Vormittagssitzung.

[269] [Der Zeuge von Schirmeister im Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Ich werde die zusätzlichen Anträge auf Dokumente durchgehen.

Der erste Antrag auf dieser Liste war für den Angeklagten von Neurath und ist schon erledigt.

Der zweite Antrag war für den Angeklagten Streicher; der ist zurückgezogen worden.

Der dritte Antrag ist für den Angeklagten Dönitz auf eine eidesstattliche Erklärung des ehemaligen Marinerichters Jäckel; diesem Antrag wird stattgegeben.

Die nächsten beiden, 4 und 5, waren für den Angeklagten von Neurath; diese sind zurückgezogen worden.

Die nächsten drei, 6, 7 und 8, für den Angeklagten Rosenberg werden abgelehnt.

Die nächsten für den Angeklagten von Papen sind alle schon während seiner Verteidigung erledigt worden.

Den nächsten zwei für den Angeklagten Bormann wird stattgegeben.

Die letzten drei, 12, 13 und 14 für den Angeklagten Göring sind abhängig von der Möglichkeit, eine Einigung über die Frage zu erzielen, ob eidesstattliche Versicherungen vorgelegt werden oder Zeugen gerufen werden sollen. Deshalb wird dieser Antrag vorläufig zurückgestellt.

Das wäre alles.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Bevor der Gerichtshof zur Tagesordnung übergeht, möchte ich ihm vom Ergebnis meiner Nachfragen Mitteilung machen, die ich über die noch ausstehenden Zeugen angestellt habe. Vielleicht können diese noch von einem Verteidiger ergänzt werden.

Soweit ich sehen kann, sind es die von Eurer Lordschaft eben erwähnten Zeugen für den Angeklagten Göring über die Frage von Katyn.

Euer Lordschaft! Die nächsten Zeugen, die noch zu rufen wären, sind drei Personen, die der Gerichtshof im Fall des Angeklagten Kaltenbrunner zum Kreuzverhör, wenn es gewünscht wird, zugelassen hat. Ich habe eben mit Dr. Kauffmann gesprochen; er sagt,[269] daß er die Zeugen Tiefenbacher, Steinbauer und Strupp nicht zum Kreuzverhör benötigen wird.

Soviel ich weiß, kommt dann Admiral Boehm im Falle des Angeklagten Raeder.


VORSITZENDER: Bevor Sie dazu kommen, Sir David... auf der Liste, die mir vorliegt, war ein Zeuge namens Strupp für den Angeklagten Kaltenbrunner.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, Es waren drei: Tiefenbacher, Steinbauer und Strupp. Dr. Kauffmann sagte mir, daß er sie nicht benötige.


VORSITZENDER: Gut. Dann haben Sie über den Angeklagten Raeder gesprochen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, es ist noch die Frage des Admirals Boehm zu behandeln. Dr. Siemers wollte der Anklagebehörde eine eidesstattliche Versicherung zukommen lassen, aber ich habe sie bis jetzt noch nicht gesehen. Ich nehme jedoch nicht an, daß die Anklagevertretung diesen Zeugen benötigen wird, es sei denn, daß die eidesstattliche Versicherung ganz anders ausfällt, als ich erwarte.

Euer Lordschaft! Die einzigen anderen Zeugen, von denen ich weiß, sind die drei, die Dr. Fritz gestern im vorliegenden Falle beantragt hat. Das liegt dem Gerichtshof zur Entscheidung vor.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Soweit ich sehen kann, sind das alle noch anstehenden Zeugen, es sei denn, ich hätte welche ausgelassen.

VORSITZENDER: Ist am 26. Juni ein Antrag auf Zeugen für den Angeklagten Bormann gestellt worden?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Dr. Bergold heute morgen gefragt. Er hat nur einen Zeugen zu rufen, sagte er mir, aber der ist unglücklicherweise heute nicht da.


VORSITZENDER: Man sagte mir eben, daß er gerade angekommen ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft Information ist neuer als meine.


VORSITZENDER: Sie kam erst diesen Augenblick.

Was die anderen Zeugen betrifft, so ist nur einer hier, den Dr. Bergold jetzt rufen will.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das hat mir Dr. Bergold heute morgen mitgeteilt.


DR. BERGOLD: Hohes Gericht! Es ist nur ein Zeuge eingetroffen. Ich habe aber noch Anträge gestellt, die noch nicht [270] vorentschieden sind und von denen ich auch nicht weiß, ob die Zeugen jemals eintreffen werden oder ausfindig zu machen sind. Der Fall Bormann ist dadurch gekennzeichnet, daß weder der Angeklagte noch fast die gesamten Zeugen auffindbar sind. Ich werde im Zuge der heutigen Verhandlung des Falles Bormann einen besonderen Antrag noch stellen, den ich jetzt nicht noch stellen will.


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Können Sie uns genau sagen, welche Zeugen Sie meinen? In Ihrem Brief vom 29. Juni ziehen Sie doch Ihren Antrag für Fräulein Christians zurück.


DR. BERGOLD: Ja, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Dr. Klöpfer ist der Zeuge, der eben in Nürnberg eingetroffen ist.


DR. BERGOLD: Jawohl. Es steht dann noch aus der Zeuge Kupfer und der Zeuge Rattenhuber; ebenso steht noch aus die Zeugin Christians.


VORSITZENDER: Helmuth Friedrich ist noch nicht gefunden?


DR. BERGOLD: Nein, er ist noch nicht gefunden.


VORSITZENDER: Wollen Sie Fräulein Christians rufen?


DR. BERGOLD: Sie ist auch noch nicht eingetroffen. Sie war im Lager Oberursel, ist beurlaubt worden und ist im Urlaub unsichtbar geworden... offenbar geflohen.


VORSITZENDER: Haben Sie Ihren Antrag vom 26. Juni... oder stellten Sie am 26. Juni einen Antrag?


DR. BERGOLD: Ich habe Anträge gestellt.


VORSITZENDER: Für wen haben Sie einen Antrag gestellt?


DR. BERGOLD: Einen Augenblick, ich will es mir geben lassen von meiner Sekretärin.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Fräulein Christians und Dr. Helmuth Friedrich.


VORSITZENDER: Gut. Dr. Klöpfer und Friedrich.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, und Fräulein Christians, Euer Lordschaft.


DR. BERGOLD: Am 26. Juni habe ich beantragt die Zeugen Falkenhorst, Rattenhuber und Kempka. Auf Falkenhorst werde ich vermutlich verzichten können, wenn ich dafür den Zeugen Dr. Klöpfer habe.


VORSITZENDER: Gut, Dr. Klöpfer ist der einzige, der gekommen ist, wie ich höre.


DR. BERGOLD: Der einzige, der angekommen ist, jawohl, Herr Präsident.


[271] VORSITZENDER: Der Gerichtshof möchte gern wissen, wie viele Sie jetzt rufen wollen; in Bezug auf die anderen werden Sie besser tun, sie zurückzuziehen, wenn Sie sie nicht finden können.


DR. BERGOLD: Ja, Euer Lordschaft, ich wollte einen Vertagungsantrag stellen. Der Zeuge Klöpfer ist eben erst eingetroffen. Ich habe ihn bisher noch nicht sprechen können. Ich halte es für unrichtig, ihn nun hier zum erstenmal zu hören. Er ist auch zur Vernehmung nicht vorbereitet, kennt die Urkunden nicht, welche von der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden sind. Ich selbst weiß auch nicht, ob er über alles das, was ich ihn zu befragen habe, ein Wissen hat. Ich stelle daher den Antrag, die Verhandlung Bormann bis Montag früh um 10.00 Uhr zu vertagen, um mir Gelegenheit zu geben, diesen, meinen einzigen und Hauptzeugen vorher zu hören und mit ihm den Fall zu besprechen; denn ich kann doch nicht... ich weiß ja auch gar nicht, ob ich den Zeugen vernehmen lassen will, er kann ja eventuell Aussagen machen, die ganz unerheblich sind. Es ist ja nicht meine Schuld, daß ich ihn bisher noch nicht gehört habe, ich habe seit vielen Monaten beantragt, daß er herbeigeschafft würde, und wenn ich nicht in letzter Minute die liebenswürdige Hilfe der Amerikanischen Anklagebehörde gefunden hätte, dann hätte ich ihn heute noch nicht gefunden. Ich glaube auch, ich habe schon mit Sir Maxwell-Fyfe gesprochen, eine Vertagung bis Montag früh um 10.00 Uhr wäre meinem Fall wohl angemessen und billig, um mir wenigstens eine Vorbereitung zu gönnen, wenn nicht... Mein Angeklagter war nicht da, meine Zeugen waren nicht da, und ich konnte ja nichts vorbereiten.


VORSITZENDER: Sie haben viele Monate für die Vorbereitung des Falles zur Verfügung gehabt, Dr. Bergold. Der Gerichtshof hat den Fall sehr lange Zeit für Sie zurückstellen müssen, und jetzt ist dieser Zeuge hier. Sie können sofort mit ihm in Verbindung treten, und der Gerichtshof ist der Meinung, daß Sie fortfahren sollten. Sie mußten wissen, daß Ihr Fall, ebenso wie alle anderen Fälle, zur rechten Zeit an die Reihe kommen wird; es wurde Ihnen auch die Vergünstigung eingeräumt, daß man Ihren Fall als letzten ansetzte, und alle Ihre Anträge auf Zeugen und Dokumente wurden auf den letztmöglichen Augenblick hinausgeschoben. Nun ist der Zeuge hier, und wir sind noch kurze Zeit mit den Zeugen und Dokumenten des Angeklagten Fritzsche beschäftigt.

