[690] GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel! Ich werde Sie über den Befehl gegen die sogenannte kommunistische Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten fragen. Gestern hat Ihr Verteidiger Ihnen diesen Befehl vorgelegt. Es ist ein Befehl vom 16. September 1941, Nummer R-98. Ich möchte Ihnen eine Stelle aus diesem Befehl in Ihr Gedächtnis zurückrufen. Dort steht geschrieben:
»Um die Umtriebe im Keime zu ersticken, sind beim ersten Anlaß unverzüglich die schärfsten Mittel anzuwenden, um die Autorität der Besatzungsmacht durchzusetzen und einem weiteren Umsichgreifen vorzubeugen.«
Und weiter heißt es:
»Dabei ist zu bedenken, daß ein Menschenleben in den betroffenen Ländern ›absolut‹... nichts gilt und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann.«
Erinnern Sie sich an diesen Punkt, den grundlegenden Punkt dieses Befehls, »daß das Menschenleben absolut nichts gilt«. Erinnern Sie sich an diesen Satz?
KEITEL: Ja.
GENERAL RUDENKO: Haben Sie diesen Befehl mit dieser darin enthaltenen Behauptung unterschrieben?
KEITEL: Ja.
GENERAL RUDENKO: Sind Sie der Ansicht, daß dieser unheilvolle Befehl durch die Notwendigkeit verursacht wurde?
KEITEL: Die Ursachen dieses Befehls habe ich gestern zum Teil schon dargelegt und darauf hingewiesen, daß diese Anweisung in erster Linie gerichtet war an den Oberbefehlshaber beziehungsweise die Wehrmachtsdienststellen im Südosten; das ist das Balkangebiet, in welchem ein umfangreicher Partisanenkrieg und Krieg der Führer untereinander ungeheuerliche Ausmaße angenommen hatte, zweitens, weil im gleichen Umfange oder in ähnlichem Umfange solche Beobachtungen und Feststellungen auch in gewissen begrenzten Teilen des besetzten Gebietes der Sowjetunion beobachtet wurden und festgestellt waren.
GENERAL RUDENKO: Sie sind also der Ansicht, daß dieser Befehl richtig war?
[690] KEITEL: Ich habe meinen grundsätzlichen Standpunkt zu allen Anordnungen, die in Bezug auf die Behandlung der Bevölkerung gegeben wurden, schon eingehend auf Befragen dargelegt. Ich habe den Befehl unterschrieben und damit im Rahmen meiner Dienstbefugnisse auch eine Verantwortung übernommen.
VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Sie diese Frage nicht beantwortet haben. Die Frage konnte mit Ja oder Nein beantwortet und die Erklärung nachher gegeben werden. Ihre Erklärung, daß Sie die Angelegenheit Ihrem Verteidiger bereits auseinandergesetzt haben, ist keine Antwort auf die Ihnen gestellte Frage.
GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie noch einmal, sind Sie der Ansicht, daß dieser Befehl – ich unterstreiche – gerade dieser Befehl, in dem es heißt, daß »das Menschenleben absolut nichts gilt« richtig ist. Halten Sie ihn für richtig?
KEITEL: Diese Worte stehen nicht darin, aber die Tatsache, daß in den Südostgebieten und auch zum Teil in den Sowjetgebieten das Menschenleben nicht in dem Umfange geachtet wurde, das war mir auch bekannt aus den langen Jahren der Tatsachen vorher.
GENERAL RUDENKO: Sie sagten, daß diese Worte nicht in dem Befehl stehen?
KEITEL: Meines Wissens stehen sie nicht absolut darin, sondern es steht darin, daß in diesen Gebieten das Menschenleben wenig gilt, so ähnlich ist meine Erinnerung.
GENERAL RUDENKO: Ihrem Wissen nach erinnern Sie sich, daß der General Alexandrow Sie am 9. November 1945 verhört hat. Auf die Frage diesen Satz betreffend, haben Sie geantwortet: »Ich muß anerkennen, daß dieser Satz authentisch ist, jedoch hat ihn der Führer persönlich in diesen Befehl eingefügt«. Erinnern Sie sich Ihrer Erklärungen?
KEITEL: Das stimmt. Das ist auch richtig.
GENERAL RUDENKO: Ich kann Ihnen diesen Befehl vorlegen. Ich habe es bisher nicht getan, weil Sie ihn ja gestern zu lesen bekommen haben.
KEITEL: Ich habe ihn aber gestern nicht mehr in allen Punkten durchgelesen, sondern nur sein tatsächliches Bestehen anerkannt.
VORSITZENDER: Es wäre uns eine Hilfe, wenn Sie eine Übersetzung des Dokuments hätten. Wenn Sie ein Kreuzverhör über ein Dokument machen, insbesondere, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt, ist es für uns sehr unbequem, wenn wir dieses Dokument nicht vor uns haben.
[691] GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender, ich werde gleich dem Angeklagten diesen Befehl vorlegen.
[Der Zeuge erhält das Dokument.]
VORSITZENDER: Ist es 389-PS?
GENERAL RUDENKO: Das ist 389-PS, jawohl Herr Vorsitzender.
VORSITZENDER: Wenn Sie ein Dokument zitieren, wäre es angebracht, wenn Sie die Nummer sehr langsam sprechen würden, denn sehr oft kommt die Übersetzung bei uns nicht genau durch.
GENERAL RUDENKO: Ich verstehe, ich werde es in Zukunft auch tun, Herr Vorsitzender. Ich habe als Nummer dieses Dokuments R-98 angegeben, gleichzeitig hat es die Nummer 389-PS. Ich habe Punkt 3 b) aus diesem Befehl zitiert.
Angeklagter Keitel, haben Sie sich mit dem Dokument vertraut gemacht?
KEITEL: Ja. Der Wortlaut in deutscher Sprache sagt:
»Daß in den betroffenen Ländern ein Menschenleben vielfach nichts gilt...«
GENERAL RUDENKO: Und weiter?
KEITEL: Jawohl,
»... und eine abschreckende Wirkung nur durch ungewöhnliche Härte erreicht werden kann. Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben...«
GENERAL RUDENKO: Das ist klar. Im selben Befehl unter Punkt b) heißt es:
»Als Sühne für ein deutsches Soldatenleben muß als Regel die Todesstrafe für 50 bis 100 Kommunisten gelten. Die Art der Vollstreckung muß die abschreckende Maßnahme noch erhöhen.«
Ist das richtig?
KEITEL: Der deutsche Wortlaut ist etwas anders:
»Es muß in diesen Fällen im allgemeinen die Todesstrafe für 50 bis 100 Kommunisten als angemessen gelten.«
Das ist der deutsche Wortlaut.
GENERAL RUDENKO: Für einen deutschen Soldaten?
KEITEL: Ja, das weiß ich und habe es hier auch gesehen.
GENERAL RUDENKO: Darauf bezieht sich auch meine Frage. Also frage ich Sie noch einmal...
KEITEL: Wünschen Sie dazu eine Aufklärung oder soll ich nichts mehr dazu sagen?
GENERAL RUDENKO: Ich werde Ihnen gleich eine Frage in diesem Zusammenhang stellen. Ich frage Sie: Als Sie diesen Befehl unterschrieben, haben Sie dadurch auch Ihre eigene Meinung über [692] diese grausame Maßnahme zum Ausdruck gebracht, das heißt, waren Sie darin mit Hitler einig?
KEITEL: Ich habe diesen Befehl unterschrieben, aber die dort angegebenen Zahlen sind persönliche Änderungen des vorgelegten Befehls, und zwar persönliche Änderungen von Hitler.
GENERAL RUDENKO: Und welche Zahlen haben Sie Hitler vorgeschlagen?
KEITEL: Fünf bis zehn sind die Zahlen gewesen, die in dem Original gestanden haben.
GENERAL RUDENKO: Also mit Hitler gehen Sie lediglich, was die Zahlen anbetrifft, auseinander; dem Sinne nach sind Sie mit ihm einig.
KEITEL: Dem Sinne nach war eine Abschreckung nur zu erreichen, wenn für ein Soldatenleben, wie es hier heißt, eine Zahl von mehreren Opfern gefordert wurde.
GENERAL RUDENKO: Sie...
VORSITZENDER: Das war keine Antwort auf die Frage. Die Frage war: Ob nur über die Zahl eine Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und Hitler bei diesem Dokument bestand; darauf können Sie mit Ja oder Nein antworten. War die einzige Meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen und Hitler in Bezug auf die Zahl?
KEITEL: Dann muß ich sagen, daß in Bezug auf den grundlegenden Gedankengang eine Meinungsverschiedenheit bestanden hat, die aber dadurch in ihrer letzten Auswirkung meiner Ansicht nach nicht mehr von mir zu rechtfertigen ist, da ich meine Unterschrift im Namen meiner Dienststellung daruntergesetzt habe. Es bestand ein grundlegender Unterschied in Bezug auf die Gesamtfrage.
GENERAL RUDENKO: Gut. Gehen wir weiter. Ich möchte noch über einen anderen Befehl reden. Es ist der Befehl vom 16. Dezember 1942, über den sogenannten »Kampf gegen die Banden«. Er ist dem Gerichtshof als Dokument Nummer USSR-16 vorgelegt. Ich möchte mich da auch nicht in Einzelheiten verlieren. Dieser Befehl ist Ihnen gestern von Ihrem Verteidiger vorgelegt worden.
KEITEL: Daran erinnere ich mich im Augenblick nicht.
GENERAL RUDENKO: Sie erinnern sich nicht?
KEITEL: Nein, an die Vorlage gestern.
GENERAL RUDENKO: Sehr gut, wenn Sie sich nicht erinnern, werde ich Ihnen das Dokument vorlegen, um Ihre Erinnerung aufzufrischen.
VORSITZENDER: Was war die PS-Nummer?
[693] GENERAL RUDENKO: Dies ist ein Dokument, das von der Sowjetanklage vorgelegt worden ist, Herr Vorsitzender, und zwar unter Nummer USSR-16.
VORSITZENDER: Ich habe eben US-516 notiert, jedoch nehme ich an, daß ich nicht richtig gehört habe, es ist USSR-16, nicht wahr?
GENERAL RUDENKO: Ja, USSR-16.
VORSITZENDER: Gut.
[Der Zeuge erhält das Dokument.]
GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel, ich werde Ihnen mit Bezug auf diesen Befehl nur eine Frage stellen. Im ersten Punkt dieses Befehls, Absatz 3. Bitte lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den folgenden Satz:
»Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampfe ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt.«
Haben Sie diese Stelle gefunden?
KEITEL: Ja.
GENERAL RUDENKO: Haben Sie gesehen, daß beliebige Maßnahmen auch gegen Frauen und Kinder angewendet werden können, ohne jede Einschränkung? Haben Sie diese Stelle gefunden?
KEITEL:
»... ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es notwendig ist.«
Das habe ich gefunden.
GENERAL RUDENKO: Das haben Sie gefunden, darüber trage ich Sie gerade. Ich frage Sie, Angeklagter Keitel, Feldmarschall der früheren deutschen Armee, halten Sie diesen Befehl für richtig, daß jede beliebige Maßnahme gegen Frauen und Kinder ergriffen werden kann?
KEITEL: Maßnahmen schon insofern, als auch Frauen und Kinder aus den Banden- und Kampfgebieten zu entfernen waren, niemals irgendwie Grausamkeiten oder Tötungen an Frauen und Kindern. Niemals!
GENERAL RUDENKO: Entfernen – auf gut deutsch heißt es töten?
KEITEL: Nein. Ich glaube, daß es niemals nötig gewesen wäre, deutschen Soldaten zu sagen, daß sie Frauen und Kinder nicht töten können und nicht töten dürfen.
GENERAL RUDENKO: Sie haben auf meine Frage nicht geantwortet.
[694] Halten Sie diesen Befehl mit Bezug auf die Maß nahmen gegen Frauen und Kinder für richtig oder nicht? Antworten Sie ja oder nein, richtig oder nicht richtig, dann können Sie Ihre Erklärung abgeben.
KEITEL: Ich habe diese Maßnahmen für richtig gehalten und erkenne sie auch an, aber nicht irgendwie die Maßnahmen der Tötung. Das war ein Verbrechen.
GENERAL RUDENKO: »Beliebige Maßnahmen« schließen auch Ermordung ein?
KEITEL: Ja, aber nicht gegen Frauen und Kinder.
GENERAL RUDENKO: Ja, aber hier heißt es beliebige Maßnahmen auch gegen Frauen und Kinder.
KEITEL: Nein, es steht nicht »beliebige Maßnahmen«, sondern »... auch nicht zurückzuschrecken vor Maßnahmen gegen Frauen und Kinder«. Das steht darin. Es ist niemals einem deutschen Soldaten und einem deutschen Offizier der Gedanke gekommen, Frauen und Kinder zu töten.
GENERAL RUDENKO: Und in Wirklichkeit?
