Vormittagssitzung.

[502] VORSITZENDER: Bevor wir mit dem Fall des Angeklagten Schacht fortfahren, wird der Gerichtshof die Entscheidung auf die Anträge des Dr. Sauter im Namen des Angeklagten von Schirach bekanntgeben.

Der erste Antrag, gegen den ein Einspruch erhoben wurde, bezog sich auf die Gruppe von Dokumenten, Nummer 30, 31, 45, 68, 73, 101, 124 und 133. Der Antrag auf diese Gruppe von Dokumenten ist abgelehnt.

Das nächste war ein Antrag auf Nummer 118 a. Diesem Antrag wurde stattgegeben, und das Dokument ist zu übersetzen.

Der nächste Antrag betraf Nummer 121, und in diesem Falle wurde der Antrag abgelehnt.

Bezüglich der Zeugen hat Dr. Sauter seinen Antrag auf den Zeugen Marsalek zurückgezogen. Im Zusammenhang mit den anderen Anträgen hat der Gerichtshof der Vorladung des Zeugen Uiberreither stattgegeben.

Das ist alles.


DR. DIX: Ich habe gestern zu meinem Bedauern unterlassen, nach der Antwort Dr. Schachts auf meine Frage, ob er sich durch Hitler nur enttäuscht oder getäuscht gefühlt habe, eine Urkundenstelle zu verlesen, die sich zu dem gleichen Punkt verhält. Es ist dies das schon mehrfach zitierte und überreichte Dokumentenstück, Exhibit Nummer 34, Seite 114 des englischen Textes des Dokumentenbuches, und zwar findet sich diese Stelle auf Seite 124 des englischen Dokumentenbuches; sie lautet, ich zitiere:

»Herr Dr. Schacht war schon in den Jahren 1935/36, wie aus zahllosen Äußerungen hervorging, in die Rolle desjenigen Mannes geraten, der Hitler gutgläubig seine Kraft und sein Können zur Verfügung gestellt hatte, sich aber von Hitler betrogen fühlte. Von den vielen Äußerungen Schachts zitierte ich nur eine, die Schacht gelegentlich eines Abendessens bei meiner Frau und mir im Sommer 1938 getan hat. Als Herr Dr. Schacht erschien, war deutlich erkennbar, daß in ihm etwas brodelte, und beim Abendessen platzte es plötzlich aus ihm heraus, indem er aus einer tiefen Erregung meine Frau geradezu anschrie: ›Gnädige Frau, wir sind Verbrechern in die Hände gefallen, wie hätte ich das ahnen können.‹«

Es ist die eidesstattliche Versicherung Schniewinds.

[502] Ich habe dann gestern drei Urkunden erwähnt, nämlich einen Vortrag Schachts über »Geographie und Statistik« in Frankfurt am Main, am 9. Dezember 1936; ferner einen Aufsatz Schachts über das Kolonialproblem und die Königsberger Rede Schachts. Ich überreiche jetzt diese Dokumente, und zwar den Vortrag über »Geographie und Statistik« in Frankfurt, Dokumentenbuch deutsche Ausgabe Exhibit 19, Seite 48, englische, Seite 54; der Aufsatz über das Kolonialproblem ist Exhibit 21, deutsche Ausgabe Seite 53, englische Ausgabe Seite 59; und die Königsberger Rede Exhibit Nummer 25 meines Dokumentenbuches, Seite 66 deutsche Ausgabe, englische Ausgabe Seite 73.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun, Herr Dr. Schacht, wir hielten in der Mitte des Jahres 1934, also kurz vorher, bevor Sie Wirtschaftsminister wurden; und als Sie nun Wirtschaftsminister wurden, waren Ihnen ja die Vorgänge des 30. Juni 1934 und deren Legalisierung durch das Kabinett bekannt. Hatten Sie nunmehr keine Bedenken, in dieses Kabinett einzutreten, oder welche Erwägungen veranlaßten Sie, diese Bedenken zurückzustellen?

SCHACHT: Wenn es sich um meine persönliche Ruhe und Bequemlichkeit gehandelt hätte, so wäre es natürlich sehr einfach gewesen, das Amt nicht anzunehmen und zu resignieren. Ich fragte mich selbstverständlich, was damit für die weitere Entwicklung der deutschen Politik gewonnen wäre. Wir befanden uns bereits in einem Stadium, in dem jede öffentliche und offene Opposition und Kritik gegenüber der Hitler-Regierung unmöglich gemacht war. Es konnten sich keine Versammlungen bilden, keine Vereinigungen; jede Presseäußerung war unter Kritik und Zensur gestellt, und irgendeine Möglichkeit der politischen Opposition, ohne die keine Regierung leben kann, war von Hitler mit seiner Terrorpolitik unterbunden worden.

Es gab nur eine einzige Stellung, von der aus man versuchen konnte, Kritik zu üben und eventuell Opposition zu machen und schlimme Maßnahmen, fehlerhafte Maßnahmen der Regierung zu verhüten; und diese Opposition war einzig und allein in der Regierung selbst. Mit diesem Bewußtsein bin ich in die Regierung hineingegangen, und ich habe gehofft, daß ich im Laufe der Jahre doch innerhalb des deutschen Volkes eine gewisse Unterstützung, einen gewissen Rückhalt finden würde. Noch gab es ja eine große Masse von geistig Führenden, Professoren, Lehrern und Wissenschaftlern, von denen ich nicht erwarten konnte, daß sie sich einfach in diese Zwangswirtschaft fügen würden. Noch gab es eine große Masse von industriellen Unternehmern, Wirtschaftsführern, von denen ich nicht annehmen konnte, daß sie die Führung ihrer Geschäfte einem wirtschaftsfeindlichen Zwang unterordnen würden. Ich hatte gehofft, [503] aus all diesen Kreisen heraus eine gewisse Unterstützung zu finden die es mir ermöglichen würde, innerhalb der Regierung eine bremsende und regulierende Wirkung zu erzielen. Ich bin also in da Kabinett Hitlers hineingegangen, nicht mit begeisterter Zustimmung sondern aus der Notwendigkeit heraus, daß für das deutsche Volk weitergearbeitet werden müsse und daß eine Bremse und ein Berichtigung falscher Maßnahmen nur angesetzt werden konnte innerhalb der Regierung.


DR. DIX: Gab es denn nun im Laufe der Zeit gar keine oppositionelle Entwicklung innerhalb der Partei?


SCHACHT: Ich darf dazu sagen, daß auch innerhalb der Partei selbstverständlich die anständigen Elemente zahlenmäßig bei weitem überwogen. Der große Teil der Bevölkerung hatte sich der Partei angeschlossen aus gutem Instinkt, aus gutem Willen heraus, getrieben von der Not, in die das deutsche Volk geraten war. Ich möchte auch gerade für die SS zum Beispiel sagen, daß im Anfang der SS sich eine Masse anständige Leute gerade in die SS hineinbegaben, weil der Himmler dieser SS den Anschein gab, für eine ideale Lebensführung zu kämpfen. Ich erinnere an ein Buch, das damals erschien mit dem bezeichnenden Titel, von einem SS-Mann geschrieben: »Schafft anständige Kerle«.

Im Laufe der Zeit aber hat es Hitler verstanden, innerhalb der Partei und ihrer Organisation alle schlechten Elemente um sich zu sammeln, er hat es verstanden, sie alle an sich zu ketten, und zwar, ich möchte sagen, bewußt dadurch, daß er irgendwelchen Fehler oder Fehltritt oder Vergehen, oder was sie sich hatten zuschulden kommen lassen, sich zunutze machte, um diese Leute unlösbar an sich zu fesseln.

Ich habe gestern von der Trunksucht als einem Bestandteil der Nazi-Ideologie gesprochen; ich habe das nicht getan, um irgend jemanden persönlich herabzusetzen, sondern aus einem anderen, ganz bestimmten Grunde.

Im Laufe der weiteren Entwicklung habe ich bemerkt, daß gerade einer großen Zahl von Parteigenossen, die in dieses Netz von Hitler hineingeraten waren und sich in mehr oder minder führenden Stellungen befanden, langsam angst und bange wurde vor den Folgen des Unrechts und der frevelhaften Taten, zu denen sie durch das System angestachelt wurden. Ich habe das bestimmte Gefühl gehabt, daß diese Leute sich durch Verfall in die verschiedensten Betäubungslaster zu retten suchten vor ihrem Gewissen und daß es nur die Flucht vor ihrem Gewissen gewesen ist, die sie so hat handeln lassen; sonst wäre ja auch gar nicht die große Zahl von Selbstmorden zu erklären, die am Ende des Systems stattgefunden hat.


[504] DR. DIX: Es ist Ihnen bekannt, daß Ihnen vorgeworfen wird, Teilnehmer einer Verschwörung mit dem Ziele rechtswidrigen Friedensbruches gewesen zu sein. Haben Sie jemals irgendwelche geheime Abreden oder geheime Befehle, oder geheime Richtlinien zur Kenntnis bekommen, welche auf einen solchen Zweck hinausliefen?


SCHACHT: Für meine Person darf ich sagen, daß ich niemals irgendeinen Befehl oder irgendeinen Wunsch zur Ausführung entgegengenommen habe, der etwas Unrechtes enthalten hätte. Hitler hat mir niemals irgendein Ansinnen gestellt, von dem er sicherlich von vorneherein wußte, daß ich es nicht erfüllen würde, weil es mit meinen moralischen Grundanschauungen nicht übereinstimmte. Aber ich habe auch niemals irgendeine Bemerkung gemacht oder eine Beobachtung, daß einer meiner Ministerkollegen oder einer der sonst führenden Männer, die nicht zum engeren Kreis von Hitler gehörten – diese habe ich natürlich nicht kontrollieren können –, daß aber meine Ministerkollegen und wen ich sonst im Verkehr getroffen habe, niemals irgend etwas haben erkennen lassen, das auf eine kriegsverbrecherische Absicht abgestellt war; im Gegenteil, wir waren alle immer hocherfreut, wenn Hitler wieder einmal eine seiner großen Reden losließ, in der er nicht nur der Welt, sondern vor allem dem deutschen Volke versicherte, daß er nichts anderes als einen Frieden und friedliche Arbeit im Sinne habe. Daß Hitler auch hierin die Welt und das deutsche Volk und viele seiner Mitarbeiter getäuscht hat, gehört zu den Dingen, die ich gestern bereits erwähnt habe.


DR. DIX: Haben Sie jemals – natürlich außer Ihrem normalen Beamteneid – irgendeinen Schwur oder irgendeine andere Verpflichtung auf die Partei oder eine sonstige nationalsozialistische Organisation geleistet?


SCHACHT: Nicht einen einzigen Eid und nicht eine einzige Verpflichtung, außer meinem Beamteneid auf das Staatsoberhaupt.


DR. DIX: Waren Sie mit führenden Nationalsozialisten privat intim, zum Beispiel mit Hitler oder Göring?


SCHACHT: Unter intim, nehme ich an, meinen Sie irgendeinen privaten freundschaftlichen oder gesellschaftlichen Verkehr?


DR. DIX: Jawohl.


SCHACHT: Ich habe mit Hitler einen solchen Verkehr niemals gehabt. Er hat mich wiederholt in den ersten Jahren auf das dringendste gebeten, ich möchte doch mittags an seinen Mittagstisch in der Reichskanzlei kommen, wo er mit seinen engeren Freunden zu Mittag aß. Ich habe dies zweimal versucht, bin zweimal dagewesen in gewissen Abständen, und ich muß sagen, daß mich nicht nur das Niveau der Unterhaltung an diesem Tisch und der geradezu hündische Byzantinismus gegen die Person Hitlers abgestoßen hat, [505] sondern auch, daß mir die ganze Gesellschaft nicht benagte und bin nie wieder hingegangen. Privatim bei Hitler bin ich nie gewesen. Ich habe selbstverständlich die großen Einladungen, zu denen alle Minister, das Diplomatische Korps und so weiter, die höheren Beamten, erschienen, mitgemacht, aber irgendwelchen intimen, freundschaftlichen oder sonst privaten Verkehr habe ich mit ihm nicht gehabt. Dasselbe trifft auf die anderen Herren zu. Es ist selbstverständlich, daß man sich in den ersten Monaten der Bekanntschaft gelegentlich besucht hat, aber alle sogenannten gesellschaftlichen Zusammenkünfte, die damals in der ersten Zeit noch stattfanden, trugen alle einen mehr oder minder offiziellen Charakter. Von einem privaten und intimen Verkehr kann nie die Rede sein.


DR. DIX: Und diese Antwort kann auch auf sämtliche anderen führenden Nationalsozialisten angewendet werden?


SCHACHT: Auf sämtliche.


DR. DIX: Nun, wann sprachen Sie zum Beispiel zum letztenmal mit folgenden Personen, zunächst mal Bormann?


SCHACHT: Ich entnehme aus dem Wort »zunächst«, daß Sie auch andere noch erwähnen wollen.


DR. DIX: Ja, Himmler, Heß, Ley und Ribbentrop.