In Anbetracht dieser Umstände ist der Gerichtshof der Meinung, daß Sie fortfahren sollten.


DR. BERGOLD: Herr Vorsitzender! Es ist richtig, ich habe Monate Zeit gehabt, aber wenn ich keinen Zeugen bekommen und keine Informationen erlangen kann, bitte ich das Gericht, sich in meine Lage zu versetzen. Was nützen mir viele Monate des leeren Wartens, Monate, in denen ich nichts tun konnte. Die Zeugen [272] waren nicht da, niemand konnte mir sagen, wo der Zeuge Klöpfer aufzufinden wäre. Erst in der letzten Minute ist er aufgefunden worden. Ich kann nicht in einer Viertelstunde den ganzen Fall mit ihm besprechen. Ich will ja nur eine ganz kurze Vertagung bis Montag früh. Es würde dadurch das Gericht nur einige Stunden verlieren. Ich kann nichts dafür, daß ich einen solch ungewöhnlichen Angeklagten bekommen habe, der nicht anwesend ist.


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Das einzige, das Sie laut Ihrem Antrag mit der Aussage des Zeugen beweisen wollen, ist die angenommene Tatsache, daß Bormann tot ist, und er soll im Zusammenhang damit aussagen. Dies wird in Ihrem Antrag vorgebracht.


DR. BERGOLD: Nein, Hohes Gericht! Das ist ein Irrtum. Der Zeuge Klöpfer kann darüber nichts aussagen. Er kann nur zu der gesamtüblichen Anklage, nämlich darüber, ob Bormann schuldig ist, Stellung nehmen. Darüber, ob der Angeklagte Bormann tot ist, können nur die Zeugen Christians, Lueger und Rattenhuber aussagen. Der Zeuge Klöpfer kann lediglich zur Anklage selbst Aussagen machen.


VORSITZENDER: Wo ist der Antrag auf Klöpfer? Wo sind Ihre Anträge?


DR. BERGOLD: Es ist mein Antrag vom 26. Mai.


VORSITZENDER: Kann ich ihn sehen? Haben Sie ihn bei sich? Dr. Bergold! Haben Sie sonst nichts, keine Dokumente oder kein Beweismaterial, um Ihren Fall ohne die Vernehmung des Zeugen Klöpfer heute fortsetzen zu können?


DR. BERGOLD: Mylord! Was ich habe, ist so wenig und mager, und ich weiß selbst nicht, ob das Stich hält, bis ich den Zeugen vernommen habe. Ich war ja bisher auf reine Vermutung angewiesen. Effektive Unterlagen habe ich nicht erhalten können. Es sind das alles juristische Konstruktionen, die mit einem Wort des Zeugen hinfällig werden können.


MR. THOMAS J. DODD, ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Ich erhebe Einspruch gegen jegliche Aufschiebung dieses Falles. Wie der Gerichtshof betont hat, standen dem Verteidiger Monate zur Verfügung, und von unserem Büro aus wurde ihm jede mögliche Hilfe zuteil, sowohl im Hinblick auf Dokumente als auch auf die Auffindung seiner Zeugen. Wenn er jetzt mit seinem Vortrage aufhören und hinausgehen würde, um mit seinem Zeugen, der ja jetzt hier ist, zu sprechen, wäre er meiner Meinung nach genügend vorbereitet, um mit dem Fall weiterzukommen.


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Der Gerichtshof wird nun den Fall des Angeklagten Fritzsche fortsetzen, und inzwischen werden [273] Sie Gelegenheit zur Aussprache mit dem Zeugen Klöpfer haben. Wenn Sie, nachdem Sie ihn gesprochen haben, noch einen weiteren Antrag zu stellen wünschen, können Sie das tun. Der Gerichtshof hofft aber, daß Sie nach Feststellung der Art seiner Zeugenaussage in der Lage sein werden, Ihren Fall fortzusetzen.

Jetzt habe ich... ich hatte ihn vorhin nur in deutscher Sprache, aber jetzt habe ich Ihren Antrag auf den Zeugen Klöpfer auch in englischer Sprache vor mir; zusammenfassend geht daraus hervor, daß der Zeuge Leiter der Abteilung III der Parteikanzlei war und daß er über Fragen der Vorbereitung und der Ausarbeitung von Gesetzen sprechen kann und daß er aussagen soll, die Tätigkeit des Angeklagten Bormann bei der Erlassung dieser Gesetze und Verordnungen sei absolut untergeordnet gewesen. Das ist der einzige in Ihrem Antrage als Zweck der Vorladung angeführte Grund.


DR. BERGOLD: Das ist meine Vermutung. Es besteht aber die Möglichkeit, daß der Zeuge natürlich noch viel mehr weiß, weil er einer der Hauptmitarbeiter gewesen ist. Ich habe meinen Antrag nur sehr vorsichtig formuliert, weil ich als Anwalt ja keine Phantasie dem Gericht vortragen kann.


VORSITZENDER: Nun, ich habe bereits erklärt, was Sie in Bezug auf den Zeugen Klöpfer tun können. Wollen Sie noch einen Zeugen namens Falkenhorst vorladen?


DR. BERGOLD: Darüber kann ich mich erst entscheiden, wenn ich den Zeugen Klöpfer gesprochen habe. Wahrscheinlich werde ich auf diesen Zeugen Falkenhorst verzichten.


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Sie haben gehört, was ich sagte. Sie können jetzt den Zeugen Klöpfer sprechen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich möchte nur dem Gerichtshof bekanntgeben, wie es mit den Zeugen steht. Auf die Frage von Euer Lordschaft antwortete ich, daß es zwei Tage in Anspruch nehmen dürfte, um mit den Zeugen fertig zu werden. Hoher Gerichtshof, unter Vorbehalt der Zeugen im Falle Katyn dürfte es wahrscheinlich viel kürzere Zeit dauern, wie man mir jetzt sagt.


VORSITZENDER: Gut. Und wann bekommen wir Bescheid, wie es um die Katyn-Zeugen steht und ob eine Vereinbarung über eidesstattliche Erklärungen oder Zeugenvorladungen getroffen worden ist?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich werde Erkundigungen einziehen und versuchen, Euer Lordschaft am Ende der Sitzung Bescheid zu sagen.

VORSITZENDER: Dann nehme ich an, daß wir das heute morgen nicht verhandeln können.


[274] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht. Abgesehen davon stehen noch gewisse Fragebogen aus, auf welche sich die Verteidiger vielleicht dem Gerichtshof gegenüber berufen wollen. Das ist aber die einzige andere mir bekannte Sache. Für den Standpunkt der Anklagevertretung gibt es möglicherweise ein paar Dokumente, die vorgelegt werden, mehr oder weniger zur Klarstellung von Fragen, die während des Falles entstanden sind und nicht so sehr zum formellen Beweis und Gegenbeweis. Es wird eine ganz kleine Anzahl sein und keine Zeit in Anspruch nehmen.


VORSITZENDER: Waren Dokumente für den Angeklagten von Neurath darunter, die erledigt werden müssen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich erinnere mich an ein oder zwei Fragebogen, aber sonst ist mir nichts bekannt.


VORSITZENDER: Vielleicht befassen wir uns lieber Montag früh mit diesen Dingen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Euer Lordschaft es wünschen.


VORSITZENDER: Hoffentlich ist den Verteidigern klar, daß der Gerichtshof von ihnen erwartet, daß sie mit ihren Plädoyers für die Angeklagten sofort nach Beendigung der Beweisführung beginnen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe heute morgen deshalb davon gesprochen, um eine Andeutung der dazu benötigten Zeit zu geben, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie man mir sagt, wird geplant, daß Professor Jahrreiss als erster sein Plädoyer halten wird.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist mir bekannt, daß Professor Jahrreiss hierzu bereit ist. Ich glaube, es ist gut zu wissen, daß dies vielleicht schon Montag der Fall sein kann.


VORSITZENDER: Ja. Wollen Sie, Dr. Fritz, nun mit Ihrem Zeugenverhör fortfahren.


DR. FRITZ: Herr Präsident! Meine Herren Richter! Ich bitte, mit der Vernehmung des Zeugen von Schirmeister fortfahren zu dürfen.

Herr Zeuge! Wir sind gestern am Ende der Verhandlung stehengeblieben bei den antisemitischen Stellen des Angeklagten Fritzsche in seinen Rundfunkansprachen. Im Anschluß hieran eine weitere Frage: Wohin wurden die Juden nach Äußerung von Dr. Goebbels evakuiert?


VON SCHIRMEISTER: Bis etwa einschließlich das erste Jahr des Rußlandfeldzuges hat Dr. Goebbels in den von ihm geleiteten [275] Konferenzen wiederholt den Madagaskar-Plan erwähnt. Später änderte er das ab und sagte, es sollte im Osten ein neuer jüdischer Staat gebildet werden, in den dann die Juden kommen würden.