KEITEL: Das kann ich nicht in jedem einzelnen Fall bekunden, weil ich das nicht weiß und weil ich nicht an allen Stellen gewesen sein kann und auch keine Meldungen darüber bekommen habe.
GENERAL RUDENKO: Aber solche Fälle hat es Millionen gegeben.
KEITEL: Das ist mir nicht bekannt und das glaube ich auch nicht, daß es in Millionen Fällen geschehen ist.
GENERAL RUDENKO: Sie glauben es nicht?
KEITEL: Nein.
GENERAL RUDENKO: Ich gehe weiter. Ich gehe jetzt zu einer neuen Frage über, und zwar zur Frage der Behandlung der Sowjetkriegsgefangenen. Ich habe nicht die Absicht, Sie über die Brandmarkung der Sowjetkriegsgefangenen und andere Tatsachen zu befragen; diese sind dem Gerichtshof bereits genügend bekannt. Ich will Sie aber über ein Dokument fragen, und zwar über den Bericht von Canaris, der Ihnen gestern vorgelegt wurde. Sie erinnern sich, daß Ihr Verteidiger Ihnen gestern den Bericht von Canaris vorgelegt hat. Es ist ein Bericht vom 15. September 1941, er liegt unter der Nummer EC-338 dem Gerichtshof vor. Wie Sie sich erinnern werden, hat sogar ein deutscher Offizier die Aufmerksamkeit auf die außerordentliche Willkür und Ungesetzlichkeit gelenkt, die in der Behandlung von Sowjetkriegsgefangenen zugelassen waren. In diesem Bericht spricht Canaris von den Massentötungen von Sowjetkriegsgefangenen und spricht über die [695] Notwendigkeit, diese Willkür zu unterbinden. Waren Sie mit der Stellungnahme Canaris' in seinem Bericht, und zwar mit Bezugnahme auf Sie, einverstanden?
KEITEL: Das letzte verstehe ich nicht. Mit Bezugnahme auf meine Person?
GENERAL RUDENKO: Meine Frage soll folgendes bedeuten: Angeklagter Keitel, waren Sie persönlich mit den Vorschlägen, die Canaris in seinem Bericht zwecks Unterbindung der Willkür in der Behandlung der Sowjetkriegsgefangenen unterbreitete, einverstanden?
KEITEL: Ich habe gestern meinem Verteidiger schon geantwortet...
GENERAL RUDENKO: Sie können kurz auf meine Frage antworten: Waren Sie einverstanden?
KEITEL: Ja, ich werde kurz sein..., daß ich bei Empfang dieses Schreibens sofort dem Führer Adolf Hitler dieses Schreiben vorgelegt habe, insbesondere auch im Hinblick auf die beigefügte Veröffentlichung der Volkskommissare von Anfang Juli war es, und um eine erneute Entscheidung gebeten habe. Ich habe die Bedenken von Canaris im großen geteilt, ich muß aber noch ergänzend...
GENERAL RUDENKO: Sie teilten Sie? Sehr gut. Ich werde Ihnen jetzt das Original des Berichts von Canaris vorlegen, auf dem Ihre Entscheidung steht.
Herr Vorsitzender, ich werde jetzt dem Angeklagten Keitel das Dokument mit seiner Entscheidung vorlegen. Diese Entscheidung ist dem Gerichtshof noch nicht verlesen worden. Den Text dieser Entscheidung lege ich nun dem Gerichtshof vor.
VORSITZENDER: Haben Sie das Original?
GENERAL RUDENKO: Ja, ich habe es dem Angeklagten vorlegen lassen.
Also, Angeklagter Keitel, passen Sie auf, bitte.
KEITEL: Dieses Dokument mit den Randbemerkungen ist mir bekannt.
GENERAL RUDENKO: Hören Sie mich an, und passen Sie gut auf. Es ist das Dokument von Canaris, mit dessen Inhalt Sie einverstanden sind. Ihr Beschluß lautet:
»Die Bedenken entspringen den soldatischen Auffassungen vom ritterlichen Krieg. Hier handelt es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung, deshalb billige ich die Maßnahmen und decke sie.« gezeichnet »Keitel«.
Ist das Ihre Entscheidung?
[696] KEITEL: Ja, das habe ich geschrieben, als Entscheidung nach dem Vortrag beim Führer. Das habe ich geschrieben.
GENERAL RUDENKO: Es steht dort nicht geschrieben, daß der Führer es so gesagt hat. Es steht ja da, daß »ich«, also Keitel, »diese Maßnahmen decke«.
KEITEL: Das bekunde ich hier aber unter meinem Eid, und habe ich schon vorher gesagt, ehe ich es gelesen habe.
GENERAL RUDENKO: Sie erkennen also diese Entscheidung an. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf eine andere Stelle dieses Dokuments lenken. Bitte sehen Sie sich die Seite 2 dieses Dokuments an. Beachten Sie, daß im Text des Berichts von Canaris folgendes steht:
»Die Aussonderung der Zivilpersonen und politisch unerwünschten Kriegsgefangenen sowie die Entscheidung über ihr Schicksal erfolgt durch die Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei und des SD nach Richtlinien, die den Wehrmachtsstellen unbekannt sind und deren Einhaltung sie nicht mehr nachprüfen können.«
Das schreibt Canaris, und am Rande dieses Textes befindet sich Ihre Resolution: »Sehr zweckmäßig.« Ist das so?
KEITEL: Ich bitte Sie um Wiederholung der letzten Frage. Ich habe noch zuletzt gehört: »Das schreibt Canaris.«
GENERAL RUDENKO: Ja, und jetzt sage ich, daß am Rande dieses Textes Ihre eigenhändige Entscheidung: »Sehr zweckmäßig« steht. Haben Sie es gefunden?
KEITEL: Jawohl. Das Wort »zweckmäßig« bezieht sich darauf, daß die Wehrmachtsstellen mit den Einsatzkommandos nichts zu tun haben und davon nichts wissen, da steht davor, daß sie ihnen unbekannt sind.
GENERAL RUDENKO: Und darauf, daß die Sicherheitspolizei und der SD mit den Zivilpersonen und Kriegsgefangenen kurzen Prozeß machen. Sie halten das für zweckmäßig?
KEITEL: Nein, ich hielt es für zweckmäßig, daß den Wehrmachtsstellen die Tätigkeit der Einsatzkommandos unbekannt war. Das habe ich damit sagen wollen. Das steht darin, das habe ich unterstrichen »unbekannt«.
GENERAL RUDENKO: Ich frage Sie im Zusammenhang mit diesem Beschluß: Sie, Angeklagter Keitel, der Sie sich Feldmarschall nennen und vor dem Gerichtshof wiederholt als Soldat bezeichneten. Sie haben mit Ihrer blutdürstigen Entscheidung vom September 1941 die Ermordung unbewaffneter Soldaten, die zu Ihnen in die Gefangenschaft geraten sind, unterstützt und sanktioniert. Ist das richtig?
[697] KEITEL: Ich habe die beiden Erlasse unterzeichnet und trage damit die Verantwortung im Rahmen meiner Dienststellung, und die übernehme ich auch.
GENERAL RUDENKO: Das ist klar. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen noch eine Frage stellen. Da Sie vor dem Gerichtshof wiederholt von Soldatenpflichten gesprochen haben, möchte ich Sie fragen, ob der Begriff »Soldatenpflicht« und »Offiziersehre« mit der Herausgabe solcher Befehle über die Vergeltung an friedlichen Zivilisten und Kriegsgefangenen in Einklang gebracht werden kann?
KEITEL: Insofern ja, als es Repressalien in den Monaten August und September betrifft, nach dem, was deutschen Kriegsgefangenen geschehen ist, auf den Schlachtfeldern, die wir dort gefunden haben und in Lemberg, wo wir sie zu Hunderten ermordet vorfanden...
GENERAL RUDENKO: Angeklagter Keitel, Sie wollen wieder denselben Weg einschlagen, den Sie hier schon eingeschlagen haben, das heißt, die Geschichten von dem angeblich stattgefundenen Blutbad deutscher Kriegsgefangener aufwärmen. Aber ich habe hier gestern mit Ihnen festgestellt, daß schon im Mai 1941, also vor Beginn des Krieges, Sie den Befehl über die Ermordung von politischen und militärischen Angehörigen der Roten Armee unterzeichnet haben. Ich habe einige...
KEITEL: Ja, die Befehle vor dem Kriege habe ich auch unterzeichnet. Sie haben nicht das Wort »Ermordung« enthalten.
GENERAL RUDENKO: Ich habe keine Absicht zu streiten, denn das hieße gegen die Dokumente streiten, und die sprechen für sich selbst.
Ich habe noch ein paar letzte Fragen an Sie zu stellen: Sie haben dem Gerichtshof erklärt, daß die deutschen Generale die Befehle Hitlers nur blindlings ausführten?
KEITEL: Ich habe erklärt, daß ich nicht weiß, ob und welche Generale Widerspruch erhoben haben, und daß es in meiner Gegenwart nicht geschehen war, als die Grundlagen des Weltanschauungskrieges von Hitler proklamiert und befohlen wurden.
GENERAL RUDENKO: Und ist es Ihnen bekannt, daß die Generale aus eigener Initiative Befehle über Grausamkeiten und Verletzung von Gesetzen und Kriegsbräuchen herausgaben, und daß diese Befehle von Hitler gebilligt wurden?
KEITEL: Daß hohe Dienststellen des Heeres, zum Beispiel in Bezug auf Gerichtsbarkeit, den Erlaß vom März und sonstige Maßnahmen, abändernde, mildernde und zum Teil aufhebende Befehle gegeben haben, weiß ich, weil sie auch mit mir darüber gesprochen haben.
[698] GENERAL RUDENKO: Sie haben mich nicht verstanden. Ich fragte nicht nach Milderungen. Ich fragte, ob die Generale selbst aus eigener Initiative Befehle, die die Gesetze und die Kriegsbräuche verletzten, herausgaben?
KEITEL: Das ist mir nicht bekannt. Ich weiß nicht, um welche Befehle es sich handelt, Herr General. Ich kann im Augenblick nicht sagen, daß ich das weiß.
GENERAL RUDENKO: Ich will nur auf einen Befehl Bezug nehmen, und zwar auf den Befehl des Generalfeldmarschalls von Reichenau, das Verhalten der Truppen im Osten betreffend.
Herr Vorsitzender, dieses Dokument ist von der Sowjetischen Anklagebehörde unter USSR-12 dem Gerichtshof vorgelegt worden. Die Stellen, auf die ich mich beziehe, sind in diesem Dokument unterstrichen. Aus diesem Befehl über »Das Verhalten der Truppen im Ostraum« werde ich nur ein Zitat verlesen:
»Das Verpflegen von Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen... ist eine... mißverstandene Menschlichkeit...«
KEITEL: Ich kenne den Befehl. Er ist mir hier in der Voruntersuchung vorgelegt worden.
GENERAL RUDENKO: Dieser Befehl ist auf Veranlassung von Generalfeldmarschall von Reichenau herausgegeben, von Hitler gebilligt und als ein Beispiel an alle Kommandierenden an alle Fronten geschickt worden.
KEITEL: Das habe ich hier erst erfahren, das wußte ich nicht. Den Befehl habe ich meines Wissens auch nicht gelesen.
GENERAL RUDENKO: Selbstverständlich hatten bei Ihnen solche Befehle wenig Bedeutung, denn wie sollte auch das Schicksal der Sowjetbürger oder Kriegsgefangenen den Leiter des OKW interessieren? Ihr Leben war ja nichts wert.
KEITEL: Ich hatte mit den kommandierenden Befehlshabern der Front keine Berührung und keinen dienstlichen Verkehr. Den hatte nur der Oberbefehlshaber des Heeres.
GENERAL RUDENKO: Nun komme ich zum Ende des Kreuzverhörs. Sie haben hier in Ihren Aussagen vor dem Gerichtshof – und vor Ihnen haben es Ihre Komplicen, die Angeklagten Göring und Ribbentrop getan - oft vom Versailler Vertrag gesprochen. Ich frage Sie, gehörten Wien, Prag, Belgrad, die Krim vor dem Versailler Vertrag zu Deutschland?
KEITEL: Nein.
GENERAL RUDENKO: Sie haben hier erklärt, daß Ihnen im Jahre 1944, nachdem das Gesetz abgeändert worden war, vorgeschlagen wurde, Mitglied der Nazi-Partei zu werden. Sie haben [699] dieses Anerbieten angenommen, haben der Partei die nötigen Personalangaben gemacht und den Mitgliedsbeitrag gezahlt. Sagen Sie, als Sie der Aufforderung, in die Nazi-Partei einzutreten, Folge leisteten, soll man denn das nicht als eine Billigung Ihrerseits der Ziele, des Programms und der Methoden der Partei ansehen?