SCHACHT: Ich möchte infolgedessen eines hier vorausschicken: Als Hitler von Paris nach beendigtem französischen Feldzug siegreich als Triumphator zurückgekehrt ist, erhielten wir alle, die Minister und die Reichsleiter und die sonstigen Parteigenossen, wie ich annehme, und Staatssekretäre etcetera von der Reichskanzlei die Aufforderung, uns bei dem Empfang Hitlers auf dem Anhalter Bahnhof einzufinden, um ihn dort zu begrüßen. Da ich zu dieser Zeit in Berlin war, konnte ich mich unmöglich dieser Aufforderung entziehen, es war im Jahre 1940, und der Konflikt zwischen Hitler und mir bestand ja schon lange; es wäre geradezu ein Affront gewesen, wenn ich zu Hause geblieben wäre. Infolgedessen bin ich dorthin gegangen und habe eine Unmenge von Parteiführern und Ministern und sonstigen Leuten da gesehen, die ich natürlich nicht alle mehr im Gedächtnis habe.


DR. DIX: Entschuldigen Sie mal, wenn ich Sie unterbreche. Ich habe an sich ein schlechtes Gedächtnis für Filme, insbesondere Wochenschauen, aber ich glaube mich zu erinnern, daß dieser Empfang im Film gezeigt worden ist in der Wochenschau und daß Sie dort ungefähr der einzige Zivilist waren, der damals unter der Menge war.


SCHACHT: Ich habe diesen Film nicht gesehen, aber meine Freunde haben mir davon erzählt, gerade mit Rücksicht auf den Umstand, daß ich unter all den lamettastrotzenden Uniformen als [506] einziger Zivilist im Straßenjackett dort auch bereitstand. Es könnte aber aus diesem Film ja festgestellt werden, wer anwesend gewesen ist. Ich habe meinerseits diesen Empfang deswegen erwähnt, weil es möglich gewesen ist, daß ich dort vielen Leuten »Guten Morgen« gesagt habe, und »wie geht's?« und so weiter. Ich erinnere mich auch, daß ich mit dem Mitangeklagten Rosenberg im Auto gemeinsam hingefahren bin, weil immer zwei zu zwei im Auto saßen. Ich habe an dem anschließenden Empfang in der Reichskanzlei nicht teilgenommen. Rosenberg ging hinein, ich habe gesagt: »Mir paßt das nicht, ich fahre nach Hause.«


DR. DIX: Also darf ich annehmen, daß Sie die führenden Herren wie Heß, Ley, Ribbentrop, Rosenberg, Frick, Frank, Schirach, Speer, Sauckel und so fort, Seyß-Inquart, Kaltenbrunner damals wahrscheinlich das letztemal gesehen haben?


SCHACHT: Es ist möglich, daß sie alle dagewesen sind; ich habe mit keinem von ihnen, außer mit Hitler selbst, eine nähere Unterhaltung gehabt.


DR. DIX: Haben Sie mit Hitler damals gesprochen?


SCHACHT: Hitler hat mich angesprochen – eine der merkwürdigsten Szenen meines Lebens –. Wir standen alle aufgereiht, und Hitler ging ziemlich rasch an den verschiedenen Leuten vorbei, und als er mich sah, kam er mit triumphierendem Lächeln auf mich zu, streckte mir die Hand entgegen in einer freundlichen Weise, wie ich sie lange nicht erfahren hatte und sagte zu mir: »Nun, Herr Schacht, was sagen Sie nun?« und erwartete natürlich, daß ich ihm, sei es Glückwunsch oder sei es Bewunderung oder irgend etwas mitteilen würde und gewissermaßen zugeben würde, daß ich selbst mit meiner »Prognose« über den Krieg und über das Kriegsunglück, was er ja ganz genau wußte – er kannte meine Einstellung zum Krieg ganz genau –, daß ich zugeben würde, daß ich unrecht gehabt hätte. Es war für mich außerordentlich schwer, einer solchen Antwort zu entgehen, und ich suchte nach einem Ausdruck, um das nicht auszudrücken und erwiderte nur: »Ich kann Ihnen nur sagen, Gott schütze Sie.« Das ist die einzige bemerkenswerte Unterhaltung, die ich an diesem Tage gehabt habe. Ich glaube, ich konnte mich nicht besser von ihm distanzieren als durch eine solche völlig belanglose und neutrale Bemerkung.


DR. DIX: Nun aber...


SCHACHT: Jetzt können wir aber vielleicht zu den einzelnen Herren kommen, dann will ich Ihnen immer mit dieser Ausnahme sagen, wann ich die Herren zuletzt gesprochen habe.


DR. DIX: Himmler?


SCHACHT: Himmler, taxiere ich, daß ich vielleicht mit ihm zuletzt gesprochen habe im Jahre 1936.


[507] DR. DIX: Heß?


SCHACHT: Heß, wobei ich immer jetzt das Gefängnis natürlich ausnehme, ja, also Jahre vor Kriegsbeginn habe ich Heß nicht mehr gesprochen.


DR. DIX: Ley?


SCHACHT: Ley seit Kriegsbeginn auch nicht mehr gesehen.


DR. DIX: Ribbentrop?


SCHACHT: Ribbentrop habe ich zuletzt gesehen nach meinem Herauswurf aus der Reichsbank, weil ich mit ihm über die bevorstehende Indienreise sprechen mußte. Das ist also gewesen im, ich taxiere, Februar 1939, seitdem habe ich ihn nicht wieder gesprochen.


DR. DIX: Rosenberg?


SCHACHT: Rosenberg vielleicht, also abgesehen immer von diesem Empfang Hitlers, nicht seit 1936.


DR. DIX: Frick?


SCHACHT: Frick habe ich vielleicht zuletzt gesehen im Jahre 1938.


DR. DIX: Schirach?


SCHACHT: Schirach habe ich überhaupt gar nicht gekannt.


DR. DIX: Speer?


SCHACHT: Speer habe ich zuletzt gesprochen – das kann ich sogar ganz genau sagen – als ich zur Weltausstellung nach Paris fuhr, also im Jahre 1937.


DR. DIX: Sie meinen natürlich immer vor dieser Gefangennahme hier?


SCHACHT: Ja, selbstverständlich. Hier habe ich die Herren natürlich alle...


DR. DIX: Sauckel?


SCHACHT: Ja, also auch seit Kriegsbeginn nicht mehr.


DR. DIX: Seyß-Inquart?


SCHACHT: Seyß-Inquart, taxiere ich, daß ich ihn im Jahre 1936 zuletzt gesprochen habe, wo ich in Österreich Besuch machte bei meinem Kollegen von der Nationalbank.


DR. DIX: Kaltenbrunner?


SCHACHT: Kaltenbrunner habe ich hier im Gefängnis zum erstenmal in meinem Leben gesehen.


DR. DIX: Nun, auf Hitler werden wir noch zu sprechen kommen. Frank fehlt noch?


SCHACHT: Frank habe ich vielleicht auch im Jahre 1937/1938 zuletzt gesehen.


[508] DR. DIX: Wahrscheinlich bei der Rede, die Sie gestern erwähnt haben?


SCHACHT: Ja, ich habe ihn möglicherweise nachher noch bei einem offiziellen Empfang mal gesprochen, aber ich glaube, nach 1938 nicht mehr.


DR. DIX: Nun, wie stand es denn nun mit den führenden Herren der Wehrmacht, also Keitel?


SCHACHT: Mit Keitel habe ich keinerlei Kontakt gehabt. Ich habe ihn vielleicht mal auf irgendeiner Gesellschaft getroffen, jedenfalls nach 1938 auch nicht mehr.


DR. DIX: Jodl?


SCHACHT: Herrn Jodl habe ich hier im Gefängnis kennengelernt.


DR. DIX: Dönitz?


SCHACHT: Herrn Dönitz habe ich hier im Gefängnis kennengelernt.


DR. DIX: Raeder?


SCHACHT: Mit Herrn Raeder – den kannte ich, glaube ich, schon vorher, nicht wahr – haben wir im Anfang noch gelegentliche Besuche in der Familie ausgetauscht, die auch halboffiziellen Charakter trugen, aber durchaus freundschaftlich waren; aber ich glaube auch, daß ich ihn seit 1938 nicht mehr gesehen und gesprochen habe.


DR. DIX: Brauchitsch?


SCHACHT: Brauchitsch habe ich seit 1939 nicht mehr gesprochen oder seit 1938, seit der Fritsch-Affäre.


DR. DIX: Und Halder?


SCHACHT: Halder habe ich, wie Sie wissen, auch anläßlich des Herbstputsches 1938 gesehen und nachher nicht mehr.


DR. DIX: Wie oft haben Sie Hitler seit Ihrer Entlassung als Reichsbankpräsident gesehen?


SCHACHT: Also nach der Entlassung als Reichsbankpräsident?


DR. DIX: Seit Januar 1939.


SCHACHT: Januar 1939 habe ich ihn noch einmal gesehen, weil ich über meine weitere Tätigkeit und so weiter mit ihm sprechen mußte. Bei dieser Gelegenheit hat er mich gebeten – ich hätte ja früher schon immer den Wunsch gehabt, mal eine größere Reise zu machen –, ich möge doch jetzt diese größere Reise antreten, damit nicht soviel geredet würde über meinen Austritt aus der Reichsbank. Wir verabredeten dann die Indienreise. Bei der Gelegenheit habe ich dann auch Göring zum letztenmal gesehen und [509] dann kam – nach der Rückkehr im August hatte ich ihn nicht mehr gesehen – dann kam der Krieg, und jetzt habe ich ihn während des Krieges zweimal gesehen. Soll ich es erzählen?

Das eine Mal im Februar 1940, ich habe damals von verschiedenen amerikanischen Magazinen und Zeitschriften den Auftrag bekommen, noch einmal mich über die deutsche Auffassung der Lage und über die Wünsche und über die ganze deutsche Situation schriftlich zu äußern. Ich habe an sich die Bereitschaft dazu in mir gefühlt, konnte das aber, weil wir im Kriege waren, natürlich nicht tun, ohne dem Außenminister davon Mitteilung zu machen. Der Außenminister ließ mir sagen, er hätte nichts dagegen, wenn ich einen Aufsatz für eine amerikanische Zeitschrift schriebe, ich möge ihm aber vor Absendung diesen Aufsatz zur Zensur einschicken. Daran habe ich natürlich gar kein Interesse gehabt und gar nicht daran gedacht, und ich habe infolgedessen den Aufsatz nicht geschrieben.

Es kamen dann aber weitere Anfragen von Amerika, und da habe ich mir gesagt, es genügt mir nicht, daß ich mit dem Außenminister spreche; ich muß das mal dem Hitler sagen und habe zu diesem Zweck Hitler aufgesucht, der mich auch auf meine Anfrage sehr bald empfing. Ich habe ihm erstens erzählt, was ich mit Herrn von Ribbentrop erlebt habe und dann gesagt, daß ich zwar solche Artikel für ganz nützlich fände, daß es mir aber wesentlich erschiene, daß man dauernd jemanden drüben in Amerika hätte, der in dem aufklärenden Sinne über die deutschen Interessen in der Öffentlichkeit, also in der Presse und so weiter wirken könne.

Hitler war von diesem Gedanken durchaus beeindruckt und sagte mir: »Ich werde mit dem Außenminister darüber sprechen.« Infolgedessen ist aus dieser Sache nichts geworden.

Ich habe mich später noch einmal durch Vermittlung des Mitangeklagten Funk, der wohl mit Ribbentrop damals eine Unterhaltung irgendwie in diesem Sinne hatte, auch in Verbindung gesetzt und durch Funk versucht, eine Antwort wenigstens vor Ribbentrop zu bekommen. Diese Antwort lautete dahin, an Funk gegeben: Für eine solche Maßnahme sei es noch zu früh. Das war der Besuch 1940. Ich habe dann Hitler im Februar 1941 noch einmal aufgesucht und...


DR. DIX: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, damit hier kein Mißverständnis entsteht: Wenn nun Hitler Ihnen die Erlaubnis gegeben hätte und Sie wären nach Amerika gekommen in welchem Sinne hätten Sie das getan? Sagen Sie es nur ganz kurz. Ich möchte kein Mißverständnis.


SCHACHT: Zunächst hatte ich nicht etwa mich in Vorschlag gebracht, sondern ich hatte den Vorschlag ganz im allgemeinen gemacht; aber selbstverständlich wäre ich sehr gerne hinüber gegangen, weil ich damit gleichzeitig eine Möglichkeit...


[510] VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es nicht für wesentlich zu wissen, was er getan hätte, wenn sich etwas ereignet hätte, was sich nicht ereignet hat.

DR. DIX: Ich wollte ja nur ein Mißverständnis ausschließen. Ich sagte, daß Mißverständnisse... Also lassen wir das.


[Zum Zeugen gewandt:]


Kommen Sie nun zu Ihrem zweiten Besuch.

SCHACHT: Ich bin dann im Jahre 1941 im Februar noch einmal zu Hitler gegangen in einer privaten Angelegenheit. Ich hatte leider im Jahre vorher meine Frau durch den Tod verloren und beabsichtigte wieder zu heiraten und mußte als Minister ohne Portefeuille, der ich immer noch war, selbstverständlich dem Reichskanzler und Staatsoberhaupt davon Mitteilung machen und habe ihn deswegen aufgesucht. Eine politische Unterhaltung hat sich bei dieser Gelegenheit gar nicht ergeben. Als ich zur Türe hinausging, fragte er mich: »Sie hatten mal die Absicht oder Sie hatten mir mal geraten, daß jemand nach Amerika gehen sollte. Dafür ist es wohl jetzt zu spät.« Worauf ich ihm sofort erwidert habe: »Selbstverständlich, dafür ist es jetzt zu spät.« – Das war die einzige politische Bemerkung, das andere bezog sich lediglich auf meine Heirat. Seitdem habe ich Hitler nicht mehr gesehen.