DR. FRITZ: Wissen Sie, ob Fritzsche bei allen Meldungen des Auslandes über Behauptungen über deutsche Greueltaten, nicht nur soweit sie die Juden sondern auch andere Völker betrafen, stets Nachfrage beim RSHA halten ließ oder auch sonst bei anderen in Frage kommenden Stellen?


VON SCHIRMEISTER: Jawohl, nicht nur bei den Greuelmeldungen, sondern bei allen uns unbequemen Propagandameldungen des Auslandes, teils beim RSHA, und zwar der Dienststelle von Müller, Berlin, teils bei den direkt in Frage kommenden Stellen.


DR. FRITZ: Welche anderen in Frage kommenden Stellen waren das noch außer dem RSHA, wo er sich erkundigt haben konnte?

VON SCHIRMEISTER: Beispielsweise Ernährungsministerium, Rüstungsministerium, OKW, je nachdem.


DR. FRITZ: Wissen Sie, ob auf solche Anfragen immer ein klares und völlig glaubhaftes Dementi gegeben worden ist, oder wie verhielt sich die Sache sonst?


VON SCHIRMEISTER: Keineswegs kamen immer Dementis, es kamen sehr oft ganz präzise Angaben; beispielsweise es wurde ein Streik in Böhmen-Mähren behauptet, dann hieß es: Jawohl, in der und der Fabrik hat der Streik stattgefunden. Aber ausnahmslos und immer kam ein ganz klares Dementi in allen Fällen von KZ-Greuel und so weiter. Gerade dadurch gewannen diese Dementis so an Glaubwürdigkeit. Ich darf betonen, daß das die einzige Möglichkeit war, um uns überhaupt zu erkundigen. Diese Auskünfte waren nicht für die Öffentlichkeit, sondern für den Minister bestimmt, und immer hieß es: »Nein, an diesen Dingen ist kein wahres Wort.« Ich weiß auch heute noch nicht, welchen anderen Weg wir hätten gehen können als diesen.


DR. FRITZ: Eine Zwischenfrage: Können Sie irgend etwas bekunden über die Haltung Fritzsches in Kirchenfragen?


VON SCHIRMEISTER: Herr Fritzsche hat sich da mit der während des Krieges vom Minister vertretenen Auffassung durchaus gedeckt. Der Minister verlangte zu Beginn des Krieges absoluten Burgfrieden, da alles, was Zwietracht ins deutsche Volk hätte tragen können, nur störend gewirkt hätte. Ich weiß nicht, ob ich das näher ausführen soll.


DR. FRITZ: Nein. Ich komme zu einem anderen wichtigen Thema. Wissen Sie, Herr Zeuge, welche Begründungen Goebbels [276] seinen Mitarbeitern für die einzelnen militärischen Aktionen Deutschlands gegeben hat?


VON SCHIRMEISTER: Er hat überhaupt keine eigenen Begründungen gegeben, sondern er hat seine Kommentare immer angehängt an die amtlichen, vom Führer kommenden Verlautbarungen.


DR. FRITZ: Können Sie, um auf einige Beispiele einzugehen, ganz kurz demnach etwas darüber sagen, ob der Angeklagte Fritzsche vorher wußte, daß ein militärischer Angriff geplant war auf 1. Polen, 2. Belgien-Holland, 3. Jugoslawien?


VON SCHIRMEISTER: Im Falle Polen wußten wir natürlich, daß die Frage Danzig-Korridor zur Entscheidung stand. Dr. Goebbels selbst hat uns aber immer wieder versichert, und er selbst glaubte daran, daß es nicht zu einem Kriege dabei kommen würde, weil er in völliger Verkennung der Haltung der Westmächte davon überzeugt war, daß die nur blufften und daß ohne eine militärische Unterstützung des Westens auch Polen keinen Krieg wagen würde.


DR. FRITZ: Und Belgien-Holland?


VON SCHIRMEISTER: Belgien-Holland: Am Vortage standen wir im Zeichen des Staatsbesuches des italienischen Ministers Pavolini, am Abend war eine Theatervorführung, dann ein Empfang im Haus der Flieger. Nachts fuhr der Minister mit mir ins Ministerium, wo er gelegentlich übernachtete. Ich mußte nachts verschiedene Herren antelephonieren. Morgens legte der Minister Herrn Fritzsche in meiner Gegenwart die zwei dann über Radio gehenden Verlautbarungen vor, erstens die militärische Begründung, zweitens die Secret-Service-Begründung. Herr Fritzsche hatte nicht einmal Zeit, sie sich auch noch durchzulesen, er war im übrigen stockheiser, und die zweite Secret-Service-Begründung hatte ich verlesen müssen; ich hatte sie auch nicht vorher gekannt.


DR. FRITZ: Wie war es mit Jugoslawien?


VON SCHIRMEISTER: Das gleiche. Der Minister hatte am Abend seinen Adjutanten entlassen, beurlaubt; ich mußte nachts die verschiedenen Herren zusammentelephonieren, und am frühen Morgen wurde uns über das Radio die uns bis dahin völlig unbekannte Erklärung verlesen.


DR. FRITZ: Und wie war es im Falle des Angriffs auf die Sowjetunion?


VON SCHIRMEISTER: Da war es noch toller, da hat der Minister seine eigenen Abteilungsleiter zu Tarnungszwecken angelogen. Er zog etwa Anfang Mai aus der üblichen Zwanzig-Mann-Konferenz zehn Mann heraus und sagte denen: »Meine Herren, ich weiß, manche Herren glauben, es geht gegen Rußland. Ich muß Ihnen [277] heute sagen, es geht gegen England. Wir stehen vor der Invasion. Richten Sie Ihre Arbeiten darauf ein. Sie, Dr. Glasmeier, machen eine neue England-Fanfare...« und so weiter. Ein glattes Anlügen seiner eigenen Abteilungsdirektoren zu Tarnungszwecken.


DR. FRITZ: Wollen Sie also behaupten, daß keiner im Propagandaministerium etwas von dem bevorstehenden Rußlandfeldzug gewußt hat?


VON SCHIRMEISTER: Nein, es haben im Propagandaministerium vom Rußlandfeldzug folgende Herren gewußt, wenn ich unterstellen darf, daß ein Brief von Lammers an den Minister der Schlüssel dafür war; ein Brief, in dem Lammers dem Minister persönlich geheim mitteilte, daß der Führer beabsichtige, Herrn Rosenberg zum Ost-Minister zu ernennen. Der Minister solle einen Verbindungsmann unseres Ministeriums zu Herrn Rosenberg persönlich benennen. Das war natürlich der Schlüssel. Davon haben gewußt: der Minister, Herr Hadamowsky, damals sein vertretungsweiser, persönlicher Referent; Dr. Tauber, der als sein Verbindungsmann genannt wurde; ich, der ich durch Zufall diesen Brief gelesen hatte und der Leiter der Auslandspresseabteilung, Dr. Boehme. Dr. Boehme, das ist sehr wichtig, hat mir selber einen Tag vor seiner Verhaftung in Gegenwart von Prinz Schaumburg-Lippe gesagt, daß er die Nachricht davon von Herrn Rosenbergs Kreis persönlich habe, also wohlgemerkt, nicht aus unserem Ministerium oder von unserem Minister. Als Leiter der Parallelabteilung wären selbstverständlich beide Abteilungsleiter gleichermaßen sonst unterrichtet worden; wußte es Boehme nicht durch den Minister, konnte es auch Herr Fritzsche nicht gewußt haben. Boehme wurde am nächsten Tag wegen einer unvorsichtigen Bemerkung in dieser Richtung verhaftet; er ist demnächst gefallen.


DR. FRITZ: Ich fasse diesen Teil meiner Befragung folgendermaßen zusammen in einer allgemeinen Frage: Ob Sie jemals beobachtet haben, daß Goebbels vor großen politischen oder militärischen Aktionen der Regierung oder der NSDAP einen planenden Gedankenaustausch mit dem Angeklagten Fritzsche gepflegt hat?


VON SCHIRMEISTER: Das ist völlig ausgeschlossen, das hätte dem Prinzip des Ministers völlig widersprochen. Er hat nicht nur keine planenden Gedanken ausgetauscht, sondern auch niemand informiert.


DR. FRITZ: Nun ein anderer Fragenkomplex. Die Anklage wirft dem Angeklagten Fritzsche vor, er habe das deutsche Volk beeinflußt im Sinne einer Herrenvolk-Idee und damit auch im Sinne des Hasses gegen andere Länder. Hat Fritzsche überhaupt einmal den Auftrag erhalten, eine Propaganda im Sinne der Herrenvolk-Idee zu betreiben?


[278] VON SCHIRMEISTER: Nein, auf keinen Fall. Sie müssen dazu wissen, daß Dr. Goebbels mit all der Parteidogmatik, mit dem Mythos überhaupt nichts anfangen konnte. Das sind keine Dinge, mit denen man Massen fängt. Ihm war die Partei das große Sammelbecken, in dem aus möglichst vielen Richtungen heraus sich das deutsche Volk zusammenfinden sollte; und gerade über die Herrenvolk-Idee hat er sich – vielleicht auch bedingt durch seine eigene körperliche Behindertheit – mokiert; er hat die glatt abgelehnt. Das war nichts für Dr. Goebbels. Den Haß soll ich auch beantworten? Sie frugen mich auch über den Haß?

