Vormittagssitzung.

[144] VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich heute nachmittag um 4.00 Uhr vertagen, um dann eine geschlossene Sitzung abzuhalten.

Herr Dr. Seidl! Möchten Sie nun den Fall des Angeklagten Frank vortragen?


DR. ALFRED SEIDL, VERTEIDIGER DER ANGEKLAGTEN HESS UND FRANK: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Der Angeklagte Dr. Hans Frank wird in der Anklageschrift beschuldigt, seine Stellungen innerhalb der Partei und im Staat, seinen persönlichen Einfluß und seine Beziehungen zum Führer dazu benutzt zu haben, die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Festigung ihrer Kontrolle über Deutschland gefördert zu haben. Er wird ferner beschuldigt, die in Anklagepunkt 3 der Anklageschrift genannten Kriegsverbrechen und die in Anklagepunkt 4 erwähnten Verbrechen gegen die Humanität, insbesondere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität bei Verwaltung besetzter Gebiete genehmigt, geleitet und an ihnen teilgenommen zu haben.

Ebenso wie im Falle des Angeklagten Heß läßt die Anklageschrift jede Substantiierung dieser Beschuldigungen in tatsächlicher Hinsicht vermissen. Auch im Falle des Angeklagten Frank enthält die Anklageschrift keine Darstellung der Einzelheiten in tatsächlicher Beziehung, in denen der Tatbestand der Beschuldigung gefunden wird.

Wie sämtliche übrigen Angeklagten wird der Angeklagte Frank beschuldigt, an einem gemeinsamen Plan teilgenommen zu haben, der darauf abgezielt haben soll, Angriffskriege zu planen und zu führen und im Verlaufe dieser Kriege unter Verletzung der Kriegsregeln und Kriegsgebräuche Verbrechen zu begehen.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Angeklagte Frank im Jahre 1928 der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beigetreten ist. Sowohl vor als auch nach der Machtübernahme hat er sich fast ausschließlich mit Fragen des Rechts befaßt. Als Reichsleiter der Partei unterstand ihm bis zum Jahre 1942 das Reichsrechtsamt. Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler wurde er bayerischer Staatsminister der Justiz. Noch im gleichen Jahre wurde er zum Reichskommissar für die Gleichschaltung der Justiz ernannt. Diese Aufgabe beschränkte sich im wesentlichen auf [144] die Überleitung der Justizverwaltungen der Länder auf das Reichsjustizministerium. Sie fand mit dem Jahre 1934 ihren Abschluß. Mit der Überleitung der Geschäfte des bayerischen Staatsministeriums der Justiz auf das Reich fand auch die Tätigkeit des Angeklagten Frank als bayerischer Justizminister ihr Ende. Im Dezember 1934 wurde er zum Reichsminister ohne Geschäftsbereich ernannt. Daneben war er seit 1934 Präsident der von ihm selbst gegründeten Akademie für Deutsches Recht und Präsident der Internationalen Rechtskammer. Endlich war er Leiter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes. Allein schon diese Aufzählung der verschiedenen Ämter, die der Angeklagte Frank in Partei und Staat innegehabt hat, läßt ohne weiteres erkennen, daß Gegenstand seiner Tätigkeit fast ausschließlich Fragen des Rechts waren. Seine Aufgaben beschränkten sich im wesentlichen auf die Durchsetzung des Punktes 19 des Parteiprogramms, der ein deutsches Gemeinrecht forderte. In der Tat befassen sich fast sämtliche Reden und Veröffentlichungen des Angeklagten Frank, und zwar sowohl vor als auch nach der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, mit Rechtsfragen in weitestem Sinn.

Der Angeklagte Frank hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand bekundet, daß er alles in seinen Kräften stehende getan hat, um Adolf Hitler an die Macht zu bringen und um die Gedankengänge und das Programm der Nationalsozialistischen Partei zu verwirklichen. Was immer aber auch von dem Angeklagten in dieser Richtung geschehen ist, es ist offen geschehen. Das Ziel der Nationalsozialisten vor der Machtübernahme kann mit wenigen Worten ausgedrückt werden: Befreiung des deutschen Volkes von den Fesseln des Versailler Vertrags, Beseitigung der infolge dieses Vertrags und der unvernünftigen Reparationspolitik der ehemaligen Feinde Deutschlands entstandenen ungeheuren Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Verfallserscheinungen auf politischem, wirtschaftlichem, sozialem und moralischem Gebiet und die Wiederherstellung der Souveränität des Deutschen Reiches auf allen Gebieten. Die Anklagevertretung konnte keinerlei Beweis dafür erbringen, daß die Revision des Versailler Vertrags gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewaltmitteln und durch einen Krieg herbeigeführt werden sollte. Die Lage, in der sich Deutschland in den Jahren vor der Machtübernahme politisch, militärisch und wirtschaftlich befand und wo es sich nur darum handeln konnte, die furchtbaren Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu beseitigen und sieben Millionen Arbeitslose wieder in den Wirtschaftsprozeß einzuschalten, mußte jede ernsthafte Erwägung auf einen Angriffskrieg als gegenstandslos erscheinen lassen.

Die Beweisaufnahme hat aber auch nichts ergeben, was auf das Bestehen des von der Anklagevertretung in Anklagepunkt 1 der [145] Anklageschrift behaupteten gemeinsamen Planes schließen ließe, sofern man darunter einen bestimmten, fest umrissenen Plan zwischen einem engen, gleichbleibenden Personenkreis versteht.

Soweit die Beteiligung des Angeklagten Frank an diesem gemeinsamen Plan in Frage kommt, so kann hier im Gegenteil als Ergebnis der Beweisaufnahme und insbesondere der Bekundungen des Zeugen Dr. Lammers und der eigenen Angaben des Angeklagten im Zeugenstand als festgestellt angesehen werden, daß Frank nicht zu dem engeren Mitarbeiterkreis um Adolf Hitler gehörte. Die Anklage konnte kein einziges Dokument dem Gericht vorlegen, das sich mit wichtigen politischen oder militärischen Entscheidungen befaßte und bei denen der Angeklagte Frank beteiligt gewesen wäre. Der Angeklagte Frank hat insbesondere an keiner Besprechung mit Hitler teilgenommen, die die Anklagevertretung als besonders wichtig für den Nachweis des von ihr behaupteten gemeinsamen Planes bezeichnet und deren Niederschriften sie als Beweisstücke US Nummer 25 bis 34 vorgelegt hat.

Das einzige in diesem Zusammenhang wichtige Gesetz ist das Gesetz über die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht vom 16. März 1935. Es wurde bereits ausgedrückt und wird noch ausgedrückt werden, wie es zum Erlaß dieses Gesetzes gekommen ist und aus welchen Gründen hierin kein Verstoß gegen den Versailler Vertrag erblickt werden kann. Der Angeklagte Frank hat dieses Gesetz in seiner Eigenschaft als Reichsminister wie alle übrigen Mitglieder der Reichsregierung unterschrieben. Dieses Gesetz hat zum Gegenstand die Wiederherstellung der Souveränität des Deutschen Reiches, wenigstens auf militärischem Gebiet. Es wurde mit diesem Gesetz keinem anderen Volk etwas genommen. Sowohl der Inhalt dieses Gesetzes als auch die Umstände, unter denen es zustande gekommen ist, lassen keinerlei Schluß dahin zu, daß dieses Gesetz Teil eines gemeinsamen, auf den Beginn eines Angriffskrieges gerichteten Planes gewesen sei. Das deutsche Volk hatte in den vergangenen 17 Jahren erkennen müssen, daß ein Volk ohne militärische Macht und in der geographischen und militärischen Lage Deutschlands im Kreise der Völker nicht gehört wird, wenn es nicht zugleich über entsprechende Machtmittel verfügt. Aus dieser Erkenntnis hat die Regierung des Deutschen Reiches die Folgerung gezogen, nachdem 14 Jahre lang vorher dem deutschen Volk die Gleichberechtigung zwar immer wieder versprochen, dieses Versprechen aber nicht eingelöst wurde und nachdem insbesondere in den Jahren 1933 und 1934 es offenbar geworden war, daß die Abrüstungskonferenz die ihr gestellten Aufgaben nicht werde erfüllen können. Im übrigen nehme ich auch Bezug auf die Proklamation der Reichsregierung an das deutsche [146] Volk, die im Zusammenhang mit der Verkündung dieses Gesetzes erlassen wurde.

Die Tätigkeit des Angeklagten Frank beschränkte sich auch nach der Machtübernahme bis zum Beginn des Krieges fast ausschließlich auf die Erfüllung der Aufgaben, die ihm im Rahmen der Leitung der Akademie für Deutsches Recht und des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes erwuchsen. Die Aufgaben der Akademie für Deutsches Recht ergeben sich aus dem Gesetz über die Errichtung dieser Akademie vom 11. Juli 1933. Sie sollte die Neugestaltung des deutschen Rechtslebens fördern und in enger, dauernder Verbindung mit den für die Gesetzgebung zuständigen Stellen das nationalsozialistische Programm auf dem gesamten Gebiete des Rechts verwirklichen. Die Akademie stand unter der Aufsicht der Reichsminister der Justiz und des Innern. Die Aufgaben der Akademie waren gesetzvorbereitender Art. Die Gesetzgebung selbst lag ausschließlich bei den für die einzelnen Gebiete zuständigen Reichsministerien. Eine der Aufgaben dieser Akademie war, die Funktionen der Rechtsausschüsse des früheren Reichstages zu erfüllen. Tatsächlich vollzog sich die Arbeit der Akademie fast ausschließlich in ihren zahlreichen, von dem Angeklagten gegründeten Ausschüssen. Die Parteizugehörigkeit war dabei keine Bedingung für die Aufnahme in die Akademie. Der überwiegende Teil der Mitglieder der Akademie bestand aus Vertretern der Rechtswissenschaft und angesehenen Praktikern des Rechts, die nicht Mitglieder der Partei waren. Im übrigen ist bekannt, daß die Akademie für Deutsches Recht enge Beziehungen zu ähnlichen Einrichtungen des Auslandes hatte und daß zahlreiche Vertreter der ausländischen Rechtswissenschaft Vorträge in der Akademie gehalten haben. Diese Tatsachen schließen die Annahme völlig aus, daß diese Akademie irgendeine maßgebliche Bedeutung im Rahmen des von der Anklage behaupteten gemeinsamen Planes hätte halben können. Das gleiche gilt für die Stellung des Angeklagten Frank als Leiter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes.

Die Einstellung Adolf Hitlers zur Idee des Rechtsstaates ist, sofern darüber überhaupt noch ein Zweifel bestehen konnte, durch die Beweisaufnahme in diesem Prozeß völlig klar geworden. Hitler war ein Revolutionär und ein Gewaltmensch. Er betrachtete das Recht als hemmend und als Störungsfaktor für die Verwirklichung seiner machtpolitischen Pläne. Er hat übrigens über diese seine Einstellung keinen Zweifel gelassen und in einer Reihe von Reden zur Frage des Rechtsstaates sich geäußert. Er stand grundsätzlich allen Rechtswahrern mit Vorbehalt gegenüber, und allein schon aus diesem Grunde war es von vorneherein ausgeschlossen, daß sich ein engeres Verhältnis zwischen Hitler und dem Angeklagten Frank [147] hätte bilden können. Der Angeklagte Frank sah seine Lebensaufgabe darin, die Idee des Rechtsstaates auch im nationalsozialistischen Reich zu verwirklichen und vor allem die Unabhängigkeit des Richters sicherzustellen.

Diese Grundsätze hat der Angeklagte Frank noch im Jahre 1939 vor Ausbruch des Krieges auf der Abschlußkundgebung des Tages des Deutschen Rechts in Leipzig vor 25000 Rechtswahrern in einer großen Rede verkündet und dabei unter anderem erklärt:

  • »1. Niemand soll verurteilt werden, der nicht Gelegenheit hat, sich zu verteidigen.

  • 2. Niemand soll der von ihm in volksgenössisch einwandfreier Weise benutzten Güter verlustig gehen, es sei denn durch den Spruch des Richters. Die Ehre, die Freiheit, das Leben, der Arbeitsertrag sind solche Rechtsgüter.

  • 3. Jedem, der unter Anklage steht, gleichgültig in welchem Verfahren, muß die Möglichkeit gegeben sein, sich einen Verteidiger zu nehmen, der für ihn Rechtserklärungen abzugeben vermag, er muß rechtliches, erkenntnismäßig objektives Gehör finden. Wenn diese Grundsätze in einer Gemeinschaft vollendet Anwendung finden, dann ist das germanische Rechtsideal erfüllt.«

Diese Grundsätze stellen eine eindeutige Absage an alle polizeistaatlichen Methoden dar und beinhalten zugleich eine eindeutige Ablehnung des Systems der Konzentrationslager. In der Tat hat aber nicht erst zu dieser Zeit der Angeklagte Frank sich gegen die Errichtung von Konzentrationslagern ausgesprochen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß er bereits in seiner Eigenschaft als bayerischer Justizminister im Jahre 1933 gegen das Konzentrationslager Dachau Stellung genommen hat, daß er für die Durchsetzung des sogenannten Legalitätsprinzips, also die Verfolgung aller strafbaren Handlungen von Amts wegen auch in diesen Lagern kämpfte und daß er darüber hinaus die Auflösung des Konzentrationslagers Dachau forderte. Das letztere steht fest auf Grund der Bekundungen des kommissarisch vernommenen Zeugen Dr. Stepp.