DR. DIX: Und wie steht es mit Göring?

SCHACHT: Göring habe ich auch seit 1939 nicht mehr gesehen.


DR. DIX: Ich komme nun zu einem Punkt, der wiederholt von der Anklage vorgebracht worden ist, nämlich die propagandistische Wirkung Ihrer repräsentativen Teilnahme an Parteitagen. Ich darf Sie erinnern an das, was Justice Jackson schon in seinem Opening Statement ausgeführt hat. Ich übersetze aus dem Englischen, weil ich keinen deutschen Text habe:

»Glaubt jemand, daß Hjalmar Schacht, sitzend in der ersten Reihe des Nazi-Parteitages von 1935 mit dem Abzeichen der Partei, eingeschlossen war in diesen Nazi-Propagandafilm nur zum Zwecke künstlerischer Wirkung? Indem dieser große Denker nur seinen Namen diesem fadenscheinigen Unternehmen verlieh, gab er ihm eine Respektabilität in den Augen jedes zögernden Deutschen.«

Wollen Sie sich bitte dazu äußern?

SCHACHT: Zunächst ein paar kleine Richtigstellungen. Im Jahre 1935 besaß ich gar kein Parteiabzeichen. Zweitens: zögernde Deutsche waren im Jahre 1935 nicht mehr von Bedeutung, denn die Herrschaft Hitlers war im Jahre 1935 völlig etabliert. Es konnte nur noch abfallende Deutsche, das heißt von Hitler abfallende Deutsche, geben, aber keine mehr, die zu ihm kamen. Im übrigen [511] muß ich es wohl als ein Kompliment auffassen, daß ich hier als repräsentative Größe und als Denker und so weiter hingestellt werde; ich glaube aber, daß ich die Gründe, warum ich im Hitler-Kabinett gearbeitet habe, hier genügend auseinandergesetzt habe, so daß ich darauf nicht mehr einzugehen brauche.

Daß ich insbesondere in den ersten Jahren von den Parteitagen nicht gut wegbleiben konnte, ist, glaube ich, erklärlich, denn sie waren der Mittelpunkt, der ostentative und repräsentative Mittelpunkt Hitlers nach außenhin, und es haben an ihm ja nicht nur seine Minister teilgenommen, sondern unzählige sonstige repräsentative Gäste.

Darf ich eben einen Satz sagen?

Von den späteren Parteitagen habe ich mich schon ferngehalten, beispielsweise von dem Parteitag, den der Hauptanklagevertreter erwähnt hat; 1935, den habe ich gar nicht mitgemacht. Das war nämlich der Parteitag – deshalb weiß ich es zufällig –, an dem die Nürnberger Judengesetze beschlossen wurden, und da war ich gar nicht in Nürnberg. Ich habe den Parteitag 1933 mitgemacht 1934 mitgemacht, und ich weiß nicht genau, ob ich 1936 oder 1937 mitgemacht habe; ich glaube, ich habe 1936 noch mitgemacht; bei der späteren Parteitagen habe ich schon absolut gefehlt; und bei dem letzten Parteitagsbesuch, den ich eben erwähnt habe, bin ich nur zu dem »Tag der Wehrmacht« gegangen.

DR. DIX: Waren an diesen Parteitagen die prominenten Ausländer... haben Sie schon erwähnt. War das Diplomatische Korps in der Person ihrer Missionschefs vertreten?


SCHACHT: Ich glaube, daß mit Ausnahme des Sowjet-Botschafters und des Amerikanischen Botschafters im Laufe der Jahre sämtliche anderen führenden Diplomaten den Parteitag besucht haben, und zwar in großer Zahl, in großer Aufmachung und in der ersten Reihe des Parteitages.


DR. DIX: Wie erklärte man sich das? An sich nimmt das Diplomatische Korps ja nur an Repräsentationen des Staates, an staatlichen Repräsentationen teil. Hier handelt es sich ja um eine reine Partei Veranstaltung. Wie erklärte man sich diese Teilnahme?


JUSTICE JACKSON: Hohes Gericht! Ich kann hier ruhig Einspruch erheben, weil mir das keine Verlegenheit bereitet, wenn überhaupt so etwas wie Verlegenheit aufkommen könnte. Doch hat es nicht den geringsten Beweiswert, wenn dieser Zeuge das Verhalten von Gesandten anderer Länder und seine Ansicht darüber wiedergibt. Mir scheint, es hat gar keinen Beweiswert, warum sie einem Parteitag beiwohnten, für den er seinen Namen hergab. Ich beanstande nicht die Tatsache, daß sie dort waren, aber ich glaube, [512] wenn er nur darum herumredet, ohne irgendeine Tatsache vor zubringen... Ich möchte klar herausstellen, daß ich keinen Einwand gegen irgendeine Tatsache, von der der Zeuge weiß, erheben möchte; ich habe auch gegen die meisten seiner Ansichten, die er uns so langatmig vortrug, keinen Einspruch erhoben. Ich glaube aber, daß seine Stellungnahme zu den Handlungen auswärtiger Vertreter über die Grenze erheblicher und wesentlicher Beweise geht.


SCHACHT: Darf ich eine Bemerkung dazu machen?


VORSITZENDER: Ich glaube, es wäre besser, wenn Sie fortfahren. Dr. Dix.


DR. DIX: Ja, natürlich. Ich würde doch bitten, mir zu erlauben, kurz Justice Jackson zu antworten, und zwar nicht aus Eigensinn, sondern aus dem Grunde, weil ich glaube, daß, wenn ich jetzt schon antworte, spätere Diskussionen und damit Zeitversäumnis vermieden wird. Ich habe ja den Zeugen nicht nach seiner Meinung gefragt. Selbstverständlich hat Justice Jackson recht, daß er hier nicht berufen ist, Meinungen über die Gepflogenheiten des Diplomatischen Korps abzugeben, sondern ich habe ihn nach einer Tatsache gefragt, wie man sich damals diese Teilnahme, die ja auffällt, erklärte. Und ich halte diese aus dem Grunde erheblich, weil – und das wird im Laufe meiner Befragungen des öfteren wiederkehren, deshalb sage ich es schon jetzt – in dem ganzen Oppositionskampf, den er und seine Gesinnungsgenossen geführt haben, von großer Bedeutung ist, von wem sie Unterstützung geistiger, moralischer oder sonstiger Art empfangen haben und von wem nicht. Und da spielt natürlich die äußere Haltung der offiziellen Vertreter des Auslandes in der ganzen Zeit eine erhebliche Rolle für die Aktionsfähigkeit dieser Oppositionsgruppe. Man kann eine solche Oppositionsgruppe stützen, man kann ihr neutral gegenüberstehen, man kann sie auch bekämpfen vom Ausland her. Nur aus diesem Grunde habe ich die Frage gestellt und halte mich für verpflichtet, auf diesen Gesichtspunkt auch in Zukunft einzugehen.


VORSITZENDER: Dr. Dix! Ich glaube nicht, daß Herr Justice Jackson Einspruch gegen die Tatsache erhob, daß die diplomatischen Vertreter dort waren, sondern gegen eine Stellungnahme zu den Gründen ihrer Anwesenheit. Wenn Sie nur die Tatsache beweisen wollen, daß sie dort waren, dann glaube ich nicht, daß Herr Justice Jackson dagegen Einspruch erhoben hatte. Was der Angeklagte weiter sagte, war seine Meinung, warum die diplomatischen Vertreter dort waren.


DR. DIX: Ich glaube, ich brauche nicht mehr zu antworten. Er hat ja schon erklärt, daß er es nicht erklären wolle, aber wenn Euer Lordschaft es mir gestattet, fahre ich fort.


[513] [Zum Zeugen gewandt:]


Sie sind ja in jener Zeit vorher und auch später sicherlich viel beruflich und privat mit prominenten Ausländern zusammengekommen. Welche Stellung nahmen denn diese in dieser Periode der Machtbefestigung der Nationalsozialisten und zu dieser Entwicklung ein? Und wie wirkte diese Stellungnahme auf Ihre eigene Stellungnahme, Haltung und Tätigkeit?

JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Es tut mir sehr leid, ständig mit Einsprüchen zu unterbrechen. Aber ich kann nicht einsehen, wie es diesen Angeklagten entlasten oder ihm helfen sollte, daß ausländische Vertreter von einem Regime getäuscht worden sein mögen, das er mit seinem Namen und Prestige deckte. Ich bin willens zuzugeben, daß es Ausländer gab wie Dahlerus, die von dem System getäuscht wurden, von dem er ein prominenter und einigermaßen angesehener Teil war. Aber es scheint mir, daß, wenn wir uns mit der Haltung von Ausländern einlassen, die hier nicht angeklagt sind, wir endlosen Fragen entgegengehen. Ich kann keine Erheblichkeit in dieser Art von Aussagen sehen.

Die Frage ist hier, wie ich schon wiederholt Dr. Dix zu erklären versucht habe, folgende: Die einzige Anklage gegen diesen Angeklagten besteht darin, daß er an der Verschwörung teilgenommen hat, diese Nation in den Krieg zu führen und in Verbindung damit Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen.

Wie die Haltung von Ausländern ihn entlastet oder dem Gerichtshof helfen könnte, diese Frage zu entscheiden, kann ich nicht ersehen. Wenn dem so ist, so erhebe ich natürlich keinen Einwand, aber ich kann deren Bedeutung in diesem Verfahrensabschnitt nicht einsehen.


DR. DIX: Ich glaube doch, daß Justice Jackson...


VORSITZENDER: Einen Moment. Dr. Dix, was war genau die Frage, die Sie im Augenblick stellten? Worauf bezog sie sich?


DR. DIX: Ich habe ihn gefragt, welche Stellung prominente Ausländer, mit denen er in jener Zeit beruflich und außerberuflich zusammenkam, in dieser Periode der Machtbefestigung des Regimes diesem gegenüber einnahmen; ob sie ihm ablehnend gegenüberstanden, ob sie ihm sympathisch gegenüberstanden, kurz, wie diese Ausländer auf ihn und sein Denken einwirkten. Darf ich noch etwas...


VORSITZENDER: Ich glaube, Sie wissen, Dr. Dix, einen Zeugen zu fragen; was die Haltung anderer Leute sei, ist eine viel zu allgemein gehaltene Frage. »Haltung« – was bedeutet dieses Wort? Es ist viel zu allgemein, und ich verstehe nicht genau, was Sie zu beweisen versuchen.


[514] DR. DIX: Ich will die Frage dahin präzisieren: Wie sind Sie, Dr. Schacht, durch die Ausländer, mit denen Sie in jener Zeit Gedankenaustausch hatten, hinsichtlich Ihrer Einstellung beeinflußt worden, in Ihrer Haltung und in Ihrem Verhalten beeinflußt worden?

Das ist eine innere Tatsache in dem Innern von Dr. Schacht, über die allein Dr. Schacht Bekundungen machen kann. Euer Lordschaft, ich will ganz offen das Beweisthema, was der Verteidigung sehr erheblich erscheint und dem diese Frage dienen soll, nennen. Ich will nicht zurückhalten.

Ich, die Verteidigung, behaupte, daß diese Oppositionsgruppe, von der schon Gisevius sprach und deren prominentes Mitglied der Angeklagte Schacht war, vom Ausland her nicht nur keine Unterstützung erfahren hat, sondern daß ihr ihr Oppositionskampf erschwert worden ist. Das ist keine Kritik an ausländischen Regierungen.

Es besteht kein Zweifel, daß diejenigen, die diese Regierungen der Länder vertraten, diese Haltung in bestem Wissen und absolut pflichtbewußt im Dienst ihrer Länder einnahmen. Aber für die Haltung dieser Leute, dieser Oppositionsgruppe, war es von entscheidender Bedeutung, wie sich das Ausland zu diesem Regime stellte, ob sie es ehrte oder es durch gesellschaftliche repräsentative Bevorzugung stützten, oder ob es durch eine starke Zurückhaltung im Rahmen der Möglichkeit seine Ablehnung zum Ausdruck brachte und dadurch diese Oppositionsgruppe stärkte. Das ist das Beweisthema, und das ist für mich, für die Verteidigung, ein tragendes Beweisthema. Ich habe es ganz offen genannt, und ich sage, ich werde im Rahmen des Zulässigen um die Durchsetzung dieses Beweisthemas kämpfen.


VORSITZENDER: Dr. Dix! Der Gerichtshof hat das Argument geprüft, das Sie ihm vorgetragen haben und ist der Ansicht, daß die Untersuchung dieser Tatsachen eine Zeitvergeudung darstellt und unerheblich ist. Er bittet Sie daher, das weitere Verhör mit dem Angeklagten fortzusetzen.


DR. DIX: Dr. Schacht! Sie haben die Aufrüstung durch Reichsbankfinanzen unterstützt. Warum taten Sie das?


SCHACHT: Ich habe die Erlangung der internationalen politischen Gleichberechtigung Deutschlands für eine absolute Notwendigkeit gehalten und bin auch heute noch der Meinung. Dazu war es nötig, daß entweder die von den alliierten Mächten versprochene allgemeine Abrüstung eintrat oder aber, wenn die Gleichberechtigung erreicht werden sollte, mußte Deutschland in entsprechendem Umfange aufrüsten.


[515] DR. DIX: Wurde diese Finanzhilfe der Reichsbank durch Sie allein oder durch das Reichsbankdirektorium bestimmt?