KEITEL: Ich habe die Aufforderung, meine Personalien zu geben, nachdem ich bereits drei oder vier Jahre Träger des Goldenen war, nur für eine Registrierung gehalten und die Aufforderung befolgt, einen Beitrag an die Partei zu leisten. Beides habe ich getan, und beides habe ich zugegeben.
GENERAL RUDENKO: Das heißt, bis zu dieser formellen Aufforderung haben Sie sich im Grunde schon als Nazi betrachtet?
KEITEL: Ich habe mich immer als ein Soldat betrachtet und nicht als politischer Soldat und nicht als Politiker.
GENERAL RUDENKO: Müßte man denn nicht nach allem, was hier gesagt worden ist, annehmen, daß Sie ein Hitler-General, und zwar nicht aus Pflicht, sondern aus Überzeugung waren?
KEITEL: Ich habe hier ausgesagt, daß ich ein loyaler und gehorsamer Soldat meines Führers war, und ich glaube nicht, daß es Generale in Rußland gibt, die nicht dem Marschall Stalin bedingungslos gehorchen.
GENERAL RUDENKO: Ich habe keine weiteren Fragen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter, erinnern Sie sich, daß Sie am 2. Oktober 1945 einen Brief an Oberst Amen geschrieben haben, in dem Sie Ihre Lage auseinandersetzten? Das war nach Ihrem Verhör. Sie haben diesen Brief in Ihrer freien Zeit geschrieben und legten darin Ihren Standpunkt dar. Erinnern Sie sich daran?
KEITEL: Ja, ich glaube, daß ich einen Brief geschrieben habe. An den Inhalt kann ich mich aber im Augenblick nicht mehr erinnern. Er bezog sich aber auf die Verhöre.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
KEITEL: Und es war, glaube ich, eine Bitte darin, mir mehr Gelegenheit zu geben, über die Dinge nachzudenken, da ich durch die Überraschung der mir vorgehaltenen Fragen mich oft zunächst nicht zu erinnern wußte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie an eine Stelle erinnern und Sie fragen, ob es Ihren Standpunkt richtig darlegt:
»Wenn ich diese undankbaren und schwierigen Aufgaben ausführte, mußte ich meine Pflicht tun unter den schwierigsten Kriegsverhältnissen, und oft handelte ich gegen meine innere Stimme und oft gegen meine eigene Meinung. Es war ein [700] vollständiges Selbstverleugnen, um den wichtigen Aufgaben nachzukommen, die mein unmittelbarer Vorgesetzter Hitler mir aufgab.«
Erinnern Sie sich an diese Stelle?
KEITEL: Jawohl.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof sagen, was Ihrer Ansicht nach das Schlimmste war, als Sie so oft gegen Ihre innere Stimme handeln mußten. Nennen Sie uns einige der schlimmsten Fälle, als Sie gegen Ihre innere Stimme gehandelt haben.
KEITEL: In solche Lagen bin ich wohl recht häufig gekommen. Aber die entscheidenden Fragen, in denen meine innere Stimme und meine innere Überzeugung stark belastet wurde, waren die, die sich gegen meine über 37 Jahre lange Erziehung als deutscher Offizier gerichtet haben. Das war die Grundeinstellung meiner Person, die getroffen wurde.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte, daß Sie es sagen, Angeklagter. Können Sie dem Gerichtshof die drei schlimmsten Dinge nennen, die Sie gegen Ihre innere Stimme tun mußten? Welches waren Ihrer Meinung nach die drei schlimmsten Dinge, die Sie tun mußten?
KEITEL: Vielleicht, von rückwärts angefangen, die Anordnungen, die gegeben waren für die Kriegführung im Osten, soweit sie den Gebräuchen der Kriegführung widersprachen. Ferner die Dinge, die auch die Englische Delegation insbesondere berühren, die Frage der fünfzig Royal Air Force-Offiziere; die Frage, die mich außerordentlich belastet hat, die Frage der Terrorflieger; aber wohl an der Spitze stehend der Nacht-und-Nebel-Erlaß in seiner tatsächlichen und später eingetretenen, mir unbekannten Auswirkung: Das waren wohl die schwersten Kämpfe, die ich mit mir durchgemacht habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir werden die Nacht-und-Nebel-Verordnungen vornehmen.
Euer Lordschaft! Dieses Dokument und viele andere, auf die ich mich beziehen werde, sind im englischen Dokumentenbuch 7, Wilhelm Keitel und Alfred Jodl, auf Seite 279 enthalten. Es ist L-90, Beweisstück US-503.
[Zum Zeugen gewandt:]
Angeklagter, ich werde Ihnen das deutsche Dokumentenbuch vorlegen lassen. Seite 279 im britischen Dokumentenbuch und Seite 289...
KEITEL: Nummer 731?
[701] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist Seite 289. Ich weiß nicht, in welchem Band, Teil 2, glaube ich. Sie werden den Zweck dieses Erlasses sehen, und zwar einige Zeilen vom Anfang an, wo gesagt wird, daß in allen anderen Fällen, wo die Todesstrafe nicht ausgesprochen und innerhalb acht Tagen vollstreckt worden ist,
»... sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Strafsachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Maßnahmen liegt: a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten, b) darin, daß über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.«
Beide Absichten, werden Sie wohl zugeben, waren äußerst grausam und brutal, nicht wahr?
KEITEL: Ich habe damals und gestern auch schon ausgesagt, daß ich persönlich der Ansicht war, daß die heimliche Abtransportierung für mein Gefühl außerordentlich viel grausamer war, als ein Todesurteil im Einzelfalle. Das habe ich...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Schlagen Sie Seite 281 – bei Ihnen 291 auf. 281 im englischen Text.
KEITEL: Ja, ich habe es.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen, daß das Ihr Begleitschreiben ist:
»Der Führer ist der Ansicht:« – Zeile 4 – »Bei solchen Taten werden Freiheitsstrafen, auch lebenslängliche Zuchthausstrafen, als Zeichen von Schwäche gewertet. Eine wirksame und nachhaltige Abschreckung ist nur durch Todesstrafen oder durch Maßnahmen zu erreichen, die die Angehörigen und die Bevölkerung über das Schicksal des Täters im Ungewissen halten.«
Sie werden zugeben, daß auch hier wieder die Sätze des Führers, die Sie hier übermitteln, grausam und brutal waren, nicht wahr?
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, was ich...
KEITEL: Ich darf da noch etwas hinzufügen...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich. So kurz wie möglich, bitte.
KEITEL: Ich habe gestern eine Erklärung auch hierzu gegeben und insbesondere hingewiesen auf die Worte: »Es ist der lang erwogene Wille des Führers«, womit ich auch den diesen Befehl empfangenden Generalen sagen wollte, was da zwischen den Zeilen zu verstehen ist.
[702] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber Sie wissen doch, Angeklagter, daß dies keineswegs das Ende dieser Reihe von Erlassen war, nicht wahr? Dieser Erlaß war, trotz seiner Grausamkeit und Brutalität, hinsichtlich der Erfüllung seines Zweckes erfolglos, nicht wahr? Dieser Erlaß, der Nacht-und-Nebel-Erlaß, war hinsichtlich der Erfüllung seines Zweckes, in dieser Form, erfolglos. Er hat das nicht verhindert, was verhindert werden sollte. Ist das richtig?
KEITEL: Nein, es hat nicht aufgehört.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: So daß Sie 1944 einen noch grausameren Erlaß herausgeben mußten. Sehen Sie sich bitte Dokument D-762 an. Euer Lordschaft! Das wird als GB-298 eingereicht werden.
[Zum Zeugen gewandt:]
Dort steht:
»Die ständig zunehmenden Terror- und Sabotageakte in den besetzten Gebieten, die mehr und mehr von einheitlich geführten Banden begangen werden, zwingen zu schärfsten Gegenmaßnahmen, die der Härte des uns aufgezwungenen Krieges entsprechen. Wer uns im entscheidenden Stadium unseres Daseinskampfes in den Rücken fällt, verdient keine Rücksicht.
Ich befehle daher:
I. Alle Gewalttaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten gegen die Deutsche Wehrmacht, SS und Polizei und gegen Einrichtungen, die deren Zwecken dienen, sind als Terror- und Sabotageakte folgendermaßen zu bekämpfen:
›1. Die Truppe,‹ – SS und so weiter – ›haben Terroristen und Saboteure... sofort an Ort und Stelle niederzukämpfen.
2. Wer später ergriffen wird, ist der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.
3. Mitläufer, besonders Frauen, die nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnehmen, sind zur Arbeit einzusetzen. Kinder sind zu schonen‹.«
Sehen Sie sich jetzt Abschnitt II an:
»Die erforderlichen Durchführungsbestimmungen erläßt der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Er ist zu Änderungen und Ergänzungen befugt, soweit ein Bedürfnis der Kriegsführung es gebietet.«
Hielten Sie dies für eine grausame und strenge Verordnung oder nicht?
KEITEL: Ja, das glaube ich. Ich darf aber kurz ein Wort berichtigen, es ist wohl falsch bei mir durchgekommen, es lautet:
[703] »Frauen sind zur Arbeit einzusetzen. Kinder sind zu schonen«, heißt es in dem Original, das ich hier vor mir habe.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe auch »schonen« gesagt. »Schonen« heißt, daß Kinder nicht auf diese Weise behandelt werden sollten. Ich habe das ausdrücklich erwähnt.
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Sie hatten die Befugnis zu Änderungen und Ergänzungen. Haben Sie durch Änderungen und Ergänzungen in irgendeiner Weise versucht, diesen Befehl zu mildern?
KEITEL: Ich erinnere mich nicht, daß ich irgendwelche zusätzlichen Milderungen herausgegeben habe. Ich darf auch sagen, daß ich niemals etwas herausgegeben hätte, ohne es vorher dem Führer vorzulegen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Lassen Sie uns mal sehen, was Sie herausgegeben haben. Sehen Sie sich Dokument D-764 an. Es ist GB-299.
Das ist Ihr Durchführungserlaß, gegengezeichnet, glaube ich, von dem Oberfeldrichter, und er enthält Ihren auf dieser Verordnung beruhenden Befehl. Wollen Sie sich bitte Absatz 4 und 5 ansehen?
»4. Laufende gerichtliche Verfahren wegen aller Terror- und Sabotageakte und aller sonstigen Straftaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht gefährden, sind auszusetzen. Anklagen sind zurückzunehmen. Die Vollstreckung ist nicht mehr anzuordnen. Die Täter sind mit den Vorgängen der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben. Für bereits rechtskräftige Todesurteile bleibt es bei den bisher geltenden Bestimmungen.
5. Straftaten, die deutsche Interessen zwar berühren, aber die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht nicht gefährden, rechtfertigen nicht, die Gerichtsbarkeit gegen nichtdeutsche Zivilpersonen in den besetzten Gebieten beizubehalten. Ich ermächtige die Befehlshaber der besetzten Gebiete, im Einvernehmen mit dem höheren SS- und Polizeiführer eine andere Regelung zu treffen.«
Und dann fordern Sie, in erster Linie eine Übergabe dieser Leute zur Zwangsarbeit an den SD in Betracht zu ziehen.
Das war ganz bestimmt keine Abschwächung des Befehls, nicht wahr? Sie haben ihn nicht gemildert?
KEITEL: Es kommen hier noch ein paar Sätze dazu. Das ist aus den täglichen Erörterungen dieser Dinge dann entstanden und von [704] mir später behandelt im Sinne des ersten Erlasses. Ich machte entsprechende Erläuterungen, und die habe ich unterschrieben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, das nannten Sie Terror und Sabotage. Wollen wir uns einmal ansehen, was mit den Leuten geschah, die sich geringerer Vergehen als Terror und Sabotage schuldig gemacht haben. Sehen Sie sich Dokument D-763 an. Das ist GB-300. »Nichtdeutsche Zivilpersonen.«
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:
»Nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht in anderer Weise als durch Terror- und Sabotageakte gefährden, sind dem SD zu übergeben. Auch für sie gilt Abschnitt I, Nummer 3 des Führerbefehls.«
Das ist der Teil des Führerbefehls, in dem es heißt, daß Frauen zur Arbeit herangezogen und Kinder verschont werden sollen.
Sie wußten doch ganz genau, was mit denjenigen geschehen würde, die dem SD ausgeliefert wurden. Sie wurden aller Wahrscheinlichkeit nach getötet, bestimmt aber in ein KZ gesteckt. Nicht wahr?
KEITEL: Das war mir eigentlich in dem Sinne nicht klar, sondern es lautete immer »zum Arbeitseinsatz«. Aber aus den mir hier bekanntgewordenen Dingen ist offenbar das Ende häufig das KZ gewesen. Uns und mir gegenüber wurde es immer als ein »Arbeitslager« gekennzeichnet. Die Bezeichnung war »Arbeitslager der Geheimen Staatspolizei«.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, aber das war im August 1944. Sie werden zugeben, daß dies eine sehr harte Maßnahme gegen Leute ist, die sich eines geringeren Vergehens als der Sabotage und des Terrors schuldig gemacht haben, meinen Sie nicht auch?