Die Anklage scheint auch in dem Satz »Recht ist, was dem Volke nützt« ein Argument für die Teilnahme des Angeklagten Frank an dem behaupteten gemeinsamen Plan zu erblicken. Dieser Schluß kann nur bei einer völligen Verkennung dessen gezogen werden, was der Angeklagte Frank mit diesem Satz ausdrücken wollte. Er bedeutet nichts anderes als eine Kampfansage an das individualistisch überspitzte Rechtsbewußtsein. Wie mit dem Satz »Gemeinnutz geht vor Eigennutz« sollte auch mit ihm die Forderung nach einem Recht ausgedrückt werden, das mehr als früher gemeinrechtliche und sozialistische Tendenzen berücksichtigte. Er ist in [148] Wirklichkeit nichts anderes als eine andere Formulierung des Satzes: Salus publica suprema lex.

Allein schon aus diesen sachlichen Gegensätzen heraus wäre es undenkbar gewesen, daß der Angeklagte Frank zu dem engeren Mitarbeiterkreis um Hitler hätte gehören können. Die Verschiedenheit der Auffassung über die Funktionen des Rechts mußte während des Krieges noch stärker in Erscheinung treten. Es konnte daher nicht überraschen, daß nach dem Tode des früheren Reichsjustizministers Dr. Gürtner nicht der Angeklagte Frank zu dessen Nachfolger ernannt wurde, sondern der Präsident des Volksgerichtshofs Dr. Thierack.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß keine tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Angeklagte Frank wäre Teilnehmer eines gemeinsamen Planes gewesen, der auf die Führung eines Angriffskrieges und im Zusammenhang damit auf die Begehung von Verbrechen gegen die Kriegsgesetze abzielte. Bevor ich zu den Anklagepunkten übergehe, die dem Angeklagten Frank im Rahmen seiner Tätigkeit als Generalgouverneur zum Vorwurf gemacht werden, will ich kurz auf seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Mitglied der als verbrecherisch angeklagten Organisationen eingehen.

Soweit die Verantwortlichkeit Franks als Mitglied der Reichsregierung zu untersuchen ist, kann ich hier im wesentlichen Bezug nehmen auf meine späteren Ausführungen zum Falle des Angeklagten Heß. Ein Unterschied ist lediglich darin zu erblicken, daß der Angeklagte Heß zwar auch nur Reichsminister ohne Geschäftsbereich war, daß ihm aber auf Grund des Führererlasses vom 27. Juli 1934 in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Führers eine maßgebliche Beteiligung an der Vorbereitung von Gesetzen zustand. Dies war bei dem Angeklagten Frank nicht der Fall. Er hatte auf die Reichsgesetzgebung fast keinen Einfluß. Daraus erklärt sich die Tatsache, daß er nur außerordentlich wenige Reichsgesetze mitunterzeichnete.

Mit Ausnahme des Gesetzes vom 16. März 1935, durch welches die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt wurde, steht sein Name unter keinem der Gesetze, die die Anklage als erheblich für den Nachweis der verbrecherischen Natur der Reichsregierung als Organisation dem Tribunal unterbreitet hat.

Der Angeklagte Frank war in seiner Eigenschaft als Reichsleiter und Leiter des Reichsrechtsamtes auch Mitglied des Korps der Politischen Leiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei. Eine Untersuchung dieses Anklagepunktes erscheint um so weniger veranlaßt, als dem Angeklagten Frank insoweit keine Handlungen zur Last gelegt werden, die den Tatbestand irgendeines Strafgesetzes erfüllen. Im übrigen kann ich auch hier Bezug [149] nehmen auf die im Falle des Angeklagten Heß noch zu machenden Ausführungen.

Im Anhang A der Anklageschrift wird behauptet, daß der Angeklagte Frank General der SS gewesen sei. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß Frank zu keiner Zeit der SS angehört und daß er auch nicht den Ehrenrang eines Generals der SS innegehabt hat. Dagegen war er Obergruppenführer der SA. Hinsichtlich des Antrags der Anklage, auch diese Organisation als verbrecherisch zu erklären, gilt das gleiche wie in Bezug auf den Antrag, das Korps der Politischen Leiter als verbrecherische Organisation zu erklären. Das Statut und die Anklagevertretung verlassen auch hier einen Grundsatz, der bis jetzt als unabdingbarer Bestandteil jeder neuzeitlichen Strafrechtspflege gegolten hat, daß nämlich ohne Feststellung der Schuld in jedem einzelnen Fall auch keine Strafe zulässig sei.

Meine Herren Richter!

Ich komme nun zu den Anklagepunkten, die sich auf die Tätigkeit des Angeklagten Frank als Generalgouverneur beziehen. Als nach dem militärischen Zusammenbruch Polens die Polnische Regierung das Land verlassen hatte, sah sich die deutsche Besatzungsmacht der Aufgabe gegenüber, ohne auf eine parlamentarische Vertretung oder auf die Repräsentanten des früheren polnischen Staates zurückgreifen zu können, wieder eine Verwaltung aufzubauen. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten mußten um so größer sein, als trotz der verhältnismäßig kurzen Dauer des Feldzugs die Kriegsschäden vor allem auf dem Gebiete des Verkehrswesens nicht unerheblich waren. Vor allem aber wurde der Aufbau einer geordneten Verwaltung dadurch behindert, daß das einheitliche Wirtschaftsgebiet des früheren polnischen Staates aufgeteilt wurde in drei Teile. Von dem 388000 qkm umfassenden Gebiet des früheren polnischen Staates kamen etwa 200000 qkm an die Sowjetunion, 97000 qkm bildeten das Generalgouvernement, während der Rest in das Deutsche Reich eingegliedert wurde. Eine Änderung trat mit dem 1. August 1941 ein. An diesem Tage wurde als neuer Distrikt Galizien dem Generalgouvernement angeschlossen, wodurch sich das Generalgouvernement auf eine Fläche von zirka 150000 qkm mit einer Einwohnerzahl von zirka 18 Millionen Menschen vergrößerte. Diese Grenzziehung bedingt für die Verwaltung des Generalgouvernements um so mehr Schwierigkeiten, als die landwirtschaftlichen Überschußgebiete an die Sowjetunion fielen, während auf der anderen Seite zum Beispiel eine so wichtige Industriestadt wie Lodz und vor allem die Kohlenfelder von Dombrowa an das Reich kamen.

Nach dem militärischen Zusammenbruch Polens wurde zunächst eine Militärverwaltung eingerichtet, die die vier Militärbezirke [150] Ostpreußen, Posen, Lodz und Krakau umfaßte und an deren Spitze der Oberbefehlshaber Ost, Generaloberst von Rundstedt, stand. Der Angeklagte Frank war innerhalb dieser Militärverwaltung Oberverwaltungschef. Die Militärverwaltung fand mit dem am 26. Oktober 1939 in Kraft getretenen Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12. Oktober 1939 ihr Ende. Mit diesem Erlaß wurde der Angeklagte Frank zum Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete bestellt, die nicht dem Reich eingegliedert wurden und die kurze Zeit später die Bezeichnung »Generalgouvernement« erhielten.

Im Hinblick auf die Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit will ich davon absehen, im einzelnen zu der Frage Stellung zu nehmen, ob bei der Verwaltung der unter der Bezeichnung Generalgouvernement zusammengefaßten Gebiete des früheren polnischen Staates die Grundsätze anzuwenden waren, die bei der Besetzung feindlichen Gebiets (occupatio bellica) zu beachten sind oder ob hier nicht vielmehr davon ausgegangen werden muß, daß nach dem Untergang des früheren polnischen Staates nach den Grundsätzen über die debellatio zu verfahren war.

Ich komme nunmehr zu der Frage, welche Vollmachten der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur hatte. Nach Artikel 3 des Führererlasses vom 12. Oktober 1939 unterstand der Generalgouverneur unmittelbar dem Führer. Dem Generalgouverneur wurden nach der gleichen Bestimmung sämtliche Verwaltungszweige zugewiesen.

Tatsächlich hatte jedoch der Generalgouverneur bei weitem nicht die Machtvollkommenheiten, wie es zunächst erscheinen möchte. Der Führererlaß selbst sah in Artikel 5 vor, daß auch der Ministerrat für die Reichsverteidigung für den Bereich des Generalgouvernements Recht setzen konnte.

Die gleiche Befugnis stand dem Beauftragten für den Vierjahresplan zu. In Artikel 6 war bestimmt, daß darüber hinaus alle Obersten Reichsbehörden Anordnungen, die für die Planung des deutschen Lebens-und Wirtschaftsraumes erforderlich waren, auch mit Wirkung für das Generalgouvernement treffen konnten.

Außer diesen im Führererlaß vom 12. Oktober 1939 vorgesehenen Einschränkungen der Machtbefugnisse des Generalgouverneurs gab es noch Vollmachten jüngeren Datums, die nicht weniger den Grundsatz der Einheit der Verwaltung durchbrochen haben. Das gilt insbesondere für die Stellung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Ich nehme hier Bezug auf die von der Anklage und von der Verteidigung vorgelegten einschlägigen Dokumente, insbesondere auf den Erlaß des Führers vom 21. März 1942, in welchem ausdrücklich bestimmt ist, daß sich die Befugnisse des [151] Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz auch auf das Gebiet des Generalgouvernements erstrecken. Die gesamte Rüstungswirtschaft im Generalgouvernement unterstand zunächst dem Oberkommando der Wehrmacht und wurde nach Errichtung des Reichsministeriums für Rüstung diesem Ministerium unterstellt. Auf Grund der Beweisaufnahme steht weiterhin fest, daß noch auf anderen Gebieten der Grundsatz der Einheit der Verwaltung weitgehend durchbrochen war. Ich nehme hier insoweit Bezug auf die Angaben der Zeugen Dr. Lammers und Dr. Bühler und auf den Inhalt der von mir vorgelegten Dokumente, insbesondere auf das Dokument US-135. Es handelt sich dabei um die Richtlinien auf Sondergebieten zu Weisung Nummer 21 (Fall Barbarossa), in welchem ausdrücklich bestimmt ist, daß der Oberbefehlshaber des Heeres berechtigt sein sollte, »diejenigen Maßnahmen im Generalgouvernement anzuordnen, die zur Durchführung seines militärischen Auftrags und zur Sicherung der Truppe notwendig sind«, und in denen der Oberbe fehlshalber ermächtigt wird, seine Befugnisse auf die Heeresgruppen und Armeen weiter zu übertragen.

Alle diese Durchbrechungen des Grundsatzes der Einheit der Verwaltung und alle Sondervollmachten müssen jedoch zurücktreten vor der Sonderstellung, die dem Reichsführer-SS Himmler auch für das Gebiet des Generalgouvernements eingeräumt worden war. Auf Grund der Beweisaufnahme und insbesondere auf Grund der Aussagen des Oberregierungsrates im Reichssicherheitshauptamt, Dr. Bilfinger, steht fest, daß bereits im Jahre 1939 bei Gelegenheit der Ernennung des Angeklagten zum Generalgouverneur ein geheimer Erlaß herausgegeben wurde, in welchem bestimmt war, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost seine Weisungen unmittelbar vom Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler empfangen solle. Ebenso ist in dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung des deutschen Volkstums bestimmt, daß der Reichsführer-SS unmittelbar berechtigt sein sollte, die Gestaltung neuer deutscher Siedlungsgebiete durch Umsiedlung durchzuführen.

Diese beiden Erlasse räumten dem Reichsführer-SS Himmler Vollmachten ein, die, vom ersten Tag des Bestehens des Generalgouvernements an, die Verwaltung in diesem Gebiet vor fast unüberwindliche Schwierigkeiten stellen sollte. Denn sehr bald zeigt sich, daß die unter dem Generalgouverneur stehende allgemeine Verwaltung über keine Exekutivorgane im eigentlichen Sinne verfügte. Dadurch, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost seine Weisungen und Befehle unmittelbar vom Reichsführer-SS Himmler erhielt und er sich weigerte, Weisungen des Generalgouverneurs auszuführen, ergab sich sehr bald, daß im Generalgouvernement in Wirklichkeit [152] zwei Gewalten herrschten. Die dadurch bedingten Schwierigkeiten mußten um so größer werden, als der Höhere SS-und Polizeiführer Krüger, der nicht weniger als vier Jahre lang der unmittelbare Vertreter Himmlers im Generalgouvernement war, die Verwaltung des Generalgouvernements vor der Durchführung polizeilicher Maßnahmen nicht einmal verständigte.

Es ist im staatlichen Leben eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache, daß jede Verwaltung ohne polizeiliche Exekutivorgane auf die Dauer nicht in der Lage ist, die ihr gestellten Aufgaben zu erfüllen. Dies trifft schon auf normale Verhältnisse zu, muß aber vor allem für die Verwaltung besetzter Gebiete gelten. Hält man sich dann noch vor Augen, daß nicht nur der Reichsführer-SS Himmler seine Weisungen unter Umgehung des Generalgouverneurs unmittelbar an den Höheren SS- und Polizeiführer erteilte, sondern daß darüber hinaus auch die Ämter III, IV, V und VI des Reichssicherheitshauptamtes ebenfalls unmittelbar Befehle erteilten, und zwar an den Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau, so wird man ermessen können, mit welchen Schwierigkeiten jeden Tag die zivile Verwaltung des Generalgouvernements zu kämpfen hatte.