SCHACHT: In der Reichsbank hat niemals das Führerprinzip geherrscht. Ich habe die Einführung des Führerprinzips in das Reichsbankdirektorium abgelehnt. Die Reichsbank wurde geleitet von einem Kollegium, in dem alle Mitglieder gleiches Stimmrecht hatten. Im Falle einer Stimmengleichheit gab die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag. Mehr Rechte hat der Vorsitzende in diesem Gremium nicht gehabt.


DR. DIX: Nun ist ja das Affidavit von dem früheren Reichsbankdirektor Puhl bekannt. Hatte – und ich frage mit Rücksicht auf den Inhalt dieses dem Tribunal bekannten Affidavits – Puhl im gleichen Sinne bei dieser Finanzhilfe der Reichsbank bei der Aufrüstung mitgewirkt?


SCHACHT: Herr Puhl hat an allen Beschlüssen, die das Reichsbankdirektorium in dieser Frage gefaßt hat, teilgenommen und nicht ein einziges Mal widersprochen.

DR. DIX: Es ist Ihnen bekannt, daß die Methode dieser Finanzhilfe der Reichsbank in der Diskontierung der sogenannten Mefo-Wechsel bestand. Es ist ja von der Anklage hierüber eingehend gesprochen worden, und in dem obengenannten Puhlschen Affidavit steht, daß diese Methode es ermöglicht hätte, den Umfang der Rüstung geheimzuhalten. Ist das richtig?


SCHACHT: Von einer Geheimhaltung der Rüstung kann überhaupt gar keine Rede sein. Ich verweise auf einige Auszüge aus Dokumenten, die die Anklage hier selber vorgebracht und als Beweisstück eingeliefert hat.

Ich zitiere zunächst aus dem Affidavit von George Messersmith vom 30. August 1945, 2385-PS. Dort heißt es auf Seite 3, Zeile 19:

»Sofort nach ihrer Machtübernahme begannen die Nazis ein ungeheures Rüstungsprogramm« – und auf Seite 8 heißt es – »Das ungeheure deutsche Aufrüstungsprogramm, welches niemals ein Geheimnis war,...«

Also Herr George Messersmith, der ja damals in Berlin war, wußte jedenfalls um diese Dinge und wird wohl dementsprechend auch seine Kollegen informiert haben.

Ich zitiere ferner aus dem Beweisstück EC-461. Es ist das Diary des Ambassadors Dodd, wo es heißt unter dem 19. September 1934 – ich zitiere in englisch, weil ich nur den englischen Text da habe:

»When Schacht declared, that the Germans are not arming so intensively, I said: Last January and February, Germany bought from American aircraft people one million dollars worth of high-class war flying machinery and paid in gold.«

[516] (»Als Schacht erklärte, daß die Deutschen gar nicht so intensiv aufrüsteten, sagte ich: ›Im letzten Januar und Februar kaufte Deutschland für eine Million Dollar hochwertige Kriegsflugzeuge von amerikanischen Flugzeugfabrikanten und zahlte in Gold.‹«)

Das ist eine Unterhaltung, die Dodd wiedergibt zwischen mir und ihm aus dem September 1934, wo er darauf hinweist, daß wir bereits im Januar und Februar 1934 Kriegsflugzeuge...


[Es tritt eine Störung in der Lichtleitung ein.]


VORSITZENDER: Der Gerichtshof vertagt sich.


[Pause von 10 Minuten.]


VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Der Gerichtshof wünscht zu wissen, wie lange Sie Ihr Verhör des Angeklagten noch fortzusetzen gedenken. Sie haben schon beinahe einen ganzen Tag gebraucht, und der Gerichtshof ist der Ansicht, daß mit Rücksicht auf die Vorschriften des Statuts das Verhör des Angeklagten sicherlich innerhalb eines Tages zu beendigen ist.

DR. DIX: Euer Lordschaft! Ich tue zweierlei nicht gerne: prophezeien, was dann nicht eintrifft, oder etwas versprechen, was ich nicht halten kann. Auf die Frage darf ich antworten, ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß ich heute fertig werde. Ich bin mir der Vorschrift des Statuts vollkommen bewußt: auf der anderen Seite bitte ich zu bedenken, daß die Anklage gegen Schacht von der Anklagebehörde durch viele Beweismittel, direkte und indirekte beweiserhebliche Tatsachen, zu beweisen versucht worden ist und daß es meine Pflicht ist, zu diesen einzelnen Beweismitteln der Anklage Stellung zu nehmen.

Ich bitte, an meine Fragen einen strengen Maßstab zu legen, und wenn das Gericht der Auffassung ist, daß es unerheblich ist, habe ich mich eben zu fügen. Ich glaube aber, daß ich nicht nur das Recht, sondern die Pflicht habe, alle Fragen zu stellen, die für die Widerlegung der Beweisführung der Anklage erheblich sind. Also bestimmt werde ich heute nicht fertig. Ich wäre dankbar, wenn ich nicht prophezeien müßte; es kann schneller gehen, vielleicht morgen im Laufe des Tages, es kann aber auch noch den ganzen Tag dauern. Ich kann es nicht genau voraussagen. Ich werde jedenfalls mich bemühen, nur erhebliche Fragen zu stellen Wenn das Gericht der Auffassung ist, daß es neben der Sache ist, bitte ich mir dies zu sagen, wenn ich meine Auffassung begründet habe.


VORSITZENDER: Dann halte ich es für besser, daß sie sogleich fortsetzen, Herr Dr. Dix. Wenn wir glauben, daß Ihre Fragen zu lang oder unerheblich sind, werden wir es Ihnen sagen.


[517] DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Nun, Herr Dr. Schacht. Wir hielten bei den Mefo-Wechseln, als ein geeignetes Mittel, die Aufrüstung geheimzuhalten. Haben Sie zu dieser Frage noch etwas hinzuzufügen?


SCHACHT: Ja, eine Geheimhaltung war natürlich mit den Mefo-Wechseln an sich hinsichtlich der Tatsache der Rüstung gar nicht verbunden, denn die Mefo-Wechsel gingen ja an jeden Lieferanten, der damit bezahlt wurde, und das waren natürlich Hunderte und Tausende von kleinen und großen Lieferanten im ganzen Lande.

Außerdem liefen diese Mefo-Wechsel, bevor sie zur Reichsbank gebracht werden durften, mindestens drei Monate im Publikum um, und die Lieferanten, die Geld brauchten, benutzten diese Mefo-Wechsel dazu, um sie bei den Banken diskontieren beziehungsweise bevorschussen zu lassen. Also auch sämtliche Banken waren in dieses System eingeweiht.

Ich möchte aber ferner sagen, daß die sämtlichen Mefo-Wechsel, die die Reichsbank aufnahm, im Wechselbestand der Reichsbank jeweils ausgewiesen wurden. Ferner möchte ich sagen, daß die Geheimhaltung der Staatsausgaben – und die Rüstungsausgaben waren ja Staatsausgaben – nicht eine Angelegenheit des Reichsbankpräsidenten war, sondern eine Angelegenheit des Reichsfinanzministers. Wenn der Reichsfinanzminister die Garantien, die er für die Mefo-Wechsel übernommen hatte, nicht veröffentlichte, so war das seine Sache und nicht meine Sache. Ich bin dafür nicht verantwortlich, sondern dafür verantwortlich war der Reichsfinanzminister.


DR. DIX: Bei der nächsten Frage, Euer Lordschaft, könnte man zweifeln, ob die Frage erheblich ist. Persönlich halte ich sie für die Entscheidung dieses Prozesses für nicht erheblich. Sie ist aber von der Anklage erörtert worden, und aus diesem Grunde allein halte ich mich für verpflichtet, Dr. Schacht Gelegenheit zur Rechtfertigung und Antwort zu geben.

Die Anklage hat nämlich den Standpunkt vertreten, daß diese Finanzierung durch die sogenannten Mefo-Wechsel vom Standpunkte einer soliden Finanzgebarung aus sehr bedenklich gewesen ist. Kann man den Standpunkt vertreten, daß das gewesen sein mag oder nicht, für diese Entscheidung...


VORSITZENDER: [unterbrechend] Stellen Sie die Frage, Dr. Dix, fragen Sie.


DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Sie haben ja gehört, worauf ich hinaus will.


SCHACHT: Es ist selbstverständlich, daß für eine normale Zeit und eine normale Wirtschaftskonjunktur zu solchen Mitteln, wie [518] es die Mefo-Wechsel gewesen sind, nicht gegriffen wird. Wenn man sich aber in einer Notlage befindet, so ist es immer üblich gewesen und immer eine von allen Wissenschaftlern empfohlene Politik, daß die Notenbank für billiges Geld sorgt und für Kredit sorgt, damit die Wirtschaft dementsprechend daraus Beschäftigung erhalten kann.

Selbstverständlich waren die Mefo-Wechsel eine durchaus riskante Operation, aber mit einer vernünftigen Finanzgebarung verbunden waren sie absolut nicht riskant; ich führe zum Beweise dessen an, daß, wenn Herr Hitler nach dem Jahre 1937 die anfallenden Gelder, wie es vorgesehen war, zur Rückzahlung der Mefo-Wechsel benutzt hätte – die Gelder waren vorhanden –, dann wäre dieses System genau so glatt abgewickelt worden, wie es von mir angekurbelt worden ist. Aber Herr Hitler zog es vor, die Rückzahlung der Mefo-Wechsel einfach zu verweigern und statt dessen dieses Geld in weiteren Rüstungen anzulegen. Das konnte ich nicht voraussehen, daß jemand sein Wort auch in dieser Sache, in einer rein geschäftlichen Sache, so brechen würde.


DR. DIX: Wenn aber das Reich die Wechsel eingelöst, also bezahlt hätte, so hätten wohl die Mittel teilweise für weitere Aufrüstung gefehlt und hätte die Einlösung der Mefo-Wechsel rüstungsbeschränkend gewirkt. Das ist doch ein richtiger Schluß?


SCHACHT: Das war ja der Zweck meiner späteren Kündigung der Sache. Ich habe gesagt, wenn die Mefo-Wechsel nicht zurückbezahlt werden, dann ist hier ein böser Wille vorhanden, dann wird hier weiter aufgerüstet, und das darf nicht sein.


DR. DIX: Sie haben sich vorhin bereits über die Frage der Geheimhaltung der Rüstung in anderem Zusammenhang am Rande geäußert. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?


SCHACHT: Ich glaube, daß es ganz allgemein erfaßt werden muß, daß Staatsausgaben nicht in das Gebiet des Reichsbankpräsidenten fallen, daß Staatsausgaben und -einnahmen unter der Kontrolle des Reichsfinanzministers stehen und dementsprechend auch seiner Publikationspflicht oder Verantwortung. Die Reichsbank hat jeden Wechsel, den sie in ihrem Bestande hatte, in ihrem Bestande allwöchentlich ausgewiesen.


DR. DIX: Das war das, was Sie zusätzlich zu der grundsätzlichen Frage der angeblichen Geheimhaltung der Rüstung noch zu bemerken haben?


SCHACHT: Jawohl.


DR. DIX: Ebenso haben Sie am Rande schon auseinandergesetzt, warum Sie grundsätzlich für eine Aufrüstung waren. Haben Sie dem noch etwas hinzuzufügen?


[519] SCHACHT: Ja. Darüber sind natürlich einige sehr wichtige Bemerkungen zu machen, und da diese Frage ja den Hauptvorwurf gegen mich bildet, so darf ich hierauf vielleicht noch etwas eingehen.

Ich habe ein ungerüstetes Deutschland in der Mitte Europas umgeben von lauter militärisch aufgerüsteten Staaten für eine Friedensgefahr gehalten, und ich bemerke, daß nicht nur diese Staaten aufgerüstet waren, sondern daß diese Staaten zu einem großen Teil weiter und neu aufrüsteten. Das Neuaufrüsten bezieht sich insbesondere auf die beiden Staaten Tschechoslowakei und Polen, die ja vorher nicht bestanden, und das weitere Aufrüsten bezieht sich insbesondere beispielsweise auch auf die englische Seekriegsaufrüstung, die in das Jahr 1935 fällt und so weiter.

Ich bin selbst ferner – ich möchte das noch einmal ganz kurz erwähnen – der Ansicht gewesen, daß ein Land, welches keine Rüstung besitzt, sich nicht verteidigen kann und daß es infolgedessen im internationalen Rat keine Bedeutung hat. Der englische Premierminister Baldwin hat einmal im Jahre 1935 gesagt:

»Ein Land, das nicht gewillt ist, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu seiner eigenen Verteidigung zu ergreifen, wird niemals Macht in dieser Welt haben, weder moralische noch materielle Macht.«

Ich habe die Ungleichheit zwischen den umgebenden Mächten um Deutschland und Deutschland als eine ständige moralische und materielle Gefahr für Deutschland empfunden.

Ich verweise ferner darauf, daß Deutschland sich – das soll gar keine Kritik, sondern lediglich eine Feststellung sein – nach dem Versailler Vertrag in einem Zustand äußerster Verwirrung befand. Die Verhältnisse in Europa waren so, daß beispielsweise für Rußland der latente Konflikt, der latente Gegensatz bestand mit Finnland, mit Polen, welche zu einem Großteil russisches Gebiet ja bei sich hatten, mit Rumänien, welches Bessarabien besaß; daß für Rumänien der Konflikt bestand über die Dobrudscha mit Bulgarien, über Siebenbürgen mit Ungarn; daß der Konflikt bestand für Serbien mit Ungarn, für Ungarn mit fast allen Nachbarländern, der Konflikt zwischen Bulgarien und Griechenland; kurz der ganze Osten Europas befand sich in einem einzigen Stadium gegenseitiger Beargwöhnung und Interessenkonflikte.