KEITEL: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, lassen Sie uns...
KEITEL: Über die Ursache und die Entstehung, glaube ich, wünschen Sie nicht, daß ich hier spreche, sonst könnte ich Erklärungen abgeben, aber ich werde nur die Frage beantworten. Die Antwort ist: Ja, es war eine sehr harte Maßnahme. Die Erklärung, wenn ich sie in kurzen Worten geben darf, ist die, daß ja bekanntlich bei den täglichen und stundenlangen Vorträgen über die Lage und die Vorkommnisse in allen besetzten Gebieten mir vom Führer Befehle und Anweisungen gegeben wurden, die dann in solcher Form ihren Niederschlag fanden, wie in diesem Dokument; und wie ich in solchen [705] Dingen mich mit ihm verständigt und wie ich gearbeitet habe, habe ich, glaube ich, hier schon eingehend vorgetragen, indem ich grundsätzlich nie etwas herausgegeben und nichts unterschrieben habe, was seinem grundsätzlichen Willen nicht entsprach.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war für Ihre Begriffe nur drei Wochen lang hart genug, nicht wahr, denn am 4. September, kaum drei Wochen später, haben Sie einen weiteren Befehl herausgegeben: Dokument D-766, GB-301. Dieser Befehl wurde, wie daraus hervorgeht, in Übereinstimmung mit Himmler, Kaltenbrunner, dem Reichsjustizminister und Dr. Lammers herausgegeben. Sehen Sie sich einmal Ziffer I an:
»Nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die wegen einer Straftat gegen die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht von einem deutschen Gericht rechtskräftig verurteilt worden sind und sich in den besetzten Gebieten oder im Heimatkriegsgebiet in Strafhaft (Verwahrung) befinden, sind mit den Vorgängen der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben. Ausgenommen sind rechtskräftig zum Tode Verurteilte, bei denen die Vollstreckung der Strafe angeordnet ist.
II. Verurteilte, die nach den Richtlinien des Führers für die Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungsmacht in den besetzten Gebieten... keinen Verkehr mit der Außenwelt haben dürfen, sind besonders zu kennzeichnen.«
Hatten Sie eine Ahnung, wieviele Menschen durch diesen Befehl betroffen wurden?
KEITEL: Nein, ich kann darüber nichts sagen. Ich weiß nur, daß es durch die laufende Verschärfung der Lage in den besetzten Gebieten, mangels der Möglichkeit, durch Truppen die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, nötig gewesen ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Darf ich Sie daran erinnern, daß Sie in dieser Angelegenheit eine Konferenz einberiefen. Das geht aus Dokument D-765 hervor, und der Bericht über diese Konferenz, den ich Ihnen auch zeigen werde, ist D-767. Sie brauchen sich nicht um D-765 zu kümmern, es besagt nur, daß eine Konferenz stattfinden wird. Aber D-767 – das wird Beweisstück GB-303 – enthält einen Bericht über diese Konferenz.
Der zweite Absatz lautet:
»Laut Schreiben des Reichsführers-SS« – Himmler – »handelt es sich um rund 24000 in Haft und Untersuchungshaft befindliche nichtdeutsche Zivilpersonen, deren schnellste Übergabe an den SD er fordert.« Hören Sie dies an: »Die im Laufe der Besprechung aufgetauchte Frage, wodurch diese[706] Übergabe an den SD in dem jetzigen Zeitpunkt notwendig geworden sei, wo doch nicht unerhebliche Verwaltungsarbeit damit verbunden sei, blieb dahingestellt.«
Können Sie mir jetzt darauf antworten, weshalb diese 24000 verurteilten Leute der Gnade des SD ausgeliefert werden sollten?
KEITEL: Ich darf diesen Vermerk lesen, ich kenne ihn nicht. Ich bitte ihn jetzt noch lesen zu dürfen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich, bitte. Sie werden sehen, daß ich Sie nicht mit dem Ganzen belästigt habe, aber daraus geht hervor, was ich Ihnen bereits vorgehalten habe, daß die Nacht-und-Nebel-Erlasse angesichts dieses Terror- und Sabotagebefehls überflüssig geworden waren, und daß die Rechtsabteilung der Wehrmacht diese Sachen zur Diskussion vorgelegt hat.
Können Sie uns eine Antwort geben, weshalb diese 24000 unglücklichen verurteilten Personen der Gnade des SD ausgeliefert werden sollten?
KEITEL: Ich muß sagen, daß mich der ganze Vorfall überrascht und daß ich den Besprechungen auch nicht beigewohnt habe und daß ich auch diesen Vermerk offenbar nicht gelesen habe, weil ich grundsätzlich auf jedes Dokument, das mir vorgelegt wurde, mein Namenszeichen, mein Signum, gesetzt habe. Ich weiß nichts von den Zahlen, ich sehe diese zum erstenmal, ich weiß und erinnere mich nicht, es müßte denn sein, daß ich noch einen Befehl dazu...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen etwas geben, das Sie wohl gelesen haben.
KEITEL: Bezüglich der Tatsache, über welche Sie fragen, die muß ich bejahen. Ich kenne die Zahl nicht, nur die Tatsache.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie können meine Frage nicht beantworten, Sie können keinen Grund angeben, weshalb die Wehrmacht und andere Dienststellen diese 24000 Leute, die schon von ordentlichen Gerichten verurteilt worden waren, dem SD übergaben? Sie können uns dafür keinen Grund angeben?
KEITEL: Nein, ich will so sagen, bis zu einem gewissen Grade schon. »SD« ist hier, glaube ich, mißverständlich. Ich denke Polizeigewahrsam, so war es gedacht, was nicht gleichbedeutend ist.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bestimmt nicht.
KEITEL: Ob es das gleiche gewesen wäre, weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben doch diesem Prozeß lange genug beigewohnt, um wissen zu müssen, daß Auslieferung an den SD nicht Polizeigewahrsam bedeutet. Das bedeutet Konzentrationslager und gewöhnlich Gaskammer, nicht wahr? Das bedeutete es in Wirklichkeit, ob es Ihnen bekannt ist oder nicht.
[707] KEITEL: Ich habe es nicht gewußt, aber offensichtlich ist das Ende ein KZ gewesen. Ich halte es für möglich, ich kann jedenfalls nicht sagen, daß es nicht gewesen wäre.
VORSITZENDER: Sir David, der vorletzte Absatz bezieht sich auf das OKW.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, dazu komme ich gerade.
[Zum Zeugen gewandt:]
Angeklagter, sehen Sie; zweiter Absatz nach demjenigen, den ich Ihnen schon vorgehalten habe, lautet:
»Da OKW auf Aburteilung der für die Militärgerichte noch übrigbleibenden Bagatellsachen keinen großen Wert legt, ist deren Erledigung durch Erlaß der örtlichen Vereinbarung überlassen worden.«
Es ist ganz klar, daß Ihre Abteilung sehr reges Interesse an dieser Geschichte hatte, nicht wahr, Angeklagter?
KEITEL: Was damit gemeint war, weiß ich nicht, aber es ist offenbar in der Besprechung zum Ausdruck gekommen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ehe ich Ihnen das nächste Dokument vorlege, möchte ich, daß Sie sich darüber im klaren sind, was wir durchgenommen haben. Wir haben mit dem Nacht-und-Nebel-Erlaß begonnen. Dieser verschwand. Wir gingen dann zum Terror- und Sabotagebefehl über, dann zu Aktionen, die weniger waren als Terror und Sabotage, die aber auf Grund der Gesetze der Besatzungsmacht kriminell waren.
Und nun möchte ich Sie bitten, daß Sie sich ansehen, was mit den Leuten geschah, die sich einfach weigerten, zu arbeiten. Wollen Sie bitte D-769 ansehen, das ist Beweisstück GB-304. Es ist ein Telegramm des Generals der Flieger Christiansen, in den Niederlanden, des Kommandeurs der Luftwaffe in den Niederlanden, es kommt von seinem Stabschef. Hören Sie bitte zu:
»Infolge Eisenbahnerstreik gesamter Verkehr in Holland stillgelegt. Eisenbahnpersonal leistet Aufforderung zu Wiederaufnahme der Arbeit keine Folge. Die Aufforderung von Gestellung von Kfz und sonstiger Beförderungsmittel zur Beweglichmachung der Truppe und Aufrechterhaltung der Versorgung wird von der Zivilbevölkerung nicht mehr befolgt. Gemäß Führerbefehl vom 18. 8. 1944« – das ist der Terror- und Sabotageerlaß, den Sie schon gesehen haben – »und den dazu ergangenen Durchführungsbestimmungen Chef OKW...« – die haben wir auch schon gesehen – »kann die Truppe lediglich gegen solche Personen mit Waffengewalt vorgehen, die als Terroristen oder Saboteure Gewalttaten begehen, [708] während Personen, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht in anderer Weise als durch Terror- und Sabotageakte gefährden, dem SD zu übergeben sind.«
Dann erklärt General Christiansen weiter:
»Diese Regelung hat sich als zu umständlich und damit als unwirksam erwiesen. Es fehlt vor allem an den nötigen Polizeikräften. Truppe muß wieder die Befugnis erhalten, daß sie auch Personen, die keine Terroristen oder Saboteure im Sinne des Führerbefehls sind, aber durch passives Verhalten die kämpfende Truppe gefährden, standgerichtlich oder auch ohne standgerichtliches Verfahren erschießen kann. Es wird beantragt, den Führerbefehl entsprechend abzuändern, da sonst Truppe sich nicht gegenüber der Bevölkerung wirksam durchsetzen kann, wodurch wiederum die Kampfführung gefährdet erscheint.«
Nun, Angeklagter, Sie werden zugeben, daß mit oder ohne Verfahren das Erschießen von Eisenbahnern, die nicht arbeiten wollten, eine Maßnahme ist, wie sie brutaler und grausamer nicht erdacht werden kann, geben Sie das zu?
KEITEL: Das ist eine grausame Maßnahme, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Was war Ihre Antwort auf diese Grausamkeiten?
KEITEL: Ich kann es nicht mehr sagen, ich erinnere mich an den Vorgang überhaupt nicht, aber vielleicht liegt da eine Antwort vor.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich Dokument D-770 an, ich glaube, das ist Ihre Antwort; es ist GB-305. Sie werden aus dem Verteiler ersehen, daß es an den Befehlshaber der Truppen in Holland gerichtet ist, und weiter an die Leute auf dem Verteiler, den Sie gerade gesehen haben. Es heißt da:
»Nach dem Führerbefehl vom 30. 7. 1944 verdienen nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die uns im entscheidenden Stadium unseres Daseinskampfes in den Rücken fallen, keine Rücksicht. Das muß als Richtlinie gelten für die Auslegung und Anwendung des Führererlasses selbst und des Durchführungserlasses Chef OKW vom 18. 8. 1944.
Ist die Abgabe an den SD wegen der Kriegslage und der Verkehrsverhältnisse nicht möglich, sind rücksichtslos andere wirksame Maßnahmen selbständig zu ergreifen. Gegen die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen im standgerichtlichen Verfahren bestehen unter solchen Verhältnissen selbstverständlich....« – und ich bitte Sie, das Wort »selbstverständlich« zu beachten – »keine Bedenken.«
Ich kann mich nicht erinnern, Angeklagter, ob Sie selbst jemals einen unabhängigen Befehlsbereich gehabt haben oder nicht. Wie [709] steht es damit? Sind Sie, von Ihrer Division abgesehen, jemals unabhängiger Befehlshaber gewesen? Unabhängiger Befehlshaber waren Sie wohl zuletzt bei Ihrer Division. Sonst sind Sie es wohl nie gewesen, nicht wahr?
Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?
KEITEL: Das habe ich nicht verstanden, was meinen Sie da mit »unabhängig«?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich meine, wenn ich mich recht erinnere, waren Sie selbst nicht Oberbefehlshaber einer Armee oder einer Armeegruppe oder irgendeines Gebietes.
KEITEL: Nein, das war ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Versetzen Sie sich in die Lage von General Christiansen. Ihre Antwort war eine direkte Aufforderung, praktisch ein Befehl, diese Eisenbahner ohne Verfahren zu erschießen, nicht wahr? »Andere wirksame Maßnahmen rücksichtslos und unabhängig zu ergreifen.«
KEITEL: Aber erklärt in der Form standgerichtlicher Verfahren, also nicht die Willkür des einzelnen, sondern standgerichtliche Gerichtsbarkeit war dafür vorgesehen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich mal an, wie das formuliert ist, Angeklagter. Ich behaupte, daß es ganz klar ist. In einem Satz heißt es: »Ist die Abgabe an den SD wegen der Kriegslage und der Verkehrsverhältnisse nicht möglich, sind rücksichtslos andere wirksame Maßnahmen zu ergreifen.« Der zweite Satz: »Es gibt natürlich....«. Sehen Sie sich das Wort »natürlich« an. Ich vermute, daß es »natürlich« war im Deutschen. Stimmt das?