Unter diesen Umständen blieb dem Generalgouverneur nichts anderes übrig, als immer wieder zu versuchen, nach Möglichkeit irgendeine Form der Zusammenarbeit mit der Sicherheitspolizei zu erreichen, wenn er nicht überhaupt den Versuch aufgeben wollte, im Generalgouvernement eine zivile Verwaltung aufzubauen. Und in der Tat ist die mehr als fünfjährige Geschichte der Verwaltung des Generalgouvernements zu einem wesentlichen Teil nichts anderes als eine Aufzählung der ununterbrochenen Kämpfe zwischen dem Generalgouverneur und der Verwaltung auf der einen Seite und der durch den Reichsführer-SS Himmler und dem Höheren SS- und Polizeiführer Ost verkörperten Sicherheitspolizei einschließlich des SD auf der anderen Seite.

Das gleiche gilt für die Tätigkeit Himmlers und dessen Organe auf dem Gebiete der Umsiedlungen. Als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums führte Himmler mit seinen Organen Umsiedlungsmaßnahmen durch, ohne vorher mit der Verwaltung des Generalgouvernements auch nur Fühlung zu nehmen und den Generalgouverneur zu verständigen.

Die bereits durch die Beweisaufnahme festgestellten zahlreichen Beschwerden des Generalgouverneurs beim Reichsminister und Chef der Reichskanzlei Dr. Lammers über die Maßnahmen des Reichsführers und des Höheren SS- und Polizeiführers Ost und die dadurch bedingten Schwierigkeiten in der Verwaltung dieses Gebietes führten im Jahre 1942 zu dem Versuch, das Verhältnis [153] zwischen der Verwaltung und der Polizei neu zu regeln. Bei rückschauender Betrachtung kann auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme heute gesagt werden, daß auch dieser Versuch von Seiten Himmlers und der Sicherheitspolizei nur dazu benützt wurde, um auch nach außen hin die Stellung des Generalgouverneurs und seiner zivilen Verwaltung zu untergraben.

Durch den Erlaß des Führers vom 7. Mai 1942 wurde im Generalgouvernement ein Staatssekretariat für das Sicherheitswesen errichtet und zum Staatssekretär der Höhere SS- und Polizeiführer ernannt.

Nach Artikel II dieses Erlasses war der Staatssekretär für das Sicherheitswesen zugleich der Vertreter des Reichsführer-SS in dessen Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums. Die entscheidende Bestimmung dieses Erlasses ist in dem Artikel IV enthalten, worin unter anderem bestimmt ist:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei kann dem Staatssekretär für das Sicher heitswesen auf dem Gebiet des Sicherheitswesens und der Festigung des deutschen Volkstums unmittelbar Weisungen erteilen.«

Damit wurde ausdrücklich und nun auch öffentlich der Inhalt des geheimen Erlasses bestätigt, der bereits im Jahre 1939 anläßlich der Errichtung des Generalgouvernements ergangen und in welchem ebenfalls bestimmt worden war, daß der Höhere SS- und Polizeiführer Ost unmittelbar seine Weisungen von den Berliner Zentralstellen, vor allem aber vom Reichsführer-SS persönlich bekommen sollte. Zwar ist im Artikel V des Führererlasses vom 7. Mai 1942 vorgesehen, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Generalgouverneur und dem Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei die Entscheidung des Führers und Chef der Reichskanzlei einzuholen sei.

Der Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, wurde vor diesem Gericht auch in dieser Frage als Zeuge vernommen. Er hat bekundet, daß, soweit es ihm überhaupt möglich war, den Führer mit diesen Fragen zu befassen, dieser grundsätzlich immer die Auffassung Himmlers gebilligt hat. Dies kann nicht überraschen, wenn man sich die Stellung Himmlers im deutschen Regierungssystem, vor allem während der letzten Kriegsjahre, vor Augen hält. Damit war dem Angeklagten Frank auch jede Möglichkeit genommen, in irgendeiner Form auf die Maßnahmen Himmlers und des Höheren SS- und Polizeiführers Ost Einfluß zu nehmen.

Auf Grund des Artikels I, Absatz 3 des Führererlasses vom 7. Mai 1942 mußte der Geschäftsbereich des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen neu festgelegt werden. Sowohl der Höhere SS- und [154] Polizeiführer und hinter ihm stehend der Reichsführer-SS versuchten im Zusammenhang mit der Neuordnung des Geschäftsbereichs des Staatssekretariats für das Sicherheitswesen soviel wie möglich in ihre Zuständigkeit zu bekommen, während umgekehrt selbstverständlich der Generalgouverneur im Interesse der Aufrechterhaltung einer einigermaßen geordneten Verwaltung bestrebt war, wenigstens bestimmte Gebiete der Ordnungspolizei und der Verwaltungspolizei zu bekommen. Aus diesen Kämpfen ist eindeutig die Polizei als Sieger hervorgegangen.

Am 3. Juni 1942 mußte sich der Generalgouverneur bereit erklären, in einem Erlaß über die Überweisung von Dienstgeschäften auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen sämtliche Sachgebiete der Sicherheitspolizei und der Ordnungspolizei auf diesen Staatssekretär zu übertragen. Ich habe im Beweisverfahren als Beweisstück Frank Nummer 4 diesen Erlaß mit seinen Anlagen A und B dem Gericht vorgelegt. Die beiden Anlagen enthalten alle Sachgebiete der Ordnungs- und Sicherheitspolizei, die es im deutschen Polizeiwesen überhaupt gegeben hat. In der Anlage A, die die Sachgebiete der Ordnungspolizei umfaßt, wurden in 26 Ziffern aber nicht nur ordnungspolizeiliche Sachgebiete auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen übertragen, sondern darüber hinaus auch das gesamte Gebiet der sogenannten Verwaltungspolizei. Ich erwähne als eines von zahlreichen Beispielen nur die Ziffer 18, mit welcher sämtliche Angelegenheiten auf dem Gebiet der Preisüberwachung der Ordnungspolizei und damit dem Höheren SS- und Polizeiführer übertragen wurden. Was für die Ordnungspolizei gilt, trifft in noch höherem Maße für die Sachgebiete der Sicherheitspolizei zu. Eine Änderung gegenüber dem früheren Zustand ist insofern nicht eingetreten, als die gesamte politische Polizei und die Kriminalpolizei, der politische Nachrichtendienst, die Judenangelegenheiten und ähnliche Zuständigkeiten dem Höheren SS- und Polizeiführer unterstellt wurden. Diese Aufgaben erfüllte er als Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes völlig unabhängig von der allgemeinen Verwaltung des Generalgouvernements schon auf Grund des geheimen Erlasses aus dem Jahre 1939. Auch darüber hinaus sind dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen auch Sachgebiete übertragen worden, die mit den Aufgaben der Sicherheitspolizei nur in sehr entferntem Zusammenhang stehen, wie das gesamte Feiertagsrecht und ähnliches. Von nicht unerheblicher Bedeutung sind die beiden letzten Ziffern in den Anlagen A und B, in denen ausdrücklich vorgesehen ist, daß die Vertretung des Generalgouvernements – nicht etwa des Gouverneurs – bei Besprechungen und Sitzungen, namentlich bei den Reichszentralbehörden auf allen Gebieten der Ordnungs- und Sicherheitspolizei beim Höheren SS- und Polizeiführer liegen [155] sollte. Damit war endgültig jede Zuständigkeit des Generalgouverneurs, auch auf den an sich unbedeutenden Gebieten der Verwaltungspolizei, auf die Organe des Reichsführers-SS Himmler übergegangen, und die Verwaltung des Generalgouvernements war damit auch der letzten Reste einer eigenen Exekutive beraubt.

Nur bei Berücksichtigung dieser Tatsachen und der Entwicklung des Verhältnisses zwischen Verwaltung und Polizei im Generalgouvernement kann eine auch nur einigermaßen zutreffende Beurteilung dessen erfolgen, was sich im Generalgouvernement ereignete und das zum Teil den Gegenstand der Anklage in diesem Verfahren bildet.

Meine Herren Richter! Die von der Anklage gegen den Angeklagten Dr. Frank erhobenen Beschuldigungen werden im wesentlichen durch Zitate aus dem Tagebuch des Angeklagten zu beweisen versucht. Hierzu ist grundsätzlich folgendes zu sagen:

Dieses Tagebuch wurde von dem Angeklagten Frank nicht persönlich geführt, sondern von Stenographen verfaßt, die bei den Regierungssitzungen und anderen Besprechungen des Generalgouverneurs zugegen waren. Es umfaßt in 42 Bänden nicht weniger als 10000 bis 12000 Schreibmaschinenseiten. Die Eintragungen erfolgten, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, nicht auf Grund des Diktats des Angeklagten, sondern in Form von Niederschriften der Stenographen. Zum großen Teil – und das ergibt sich aus dem Tagebuch selbst – haben die Verfasser dieses Tagebuches nicht die einzelnen Reden und Äußerungen wörtlich niedergelegt, sondern mit eigenen Worten zusammengefaßt. Die Eintragungen im Tagebuch wurden von dem Angeklagten nicht nachgelesen und – wiederum von einer einzigen Ausnahme abgesehen – auch nicht unterschrieben. Die in verschiedenen Bänden des Tagebuches eingehefteten Anwesenheitslisten – sie sind nur in den Bänden über die Regierungssitzungen enthalten – vermögen einen Bestätigungsvermerk über die Richtigkeit nicht zu ersetzen. Es steht ferner auf Grund der Beweisaufnahme fest, daß sehr viele Eintragungen im Tagebuch nicht auf Grund eigener Wahrnehmungen zustande gekommen sind, sondern dadurch, daß die Verfasser des Tagebuches sich nachträglich von den Teilnehmern einer Regierungssitzung oder einer anderen Konferenz den wesentlichen Inhalt der Besprechungen berichten ließen und dann mit eigenen Worten im Tagebuch zum Ausdruck brachten.

Darüber hinaus kann bei einer Durchsicht des Tagebuches leicht festgestellt werden, daß die Eintragungen nicht vollständig sein können.

Alle diese Tatsachen zwingen zu dem Schluß, daß der materielle Beweiswert dieses Tagebuches nicht überschätzt werden darf. Der [156] Beweiswert dieses Tagebuches steht auf keinen Fall in einem Verhältnis zu dem Beweiswert von Eintragungen, die von der in Frage kommenden Person selbst gemacht werden.

Wesentlich erscheint mir aber vor allem folgendes zu sein: Der Inhalt jeder Urkunde hat nur insoweit materiellen Beweiswert, als die Urkunde in ihrer Gesamtheit der Beurteilung unterzogen wird. Das Tagebuch des Angeklagten Frank ist mit seinen 10000 bis 12000 Seiten eine einheitliche Urkunde. Es geht nicht an, einzelne Eintragungen für sich allein zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu machen, ohne den Zusammenhang herzustellen, in welchem die Eintragungen zum Teil nur verstanden werden können. Es geht aber vor allem nicht an und verstößt gegen die Grundsätze jeder Beweisführung, aus einem einheitlichen Vorgang, wie ihn zum Beispiel eine lange Rede darstellt, nur einzelne Sätze zum Gegenstand des Beweisverfahrens zu machen. Ich habe im Dokumentenbuch Nummer II einige derartige Beispiele aufgeführt, und ich nehme darauf Bezug.

Wie der Angeklagte Frank im Zeugenstand mit Recht selbst betont hat, stellt das Tagebuch ein einheitliches Ganzes dar und kann auch nur in seiner Gesamtheit als Beweismaterial Gegenstand des Beweisverfahrens sein. Ich habe das mehr als 10000 Seiten umfassende Tagebuch durchgelesen und kann diese Auffassung nur bestätigen. Dies war auch der Grund, warum ich nicht etwa einzelne Eintragungen zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht habe, sondern das gesamte Tagebuch.

Wenn ich selbst im Beweisverfahren einzelne Eintragungen des Tagebuches verlesen habe, und wenn ich im Rahmen der gegenwärtigen Darstellung noch einige Zitate aus diesem Tagebuch geben werde, dann kann ebenso wie den Auszügen, die die Anklage vorgelegt hat, selbstverständlich auch diesen Zitaten ein Beweiswert nur im Rahmen des ganzen Tagebuches zuerkannt werden.

Auf Grund der Beweisaufnahme kann ferner folgendes als festgestellt angesehen werden: Wie sich aus den Tagebüchern und insbesondere aus den Bekundungen der Zeugen Bühler, Böpple und Meidinger ergibt, hat der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur an einem Tag oft zwei oder drei Reden aus dem Stegreif gehalten. Die von der Anklage vorgelegten Auszüge aus dem Tagebuch sind zum größten Teil einzelne Sätze aus solchen Reden. Berücksichtigt man nun das Temperament des Angeklagten und seine Neigung zu zugespitzten Formulierungen, so ist auch das mit ein Grund, der den Beweiswert dieser Tagebuchauszüge herabzusetzen geeignet ist. Und tatsächlich finden sich viele Tagebucheintragungen, die in offenem Widerspruch stehen zu den Eintragungen über den gleichen Gegenstand, die kurz vorher oder wenig später erfolgt sind.