DR. FRITZ: Ja.


VON SCHIRMEISTER: Eine Propaganda des Hasses gegen andere Völker ist absolut gegen die Propagandalinie von Dr. Goebbels gegangen, denn er hoffte ja, und er hat dieser Hoffnung zuletzt wie einer Fata Morgana angehangen, daß er eines Tages umschalten könne, von »gegen England« und »gegen Amerika«, auf »mit England«, »mit Amerika«, und wenn man das will, kann man keinen Haß gegen ein Volk gebrauchen; er wollte mit den Völkern gehen, nicht gegen die Völker.


DR. FRITZ: Gegen wen sollte dann diese Propaganda in Rundfunk und Presse kämpfen?


VON SCHIRMEISTER: In erster Linie gegen Systeme. Dr. Goebbels hat ja selbst den Begriff »Plutokratie« erst zu dem gemacht, was heute die ganze Welt darunter versteht, später kam der Begriff »Bolschewismus« von der anderen Seite dazu. Zeitweise ging es auch gegen regierende Männer. Er kam aber mit der deutschen Presse nicht klar, er hat sich darüber geärgert; er sagte einmal in einer Konferenz: Meine Herren, wenn ich an Ihre Stelle zehn Juden setzen könnte, die würden das hinbringen. Aber er kam später auch von diesem Eingreifen gegen Persönlichkeiten wie Churchill wieder ab. Er fürchtete, diese Männer würden zu populär durch seine eigene Gegenpro paganda. Im übrigen hat er persönlich Churchill gar nicht gehaßt, sondern insgeheim bewundert, genau so, wie er beispielsweise ein Bild des Duke of Windsor den ganzen Krieg über am Tisch stehen hatte, also zeitweisen Haß gegen einzelne Männer, durchgehenden Haß gegen Systembegriffe.


DR. FRITZ: Herr Zeuge! Bitte prüfen Sie vor Beantwortung der nächsten Frage das Gedächtnis ganz genau und denken Sie dabei an Ihren Eid. War der Zweck der Propaganda, für die Fritzsche Befehle entgegennahm und durchführte, die Erweckung von zügellosen Leidenschaften, die einer Aufforderung zu Mord und Gewalttaten gleichkommen konnte, oder was war sonst ihr Zweck?


VON SCHIRMEISTER: Nein, Leidenschaften konnte der Minister in seiner Propaganda gar nicht brauchen. Leidenschaften lohen [279] auf und klingen wieder ab. Was der Minister brauchte, war eine stetige durchgehende Linie, war eine stetige Haltung, ein Durchhalten auch in schweren Zeiten. Ein Aufpeitschen zu Haß oder gar Mord hätte dem deutschen Volke weder gelegen, noch konnte Dr. Goebbels das brauchen.


DR. FRITZ: Unterstand die deutsche Propaganda im Ausland, besonders in Rußland, überhaupt dem Propagandaministerium?

VON SCHIRMEISTER: Ich muß hier teilen: Ich weiß nicht, ob ich auf den bekannten Gegensatz zwischen Dr. Goebbels und Ribbentrop eingehen muß. Das Auswärtige Amt hatte ja zu Beginn des Krieges gefordert, daß die gesamte Auslandspropaganda, im einzelnen die Propaganda im Ausland, die Propaganda über den Rundfunk ins Ausland und die Propaganda den in Deutschland lebenden Ausländern gegenüber in seine Hände übergehen müsse. Es kam zu sehr häßlichen Kontroversen. Es wurde ein Führerentscheid herbeigerufen; schließlich aber legten beide Parteien diesen Entscheid zu ihren Gunsten aus.


DR. FRITZ: Herr Zeuge! Vielleicht noch kürzer.


VON SCHIRMEISTER: Gut. Ich kann das auch lassen. Der Gegensatz zwischen beiden ist bekannt. Aber über Rußland muß ich noch sagen: In Rußland unterstanden die Presse und Propaganda bis etwa März 1944 Herrn Rosenberg. Auch da war Dr. Goebbels...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Was hat die russische Propaganda mit dem Angeklagten zu tun?


DR. FRITZ: Nein, die deutsche Propaganda in den russischen Gebieten; danach habe ich ihn gefragt, dabei hat er ja nur einen Satz zu sagen. Er hat es auch schon gesagt eben.

VON SCHIRMEISTER: Bis 1944 Rosenberg... sehr zum Kummer von Dr. Goebbels, der glaubte, daß man den Rußlandfeldzug propagandistisch hätte gewinnen können.


DR. FRITZ: Ich habe noch eine letzte Frage an Sie:

Die Anklagebehörde hat gestern, als Herr Fritzsche sich im Kreuzverhör befand, mehrere Vernehmungsprotokolle vorgelegt. Darunter zum Beispiel von Generalfeldmarschall Schörner, in denen übereinstimmend bekundet wird, daß Fritzsche der ständige Stellvertreter von Goebbels als Propagandaminister gewesen sei. Stimmt das?


VON SCHIRMEISTER: Das ist glatter Unsinn. Mir ist unerklärlich, wie so eine Aussage zustande gekommen sein kann. Dabei gibt es kein wahres Wort.


DR. FRITZ: Danke. Herr Präsident! Ich habe keine weiteren Fragen.


[280] VORSITZENDER: Will noch ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen stellen?

Will die Anklagebehörde ein Kreuzverhör?


GENERAL RUDENKO: Herr Vorsitzender! Die Anklagevertretung hat nicht die Absicht, diesen Zeugen zu vernehmen. Das soll aber nicht bedeuten, daß wir keine Einwände gegen die Aussagen des Zeugen haben.

VORSITZENDER: Der Zeuge kann sich zurückziehen.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich habe noch darauf hinzuweisen und zu bitten, von den Dokumenten, die in meinen beiden Dokumentenbüchern enthalten sind, auch insoweit amtlich Kenntnis zu nehmen, als ich sie nicht zitiert habe. Es befindet sich in meinem Dokumentenbuch II noch eine eidesstattliche Versicherung des Dr. Scharping, die ich dem Gericht als Fritzsche-Exhibit 3 anbiete. Es steht Seite 16 bis 19. Dieses Affidavit befaßt sich mit dem Verhalten des Angeklagten Fritzsche gegenüber Maßnahmen, die von Hitler geplant waren nach dem großen Luftbombardement der Stadt Dresden. Ich bitte, von dem gesamten Inhalt dieser eidesstattlichen Erklärung Kenntnis zu nehmen, Dokumentenbuch Band II, Seite 16 und folgende.

VORSITZENDER: Dr. Fritz! Der Gerichtshof stellt fest, daß das uns von Ihnen soeben vorgelegte Beweisstück Nummer 3 eine Erklärung der Person, die das Affidavit abgegeben hat, enthält, in der berichtet wird, daß Dr. Goebbels nach den Bombenangriffen auf deutsche Städte im Herbst 1944 gesagt habe, es sei nichts mehr dagegen einzuwenden, »wenn abgeschossene Besatzungsmitglieder der Wut des Volkes preisgegeben würden«.

Der Gerichtshof möchte gerne den Angeklagten Fritzsche in den Zeugenstand zurückrufen, um ihn darüber zu befragen.

Haben Sie den Angeklagten Fritzsche während Ihres ersten Verhörs über diese Sache befragt?


DR. FRITZ: Nein, Herr Präsident, ich erwartete... das wollte ich zum Schlusse meines Falles jetzt sagen, von dem Schweizer Schutzmachtgesandten in Berlin erwartete ich zu demselben Thema noch eine Erklärung, die leider bis heute noch nicht eingegangen ist. Ich wollte bitten, diese, falls sie noch rechtzeitig kommt, nachreichen zu dürfen.


VORSITZENDER: Meinen Sie noch einen Fragebogen oder ein Affidavit?


DR. FRITZ: Ja; eine Erklärung, ja, die sich mit demselben Thema befaßt.


VORSITZENDER: Ja.


[281] DR. FRITZ: Wenn ich das vielleicht noch anschließen darf: Herr Präsident! Außerdem erwarte ich auch noch von einem englischen Rundfunkkommentator Clifton Delmar eine Erklärung, die ich bis heute noch nicht bekommen habe. Darf ich die vielleicht noch...


VORSITZENDER: Natürlich dürfen Sie das.

Aber was den Gerichtshof im Augenblick interessiert ist, daß er für wesentlich hält, zu wissen...


DR. FRITZ: Ja, ich verstehe, Herr Präsident.


[Der Angeklagte Fritzsche betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Sie sind immer noch unter Eid; Sie können sich setzen.

Sie haben diese Erklärung gelesen?


FRITZSCHE: Ich habe sie aber nicht mehr in Erinnerung in ihren Einzelheiten.


VORSITZENDER: Wir haben die Antwort darauf nicht gehört.