KEITEL: Ich habe nicht das Wort »natürlich« hier. Soweit ich sehen kann, sind zwei Worte eingefügt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber es steht dort: »Es sind natürlich keine Einwände gegen Todesurteile«, und das, was Sie sagen, ist selbstverständlich, daß keine Einwände gegen ein Standgericht gemacht werden; aber dazu sagen Sie ihm, daß er wirksame Maßnahmen rücksichtslos und unabhängig ergreifen soll. Wenn General Christiansen, nachdem er diesen Brief von Ihnen empfangen hatte, diese Eisenbahner auf der Stelle erschossen hätte, dann könnten weder Sie noch ein anderer Vorgesetzter ihn dafür getadelt haben. Ist das nicht wahr?
KEITEL: Er war nach dem letzten Satz verpflichtet, die standgerichtlichen Verfahren durchzuführen, denn es heißt »gegen die Verhängung von Todesurteilen im standgerichtlichen Verfahren bestehen unter diesen Verhältnissen keine Bedenken«. Das war meine Ansicht.
[710] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber was meinten Sie mit »rücksichtslos andere wirksame Maßnahmen selbständig zu ergreifen«? Was meinten Sie damit, wenn das nur ein gewöhnliches standgerichtliches Verfahren war?
KEITEL: Nein, nicht »außer«, sondern durch standgerichtliches Verfahren. Das erklärt der letzte Satz, so war es gemeint, denn das ist auch schon außergewöhnlich, wenn man ein Standgericht in solchen Fällen einsetzt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber selbst von Ihrem Standpunkt aus, ein militärisches Standgericht einzusetzen, um Eisenbahner zu erschießen, die lediglich nicht arbeiten wollten, das ist doch selbst für Sie ziemlich weitgehend, nicht wahr? Das geht ziemlich weit, nicht wahr?
KEITEL: Es war eine sehr harte Maßnahme, ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie, als Sie alle diese Zusätze machten... Ich habe Ihnen eine ganze Kette von Ergänzungen vorgelegt, die Sie zu dem Befehl machten, der den von Ihnen mißbilligten Nacht-und-Nebel-Erlaß ersetzt. Wollen Sie sagen, daß Sie mit jeder Ihrer Durchführungsbestimmungen und Antworten zu Hitler gegangen sind?
KEITEL: Ja. Ich bin bei jedem dieser Befehle zu ihm gegangen. Das muß ich betonen, ich habe keinen dieser Befehle herausgegeben, ohne ihn vorher vorgelegt zu haben, das muß ich ausdrücklich festlegen, daß es so war.
DR. NELTE: Herr Vorsitzender, ich glaube, es ist in der Übersetzung ein Mißverständnis entstanden. Die Übersetzung übersetzt »Standgericht« mit »Summary Court«. Ich glaube nicht, daß dieses Wort »Summary Court« das betrifft, was wir in der deutschen Sprache unter »Standgericht« verstehen. Ich weiß nicht, was man im Englischen und Amerikanischen unter »Summary Court« versteht, ich könnte mir aber denken, daß man damit eine Art summarisches Verfahren meint.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe das zum Vorteil des Angeklagten angenommen, daß das Gericht, von dem er gestern sprach, aus einem Offizier und zwei Soldaten bestand. Ich habe das angenommen. Falls ich mich irren sollte, wird der Angeklagte mich verbessern, nicht wahr, Angeklagter?
KEITEL: Ich habe gestern kurz von einem standgerichtlichen Verfahren gesprochen und das Kriterium eines Standgerichtes war, daß eine richterlich vorgebildete Persönlichkeit nicht immer zugegen sein muß, es aber erwünscht ist.
VORSITZENDER: Da Sie gerade von Übersetzungen sprechen: Der Angeklagte schien behaupten zu wollen, daß im deutschen Text [711] kein Wort steht, das mit dem englischen Wort »naturally« übersetzt worden ist. Ist das richtig?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe es nachsehen lassen und man sagt mir, daß die Übersetzung richtig ist.
VORSITZENDER: Also steht im deutschen Text ein Wort, das durch »naturally« übersetzt ist? Ich möchte das von Dr. Nelte wissen.
DR. NELTE: Man sagt mir, daß vielleicht eine falsche Einstellung oder Beurteilung dadurch hervorgerufen werden konnte, daß im englischen und amerikanischen Recht ein »Summary Court« nicht berechtigt ist, überhaupt Todesurteile auszusprechen. Man sagt mir hier, daß ein »Summary Court«...
VORSITZENDER: Entschuldigen Sie, Dr. Nelte, ich habe diese Frage nicht gestellt. Die Frage lautete, ob im deutschen Text ein Wort steht, das im Englischen mit »naturally« übersetzt worden ist. Ist das nicht eine klare Frage?
DR. NELTE: Im deutschen Text heißt es »unter solchen Verhältnissen selbstverständlich«. Es ist nicht richtig meines Erachtens, daß die Übersetzung ins Englische das Wort »naturally« gebraucht und hintenansetzt statt an den Anfang, so daß man meinen könnte, es heiße: »Es gibt natürlich keine Einwendungen«, während es im Deutschen heißt: »Gegen die Verhängung und Vollstreckung von Todesurteilen im standgerichtlichen Verfahren bestehen unter solchen Verhältnissen selbstverständlich keine Bedenken.«
VORSITZENDER: Dann ist die Antwort auf meine Frage: »Ja«. Im deutschen Text steht also doch ein Wort, das mit »naturally« übersetzt ist.
DR. NELTE: Ja, aber die Worte »naturally« und »untersuch circumstances« sind im englischen Text auseinandergerissen, während sie in der deutschen Version zusammengehören. Das »natürlich« bezieht sich auf die Worte »unter solchen Umständen«.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich komme jetzt zu einem anderen Punkt. Sie haben uns gestern gesagt, daß Sie hinsichtlich der Zwangsarbeit deswegen daran interessiert waren, weil ein Mangel an Arbeitskräften bestand, und daß Sie aus der Industrie Männer für die Wehrmacht herausnehmen mußten. Ihre Dienststelle mußte Militär einsetzen, um Leute für Zwangsarbeit zusammenzubringen?
KEITEL: Ich glaube, es ist nicht ganz richtig verstanden, sondern das Ersatzamt im Oberkommando der Wehrmacht...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn Sie es abstreiten wollen, lasse ich Ihnen das Dokument vorlegen. Ich lege Ihnen die Ansichten des Generals Warlimont vor; sehen Sie nach, ob das stimmt. Ich denke, das spart letzten Endes Zeit. Sehen Sie sich Dokument 3819-PS an, GB-306, Seite 9 des englischen Textes. Es ist der Bericht über [712] eine Versammlung in Berlin am 12. Juli 1944. Sie müssen das Dokument hinter den Briefen des Angeklagten Speer und des Angeklagten Sauckel durchsehen, den Bericht über eine Sitzung in Berlin. Ich glaube, es ist Seite 10 des deutschen Textes. Es beginnt mit einer Rede Dr. Lammers, dann kommt eine Rede des Angeklagten Sauckel, dann eine Rede des Zeugen von Steengracht, dann eine Rede von General Warlimont: »Der Vertreter des Chefs OKW, General Warlimont, nahm Bezug auf einen kürzlich ergangenen Führerbefehl«.
Haben Sie die Stelle gefunden? Ich werde sie Ihnen vorlesen, wenn Sie sie haben.
KEITEL: Ja, ich habe den Absatz gefunden: »Der Vertreter des Chefs OKW...« heißt es da.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE:
»Der Vertreter des Chefs OKW, General Warli mont, nahm Bezug auf einen kürzlich ergangenen Führerbefehl, wonach alle deutschen Kräfte sich in den Dienst der Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften zu stellen hätten. Wo die Wehrmacht stehe und nicht ausschließlich durch dringende militärische Aufgaben in Anspruch genommen sei (wie z.B. durch den Ausbau der Küstenverteidigung) stehe sie zur Verfügung, sie könne aber nicht eigens für die Zwecke des GBA. abgestellt werden.
General Warlimont machte folgende praktische Vorschläge:
a) Die zur Bandenbekämpfung eingesetzten Truppen übernehmen zusätzlich die Aufgabe der Gewinnung von Arbeitskräften in den Bandengebieten. Jeder, der nicht einwandfrei den Zweck seines Aufenthaltes in diesen Gebieten nachweisen kann, wird zwangsweise erfaßt.
b) Wenn Großstädte wegen der Schwierigkeit der Lebensmittelversorgung ganz oder teilweise evakuiert werden, wird die arbeitseinsatzfähige Bevölkerung unter Mithilfe der Wehrmacht zum Arbeitseinsatz gebracht.
c) Unter den Flüchtlingen aus frontnahen Gebieten wird die Erfassung zum Arbeitseinsatz unter Mithilfe der Wehrmacht besonders intensiv betrieben.«
Nachdem ich nun diesen Bericht von General Warlimont verlesen habe, wollen Sie immer noch sagen, daß die Wehrmacht...
KEITEL: Ich bin mir nicht bewußt, daß die Wehrmacht jemals einen Befehl sozusagen zum Zusammentreiben von Arbeitskräften bekommen hat. Ich möchte sagen, mir ist keine derartige Forderung bekannt und ich habe auch nicht irgendeine Bestätigung dafür gefunden. Die Besprechung als solche ist mir unbekannt und ebenso die Vorschläge, die Sie erwähnten. Es ist mir neu, soweit es mich betrifft.
[713] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist doch ganz klar, daß General Warlimont vorschlägt, daß die Wehrmacht Zwangsarbeiter zusammentreiben soll, nicht wahr?
KEITEL: Aber meines Wissens ist das nicht geschehen. Ich weiß nicht, daß ein Befehl dazu gegeben worden ist. Nach dem Protokoll ist es ein Vorschlag des Generals Warlimont gewesen, ja.
VORSITZENDER: Sir David, unter diesen Umständen sollten Sie vielleicht die drei Zeilen nach der Stelle, die Sie eben erwähnt haben, verlesen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, ich werde es tun, die nächste Zeile:
»Gauleiter Sauckel nahm diese Vorschläge mit Dank an und äußerte die Erwartung, daß damit schon gewisse Erfolge erzielt werden könnten.«
KEITEL: Darf ich auch dazu noch etwas sagen? Ich möchte bitten, daß zu gegebener Zeit der Gauleiter Sauckel gefragt wird, ob und in welchem Umfange tatsächlich Truppen der Wehrmacht in diesen Dingen mitgewirkt haben. Mir ist es nicht bekannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kein Zweifel; der Angeklagte Sauckel wird zu gegebener Zeit noch über eine Reihe von Fragen verhört werden. Im Augenblick frage ich Sie: Sie sagen, Sie wissen nichts darüber?
KEITEL: Nein, ich erinnere mich nicht, daß in dieser Frage ein Befehl gegeben worden ist; daß Erörterungen stattgefunden haben, schließe ich aus den Ausführungen von Warlimont.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte jetzt an Sie einige Fragen richten über die Ermordung verschiedener Kriegsgefangener. Ich möchte das ganz klar haben. Wollten Sie gestern den Befehl zur Erschießung von Kommandos vom 18. Oktober 1942 rechtfertigen? Wollten Sie damit sagen, daß das richtig und gerechtfertigt war, oder nicht?
KEITEL: Ich habe gestern ausgeführt, daß weder der General Jodl noch ich dachten, daß wir in der Lage wären oder es für möglich hielten, einen schriftlichen Befehl dafür zu entwerfen oder vorzulegen. Wir haben das nicht getan, weil wir es nicht rechtfertigen und nicht begründen konnten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Die nächste Frage, die ich Ihnen vorlege, ist folgende: Haben Sie den Befehl, daß Kommandos erschossen werden sollten, gebilligt und für richtig gehalten?
KEITEL: Ich habe nicht mehr widersprochen, einmal aus Gründen der Androhung der Bestrafungen und zweitens, weil ich den Befehl nicht mehr hätte abändern können ohne persönliche Befehle von Hitler.
[714] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie diesen Befehl für richtig gehalten?
KEITEL: Ich habe ihn nach meiner inneren Auffassung nicht für richtig gehalten, aber nachdem er gegeben war, habe ich nicht widersprochen und nicht in irgendeiner Weise dagegen Stellung genommen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie wissen, daß in Ihren eigenen Befehlen Bestimmungen über den Einsatz von Fallschirmspringern zu Sabotagezwecken getroffen waren, nicht wahr? Ihre eigenen Befehle enthielten diese Bestimmung über den Einsatz von Fallschirmspringern für Sabotagezwecke. Erinnern Sie sich nicht an, den Fall »Grün« gegen die Tschechoslowakei? Ich will es Ihnen vorlegen, wenn Sie wünschen, aber ich würde vorziehen, daß Sie versuchen, sich selbst daran zu erinnern. Erinnern Sie sich nicht an Ihre eigenen Befehle, die eine Anweisung darüber enthielten, daß Fallschirmspringer zu Sabotagezwecken in der Tschechoslowakei eingesetzt werden sollten?