[157] Bei den vielen Reden, die der Angeklagte Frank gehalten hat, darf auch folgendes nicht außer Betracht bleiben, und auch das kann auf Grund der Beweisaufnahme als festgestellt angesehen werden: Als offener Verfechter der Idee des Rechtsstaates und der Unabhängigkeit des Richters konnte es nicht ausbleiben, daß der Angeklagte Frank in immer höherem Maße in einen scharfen Gegensatz zu den Repräsentanten des Systems des Polizeistaates geriet, wie es im Laufe des Krieges immer mehr in Erscheinung getreten ist, und zwar sowohl innerhalb des Reichsgebietes als auch in den besetzten Gebieten. Die Repräsentanten dieses Polizeistaates waren aber der Reichsführer-SS Himmler und für das Gebiet des Generalgouvernements der Höhere SS- und Polizeiführer Ost, und hier vor allem wieder der SS-Obergruppenführer und General der Polizei Krüger. Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten Frank auf der einen Seite und dem Reichsfüh rer-SS Himmler und dessen Vertreter, Obergruppenführer Krüger, auf der anderen Seite war schon bei Errichtung des Generalgouvernements denkbar schlecht. Es mußte noch mehr leiden, als die Verschiedenheit der Auffassungen über die Aufgaben der Polizei immer offener zutage trat und der Angeklagte Frank gezwungen war, wegen der Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD sich immer wieder und immer schärfer mit Beschwerden an den Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers, und an den Führer selbst zu wenden.

Wie ich bereits eingangs ausgeführt habe, blieb auf der anderen Seite dem Generalgouverneur infolge des Fehlens einer eigenen Exekutive nichts anderes übrig, als immer wieder den Versuch zu machen, die Aufgaben der allgemeinen Verwaltung und die der Polizei zu koordinieren, um überhaupt noch eine Verwaltungstätigkeit durchführen zu können. Diese Absichten bedingten aber selbstverständlich wenigstens nach außenhin ein gewisses Eingehen auf die allgemeine Einstellung der Sicherheitspolizei und vor allem des Höheren SS- und Polizeiführers Ost. Darüber hinaus hat aber die Beweisaufnahme weiterhin ergeben, daß die zwischen dem Generalgouverneur und dem Höheren SS- und Polizeiführer bestehende Spannung oft ein Ausmaß erreichte, daß der Angeklagte Frank sich bedroht fühlen mußte und, um mit den Worten des Zeugen Dr. Bühler zu sprechen, er nicht mehr frei und Herr seiner eigenen Entschließungen war.

In der Tat sind die Bekundungen des Zeugen von dem Bach-Zelewsky und des Zeugen Dr. Albrecht in diesem Punkt völlig eindeutig. Mit Recht hat daher der Zeuge Dr. Bühler auch darauf hingewiesen, daß der Angeklagte Frank sich immer dann in besonders scharfen Äußerungen erging, wenn der Höhere SS-und Polizeiführer oder der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD an den Besprechungen teilnahmen und daß seine Ausführungen [158] in einem durchaus anderen Ton gehalten waren, wenn er nur vor den Männern der Verwaltung sprach. Eine auch nur flüchtige Durchsicht des Tagebuches bestätigt dies auch. Alle diese Umstände werden bei der Beurteilung des materiellen Beweiswertes des Tagebuches des Angeklagten Frank mit zu berücksichtigen sein. Dabei soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß diese Tagebücher das einzige waren, was Frank von seinem persönlichen Eigentum aus der Burg in Krakau retten konnte. Er hat sämtliche Tagebücher bei seiner Festnahme den ihn verhaftenden Offizieren übergeben. Es wäre für ihn ein leichtes gewesen, diese Tagebücher zu vernichten.

Meine Herren Richter!

Ich komme nunmehr zu den einzelnen gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen und zu ihrer rechtlichen Würdigung. Der Angeklagte Frank wird beschuldigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität bei der Verwaltung besetzter Gebiete genehmigt und an ihnen teilgenommen zu haben.

Das geltende Recht geht grundsätzlich davon aus, daß Subjekt des Völkerrechts nur der souveräne Staat, nicht aber dar Einzelmensch ist. Eine völkerrechtliche Verpflichtung eines Einzelmenschen würde nur dann vorliegen, wenn das Völkerrecht selbst einen Tatbestand mit einer Unrechtsfolge verknüpfen und anordnen würde, daß diese Normen unmittelbar auf den von einem Menschen gesetzten Tatbestand anzuwenden sind. Erst dadurch würden die Einzelpersonen, die nach geltendem Recht nur dem staatlichen Strafrecht unterworfen sind, ausnahmsweise unmittelbar durch das Völkerrecht selbst verpflichtet werden.

In Abweichung von dieser Regel läßt das geltende Völkerrecht nur ausnahmsweise zu, daß ein Staat einen in seine Gewalt gefallenen Angehörigen des Feindes bestrafen kann, wenn er sich vor der Gefangennahme einer Verletzung des Kriegsrechtes schuldig gemacht hat. Eine Bestrafung ist aber auch hier ausgeschlossen, wenn die Tat nicht aus eigenem Antrieb begangen wurde, sondern ausschließlich dem Heimatstaat zugerechnet werden kann. Im übrigen sind der Begriff des Kriegsverbrechens und seine Tatbestandsmerkmale sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur äußerst umstritten.

Auch die Haager Landkriegsordnung, die als Anlage zu dem IV. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkrieges eine Kodifikation einzelner Materien des Kriegsrechts bringen sollte, enthält keine Tatbestände, die als Grundlage für eine strafrechtliche Haftung von Einzelpersonen herangezogen werden könnten. In Artikel 3 dieses Abkommens ist vielmehr ausdrücklich bestimmt, daß nicht Einzelpersonen, sondern der Staat, welcher die Bestimmungen der Ordnung verletzt, gegebenenfalls [159] zum Schadenersatz verpflichtet und auch für alle Handlungen verantwortlich sei, die von den zu seiner bewaffneten Macht gehörenden Personen begangen werden.

Im übrigen ist zu der Haager Landkriegsordnung aus dem Jahre 1907 folgendes zu sagen:

Die in ihr niedergelegten Grundsätze beruhen auf den Erfahrungen der Kriege des 19. Jahrhunderts. Diese Kriege beschränken sich im wesentlichen auf die unmittelbar daran beteiligten bewaffneten Streitkräfte.

Bereits der erste Weltkrieg hat diesen Rahmen verlassen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die räumliche Ausdehnung der kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Krieg wurde vielmehr zu einem Vernichtungskampf der einzelnen Völker, bei dem jede Kriegspartei ihr gesamtes Kriegspotential und ihre sämtlichen materiellen und immateriellen Kräfte einsetzte. Der zweite Weltkrieg mußte im Hinblick auf die Vervollkommnung der Kriegstechnik den in der Haager Landkriegsordnung für die Kriegführung vorgesehenen Rahmen vollends sprengen. Das kann durch den Augenschein bewiesen werden: Der heutige Zustand Europas zeigt es. Hält man sich dann noch vor Augen, daß allein in Deutschland infolge von Fliegerangriffen nicht nur fast alle Städte zum größten Teil zerstört wurden, daß dabei erheblich mehr als eine Million Menschen der Zivilbevölkerung ihr Leben eingebüßt haben, daß bei einem einzigen Großangriff auf die Stadt Dresden 300000 Menschen ihr Leben verloren haben, dann wird man ermessen können, daß die in der Haager Landkriegsordnung niedergelegten Regeln jedenfalls auf weiten Gebieten des Kriegsrechts kein zutreffender Ausdruck mehr sein können für die im Kriege zu beachtenden Gesetze und Gebräuche. Sollte darüber aber noch irgendein Zweifel bestehen, dann werden diese sicher behoben durch die Folgen der zwei Atombomben, die Hiroshima und Nagasaki dem Erdboden gleich machten und Hunderttausende von Menschen töteten.

Unter diesen Umständen können die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung auch nicht im übertragenen Sinn und in entsprechender Anwendung zur Begründung einer persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit herangezogen werden.

Bei dieser Sachlage muß es als ausgeschlossen angesehen werden, die Tatbestandsmerkmale des sogenannten Kriegsverbrechens allgemein und eindeutig zu bestimmen. Im Hinblick darauf, daß auch Artikel 6 des Statuts für das Internationale Militärtribunal nur eine beispielhafte Aufzählung geben will, kann die Frage, ob in einem bestimmten Verhalten der Tatbestand eines Kriegsverbrechens zu erblicken ist oder nicht, nur von Fall zu Fall beantwortet werden und auch hier nur unter Berücksichtigung aller Umstände.

[160] Im Rahmen der Beweisführung für die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank hat die Anklagevertretung als Beweisstück US-609 (864-PS) eine Niederschrift über die Besprechung des Führers mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht über die künftige Gestaltung der polnischen Verhältnisse zu Deutschland vorgelegt. Diese Besprechung hat am 17. Oktober 1939 stattgefunden. Es wird behauptet, daß allein schon dieses Protokoll, in welchem die Verwaltungsziele des Angeklagten Frank im Generalgouvernement niedergelegt sein sollen, einen mit den Gesetzen der Kriegführung und der Menschlichkeit im Gegensatz stehenden Plan oder Verschwörung darstelle. Diese Schlußfolgerung ist, jedenfalls soweit der Angeklagte Frank in Betracht kommt, nicht zulässig. Die Anklagevertretung konnte nicht den Nachweis erbringen, daß dem Angeklagten Frank vom Führer ein Auftrag erteilt worden wäre, der in Übereinstimmung stand mit den in dieser Besprechung geforderten Verwaltungszielen. Dies erscheint auch deshalb sehr unwahrscheinlich, weil die in dieser Besprechung aufgestellten Richtlinien sich in der Hauptsache auf Maßnahmen bezogen, die nicht von der allgemeinen Verwaltung, sondern nur von der Sicherheitspolizei, dem Sicherheitsdienst und den übrigen Organen und Ämtern des Reichsführer-SS Himmler durchgeführt werden konnten. Es ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Vollmachten hinzuweisen, die dem Reichsführer-SS Himmler schon vor dieser Besprechung in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums erteilt worden waren. Tatsächlich ist nun in der Urkunde US-609 am Schluß verwiesen auf einen an Himmler erteilten Auftrag. Im Hinblick darauf, daß der Angeklagte Frank bereits Mitte September 1939 in einer sehr kurzen Besprechung von Hitler den Auftrag bekommen hatte, als Oberverwaltungschef die zivile Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete zu übernehmen, und da er Hitler sehr lange Zeit nicht mehr gesehen hat, muß mit Sicherheit angenommen werden, daß die in der Besprechung zwischen Hitler und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht aufgestellten Richtlinien nicht für den Angeklagten Frank, sondern für den Reichsführer-SS Himmler bestimmt waren, der allein über die erforderlichen Vollzugsorgane verfügte.

VORSITZENDER: Wir werden jetzt eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. SEIDL: Herr Präsident, meine Herren Richter!

Ein anderes Dokument, auf das die Anklagevertretung Bezug genommen hat und aus welchem sich ebenfalls die Strafbarkeit der Verwaltungsziele des Angeklagten Frank ergeben soll, ist Beweisstück US-297 (EC-344-16). Gegenstand dieses Dokuments ist eine [161] Besprechung, die der Angeklagte Frank am 3. Oktober 1939 mit einem Hauptmann Varain gehabt haben soll. Der Angeklagte Frank hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand ausgesagt, daß er derartige oder ähnliche Ausführungen zu einem Offizier niemals gemacht habe. Im übrigen ergibt sich schon bei einem Vergleich der Daten, daß diese Unterredung, auch wenn sie stattgefunden haben soll, in keinem Zusammenhang stehen kann mit dem Inhalt der Besprechung zwischen dem Führer und dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, da diese erst am 17. Oktober 1939 stattgefunden hat, zeitlich also später er folgte.

Zwar nicht im Rahmen der Beweisführung, deren Gegenstand die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank war, aber bei der Anklage über die sogenannte Germanisierung wurde ein Dokument unter der Beweisstück-Nummer US-300 vorgelegt (661-PS).

Es handelt sich um eine Denkschrift mit der Bezeichnung »Rechtsgestaltung deutscher Polenpolitik nach volkspolitischen Gesichtspunkten«. Nach einem Vermerk auf dem Titelblatt sollte der juristische Teil als Vorlage für den nationalitätenrechtlichen Ausschuß der Akademie für Deutsches Recht dienen. Diesem Dokument kann im Rahmen der persönlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank keine beweiserhebliche Bedeutung zukommen. Er hat bei seiner Vernehmung im Zeugenstand erklärt, zu dieser Arbeit keinen Auftrag erteilt zu haben und den Inhalt auch nicht zu kennen. Darüber hinaus dürfte dieser Urkunde für den Rahmen dieses Prozesses überhaupt kein materieller Beweiswert zuzuerkennen sein.

Die Denkschrift läßt weder den Verfasser erkennen, noch ergibt sich aus ihr, in welchem Auftrag sie verfaßt wurde. Nach dem ganzen Inhalt und der Form scheint es sich nicht um ein amtliches Dokument zu handeln, sondern um die Arbeit einer Privatperson. Als Fundort wurde das Justizministerium in Kassel angegeben. Tatsächlich aber gibt es seit vielen Jahrzehnten in Kassel kein Justizministerium mehr. Alle diese Umstände lassen den materiellen Beweiswert dieser Urkunde als mindestens sehr gering erscheinen.