FRITZSCHE: Ich habe diese Erklärung, die eben mein Rechtsanwalt dem Gericht überreichte, nicht mehr in Erinnerung, ich weiß nur von ihrer Existenz.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wünscht Sie über folgende Erklärung zu befragen:

»Dr. Goebbels sprach auch hierüber häufig vom Herbst 1944 ab in seiner sogenannten ›Ministerkonferenz‹...«

Ich will noch weiter vorne anfangen:

»Die immer mehr zunehmende Wirkung der englischen und amerikanischen Luftangriffe auf deutsche Städte ließ Hitler und seine engeren Ratgeber nach drastischen Vergeltungsmaßnahmen suchen. Dr. Goebbels sprach auch hierüber häufig vom Herbst 1944 ab in seiner sogenannten ›Ministerkonferenz‹, bei der zahlreiche Beamte und Sachbearbeiter seines Ministeriums versammelt waren und in der auch ich...«

Das ist doch Franz Scharping?

FRITZSCHE: Ja.

VORSITZENDER:

»... in der Regel anwesend war. Dr. Goebbels hat hierbei ausgeführt, es sei nichts mehr dagegen einzuwenden, wenn abgeschossene Besatzungsmitglieder der Wut des Volkes preisgegeben würden.«

Wie Sie wissen, gab es eine große Menge von Beweismaterial darüber vor dem Gerichtshof. Haben Sie in Ihren Propagandareden dieses Thema erwähnt?

FRITZSCHE: Nein, ich habe niemals in meinen Propagandareden dazu aufgefordert, die Mitglieder der Besatzungen abgeschossener [282] Flugzeuge zu töten. Dagegen weiß ich, daß Dr. Goebbels aus Gründen der Abschreckung schon im Herbst 1944 ins Ausland Meldungen darüber lancieren ließ, daß, um ein Beispiel zu nennen, ein angelsächsisches Flugzeug, das Kirchengänger am Sonntag auf der Straße beschossen hätte, nachher abgeschossen worden sei und seine Besatzungsmitglieder dann von der Menge gelyncht worden wären. Tatsächlich lagen wahre Vorgänge nicht zugrunde und konnten auch kaum zugrunde liegen, weil es ja sehr unwahrscheinlich ist, daß ein Flugzeug in einem solchen Augenblick abgeschossen wird.

Dr. Goebbels hat, wie ich weiß, durch ein Rundschreiben an die Gaupropagandaämter auch aufgefordert, ihm die Meldungen über solche Vorfälle, falls sie wirklich eintreten, zuzuleiten. Meines Wissens aber hat er keinerlei Sachangaben bekommen. Das ist die Zeit gewesen, in der er auch einen Aufsatz im »Reich« über das Thema schreiben ließ, dessen Titel ich jetzt nicht angeben kann. Auf jeden Fall verstärkte sich diese Kampagne, nachdem sie vielleicht im Januar oder Februar abgeflaut war, in den Tagen nach dem Luftangriff auf Dresden zu folgendem Vorfall. Dr. Goebbels erklärte in der hier mehrfach erwähnten »11.00-Uhr-Vormittagskonferenz«, in Dresden seien 40000 Todesopfer zu beklagen. Damals wußte man noch nicht, daß die Zahl eine erheblich höhere war. Dr. Goebbels fügte an die Mitteilung: Nun aber müsse mit diesem Terror so oder so ein Ende gemacht werden, und Hitler sei fest entschlossen, die gleiche Anzahl englischer und amerikanischer und russischer Flieger in Dresden erschießen zu lassen, wie Einwohner in Dresden ums Leben gekommen wären. Er wandte sich dann an mich und forderte mich auf, diese Aktion vorzubereiten und anzukündigen. Es kam zu einem Zwischenfall. Ich sprang auf und weigerte mich, Dr. Goebbels brach die Konferenz ab, er holte mich in sein Zimmer und es kam zu einer sehr erregten Aussprache, an deren Ende ich ihn wenigstens so weit hatte, daß er mir zusagte, er werde bei Hitler dafür wirken, daß dieser Plan nicht durchgeführt werde. Anschließend sprach ich mit dem Gesandten Rühle, dem Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes, und bat ihn, seinen Minister in dem gleichen Sinn zu mobilisieren. Ich sprach dann mit dem Staatssekretär Naumann, mit der Bitte, im gleichen Sinne auf Bormann einzuwirken, dessen überragender Einfluß bekannt ist.

Anschließend hatte ich – was mir damals nach den geltenden Bestimmungen eigentlich nicht erlaubt war – eine Unterredung mit dem Schutzmachtgesandten, dem ich vertraulich gewisse Andeutungen machte über den Plan, den ich gehört hatte und den ich fragte, ob er mir ein Argument oder eine Handhabe nennen oder liefern könne, um noch stärker gegen diesen Plan arbeiten zu können.

[283] Er erklärte, er wolle dies mit großer Beschleunigung tun und riet mich bereits am nächsten Vormittag wieder an. Wir hatten eine zweite Aussprache, und er teilte mir mit, daß ihm inzwischen in Aussicht gestellt sei ein Gefangenenaustausch, ein deutsch-englischer Gefangenenaustausch, ich glaube in Höhe von 50000 Mann. Ich bat ihn, diese Angelegenheit auf dem normalen und üblichen diplomatischen Wege laufen zu lassen, aber mir zu gestatten, gegenüber Dr. Goebbels, gegenüber Naumann und Bormann von dieser sich bietenden Chance eines Gefangenenaustausches zu sprechen. Das tat ich, und da gerade in jener Zeit der Führung offenbar besonders viel an zurückkommenden Gefangenen lag, die vielleicht noch einsatzfähig waren, machte dies in Aussicht stehende Angebot...


VORSITZENDER: Wie, glaubten Sie, hätte sich ein solcher Gefangenenaustausch auf das Problem, ob als Vergeltungsmaßnahme 40000 englische, amerikanische und russische Flieger ermordet werden sollten, auswirken sollen?


FRITZSCHE: Mir erschien folgendes: In dem Augenblick, wo sich die Chance bot, einen Gefangenenaustausch zwischen zwei kriegführenden Parteien durchzuführen, in dem Augenblick mußte jeder Gedanke einer außerhalb aller menschlichen Gesetzgebung liegenden Handlung zurückgedrängt werden. Also, in dem Augenblick, in dem von einem Gefangenenaustausch gesprochen wurde, mußte der Gedanke an eine gigantische Gefangenenerschießung in den Hintergrund treten.

Ich kann kürz abschließen. Dieser Plan wurde erörtert, ich habe ihn Dr. Goebbels mitgeteilt, er wurde bei Hitler abends besprochen nach den übereinstimmenden Berichten, die ich von zwei Seiten bekam – und ein merkwürdiger Zufall wollte es, daß das Angebot selbst erst viele Tage nach der Erledigung dieses erregenden Vorfalls auf dem bürokratischen Wege irgendwo versandete.


MR. BIDDLE: Verstehen Sie mich jetzt? Ich frage Sie, wann haben Sie von Hitlers Befehl gehört? Nicht in Bezug auf diese Gefangenen, sondern hinsichtlich der gelandeten Flieger. Wann haben Sie zum erstenmal davon gehört?

Sie haben gesagt, daß Goebbels im Herbst im Zusammenhang mit diesem Befehl Propaganda nach dem Auslande gemacht habe. Wußten Sie damals davon?


FRITZSCHE: Jawohl!


MR. BIDDLE: Wußten Sie im Herbst 1944 von diesem Befehl?


FRITZSCHE: Nein.


MR. BIDDLE: Wann denn?


[284] FRITZSCHE: Ich kann es nicht genau sagen, aber ich habe im Herbst 1944 diesen Befehl nicht gekannt, und ich muß unter meinem Eid außerordentlich vorsichtig sein. Ich glaube, ich habe ihn überhaupt erst im Gerichtssaal gehört, aber das verwischt sich in meinem Gedächtnis etwas mit der eben von mir geschilderten Kampagne von Dr. Goebbels. Ich kann also nicht klar...


MR. BIDDLE: In dieser Beratung im Februar wurde dieser Befehl doch bestimmt besprochen, als die Tötung von 40000 Kriegsgefangenen erörtert wurde.


FRITZSCHE: Nein, bei dieser Gelegenheit überhaupt nicht.


MR. BIDDLE: Sie hatten aber doch keinen Zweifel, daß Hitler diese Gefangenen töten lassen wollte, oder doch?


FRITZSCHE: Selbstverständlich glaubte ich in dem Augenblick, in dem Dr. Goebbels das erzählte, daß Hitler diese Aktion machen wollte.


MR. BIDDLE: Dann ist die Antwort »Ja«.

Sie hatten keinen Zweifel, daß Goebbels sie töten lassen wollte, oder doch?


FRITZSCHE: Die 40000 in Dresden?


MR. BIDDLE: Ja.


FRITZSCHE: Im allgemeinen, jawohl.


MR. BIDDLE: Ja?


FRITZSCHE: Ja, ich hatte keinen Zweifel, daß auch Dr. Goebbels einverstanden war.


MR. BIDDLE: Welche anderen Führer wollten sie auch töten lassen? Es wurde offenbar ziemlich viel darüber gesprochen. Wer war denn in der Regierung sonst noch für diese Politik?


FRITZSCHE: Ich kann das nicht mit Bestimmtheit sagen bezüglich des einzigen, der hier noch in Frage kommt, nämlich Bormann. Dagegen weiß ich das Gegenteil, also den Versuch, Hitler umzustimmen, über den Gesandten Rühle von dem damaligen Außenminister von Ribbentrop. Auch er hat im gleichen Sinne gewirkt.