KEITEL: Nein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein?
KEITEL: Nein, an den Befehl erinnere ich mich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde es Ihnen zeigen.
Euer Lordschaft, es ist Seite 21 und 22 des Dokumentenbuches.
KEITEL: Welches Dokumentenbuch, bitte?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Es sollte in Ihrem ersten Dokumentenbuch sein, ganz am Anfang. Es ist ein Teil des Falles »Grün« und zwar Dokument 388-PS; es ist Punkt 11. Es muß ungefähr Seite 15 oder 16 oder 20 sein. Sie erinnern sich an das Schmundt-Protokoll, es ist in einzelne Punkte unterteilt.
Hoher Gerichtshof, es steht unten auf Seite 21.
[Zum Zeugen gewandt:]
»Für den Erfolg wird die Zusammenarbeit mit der sudetendeutschen Grenzbevölkerung, Überläufern aus der tschechoslowakischen Armee, Fallschirmabspringern oder Luftlandetruppen und den Organen des Sabotagedienstes von Bedeutung sein.«
KEITEL: Darf ich den Absatz lesen, den, glaube ich, der gemeint ist?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, die Überschrift ist »Aufträge für die Wehrmachtteile.«
KEITEL: Aufträge für die Wehrmachtteile A. Da heißt es:
»Für den Erfolg wird die Zusammenarbeit mit der sudetendeutschen Grenzbevölkerung, Überläufern aus der [715] tschechoslowakischen Armee, Fallschirmabspringern oder Luftlandetruppen und den Organen des Sabotagedienstes von Bedeutung sein.«
Diese Fallschirmabspringer und Luftlandetruppen sollten tatsächlich an den Grenzbefestigungen eingesetzt werden, wie ich gestern schon ausführte, weil nach der Auffassung des Heeres die Artilleriemittel nicht genügten, um sie artilleristisch zu bekämpfen.
Es sind hier nicht Fallschirmspringer oder Sabotageleute gemeint, sondern die tatsächlichen Angehörigen der deutschen Luftwaffe, und als letztes ist dann der Sabotagedienst genannt.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Der Sabotagedienst muß doch Leute haben, die Sabotage treiben, wenn sie von irgendwelchem Nutzen sein sollen. Sie sabotieren, nicht wahr?
KEITEL: Zweifellos, aber nicht auf dem Wege von Luftlandetruppen und Fallschirmspringern, sondern solche in Grenzgebieten vorhandene Sabotageleute, die sich für solche Dienste zur Verfügung stellen. Ja, an das ist auch gedacht. Wir hatten ja viele solche Leute im Sudetenland.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde mich mit Ihnen nicht weiter streiten, aber ich möchte diese Frage klären.
Nun komme ich dazu, wie dieser Befehl des Führers bekanntgegeben wurde. Sie finden diesen Befehl – der Gerichtshof wird ihn auf Seite 64 finden – aber ich darf Sie darum bitten, sich Seite 66 des Buches, Seite 25 in Ihrem Buch, Angeklagter, den zweiten Satz des Angeklagten Jodl »An die Kommandanten« ansehen zu wollen. Es ist auf Seite 25. Der Angeklagte Jodl sagt: »Dieser Befehl ist nur für die Kommandeure bestimmt und darf unter keinen Umständen in Feindeshand fallen.« War das deshalb, weil Sie und der Angeklagte Jodl sich dieses Befehles schämten, daß Sie diese Geheimhaltungsvorschrift beifügten?
KEITEL: Ich habe es noch nicht gefunden und möchte den Zusammenhang gern wissen. Seite 25 ist ein Fernschreiben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vom Oberkommando der Wehrmacht, datiert 19. Oktober. Haben Sie es gefunden, der zweite Satz?
KEITEL: Vom 18. Oktober 1942?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: 19. Oktober, an dem der Befehl vom 18. Oktober herauskam. »Dieser Befehl ist nur für die Kommandeure bestimmt und darf unter keinen Umständen in Feindeshand fallen.« Schämten Sie sich dieses Befehls, daß Sie es auf diese Weise formulierten?
KEITEL: Ich habe das Schreiben nicht gesehen und würde es auch für richtig halten, den General Jodl darnach zu fragen. Ich kenne den Inhalt nicht, aber wie wir beide über den Befehl dachten, [716] habe ich bereits ausgeführt. Die Begründung dafür kann ich nicht geben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie können mir nicht den Grund für die Geheimhaltung geben?
KEITEL: Ich weiß nicht, welches Motiv damals zu Grunde gelegen hat und bitte, diese Frage dem General Jodl zu stellen. Ich habe dies nicht gesehen. Ich habe über meine Auffassung und auch über die des Generals Jodl schon gesprochen, wie wir darüber dachten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte nur, daß Sie sich ansehen, wie selbst Hitler sich dazu äußert. Wenn Sie sich – ich glaube, es ist Seite 31 unseres Buches – ansehen, es ist ein Bericht von Hitler, in dem er sagt:
»Die Meldung, die darüber im Wehrmachtsbericht erscheinen soll, wird ganz kurz und lakonisch lauten, daß ein Sabotage-, Terror- oder Zerstörungstrupp gestellt und bis zum letzten Mann niedergemacht wurde.« (Dokument Nummer 503-PS).
Sie haben doch Ihr Bestes getan-und wenn ich »Sie« sage, meine ich Sie, Hitler und Jodl und alle anderen Beteiligten –, Sie haben doch Ihr Bestes getan, um alles zu verschweigen, was über diese Befehle bekannt wurde. Nicht wahr?
KEITEL: Ich habe nicht den Eindruck, sondern wir haben ja eigentlich in jedem Fall nachträglich im Wehrmachtsbefehl, im Wehrmachtsbericht den Tatbestand bekanntgegeben, das ist meine Erinnerung, nämlich, daß wir im Wehrmachtsbericht ausgesprochen haben, das und das ist passiert und das und das war die Folge. Das ist meine Erinnerung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Sie nur noch darum bitten, sich ein weiteres Dokument anzusehen. Sie werden sich erinnern, daß, nachdem die Sowjetunion bestimmte Leute in Charkow vor Gericht gestellt hatte, als Sie versuchten, eine Gegenpropa ganda einzuleiten – sehen Sie sich dieses Dokument über diese Hinrichtungen an; es ist Seite 308, Dokument UK-57. Sie haben eine Abschrift davon. Ich werde Sie nur über zwei Zwischenfälle befragen. Sie sehen, es ist eine Vortragsnotiz und die Stelle, die ich Sie bitte, sich anzusehen, ist Nummer 2, die vierte Notiz, Absatz 2 und hat die Überschrift »Versuchter Anschlag auf das Schlachtschiff Tirpitz«. Haben Sie es gefunden?
KEITEL: Noch einen Augenblick, ich habe es noch nicht gefunden. Schlachtschiff Tirpitz? Ah, ja!
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie es jetzt? Nun hören Sie zu:
[717] »Ende Oktober 1942 hatte ein mit einem Kutter nach Norwegen gekommenes britisches Kommando den Auftrag, durch Einsatz eines Zwei-Mann- Torpedos einen Anschlag auf das Schlachtschiff ›Tirpitz‹ im Drontheim-Fjord durchzuführen. Die Aktion mißlang, da die beiden am Kutter befestigten Torpedos in stürmischer See verloren gegangen waren. Von der aus 6 Engländern und 4 Norwegern bestehenden Besatzung wurde ein Trupp von 3 Engländern und 2 Norwegern an der schwedischen Grenze gestellt. Es gelang jedoch nur, den britischen Matrosen in Zivil, Robert Paul Evans, geboren 14. Januar 1922 in London, festzunehmen. Die anderen sind nach Schweden entkommen.
Evans besaß eine Pistolentasche, wie sie zum Tragen von Waffen in der Achselhöhle verwendet wird, und einen Schlagring.«
Und nun die nächste Seite:
»... Völkerrechtswidrige Gewalttaten konnten ihm nicht nachgewiesen werden.«
Sind Sie auf derartige Vorfälle unter diesem Befehl aufmerksam gemacht worden?
KEITEL: Ich erinnere mich an den Fall selbst nicht, aber dieses sehe ich ja, wie es hier von der Abteilung gemeldet wird.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie haben uns gesagt, daß Sie 41 Jahre lang Soldat gewesen sind und Sie haben Ihre militärischen Ansichten betont. Aber was, im Namen aller militärischen Tradition, was hat dieser Junge Unrechtes getan, indem er von einem Zwei-Mann-Torpedo einen Angriff auf ein Schlachtschiff unternehmen wollte; was hat er Unrechtes getan?
KEITEL: Nein, das ist ein Angriff, der gegen ein Kriegsmittel geführt worden ist; wenn er von Soldaten in ihrer Eigenschaft als Angehörige der Wehrmacht geführt wird, ist dies ein Angriff mit Ziel, ein Schlachtschiff im Wege der Sabotage zu beseitigen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber warum sollten sie nicht einen Zwei-Mann-Torpedo-Angriff auf ein Schlachtschiff ausführen, wenn sie darauf vorbereitet waren? Warum kann ein Matrose das nicht tun? Ich möchte verstehen, was Sie eigentlich damit meinen. Was für ein Unrecht sehen Sie, der Sie vierzig Jahre lang Soldat waren, darin, daß ein Mann ein Torpedo gegen ein Schlachtschiff schleppt? Sagen Sie uns das. Ich kann kein Unrecht darin sehen.
KEITEL: Nein, das ist ebensowenig unrichtig, wie ein solcher Angriff, wenn er Erfolg hätte, mit einer Fliegerbombe. Das erkenne ich an, daß das richtig ist, daß das ein vollkommen möglicher Angriff ist.
[718] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Also, wenn Sie diesen Zwischenfall nicht gesehen haben, will ich die anderen nicht durchgehen, da sie doch alle gleich sind, Männer in Uniform, die die Gironde heraufkamen, um deutsche Schiffe anzugreifen.
Aber was mich interessiert, ist folgendes: Sie waren doch Feldmarschall in den Fußtapfen Blüchers, Gneisenaus und Moltkes. Wie konnten Sie es ohne Widerspruch dulden, daß alle diese jungen Männer, einer nach dem anderen, ermordet wurden?
KEITEL: Die Gründe, weshalb ich keinen Widerstand, keinen Widerspruch mehr geleistet habe, habe ich eingehend hier genannt, und daran kann ich heute nichts mehr ändern. Ich weiß, daß diese Vorfälle sich ereignet haben und kenne auch die Folgen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber, Herr Feldmarschall, überlegen Sie sich bitte folgendes: Soweit mir bekannt ist, besteht für den Soldaten weder nach deutschem noch nach irgendeinem anderen Millitärgesetz eine Verpflichtung, einen Befehl auszuführen, von dem er weiß, daß er unrechtmäßig ist, daß er gegen Kriegsrecht und Gesetz verstößt. Das ist genau so in Ihrer Armee, wie in unserer Armee, und ich denke, in jeder anderen Armee. Ist das nicht richtig?
KEITEL: Ich habe die Ausführung des Befehls vom 18. Oktober 1942 nicht persönlich vollzogen. Ich war weder persönlich in der Girondemündung noch bei dem Angriff auf die »Tirpitz«, sondern ich habe nur bekannt, daß dieser Befehl herausgegeben worden ist mit allen Androhungen der Strafbestimmungen, welche den Befehlshabern eine Abänderung oder ein eigenmächtiges Abweichen von diesem Befehl so erschwert haben. Sie haben mich selbst gefragt, Sir David, ob ich diesen Befehl für richtig und zweckmäßig hielte, darauf habe ich Ihnen eine eindeutige Antwort gegeben: Es wäre mir unmöglich gewesen, sowohl in der Girondemündung wie auch in dem Fall »Tirpitz«, die Handlung zu verhindern, wenn ich es gewollt hätte.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie verstehen meine Schwierigkeiten. Ich habe Ihnen nur zwei Fälle vorgehalten, es gibt viel mehr. Es sind noch andere, die sich in Italien zugetragen haben, wie wir hörten. Die Sache steht folgendermaßen: Sie repräsentierten, das haben Sie uns hundertmal gesagt, die militärische Tradition. Hinter Ihnen stand ein Offizierkorps mit all seinen...