Was immer auch der Beweiswert sein mag von Niederschriften über Besprechungen, die im Jahre 1939 anläßlich der Errichtung des Generalgouvernements stattgefunden haben. Für die Beurteilung des Verhaltens des Angeklagten Frank ist nicht so sehr von wesentlicher Bedeutung, was Hitler, was er selbst oder andere Personen bei dieser oder jener Gelegenheit gesagt haben, sondern welche Politik der Angeklagte Frank tatsächlich gegenüber dem polnischen und ukrainischen Volk betrieben hat. Und hier kann nun kein Zweifel möglich sein, und zwar auf Grund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere aber auf Grund der [162] Eintragungen im Tagebuch des Angeklagten selbst, daß er alle auf eine Germanisierung gerichteten Tendenzen und Maßnahmen ablehnte. Aus den von mir dem Gericht vorgelegten Tagebuchauszügen ergibt sich das mit aller Deutlichkeit. So gebrauchte er auf einer Abteilungsleitersitzung am 8. März 1940, also vor den Männern, die als Leiter der verschiedenen Hauptabteilungen seine Richtlinien in die Wirklichkeit umzusetzen hatten, folgendes Zitat:

»... Vom Führer ist mir aufgegeben worden, das Generalgouvernement als Heimstätte des polni schen Volkes zu betrachten. Demnach ist keine irgendwie geartete Germanisierung möglich. Ich bitte Sie, in Ihren Ämtern strengstens auf die Zweisprachigkeit sehen zu wollen; ich bitte Sie auch, bei den Distrikten und Kreishauptmannschaften darauf hinzuweisen, daß dieser Sicherung des polnischen Eigenlebens nicht in gewalttätiger Weise entgegengetreten wird. Wir haben hier demnach vom Führer in gewissem Sinne die treuhänderische Pflege des polnischen Volkstums übernommen...«

Allein schon diese Erklärung läßt mit Sicherheit den Schluß zu, daß die in dem Dokument US-609 (864-PS) in der Besprechung zwischen Hitler und dem Chef des OKW am 17. Oktober 1939 aufgestellten Richtlinien unmöglich zum Gegenstand des dem Angeklagten Frank erteilten Auftrages gemacht worden sein können. Aus der gesamten Tätigkeit des Höheren SS- und Polizeiführers vom ersten Tag seiner Ernennung an kann vielmehr mit Sicherheit geschlossen werden, daß Hitler die in der Besprechung mit dem Chef des OKW niedergelegten Richtlinien dem Reichsführer-SS Himmler erteilt hat, wenn sie überhaupt erteilt worden sind.

In der gleichen Linie bewegt sich ein Tagebucheintrag vom 19. Februar 1940, in welchem sich der Angeklagte Frank für die Bildung eines polnischen Regierungs- oder Regentschaftsrates ausspricht.

In programmatischer Form hat der Angeklagte Frank die von ihm erteilten Richtlinien in der allgemeinen Verwaltung auf einer Arbeitstagung der Abteilungsleiter, Kreishauptmänner und Stadthauptmänner des Distrikts von Radom am 25. Februar 1940 verkündet. Der Angeklagte Frank erklärte dabei unter anderem folgendes:

  • »1. Das Generalgouvernement umfaßt den Teil der besetzten polnischen Gebiete, der nicht Bestandteil des Deutschen Reiches ist...

  • 2. Dieses Gebiet ist vom Führer als Heimstätte des polnischen Volkes bestimmt worden. Es wurde mir in Berlin vom Führer und vom Generalfeldmarschall Göring immer wieder eingeschärft, daß das Gebiet nicht der Germanisierung ausgeliefert wird.

  • [163] 3. Nach den uns gegebenen Weisungen gelten jetzt auch hier nach der vom Führer gegebenen Verordnung die polnischen Gesetze weiter...«

Am 7. Juni 1942 erklärte der Angeklagte Frank wörtlich:

»Wir kommen und gehen in dieses Land nicht als Gewaltherrscher. Unsere Absichten sind nicht terroristischer oder unterdrückerischer Art. Wir behüten, wohlgefügt in die Interessen des Großdeutschen Raumes, die Lebensrechte auch der Polen oder Ukrainer in diesem Raum. Wir haben den Polen und Ukrainern weder ihre Kirchen noch ihre Schulen und ihre Erziehung genommen. Der Deutsche will nicht gewalttätig entnationalisieren; wir sind uns selbst genug, und wir wissen, daß man in unsere Gemeinschaft hineingeboren werden muß und daß es eine Auszeichnung ist, ihr anzugehören. Daher können wir auch mit diesem Werk vor der Welt bestehen.«

Diese Beispiele könnten noch durch viele vermehrt werden, die alle deutlich erkennen lassen, daß jedenfalls die Maßnahmen des Angeklagten Frank auf eine pflegliche Behandlung des polnischen Volkstums abgestellt waren und daß er jede Gewaltpolitik ablehnte.

Ich komme nunmehr zu der sogenannten außerordentlichen Befriedungsaktion. Als im September 1939 der Feldzug gegen Polen zu Ende gegangen war, war das nicht gleichbedeutend mit dem Aufhören jeden Widerstandes. Schon kurze Zeit später bildeten sich neue Widerstandszentren, und als am 9. April 1940 die deutschen Truppen Dänemark und Norwegen besetzten und am 10. Mai 1940 das deutsche Westheer zum Angriff angetreten war, glaubten die Führer der damaligen polnischen Widerstandsbewegung im Hinblick auf die allgemeine politische und militärische Lage, daß nunmehr die Zeit zum Losschlagen gekommen sei. Diese Widerstandsbewegung war um so gefährlicher, als in ihr versprengte und nicht unerhebliche Reste des früheren polnischen Heeres sich betätigten. Aus einer großen Anzahl von Eintragungen aus dem Tagebuch des Angeklagten Frank ergibt sich, daß sich die Sicherheitslage zu die ser Zeit von Tag zu Tag verschlechterte. So lautet eine Eintragung vom 16. Mai 1940 wie folgt:

»...die allgemeine Kriegslage zwingt zu ernstester Betrachtung der inneren Sicherheitslage des Generalgouvernements. Aus einer Fülle von Anzeichen und Handlungen kann man den Schluß ziehen, daß eine großorganisierte Widerstandswelle der Polen im Lande vorhanden ist und man unmittelbar vor dem Ausbruch größerer gewaltsamer Ereignisse steht. Tausende von Polen sind bereits in Geheimzirkeln [164] zusammengefaßt, bewaffnet und werden in der aufrührerischsten Form veranlaßt, Gewalttätigkeiten aller Art zu verüben.«

Im Hinblick auf diese bedrohliche Gesamtlage wurde – und auch das ergibt sich aus dem Tagebuch – vom Führer selbst der Befehl erteilt, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit alle Maßnahmen zur Niederschlagung des bevorstehenden Aufstandes durchzuführen. Dieser Auftrag war über Himmler dem Höheren SS- und Polizeiführer erteilt worden. Die Verwaltung des Generalgouvernements hatte damit zunächst nichts zu tun. Sie schaltete sich ein, um nach Möglichkeit Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD zu verhindern und unter allen Umständen zu erreichen, daß Unschuldige dabei nicht ums Leben kamen. Auf Grund der Angaben der Angeklagten Frank und Seyß-Inquart im Zeugenstand und der Bekundungen des Zeugen Dr. Bühler kann als festgestellt angesehen werden, daß Anstrengungen der Verwaltung des Generalgouvernements insofern erfolgreich waren, als alle von dieser außerordentlichen Aktion erfaßten Mitglieder der Widerstandsbewegung auf Grund einer im Jahre 1939 erlassenen Verordnung einem Standgerichtsverfahren unterzogen wurden und daß ferner die Urteile dieser Standgerichte vor ihrer Vollstreckung einem zu diesem Zweck eingerichteten Gnadenausschuß vorgelegt wurden, der in zahlreichen Fällen eine Abänderung des Urteils verfügte. Der Vorsitzende dieses Gnadenausschusses war bis zu seiner Ernennung zum Reichskommissar für die Niederlande der Angeklagte Dr. Seyß-Inquart. Wie sich aus seinen Aussagen ergibt, wurden nicht weniger als die Hälfte der von den Standgerichten ausgesprochenen Todesstrafen im Gnadenweg in Freiheitsstrafen umgewandelt. Im übrigen nehme ich, was die sogenannte außerordentliche Befriedungsaktion anlangt, Bezug auf die Zeugenaussagen und die von mir in das Protokoll gelesenen Auszüge aus dem Tagebuch des Angeklagten Frank.

Dem Angeklagten Frank wird im Rahmen der gegen ihn persönlich erhobenen Beschuldigungen der Vorwurf gemacht, die Umsiedlungspläne des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums, Himmler, unterstützt und sich dadurch ebenfalls eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht zu haben. Es ist keine Frage, daß Umsiedlungen und wenn sie noch so planmäßig und wohlvorbereitet durchgeführt werden, für die davon Betroffenen eine ungeheuer große Härte darstellen, kommt doch in vielen Fällen die Umsiedlung der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz gleich. Trotzdem erscheint es zweifelhaft, ob die Durchführung von Umsiedlungen den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt, und zwar aus folgenden Gründen:

Deutschland wird heute überflutet von Millionen von Menschen, die von Haus und Hof vertrieben wurden und die nichts mehr ihr [165] Eigentum nennen, als was sie bei sich führten. Das dadurch verursachte Elend, das sich noch durch die Zerstörungen des Krieges ins Unermeßliche steigern muß, ist derart furchtbar, daß sich die Bischöfe der Kölner und Paderborner Kirchenprovinz am 29. März 1946 veranlaßt gesehen haben, auf diesen Sachverhalt die Augen der ganzen Welt zu lenken. Es heißt darin unter anderem:

»... Vor einigen Wochen schon sahen wir uns veranlaßt, Stellung zu nehmen zu den himmelschreienden Vorgängen im Osten Deutschlands, vor allem in Schlesien und im Sudetenland, wo mehr als zehn Millionen Deutsche aus der angestammten Heimat in brutaler Weise vertrieben werden, ohne daß untersucht wird, ob eine persönliche Schuld vorliegt oder nicht. Keine Feder kann das namenlose Elend schildern, das dort unter Mißachtung jeglicher Menschlichkeit und Gerechtigkeit sich vollzieht. All diese Menschen werden ohne jede Habe, ohne die Möglichkeit einer Existenzgründung im Restdeutschland zusammengepfercht. Es ist nicht abzusehen, wie diese aus der Heimat vertriebenen Massen nicht zu friedlosen und friedenstörenden Elementen werden sollen.«

Meine Herren Richter!

Ich erwähne das nicht, um auf die ungeheuren Gefahren hinzuweisen, die mit derartigen Maßnahmen allein schon im Hinblick darauf entstehen müssen, daß unter Berücksichtigung der vorgesehenen Abtrennungen Deutschland auf einem im Verhältnis zu 1919 um 22 Prozent verminderten Gebiet eine um 18 Prozent vermehrte Bevölkerung zu ernähren hat und daß künftig auf den Quadratkilometer etwa 200 Einwohner kommen werden. Ich weise auf diesen Sachverhalt auch nicht hin, um darzulegen, daß bei einer Fortführung der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik und bei Aufrechterhaltung des sogenannten Industrieplanes Deutschland einer Katastrophe entgegentreibt, deren Folgen sich nicht auf das deutsche Volk allein werden beschränken lassen. Die Beweiserheblichkeit dieser Tatsachen ergibt sich vielmehr aus folgendem:

Die Vertreibung von Millionen von Deutschen aus ihrer angestammten Heimat erfolgt auf Grund eines Beschlusses, welcher am 2. August 1945...

GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Ich bitte um Entschuldigung, daß ich den Verteidiger unterbreche. Aber ich glaube nicht, daß seine Rechtsausführungen und die Kritik der Entschlüsse von Potsdam mit dem gegenwärtigen Fall etwas zu tun haben.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Darf ich dazu kurz Stellung nehmen?

Es handelt sich für mich nicht darum, eine Kritik an den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz zu üben, sondern es handelt [166] sich für mich darum, ob unter Anwendung der Regeln des Statuts ein bestimmtes Verhalten, das dem Angeklagten Frank zur Last gelegt wurde, den Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt. Nur im Rahmen der Prüfung dieser Frage sehe ich mich gezwungen, auf die Beschlüsse der sogenannten Potsdamer Konferenz zu sprechen zu kommen.


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Ihre Hinweise auf die Potsdamer Konferenz unerheblich sind und daß der Einwand des Generals Rudenko deshalb berechtigt ist.

Sie werden angewiesen, zu einem anderen Teil Ihrer Ausführungen überzugehen.


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich nehme an, daß dem Gericht die Übersetzung meines Entwurfes zum Plädoyer vorliegt. Aber ich bin mir nun nicht klar, ob die auf Seite 38 gezogenen Schlußfolgerungen ebenfalls von der soeben getroffenen Entscheidung des Tribunals mitergriffen werden?


VORSITZENDER: Ja, sie sind auch mit einbegriffen. Ich glaube, Sie können auf Seite 40 fortfahren, wo Sie anfangen, sich mit der Judenfrage zu befassen. Das ist der zweite Absatz auf Seite 40.


DR. SEIDL: Gut, Herr Präsident!

Dem Angeklagten Frank wird ferner zum Vorwurf gemacht, in Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der Humanität ein Programm der Ausrottung von Juden polnischer Nationalität befürwortet und durchgeführt zu haben. Es ist richtig, daß in einer Reihe von Reden, die der Angeklagte Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur gehalten hat, er sich auch zur Stellung der Juden geäußert hat. Die von der Anklage im Zusammenhang mit dieser Frage vorgelegten Tagebuchauszüge stellen im wesentlichen alles dar, was sich im Tagebuch des Angeklagten Frank auf 10000 bis 12000 Schreibmaschinenseiten darüber findet. Trotzdem soll nicht bestritten werden, daß der Angeklagte Frank aus seiner antisemitischen Einstellung nie ein Hehl gemacht hat. Er hat sich zu dieser Frage bei seiner Vernehmung im Zeugenstand eingehend geäußert.