MR. BIDDLE: Hat Ribbentrop an diesem besonderen Problem, die Gefangenen töten zu lassen, auch mitgearbeitet? Ich bin mir nicht ganz klar darüber. Hat Ribbentrop auch davon gewußt?


FRITZSCHE: Ich habe damals – und kann deshalb aus eigener Beobachtung nur folgendes sagen – den Gesandten Rühle unterrichtet und ihn gebeten, Ribbentrop zu unterrichten und zu mobilisieren, und Rühle erklärte mir danach einen Tag später, oder zwei Tage später, denn wir telephonierten sehr oft sehr aufgeregt miteinander... ein bis zwei Tage später erklärte, sein Minister sei...

[285] MR. BIDDLE: Ich brauche die Einzelheiten nicht. Die Antwort ist, daß das Auswärtige Amt davon gewußt hat, wenn auch nicht Ribbentrop selbst. Ist das richtig?


FRITZSCHE: Ribbentrop wurde persönlich informiert.


MR. BIDDLE: Das ist alles, was ich wissen will.


FRITZSCHE: Jawohl.


MR. BIDDLE: Wissen Sie, welchen Standpunkt Bormann in dieser Sache eingenommen hat?


FRITZSCHE: Nach den mir gewordenen Schilderungen hatte er zuerst den Plan und den Gedanken Hitlers zur Erschießung dieser 40000 unterstützt, hat aber nachher unter der Einwirkung von Goebbels und Naumann die gegenteilige Haltung eingenommen und mitgearbeitet, Hitler von dem Plan abzubringen.


MR. BIDDLE: Wurden Sie in der Angelegenheit, nur soweit es die Befehlshaber der Wehrmacht anging, befragt?


FRITZSCHE: Davon weiß ich nichts.


MR. BIDDLE: Man hat mir vorgeschlagen, noch folgendes zu fragen: Wissen Sie, welche Haltung Ribbentrop zur Erschießung dieser Gefangenen eingenommen hat?


FRITZSCHE: Jawohl. Nach der Mitteilung des Gesandten Rühle hat er sich mit für die Verhinderung des Erschießungsplanes eingesetzt. In welcher Form, das weiß ich nicht.


VORSITZENDER: Dr. Fritz! Wollen Sie dem Angeklagten noch irgendwelche Fragen vorlegen?


DR. FRITZ: Nein, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Will die Anklagebehörde irgendwelche Fragen vorlegen, die sich aus den Fragen des Gerichtshofs ergeben?


GENERAL RUDENKO: Nein, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Dann kann der Angeklagte zur Anklagebank zurückgehen.


[Der Angeklagte verläßt den Zeugenstand.]


DR. FRITZ: Herr Präsident! Ich bin damit am Ende der Beweisführung des Angeklagten Fritzsche angelangt.

VORSITZENDER: Wollen Sie als Beweis alle Dokumente anbieten, die sich in Ihren beiden Dokumentenbüchern befinden? Jedes einzelne?

DR. FRITZ: Ja, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Sind sie mit Beweisstücknummern versehen?


DR. FRITZ: Ja, ich habe die Originale alle überreicht.


[286] VORSITZENDER: Gut.

Haben Sie nicht zwei Beweisstücke Nummer 1, Beweisstück Nummer 1 in einem Buch und Beweisstück Nummer 1 in einem anderen Buch?


DR. FRITZ: Nein, Herr Präsident. In meinem Dokumentenbuch I, Herr Präsident, sind überhaupt keine Fritzsche-Exhibits.


VORSITZENDER: Gut.

Das schließt dann den Fall Fritzsche ab.


DR. FRITZ: Ja, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Das Gericht wird sich vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. BERGOLD: Hohes Gericht! Zunächst habe ich zu erklären, daß ich auch auf den Zeugen Dr. Klöpfer, weil er erst seit 1942 mit Bormann enger zusammengearbeitet hat, und da er über die meisten Dokumente, die der Anklage zugrunde liegen, nichts sagen kann, und weil er lediglich die staatsrechtliche Abteilung in der Parteikanzlei geleitet hat, verzichte.

Hohes Gericht! Ich muß eingangs eine ganz kurze grundsätzliche Erklärung machen. Der Angeklagte Bormann ist nicht anwesend. Seine Mitarbeiter stehen mir im allgemeinen auch nicht zur Verfügung. Ich kann daher nur versuchen, im allgemeinen aus den von der Anklagebehörde vorgelegten Dokumenten einen kleinen Beweis dahin zu führen, daß der Angeklagte nicht die legendenhafte große Rolle gespielt hat, die ihm jetzt nach dem Zusammenbruch zugeschrieben wird. Es widerstrebt mir als Anwalt, wie es mir immer wieder widerstrebt hat, aus Nichts etwas zu machen, und ich kann daher nur sehr, sehr wenig vortragen, und das möge das Hohe Gericht beachten. Es ist nicht Nachlässigkeit, daß ich so wenig vortrage, sondern das Unvermögen, ohne Hilfe des Angeklagten aus den Dokumenten Positives für den Angeklagten herauszufinden.

Ich komme nun zuerst zu der Frage, ob das Verfahren gegen Bormann durchgeführt werden kann. Ich habe Beweise dafür angeboten, daß der Angeklagte Bormann mit höchster Wahrscheinlichkeit am 1. Mai 1945 bei einem Fluchtversuch aus der Reichskanzlei gefallen ist. Ich habe hierfür als die erste Zeugin die Zeugin Else Krueger benannt gehabt, die mir auch von dem Hohen Gericht bewilligt worden war. Ich habe dann im Antrag vom 26. Juni erklärt, daß ich auf die Vernehmung der Zeugin Else Krueger verzichten würde, wenn das Hohe Gericht mir gestatten würde, an Stelle der Zeugenaussagen ein Affidavit vorzulegen. Auf diesen Antrag selbst habe ich noch nichts gehört, ich nehme aber an, nachdem ich seinerzeit von Herrn Dr. Kempner gehört habe, daß die Staatsanwaltschaft damit einverstanden ist, daß auch das Hohe Gericht dagegen nichts erinnern wird.


[287] VORSITZENDER: Ich dachte, dieser Antrag auf Zeugin Krueger wäre zurückgezogen worden?


DR. BERGOLD: Ich habe erklärt, daß ich auf die Zeugin Krueger verzichte unter der Voraussetzung, daß ich ein Affidavit vorlegen darf. Das scheint ein Mißverständnis zu sein. Die Staatsanwaltschaft hat mir mitgeteilt, daß sie damit einverstanden wäre.


MR. DODD: Wir haben gesagt, daß wir keinen Einspruch gegen die Vorlage des Affidavits hätten, nachdem er auf die Zeugin verzichtet hat.


DR. BERGOLD: Ich überreiche das Affidavit unter Bormann Nummer 12 dem Hohen Gericht.

Ich habe dann noch drei weitere Zeugen für das Ableben Bormanns genannt.

Erstens, den Zeugen Kempka, den jahrelangen Chauffeur Hitlers, der anwesend war, als dieser Fluchtversuch aus der Reichskanzlei gescheitert ist. Dieser Zeuge ist nicht zur Stelle. Er war nach meinen Informationen im Dezember 1945 im Internierten-Camp Freising in Händen der amerikanischen Behörden, er ist aber leider noch nicht vorgeführt worden.

Ich habe weiter benannt den Zeugen Rattenhuber, der gleichfalls anwesend war, als Bormann fiel, der nach der mir gewordenen Information in Händen der UdSSR sein soll.

Die Zeugin Christians, die mir bereits bewilligt ist, konnte nicht ausfindig gemacht werden. Sie war zunächst einmal im Lager Oberursel interniert, wurde dort beurlaubt und hat den Urlaub dazu benutzt, zu verschwinden. Ich habe daher außer diesem Affidavit der Zeugin Krueger keinerlei Beweis für meine Behauptung.

Ich bedauere dies außerordentlich, daß dieser Beweis nicht klar geführt werden kann und daß mich auch die Hohe Anklagebehörde nicht mehr unterstützen konnte, denn auf solche Weise wird die Legendenbildung außerordentlich gefördert. Es traten nämlich bereits eine Art falscher Demetrius, falsche Martin Bormanns auf, die an mich Briefe richten unter dem Namen Martin Bormann, die aber gar nicht von ihm herstammen können. Ich glaube, es wäre der gesamten Öffentlichkeit und auch dem deutschen Volk und den Alliierten damit gedient gewesen, wenn ich diesen Beweis, wie ich ihn erbeten hatte, hätte führen können.

Ich komme nun zu meinen Dokumenten.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gerne dieses Affidavit von Krueger verlesen hören.


DR. BERGOLD: Es lautet:

»Fräulein Else Krueger, geboren 9. Februar 1915 zu Hamburg-Altona, Sekretärin, zur Zeit wohnhaft Hamburg 39, Hansenweg 1...

[288] Ich bin seit etwa Ende 1942 unter anderen Sekretärinnen, etwa 30 bis 40 (Zahlen und Namen können nicht mehr genau angegeben werden) Sekretärinnen bei dem Angeklagten Martin Bormann gewesen. Ich war in dieser Stellung bis zuletzt, und zwar noch über den Tod Hitlers hinaus.

Am 1. Mai 1945 habe ich Bormann im Bunker der Reichskanzlei das letzte Mal gesehen und gesprochen. Zu dieser Zeit habe ich für ihn schon nicht mehr gearbeitet, weil er damals seine eigenen Anordnungen und Funksprüche selbst mit der Hand geschrieben hat. Ich habe mich damals im Bunker der Reichskanzlei innerlich nur noch auf meinen Tod vorzubereiten gehabt. Seine letzten Worte zu mir, die er bei einer zufälligen Begegnung im Bunker aussprach, waren: ›Also denn auf Wiedersehen. Viel Sinn hat es ja doch nicht mehr; ich werde es mal versuchen, aber durchkommen werde ich doch nicht.‹ Dies waren sinngemäß seine letzten Worte, der genaue Wortlaut ist mir nicht mehr in Erinnerung.

Später, im Verlaufe des Abends, als die Russen dem Bunker der Reichskanzlei nach meiner damaligen Überzeugung schon ganz nahe gekommen waren, bin ich mit einer Gruppe von etwa 20 Personen (zum größten Teil Soldaten) unterirdisch aus einem Mauerausstieg der Reichskanzlei über den Wilhelmsplatz in den U-Bahneingang zum Kaiserhof, von dort aus unterirdisch bis zur Friedrichstraße geflohen. Die weitere Flucht ging durch mehrere Straßenzüge, Häusertrümmer; an genauere Einzelheiten kann ich mich wegen der aufregenden Situationen nicht mehr erinnern. Wir gelangten dann im Laufe des nächsten Vormittags in irgendeinen Bunker, dessen Lage ich auch nicht mehr anzugeben vermag. Es könnte der Bunker Humboldthain gewesen sein.«


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Handelt denn das Affidavit gar nicht vom Angeklagten Bormann?

DR. BERGOLD: O ja, darauf komme ich jetzt.

»Dort ist nach einiger Zeit plötzlich der SS-Gruppenführer Rattenhuber mit einer stärkeren Verwundung am Bein aufgetaucht. Er wurde auf ein Feldbett gelegt. Bei Erkundigungen anderer Personen, woher er käme, erklärte er in meiner Gegenwart, er sei mit Bormann und anderen weg mit dem Wagen über die Friedrichstraße. Es sei ver mutlich alles tot, es habe Leichen in Mengen gegeben. Ich entnahm aus seinen Äußerungen, daß er glaubte, Bormann sei tot. Es scheint mir dies auch wahrscheinlich, weil nach den Erzählungen mir unbekannter Soldaten sämtliche nach der Flucht unserer Gruppe den Bunker verlassenden Personen unter heftiges russisches Feuer genommen wurden und angeblich [289] auf der Weidendammer Brücke Hunderte von Toten liegen geblieben sein sollen.«

Ich lasse einen Satz aus, der unerheblich ist.

»Ich habe später nach meiner Erinnerung in irgendeiner englischen Zeitung gelesen, daß der langjährige Fahrer Hitlers mit Namen Kempka irgendwo ausgesagt haben soll, daß Bormann, mit dem er offenbar zusammen geflohen ist, tot sei.«

Das ist alles, was ich gefunden habe. Die wirklichen Zeugen sind leider nicht aufgefunden worden.

Ich komme nun zu den Dokumenten. Um die Beweisführung abzukürzen, gestatte ich mir, auf das von mir vorgelegte Dokumentenbuch mich zu beziehen. Es handelt sich ausschließlich um Anordnungen Bormanns, die in den Gesetzessammlungen »Anordnungen des Stellvertreters des Führers« erschienen sind.

Ich bitte, von diesen amtlichen Anordnungen Kenntnis zu nehmen. Die rechtlichen Folgerungen aus diesen Dokumenten werde ich in meinem Plädoyer ziehen.

Ich möchte nur hier kurz auf die Anordnung Nummer 23/36 Bezug nehmen und daraus einen Satz verlesen, die Anordnung unter Ziffer 8.

VORSITZENDER: Meinen Sie PS, Dr. Bergold?

DR. BERGOLD: Nein, die Anordnung Nummer 8 in meinem Dokumentenbuch. Auf diese Anordnung möchte ich nur besonders hinweisen, ohne etwas daraus zu verlesen.

Ich komme nun zum Dokumentenbuch, das die Staatsanwaltschaft vorgelegt hat und möchte aus dem Dokumentenbuch 098-PS auf Seite 4, zweiter Absatz oben, eine kurze Stelle verlesen.


VORSITZENDER: Sagten Sie 098-PS?


DR. BERGOLD: Ja, 098-PS, Schreiben Bormanns vom 22. Februar 1940 an den Herrn Reichsleiter Alfred Rosenberg.


VORSITZENDER: Seite 4?


DR. BERGOLD: Ja, Seite 4. Es ist das Schreiben, in dem sich Bormann sehr heftig gegen die christliche Religion ausgesprochen hat. Gleichwohl schreibt er auf Seite 4 folgendes:

»Was die Erteilung des Religionsunterrichts in den Schulen anlangt, so braucht meines Erachtens an dem jetzt bestehenden Zustand nichts geändert zu werden. Keinem nationalsozialistischen Lehrer darf nach den eindeutigen Weisungen des Stellvertreters des Führers irgendein Vorwurf gemacht werden, wenn er sich bereit findet, in den Schulen christlichen Religionsunterricht zu erteilen.«

[290] Ich überspringe einen Satz und fahre fort:

»In dem Rundschreiben des Stellvertreters des Führers Nr. 3/39 vom 4. Januar 1939 ist ausdrücklich gesagt, daß die mit dem Religionsunterricht betrauten Lehrer nicht etwa eine Auswahl aus dem biblischen Unterrichtsstoff nach eigenem Ermessen zu treffen haben, sondern verpflichtet sind, den gesamten biblischen Unterrichtsstoff zu lehren. Umdeutungen, Auslegungen und Auseinandertrennungen im Sinne der mehrfachen Versuche einzelner kirchlicher Richtungen« – damit waren die Deutschen Christen gemeint – »haben sie zu unterlassen.«

Ich zitiere dann aus dem Dokument Nummer 113-PS des Dokumentenbuches der Anklagebehörde. Es ist die Anordnung Nummer 104/38. Ich zitiere:

»Die von jeher betonte Neutralität der Partei gegenüber den Kirchen gebietet es, alle sich möglicherweise ergebenden Reibungsflächen auszuschalten. Da Pfarrer als Politische Leiter oder Unterführer der Gliederungen und Walter der angeschlossenen Verbände erfahrungsgemäß in dieser doppelten Bindung nicht die vorauszusetzende Entscheidungsfreiheit besitzen und andererseits die Bewegung infolge des von ihnen ausgeübten kirchlichen Amtes einseitig in den Kirchenstreit hineinzuziehen drohen, hat der Stellvertreter des Führers angeordnet:

1. Pfarrer als Hoheitsträger sind umgehend ihres Parteiamtes zu entbinden.«

Ich zitiere dann aus dem Dokument 099-PS, in dem sich Bormann mit einem Schreiben vom 19. Januar 1940, gerichtet an den Reichsminister der Finanzen, gegen den zu niedrigen Kriegsbeitrag der Kirche richtet, den zweiten Absatz. Ich zitiere:

»Die Festsetzung eines so niedrigen Beitrages hat mich überrascht. Aus zahlreichen Berichten entnehme ich, daß die politischen Gemeinden einen so hohen Kriegsbeitrag aufzubringen haben, daß die Durchführung ihrer zu einem Teil überaus wichtigen Arbeiten, z.B. auf dem Gebiete der öffentlichen Fürsorge, gefährdet wird.«

Ich überspringe einen Satz und fahre fort:

»Wie ich erfahre, ist die Festsetzung des überaus niedrigen Beitrages u. a. daraus zu erklären, daß zur Entrichtung des Kriegsbeitrages nur die Kirchen, soweit sie im Altreich zur Erhebung von Steuern berechtigt sind, herangezogen werden, dagegen nicht die zur Erhebung von Kirchenbeiträgen berechtigten Teile der evangelischen und katholischen Kirche in der Ostmark und im Sudetenland.«

[291] Ich überspringe den Rest des Satzes und fahre fort:

»Zu einer so verschiedenartigen Behandlung der einzelnen Teile der Kirchen sowie der kirchlichen Organisationen besteht meines Erachtens nicht der geringste Anlaß.«

Ich zitiere weiter aus dem Dokument Nummer 117-PS, ein Schreiben Bormanns an Rosenberg vom 28. Januar 1939. Ich zitiere aus dem zweiten Absatz:

»Die Partei hat in den letzten Jahren wiederholt zu dem Plan einer Staatskirche oder einer in sonstiger Form durchzuführenden engeren Verbindung von Staat und Kirche Stellung nehmen müssen. Sie hat diese Pläne stets mit allem Nachdruck abgelehnt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens wurde es nicht den weltanschaulichen Forderungen des Nationalsozialismus entsprechen, wenn sich der Staat mit den Kirchen als der äußeren Organisation von Glaubensgemeinschaft verbindet, die nicht die Durchsetzung nationalsozialistischer Grundsätze auf allen Gebieten zum Ziele haben. Zweitens sprechen rein praktisch-politische Erwägungen gegen eine solche äußerliche Verbindung.«

Ich beziehe mich dann auf Dokument L-22. Es handelt sich um die Besprechung im Führerhauptquartier vom 16. Juli 1941, in der Hitler, Rosenberg, Lammers, Keitel, Göring und Bormann anwesend waren.