KEITEL: Nein, Sir David, ich muß bestreiten. Ich war nicht verantwortlich, weder für die Kriegsmarine, noch für das Heer, noch für die Luftwaffe. Ich war kein Befehlshaber, ich war ein Stabschef, und hatte auch auf die Ausführungen der Befehle in den einzelnen Wehrmachtsteilen, die jeder einen eigenen Oberbefehlshaber hatten, kein Recht des Eingriffes.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir haben über Ihre Stabsstellung schon gehört, aber ich möchte diesen Punkt vollkommen [719] klarstellen. Sie waren ein Feldmarschall, Kesselring war ein Feldmarschall, Milch war ein Feldmarschall, alle, nehme ich an, waren militärisch geschult, und alle hatten ihren Einfluß, wenn auch nicht Kommandogewalt, auf die deutschen Streitkräfte. Wie war es möglich, daß es nicht einen Mann Ihres Ranges und Ihrer militärischen Tradition gab, der den Mut hatte, aufzustehen und kaltblütigem Mord zu widersprechen? Das möchte ich wissen!
KEITEL: Ich habe es nicht getan, ich habe in diesen Dingen nicht mehr nachträglich einen Widerspruch eingelegt. Mehr kann ich dazu nicht erklären, und für andere kann ich hier nicht eintreten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das alles ist, was Sie zu sagen haben, dann lassen Sie uns zu etwas anderem übergehen.
Wie haben Sie sich nun bezüglich unserer französischen Alliierten verhalten? Ich bin gebeten worden, einige Angelegenheiten der Französischen Delegation vorzubringen.
Sie erinnern sich, daß Sie an der Ostfront einige Franzosen festnahmen, die mit den Russen gekämpft haben. Erinnern Sie sich, einen Befehl darüber erlassen zu haben? Sie haben einige De Gaullisten, wie Sie sie nannten, festgenommen, das heißt, freie Franzosen, die für die Russen kämpften. Erinnern Sie sich daran, was Sie mit diesen Leuten taten?
KEITEL: An die Weitergabe eines Führerbefehls erinnere ich mich, nämlich die Übergabe dieser Franzosen an ihre von uns anerkannte rechtmäßige Regierung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist natürlich nicht der Teil des Befehls, den ich meine.
»Gegen im besetzten französischen Gebiet befindliche Familienangehörige von Franzosen, die auf sowjetischer Seite kämpfen, sind in geeigneten Fällen strenge Untersuchungen durchzuführen. Ergibt die Untersuchung, daß Familienangehörige bei der Flucht aus Frankreich Beihilfe geleistet haben, so sind scharfe Maßnahmen zu ergreifen.
Die erforderlichen Vorbereitungen trifft OKW/WR mit dem zuständigen Militärbefehlshaber beziehungsweise dem Höheren SS- und Polizeiführer in Frankreich. (gezeichnet) Keitel.«
Können Sie sich irgend etwas Furchtbareres vorstellen, als strenge Maßnahmen gegen die Mutter eines jungen Mannes zu ergreifen, die ihm geholfen hat, mit den Verbündeten seines Landes zu kämpfen? Können Sie sich etwas Abscheulicheres vorstellen?
KEITEL: Ich kann mir vieles vorstellen, wo ich eigene Söhne im Felde verloren habe. Ich habe diesen Gedanken nicht erfunden, er ist nicht von mir ausgegangen, ich habe ihn weitergegeben.
[720] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Angeklagter, Sie müssen den Unterschied zwischen Ihrem und meinem Standpunkt verstehen: Söhne in einem Krieg zu verlieren, ist eine furchtbare Tragödie. Strenge Maßnahmen gegen die Mutter eines jungen Mannes zu ergreifen, der für die Verbündeten seines Landes kämpfen will, ist abscheulich. Das eine ist eine Tragödie, das andere die Höhe der Brutalität. Denken Sie das nicht auch?
KEITEL: Ich kann nur dazu sagen, daß ja nicht gesagt wird, welche Auswirkungen die Untersuchungen und Feststellungen gehabt haben. Das weiß ich nicht.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn das alles ist, was Sie antworten können, dann möchte ich Sie bitten, sich etwas anderes anzusehen.
KEITEL: Nein, ich möchte hinzufügen, daß ich es bedauere, daß irgendwelche Angehörige für die Untaten ihrer Söhne verantwortlich gemacht werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte keine Zeit damit vergeuden, daß ich mich über das Wort »Untaten« näher auslasse. Wenn Sie der Ansicht sind, daß das eine »Untat« ist, wollen wir nicht weiter darüber reden. Ich will nur gegen Ihr Wort protestieren.
Lassen Sie uns mal sehen. Das war kein vereinzelter Fall, sehen Sie sich Seite 110 (a) des Dokumentenbuches an, Seite 122. Das ist ein ganz früher Befehl, vom 1. Oktober 1941.
»Die Überfälle auf Wehrmachtangehörige, die in der letzten Zeit in den besetzten Gebieten erfolgten, geben Veranlassung, darauf hinzuweisen, daß es angebracht ist, daß die Militärbefehlshaber ständig über eine Anzahl Geisel der verschiedenen politischen Richtungen verfügen, und zwar:
1. nationalistische,
2. demokratisch-bürgerliche und
3. kommunistische.
Es kommt dabei darauf an, daß sich darunter be kannte führende Persönlichkeiten oder deren Angehörige befinden, deren Namen zu veröffentlichen sind.
Je nach der Zugehörigkeit des Täters sind bei Überfällen Geisel der entsprechenden Gruppe zu erschießen.
Es wird gebeten, die Befehlshaber entsprechend anzuweisen.«
gezeichnet »Keitel«.
(Dokument 1590-PS.)
Wenn Sie mal einen demokratischen Bürger verhafteten, warum waren Sie eigentlich so begierig, daß Ihre Kommandeure eine genügende Anzahl demokratischer Bürger eingefangen hatten, die [721] sie als Geiseln erschießen konnten? Ich dachte, Sie wären kein Politiker.
KEITEL: Ich war gar nicht »begierig« und der Gedanke ist nicht von mir. Er entspricht aber der Geiselvorschrift, der Druckvorschrift, über die ich gestern oder vorgestern gesprochen habe, wo drin stand, daß diejenigen, die als Geisel haftbar gemacht werden, denjenigen Kreisen anzugehören haben, aus denen die Anschläge ausgeführt werden. Das ist hierfür nach meiner Erinnerung eine Erläuterung beziehungsweise eine Bestätigung.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Waren Sie mit diesem Vorgehen einverstanden, daß, wenn ein Mitglied einer demokratisch-bürgerlichen Familie gefunden wurde, das, sagen wir, an einem Sabotageakt oder an dem Widerstand beteiligt war, daraufhin eine Anzahl demokratischer Bürger erschossen werden sollten? Haben Sie das gebilligt?
KEITEL: Ich habe bereits ausgesagt, wie diejenigen Maßnahmen der Erschießung von Geiseln zu handhaben waren, die ebenfalls befohlen sind, und zwar die Ausführung solcher an Todeswürdigen, bereits Verurteilten.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich stelle Ihnen eine ganz einfache Frage, Angeklagter. Haben Sie es gebilligt oder nicht, daß eine Anzahl demokratischer Bürger als Geisel für einen demokratischen Bürger genommen wurde, der zufällig...
KEITEL: Das steht hier nicht drin, sondern es steht ja hier nur die Geiselnahme, aber nicht die Erschießung drin.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wollen Sie sich das vielleicht einmal ansehen, nachdem Sie mich so nachdrücklich korrigieren. Je nach der Zugehörigkeit des Täters, das heißt, je nachdem, ob seine Familie nationalistisch oder demokratisch-bürgerlich oder kommunistisch war, sind »bei Überfällen Geisel der entsprechenden Gruppe zu erschießen.«
KEITEL: Wenn das drin steht, dann wird es auch von mir in der Form vollzogen worden sein. Wie es praktisch gehandhabt wird, geht klar aus dem Dokument bezüglich der Besprechungen mit den Militärbefehlshabern hervor.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Beantworten Sie jetzt meine Frage; haben Sie es gebilligt oder nicht?
KEITEL: Ich war persönlich anderer Auffassung in Bezug auf das System der Geisel. Ich habe es aber unterschrieben, weil mir dieser Auftrag erteilt war.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagten, daß Sie anderer Auffassung waren. Wollen Sie sich bitte einen Brief von Herrn Terboven ansehen, der die Leitung in Norwegen innehatte, und [722] zwar Seite 85, 71 a, Beweisstück RF-281, Dokument 870-PS. Das ist ein Bericht von Herrn Terboven zur Unterrichtung des Führers; und ich möchte Sie ersuchen, sich Paragraph 2: »Gegenmaßnahmen« anzusehen, und zwar Absatz 4. Sehen Sie es, haben Sie es gefunden, Angeklagter? Verzeihung, ich habe die Nummer angegeben, wahrscheinlich haben Sie mich nicht gehört, Seite 71 a des Dokumentenbuches. Es tut mir leid, ich habe mich nicht klar ausgedrückt.
Euer Lordschaft! Meines Wissens wurde dies durch die Französische Anklagevertretung als Beweisstück Nummer RF-281 vorgelegt. Ich erinnere mich, es mit einer GB-Nummer versehen zu haben.
VORSITZENDER: Welche Nummer?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: RF-281.
[Zum Zeugen gewandt:]
Haben Sie Abschnitt 2, Absatz 4 gefunden? Er lautet:
»Eben erhalte ich ein Fernschreiben des Generalfeldmarschalls Keitel, in dem der Erlaß einer Verordnung gefordert wird, nach welcher die Gefolgschaftsmitglieder und gegebenenfalls ihre Angehörigen (Sippenhaftung) für die in ihren Betrieben vorkommenden Sabotagefälle mitverantwortlich gemacht werden. Die Forderung hat nur Sinn und Erfolg, wenn ich tatsächlich gegebenenfalls Erschießungen vornehmen kann. Ist das nicht möglich, würde eine solche Verordnung sich genau gegenteilig auswirken.«
Neben dem Wort »wenn ich tatsächlich gegebenenfalls Erschießungen vornehmen kann« befindet sich eine Bleistiftnotiz von Ihnen: »Ja, das ist das Beste!«
Das ist nun das dritte Beispiel, wo ich behaupte, daß Sie, Sie selbst, die Erschießungen von Familienangehörigen gebilligt und gefördert haben. Was haben Sie zu dieser Ihrer eigenen Bleistiftnotiz zu sagen?
KEITEL: Ich habe diese Randbemerkung geschrieben. Ein entsprechender Befehl, der gegeben worden ist, lautet anders. Es ist eine Antwort erfolgt, die anders lautete. Diese Bemerkung habe ich geschrieben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wollte ich wissen. Warum schrieben Sie diese Bemerkung »Ja! Das ist das Beste!«, mit der Sie die Erschießung von Angehörigen der Einwohner genehmigten, die sich in Norwegen gegen die Besatzungsarmee vergangen haben? Warum glaubten Sie, daß es das Beste sei, die Angehörigen zu erschießen? Warum?
KEITEL: Es ist nicht geschehen, es ist auch nicht angeordnet worden. Es wurde etwas anderes angeordnet.
[723] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Danach habe ich Sie nicht gefragt. Ich gebe Ihnen noch eine weitere Gelegenheit, zu antworten. Warum schrieben Sie mit Bleistift auf dieses Dokument: »Ja! Das ist das Beste!«
KEITEL: Das kann ich heute nicht mehr erklären, weil ich Hunderte von Schriftstücken täglich sehe. Ich habe das geschrieben und das bekenne ich hiermit.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Natürlich; falls es nicht etwas ganz anderes bedeutet, als das, was Sie geschrieben haben, so soll es heißen, daß Sie es selbst billigten und es für den besten Weg hielten, die Angehörigen vor ein Exekutions-Kommando zu stellen.
Euer Lordschaft! Ich glaube, Sie sagten, daß der Gerichtshof sich zu vertagen wünsche?
VORSITZENDER: Ja.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin noch nicht am Ende, Euer Lordschaft. Ich habe Montag früh noch einige Dinge zu behandeln.
VORSITZENDER: Gut, der Angeklagte kann auf die Anklagebank zurückkehren und wir werden uns mit den anderen Anträgen befassen.
[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]
Sir David, wollen wir diese Anträge ebenso behandeln wie früher?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft. Als erster liegt der Antrag des Angeklagten Kaltenbrunner für einen Zeugen namens Höß vor, der früher Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz war, Euer Lordschaft! Dagegen hat die Anklagebehörde nichts einzuwenden.
VORSITZENDER: Also das ist der Antrag, der von einer großen Anzahl von Verteidigern gestellt werden muß?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft, Sie haben vollkommen recht.
Die Anklagevertretung ist der Ansicht, daß der Zeuge als früherer Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz in der Lage ist, zur Aufklärung des Gerichtshofs beizutragen, falls kein Einwand erhoben wird.
VORSITZENDER: Dr. Stahmer, ich sehe, daß Sie unter den Verteidigern sind, die ihn beantragten. Möchten Sie noch etwas hinzufügen?