Davon scharf zu trennen ist jedoch die Frage, welche Bedeutung den von der Anklage in diesem Zusammenhang vorgelegten Tagebucheinträgen zukommt. Es handelt sich fast ausschließlich um Äußerungen des Angeklagten Frank, um Reden, ohne daß von der Anklagevertretung auch nur der Versuch gemacht worden wäre, einen Nachweis für das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesen Äußerungen und den von der Sicherheitspolizei durchgeführten Maßnahmen gegen die Juden zu erbringen.

[167] Denn auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere den Bekundungen der Zeugen Dr. Bilfinger und Dr. Bühler, kann im Zusammenhang mit dem geheimen Erlaß über die Zuständigkeit der Sicherheitspolizei und des SD aus dem Jahre 1939 und dem Erlaß über die Zuweisung von Aufgaben auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen als festgestellt angesehen werden, daß alle die Juden im Generalgouvernement betreffenden Maßnahmen ausschließlich von dem Reichsführer-SS Himmler und dessen Organen durchgeführt wurden. Das gilt sowohl für die Errichtung und Verwaltung der Ghettos, wie für die sogenannte Endlösung der Judenfrage.

Was die letztere Frage betrifft, so kann hier auf Grund der Bekundungen der Zeugen Wisliceny und Höß und auf Grund der von der Anklage vorgelegten Dokumente gesagt werden, daß diese Maßnahmen durchgeführt wurden auf Grund eines ausdrücklichen Befehls Hitlers und daß mit der Durchführung nur ein kleiner Personenkreis befaßt war, der sich im wesentlichen auf einige SS-Führer der Abteilung IV a 4b des Reichssicherheitshauptamtes und die Mannschaften der Konzentrationslager beschränkte, die für die Durchführung dieser Aufgabe bestimmt worden waren.

Die Verwaltung des Generalgouvernements hatte mit diesen Maßnahmen nichts zu tun. Es steht damit aber auch weiter fest, daß die von der Anklage vorgelegten judenfeindlichen Äußerungen des Angeklagten Frank in keinem ursächlichen Zusammenhang stehen mit der sogenannten Endlösung der Judenfrage. Da der Kausalzusammenhang festgestellt sein muß, bevor die Frage der Rechtswidrigkeit und der Schuld überhaupt nur in Erwägung gezogen werden kann, erscheint es nicht notwendig, näher auf diese Frage einzugehen. Dies um so weniger, als der Tatbestand irgendeiner strafbaren Handlung nur dann als erfüllt angesehen werden kann, wenn es wenigstens zum Versuch gekommen ist, wenn also mindestens mit der Ausführung ein Anfang gemacht worden war. Die im Tagebuch des Angeklagten Frank enthaltenen Äußerungen stellen bei Anwendung der Grundsätze, wie sie sich aus dem Strafrecht aller zivilisierten Nationen herleiten, nicht einmal Vorbereitungshandlungen dar.

Mit Rücksicht auf das manchmal bis zum Zerreißen angespannte Verhältnis zwischen dem Generalgouverneur auf der einen Seite und dem Reichsführer-SS Himmler und dem Höheren SS- und Polizeiführer Krüger auf der anderen Seite, erscheint es auch völlig ausgeschlossen, die Äußerungen des Angeklagten Frank als Anstiftungs- oder als Beihilfehandlung zu werten. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil ergeben, daß alle Bemühungen des Angeklagten Frank, den über die Vernichtung der Juden entstandenen Gerüchten [168] wenigstens innerhalb seines Verwaltungsbereiches mit Erfolg nachzugehen, gescheitert sind. Nur der Vollständigkeit halber sei auch hier erwähnt, daß das Konzentrationslager Auschwitz sich nicht im Generalgouvernement befunden hat, sondern in dem Teil des früheren Staates Polen, der an Oberschlesien angeschlossen worden ist.

Im übrigen ist aus der Anklageschrift nicht klar ersichtlich, ob schon in der Errichtung und in der Verwaltung von Konzentrationslagern der Tatbestand eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erblickt werden soll, oder ob die Anklage die Errichtung derartiger Lager lediglich als Teil des sogenannten gemeinsamen Planes betrachtet. Sieht man von den in den Konzentrationslagern begangenen Verbrechen ab, und erblickt man das Wesen der Konzentrationslager darin, daß in ihnen Menschen aus staats- oder sicherheitspolizeilichen Gründen wegen ihrer politischen Überzeugung verwahrt wurden, und zwar ohne die Möglichkeit zu haben, sich in einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verteidigen, so erscheint es zumindest zweifelhaft, ob nicht einer Besatzungsmacht das Recht zuerkannt werden müsse, derartige im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Davon abgesehen, daß es nicht Nationalsozialisten und überhaupt nicht Deutsche waren, die zum erstenmal derartige Lager eingerichtet haben, ist auf folgenden Tatbestand hinzuweisen:

Allein in der von den amerikanischen Truppen besetzten Zone Deutschlands wurden nach einer Mitteilung...


DR. ROBERT M. KEMPNER, HILFSANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Wir erheben Einspruch. Diese Sache ist völlig unerheblich.


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Wollen Sie etwas gegen den Einwand erwidern?


DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich bitte, den Widerspruch der Anklagevertretung zurückzuweisen, und zwar darf ich kurz folgendes sagen:

Es handelt sich für mich nicht darum, Kritik an einer Besatzungsmacht zu üben, sondern es handelt sich für mich dabei nur um die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten, das dem Angeklagten Frank von der Anklage vorgeworfen wird, den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllt. Ich gehe davon aus, daß das, was für die eine Besatzungsmacht rechtens sein muß, auch der anderen Besatzungsmacht unter den gleichen Umständen zuerkannt werden muß, insbesondere, wenn es sich darum handelt, daß die Vorwürfe, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, Handlungen betreffen, die während des Krieges durchgeführt wurden, während [169] ja der Kriegszustand gegen Deutschland spätestens mit dem 8. Mai 1945 sein Ende gefunden hat, diese zwingenden Notwendigkeiten also in dem Ausmaß vielleicht nicht mehr vorgelegen haben.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält den Einwand aufrecht. Es liegt kein Beweismaterial vor, um Ihre Erklärungen zu unterstützen. Sie werden jedenfalls vom Gerichtshof als völlig unerheblich betrachtet.


DR. SEIDL: Ich nehme an, Herr Präsident, daß ich dann auf Seite 44 mit dem letzten Absatz fortfahren kann.


VORSITZENDER: Ja, das können Sie, mit dem letzten Absatz.

DR. SEIDL: Es ist nicht notwendig, näher auf diese Frage einzugehen, und zwar deshalb, weil die Beweisaufnahme ergeben hat, daß gerade der Angeklagte Frank vom ersten Tag der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus gegen jedes System des Polizeistaates gekämpft und vor allem auch die Konzentrationslager als eine Einrichtung gebrandmarkt hat, die unter keinen Umständen mit der Idee des Rechtsstaates zu vereinbaren sind. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf die Bekundungen des Zeugen Dr. Stepp, auf die eigenen Erklärungen des Angeklagten und vor allem auf die von mir im Beweisverfahren vorgelegten Auszüge des Tagebuches des Angeklagten. Im übrigen hat die Beweisaufnahme ferner ergeben, daß die Errichtung und Verwaltung der Konzentrationslager Aufgaben der Organisation des Reichsführer-SS Himmler waren. Sie unterstanden sowohl im Reichsgebiet als auch in sämtlichen von den deutschen Truppen besetzten Gebieten ausschließlich dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt beziehungsweise dem Generalinspekteur der Konzentrationslager. Weder der Generalgouverneur noch die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements hatten mit diesen Lagern irgend etwas zu tun.

Ein weiterer Anklagepunkt gegen Frank ist der Vorwurf, Gewalttätigkeit und wirtschaftlichen Zwang als Mittel zur Aushebung von Arbeitern zur Deportie rung nach Deutschland unterstützt zu haben. Richtig ist, daß während des vergangenen Krieges viele Polen nach Deutschland zur Arbeitsleistung gekommen sind. Es ist dabei aber folgendes zu beachten:

Schon vor dem ersten Weltkrieg sind jährlich Hunderttausende von Polen als Wanderarbeiter nach Deutschland gegangen. Dieser Strom dar Wanderarbeiter hat auch zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg nicht zu fließen aufgehört. Infolge der unglücklichen Grenzziehung wurde das Generalgouvernement ein Gebiet, das ausgesprochen übervölkert war. Die landwirtschaftlichen Überschußgebiete waren an die Sowjetunion gekommen, während wichtige Industriegebiete dem Reich eingegliedert wurden. Unter [170] diesen Umständen war infolge des Fehlens von Bodenschätzen das einzig wertvolle Produktionsmittel die Arbeitskraft der Bevölkerung. Diese konnte jedenfalls in den ersten Jahren infolge des Fehlens der anderen Produktionsfaktoren nicht ausreichend genug eingesetzt werden. Um eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden und vor allem auch im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mußte es aus staatspolitischen Überlegungen schon das Bestreben der Verwaltung des Generalgouvernements sein, möglichst viele Arbeitskräfte nach Deutschland zu bringen. Tatsächlich kann nicht zweifelhaft sein, daß in den ersten Jahren der Verwaltung des Generalgouvernements weitaus die meisten polnischen Arbeiter freiwillig in das Reich gegangen sind. Als dann infolge der ununterbrochenen Fliegerangriffe in Deutschland selbst nicht nur die Städte, sondern auch die Fabriken in Trümmer sanken und ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Produktionskapazität für Kriegsmaterial aus Sicherheitsgründen in das Generalgouvernement verlagert wurde, mußte es das Bestreben des Angeklagten Frank sein, eine weitere Abziehung von Arbeitskräften zu verhindern. Darüber hinaus hat aber der Angeklagte Frank von Anfang an alle Gewaltmaßnahmen bei der Erfassung von Arbeitskräften verurteilt und allein schon aus Sicherheitsgründen und, um nicht neue Unruheherde zu schaffen, sich dafür eingesetzt, daß von Zwangsmaßnahmen abgesehen und lediglich Werbemittel angewendet werden sollen. Dies steht fest auf Grund der Angaben der Zeugen Dr. Bühler und Dr. Böpple. Es ergibt sich das aber auch aus einer großen Zahl Eintragungen im Tagebuch. Ich habe bereits im Beweisvortrag auf mehrere derselben hingewiesen. So erklärte er zum Beispiel am 4. März 1940 unter anderem:

»... Den von Berlin geforderten Erlaß einer neuen Verordnung mit besonderen Zwangsmaßnahmen und Strafdrohungen lehne ich ab. Maßnahmen, die nach außen hin Aufsehen erregen, müssen unter allen Umständen vermieden werden. Das gewaltsame Verfrachten von Leuten hat alles gegen sich.«

Ähnlich hat er sich am 14. Januar 1944 dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei gegenüber ausgesprochen:

»Der Herr Generalgouverneur wendet sich mit Entschiedenheit dagegen, daß Polizeikräfte bei der Erfassung von Arbeitskräften in Anspruch genommen werden.«

Diese Zitate könnten noch durch viele vermehrt werden.

Ich nehme ferner Bezug auf das von mir vorgelegte Beweismaterial, das die Behandlung der polnischen Arbeiter in Deutschland betrifft. Der Angeklagte Frank hat nicht aufgehört, sich [171] immer wieder für eine bessere Behandlung der polnischen Arbeiter im Reich einzusetzen.

Im übrigen scheint auch die Rechtslage in der Frage der Erfassung von ausländischen Arbeitskräften nicht völlig klar zu sein. Ich habe nicht die Absicht, näher auf die damit zusammenhängenden Rechtsfragen einzugehen. Der Verteidiger des Angeklagten Sauckel wird zu dieser Frage eingehend Stellung nehmen, und ich möchte dazu kurz folgendes sagen:

Im völkerrechtlichen Schrifttum ist unbestritten, daß der strafrechtlich anerkannte Begriff des Notstandes auch für das Gebiet des Völkerrechts die Rechtswidrigkeit der begangenen Verletzung ausschließt.

Droht den Lebensinteressen des Staates Gefahr, so darf er sie bei überwiegenden Interessen durch Verletzung der berechtigten Interessen Dritter schützen. Selbst diejenigen Schriftsteller, welche die Anwendbarkeit des Notstandsbegriffs im Völkerrecht bestreiten – sie befinden sich in der Minderheit –, gewähren dem bedrohten Staat das »Recht auf Selbsterhaltung« und damit das Recht, »Staatsnotwendigkeiten« auch auf Kosten berechtigter Interessen anderer Staaten durchzusetzen. Es ist ein im Völkerrecht anerkannter Grundsatz, daß der Staat nicht zu warten braucht, bis er vor der unmittelbar drohenden Gefahr des Unterganges steht. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, mit dem praktisch die Produktionskraft und die militärische Macht fast der ganzen Welt zur Niederwerfung Deutschlands zusammengefaßt war, das Deutsche Reich sich einer Lage gegenübersah, die nicht nur den Staat als solchen mit Untergang bedrohte, sondern darüber hinaus die nackte Existenz des Volker in Frage stellte. Unter diesen Umständen mußte der Staatsführung das Recht zuerkannt werden, auch die in den besetzten Gebieten vorhandenen Arbeitskräfte in diesen Abwehrkampf einzuschalten.

Im übrigen soll eines ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: Die Anklage behauptet, daß viele, wenn nicht die meisten der ausländischen Arbeiter unter Zwang nach Deutschland gebracht wurden, und daß sie dort unter unwürdigen Bedingungen schwere Arbeit hätten verrichten müssen. Wie immer man das Ergebnis der Beweisaufnahme in dieser Frage beurteilen will, ist auf der anderen Seite die Tatsache nicht aus der Welt zu schaffen, daß auch jetzt noch in Deutschland Hunderttausende ausländischer Arbeiter leben, die angeblich unter Zwang nach Deutschland verschleppt wurden. Sie weigern sich, jetzt in ihre Heimat zurückzukehren, obwohl niemand sie mehr daran hindert. Unter diesen Umständen muß [172] angenommen werden, daß der Zwang nicht so groß und die Behandlung in Deutschland nicht so schlecht gewesen sein kann, wie von der Anklage behauptet wird.

Ein anderer Anklagepunkt befaßt sich mit der Schließung der Schulen. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Internationale Recht irgendeinen Straftatbestand kennt, der die Schließung von Schulen als ein Kriegsverbrechen oder als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit erscheinen lassen könnte. Dies erscheint jedenfalls für die Kriegszeit um so weniger wahrscheinlich, als bekanntlich nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen kriegführenden Staaten während der Kriegszeit der Schulbetrieb erheblich eingeschränkt wurde. Eine nähere Prüfung dieser Frage kann schon deshalb unterbleiben, weil die Beweisaufnahme ergeben hat, daß die Schulen zum großen Teil bereits geschlossen waren als der Angeklagte sein Amt als Generalgouverneur antrat. Er hat während der ganzen Zeit seiner Tätigkeit kein Mittel unversucht gelassen, um neben den Volksschulen und Fachschulen auch das höhere Schulwesen wieder in Gang zu bringen. Ich erwähne in diesem Zusammenhang nur die von ihm eingerichteten Hochschullehrkurse.

Die Sowjetische Anklagevertretung hat unter Nummer USSR-335 als Beweismittel eine Verordnung des Angeklagten zur Bekämpfung von Angriffen gegen das deutsche Aufbauwerk im Generalgouvernement vom 2. Oktober 1943 vorgelegt. Es ist keine Frage, daß diese Standgerichtsverordnung nicht dem entspricht, was unter normalen Verhältnissen von einem Gerichtsverfahren verlangt werden muß. Diese Verordnung kann auch nur richtig gewürdigt werden, wenn man die Umstände berücksichtigt, die zu ihrem Erlaß geführt haben.

Ganz allgemein ist zunächst zu sagen, daß die Aufbauarbeit der Verwaltung des Generalgouvernements in einem Gebiet und unter Umständen geleitet werden mußte, die mit zu den schwierigsten gehörten, unter denen jemals überhaupt eine Verwaltung durchgeführt wurde. Nach dem Zusammenbruch des polnischen Staatswesens stand die deutsche Verwaltung organisatorisch und verwaltungsmäßig gewissermaßen vor einem leeren Raum. Es mußte auf allen Gebieten der Verwaltung völlig von vorne angefangen werden. Wenn es trotz der Schwierigkeiten verhältnismäßig schnell gelungen ist, die Kriegsschäden vor allem im Verkehrswesen wieder zu beseitigen, so ist das ein nicht zu bestreitendes Verdienst.

Das Jahr 1940 sollte aber auch das einzige sein, in welchem im Gebiete des Generalgouvernements wenigstens unter einigermaßen normalen Verhältnissen eine Aufbauarbeit durchgeführt werden konnte. Mit Beginn des Jahres 1941 setzte der Aufmarsch der deutschen Armeen gegen die Sowjetunion ein und damit begann [173] eine Zeit der größten Beanspruchung der Verwaltung des Generalgouvernements. Das Generalgouvernement wurde die große Reparaturwerkstätte und das größte militärische Durchgangsland, das die Geschichte bis jetzt gesehen hat. Dies bedingte eine zunehmende Verschlechterung der Sicherheitslage. Die Widerstandsbewegung begann sich neu und in verstärktem Umfang zu organisieren. Die Sicherheitslage mußte aber vollends immer bedrohlicher werden, als die deutschen Armeen gezwungen waren, ihren Vormarsch in Rußland einzustellen, und als nach der Katastrophe von Stalingrad der Vormarsch sich in einen allgemeinen Rückzug verwandelte. Im Laufe des Jahres 1943 erreichte die Tätigkeit der Widerstandsbewegung und vor allem auch die Tätigkeit der zahlreichen Banden, in denen sich Tausende von asozialen Elementen zusammengefunden hatten, ein Ausmaß, das bald jede geordnete Verwaltung gefährdete.

Die Verwaltung des Generalgouvernements mußte sich mit dieser Frage immer wieder befassen. So fand am 31. Mai 1943 eine Arbeitssitzung der Regierung des Generalgouvernements statt, die sich mit der Sicherheitslage befaßte und in deren Verlauf der Präsident der Hauptabteilung »Innere Verwaltung« unter anderem folgende Feststellungen treffen mußte. Ich zitiere aus dem Tagebuch:

»... Die Banden zeigten bei ihrem Vorgehen eine immer stärker werdende Systematik. Sie gingen jetzt systematisch dazu über, Einrichtungen der deutschen Verwaltung zu zerstören, Gelder zu rauben, sich Schreibmaschinen und Vervielfältigungsapparate zu verschaffen, in den Gemeindeämtern die Kontingentlisten und die Arbeiterlisten zu vernichten, die Strafbücher und Steuerlisten mitzunehmen oder zu verbrennen. Auch mehrten sich die Überfälle auf wichtige Produktionsstätten im Lande, auf Sägewerke, Molkereien, Brennereien, auf Brücken, Bahnanlagen und Postämter. Die Organisation der Banden sei schon stark militärisch.«

Im Laufe des Sommers und des Herbstes 1943 wurde infolge der zunehmenden Tätigkeit der Partisanen und der Verbesserung ihrer militärischen Organisation und Ausrüstung die Sicherheit im Generalgouvernement in einem Umfang in Frage gestellt, daß es unter den damaligen Umständen vielleicht zweckmäßiger gewesen wäre, die gesamte Verwaltung des Generalgouvernements dem zuständigen Wehrmachtbefehlshaber zu übertragen und den Ausnahmezustand zu erklären. Denn in der Tat kann man die zu dieser Zeit im Generalgouvernement herrschenden Zustände nicht anders als Krieg bezeichnen. Es war die Zeit, in der jede Stunde damit gerechnet werden mußte, daß der allgemeine Aufstand im ganzen Land ausbrechen würde.

Trotzdem waren auch damals noch die Anstrengungen des Angeklagten Frank darauf gerichtet, unter allen Umständen [174] Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des SD zu verhindern. Um wenigstens einen gewissen mäßigenden Einfluß auf die Sicherheitspolizei und den SD ausüben zu können und um wenigstens einige Garantien gegen Übergriffe zu schaffen, erklärte sich der Angeklagte Frank zum Erlaß der Standgerichtsordnung vom 9. Oktober 1943 bereit.

Wie sich aus dem Inhalt dieser Verordnung ohne weiteres ergibt, war ihr Zweck in erster Linie aber auch ein generalpräventiver. Mit dieser Verordnung sollten die Banden abgeschreckt werden, und es ist keine Frage, daß dies auch vorübergehend gelungen ist. Im übrigen hat die Beweisaufnahme ergeben, daß auch unter der Geltung dieser Standgerichtsverord nung die Gnadenausschüsse weitergearbeitet haben und daß viele Urteile dieser Standgerichte im Gnadenweg aufgehoben wurden.

Im gegenwärtigen Verfahren wurde wiederholt der Bericht des SS-Brigadeführers Stroop über die Vernichtung des Warschauer Ghettos aus dem Jahre 1943 erwähnt, Beweisstück US-275 (1061-PS). Sowohl aus diesem Bericht wie auch aus einer Reihe anderer Dokumente ergibt sich, daß alle im Zusammenhang mit dem Warschauer Ghetto durchgeführten Maßnahmen ausschließlich auf unmittelbare Weisung des Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler erfolgten. Ich nehme in diesem Zusammenhang auch Bezug auf die eidesstattliche Versicherung des SS-Brigadeführers Stroop vom 24. Februar 1946, welche die Anklagevertretung unter Nummer US-804 (3841-PS) vorgelegt hat und auf die eidesstattliche Versicherung des früheren Adjutanten des SS- und Polizeiführers von Warschau, Karl Kaleske, vom gleichen Tag, Beweisstück US-803 (3840-PS). Aus diesen Urkunden ergibt sich völlig eindeutig, daß auch diese Maßnahmen wie alle übrigen sicherheitspolizeilicher Art entweder auf unmittelbaren Befehl des Reichsführer-SS Himmler, des Höheren SS- und Polizeiführers Ost, oder auf Weisung des Reichssicherheitshauptamtes ausschließlich von der Sicherheitspolizei und dem Sicherheitsdienst durchgeführt wurden, und daß mit ihnen die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements nicht das geringste zu tun hatte.

Die Sowjetische Anklagevertretung hat ferner als Beweisstück USSR-93 im Rahmen des Artikels 21 des Statuts den Bericht der Polnischen Regierung als Beweismittel vorgelegt. Dieser Bericht macht keinen Unterschied zwischen den Gebieten, die dem Deutschen Reich eingegliedert wurden, und den Gebieten, des früheren polnischen Staates, die im Generalgouvernement zusammengefaßt wurden. Vor allem aber im Hinblick darauf, daß dieser Bericht keinerlei substantiierte Angaben über die persönliche Verantwortlichkeit des Angeklagten Frank enthält, erscheint es nicht notwendig, näher auf diesen umfangreichen Bericht einzugehen. Dieser Bericht [175] ist, ebenso wie die Anklageschrift selbst, eine Generalanklage, ohne daß im einzelnen darin auf die Ermittlungen und die Beweismittel eingegangen wird, die die Schlußfolgerungen rechtfertigen könnten, die in diesem Bericht gezogen werden. Die gegen diesen Bericht geltend zu machenden Bedenken müssen um so beachtlicher erscheinen, als, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, diesem Bericht als Anlage 1 Richtlinien für die kulturelle Politik als Beweismittel beigegeben sind, die offenbar die Weisungen des Generalgouvernements oder seiner Verwaltung darstellen sollen. Tatsächlich findet sich aber weder im Verordnungsblatt des Generalgouvernements noch in einer sonstigen Urkunde etwas Derartiges. Der Zeuge Dr. Bühler hat bei seiner Vernehmung erklärt, daß die Verwaltung des Generalgouvernements niemals derartige oder ähnliche Richtlinien herausgegeben habe. Allein schon im Hinblick auf diese Tatsache erscheint es höchstens zulässig, dem Beweisstück USSR-93 nur insofern einen materiellen Beweiswert zuzumessen, als die darin enthaltenen Feststellungen durch echte Urkunden und sonstige einwandfreie Beweismittel nachgewiesen sind.

Nach der Anklageschrift und insbesondere nach den Ausführungen in dem von der Anklage vorgelegten Trialbrief soll der Angeklagte Frank auch verantwortlich sein für die Unterernährung der polnischen Bevölkerung. Tatsächlich konnte aber die Anklage keinerlei Beweismittel dafür vorlegen, daß in dem vom Angeklagten Frank verwalteten Gebiet Hungerkatastrophen oder Epidemien ausgebrochen seien. Die Beweisaufnahme hat im Gegenteil ergeben, daß es auf Grund der Anstrengungen des Angeklagten Frank gelungen ist, im Jahre 1939 und 1940 das Reich zur Lieferung einer Getreidemenge von nicht weniger als 600000 Tonnen zu veranlassen. Es ist auf diese Weise möglich gewesen, die durch den Krieg bedingten Ernährungsschwierigkeiten zu überwinden.

Richtig ist, daß in den folgenden Jahren das Generalgouvernement einen nicht unerheblichen Beitrag für die Kriegführung durch Lieferung von Getreide geleistet hat. Es darf dabei nicht übersehen werden, daß diese Getreidelieferungen möglich waren auf Grund einer außergewöhnlichen landwirtschaftlichen Produktionssteigerung im Generalgouvernement. Diese wiederum wurde ermöglicht durch eine weitschauende Wirtschaftspolitik, insbesondere durch Zuteilung von landwirtschaftlichen Maschinen, von Saatgut und so weiter. Es darf ferner nicht außer Betracht bleiben, daß die Getreidemengen, die vom Jahre 1941 ab das Generalgouvernement zur Verfügung stellte, nicht zuletzt auch mit zur Ernährung der polnischen Arbeiter diente, die im Reichsgebiet eingesetzt waren, und daß diese Getreidelieferungen ganz allgemein auch dazu verwendet wurden, innerhalb der europäischen Verkehrswirtschaften einen entsprechenden Ausgleich durchzuführen.

[176] Grundsätzlich ist jedoch zu dieser Frage folgendes zu sagen:

Die Anklage hat in einer Reihe von Anklagepunkten Beschuldigungen gegen die Verwaltungstätigkeit des Angeklagten Frank in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur erhoben, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine wenn auch nur einigermaßen zutreffende Schilderung der gesamten Tätigkeit des Angeklagten zu geben und auch auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, mit denen die Erfüllung dieser Aufgabe verbunden war. Es kann keine Frage sein, daß eine derartige Betrachtungsweise gegen grundlegende Regeln jedes Strafverfahrens verstößt. Es ist ein anerkannter Grundsatz, und dieser leitet sich aus den Prinzipien des Strafrechts aller zivilisierten Nationen ab, daß nämlich ein einheitlicher natürlicher Vorgang in seiner Gesamtheit gewürdigt werden muß und daß der Beurteilung alle Umstände des Falles zugrundezulegen sind, die überhaupt als geeignet angesehen werden können, bei der Urteilsfindung Berücksichtigung zu finden. Dies erscheint in dem gegenwärtigen Fall um so mehr notwendig, als gegen den Angeklagten Frank der Vorwurf erhoben wird, er habe auf lange Sicht eine Politik der Unterdrückung, der Ausbeutung und der Germanisierung getrieben.

Meine Herren Richter! Wenn der Angeklagte Frank sich tatsächlich mit derartigen Absichten getragen hätte, dann hätte er dieses Ziel sicher einfacher erreichen können. Es wäre nicht notwendig gewesen, jährlich viele hundert Verordnungen zu erlassen; Verordnungen, wie sie zum Beispiel allein für das Jahr 1940 den Umfang eines Bandes erreichten, wie ich ihn hier in Händen halte. Der Angeklagte Frank hat vom ersten Tag seiner Verwaltung an die gesamten Wirtschaftskräfte des ihm unterstellten Gebietes zusammengefaßt und insbesondere eine Wirtschaftspolitik betrieben, die man nur als Aufbaupolitik bezeichnen kann. Er hat das sicher auch getan, um die Produktionskapazität des in einem Kampf um Leben und Tod sich befindenden deutschen Volkes zu stärken. Es kann aber ebenso keine Frage sein, daß die Erfolge dieser Maßnahmen auch dem polnischen und ukrainischen Volk zugute gekommen sind. Ich habe nicht die Absicht, im einzelnen auf diese Tatsache einzugehen. Ich bitte nur das Gericht, auch bei dieser Gelegenheit Kenntnis von dem Rechenschaftsbericht zu nehmen, den der Chef der Regierung anläßlich des vierjährigen Bestehens des Generalgouvernements am 26. Oktober 1943 erstattet hat.

Ich habe diesen Rechenschaftsbericht, der sich auf die Berichte der Ministerien stützte, in die von mir im Beweisverfahren vorgelegten Dokumentenbücher aufgenommen. Er befindet sich in Band IV, Seite 42. Dieser Bericht gibt eine gedrängte zusammenfassende Darstellung der Maßnahmen und der Erfolge der Verwaltungstätigkeit des Angeklagten in diesen vier Jahren, und zwar auf [177] allen Gebieten der gewerblichen Wirtschaft, der Landwirtschaft, des Handels und des Verkehrs, der Finanzen, des Kreditwesens, der öffentlichen Gesundheitspflege und so weiter. Nur bei Berücksichtigung aller dieser Tatsachen ist es möglich, zu einer einigermaßen zutreffenden Beurteilung des gesamten Sachverhalts zu kommen. Nur am Rande sei erwähnt, daß es der Verwaltung des Angeklagten gelungen ist, die Seuchengefahr, insbesondere Fleckfieber und Typhus, in einem Umfang zurückzudrängen, wie es in den Jahrzehnten vorher in diesem Gebiet nicht möglich war.

Wenn vieles von dem, was unter der Leitung des Angeklagten Frank im Generalgouvernement geschaffen wurde, bei den folgenden Kampfhandlungen wieder zugrunde gegangen ist, so kann daraus jedenfalls der allgemeinen Verwaltung, die mit den militärischen Maßnahmen nichts zu tun hatte, kein Vorwurf gemacht werden.

Meine Herren Richter! Es soll selbstverständlich auch von mir nicht bestritten werden, daß in dem als Generalgouvernement bekannten Gebiet während des vergangenen Krieges ungeheuere Verbrechen begangen wurden. Konzentrationslager waren errichtet worden, in denen die Menschen massenweise vernichtet wurden. Geiseln wurden erschossen. Enteignungen fanden statt und so weiter. Der Angeklagte Frank ist der letzte, der das bestreiten wollte; hat er doch selbst einen fünfjährigen Kampf gegen alle Gewaltmaßnahmen geführt. Die Anklage hat als Beweisstück US-610 (437-PS) ein Memorandum vorgelegt, das Frank am 19. Juni 1943 an den Führer gerichtet hatte. In diesem Memorandum hat er auf Seite 11 in neun Punkten scharf alle die Mißstände verurteilt, die infolge der Gewaltmaßnahmen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes und der Übergriffe verschiedener Reichsdienststellen sich ergeben hatten und die abzustellen alle seine bisherigen Anstrengungen vergeblich waren. Diese neun Punkte sind im wesentlichen auch die Anklagepunkte, die gegen Frank vor diesem Tribunal erhoben werden. Es ergibt sich aber aus dem Inhalt dieses Memorandums vom 19. Juni 1943 eindeutig, daß der Angeklagte die Verantwortung für diese Mißstände bestreitet. Aus diesem Bericht ergibt sich vielmehr völlig klar, daß für die dort geschilderten Mißstände weder der Angeklagte noch die allgemeine Verwaltung des Generalgouvernements verantwortlich gemacht werden können, sondern nur die bereits oben gekennzeichneten Institutionen, insbesondere aber die Sicherheitspolizei und der SD beziehungsweise der Höhere SS- und Polizeiführer. Hätte der Angeklagte Frank die Machtmittel gehabt, die von ihm verurteilten Mißstände abzuschaffen, dann hätte es nicht erst dieses Memorandums an Hitler bedurft. Er hätte dann selbst alles Erforderliche veranlassen können. Die Beweisaufnahme[178] hat jedoch darüber hinaus ergeben, daß diese Denkschrift vom 19. Juni 1943 nicht die einzige war, die in dieser Angelegenheit an den Führer gerichtet wurde. Auf Grund der Bekundungen der Zeugen Dr. Lammers und Dr. Bühler und der eigenen Erklärungen des Angeklagten im Zeugenstand steht fest, daß letzterer, beginnend mit dem Jahre 1940, ununterbrochen in regelmäßigen Abständen von einigen Monaten sich mit Beschwerden und Denkschriften sowohl an Hitler persönlich als auch an den Chef der Reichskanzlei gewandt hat. Gegenstand dieser Beschwerdeschriften waren immer wieder die Gewaltmaßnahmen und Übergriffe des Höheren SS- und Polizeiführers und der Sicherheitspolizei einschließlich des SD. Allein alle diese Beschwerden hatten keinen Erfolg.

Darüber hinaus hat, wie ebenfalls auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme gesagt werden kann, der Angeklagte Frank bei Hitler laufend Vorschläge über eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Verwaltung des Generalgouvernements und der Bevölkerung gemacht. Auch die Denkschrift vom 19. Juni 1943 ist in die Form eines umfassenden politischen Programms gekleidet. Es enthält übrigens im wesentlichen auch alle Beschwerdepunkte der Denkschrift, die der Leiter des ukrainischen Hauptausschusses im Februar 1943 dem Generalgouverneur auf dessen Wunsch überreicht hat und die von der Anklage als Beweisstück US-178 (1526-PS) vorgelegt wurde. Auch diese Vorschläge wurden durchwegs von Hitler abgelehnt.

Unter diesen Umständen muß man fragen, was der Angeklagte Frank sonst noch hätte tun können. Selbstverständlich hätte er zurücktreten sollen. Allein auch das hat er getan. Er hat nicht weniger als vierzehnmal seinen Rücktritt erklärt, und zwar zum erstenmal bereits im Jahre 1939. Dieser Rücktritt wurde von Hitler ebensooft nicht angenommen, als er erklärt worden ist. Der Angeklagte Frank hat ein weiteres getan: Er wandte sich an den Feldmarschall Keitel, um als Leutnant wieder in die Wehrmacht eintreten zu können. Das war im Jahre 1942. Auch die Erfüllung dieses Wunsches wurde von Hitler verweigert. Im Hinblick auf diese Tatsachen ist nur noch der Schluß möglich, daß Hitler in dem Angeklagten Frank einen Mann sah, hinter dessen Rücken er mit Hilfe Himmlers und der Organe der Sicherheitspolizei und des SD die Maßnahmen durchführen konnte, die er für die Erreichung seiner machtpolitischen Ziele für notwendig erachtete.

Meine Herren Richter! Als es immer offensichtlicher wurde, daß Hitler und der Reichsführer-SS Himmler im Begriffe standen, die letzten Reste des Rechtsstaates zu beseitigen, und als immer klarer in die Erscheinung trat, daß die Macht der Polizei keine Grenzen mehr kannte und die Entwicklung zum reinen Polizeistaat [179] immer offener zutage trat, da sprang der Angeklagte Frank vor und wandte sich in vier großen Reden an die deutsche Öffentlichkeit mit einem letzten Appell zur Idee des Rechtsstaates. Er tat dies, als Hitler auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Er richtete diesen Appell an die deutsche Öffentlichkeit zu einer Zeit, als die deutschen Armeen auf Stalingrad und in den Kaukasus marschierten und die deutschen Panzerarmeen in Afrika bei El Alamein, 100 Kilometer vor Alexandria, standen. Ich habe im Beweisverfahren einige Auszüge dieser großen Reden, die der Angeklagte Frank in Berlin, in Heidelberg, in Wien und in München gehalten hat, verlesen. Diese Reden enthielten eine deutliche Absage an jede Form des Polizeistaates und ein Bekenntnis zum Rechtsstaat, zur Unabhängigkeit des Richters und zur Idee des Rechts an sich. Der Widerhall, den diese Reden in den Kreisen der Rechtswahrer gefunden haben, war ungeheuer. Leider hat sich dieser Widerhall nicht auf einen größeren Kreis erstreckt, und er fand insbesondere kein Echo bei den Männern, die allein die Machtmittel besessen hätten, um dem drohenden Verhängnis Einhalt zu gebieten.

Die Folgen dieses Versuches, den Untergang der Idee des Rechtsstaates in einer letzten großen Anstrengung abzuwenden, sind bekannt. Der Angeklagte Frank wurde seiner sämtlichen Parteiämter enthoben. Er wurde als Präsident der Akademie für Deutsches Recht abgesetzt. Die Leitung des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes wurde in die Hände des Reichsjustizministers Thierack gelegt. Gegen Frank selbst wurde von Hitler ein Redeverbot erlassen. Obwohl der Angeklagte Frank auch bei dieser Gelegenheit seinen Rücktritt als Generalgouverneur erklärte, hat Hitler auch dieses Rücktrittsgesuch, wie alle übrigen, abgelehnt. Als Begründung wurde in einem Schreiben des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei dem Angeklagten mitgeteilt, daß außenpolitische Erwägungen den Führer veranlaßt hätten, auch diesem neuerlichen Rücktrittgesuch nicht stattzugeben. Nach allem, was in diesem Verfahren im Rahmen der Beweisaufnahme festgestellt wurde, kann mit Sicherheit gesagt werden, daß nicht nur und wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie derartige Erwägungen Hitler veranlaßt haben, den Rücktritt Franks nicht anzunehmen.

Entscheidend bei diesem Entschluß war vielmehr offensichtlich die Überlegung, daß es zweckmäßiger sei, die Sicherheitspolizei und die übrigen Organe des Reichsführer-SS Himmler nicht offen den ihnen erteilten Auftrag erfüllen zu lassen, sondern auch weiterhin im stillen und unter Aufrechterhaltung einer zivilen und unter dem Generalgouverneur stehenden allgemeinen Verwaltung.

Selbstverständlich konnte dieser offene Bruch zwischen dem Angeklagten Frank auf der einen Seite und Hitler und den Vertretern des staatspolizeilichen Systems, repräsentiert durch den Reichsführer-SS Himmler und den Höheren SS- und Polizeiführer Ost auf der [180] anderen Seite, nicht ohne Rückwirkung auf die Stellung des Angeklagten in seiner Eigenschaft als Generalgouverneur sein. In noch höherem Maße als früher begannen nunmehr die verschiedensten Reichsstellen in die Verwaltung des Generalgouvernements hineinzuregieren. Vor allem aber war es seit dem Sommer 1942 völlig klar, daß sich nunmehr der Höhere SS- und Polizeiführer und die von ihm geleiteten Organe der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes um irgendwelche Weisungen des Generalgouverneurs und der allgemeinen Verwaltung überhaupt nicht mehr kümmerten.

Sowohl im Generalgouvernement als auch im Reich selbst traten die Institutionen des Rechts immer mehr in den Hintergrund. Der Staat verwandelte sich in einen reinen Polizeistaat und die Entwicklung nahm unaufhaltsam den Lauf, den der Angeklagte Frank vorausgesehen und befürchtet hatte und dem er auch bereits am 19. November 1941 auf einer Tagung der Hauptabteilungsleiter und Reichsgruppenwalter des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes mit folgenden Worten Ausdruck verliehen hatte:

»Das Recht kann man nicht zum Handelsobjekt degradieren. Man kann es nicht verkaufen. Es ist da, oder es ist nicht da. Recht ist keine Börsenware. Wenn das Recht nicht gestützt wird, dann verliert auch der Staat den moralischen Halt, dann sinkt er in den Abgrund der Nacht und des Grauens.«


VORSITZENDER: Wir werden zehn Minuten nach 2.00 Uhr wieder beginnen.


[Das Gericht vertagt sich bis 14.10 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 18, S. 144-182.
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