Dazu kam, daß in einer Reihe von Ländern interne Konflikte schwerster Art bestanden. Ich erinnere an den Konflikt zwischen Tschechen und Slowaken. Ich erinnere an die Bürgerkriegsverhältnisse in Spanien. Alles das wird verständlich machen, daß ich es für absolut notwendig hielt im Falle eines Ausbruches irgendeines kriegerischen Konfliktes in diesem Hexenkessel, daß es in einem solchen Falle für Deutschland absolut notwendig sein müßte, zum mindesten seine neutrale Haltung zu schützen. Das konnte unmöglich[520] mit dem kleinen Hunderttausend-Mann-Heer geschehen, sondern dazu mußte eine vernünftige Armee geschaffen werden.

Es ist mir zufällig hier im Gefängnis eine Nummer der »Daliy Mail« aus dem April 1937 in die Hände gefallen, wo die Zustände in Europa geschildert werden; ich bitte um die Erlaubnis – es handelt sich um einen einzigen Satz –, daß ich den hier zitiere. Ich muß ihn englisch zitieren. Er gibt nicht etwa die Ansicht der »Daily Mail« wieder, sondern schildert lediglich die Zustände in Europa. I quote: (Ich zitiere):

»All observers are agreed that there is continual peril of an explosion and that the crazy frontiers of the peace treaties cannot be indefinitely maintained. Here, too, rigorous non-interference should be the King of the British chariot. What vital interests have we in Austria or in Czechoslovakia, or in Roumania, or in Lithuania or Poland?«

»(Alle Beobachter stimmen überein, daß eine ständige Explosionsgefahr besteht und daß die verrückten Grenzen der Friedensverträge nicht auf ewig aufrechterhalten werden können. Auch hier sollte strenge Nichteinmischung für die Leitung des britischen Staatswagens maßgebend sein. Was für lebenswichtige Interessen hätten wir denn in Österreich oder in der Tschechoslowakei, oder in Rumänien, oder in Litauen oder Polen?)«

Es schildert dies lediglich das ganze Gebrodel, das damals in Europa herrschte; und in diesem überhitzten und stets vor Explosionsgefahr zitternden Kessel lag das unbewehrte Deutschland. Ich habe das für eine ganz schwere Gefahr für mein Land gehalten.

Jetzt wird man mich fragen, ob ich Deutschland denn irgendwie für bedroht gehalten hätte. Nein, meine Herren Richter, ich habe Deutschland nicht für unmittelbar von einem Angriff bedroht gehalten. Ich war auch nicht der Ansicht, daß etwa Rußland einen Angriff auf Deutschland machen würde. Aber wir hatten beispielsweise den Ruhreinbruch erlebt vom Jahre 1923, und diese ganze Vergangenheit und die gegenwärtige Lage machte es für mich zu einer absoluten Forderung, die Gleichberechtigung Deutschlands zu fordern und, wenn sie in Angriff genommen wurde, zu unterstützen.

Wir werden ja auf die Gründe, wie ich annehme, für die Durchführung der Rüstung noch kommen, wie sich das Ausland uns gegenüber verhalten hat, und so weiter.

DR. DIX: Was wußten Sie damals über die Bemühung Deutschlands, die Abrüstung der anderen Mächte herbeizuführen? War dieser Gesichtspunkt mit für Ihre Entschließungen maßgebend?

[521] SCHACHT: Ich darf hier folgendes sagen: Ich war nicht grundsätzlich für Aufrüstung. Ich war grundsätzlich für die deutsche Gleichberechtigung. Diese deutsche Gleichberechtigung konnte herbeigeführt werden entweder durch die Abrüstung der anderen oder durch unsere Aufrüstung. Bevorzugt hätte ich und wünschte ich damals die Abrüstung der anderen, die uns ja auch versprochen worden war. Und ich habe infolgedessen mich zunächst auf das eifrigste und noch in den späteren Jahren immer wieder bemüht, die Aufrüstung zu vermeiden, wenn es gelänge, die Abrüstung herbeizuführen.

Diese Abrüstung der anderen erfolgte nicht, obwohl die Abrüstungskommission des Völkerbundes wiederholt festgestellt hatte, daß Deutschland seiner Verpflichtung zur Abrüstung nachgekommen war.

Es ist für uns alle, die wir damals in der sogenannten Nationalregierung saßen und für alle Deutschen, die an dem politischen Leben teilnahmen, eine große Beruhigung gewesen, daß Hitler in den ersten Jahren immer wieder auf Abrüstung gedrängt hat und die Abrüstung angeboten hat. Nun kann man nachträglich natürlich sagen, auch das sei von Hitler nur ein Vorwand und eine Lüge gewesen. Aber dieser Vorwand und diese Lüge wären ja sehr schnell geplatzt, wenn das Ausland auch nur im leisesten Miene gemacht hätte, auf diese Angebote einzugehen.

Ich erinnere mich sehr wohl, weil ich bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen des Besuches dabei war, als der Außenminister Eden von Großbritannien anfangs 1934 in Deutschland war, wo man in den Unterhaltungen mit ihm ganz konkrete Vorschläge für die Verpflichtung Deutschlands in allen Abrüstungsfragen machte für den Fall, daß die Abrüstung der anderen eingeleitet werden und durchgeführt werden sollte. Es wurde Eden zugesagt, daß alle sogenannten halb-militärischen Verbände, SA, SS, Hitler-Jugend und so weiter alle ihres militärischen Charakters entkleidet werden sollten, wenn es nur gelänge, die allgemeine Abrüstung damit zu fördern.

Ich könnte jetzt hier eine Reihe von Zitaten über diese Abrüstungsangebote vorlegen, aber bei dem Wunsche des Herrn Präsidenten, die Verhandlung nicht aufzuhalten, kann ich auch darauf verzichten. Es sind alles bekannte Äußerungen von Staatsmännern und Ministern und Botschaftern und dergleichen, die alle in derselben Weise gesprochen haben, daß es unbedingt nötig sei, das Versprechen, welches die Alliierten gegeben hätten, einzulösen, nämlich die Abrüstung durchzuführen.


DR. DIX: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Wir machen das schneller und einfacher, wenn ich das Gericht bitte – ohne daß ich es verlese –, amtlich Kenntnis zu nehmen von meinem [522] genehmigten Exhibit Nummer 12, Seite 31 der englischen Ausgabe meines Dokumentenbuches. Das sind diesbezügliche Bemerkungen, Ansprachen von Lord Cecil und anderen, vom belgischen Außenminister und so fort. Wir brauchen sie nicht zu verlesen, es könnte überreicht werden. Ich höre, es ist schon überreicht. Wir können darauf Bezug nehmen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Entschuldigen Sie bitte, fahren Sie fort.

SCHACHT: Ja, dann bin auch ich mit meinen Ausführungen zu Ende. Hitler hat noch ferner Angebote gemacht; das Ausland ist auf kein einziges dieser Angebote eingegangen, und infolgedessen blieb leider nur die andere Alternative, die Aufrüstung. Ich habe diese Aufrüstung, die Hitler vornahm, mitfinanziert und verantworte alles, was ich in dieser Beziehung getan habe.

DR. DIX: Verstehe ich Sie richtig, kann man aus diesen Worten schließen, daß Sie neben anderen Gründen bei Ihrer Hilfe für die Aufrüstung auch die taktische Erwägung hatten, daß eine zur Diskussionsstellung der deutschen Aufrüstung die Abrüstungsdebatte unter den Regierungen wieder in Fluß bringen würde, die damals ja, sagen wir mal, eingeschlafen war.

SCHACHT: Wenn ich es kurz an einem Beispiel zeigen darf:

Zwei Parteien haben einen Kontrakt miteinander; die eine Partei hält diesen Kontrakt nicht, und die andere Partei hat keine Möglichkeit, die kontraktbrüchige Partei zur Einhaltung des Vertrages zu zwingen. So bleibt der anderen Partei gar nichts anderes übrig, als auch ihrerseits den Vertrag nicht innezuhalten. Das hat Deutschland getan, das habe ich unterstützt, und ich muß nun allerdings sagen, daß ich hierauf eine Reaktion erwartet hatte, die in einem solchen Fall immer von den anderen Vertragspartnern erwartet werden muß, daß er nämlich sagt: Ja, wenn du auch den Vertrag nicht einhältst, dann müssen wir uns jetzt mal wieder über diesen Vertrag unterhalten.

Und ich muß sagen, es war für mich – ja, ich kann das Wort ganz ruhig gebrauchen – geradezu eine Enttäuschung, daß auf die Aufrüstung Deutschlands von der anderen Seite her, von alliierter Seite her, überhaupt nichts erfolgte. Man nahm diesen sogenannten Vertragsbruch Deutschlands gegen den Versailler Vertrag ruhig hin, begnügte sich mit einer Protestnote, hat aber sonst nicht das leiseste getan, um die Abrüstungsfrage, auf die es mir ankam, wieder in Gang zu bringen; sondern man ließ Deutschland nicht nur ruhig aufrüsten, man gab ihm sogar durch das Flottenabkommen mit Großbritannien das Recht, im Gegensatz zum Versailler Vertrag aufzurüsten. Man schickte Militärmissionen nach Deutschland, um sich[523] diese Aufrüstung anzusehen, man besuchte die deutschen militärischen Veranstaltungen, und alles geschah, aber nur nichts, um die Aufrüstung Deutschlands zu hindern.


JUSTICE JACKSON: Hoher Gerichtshof! Ich kann den Zweck aller dieser Einzelheiten nicht recht verstehen. Wir machten das Zugeständnis, daß die Wiederaufrüstung, soweit sie nicht mit Angriffsabsichten verbunden war, unwichtig ist. Wie ich am Anfang sagte, haben die Vereinigten Staaten nicht die Absicht, hier als Richter über Fragen der europäischen Politik zu sitzen, noch sind diese dem Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Zur Frage steht hier bloß die Anklage, die eine Rüstung zu Angriffszwecken vorwirft. Ich will den Angeklagten nicht daran hindern, Tatsachen, die mit seinen Angriffsabsichten zu tun haben, vorzubringen. Aber die Einzelheiten der Verhandlungen europäischer Politiker und der Anklagen und Gegenanklagen zwischen Regierungen liegen meiner Ansicht nach gänzlich außerhalb jeder Untersuchung, die wir vornehmen können. Die Einzelheiten dieser Angelegenheit sind meiner Ansicht nach der Lösung des Problems nicht förderlich, und ich glaube, daß der Gerichtshof das schon im Falle Göring abgelehnt hat, wenn ich nicht irre.


VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Das alles scheint eine Streitfrage zu sein, und Streitfragen sind wirklich kein Beweisgegenstand.


DR. DIX: Ich glaube nicht, Euer Lordschaft. Es ist ganz richtig, was Herr Justice Jackson sagt. Schacht ist angeklagt, bei der Herbeiführung eines Angriffskrieges geholfen zu haben, aber diese Hilfe soll bestanden haben in der von ihm geleisteten Finanzierung.


VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Dr. Dix, und versuchen Sie es so kurz wie möglich zu machen.


DR. DIX: [zum Zeugen gewandt] Sie waren ja wohl auch am Ende dieser Frage.

Ich darf zu diesem Punkt erwähnen, daß einer der Beweggründe Dr. Schachts bei der Aufrüstung die Hoffnung war, die Abrüstungsdebatte wieder in Gang zu bringen. Zu diesem Beweisthema darf ich zusätzlich auf Exhibit Nummer 36, Seite 141 des deutscher Textes und Seite 149 des englischen Textes hinweisen. Es ist eine eidesstattliche Versicherung des Schwiegersohnes von Dr. Schacht des Herrn Dr. von Scherpenberg. Auf Seite 2 dieser eidesstattlicher Erklärung darf ich nur diesen einen kleinen Absatz verlesen. Ich kann mich sogar auf einen Satz beschränken.

»Er« – nämlich Schacht – »halte eine Aufrüstung in gewissen Grenzen für das einzige Mittel, das gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen und die anderen europäischen Mächte zu einer Teilnahme an einer Rüstungsbeschränkung, der sie sich im Versailler Vertrag entzogen hätten, zu veranlassen.«

[524] Also eine Begründung von Scherpenberg über Unterhaltungen, die Schacht damals geführt hat, also nicht etwa eine Meinung ex post, sondern eine Begründung über eine Unterhaltung, die er, Scherpenberg, mit seinem Schwiegervater geführt hat. Dies nur zusätzlich.


[Zum Zeugen, gewandt:]


Über die Aufrüstung der anderen Staaten, insbesondere der Tschechoslowakei und Polen, haben Sie schon gesprochen. Können Sie noch etwas sagen, ob Sie etwas Genaues damals über den Rüstungsstand dieser beiden Staaten wußten oder hörten?

SCHACHT: Ich weiß nur, daß es von Rußland bekannt war, daß es im Jahre 1935 ankündigte, es wolle seine Friedens-Heeresstärke auf 960000 Mann bringen.

Dann wußte ich, daß in der Tschechoslowakei beispielsweise die Errichtung von Flugplätzen im Vordergrund der Rüstung stand. Von England wußten wir, daß es seine Kriegsmarine ausdehnte.