DR. STAHMER: Dem schriftlichen Antrag habe ich nichts hinzuzufügen.
VORSITZENDER: Danke. Dann wird der Gerichtshof sich jetzt damit befassen.
[724] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der nächste Antrag betrifft Dr. Naville. Dr. Naville wurde dem Angeklagten Göring als Zeuge bewilligt unter der Voraussetzung, daß er auffindbar ist. Es wurde festgestellt, daß er sich in der Schweiz befindet, und soviel ich weiß, hat er den Gerichtshof dahin verständigt, daß er in seiner Vernehmung hier als Zeuge für Göring keinen Sinn sehe. Und er wird jetzt von Dr. Nelte, dem Verteidiger des Angeklagten Keitel, beantragt zum Beweise dafür, daß Kriegsgefangene gemäß den Vereinbarungen der Genfer Konvention behandelt wurden. Dr. Naville war ein Vertreter des Roten Kreuzes. Dr. Nelte wird sich, wie ich höre, mit einer schriftlichen Befragung zufrieden geben und die Anklagevertretung hat dagegen nichts einzuwenden.
VORSITZENDER: Dr. Nelte?
DR. NELTE: Das ist richtig; ich bin damit einverstanden, wenn mir gestattet wird, daß ich Professor Dr. Naville die Fragen schriftlich vorlegen kann.
Ich bitte aber, hier noch etwas Ergänzendes sagen zu dürfen, nichts zu diesem Beweisantrag, sondern zu einem anderen Antrag, den ich der Anklagebehörde schon gestern oder vorgestern durch die Übersetzungsabteilung zugeleitet habe. Der Gerichtshof hatte meinen Beweisantrag, die Stenographen von Hitler als Zeugen zuzulassen, als unerheblich abgelehnt. Ich habe nun von einem der Stenographen einen Brief und eine eidesstattliche Versicherung erhalten. In dieser eidesstattlichen Versicherung ist ein Teil, der sich mit dem Verhalten befaßt, das Keitel gegenüber Hitler bei seinen Vorträgen und Vorstellungen an den Tag gelegt hat.
Es wird in der öffentlichen Kritik gesagt und es ist auch hier in diesem Gerichtssaal schon zum Ausdruck gekommen, daß die Angeklagten sich immer auf Tote berufen, wenn sie etwas zu ihrer Entlastung vorbringen wollen. Der Angeklagte Keitel möchte, daß Sie den Teil des Affidavits, den ich schon vorgelegt habe und den ich vorlegen will, als Affidavit zulassen, so daß es bei der Ablehnung des Zeugen bleiben kann, daß aber mir die Möglichkeit gegeben wird, diesen Teil des Affidavits im Einverständnis mit der Anklagebehörde vorzutragen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Wenn Dr. Nelte diesen Teil vorlegen wird, werden wir ihn erwägen, aber bis jetzt habe ich noch keine Gelegenheit dazu gehabt.
VORSITZENDER: Gut, wenn Sie das tun wollen, wenn Sie keine Einwendung machen wollen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehr gut, wollen Sie mir eine Abschrift davon geben lassen?
DR. NELTE: Gewiß.
[725] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der nächste Antrag ist von dem Angeklagten von Schirach gestellt; und zwar auf Zulassung einer eidesstattlichen Erklärung von Dr. Hans Carossa. Der wesentliche Inhalt des Affidavits ist, daß der Angeklagte versucht hat, von Anordnungen der Partei bezüglich Literatur und Kunst unabhängig zu bleiben, und daß er als Gauleiter von Wien wiederholt zugunsten von Juden und Insassen von Konzentrationslagern intervenierte. Euer Lordschaft! Die Anklagevertretung erhebt keinen Einspruch gegen die Vorlage dieses Affidavits.
Das nächste ist ein Antrag des Angeklagten Funk, Herrn Messersmith Fragebogen zu unterbreiten, die sich mit Funks Beziehungen zur Partei und seiner Arbeit im Reichspropagandaministerium befassen. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch, aber erinnert den Gerichtshof daran, daß der Angeklagte Funk bereits am 15. März um Erlaubnis bat, Herrn Messersmith ein Affidavit zu unterbreiten, das sich mit dem früheren Affidavit von Herrn Messersmith befaßt. Die Anklagebehörde hat damals keinen Einspruch erhoben, doch hat der Gerichtshof, soweit wir wissen, dem Antrag noch nicht stattgegeben. Ich wollte den Gerichtshof nur darauf aufmerksam machen, daß ein früheres Gesuch vorliegt...
VORSITZENDER: Sprechen Sie von einem Affidavit oder von einem Fragebogen vom 15. März?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Fragebogen.
VORSITZENDER: Fragebogen? Das muß doch sicherlich schon von uns erörtert worden sein.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenigstens wurde mir das von meinem Büro mitgeteilt. Dort haben sie nicht...
VORSITZENDER: Gut.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sollte es noch nicht vom Gerichtshof behandelt worden sein, wollen wir darauf hinweisen, daß eines noch aussteht. Wir haben gegen beide nichts einzuwenden.
Sodann beantragt der Angeklagte Rosenberg eine Weisung Hitlers an Rosenberg vom Juni 1943. Die Anklagebehörde erhebt keinen Einspruch. Es wird mir gesagt, daß wir einen früheren Antrag augenblicklich nicht finden können, aber wir haben im Augenblick nichts dagegen einzuwenden.
Als nächstes, Euer Lordschaft, liegt ein Antrag von Neuraths vor auf einen Fragebogen an Professor Kossuth, einen langjährigen Bewohner Prags. Es werden Fragebogen beantragt. Euer Lordschaft, wir erheben keinen Einspruch gegen Fragebogen.
Und dann, Euer Lordschaft, liegt ein umgekehrter Antrag vor, wenn ich so sagen darf, von Herrn Dr. Dix für den Angeklagten Schacht, und zwar für ein Affidavit von Herrn Hülse, anstatt [726] seiner Vorladung als Zeuge. Euer Lordschaft! Wir erheben dagegen keinen Einspruch.
DR. DIX: Das ist der Zeuge Hülse. Er war mir als Zeuge bewilligt. Um abzukürzen und zu vereinfachen, habe ich mich entschlossen, auf diesen Zeugen zu verzichten, weil ein Affidavit vorlag, ein Affidavit einging. Während dieser Verzicht lief, traf dieser Zeuge hier in Nürnberg ein. Jetzt ist er hier und ich glaube, es ist jetzt am besten, er bleibt hier und es wird mir gestattet, ihn so zu vernehmen, daß ich ihm sein Affidavit vorhalte, ihn frage, ob er es bestätigt, und mir erlaubt wird, ihm noch einige zusätzliche Fragen zu stellen. Ich glaube, das ist praktischer, als wenn der Zeuge jetzt nutzlos hier ist und zurückgeschafft wird und von ihm nur das Affidavit übrigbleibt. Ich wollte ja auch die Umständlichkeit des Herbeischaffens ersparen.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie ziehen also Ihren Antrag auf ein Affidavit zurück?
VORSITZENDER: Ist der Zeuge Hülse ein Gefangener oder nicht? Ist er interniert?
DR. DIX: Er ist ein freier Zeuge, nicht in Gefangenschaft. Er bewegt sich auch in Nürnberg frei.
VORSITZENDER: Kann er hier bleiben, bis der Fall Schacht behandelt wird?
DR. DIX: Ich hoffe. Er hat mir gesagt, er kann und will hier bleiben.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Wir haben nichts dagegen einzuwenden. Der Gerichtshof hat ihn bereits als Zeugen genehmigt. Wenn Dr. Dix ihn als Zeugen wünscht, so erheben wir natürlich keinen Einspruch.
Und dann ein Antrag des Angeklagten Streicher für ein Affidavit von einem Dr. Herold. Kurz gesagt, die Anklagebehörde schlägt Fragebogen anstatt eines Affidavits vor. Dann würden wir keinen Einspruch erheben.
Euer Lordschaft! Ich habe nur noch eine Sache vorzubringen. Ich hatte gestern abend eine äußerst nützliche Unterredung mit Dr. Dix, als wir, auf Veranlassung des Gerichtshofs, die Dokumente durchgingen. Dr. Dix war äußerst behilflich, uns den Zweck seiner Dokumente zu erklären und was sie darstellten. Ich möchte anregen, daß die Verteidiger uns auch über den Zweck ihrer Zeugen aufklären, wenn sie die Dokumente erklären. Ich will sie in keiner Weise in Verlegenheit bringen, – wenn sie jedoch freiwillig die Bedeutung ihrer Zeugen, entweder Herrn Dodd oder mir auseinandersetzen würden, so könnten wir viel Zeit sparen, indem wir bereits dann mitteilen könnten, ob wir der Aussage des [727] betreffenden Zeugen zustimmen oder vielleicht Einwendungen dagegen erheben würden.
Ich erwähne das jetzt nur, weil wir jetzt wegen der Dokumente Zusammenkünfte haben. Wenn diese auch auf Zeugen erweitert werden könnten, so bin ich sicher, daß wir eine äußerst nützliche Zusammenarbeit erzielen könnten.
VORSITZENDER: Sir David, Sie regen an, daß sie Ihnen die Art der Zeugenaussagen erklären sollen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja.
VORSITZENDER: Und, falls die Anklagebehörde sie nicht ablehnt, sie in einem Affidavit zusammenzufassen?
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, so daß wir wahrscheinlich auf den Zeugen verzichten und seine Aussage in ein Affidavit bringen könnten. Natürlich hat man mir allgemein den Zweck der Zeugen erklärt, weil ich ja die Gesuche bereits behandelt habe. Aber wenn sie etwas ausführlicher sein könnten, wie das so oft geschieht, wenn sie die Zeugen sehen, wenn sie mich wissen lassen würden, was das Gebiet der Zeugenaussage sein wird, so könnte ich es wahrscheinlich entweder ganz oder teilweise bewilligen, und ihnen so viel Arbeit und dem Gerichtshof viel Zeit ersparen.
VORSITZENDER: Ich denke, der Gerichtshof wird wissen wollen, ob die Verteidigung dieses Vorgehen für annehmbar hält und ob es die Verteidigung verkürzen wird. Vielleicht könnte uns Dr. Dix sagen, ob er dies für möglich hält.
DR. DIX: Ich kann natürlich jetzt keine Erklärung über die innere Einstellung meiner Kollegen abgeben, weil ich nicht in ihren Hirnen lesen kann. Ich kann Ihnen im Augenblick sagen, daß ich diese Art der Unterhaltung, die ich mit Sir David gestern die Ehre hatte zu führen, die auch ich als außerordentlich praktisch und fördernd empfunden habe, meinen Kollegen empfehlen werde. Ich persönlich möchte annehmen, daß auch meine Kollegen dieses Verfahren gern einschlagen werden, es sei denn, daß besondere Gründe dagegen sprechen, die natürlich immer möglich sind. Mehr kann ich im Moment nicht erklären.
VORSITZENDER: Verstehen Sie, was Sir David anregt, nämlich, daß solch eine Rücksprache sich nicht nur auf die Dokumente, sondern auch auf die Zeugen beziehen soll. Wenn Sie in Ihren Anträgen etwas ausführlicher als bisher den Gegenstand der Aussage angeben könnten, wäre die Anklagebehörde unter diesen Umständen vielleicht in der Lage, zu erklären, daß sie in solchen Fällen die Aussage nicht bestreiten würde. Sie könnte dann in einem Affidavit aufgenommen werden.
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Gestatten Sie mir, daß ich mich hier einschalte. Wenn sie bereit wären, die [728] Erläuterung einer bestimmten Zeugenaussage vorzulegen, so würde die Anklagebehörde sicher in vielen Fällen bereit sein zu sagen: »Gut, legen Sie diese Erläuterung dieses Punktes vor, wir wollen sie zulassen, und zwar ohne jede Formalität«.
VORSITZENDER: Dr. Dix, vielleicht könnten Sie und die anderen Verteidiger diese Angelegenheit erörtern.
DR. DIX: Ich habe es genau so verstanden, wie Euer Lordschaft es eben gesagt haben. Ich habe sowohl die Zeugen als auch die Urkunden mit Sir David besprochen, und das war sehr nützlich, und in dem Sinne werde ich...
VORSITZENDER: Wenn das alles ist, was wir im Augenblick zu tun haben...
SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft!
VORSITZENDER:... dann wird sich der Gerichtshof jetzt vertagen.
[Das Gericht vertagt sich bis
8. April 1946, 10.00 Uhr.]
Buchempfehlung
Das 1900 entstandene Schauspiel zeichnet das Leben der drei Schwestern Olga, Mascha und Irina nach, die nach dem Tode des Vaters gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej in der russischen Provinz leben. Natascha, die Frau Andrejs, drängt die Schwestern nach und nach aus dem eigenen Hause.
64 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro