom 1. März 1944; englische Übersetzung Seite 1, deutsche Seite 1762. Ich erinnere Sie daran, daß bei dieser Besprechung offenbar Sauckel, Milch, Schreiber und Körner unter den Anwesenden waren. Diese Sitzung fand im Reichsluftfahrtministerium statt und Sie diskutierten darüber, daß es wünschenswert sei, junge [124] Männer aus Frankreich heranzuholen, so daß sie nicht als Partisanen zur Verfügung stehen würden, falls die Alliierten auf französischem Gebiete landen sollten. Können Sie sich an eine solche Sitzung erinnern?


MILCH: Im einzelnen kann ich mich nicht erinnern. Ich habe schon bei anderen Vernehmungen, sowohl hier in Nürnberg als auch in England, zu Protokoll gegeben, daß es unmöglich ist, mich im einzelnen an diese Sachen, die ja in großer Menge auf uns eingestürmt sind, genau zu erinnern, zumal mein Gedächtnis dadurch gelitten hat, daß ich bei meiner Gefangennahme sehr schwer mißhandelt worden bin durch Schläge über den Kopf.


JUSTICE JACKSON: Es wird Ihnen helfen, wenn Sie auf Seite 1799 lesen; dort steht neben dem Namen Milch folgende Eintragung:

»Milch:... Wenn in Frankreich die Landung kommt und etwas gelingt, so haben wir in Frankreich den Partisanenaufstand, wie er noch niemals auf dem Balkan und im Osten gewesen ist, nicht deshalb, weil die Leute es durchsetzen könnten, sondern weil wir es Ihnen ermöglichen, weil sie nicht richtig angefaßt sind. Vier ganze Jahrgänge sind in Frankreich groß geworden und aufgewachsen, Leute zwischen 18 und 23 Jahren, also in dem Alter, wo junge Menschen aus Patriotismus, oder weil sie aufgehetzt sind, bereit sind, jede Sache zu tun, die dem persönlichen Haßgefühl – und das haben die Leute gegen uns selbstverständlich – irgendwie Vorschub leistet. Diese Leute hätten jahrgangsweise erfaßt und zu uns gebracht werden müssen; denn sie bilden die größte Gefahr bei einer Landung. Ich bin fest überzeugt und habe das mehrfach zum Ausdruck gebracht: wenn die Landung kommt, sind Sabotagefälle an allen Bahnen, Werken und Versorgungsbetrieben an der Tagesordnung, und dann steht allerdings die Wehrmacht nicht mehr als Exekutive zur Verfügung, sondern muß an der Front kämpfen und hat dann im Rücken den viel gefährlicheren Feind in der Vernichtung des Nachschubs und so weiter. Wenn man da durch strenge Maßnahmen und eine klare Exekutive zugefaßt hätte, wäre die volle Ruhe des Friedhofs hinter der Front eingetreten für den Augenblick, wo etwas losgeht. Ich habe das schon sehr oft betont, fürchte aber, daß auf diesem Gebiet gar nichts geschieht. Wenn man nämlich dann anfangen will zu erschießen, ist es zu spät; dann hat man nicht mehr Leute, um die Partisanen umzulegen.«

Und dann sagen Sie weiter, daß nur die Wehrmacht diese Aktion durchführen sollte, die erforderlich ist, um diese Leute aufzubringen. Frischt das Ihre Erinnerungen auf?

[125] MILCH: Jawohl. Es ist richtig in diesem Sinne ungefähr; ob es aber wörtlich genau ist, kann ich nicht sagen. Es mußte eben in diesem Kampf unseres Landes auf Leben und Tod dafür gesorgt werden, daß nicht in unserem Rücken durch eine geheime Armee plötzlich der Widerstand zusammenbrechen mußte, wie es dann später leider von unserem Standpunkt aus der Fall gewesen ist.

JUSTICE JACKSON: Und Sie schlugen vor, die Bevölkerung hinter der Front zu eliminieren, soweit sie eine Gefahr für Ihre Operationen bei einer Invasion darstellen könnte?


MILCH: Nein, diese Leute sollten rechtzeitig, wie von der Französischen Regierung zugesagt gewesen war, zur Arbeit nach Deutschland geschickt werden. Das war meine Ansicht. Es war notwendig, daß diese Leute zur Arbeit nach Deutschland kamen, so wie es die Französische Regierung in ihrem Vertrag mit der Deutschen Regierung versprochen hatte, statt daß ihre Leute in die Maquis gingen, um nachher Sabotage zu treiben, wodurch als Gegenmittel gegen diese Sabotage das Erschießen erst notwendig wurde.


JUSTICE JACKSON: Sie haben den Gebrauch von Zwangsarbeit nicht nur auf Ihre Feinde beschränkt; auch Ihre eigenen Verbündeten wurden herangezogen, nicht wahr? Lesen Sie zum Beispiel auf Seite 1814. Haben Sie sich nicht selbst an dieser Diskussion beteiligt?

»Milch: Ist nicht der Weg besser, daß man, um die S-Betriebe zu schützen, die gesamte Verpflegungsfrage für die Italiener in deutsche Hand nimmt und sagt: Zu fressen kriegt nur, wer in einem S-Betrieb ist oder nach Deutschland kommt.«

MILCH: Das war nach dem Abfall des einen Teiles von Italien und handelte sich um italienische Soldaten, die sich gegen Mussolini erklärt hatten. Und diese Leute saßen hinter der Front herum, wollten nicht arbeiten und machten Sabotage gegen die Deutsche Wehrmacht. Infolgedessen ist hier der Vorschlag gemacht worden, daß man den Leuten sagt: Ihr könnt eure Verpflegung und alles in Ordnung bekommen, ihr müßt aber dann auch irgendwo arbeiten, und zwar entweder in Italien in den Erzbetrieben oder in Deutschland.

JUSTICE JACKSON: Ich glaube, Sie sagten in Ihrem direkten Verhör oder vielleicht früher in Ihrem Kreuzverhör, daß Sie überhaupt nichts über Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten gewußt hätten, daß Sie keine Kenntnis hatten. Ist das auch jetzt noch Ihre Aussage?


MILCH: Ich habe das nicht ganz verstanden. Zwangsarbeit?


JUSTICE JACKSON: Zwangsarbeit, ja.


MILCH: Jawohl.


[126] JUSTICE JACKSON: Sie wußten nichts davon?


MILCH: Bei diesen Leuten handelte es sich um Kriegsgefangene, Italiener, die uns zur Arbeit zur Verfügung standen nach Übereinkunft mit der Italienischen Regierung, die von uns anerkannt war. Mussolini hatte ausdrücklich diese Männer für diesen Zweck zur Verfügung gestellt.


JUSTICE JACKSON: Verzeihen Sie, wenn ich Sie hier unterbreche, aber wir wollen uns hier nicht mit Mussolini aufhalten. Ich frage Sie, ob Sie immer noch bei Ihrer früheren Behauptung bleiben, die, soweit ich mich erinnere, dahin lautete, daß Sie nichts von Zwangsarbeitern wußten, die von den besetzten Gebieten nach Deutschland gebracht wurden. Ist das Ihre Aussage oder nicht?


MILCH: Soweit es sich um freie Arbeiter handelt und um freie Leute, behaupte ich das immer noch. Für mich handelt es sich um Leute, die uns zur Verfügung gestellt waren. Und, Herr Oberrichter, für uns bestand damals, als das gesagt wurde, noch eine Italienische Regierung, wenn das auch heute vergessen ist; aber damals war sie noch da.


JUSTICE JACKSON: Ich verweise Sie nunmehr auf Seite 1827 des Protokolls der Sitzung, bei der Sie anwesend waren, und bei der die Diskussion stattgefunden hat, die Sie soeben zugegeben haben. Ich verweise Sie auf die Zeile neben dem Namen Sauckel, aus der ersichtlich ist, daß Sauckel damals, wie folgt, berichtete:

»Von den 5 Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200000 freiwillig gekommen.«

MILCH: Darauf kann ich mich keineswegs entsinnen.

JUSTICE JACKSON: Sie können sich also daran nicht erinnern; gut.


MILCH: Nein, daran kann ich mich nicht erinnern.


JUSTICE JACKSON: Gut, dann gehen wir zur Konferenz Nummer 23 der Zentralen Planung vom 3. November 1942 über. Die englische Übersetzung finden Sie auf Seite 27, den deutschen Text auf Seite 1024. Sie waren offensichtlich anwesend und nahmen an der Diskussion teil. Ich verweise Sie auf Seite 1024, Zeile 10, auf die folgende Eintragung des stenographischen Protokolls:

»Speer: Dann könnten wir doch den Franzosen über die Industrie so etwas vorspiegeln, als ob wir Ihnen die Walzer und Schmelzer, die sie haben, als Kriegsgefangene frei geben würden, wenn sie uns die Namen aufgäben.

Rohland: In Paris haben wir ein eigenes Büro eingerichtet. Also Sie meinen, die Franzosen sollen melden, welche Schmelzer als Kriegsgefangene in Deutschland sind?

[127] Milch: Ich würde einfach sagen, Ihr bekommt zwei Leute für einen dieser Art.

Speer: Die französischen Firmen wissen genau, wer von den Kriegsgefangenen Schmelzer ist. Da sollen Sie unter der Hand so tun, als ob sie freigegeben würden. Die melden uns die Namen, und dann holen wir sie raus. Machen Sie das mal.

Rohland: Das ist eine Idee.«

Nun, Ihr Beitrag war, zu sagen, daß Sie zwei Mann an Stelle von einem Mann haben wollten. Ist das richtig?

MILCH: Ja, das heißt zwei Leute von einem anderen Beruf für einen dieser besonderen Fachleute. Wie knapp wir waren, sehen Sie daraus...

JUSTICE JACKSON: Und das war Ihr ganzer Zweck?


MILCH: Das war der einzige Zweck, diese Leute zu bekommen und ihnen dafür andere zu geben.

JUSTICE JACKSON: Jetzt kommen wir zur 53. Sitzung der Zentralen Planung vom 16. Februar 1944, englische Übersetzung Seite 26, deutscher Text beginnend mit Seite 1851. Ihr Name ist wieder in der Anwesenheitsliste vermerkt. Die Sitzung hat im Luftfahrtministerium stattgefunden. Ich verweise Sie zuerst auf die Eintragung auf Seite 1863, die Worte neben dem Namen Milch:

»Die Rüstungsindustrie arbeitet auch sehr weitgehend mit Ausländern, und zwar nach den letzten effektiven Zahlen mit 4 %. Die neueren Zuweisungen von GBA sind hauptsächlich Ausländer, und wir haben viel deutsches Personal für die Einziehungsaktion abgeben müssen. Besonders die Luftrüstung, die eine junge Industrie ist, beschäftigt sehr viele junge Leute, die auch Soldat sein müßten; wie schwer das ist, wird klar, wenn man das abzieht, was für die Erprobungsstellen arbeitet. In der eigentlichen Massenfabrikation ist die Zahl der Ausländer weit überwiegend und liegt zum Teil bei 9 % und mehr. Unser hochwertigster neuer Motor wird zu 8 % von russischen Kriegsgefangenen gemacht, und die übrigen 1 %, sind deutsche Männer und Frauen. An den Ju 52, die jetzt nur noch als Transportmaschinen bei uns gelten, arbeiten bei einer monatlichen Produktion von 50 bis 60 Maschinen nur 6 bis 8 deutsche Männer, im übrigen nur ukrainische Frauen, die alle Arbeitsrekorde der Facharbeiter gedrückt haben.«

Können Sie sich daran erinnern?

MILCH: Ich kann mich genau entsinnen.

[128] JUSTICE JACKSON: Und hier auf Seite 1873 machen Sie den folgenden Vorschlag:

»Milch: Man müßte die Liste der Bummelanten Himmler zu treuen Händen geben, der sie schon zur Arbeit bringen wird. Das ist volkserzieherisch sehr wichtig und hat auch eine abschreckende Wirkung für andere, die auch bummeln möchten.«

MILCH: Jawohl, das handelt sich wieder um die, von mir heute vormittag beschriebenen Bummelanten in der Landwirtschaft.

JUSTICE JACKSON: Unter den ausländischen Arbeitern, nicht wahr?


MILCH: Nein, dies waren Engländer, die Bummelanten.


JUSTICE JACKSON: Engländer sind in Deutschland Ausländer, nicht wahr? Ich kann nicht verstehen, was Sie damit meinen, wenn Sie sagen, es waren keine Ausländer, es waren Engländer.


MILCH: Engländer haben niemals für uns gearbeitet. Es können also keine Engländer gewesen sein.


JUSTICE JACKSON: Was waren sie? Sie sagen, es waren alles Deutsche.

MILCH: Was man unter Bummelanten verstand, war eine Gruppe von Leuten, die nur im Krieg zur Arbeit verpflichtet wurden, Deutsche, die in normalen Verhältnissen nicht zu unserer Arbeiterschaft gehörten, sondern die eben im Kriege zwangsweise herausgeholt wurden.


JUSTICE JACKSON: Ich komme gleich nochmals darauf zurück. Ich möchte Sie zuerst einmal fragen, wie Himmler diese Leute zum Arbeiten brachte. Was unternahm Himmler, welcher Methoden bediente er sich? Warum haben Sie Himmler Vorschläge in dieser Angelegenheit gemacht?


MILCH: Weil Himmler in einer Besprechung über Verpflegungszulagen Vortrag gehalten hatte-der Arbeiter bei uns hatte die normale Grundverpflegung der übrigen Bevölkerung und darüber hinaus ganz erhebliche Zulagen, die beim Schwerstarbeiter das Mehrfache der normalen Grundverpflegung waren. Diese Verpflegung wurde im normalen Arbeitsbetrieb durch die Ernährungsämter gegeben, unabhängig von der Frage, wo oder wie der Mann arbeitete. Bei Himmler war der Vorschlag gemacht worden, daß er diese Zulagen nur dann ausgab und nur in der Höhe, wie die Männer durch ihre Arbeit es verdienten. Da Himmler dabei irgendwelche Leute hatte, die aus den Konzentrationslagern waren und so weiter, war das möglich. Für die freien Arbeiter konnten wir dieses Verfahren nicht einführen, daher der Vorschlag, Leute, die [129] Arbeitssabotage in ihrem eigenen Lande trieben, dadurch zur Erziehung zu bringen, die ihnen entsprechend ihrer Arbeit zustehenden Zulagen nur zu geben, wenn sie diese Arbeiten auch ausführten.


JUSTICE JACKSON: Sie kennen den Unterschied zwischen Arbeitslagern und Konzentrationslagern, nicht wahr?


MILCH: Ja, natürlich.


JUSTICE JACKSON: Und diese Leute, die in diesen Industrien arbeiteten, wurden vorwiegend in Arbeitslagern untergebracht, wo ihre Rationen kontrolliert werden konnten, ohne daß Himmler sich einzumischen brauchte.


MILCH: Nein, die deutschen Arbeiter waren nicht in Arbeitslagern untergebracht, sondern sie wohnten zu Hause und bekamen deshalb durch die Ernährungsämter, je nach ihrer Wohnung, ihre Zusatzverpflegung. Ich mache nochmals darauf aufmerksam, daß der Wunsch, hier durchzugreifen, von unserer deutschen Arbeiterschaft ausging, von den Betriebsobmännern, die natürlich mit Ärger sahen, daß Leute, die nichts leisteten, die ihr Vaterland in der Not im Stich ließen, daß diese durch Lebensmittelzulagen besser behandelt wurden als die normale Bevölkerung.


JUSTICE JACKSON: Sie sagen immer noch, daß alle, über die Sie sprachen, deutsche Arbeiter waren und niemals Fremdarbeiter. Nun, sind Sie sich darüber im klaren?


MILCH: Bei dem Wort »Bummelanten« sprach ich von deutschen Arbeitern. Nach meiner Auffassung handelt es sich nur um diese.


JUSTICE JACKSON: Ich mache Sie nun auf Seite 1913 aufmerksam; Sie haben gesagt:

»Milch:... Infolgedessen ist es gar nicht möglich, jeden Ausländer voll auszunützen, es sei denn, daß der Akkord ihn zwingt, und daß wir die Möglichkeit haben, gegen Ausländer, die ihren Kram nicht machen, vorzugehen.«

Haben Sie die Niederschrift gefunden?

MILCH: Jawohl.

JUSTICE JACKSON: Und dann fahren Sie fort, sich zu beschweren:

»Faßt aber der Betriebsobmann einmal einen Kriegsgefangenen an und haut ihm eine Ohrfeige runter, gibt es sofort den größten Klamauk; der Mann kommt ins Gefängnis und so weiter. Es gibt genug Instanzen in Deutschland, die es für ihre Hauptpflicht halten, nicht für die Kriegsproduk tion, sondern für die Menschenrechte der anderen einzutreten. Ich bin auch für die Menschenrechte, aber wenn ein Franzose erklärt: ›Ihr Burschen werdet alle aufgehängt, dem Betriebsführer wird als erstem der Hals abgeschnitten‹, und [130] wenn dann der Betriebsführer sagt: ›Dem haue ich eine herunter‹, dann ist er hereingefallen. Es gibt keinen Schutz für ihn, nur den Schutz für den ›armen Kerl‹, der das gesagt hat.«

Haben Sie das auf der Sitzung gesagt?

MILCH: Das kann durchaus sein.

JUSTICE JACKSON: Was schlugen Sie vor?


MILCH: Ich kann mich erinnern, daß solche Fälle vorgekommen sind, daß ausländische Arbeiter ihre deutschen Vorgesetzten bedroht und auch angegriffen haben, und wenn sich dann der Mann zur Wehr setzte, wurde gegen ihn vorgegangen. Das habe ich nicht für richtig gehalten.


JUSTICE JACKSON: Nun, Sie selbst hatten Abhilfe geschaffen, nicht wahr? In der nächsten Zeile sagen Sie:

»Ich habe meinen Ingenieuren gesagt: ›Wenn ihr einem solchen Mann nicht eine herunterhaut, bestrafe ich euch; je mehr ihr auf diesem Gebiete tut, um so mehr werdet ihr von mir gelobt; es passiert euch nichts; dafür stehe ich ein.‹ Das hat sich noch nicht herumgesprochen. Ich kann ja nicht mit jedem Betriebsführer sprechen. Aber ich möchte den sehen, der mir da in den Arm fällt, weil ich die Möglichkeit habe, mich mit jedem, der mir in den Arm fallen will, auseinanderzusetzen.«

Finden Sie das?

MILCH: Ich kann mich an die Worte im einzelnen nicht entsinnen, ich stehe aber auf dem Standpunkt, daß es eine Unmöglichkeit war, wenn ein Gefangener oder ein ausländischer Arbeiter seinem deutschen Vorgesetzten sagen kann: ›Wir werden euch den Hals abschneiden‹ und den Betriebsführer...

JUSTICE JACKSON: Wollen Sie damit sagen, daß, wenn ein Kriegsgefangener versuchte oder drohte, seinem Arbeitgeber den Hals abzuschneiden, sich deutsche Offiziere für ihn eingesetzt haben würden gegen seinen Arbeitgeber. Das glauben Sie doch selber nicht?


[Keine Antwort.]


Gut, wir werden weitergehen: »Wenn der kleine Betriebsführer«, ich zitiere immer noch Ihre Worte, »das macht, kommt er in das Kz....«

Finden Sie das?

MILCH: Ja, ich sehe hier.

JUSTICE JACKSON:

»... und es droht ihm auf der anderen Seite Entziehung der Kriegsgefangenen.«

[131] Ich zitiere Sie immer noch und möchte, daß Sie die Niederschrift nachlesen:

»In einem Falle haben zwei russische Offiziere sich eine Maschine genommen und sind gestartet. Sie haben aber Bruch gemacht. Ich habe sofortiges Aufhängen der Leute befohlen. Sie sind gestern gehängt oder erschossen worden. Das habe ich der SS überlassen. Ich wollte sie im Betrieb gehängt haben, damit die anderen es sehen.«

Haben Sie das gefunden?

MILCH: Ich habe das gefunden, und ich kann nur sagen, daß ich niemals habe jemand hängen lassen, noch eine solche Anordnung gegeben habe. Ich halte das auch für ausgeschlossen, daß ich das gesagt habe. Ich habe mit dieser Frage nichts zu tun. Ich kenne auch gar keinen Fall, wo zwei russische Offiziere mit einer Maschine geflohen sind.

JUSTICE JACKSON: Möchten Sie noch irgend etwas zu dieser Eintragung sagen?


MILCH: Nein, ich habe dazu nichts zu sagen. Es ist mir völlig unbekannt, und ich glaube auch nicht, daß ich das gesagt habe.


JUSTICE JACKSON: Das ist alles, was ich Sie jetzt zu fragen habe.

MR. G. D. ROBERTS, ERSTER ANKLÄGER FÜR DAS VEREINIGTE KÖNIGREICH: Zeuge, ich stelle einige Fragen im Namen der Britischen Delegation. Meine erste Frage ist: Sie haben am Freitag die Erklärung abgegeben, daß, beginnend im Jahre 1935, eine Luftwaffe zu Verteidigungszwecken in Deutschland geschaffen wurde. Erinnern Sie sich?


MILCH: Jawohl, 1935.


MR. ROBERTS: Und können Sie sagen, daß sie auf der Basis der Verteidigung blieb bis zum Dezember 1939?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: Sie bejahen das. Ich möchte, daß Sie sich drei Stellen aus dem Beweismaterial anhören, Reden Ihres Chefs, des Angeklagten Göring. Ich zitiere aus dem stenographischen Protokoll vom 8. Januar, nachmittags, Band IV, Seite 598; im Mai 1935 sagte Göring:

»Mir schwebt vor, eine Luftwaffe zu besitzen, die, wenn einmal die Stunde schlagen sollte, wie ein Chor der Rache über den Gegner hereinbricht. Der Gegner muß das Gefühl haben, schon verloren zu sein, bevor er überhaupt mit Euch gefochten hat.«

Klingt das wie eine Verteidigungs-Luftwaffe?

MILCH: Nein, das hört sich nicht so an, aber man muß die Worte von den Taten trennen.

[132] MR. ROBERTS: Zu den Taten komme ich gleich.


[Gelächter.]


VORSITZENDER: Wenn gelacht wird, werde ich den Gerichtssaal räumen lassen.

MR. ROBERTS: Göring führte am 8. Juli 1938 in einer Rede, die er vor einer Anzahl deutscher Flugzeugindustrieller hielt, aus: Der Krieg mit der Tschechoslowakei stehe bevor. Die deutsche Luftwaffe sei bereits der englischen Luftwaffe überlegen:

»Wenn wir den Kampf gewinnen würden, dann ist Deutschland die erste Macht der Welt, dann gehört Deutschland der Markt der Welt, dann kommt die Stunde, wo Deutschland reich ist. Aber man muß etwas riskieren, man muß etwas einsetzen.«

Klingt das nach einer deutschen Verteidigungs-Luftwaffe?

MILCH: Nein, das hört sich bestimmt nicht so an. Ich möchte nachher dazu noch etwas sagen, wenn Sie beendet haben.

MR. ROBERTS: Beschränken Sie sich bitte, wenn Sie können, im Interesse der Zeitersparnis darauf, meine kurzen Fragen zu beantworten. Darf ich Ihnen noch ein weiteres Beweisstück vorlesen, eine Rede Görings vom 14. Oktober 1938, also weniger als ein Monat nach dem Münchener Abkommen; in dem Dokument heißt es:

»... der Führer habe ihn infolgedessen angewiesen, ein gigantisches Programm durchzuführen, gegen das die bisherigen Leistungen bedeutungslos seien.... Er habe vom Führer den Auftrag, die Rüstung abnorm zu steigern.... Die Luftwaffe sei schnellstens zu verfünffachen.«

Klingt das wie eine Luftwaffe zu Verteidigungszwecken?

MILCH: Diese Luftwaffe zu errichten hätte noch viele Jahre gedauert.

MR. ROBERTS: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Aussage zu diesem Punkt sehr unkorrekt war. Ich komme nunmehr zu meiner zweiten Frage.

Sie waren bei einer Besprechung der Ressortchefs anwesend, die am 23. Mai 1939 in der Reichskanzlei abgehalten worden ist?


MILCH: Welches Datum, bitte nochmal?


MR. ROBERTS: Ich möchte, daß Sie sich das Dokument L-79 ansehen. Ich glaube, Sie haben es schon am Freitag gesehen.


MILCH: Am 23. Mai, nicht wahr?

MR. ROBERTS: Ja, das stimmt. Ich möchte Sie nur daran erinnern, wer außerdem noch anwesend war: Es waren der Führer, [133] Göring, Raeder, von Brauchitsch, Keitel, Sie selbst, Halder, General Bodenschatz, Warlimont... war Warlimont der Vertreter Jodls?


MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen, für wen er da war.


MR. ROBERTS: Gut... und noch einige andere, die ich nicht weiter aufzählen will. Nun, Zeuge, waren das die Führer der Deutschen Wehrmacht?


MILCH: Darf ich dazu sagen, nach meiner Erinnerung war der Generalfeldmarschall Göring damals nicht dabei, ich kann mich nicht entsinnen.


MR. ROBERTS: Es ist niedergeschrieben, daß er dabei war. Sie glauben, daß er nicht da war?


MILCH: Ja, ich kann mich nicht entsinnen, ich habe in der Erinnerung, daß ich in seiner Vertretung hingeholt worden bin, im letzten Augenblick.


MR. ROBERTS: Gut, abgesehen von Göring, falls er nicht dort war, handelte es sich durchwegs um Führer der deutschen Streitkräfte. Stimmt das?


MILCH: Ja. Es waren der Oberbefehlshaber des Heeres, der Oberbefehlshaber der Marine und das OKW, ja.

MR. ROBERTS: Würden Sie sie auf Grund Ihrer Kenntnis als Ehrenmänner bezeichnen?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: Ist eine der Eigenschaften eines Ehrenmannes, sein Wort zu halten?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: Sie wußten doch, nicht wahr, daß Deutschland sein Wort gegeben hatte, die Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs zu respektieren?


MILCH: Ich nehme das an, ich kenne die einzelnen Verabredungen nicht, aber ich nehme es an.


MR. ROBERTS: Wissen Sie nicht, daß kaum einen Monat vor dieser Sitzung, also am 28. April, Hitler im Reichstag eine Versicherung abgegeben hatte, die Neutralität einer großen Anzahl Länder, europäischer Länder, zu respektieren, einschließlich jener drei von mir erwähnten Länder? Wußten Sie das nicht als eine geschichtliche Tatsache?


MILCH: Ich nehme an, jawohl.


MR. ROBERTS: Wir haben hier im Gericht den Film über dieses Ereignis gesehen, in dem auch gezeigt wurde, daß Göring als Reichstagspräsident den Vorsitz geführt hat als diese Versicherung abgegeben wurde.


[134] MILCH: Ich habe diesen Film nicht gesehen; ich kenne den Film nicht.


MR. ROBERTS: Ja, es ist eine deutsche Wochenschau. Erinnern Sie sich, daß bei dieser Besprechung Hitler die folgenden Worte gebrauchte, die dem Gerichtshof wohl bekannt sind:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden.... Anzustreben bleibt, dem Gegner zu Beginn einen oder den vernichtenden Schlag beizubringen. Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle.« (Dokument L-79)

Erinnern Sie sich, daß diese Worte gebraucht worden sind?

MILCH: Ich kann mich nicht genau daran erinnern, in welchem Wortlaut gesprochen wurde. Ich weiß, daß es sich um die Frage des Polnischen Korridors und Danzigs handelte und daß im Anschluß daran Hitler auseinandersetzte, welche Verwicklungen im Westen kommen könnten, und was er dann zu tun gedächte; was er im einzelnen gesagt hat, habe ich nicht mehr in Erinnerung.

MR. ROBERTS: Wurde von einem dieser Ehrenmänner Protest erhoben gegen den Bruch von Deutschlands gegebenem Wort?


MILCH: Bei dieser Besprechung war es für keinen der Anwesenden möglich, überhaupt zu sprechen, sondern Hitler stand an einem Pult vor uns und hielt eine Ansprache, und nach der Ansprache ging er weg. Eine Aussprache hat nicht stattgefunden, wurde von ihm nicht zugelassen.


MR. ROBERTS: Sie meinen, Zeuge, es war für einen Ehrenmann unmöglich, seine Ehre zu schützen?


MILCH: Ich kann mich eben an den Wortlaut dessen, was Hitler gesagt hat, nicht genau erinnern, so wie es hier wiedergegeben ist.


MR. ROBERTS: Können Sie dem Gerichtshof Ihre Meinung sagen?


MILCH: Ich habe in der Sitzung nicht unter dem Eindruck gestanden, daß Hitler irgend etwas gesagt hätte, was gegen die übernommenen Verpflichtungen geht. Das ist mir nicht in Erinnerung geblieben.


MR. ROBERTS: Meinen Sie jetzt, daß dieses Protokoll nicht richtig ist?


MILCH: Das kann ich auch nicht sagen; ich kann nur sagen, daß ich keine Erinnerung im einzelnen an den Wortlaut habe. Ob das Protokoll ganz richtig ist, weiß ich auch nicht. Soviel ich weiß, ist das nachträglich aufgesetzt worden von einem der anwesenden Adjutanten.


[135] MR. ROBERTS: Wir wissen heute ja, daß Deutschland zwölf Monate später genau das getan hat, als es nämlich sein Ehrenwort Holland, Belgien und Luxemburg gegenüber brach und Not und Tod über Millionen von Menschen brachte. Das wissen Sie heute, nicht wahr?


MILCH: Das weiß ich, jawohl, aber als Soldaten hatten wir ja mit der politischen Frage nichts zu tun. Darum wurden wir nicht gefragt.


MR. ROBERTS: Nennen Sie Ehre das...


DR. RUDOLF DIX, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN SCHACHT: Ich spreche jetzt nicht für Schacht, sondern für die gesamte Verteidigung. Ich bitte den Hohen Gerichtshof, daß der Zeuge über Tatsachen gefragt wird und nicht über moralische Werturteile.


VORSITZENDER: Er wird über Tatsachen befragt.


MR. ROBERTS: Sie haben gerade erklärt, daß Sie heute wissen,... wir wissen, daß Deutschland zwölf Monate später die Neutralität Belgiens, Hollands und Luxemburgs verletzt hat.


MILCH: Aber wir wissen ja nicht, aus welchen Grün den das geschehen ist, und welche anderweitigen Bindungen diese Länder vielleicht eingegangen waren. Das war nicht Aufgabe der Soldaten, das zu beurteilen.


MR. ROBERTS: War es nicht Aufgabe des Soldaten, Widerspruch zu erheben, wenn er aufgefordert wurde, das Ehrenwort seines Landes zu brechen?


MILCH: Wenn er das Wort bricht auf seiner Ebene, wo er etwas zu tun hat, und wo er als Soldat etwas zu sagen hat, stimme ich Ihnen vollkommen zu. Auf einem völlig fremden Gebiet, das der Soldat gar nicht übersehen kann, und von dem der Soldat nichts weiß, kann er nicht für eine solche Frage zur Verantwortung und zur Rechenschaft gezogen werden.


MR. ROBERTS: Sie können nur für Ihr eigenes Wissen sprechen. Sagen Sie, daß Sie nicht wußten, daß Ihr Land sein Wort verpfändet hatte, die Neutralität dieser drei kleinen Länder zu achten?


MILCH: Das habe ich in der Reichstagsrede gelesen. Aber ich wußte ja nicht, wie die andere Seite auf dieses Versprechen reagiert hatte. Mir war es nicht bekannt, es konnte durchaus der Fall sein, daß die andere Stelle diesen Schutz oder diese Zusage oder diese Garantie gar nicht wünschte. Das konnte ein Soldat überhaupt nicht übersehen, sondern das konnte nur die politische Führung selber wissen.


[136] MR. ROBERTS: Gut, diese Frage werden wir vielleicht den Soldaten vom Oberkommando, die jetzt auf der Anklagebank sitzen, vorlegen, wenn sie im Zeugenstand erscheinen. Aber ich frage Sie, es mußte doch in Deutschland allgemein bekannt gewesen sein, daß Hitler Garantien und Zusicherungen an alle diese kleineren Länder gegeben hatte.


MILCH: Hitler hat viele Sachen vorgeschlagen und angeboten. Er hat für alle Länder Rüstungsbeschränkungen angeboten, er hat angeboten, vom Bombenkrieg Abstand zu nehmen, aber seine Vorschläge sind ja auch in diesen Fällen nicht angenommen worden, und infolgedessen mußte die politische Führung von allein wissen, was sie von ihren Soldaten verlangen durfte und verlangen konnte. Der Soldat als solcher hat nur die Pflicht zu gehorchen.


MR. ROBERTS: Wollen Sie bitte meine Frage beantworten? Das war gar keine Antwort auf meine Frage. Zeuge, wir wissen heute aus Dokumenten, aus Ihren eigenen deutschen Dokumenten die Tatsachen. Ich möchte Ihre Kenntnis und Ihre Auffassung von Ehre prüfen. Hielten Sie es nicht für höchst unehrenhaft, am 28. April eine Versicherung abzugeben, und am 23. Mai einen geheimen Beschluß zu fassen, sie zu brechen?

MILCH: Sie haben recht, wenn die Lage sich in keiner Weise geändert hat, und eben das kann ich nicht beurteilen.


MR. ROBERTS: Sie müssen Ihren eigenen Ehrenkodex haben, obwohl Sie dem Militär angehören. Sie wissen natürlich, daß die Neutralität Norwegens verletzt worden ist?


MILCH: Jawohl, nach unserem Wissen und unserer Auffassung ist sie doppelt verletzt worden.


MR. ROBERTS: Wissen Sie, daß Jodl am 12. und 13. März 1940 in sein Tagebuch eingetragen hat: Der Führer ist noch auf der Suche nach einem Vorwand, den er der Welt geben kann, für den Einfall in Norwegen, wissen Sie das?


MILCH: Ich kenne dieses Tagebuch und diese Notiz nicht.


MR. ROBERTS: Sie haben sich an der Invasion von Norwegen aktiv beteiligt, nicht wahr?


MILCH: Einige Tage nach Beginn der Invasion habe ich für kurze Zeit oben die Luftflotte geführt.


MR. ROBERTS: Waren Sie tatsächlich Befehlshaber in Norwegen?


MILCH: Jawohl.

PROF. DR. JAHRREISS: Ich halte es für notwendig, eine Klarstellung vorzunehmen, die anscheinend auf einem Mißverständnis der Übersetzung beruht. Ich habe eben gehört, daß eine Eintragung [137] des Angeklagten Jodl in sein Tagebuch fehlerhaft ins Deutsche rückübersetzt wurde; im deutschen Text steht »nach einer Begründung«, »for a justification«. Ich glaube auch »justification« steht in der englischen Übersetzung. Dann darf aber auch nicht übersetzt werden: »Ausrede«, das wäre »Prétexte« im Französischen, und das ist etwas ganz anderes.


MR. ROBERTS: Was auch immer in der Übersetzung steht, Zeuge, stimmen Sie zu, daß der Führer laut dieser Eintragung im Tagebuch noch danach suchte, sei es nun nach einer Begründung oder nach einer Entschuldigung? Ich möchte jetzt nur noch eine Frage zu dieser Seite des Falles an Sie richten:

Sie wissen, daß Belgrad bombardiert wurde, und zwar, ich glaube, im April 1941?


MILCH: Ich habe es aus dem Wehrmachtsbericht gehört seinerzeit.


MR. ROBERTS: Ohne jede Kriegserklärung, ohne jede vorherige Warnung der Zivilbevölkerung: haben Sie dies gehört?


MILCH: Das weiß ich nicht, nein.

MR. ROBERTS: Haben Sie darüber nicht mit Göring gesprochen?


MILCH: Über den Angriff auf Belgrad? Nein, kann ich mich nicht entsinnen.


MR. ROBERTS: Hat er nicht einmal, sagen wir, sein Bedauern ausgesprochen, einen großangelegten Luftangriff gegen eine große Hauptstadt auszuführen, ohne der Zivilbevölkerung auch nur eine Stunde vorher eine Warnung zukommen zu lassen?


MILCH: Ist mir nicht bekannt, kann mich nicht entsinnen an so ein Gespräch.


MR. ROBERTS: Das ist Mord, nicht wahr?


[Keine Antwort.]


Vielleicht wollen Sie diese Frage lieber nicht beantworten?

MILCH: Mit einem Ja oder Nein kann ich das nicht beantworten, weil ich die Verhältnisse des Angriffs überhaupt nicht kenne. Ich weiß nicht, ob der Krieg erklärt war, ich weiß nicht, ob eine Warnung gegeben wurde, ich weiß auch nicht, ob Belgrad eine Festung war, ich weiß auch nicht, welche Ziele in Belgrad angegriffen worden sind. Ich kenne so viele Bombenangriffe, bezüglich deren man ja diese Frage in derselben Weise stellen könnte.

MR. ROBERTS: Ich stelle diese Frage, Zeuge, weil wir durch das vor uns liegende Dokument wissen, daß Hitler befohlen hatte, Belgrad durch einen plötzlichen Luftangriff, ohne Ultimatum, ohne vorherige diplomatische Schritte oder irgendwelche Verhandlungen [138] zu zerstören. Würde ich je diese Frage stellen, wenn ich von dem Schriftstück nichts gewußt hätte?

Lassen Sie mich auf etwas anderes übergehen.


MILCH: Ich darf dazu sagen, daß mir dieses Dokument durch Ihre Worte erst heute zum ersten Male bekannt geworden ist.


MR. ROBERTS: Ich möchte Sie nun über einen Vorfall im Lager Stalag Luft III in Sagan befragen. Wissen Sie, worüber ich spreche?


MILCH: Jawohl, das ist mir jetzt bekannt.


MR. ROBERTS: Ist Ihnen bekannt, daß am 24. und 25. März 1944 ungefähr 80 RAF-Offiziere aus England und den Dominien mit einigen anderen aus diesem Stalag Luft III entflohen?


MILCH: Ich kenne den Vorgang aus dem englischen Untersuchungslager, in dem ich gewesen bin, wo der ganze Fall durch Wandanschlag bekanntgegeben wurde.

MR. ROBERTS: Wir kommen gleich darauf. Wissen Sie, daß von diesen 80 Offizieren 50 erschossen worden sind?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: In den verschiedenen Teilen Deutschlands und in den besetzten Gebieten, von Danzig bis Saarbrücken, haben Sie davon gehört?


MILCH: Ich habe gehört, daß etwa 50 erschossen worden sind, wo, wußte ich nicht.


MR. ROBERTS: Haben Sie gehört, daß entgegen jedem Brauche die Leichen nicht wieder zum Vorschein kamen, sondern, daß Urnen, die die Asche enthalten sollten, in das Lager zurückgebracht wurden? Haben Sie davon gehört?


MILCH: Das ist mir bekannt geworden aus der Unterhausrede von Mr. Anthony Eden, deren Text dort im Lager, wo ich war, auslag.


MR. ROBERTS: Sie hörten das, obwohl Ihre Regierung berichtete, daß diese Offiziere auf der Flucht erschossen worden sind, als sie Widerstand leisteten oder zu entkommen versuchten; jedoch nicht einer wurde verwundet, und alle fünfzig sind erschossen worden?


MILCH: Ich habe zuerst nur die öffentliche Nachricht in Deutschland gehört, daß diese Offiziere beim Widerstand oder auf der Flucht erschossen worden wären. In der Form haben wir es nicht geglaubt, sondern es wurde über diesen Punkt viel bei uns gesprochen, und wir hatten ohne genaues Wissen zunächst die Befürchtung, daß es sich um die Ermordung dieser Männer gehandelt hat.


[139] MR. ROBERTS: Sie fürchteten, daß Morde stattgefunden haben. Es scheint so, nicht wahr?


MILCH: Diesen Eindruck haben wir gewonnen, nachdem wir die ganzen Vorgänge hörten, die sich nicht richtig zusammenreimten.


MR. ROBERTS: Es ist ganz klar, daß im Falle von Mord der Befehl dazu von oben gegeben worden sein mußte, nicht wahr?


MILCH: Sicher. Darüber habe ich die näheren Ausführungen vom Chef des Kriegsgefangenenwesens, General Westhoff, gehört, als ich mit ihm zusammen in England gefangen war.


MR. ROBERTS: Ich möchte Sie zunächst über die Organisation des Kriegsgefangenenwesens befragen. War diese Organisation eine Abteilung des OKW?


MILCH: Nach meiner Auffassung, ja.


MR. ROBERTS: Die KGW, Kriegsgefangenenwe sen, genannt wurde?


MILCH: Ich kann nichts Näheres sagen über ihre Organisation, weil ich darüber nichts weiß. Ich wußte nur, daß es einen Chef des Kriegsgefangenenwesens beim OKW gab.


MR. ROBERTS: Und war damals Generalmajor von Graevenitz Chef des Kriegsgefangenenwesens?


MILCH: Von Graevenitz, jawohl.


MR. ROBERTS: Es war ein Fliegerlager? Stalag Luft III war ein Fliegerlager?


MILCH: Ja, es hatte solch einen Namen, ich hatte aber die Überzeugung, daß alle Gefangenen dem OKW unterstanden. Das war meine Auffassung. Genau kann ich das aber nicht sagen, weil ich über diese Organisation nicht Bescheid wußte.


MR. ROBERTS: War der Name des Direktoriums zur Überwachung der Luftwaffenlager, oder besser der Inspektion, Inspektion Nummer 17?


MILCH: Es hat eine Inspektion gegeben, die für diese Frage nach dem Namen eingerichtet war. Was sie zu tun hatte, oder welche Aufgaben sie dabei hatte, das weiß ich nicht. Ob es sich nur um die Vernehmungen handelte, ist mir unbekannt.


MR. ROBERTS: War Generalmajor Grosch Chef dieser Abteilung?


MILCH: Kann ich nicht sagen, das ist möglich, der Name ist mir bekannt. Ich weiß aber nicht, ob er diese Stellung bekleidet hat.


MR. ROBERTS: War Oberst Walde der nächste im Kommando?


MILCH: Ist mir nicht bekannt.


[140] MR. ROBERTS: Sie waren im März 1944 Nummer 2 in der Luftwaffe und im Luftfahrtministerium, nicht wahr?


MILCH: Es waren mehrere zweite Leute da. Ich war im selben Rang wie der Chef des Generalstabs und wie der Chef des Personalamts und wie der Chef der technischen Rüstung, die unabhängig von mir waren und neben mir standen. Ich war aber dem Dienstrange nach der Zweitälteste Offizier in der Luftwaffe.


MR. ROBERTS: Fand am Sonnabend vormittag, dem 25. März, eine Besprechung in Berlin über diese Flucht statt?


MILCH: Kann ich mich nicht daran entsinnen.


MR. ROBERTS: Sprach Göring nicht zu Ihnen über diese Sitzung?

MILCH: Ist mir nicht bekannt, kann mich nicht daran erinnern.


MR. ROBERTS: Hat Ihnen Göring niemals erzählt, daß an diesem Samstagvormittag eine Besprechung zwischen Hitler, Himmler, ihm selbst und Keitel stattgefunden hat?


MILCH: Nein, mir ist nichts davon bekannt, ich kann mich nicht entsinnen.


MR. ROBERTS: An wen wurde der Befehl zur Ermordung dieser wiederergriffenen Kriegsgefangenen erteilt?


MILCH: Kann mich nicht entsinnen. Nach der Darstellung, wie ich sie nachher bekommen habe, soll das auch ganz anders gewesen sein. Darüber habe ich die Mitteilung von dem vorhin genannten General Westhoff gehört und auch von General Bodenschatz.


MR. ROBERTS: General Westhoff werden wir hier als Zeugen hören. Er hat eine Erklärung über den Sachverhalt abgegeben und gesagt...


MILCH: Ich bitte um Entschuldigung. Ich habe Sie soeben nicht hören können. Die deutsche Sprache ist so leise. Ich höre Sie wohl, aber nicht die deutsche Übertragung.


MR. ROBERTS: General Westhoff...

MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS:... hat eine Erklärung abgegeben...


MILCH: Ja.


MR. ROBERTS:... und wir werden ihn hier als Zeugen hören.


MILCH: Ja.


MR. ROBERTS: Deshalb ist es vielleicht besser, Sie über diesen Sachverhalt nicht zu befragen, da er hier aussagen wird. Das wäre auch vom Standpunkt der Verteidigung aus fairer. Aber wollen Sie andeuten, daß diese Aktion gegen die Offiziere, falls sie ermordet [141] sind, um Ihre Worte zu gebrauchen, nach ihrer Flucht aus dem RAF-Lager, daß diese Aktion ohne Görings Wissen durchgeführt werden konnte?


MILCH: Das halte ich für durchaus möglich bei dem großen Durcheinander, das an der höchsten Stelle damals geherrscht hat.


MR. ROBERTS: Großes Durcheinander im März 1944?


MILCH: In der ganzen Zeit schon hat ein furchtbares Durcheinander dort geherrscht.


MR. ROBERTS: Aber es ist ganz klar...


MILCH: Hitler mischte sich in alle Fragen ein und gab selbst Befehle über den Kopf der Wehrmachtschefs hinweg von sich allein.


MR. ROBERTS: Aber haben Sie diese Angelegenheit niemals mit Göring besprochen?


MILCH: Nein, ich kann mich nicht entsinnen, jemals mit Göring über diese Frage gesprochen zu haben.


MR. ROBERTS: Glauben Sie nicht, daß dieser Vorfall die Deutsche Wehrmacht mit Schande bedeckt?


MILCH: Jawohl, das ist eine große Schande.


MR. ROBERTS: Trotzdem hat Göring mit Ihnen nie darüber gesprochen? Sprachen Sie je mit Keitel darüber?


MILCH: Ich konnte das nicht sagen. In dieser Zeit bin ich kaum jemals mit Göring zusammengekommen.


MR. ROBERTS: Sprachen Sie je mit Keitel darüber?


MILCH: Nein, niemals. Keitel habe ich noch seltener gesehen.


MR. ROBERTS: Gab es nicht einen General Foster oder Förster im Luftfahrtministerium?


MILCH: Jawohl, den gab es.

MR. ROBERTS: General Förster?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: War er Leiter der Operationsabteilung?


MILCH: Nein, er war der deutschen Bezeichnung nach Chef der Luftwehr und hatte als solcher den Personalersatz der Mannschaften und arbeitete mit den dazu gehörigen Stellen, mit dem Generalstab, ferner mit dem Reichsmarschall. Ihm unterstand aber auch im Kriege die zivile Luftfahrt, und in der zivilen Luftfahrt arbeitete er mit mir zusammen; dieses war aber im Kriege kaum eine Beschäftigung...


MR. ROBERTS: Ich wollte Sie fragen, ob er je zu Ihnen über die Erschießungen sprach?


[142] MILCH: Ich bin darnach schon einmal gefragt worden, kann mich beim besten Willen nicht erinnern. Aber es ist nicht ausgeschlossen, daß er mir gesprächsweise erzählt hat, daß eben Offiziere erschossen worden sind. Ob und in welchem Sinne, weiß ich nicht mehr. Eine dienstliche Meldung von ihm habe ich nicht bekommen und stand mir auch nicht zu.


MR. ROBERTS: Falls Förster Ihnen davon erzählt hätte, würden Sie es je Göring mitgeteilt haben?


MILCH: Ich kann mich an eine Unterhaltung mit Förster nicht erinnern, ich glaube nicht, daß ich mit ihm gesprochen habe. Eine Meldung hat er mir auch nicht gegeben, die ich wieder hätte Göring weitergeben müssen, sondern diese Meldung wäre ja von ihm direkt, und auf einem ganz anderen Wege, viel schneller, zu Göring gekommen.


MR. ROBERTS: Haben Sie Schritte unternommen, um die Erschießungen vor ihrer Ausführung zu verhindern?


MILCH: Als ich zum ersten Male davon erfuhr, war überhaupt für mich gar kein klares Bild, aber selbst wenn ich ein klares Bild bekommen hätte, so ist mir aus den Worten von Herrn Westhoff ganz klar, daß es leider viel zu spät gewesen wäre.


MR. ROBERTS: Warum zu spät?


MILCH: Weil als allererster von allen Offizieren Herr Westhoff von der Tatsache Kenntnis erhalten hat. Als er sie erhielt, wurde gesagt, daß der Befehl bereits ausgeführt sei. Ich weise darauf hin, daß Herr Westhoff dies ausgesagt hat und auch aussagen wird.


MR. ROBERTS: Sie wollen also sagen, daß Sie in dieser Angelegenheit niemals zu Göring gegangen sind?


MILCH: Darüber ist mir nichts bekannt.

MR. ROBERTS: Jetzt habe ich noch drei weitere kurze Punkte zu behandeln. Justice Jackson hat Sie bereits bezüglich der Verwendung von Arbeitern in der Rüstungsindustrie befragt. Wurden Arbeitskräfte aus Konzentrationslagern verwendet?


MILCH: Jawohl.


MR. ROBERTS: Wollen Sie sich bitte einmal Dokument 1584-PS ansehen, Sitzungsprotokoll vom 12. Dezember nachmittags, Band III, Seite 521. Handelt es sich da um ein Fernschreiben Görings an Himmler vom 14. Februar 1944? Da sind verschiedene Code-Zahlen an den Reichsführer-SS, das war Himmler, Reichsminister Himmler. Wer hat dieses Fernschreiben abgesandt? Es ist von Göring unterzeichnet, aber er würde sich doch nicht mit Arbeiterfragen befaßt haben. Oder doch?


[143] MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen. Ich kann nicht sagen, von wem das ausgeht.


MR. ROBERTS: Das betraf doch eine Angelegenheit, mit der Sie sich befaßten, die Frage der Arbeiterbeschaffung für die Luftrüstung?


MILCH: Nur so lange ich die Luftrüstung hatte, habe ich die Forderungen nach Arbeitern bei den entsprechenden Stellen angemeldet. Aber dieses Telegramm ist nicht aus meinem Amte gekommen.

MR. ROBERTS: Woher kam es, wenn es nicht aus Ihrem Amte kam?


MILCH: Da sind verschiedene Sachen hier zusammengekommen, es handelt sich einmal um eine weitere Staffel...


MR. ROBERTS: Bitte antworten Sie auf die Frage: aus welchem Büro kam es?


MILCH: Das kann ich so nicht sagen.


MR. ROBERTS: Sehr gut.


MILCH: Ich weiß es nicht.


MR. ROBERTS: Zweiter Satz:

»Gleichzeitig bitte ich Sie, für die Luftwaffenrüstung noch eine möglichst große Anzahl KZ-Sträflinge zur Verfügung zu stellen, da die bisherige Erfahrung diese Arbeitskräfte als sehr brauchbar herausgestellt hat.«

Sie haben häufig Arbeitskräfte aus Konzentrationslagern verwendet, nicht wahr?

MILCH: In der letzten Zeit ja. Darf ich fragen, ist das Fernschreiben vom 15., darf ich um den Monat des Schreibens bitten?

MR. ROBERTS: Ja. Zeuge, ich sagte Ihnen schon, es ist vom 14. Februar 1944. Sie finden es oben.


MILCH: Ja, ich konnte es hier nicht lesen.


MR. ROBERTS: Nein, ich verstehe. Und hat Himmler reagiert, und Ihnen weitere 90000 Konzentrationslagerhäftlinge zur Verfügung gestellt? Ich verweise auf Dokument 1584-PS, Nummer 3, vom 9. März 1944. Es ist von Heinrich Himmler an den »Hochverehrten Herrn Reichsmarschall« gerichtet. Es heißt dort, daß:

»... zur Zeit rund 36000 Häftlinge für Zwecke der Luftwaffe eingesetzt sind. Die Erhöhung auf insgesamt 90000 Häftlinge ist vorgesehen.«

Im letzten Paragraph heißt es:

»Die Verlegung von Produktionsstätten der Luftindustrie unter die Erde erfordert einen weiteren Einsatz von ca. 100000 Häftlingen.«

[144] Also, das waren Konzentrationslagerhäftlinge, Zeuge?

MILCH: Jawohl, ich sehe das aus dem Briefe.

MR. ROBERTS: Sie sagen, daß Sie von den Zuständen in den Konzentrationslagern fast keine Ahnung hatten?


MILCH: Das weiß ich nicht.


MR. ROBERTS: Sie haben die Filme nicht gesehen, die nach der Besetzung der Lager aufgenommen wurden?

MILCH: Nein.


MR. ROBERTS: Den schrecklichen Kontrast, warten Sie nur einen Augenblick, den schrecklichen Kontrast zwischen den dicken und wohlgenährten Wächtern und Zivilisten, und den Skeletten der Häftlinge?


MILCH: Ich habe den Film nicht gesehen, aber ich habe Photographien darüber gesehen in England.


MR. ROBERTS: Haben Sie Ihre Augen absichtlich geschlossen vor dem, was in Deutschland vorging?


MILCH: Nein, es war keine Möglichkeit für uns, das zu sehen.


MR. ROBERTS: Sie konnten in Ihrer Stellung nicht erfahren, was vor sich ging?


MILCH: Das war völlig unmöglich.


MR. ROBERTS: Ich möchte ganz kurz über einen Punkt sprechen, den Justice Jackson bereits berührt hat. Er hat den Brief nicht verlesen. Es handelt sich um die Frage der Experimente für die Luftwaffenforschung. Ich werde so wenig Dokumente wie möglich hier erwähnen, aber ich kann die Nummer des Dokuments angeben.

Wissen Sie, daß am 15. Mai 1941, – es handelt sich hier um einen Brief, 1602-PS, den Dr. Rascher an Himmler geschrieben hat.

MILCH: Der war mir nicht bekannt. Ich glaube, ich habe das während meiner Vernehmung erwähnt.


MR. ROBERTS: Er wollte sehr gefährliche Experimente vornehmen, für die sich kein lebendes Wesen freiwillig zur Verfügung stellen wollte; Affen waren nicht dafür geeignet, so bat er um menschliche Versuchsobjekte, die ihm Himmler sofort zur Verfügung stellte. Er erklärte, daß er mit großer Freude Menschen zu diesen Experimenten zur Verfügung stelle. Das war im Jahre 1941. Wußten Sie, daß diese Versuche stattfanden?


MILCH: Nein, davon ist mir nichts bekannt.


MR. ROBERTS: Rascher war...


MILCH: Rascher kannte ich persönlich nicht.


MR. ROBERTS: Er war Arzt im Stabe der Luftwaffe.


[145] VORSITZENDER: Aber Herr Roberts, hier liegt kein Brief an diesen Zeugen vor!


MR. ROBERTS: Euer Lordschaft! Ich führe zu diesem Punkte hin. Der nächste Brief ist ein von diesem Zeugen unterschriebener Brief. Das war die Einleitung. Vielleicht sollte ich jetzt zu dem Brief kommen, den er unterschrieben hat. Ich danke Ihnen.

Ich möchte Ihnen jetzt Dokument 343-PS vorlegen, und, wenn der Sekretär, der die Dokumente zu besorgen hat, so freundlich ist, auch Dokument 607-PS.


VORSITZENDER: Herr Roberts, er ist bereits über diesen Brief im Kreuzverhör vernommen worden, nicht wahr?


MR. ROBERTS: Ich glaubte nicht, daß der Brief gelesen oder genügend behandelt worden ist. Ich glaube, Euer Lordschaft denken, er wurde es?


VORSITZENDER: Der Brief wurde ihm vorgelegt. Ich weiß nicht, ob er verlesen wurde.


MR. ROBERTS: Ich werde mich völlig dem Gerichtshof fügen. Ich weiß, daß die Angelegenheit behandelt worden ist. Ich dachte, der Brief müßte verlesen werden, ich mag mich aber irren.


VORSITZENDER: Man sagt mir, daß er nicht verlesen worden ist, aber daß ihm die beiden Briefe vorgelegt worden sind.


MR. ROBERTS: Ich bin der gleichen Ansicht.

Ich bitte Euer Lordschaft, noch einige Minuten mit mir Geduld zu haben, dann kann ich vielleicht die Sachen erledigen, die, wie ich glaube, hier behandelt werden sollten.


[Zum Zeugen gewandt:]


Hier ist das Schreiben vom 20. Mai 1942; es handelt sich um Ihren Brief an »Wölffchen«, das ist Obergruppenführer Wolff; er ist von Ihnen unterschrieben, nicht wahr?

MILCH: Ich habe ihn unterschrieben; das ist ein Brief, der mir von der Sanitäts-Inspektion, wie ich heute Morgen sagte, vorgelegt worden ist und aus dem ersichtlich ist, daß wir uns aus dieser Sache ziehen wollten, und dem wir nach Möglichkeit eine höfliche Form gegeben haben.

MR. ROBERTS: Der wichtige Teil dieses Briefes, wenn ich zusammenfassen darf, besteht darin, daß Sie sagen: »Bezüglich des Telegramms vom 12. Mai hat unser Sanitäts-Inspektor...«


VORSITZENDER: Herr Roberts, wenn ich mich richtig erinnere, hat der Zeuge, als ihm diese Briefe vorgelegt wurden, gesagt, er habe sie nicht gelesen, er habe sie unterschrieben, ohne sie gelesen zu haben.


[146] MR. ROBERTS: Gut, Euer Lordschaft! Vielleicht sollte ich dieses Thema besser verlassen, wenn Euer Lordschaft glauben, daß ich ein Thema behandle, das schon zu oft behandelt worden ist.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wollen Sie dem Gerichtshof glauben machen, daß Sie diese beiden Briefe an Wolff unterschrieben haben, der Verbindungsoffizier war zwischen... nicht wahr... wer war Wolff?

MILCH: Nein, Wolff war kein Verbindungsoffizier, er war der Adjutant von Himmler. Er hatte ein Telegramm an uns geschickt, anscheinend an die Sanitäts-Inspektion. Der Sanitäts-Inspektor antwortete über mich, weil es, ich kann nicht sagen aus welchem Grunde, nicht praktisch erschien, daß er antwortete. Ich habe in meinen Vernehmungen gesagt, daß ich diese Briefe unterschrieben habe, daß diese Briefe aber nicht in meinem Büro diktiert worden sind, sondern daß man sie auf meinem Briefpapier, das wurde allgemein so gehandhabt, als Antwort der Sanitäts-Inspektion geschrieben hat. Ich hatte weder mit unseren Versuchen über Höhenluftfahrt zu tun, noch hatte ich mit der Sanitäts-Inspektion etwas zu tun oder mit irgendwelchen Sachen bei den Versuchen der SS.

MR. ROBERTS: Wußten Sie, daß diese Luftdruckkammerversuche an lebenden Menschen, an lebenden Seelen, die von Dachau geliefert worden waren, ausgeführt wurden?


MILCH: An wem sie gemacht wurden, das geht ja aus dem Brief hervor, den die Sanitäts-Inspektion mir vorgelegt hatte. Wir machten bei der Luftwaffe viele Versuche an unseren eigenen Sanitätsoffizieren, die sich freiwillig dazu meldeten und betrachteten das als unsere Sache, da wir es nur mit unseren eigenen Leuten machten. Wir wollten daher von der SS keinerlei Versuche haben, weil sie uns nicht interessierten. Die Versuche waren bereits bei uns mit unseren eigenen Leuten durchgeführt worden vor langer Zeit wir brauchten das gar nicht, es war eine Einmischung der SS; es ging die SS nichts an und wir haben es nie verstanden, warum die SS sich in diese Sache eingemischt hat.


MR. ROBERTS: Hat Himmler Ihnen nicht einen Brief geschrieben im November 1942, Dokument 1617-PS, in dem er sagte, daß Experimente durchgeführt würden, sowohl Höhendruck- als auch Kaltwasserexperimente, und daß er, Himmler, Asoziale und Verbrecher aus Konzentrationslagern dafür zur Verfügung stelle. Erinnern Sie sich dieses Briefes?


MILCH: Mir ist dieser Brief gezeigt worden. Ich habe auch an diesen Brief keine Erinnerung. Ich weiß nicht, warum Herr Himmler überhaupt an mich geschrieben hat. Von meinem Büro gingen diese Briefe immer unmittelbar, ohne mir vorgelegt worden zu sein, an [147] die entsprechenden Stellen der Sanitäts-Inspektion. Von dort kam dann die Antwort über mein Büro zurück. Ich war nicht in der Lage, dazu eine eigene Stellung zu nehmen, weil ich nicht wußte, um was es sich handelte und nicht beurteilen konnte, was medizinisch dort vorging.


MR. ROBERTS: Wenn Sie behaupten, daß Sie nichts über Briefe wissen, die Sie unterschrieben haben, dann kann ich die Angelegenheit nicht länger behandeln.

Ich komme nun zum letzten Punkt.


MILCH: Ich hatte im Tage mehrere hundert Briefe zu unterschreiben, von denen ich nicht wissen konnte, um was es im einzelnen ging. Es handelte sieh um ein Spezialwissen und ich habe nur unterschrieben, um dem Sanitäts-Inspektor, der aus dem heute Morgen erwähnten Grunde diese Unterschrift nicht selbst leisten wollte, die Verantwortung abzunehmen.


MR. ROBERTS: Gut, ich verlasse diesen Punkt.

Also jetzt zum letzten Punkt. Sie sagten am Freitag, daß ein deutscher General hingerichtet worden sei, weil er Juwelen gestohlen hatte. Wo hat dieser Diebstahl stattgefunden?


MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen. Ich habe es in Erinnerung, als ob es in Belgrad gewesen wäre. Der Name des Generals ist General Wafer, das weiß ich noch.


MR. ROBERTS: Es handelt sich um Juwelen, die in Belgrad gestohlen worden waren?


MILCH: Das vermag ich nicht zu sagen. Ich kenne es nur soweit wie ich es am Freitag gesagt habe.


MR. ROBERTS: Die deutschen Behörden haben also die Todesstrafe als eine angemessene Strafe für Diebstahl angesehen? Scheinbar ist es so?


MILCH: Ich habe die Frage hier nicht hören können.


MR. ROBERTS: Gut, vielleicht war es ein Kommentar.

Ich werde jetzt die nächste Frage an Sie stellen. Wie hoch war der Wert der gestohlenen Juwelen?


MILCH: Ich kann nur sagen, ich weiß weder, wie gestohlen wurde, noch weiß ich, was gestohlen wurde, noch wie hoch es war, nur die Tatsache, daß es Juwelen gewesen sein sollen, die er sich angeeignet hatte, und daß dafür die Todesstrafe ausgesprochen wurde.


MR. ROBERTS: Hat Göring jemals über seine Kunstsammlung mit Ihnen gesprochen, die er aus den besetzten Gebieten bekam?


MILCH: Mir ist nichts davon bekannt.


[148] MR. ROBERTS: Soll ich Ihnen einen Abschnitt aus einem Beweisstück verlesen; es handelt sich um einen Befehl Görings vom 5. November 1940. Göring an den Chef der Militärverwaltung in Paris und an den Einsatzstab Rosenberg, Verfügung über Kunstgegenstände, die in den Louvre gebracht worden waren, in folgender Reihenfolge: Erstens, jene Kunstgegenstände...


VORSITZENDER: Herr Roberts, er hat dieses Dokument nie gesehen, und er sagt, daß er nichts darüber wisse.


MR. ROBERTS: Wenn Euer Lordschaft der Ansicht sind, daß ich ihn nicht darüber befragen soll...


[Zum Zeugen gewandt:]


Sie sagten, Göring hat niemals mit Ihnen über seine Kunstsammlung gesprochen?

MILCH: Nein.

MR. ROBERTS: Wissen Sie nicht, daß, wie aus einem Inventar hervorgeht, 21000 wertvolle Kunstgegenstände aus den besetzten westlichen Ländern weggeholt worden sind?


MILCH: Nein, darüber ist mir nichts bekannt.


MR. ROBERTS: Was hätte der General, der die Juwelen gestohlen hat, mit ihnen machen sollen? Hätte er sie dem Führer oder vielleicht Göring schenken sollen?


MILCH: Ich bitte, mir die Antwort darauf zu erlassen.


GENERAL RUDENKO: Wollen Sie mir sagen, wann Sie von dem Plan Hitlers, gegen die Sowjetunion Krieg zu führen, hörten? Im Jahre 1941?


MILCH: Im Januar habe ich erfahren, wie ich Freitag sagte, vom Reichsmarschall Göring, daß ihm Hitler mitgeteilt hatte, er erwarte einen Angriff auf Rußland. Dann habe ich mehrere Monate von der ganzen Sache nichts mehr gehört, bis ich durch Zufall von einem Untergebenen erfuhr, daß ein Krieg mit Rußland bevorstände und daher Vorbereitungen für die Bekleidung der Truppen getroffen wurden.


GENERAL RUDENKO: Kannten Sie den Plan »Barbarossa«?


MILCH: Den Namen habe ich gehört, und habe den Plan als solchen demonstriert gesehen bei einer Besprechung, die beim Führer stattfand, ein bis zwei Tage vor dem Angriff, mit den einzelnen Heeresgruppen- und Armee-Oberbefehlshabern.


GENERAL RUDENKO: Wann hat das stattgefunden, ein, zwei Tage vor der Invasion?


MILCH: Ich kann Ihnen das Datum genau sagen in einer Sekunde.


[149] GENERAL RUDENKO: Bitte, tun Sie es!


MILCH: Am 14. Juni, das ist etwa 8 Tage vor dem Angriff, der am 22. Juni stattgefunden hat.


GENERAL RUDENKO: Und vorher haben Sie von dem Plan weder gehört noch etwas gesehen?


MILCH: Ich sage, den Namen »Barbarossa« habe ich gehört, wahrscheinlich schon vorher.


GENERAL RUDENKO: Wie lange vorher?


MILCH: Das kann ich nicht sagen, denn ich bin in den Monaten Januar, Februar, März und auch im April außerhalb Deutschlands gewesen und bin erst im Mai wieder zurückgekehrt. Ich war in Afrika, Griechenland, Jugoslawien und im Westen.


GENERAL RUDENKO: Mich interessiert die Periode, während welcher Sie sich im Oberkommando der Luftwaffe befanden. Im Dezember und Januar waren Sie in Deutschland?


MILCH: Im Dezember 1940?


GENERAL RUDENKO: So?


MILCH: Nur zum Teil, ich war auch zum Teil in Frankreich, und auch in Italien.

GENERAL RUDENKO: Und im Januar 1941 befanden Sie sich in Deutschland?


MILCH: Da war ich die ganze Zeit im Westen und soviel ich weiß, auch nicht einen Tag in Deutschland.


GENERAL RUDENKO: Sie haben doch gesagt, daß Sie im Januar 1941 mit Göring eine Besprechung über den Plan des Krieges gegen die Sowjetunion hatten.


MILCH: Ja, ich...


GENERAL RUDENKO: Im Januar 1941?


MILCH: Jawohl, am 13. Januar. Ich kann aber nun nicht mehr sagen, ob ich mit Göring in Frankreich gesprochen habe oder durch ein Ferngespräch, oder ob ich ein oder zwei Tage in Deutschland war. Das kann ich nicht sagen, ich habe es mir nicht aufgeschrieben.


GENERAL RUDENKO: Verzeihen Sie, durch ein Ferngespräch wurde die Frage des Angriffs auf die Sowjetunion besprochen?


MILCH: Nicht von einem Angriff auf Rußland, sondern von einem Angriff von Rußland auf Deutschland ist damals gesprochen worden und wir hatten bei...


GENERAL RUDENKO: Sie behaupten, die Frage eines Angriffs der Sowjetunion gegen Deutschland sei telephonisch besprochen worden?


[150] MILCH: Ich habe überhaupt nichts behauptet, sondern ich habe gesagt, ich weiß nicht, ob mir die Nachricht gegeben worden ist, durch ein Sonderkabel, das nicht abgehört werden konnte, oder ob der Reichsmarschall mir das in Frankreich gesagt hat, oder ob ich für diesen Tag in Deutschland gewesen bin.


GENERAL RUDENKO: Und wann haben Sie diese Frage mit Göring besprochen, und wann hat Ihnen Göring mitgeteilt, daß er einen Krieg mit der Sowjetunion nicht wünsche?


MILCH: Das war am 22. Mai.


GENERAL RUDENKO: Des Jahres 1941?


MILCH: 1941. Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Und wo wurde diese Frage besprochen?


MILCH: In der Nähe hier von Nürnberg, in Veldenstein.


GENERAL RUDENKO: Haben Sie diese Frage nur mit Göring besprochen, oder war noch jemand anderes zugegen?


MILCH: Damals nur mit Göring. Wir waren allein.


GENERAL RUDENKO: Und Sie behaupten, daß Göring den Krieg mit Rußland nicht wünschte?


MILCH: Das war mein Eindruck.


GENERAL RUDENKO: So! Und warum wünschte Göring nicht den Krieg gegen die Sowjetunion? Es war doch ein Verteidigungskrieg, nicht wahr?


MILCH: Göring war einem solchen Krieg abgeneigt, weil er genau wie auch wir anderen wollten...


GENERAL RUDENKO: Er war einem Verteidigungskrieg abgeneigt?


MILCH: Er persönlich war jedem Krieg abgeneigt.


GENERAL RUDENKO: Sonderbar, vielleicht können Sie mir genau erklären, warum Göring den Krieg mit der Sowjetunion nicht wünschte?


MILCH: Weil ein Zweifrontenkrieg, noch dazu ein Krieg gegen Rußland, für Deutschland, so wie ich es sah, den Verlust des Krieges bedeutete; und ich glaube, daß auch viele Soldaten und andere es so gesehen haben.


GENERAL RUDENKO: Sie waren also persönlich auch ein Gegner des Krieges gegen die Sowjetunion?


MILCH: Ein ausgesprochener Gegner eines Krieges mit Rußland.

GENERAL RUDENKO: Sonderbar. Ihre Aussagen sind zumindest nicht sehr überzeugend. Auf der einen Seite sagen Sie, daß die Rede von einem Angriff der Sowjetunion auf Deutschland war, und [151] auf der anderen Seite sagen Sie, daß Göring und andere hohe Offiziere keinen Krieg mit der Sowjetunion wünschten.


MILCH: Darf ich dazu nochmal auseinandersetzen: Am 13. Januar teilte Göring mir mit, daß Hitler den Eindruck habe, Rußland wolle gegen Deutschland ziehen. Das war nicht die Auffassung von Göring, das war auch nicht meine Auffassung, das, nehme ich an, war die Auffassung Hitlers, die er als die seine geäußert hatte.


GENERAL RUDENKO: Entschuldigen Sie bitte. Soviel ich verstehen kann, glaubten weder Göring noch Sie an die Richtigkeit dieser Auffassung Hitlers.


MILCH: Ich kann hier nur über mich selbst sprechen. Ich habe offen darüber gesprochen, daß ich nicht glaubte, daß Rußland gegen uns ziehen würde. Was Göring darüber geglaubt hat, vermag ich nicht zu sagen. Er hat mit mir darüber nicht gesprochen. Man müßte ihn selbst fragen.


GENERAL RUDENKO: Ja, und jetzt frage ich Sie: Sie wollen sagen, daß Sie nicht an das, was Hitler sagte, glaubten. Und Sie meinen, daß auch Göring keinen Krieg gegen die Sowjetunion wünschte?


MILCH: Am 22. Mai, als ich mit Göring über diese Frage sprach und ihn dringend bat, bei Hitler alles zu tun, um einen Krieg gegen Rußland zu vermeiden, hat Göring mir gesagt, daß er dieselben Argumente bei Hitler vorgebracht habe, daß es aber nicht möglich wäre, ihn, Hitler umzustimmen. Seine Meinung wäre fest gefaßt und es gäbe keine Kraft der Welt, ihn davon abzubringen.


GENERAL RUDENKO: Ich verstehe. Sie meinen, daß Göring sich gegen den Krieg mit der Sowjetunion aussprach, weil er ihn für undurchführbar hielt, während Sie mit England Krieg führten, und weil er einen Zweifrontenkrieg verhindern wollte.


MILCH: Rein militärisch gesprochen, sicher. Aber ich glaube, wenn es damals nicht zum Krieg gekommen wäre, so wäre es nachher auch nicht dazu gekommen.


GENERAL RUDENKO: Und Sie behaupten ernstlich, daß man so lange vorher von einem Präventivkrieg sprechen und gleichzeitig den Plan »Barbarossa« und alle damit zusammenhängenden Weisungen ausarbeiten kann? Daß man Verbündete für den Angriff auf die Sowjetunion gewinnen kann? Glauben Sie ernstlich an den präventiven Charakter eines solchen Krieges?


MILCH: Ich habe den Sinn der Frage nicht verstanden.


GENERAL RUDENKO: Wie kann man es sich erklären, daß einerseits die Sowjetunion einen Angriff auf Deutschland unternehmen wollte, und daß man andererseits aber einen Angriffsplan [152] gegen die Sowjetunion ausarbeitete, und dies bereits im Dezember 1940, wie aus den Angaben amtlicher Dokumente hervorgeht?


MILCH: Ich kann das nur so verstehen, daß, wenn Hitler wirklich an einen Angriff von Rußland glaubte, daß er dann sagte, er müsse durch einen Präventivkrieg dem russischen Einfall zuvorkommen. Das hat aber nichts mit der Auffassung zu tun, nach der ich hier gefragt worden bin. Für mich war die Voraussetzung, daß Rußland über uns herfiele, nicht unbedingt gegeben. Ich habe zwar keinen vollen Überblick gehabt, aber ich hatte persönlich nicht den Glauben, daß Rußland das tun würde, aus den russischen Interessen heraus, in die ich mich hineinzudenken versucht habe.


GENERAL RUDENKO: Ich verstehe. Ich habe noch einige Fragen im Zusammenhang mit den Kriegsgefangenen an Sie zu stellen. Die Verwendung von Kriegsgefangenen, besonders aus der Sowjetunion, zur Arbeit in der Flugzeugindustrie ist hier bereits erörtert worden.


MILCH: Jawohl.


GENERAL RUDENKO: Wie betrachten Sie die Frage der Verwendung von Kriegsgefangenen zur Arbeit gegen ihr eigenes Land? Was halten Sie davon?


MILCH: Es ist dies natürlich eine sehr unschöne Sache, wurde aber, soweit ich weiß, von allen Ländern auch gegenüber unseren Kriegsgefangenen angewandt.


GENERAL RUDENKO: Ich spreche jetzt von Deutschland. Sie sagen, daß es eine unschöne Handlung ist. Ist das nicht eine allzu milde Darstellung?


MILCH: Kommt darauf an, was die anderen machen. Alle Kriegsgesetze beruhen auf Gegenseitigkeit, solange die Gegenseitigkeit da ist.


GENERAL RUDENKO: Ich möchte Sie bitten, meine Frage zu beantworten. Wie war die Einstellung des deutschen Oberkommandos zu dieser Verwendung? Finden Sie nicht, daß diese Handlungen die Bestimmungen des Völkerrechts verletzen?


MILCH: Diese Frage ist rechtlich nicht klar und mir auch heute nicht klar. Ich weiß nur, daß befohlen war, sie einzusetzen und den Kampf um die Existenz auch mit Hilfe dieser Männer und Frauen zu führen.


GENERAL RUDENKO: Finden Sie, daß dieser Befehl richtig war?


MILCH: Das kann ich nicht beurteilen. Das kommt auf die Verhältnisse an und wie gesagt, auf die Gegenseitigkeit.


DR. HANS LATERNSER, VERTEIDIGER FÜR GENERALSTAB UND OBERKOMMANDO: Herr Präsident, ich bitte, diese Frage [153] und Antwort aus dem Protokoll streichen zu wollen. Die Frage verlangt von dem Zeugen die Bekanntgabe einer Rechtsmeinung, was nicht Aufgabe des Zeugen ist, und, da diese Frage unzulässig ist, muß auch die Antwort gestrichen werden.


VORSITZENDER: General Rudenko?


GENERAL RUDENKO: Ich möchte dazu sagen, mir war es nicht bekannt, daß der Zeuge nicht wußte, ob dies eine Verletzung des Völkerrechts war oder nicht. Im Gegenteil habe ich jeden Grund, anzunehmen, daß der Zeuge in dieser Frage kompetent ist, um so mehr, als er zu Anfang seiner Aussagen heute und am Freitag die zehn Anordnungen zitierte und von ihnen sagte, daß sie von den Soldaten nicht verletzt werden durften, da sie auf Völkerrecht beruhten. Ich dachte daher, daß der Zeuge kompetent sei, auch auf die Frage der Verwendung von Kriegsgefangenen durch die Luftwaffe gegen ihre Heimat zu antworten. Wenn der Gerichtshof der Ansicht ist, daß diese Frage nicht gestellt werden soll, werde ich sie selbstverständlich zurückziehen.


VORSITZENDER: Die Frage hätte anders formuliert werden können, ob es sich um einen Bruch der Regeln handelt, die in seinem Soldbuch stehen. Wenn es sich jedoch um eine Frage des Völkerrechts handelt, so muß sie der Gerichtshof entscheiden, und wir wünschen natürlich auf diesem Gebiet keine Zeugenaussage.


GENERAL RUDENKO: Ja.

Ich möchte noch zwei Fragen an den Zeugen stellen.


VORSITZENDER: Wir wollten uns um halb fünf Uhr vertagen. Wenn Sie noch mehrere Fragen stellen wollen, würden wir besser jetzt unterbrechen, oder sind Sie fertig?


GENERAL RUDENKO: Ich glaube, es ist besser, jetzt eine Pause einzulegen, denn ich habe noch mehrere Fragen an den Zeugen zu richten.


[Das Gericht vertagt sich bis

12. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 115-155.
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