DR. DIX: Haben Sie nun später den Gedanken einer allgemeinen Abrüstung ganz aufgegeben?


SCHACHT: Im Gegenteil, ich habe jede Gelegenheit ergriffen, insbesondere auch in Unterhaltungen mit Ausländern zu sagen, daß das Ziel doch immer wieder die Abrüstung sein müßte. Daß wir in der Aufrüstung selbstverständlich immer eine wirtschaftliche Belastung sehen würden, die sehr unerfreulich sei.

Ich erinnere mich an eine Unterhaltung, die ich mit dem Amerikanischen Botschafter Davies gehabt hatte, der darüber in dem Beweisstück, welches auch hier vor Gericht eingeliefert ist, berichtete, und zwar handelt es sich hier zunächst um eine Journaleintragung, die in seinem Buch wiedergegeben ist »Mission to Moscow« vom 20. Juni 1937, noch aus Berlin. Da schreibt er nieder, daß er sich mit mir auch unter anderem über die Abrüstungstrage unterhalten hat, und ich brauche hier wieder nur einen einzigen Satz zu zitieren. Ich habe die Nummer des Dokuments nicht hier, Euer Lordschaft, aber es ist eingereicht bei Gericht.


DR. DIX: Es ist Schachts Exhibit Nummer 18, deutsch Seite 43, englisch Seite 49.


SCHACHT: Ich lese hier, weil ich nur den englischen Text habe, aus dem englischen Text. Davies schreibt:

»When I outlined the President's (Roosevelt) suggestion of limitation of armament to defensive weapons only, such as a man could carry on his shoulder, he (means Schacht) almost jumped out of his seat with enthusiasm.«

»(Als ich den Vorschlag des Präsidenten (Roosevelt) darlegte, Rüstungen auf solche Verteidigungswaffen zu begrenzen, [525] die ein Mann auf seiner Schulter tragen könnte, sprang er (Schacht) vor Begeisterung beinahe von seinem Stuhl auf.)«

Es ergibt sich also aus dieser Bemerkung von Ambassador Davies, daß ich auf diesen neuen Versuch und auf die erhoffte bevorstehende Abrüstungsinitiative und diesen Abrüstungsvorschlag des Präsidenten Roosevelt mit dem größten Nachdruck eingegangen bin.

In demselben Buch berichtet nun Davies wenige Tage später, am 26. Juni 1937, in einem Brief an den Amerikanischen Präsidenten über die Unterhaltung mit mir, und ich zitiere da heraus nur einen ganz kleinen Absatz. Ich muß es wieder auf englisch machen.

»I then stated to him« (to him is Schacht) »that the President in conversation with me had analyzed the European Situation and had considered that a solution might be found in an agreement among the European nations to a reduction of armaments to a purely defensive military basis and this through the elimination of aircraft, tanks and heavy equipment, and the limitation of armaments to such weapons only as a man could carry on his back, with an agreement among the nations for adequate policing of the plan by a neutral state. Schacht literally jumped at the idea. He said: ›That's absolutely the solution.‹ He said that in its simplicity it had the earmarks of great genius. His enthusiasm was extraordinary.«

»(Ich erklärte ihm (das heißt Schacht) dann, daß der Präsident in einer Unterhaltung mit mir die europäische Lage dargelegt hat und erwogen hätte, daß eine Lösung durch eine Vereinbarung unter den europäischen Nationen gefunden werden könne, wonach die Rüstung auf eine ausschließlich defensive militärische Grundlage zurückgeführt werden solle, und zwar durch die Beseitigung der Luftwaffe, der Tanks und der schweren Ausrüstung und die Begrenzung der Rüstung nur auf solche Waffen, die ein Mann auf dem Rücken tragen könne, mit einer Vereinbarung der Nationen verknüpft für eine entsprechende Überwachung des Planes durch einen neutralen Staat. Schacht war buchstäblich begeistert von dieser Idee. Er sagte: ›Das ist absolut die Lösung‹ und fügte hinzu, daß sie in ihrer Einfachheit ein großes Genie verriete. Sein Enthusiasmus war außergewöhnlich.)«


DR. DIX: Bis zu welchem Grade wollten Sie denn aufrüsten?

SCHACHT: Nicht weiter, als daß man auf gleichem Fuß mit jedem einzelnen der Nachbarländer stand.


DR. DIX: Hat Hitler Ihnen gegenüber oder zu Ihrer Kenntnis weitergehende Absichten geäußert?


[526] SCHACHT: Mir gegenüber niemals, und ich habe auch nicht von anderen gehört, ob er anderen gegenüber weitergehende Bemerkungen gemacht hat.


DR. DIX: Sind Sie über das Ausmaß, Art, Tempo der Aufrüstung unterrichtet worden?


SCHACHT: Nein, darüber habe ich nie etwas erfahren.


DR. DIX: Hatten Sie sich selbst eine Grenze für diese Finanzhilfe gesetzt, oder waren Sie bereit, beliebig viel Geld zuzuschießen?


SCHACHT: Beliebig viel Geld zuzuschießen war ich keinesfalls bereit, zumal es sich ja nicht um einen Zuschuß handelte, sondern um einen Kredit, der zurück gezahlt werden mußte. Die Grenze für diese Kredithilfe lag in zweierlei: einmal darin, daß die Reichsbank von der Staatsfinanzverwaltung und von der Staatshoheit hinsichtlich ihrer Kreditgewährung unabhängig war. Das Reichsbankdirektorium konnte beschließen, Kredite zu geben oder nicht zu geben und die Kredite abzustoppen, wenn sie das für richtig hielt, und da ich der Politik des Reichsbankdirektoriums vollständig sicher war- die Herren waren mit mir alle durchaus in der Finanz- und Bankpolitik gleicher Anschauung –, so lag darin die erste Möglichkeit, abzubremsen, wenn es mir zuviel wurde. Die zweite Sicherung... Begrenzung lag in der Vereinbarung, die der Finanzminister, die Regierung und somit selbstverständlich auch Hitler eingegangen waren. Die Mefo-Wechsel, in denen ja die Kredithilfe bestand, bei Fälligkeit zurückzuzahlen, die Mefo-Wechsel waren aber nach fünf Jahren wieder rückzahlbar, und ich habe vorhin schon ausgeführt, daß, wenn diese Rückzahlung erfolgt wäre, die Mittel für die Aufrüstung selbstverständlich geringer werden mußten. Darin lag die zweite Möglichkeit der Begrenzung der Aufrüstung.


DR. DIX: Ich bitte Sie, jetzt dem Tribunal mal Ziffern zu geben. Mit welchen Ziffern operierten Sie damals?


SCHACHT: Wir haben bis zum, ich gehe nach...


JUSTICE JACKSON: Wir haben nicht den Wunsch, uns in einen Streit über Zahlen der Wiederaufrüstungs-Finanzierung einzulassen. Es scheint, daß die einzelnen Dollar- und Cent- oder Reichsmarkbeträge dafür ganz unwichtig und sehr kompliziert sind. Wir versuchen nicht festzustellen, ob es zuviel oder zu wenig kostete. Der Zweck dieser Aufrüstung ist die einzige Frage, die uns interessiert; ich sehe nicht ein, daß eine Aufstellung der Kosten etwas damit zu tun hat.


VORSITZENDER: Herr Dr. Dix! Wir würden gern wissen, über welche Zahlen der Angeklagte und Sie hier sprechen.


DR. DIX: Welche Summen Schacht als Reichsbankpräsident der Aufrüstung zur Verfügung stellen wollte. Das ist zweifellos erheblich; [527] denn wenn diese Summen sich in einem Rahmen halten, der allenfalls für eine Defensivrüstung im Notfall in Frage kommt, so ist natürlich die Größe dieser finanziellen Hilfe ein schlagendes Beweismittel für die Absichten, welche Schacht dabei verfolgte, also für das, was Justice Jackson für erheblich hält: nämlich, ob er einen Angriffskrieg vorbereiten half, wenn er nur eine Defensivkriegsmöglichkeit finanzierte und nur Summen der Rüstung zur Verfügung stellte, die diese Rüstung nie mals in den Stand setzen konnte, einen Offensivkrieg zu führen, so ist dies eine Widerlegung des Vorwurfs, den die Anklagebehörde dem Angeklagten macht, und ich glaube, daß man an der Erheblichkeit dieser Frage nicht zweifeln sollte.


VORSITZENDER: Wollen Sie sagen, daß, wenn der Angeklagte Schacht dem Reich, sagen wir mal 100 Millionen oder welche Zahl es immer sein mag, zur Verfügung stellte, so würde das für Verteidigung sein; wenn es aber 150 Millionen gewesen wären, wollen Sie sagen, daß es nicht für die Verteidigung gewesen wäre, oder was sonst? Handelt es sich einfach um den Betrag?


DR. DIX: Nein, ich will sagen, wenn er, wie nachgewiesen werden wird, nur 9 und dann schließlich zögernd und widerspenstig 12 Milliarden zur Verfügung stellte, so kann er mit dieser Zurverfügungstellung niemals einen Offensivkrieg gewollt haben.


VORSITZENDER: Handelt es sich nur um den Betrag?


DR. DIX: Jawohl, nur um die Höhe des Betrages.


VORSITZENDER: Das kann man doch mit wenigen Worten abtun, doch Einzelheiten der Finanzierung...


DR. DIX: Der Meinung bin ich durchaus, daß wir darüber zu lange gesprochen haben. Ich wollte nur fragen: »Welche Summe haben Sie gegeben?« und darauf wurde der Einwand erhoben; daraus ergab sich diese Diskussion. Darf ich die Frage stellen?


VORSITZENDER: Ja.


DR. DIX: Darf ich also die Frage stellen: Welche Summe wollten Sie zur Verfügung stellen?


SCHACHT: Ich wollte zur Verfügung stellen natürlich so wenig wie möglich. Aber was ich zur Verfügung gestellt habe, ist ja entscheidend. Ich habe zur Verfügung gestellt, um nur eine einzige Summe zu nennen und um es hier kurz zu machen, bis zum 31. März 1938 Kredite in Höhe von zusammen 12 Milliarden Reichsmark. Ich habe das mit einem der englischen Herren Anklagevertreter beziehungsweise interrogators, die mich gefragt haben, einmal abgestimmt, daß das ungefähr ein Drittel des Betrages gewesen ist, der für die Aufrüstung ausgegeben worden ist. Nach[528] diesem Termin sind ohne die Reichsbank in dem Etatsjahr vom 1. April 1938 ab ausgegeben worden für die Rüstung 11 Milliarden Reichsmark und im nächsten Jahr 201/2 Milliarden. Davon kommt nicht ein Pfennig aus der Reichsbank.


DR. DIX: Das war nach Ihrem Abgang?


SCHACHT: Das war nach meiner Kreditabstoppung.

Nun zum Protokoll: Ich habe, glaube ich, mich vorhin versprochen, ich habe Millionen anstatt Milliarden gesagt, aber das Versprechen ist ja offenkundig. Ich wollte das nur richtigstellen.


DR. DIX: Nun, Herr Dr. Schacht, die Anklage hat Ihnen vorgehalten, daß am 19. Februar 1935 das Finanzministerium die Vollmacht bekommen habe, Gelder in jeder Summe zu borgen, die von Hitler angeordnet wurden.


SCHACHT: Der Herr Anklagevertreter hat auch hier wieder die Dinge nicht richtig gesehen. Der Reichsbankpräsident ist für die Gebarung des Reichsfinanzministers nicht verantwortlich. Ich glaube, daß der Präsident der Federal Reserve Bank in Neuyork nicht verantwortlich gemacht werden kann für das, was der »Secretary of the Treasury« in Washington macht.


DR. DIX: Er hält Ihnen des ferneren vor, daß die Reichsverschuldung, während Sie Reichsbankpräsident waren, um das Dreifache gestiegen sei.


SCHACHT: Er hätte mir ebensogut vorwerfen können, daß während meiner Amtsführung die Geburtenzahl in Deutschland sehr hinaufgegangen ist. Ich betone, daß ich an beiden völlig unbeteiligt bin.


DR. DIX: Derselbe Grund, Sie waren nicht dafür verantwortlich.

SCHACHT: Ich habe doch dafür keine Verantwortung.


DR. DIX: Und das gleiche gilt wohl für den weiteren Vorhalt der Anklage, daß angeblich Sie im März 1938 ein neues Finanzprogramm ausgearbeitet hätten.


SCHACHT: Im Gegenteil, ich habe es abgelehnt, irgendwie noch etwas für die Rüstungsfinanzierung zu tun. Und das Finanzprogramm hat ein Staatssekretär im Reichsfinanzministerium ausgearbeitet, und es war auch darnach.


DR. DIX: Nun war ein Teil Ihrer Wirtschaftspolitik als Wirtschaftsminister, wie Ihnen ja vorgeworfen wird, als Kriegsvorbereitung der sogenannte »Neue Plan«. Was war das?


SCHACHT: Ich darf vorausschicken, daß der »Neue Plan« mit der Aufrüstung gar nichts zu tun hatte. Deutschland war nach dem Versailler Vertrag in eine wirtschaftliche Notlage gekommen, die insbesondere seinen Export...


[529] DR. DIX: Darf ich Sie mal unterbrechen? Euer Lordschaft, wenn das Gericht der Auffassung ist, daß der »Neue Plan« mit der ganzen Aufrüstung, den Kriegsvorbereitungen nichts zu tun hat – die Anklage ist, glaube ich, gegenteiliger Ansicht –, dann ist die Frage unerheblich, dann stelle ich sie zurück. Ich stelle sie nur, weil der »Neue Plan« auch in den Argumentationen der Anklage verwandt wird.


VORSITZENDER: Wenn Sie sagen, und der Angeklagte hat es ja gerade gesagt, daß der »Neue Plan« nichts mit der Aufrüstung zu tun hat, dann könnten Sie es ja dem Kreuzverhör überlassen und Sie können im Wiederverhör darauf zurückkommen, wenn im Kreuzverhör danach gefragt wird.


DR. DIX: Dann werde ich Sie auch nach den Tauschverträgen nicht fragen. Ich werde das eventuell der Prosecution überlassen im Kreuzverhör. Ich kann nicht sehen, was das mit der Kriegsvorbereitung zu tun hat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun haben Sie schon bekundet, daß Sie den Vertrag von Versailles auf friedlichem Verhandlungswege zu beseitigen beziehungsweise zu ändern bestrebt waren. Gab es denn überhaupt noch solche Mittel zur friedlichen Änderung des Versailler Vertrages nach Ihrer damaligen Ansicht?

SCHACHT: Es gab nach meiner Ansicht überhaupt nur friedliche Mittel. Den Versailler Vertrag durch einen neuen Krieg ändern zu wollen, war ein Verbrechen.

DR. DIX: Gut, nun wird Ihnen ja vorgeworfen, daß die angebliche Kriegsvorbereitung gegen die Wiederaufrüstung, aber auch schon die Aufrüstung ohne Beziehung zur Vorbereitung eines Angriffskrieges, also allein die Aufrüstung als solche, eine Verletzung des Versailler Vertrags gewesen wäre. Ich nehme an, daß Sie damals, als Sie sich zur Aufrüstungsfinanzierungshilfe entschlossen, hierüber rechtliche und moralische Erwägungen angestellt haben. Worin bestanden diese Erwägungen?


SCHACHT: Ich glaube, ich habe diese Frage vorhin eingehend beantwortet. Ich brauche da nichts mehr hinzuzufügen.


DR. DIX: Gut. War nun diese Ihre Einstellung nach Ihrer Erkenntnis und nach Ihrer Einstellung als Pazifist, als jemand, der es durchaus ablehnte, irgendwelchen Lebensraum in Europa zu erhalten, war diese Ihre Einstellung nach Ihrer zuverlässigen Kenntnis im Ausland bekannt?


SCHACHT: Solange wie ich Reichsbankpräsident gewesen bin, also beginnend vom März 1933 ab – ich spreche jetzt natürlich nur [530] von der Hitler-Zeit –, sind meine ausländischen Freunde und Bekannten über meine ganze Denkweise ausgiebig unterrichtet gewesen. Ich habe sehr viele ausländische Freunde und Bekannte gehabt, nicht nur durch meinen Beruf, sondern auch sonst. Wir hatten insbesondere in Basel jeden Monat unsere monatliche Zusammenkunft bei der Internationalen Bank, sämtliche Notenbankpräsidenten der großen Länder und einiger neutraler Länder, und ich habe alle diese Zusammenkünfte immer dazu benützt, um den Herren ganz klar die Situation in Deutschland zu schildern. Ich darf vielleicht schon an dieser Stelle auf die sogenannte Führung ausländischer Gespräche eingehen. Wenn man sich mit Ausländern nicht mehr unterhalten darf, dann kann man sich natürlich auch nicht mit ihnen verständigen. Ich halte diese albernen Vorwürfe, daß man Verkehr mit Ausländern meiden müsse, für völlig unangezeigt; und wenn hier der Zeuge Gisevius neulich geglaubt hat, seine toten Kameraden, die auch meine Kameraden waren, vor dem Vorwurf des Landesverrats zu schützen, so möchte ich sagen, ich halte das für absolut unnötig. Niemals hat einer aus unserer Gruppe irgendwelche deutsche Interessen preisgegeben, sondern im Gegenteil, er hat für deutsche Interessen gefochten.

Ich möchte lediglich, um dies zu bekräftigen, einen Beleg hierfür geben. Nachdem wir Paris erobert hatten, wurden die Akten des Quai d'Orsay beschlagnahmt und einer eingehenden Durchsicht durch Beauftragte des Deutschen Auswärtigen Amtes unterzogen. Ich brauche nicht zu versichern, daß man da ganz besonders auch nach Belegen gesucht hat, ob nicht irgendwelche sogenannten defaitistischen Kreise in Deutschland sich hier irgendwo im Ausland bloßgestellt hätten. Sämtliche Akten des Quai d'Orsay, die sich mit meiner Person beschäftigten – und da sind natürlich viele Gespräche wiedergegeben worden, die ich mit Franzosen gehabt habe –, sind damals vom Auswärtigen Amt durchstöbert worden, ohne daß ich es wußte.

Und eines Tages, ich nehme an, es wird im Laufe des Jahres 1941 gewesen sein, bekam ich einen Brief von einem deutschen Professor, der mit bei diesen Untersuchungen vom Auswärtigen Amt eingesetzt war. Ich nenne hier den Namen, damit er es eventuell bezeugen kann. Es ist ein Professor der Finanzwirtschaft und Nationalökonomie, Professor Stückenbeck in Erlangen. Er schrieb mir, daß er bei dieser Untersuchung...


VORSITZENDER: Der Gerichtshof kann in dieser Aussage nichts erblicken, was sich auf diesen Prozeß bezieht. In jedem Falle ist es sicherlich genügend, wenn der Angeklagte sagt, er hätte in keiner Weise deutsche Interessen verraten. Wir brauchen nicht alle Einzelheiten darüber. Was es mit diesem Prozeß zu tun hat, weiß ich nicht.


[531] DR. DIX: Ich denke, Euer Lordschaft, daß das nicht der Punkt ist, sondern ihm kommt es darauf an, daß auch urteilsfähigen Männern des Auslandes, die ihn gekannt haben, bekannt war, daß er durchaus ein Mann des Friedens und nicht ein Mann der Vorbereitung von Angriffskriegen war, auch in der Periode, wo schon aufgerüstet war.


VORSITZENDER: Das hat er doch schon vor fünf Minuten gesagt.


DR. DIX: Ich denke nicht, daß der Fall des Professors Stückenbeck so wichtig ist; aber recht interessant scheint mir doch zu sein, was der Botschafter Davies über sein Gespräch mit dem damaligen Außenkommissar der Union der Sowjet-Republiken, Litwinow, berichtet. Es findet sich dies im Beweisstück Nummer 18 meines Dokumentenbuches, deutsche Seite 43, englische Ausgabe 49. Darf ich den einen Absatz verlesen und dann Dr. Schacht nur kurz fragen, ob diese Darstellung des Botschafters Davies seiner Erinnerung entspricht. Es handelt sich also um den Bericht von Davies aus seinem Buch, nicht aus seinem Bericht, sondern um einen Auszug aus seinem Buch »Mission to Moscow«. Und da ist ein Bericht an den Staatssekretär in den Vereinigten Staaten; da heißt es auf Seite 108 und Seite 109:

»Gemäß Verabredung suchte ich Außenkommissar Litwinow auf, um ihm vor meiner Abreise nach den Vereinigten Staaten einen Abschiedsbesuch abzustatten.

Ich erwähnte dann, daß die Lage in Europa in ihren Grundzügen doch einfach sei, und daß es schwer zu begreifen sei, warum die Staatsmänner Europas sich nicht darauf einigen könnten, daß England, Frankreich, Deutschland, Italien und Rußland sich verpflichten, die territoriale Integrität Europas zu erhalten und durch Handelsverträge Deutschland mit Rohmaterialien zu versorgen und ihm dadurch die Garantie zu geben, daß es leben könne. Dies würde die Völker Europas beruhigen und die Welt von den ungeheuren Rüstungslasten und der Furcht vor einem katastrophalen Krieg befreien. Die prompte Entgegnung« – also des Außenkommissars Litwinow – »war: ›Glauben Sie, daß Hitler jemals sich mit etwas Derartigem einverstanden erklären würde?‹ Ich sagte, daß ich das nicht wüßte, aber daß meiner Meinung nach in Deutschland ein ziemlicher Kreis einflußreicher und verantwortlicher Männer vorhanden sei, denen ein solcher Gedankengang einleuchten würde. Litwinow« – also der Außenkommissar selbst – »versetzte, daß er glaube, daß dies der richtige Weg sei; daß Schacht solch ein Mann sei; er glaube jedoch nicht, daß sie sich gegen Hitler und die in Deutschland herrschenden politischen und militärischen Kräfte durchsetzen können.«

[532] Nun frage ich Sie, erinnern Sie sich an dieses Gespräch mit Davies?

SCHACHT: Ich glaube, hier liegt eine Verwechslung vor. Ich habe mit Davies darüber kein Gespräch gehabt. Ich sprach mit Litwinow. Dies ist ein Bericht von Davies an den Staatssekretär, über welchen ich nichts weiß.

DR. DIX: Ja, Sie haben vollkommen recht.

Nun hat die Anklage wiederholt hervorgehoben, daß Ihre Kenntnis von den Kriegsabsichten Hitlers schon aus Ihren Stellungen als Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft und als Mitglied des Reichsverteidigungsrates hervorgehe. Hierüber hat sich schon Göring eingehend geäußert.

Haben Sie der Aussage Görings irgend etwas Neues hinzuzufügen?


SCHACHT: Ich glaube, auch der Zeuge Lammers hat sich darüber ausgelassen. Ich möchte nur auch meinerseits bestätigen, daß der erste Reichsverteidigungsrat aus dem Jahre 1935 nichts anderes war, als eine Legalisierung eines bereits vor 1933 bestehenden Ausschusses unter den Ministerialbeamten, die auch die wirtschaftlichen und die verwaltungsmäßigen Dinge bearbeiten sollten, die im Falle einer Kriegsbedrohung gegen Deutschland zu erfassen seien.


DR. DIX: Wie oft sind Sie insbesondere mit dem Kriegsminister und dem Generalbevollmächtigten für die Verwaltung zusammengekommen?

SCHACHT: Niemals ist dieses so berühmte Triumvirat, dieses Dreier-Kollegium, welches einer der Herren Anklagevertreter als den Eckstein der Kriegspolitik bezeichnet hat, überhaupt zusammengetreten. Und daß wir den Krieg verloren haben, ist natürlich kein Wunder, wenn das der Eckstein gewesen ist.


DR. DIX: Die Anklage hat sich ferner berufen auf den Bericht des Kriegsministers über die Aufgabe des Reichsverteidigungsrates von 1934. Das ist Dokument EC-128, US-623. Haben Sie da irgend etwas Besonderes hinzuzufügen?


SCHACHT: Ja, doch. Ich möchte um die Erlaubnis bitten, einen ganz kurzen Absatz – es sind nur, wie ich sehe, zwei Sätze – zu zitieren. In diesem Bericht steht folgendes:

Es wird Bezug genommen auf den ersten Weltkrieg und auf dessen Erfahrungen, also von 1914 bis 1918. Und da heißt es:

Ich zitiere, ich muß es englisch zitieren, da ich nur das Englische vor mir habe. Ich zitiere:

»At that time we were able to extend our bases for raw-materials and production toward the west. Longwy, Briey, Tourcoing, Roubaix, Antwerp (Textiles) and toward the East (Lodz) and South- East (mines in Serbia and Turkey, mineral oils in Romania). Today we have to reckon with the possibility [533] of being thrown back in our own country and even of being deprived thereby of most valuable industrial and raw material in the west and in the east.«

»(Damals konnten wir unsere Rohstoff- und Erzeugungsbasis nach Westen erweitern (Longwy, Brie, Tourcoing, Roubaix, Antwerpen (Textilien), Osten (Lodz) und Südosten (Erzgruben in Serbien und Türkei, Mineralöle in Rumänien), heute müssen wir damit rechnen, im eigenen Land zurückgeworfen zu werden, ja dabei unter Umständen wertvollste Industrie- und Rohstoffgebiete im Westen und Osten zu verlieren.)«

Ich glaube, daß, wenn jemand, der den Angriffskrieg vorbereiten wollte, im September 1934 damit rechnete, daß man sich vor der Möglichkeit einer solchen Situation schützen müsse, daß das der beste Beweis dafür ist, daß von Angriffskrieg hier überhaupt keine Rede gewesen sein kann.

DR. DIX: In diesem Zusammenhang mit der Überschrift »friedliche Bemühungen« können Sie vielleicht dem Tribunal auch sagen, worin Ihre friedlichen Bemühungen bestanden, die im Versailler Vertrag stipulierten Reparationen zu mildem beziehungsweise zu beenden?

SCHACHT: Ich habe vom ersten Augenblick der Reparationsfestsetzung, die ungefähr 1921 erfolgte, gegen diesen Unsinn gekämpft mit der Beweisführung, daß die Durchführung der Reparationen die ganze Welt in ein wirtschaftliches Chaos stürzen würde. Man kann nicht im Laufe von einer Generation 120 Milliarden Reichsmark oder rund 2 Milliarden Reichsmark wie es damals jährlich...


DR. DIX: Wir wollen es ziemlich kurz sagen. Wollen Sie nur Ihre friedlichen Bemühungen und keine volkswirtschaftlichen Erörterungen anführen.


SCHACHT: Jawohl, also keine volkswirtschaftlichen Erörterungen.

Ich habe dagegen gekämpft, und es ist mir im Laufe der Zeit gelungen, die Öffentlichkeit fast aller Länder von diesem Unfug zu überzeugen. Das hat dazu geführt, daß im Juli 1932, wenn ich nicht irre, der damalige Reichskanzler Papen in der Lage war, seine Unterschrift unter einen Vertrag in Lausanne zu setzen, in dem die Reparationen de jure bis auf eine in der Luft schwebende Summe von 3 Milliarden Reichsmark und de facto total gestrichen wurden.


DR. DIX: Setzten Sie nun diese Ihre ausgesprochen friedlichen Bemühungen auf anderem Gebiete fort? Sie haben die Frage der Verhandlungen in Paris über die Kolonialfrage schon bei einer früheren Frage gestreift. Ich weiß nicht, ob Sie dem noch in diesem Zusammenhang etwas hinzuzusetzen haben?


[534] SCHACHT: Ich erinnere mich nicht, ich weiß nicht, wie weit ich damals gegangen bin, aber ich glaube, ich habe die Verhandlungen ziemlich im einzelnen erzählt, so daß ich sie nicht zu wiederholen brauche.


DR. DIX: Nun ist George Messersmith, der schon so oft genannte damalige Generalkonsul der Vereinigten Staaten, in seinem Affidavit EC-451, US-Exhibit Nummer 626 – und die Anklage beruft sich auf dieses Affidavit – der Ansicht, daß das nationalsozialistische Regime nicht imstande gewesen wäre, sich an der Macht zu halten und seine Kriegsmaschine zu schmieden, wenn nicht Ihre Tätigkeit gewesen wäre. Und die Anklage macht am Schluß der Anklagebegründung diese These Messersmiths sich zu eigen. Ich bitte Sie deshalb, hierzu noch Stellung zu nehmen.


SCHACHT: Ich weiß nicht, ob diese völlig unsubstanzierte private Ansicht des Herrn Messersmith irgendeine Beweiskraft hat. Ich möchte trotzdem ein paar Ziffern dagegensetzen. Ich habe vorhin erwähnt, daß bis zum 31. März 1938 die Reichsbank 12 Milliarden gegeben hat; das sind also im ersten Etatsjahr ungefähr 21/4 Milliarden und in den nächsten drei Jahren rund 31/4 Milliarden im Jahr. In diesen Jahren – und Sie haben den Mitangeklagten Keitel bei seiner Vernehmung hier darnach gefragt, Herr Justizrat – hat Keitel angegeben, daß die Rüstungsausgaben betrugen:

Im Etatsjahr 1935/36 5 Milliarden,

im Etatsjahr 1936/37 7 Milliarden,

im folgenden Etatsjahr 9 Milliarden,

und hier hört nun die Reichsbankhilfe auf. Trotzdem ist im nächsten Jahr ohne jede Reichsbankhilfe der Ausgabestand der Rüstung auf 11 Milliarden gestiegen und im darauffolgenden Jahr auf 201/2 Milliarden.

Es scheint also, daß es auch ohne das Finanzgenie des Herrn Schacht gegangen ist, das Geld zu beschaffen. Auf welche Weise, das ist ja eine zweite Frage.

DR. DIX: Ich habe seinerzeit dem Zeugen Keitel diese Ziffern vorgehalten. Damals lag diese Urkunde, glaube ich, dem Gericht noch nicht vor. Sie liegt jetzt vor unter Exhibit Nummer 7. Es ist Seite 15 des deutschen Textes und Seite 21 des englischen Textes. Herr Keitel konnte selbstverständlich nur über die erste Spalte, nämlich über die Gesamtausgaben, Bekundungen machen. Die Aufstellung enthält aber auch noch eine zweite und dritte Spalte. Diese zweite und dritte Spalte sind Errechnungen von Schacht, nämlich Errechnungen dessen, was durch die Reichsbank und was ohne die Reichsbank aufgebracht worden ist.

Ich habe nicht die Absicht, das jetzt im einzelnen durchzugehen. Ich bitte, mir nur zu erlauben, Dr. Schacht zu fragen, ob die Ziffern [535] der Spalten zwei und drei, die in der Urkunde sich befinden und vor ihm errechnet wurden, richtig errechnet wurden.


SCHACHT: Ich habe diese Ziffern in der Urkunde vor mir. Diese Ziffern sind absolut richtig. Sie ergeben, um es nochmals festzustellen, daß im ersten Jahr, nachdem die Reichsbank ihre Hilfe eingestellt hatte, nicht weniger als 51/4 Milliarden mehr ausgegeben wurden, ohne Reichsbankhilfe, das heißt 11 Milliarden im ganzen.


DR. DIX: Bisher haben Sie dem Tribunal bekundet, daß Sie gegen eine gefährliche übermäßige Aufrüstung gearbeitet haben indem Sie die Hand auf das Portemonnaie legten und kein Geld gaben. Haben Sie auch auf andere Weise gegen eine übermäßige Aufrüstung gearbeitet, zum Beispiel durch aufklärende Vorträge und Ähnliches?


SCHACHT: Ich habe wiederholt nicht nur vor Volkswirtschaftlern, Professoren insbesondere, gesprochen, sondern ich habe mehrfach auch gesprochen auf Einladung des Kriegsministers und der Vorsitzenden der Wehrakademie im Kreise höherer Offiziere. In all diesen Vorträgen habe ich ständig auf die finanziellen und wirtschaftlichen Grenzen hingewiesen, die einer deutschen Aufrüstung entgegenstanden und habe vor einer übermäßigen Aufrüstung gewarnt.


DR. DIX: Wann bekamen Sie nun den Eindruck, daß der Umfang der deutschen Aufrüstung ein übertriebener wurde?


SCHACHT: Das ist mit Datum sehr schwer festzustellen. Ich habe vom Jahre 1935 an dauernd versucht, das Rüstungstempo zu verlangsamen. Hitler hatte einmal gesagt, daß bis zum – ich hab es hier, einen Moment –, daß bis zum Frühjahr 1936 das Tempo der Aufrüstung eingehalten werden müßte. Ich habe mich daran möglichst gehalten, obwohl ich schon von der zweiten Hälfte 1935 anständig gebremst habe. Aber nach 1935 habe ich mir dann gesagt da der Führer selber erstens gesagt hat, bis zum Frühjahr 1931 dann ist das Tempo nicht mehr nötig. Es ergibt sich dies aus der Dokument 1301-PS, wo diese meine Ausführungen zitiert sind. Ich habe sie im sogenannten »Kleinen Ministerrat« mitgeteilt und, Herr Göring hat mir in dieser Sitzung noch widersprochen, aber ich halte natürlich das aufrecht, was ich damals gesagt habe.

Ich habe dann dauernd dem Kriegsminister in den Ohren gelegen, gleichfalls im Sinne einer Verlangsamung der Rüstung, allein schon im wirtschaftlichen Interesse, weil ich die Wirtschaft für das Exportgeschäft beschäftigt wissen wollte. Und ein Beleg dafür, wie sehr ich diesen Kriegsminister bedrängt habe, ist ja mein Schreiben vom 24. Dezember 1935; also am Ende – wie ich sah, daß diese vom Hitler gewünschte Periode zu Ende ging und ich schon immer am Bremsen war –, da habe ich ihm einen Brief geschrieben, der hier [536] ebenfalls von der Anklagebehörde eingereicht worden ist als Dokument EC-293, in der englischen Zusammenstellung dieses Dokuments Seite 25. Ich bitte um die Erlaubnis, ganz kurz – meine Zitate sind alle sehr kurz – etwas hieraus verlesen zu dürfen. Ich schrieb einen Brief an den Reichskriegsminister, ich zitiere:

»Dem Schreiben«, nun kommen die Aktenzeichen, »vom 29. November entnehme ich, daß ein gesteigerter Wehrmachtsbedarf an Kupfer und Blei in Aussicht genommen ist, und zwar etwa auf das Doppelte des bisherigen Verbrauchs. Hierbei handelt es sich nur um den laufenden Bedarf, während die gleichfalls dringende Bevorratung in den Zahlen nicht enthalten ist. Sie erwarten von mir, daß ich für diesen Bedarf die nötigen Devisen beschaffe. Ich erwidere darauf ergebenst, daß ich hierzu unter den obwaltenden Verhältnissen keine Möglichkeit sehe.«

Also Blomberg verlangt, daß ich ihm Rohstoffe mit fremder Valuta anschaffe, und ich erkläre ihm ganz glatt, dazu sehe ich keine Möglichkeit. Es heißt dann weiter, und hier kommt der Satz von der Begrenzung bis 1. April wieder. Ich zitiere:

»In allen bisherigen Besprechungen mit dem Führer und Reichskanzler, sowie mit den leitenden mi litärischen Stellen, habe ich meiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß es möglich sein werde, für das bisherige Rüstungsausmaß bis zum 1. April 1936 devisenmäßig und rohstoffmäßig Sorge tragen zu können. Trotzdem mir dieses Programm durch unsere in der ganzen Welt auf Ablehnung stoßende Kulturpolitik, sowie durch unsere Agrarpolitik ganz außerordentlich erschwert worden ist und weiter erschwert bleibt, hoffe ich immer noch, meine ursprüngliche Inaussichtnahme verwirklichen zu können«,...

das heißt, daß ich dieses vorgesehene Programm bis zum 1. April glaubte einhalten zu können, aber darüber hinaus nicht mehr.


DR. DIX: Es ist bekannt, daß der Verkehrsminister Dorpmüller eine Eisenbahnanleihe aufnehmen wollte. Wie haben Sie sich als Reichsbankpräsident gegenüber diesen Anleihewünschen von Dorpmüller verhalten?

SCHACHT: In einer Besprechung, die zwischen dem Führer, Dorpmüller und mir stattgefunden hat und in der der Führer lebhaft das Ersuchen Dorpmüllers befürwortete, habe ich diese Anleihe glatt abgelehnt, und er hat sie auch nicht bekommen.


DR. DIX: Es ist hier erörtert worden die Sitzung des sogenannten »Kleinen Ministerrates« unter Görings Vorsitz vom 27. Mai 1936. Anklagevertreter haben die Meinung vertreten, daß sich aus dieser [537] Sitzung die Absicht eines Angriffskrieges ergäbe. Haben Sie von dieser Sitzung irgendwelche Kenntnis gehabt?


SCHACHT: Welches Datum war das?


DR. DIX: 27. Mai 1936.


SCHACHT: Nein, ich bin da bei der Sitzung dabeigewesen, und ich finde in dem ganzen Dokument nichts, was auf einen Angriffskrieg hindeutet. Ich habe das Dokument sehr genau nachgeprüft.


DR. DIX: Es ist des weiteren hier eingeführt worden zu Ihrer Belastung ein Bericht des Botschafters Bullitt, L-151, Exhibit US-70 vom 23. November 1937. Sie haben gehört, daß die Anklage auch aus diesem Bericht Schlußfolgerungen auf Angriffsabsichten Hitlers zieht. Wollen Sie sich bitte hierzu äußern?


SCHACHT: Ich finde in dem ganzen Bericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß Hitler einen Angriffskrieg eröffnen will. Ich habe lediglich hier gesprochen von der Absicht Hitlers, möglichst einen Anschluß Österreichs herbeizuführen und möglichst den Sudetendeutschen die Autonomie zu verschaffen. Das sind beides keinerlei Angriffskriege. Im übrigen sagt Herr Bullitt von mir in seinem Bericht über diese Unterhaltung:

»Schacht then went on to speak of the absolute necessity for doing something to produce peace in Europe...«

(Schacht sprach »weiterhin von der unbedingten Notwendigkeit, etwas zu tun, um in Europa Frieden zu schaffen...«)


DR. DIX: Dieses Memorandum über diese Unterhaltung ist auch in meinem Dokumentenbuch, nämlich Exhibit Nummer 22, Seite 64 des englischen Textes und 57 des deutschen Textes.

Wir müssen uns jetzt über Ihre angebliche Mitwisserschaft von Hitlers Kriegsabsichten des näheren unterhalten. Zunächst ganz allgemein: Hat Hitler jemals zu Ihrer Kenntnis...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich fragte Herrn Dr. Dix, ob er etwas dagegen hätte, wenn mir der Gerichtshof gestatten würde – er geht jetzt ja auf einen neuen Punkt über –, die Frage der Dokumente Raeders zu behandeln. Ich hatte eine Besprechung mit Herrn Dr. Siemers. Es gibt noch einige offene Fragen, und wir wären dankbar, wenn uns der Gerichtshof nach Möglichkeit heute nachmittag anhören würde, weil die Übersetzungsabteilung auf die Dokumente Raeders wartet, um mit der Übersetzung weiterzukommen.


VORSITZENDER: Wie lange, glauben Sie, wird das dauern, Sir David?


[538] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nicht mehr als eine halbe Stunde, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Wenn die Übersetzungsabteilung darauf wartet, tun wir das vielleicht gleich um 2.00 Uhr.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft wünscht.


VORSITZENDER: Wenn es nur eine halbe Stunde in Anspruch nimmt. Es ist nicht wahrscheinlich, daß es länger dauert, wie ich glaube.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, daß es länger dauern wird.


VORSITZENDER: Wir wollen dies um 2.00 Uhr tun und vertagen uns nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis um 14.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 502-540.
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