VORSITZENDER: Können Sie uns sagen, in welchem Teil des Buches dies steht und was die Nummer ist?

DR. BERGOLD: L-22. Es ist ungefähr in der Mitte des Buches. Diese Besprechung hat Bormann als Sekretär aufgenommen. Die Anklage hat ausgeführt, daß aus den Zwischenbemerkungen Bormanns hervorgehe, daß er die dort erörterten Pläne einer Einbeziehung russischer Gebiete in das Reichsgebiet geteilt habe. Ich muß daher diese Zwischenbemerkung verlesen.


VORSITZENDER: Es ist L-221, nicht L-22.


DR. BERGOLD: Die erste Zwischenbemerkung steht in dem vierzehnten Absatz, sie lautet:

»Nebenfrage: Gibt es überhaupt noch eine kulturelle Schicht in der Ukraine, oder gibt es Ukrainer gehobenen Standes lediglich außerhalb des heutigen Rußland als Emigranten?«


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Können Sie uns nicht sagen, welche Originalseite es ist? In unserem Dokumentenbuch sind Überschriften »Originalseite so und so«. Stehen nicht auch auf Ihrem Dokument die Worte »Originalseite so und so«?

[292] DR. BERGOLD: Ja, die stehen zwar darauf... einen Augenblick, ich muß es erst nochmals suchen. Meine Übersetzung, die ich bekommen habe, hat eine andere Art Abteilung... Seite 4.


VORSITZENDER: Danke.

»...müssen wir einen Garten Eden machen...«

Im ersten Teil von Seite 4 heißt es: »...müssen wir einen Garten Eden machen...«

DR. BERGOLD: Ja, ja, ja, der zweite Absatz, der dritte Absatz, nein... nach jedem... der dritte Absatz. Haben Sie es, Herr Vorsitzender?

VORSITZENDER: Sprechen Sie nur weiter, bitte; ich weiß nicht, ob ich es habe, bis Sie mir sagen, wie es anfängt.


DR. BERGOLD: Es fängt an: »Nebenfrage: Gibt es überhaupt noch eine kulturelle Schicht in der Ukraine.«


VORSITZENDER: Ja, das habe ich jetzt, Seite 3.


DR. BERGOLD: Es ist auf Seite 3.


VORSITZENDER: Ich glaube, es steht auf Seite 4 und lautet ungefähr so: »Gibt es noch so etwas wie eine gebildete Klasse in der Ukraine?«


DR. BERGOLD: Nach dem Dokumentenbuch, das mir eben vorgelegt wurde, ist es auf Seite 3, aber es kann Seite 4 sein – 3, 4...4.


VORSITZENDER: Das Original ist Seite 4.


DR. BERGOLD: Dann auf Seite 5, auf Seite 4... es war doch Seite 3, Euer Lordschaft, auf Seite 4 kommt eine ganz ähnliche Bemerkung, sie lautet:

»Es tritt mehrfach in Erscheinung, daß Rosenberg für die Ukrainer sehr viel übrig hat, er will die alte Ukraine auch erheblich vergrößern.«

Und dann als letzte Zwischenbemerkung auf Seite 8, Seite 5 im englischen Text, drittletzter Paragraph:

»Vermerk für Parteigenosse Klöpfer.

Bitte, erbitten Sie sich baldigst bei Dr. Mayer die Unterlagen über die beabsichtigte Organisation und über die beabsichtigten Stellenbesetzungen.«

Und dann am Schluß, auf Seite 6 Ihres Originals, letzter Paragraph:

»Nebenbei: Der Führer betont, die Tätigkeit von Kirchen käme keinesfalls in Frage. Papen habe ihm über das Auswärtige Amt schon eine lange Denkschrift geschickt, in der behauptet würde, jetzt sei der richtige Augenblick, die Kirchen wieder einzuführen. Dies komme aber keinesfalls in Frage.«

[293] Es ist das eine Zwischenbemerkung über eine Ausführung Hitlers.

Ich komme dann zum Dokument 1520-PS, in dem ich zunächst die Aufmerksamkeit des Hohen Gerichts darauf lenken möchte, daß in diesem von Lammers geführten Protokoll die Anwesenheit Bormanns im Eingang gar nicht festgehalten worden ist, offenbar, weil seine Sekretärtätigkeit als eine selbstverständliche angesehen worden ist.

Ich möchte dann verlesen auf Seite 2 Ihres Originals, von dem Absatz, der beginnt:

»Die Frage kam dann auf das Problem der Religionsfreiheit...«

vom vierten Absatz ab, die achte Zeile.

»Bormann stimmte dieser Haltung durchweg zu, erklärte nur, es sei die Frage, ob der Reichsminister Ost, der ja auch in Deutschland einen Namen habe, nicht durch ein Gesetz eine zu weitgehende Bindung schaffe, die auf das Reich zurückwirke. Was unter ›religiöser Freiheit‹ zu verstehen sei, das wollten ja die Kirchen deuten, und er sehe voraus, daß ein solches Gesetz zu Hunderten von neuen Briefen und Beschwerden seitens der Kirchen im Reich führen werde.«

Der übernächste Satz lautet dann:

»Es wurde schließlich ausgemacht, daß die ganze Frage nicht in Form eines Gesetzes von mir« – das heißt Lammers – »geklärt würde, sondern daß die Reichskommissare die bestehende religiöse Freiheit gleichsam voraussetzen und die notwendigen Durchführungsbestimmungen erlassen.«

Und im Dokument 072-PS, ein Schreiben Bormanns an Rosenberg. Davon möchte ich den dritten Absatz verlesen; er lautet:

»Der Führer betonte, auf dem Balkan sei die Einschaltung Ihrer Sachbearbeiter nicht notwendig, denn irgendwelche Kunstgegenstände seien dort nicht zu beschlagnahmen; in Belgrad existiere lediglich die Sammlung des Prinzen Paul, die dieser vollständig zurückerhalten würde. Das sonstige Material der Logen etc. würde durch die Organe des Gruppenführers Heydrich sichergestellt werden.«

Aus dem Dokument 062-PS möchte ich die Einleitung verlesen, in dem der Angeklagte Heß bezüglich der von ihm ausgegebenen Befehle über die Behandlung von Fliegern erklärt hat, ich zitiere:

»Der französischen Zivilbevölkerung wurde amtlich und durch Rundfunk Anweisung gegeben, wie sie sich bei Landungen deutscher Flugzeuge zu verhalten habe.«

Aus dem Dokument 205-PS möchte ich die Eingangsworte Bormanns verlesen, und zwar den zweiten Absatz.

[294] VORSITZENDER: Welches Datum hat 62-PS?


[Der Dolmetscher übersetzte irrtümlich 205-PS.]


DR. BERGOLD: 5. Mai 1943, Rundschreiben 70/43.

VORSITZENDER: Ich denke, ich habe es jetzt.


DR. BERGOLD: 5. Mai 1943.


VORSITZENDER: Nein. Ich wollte wissen, was ist das Datum von 062-PS. Es scheint der 13. März 1940 zu sein, stimmt das?


DR. BERGOLD: 062-PS? Ja, das ist vom 13. März 1940... das ich vorher verlesen hatte.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof versteht nicht, warum Sie das Dokument verlesen haben angesichts des Punktes 4, der folgendermaßen lautet:

»Ebenso sollen feindliche Fallschirmjäger sofort festgenommen oder unschädlich gemacht werden.«


DR. BERGOLD: Ich werde in meinem Plädoyer zurückkommen, Hohes Gericht, ich will das später schildern. Ich kann aber auch jetzt argumentieren, wenn das Gericht es wünscht; aber ich glaube, es wünscht es nicht.

VORSITZENDER: Nein, nein. Ich dachte, Sie hätten vielleicht noch einen anderen Abschnitt in dem Dokument, den Sie erwähnen wollen.


DR. BERGOLD: Nein. Ich habe auf den Eingang verwiesen, auf die Veranlassung zu diesem Dokument, nämlich eine Verlautbarung des Angeklagten Heß, die dem Dokument Bormanns vorausläuft.

Ich komme also jetzt zu Dokument 205-PS, vom 5. Mai 1943, Rundschreiben Nummer 70/43. Ich verlese den folgenden Satz:

»Ich bitte, an Hand des beiliegenden Abdrucks die Partei- und Volksgenossen in geeigneter Weise über die Notwendigkeit einer strengen, aber gerechten Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte aufzuklären.«

Dieses Rundschreiben selbst ist ja vom Angeklagten Sauckel ausgegeben worden. Ich komme zu Dokument 025-PS vom 4. September 1942 und lese...

VORSITZENDER: Zu welcher Nummer gehen Sie jetzt über?

DR. BERGOLD: 025-PS vom 4. September 1942.

Ich verlese aus dem zweiten Absatz den letzten Satz.

»Infolgedessen soll – dies ist auch die Haltung des Herrn Reichsmarschalls und des Reichsleiters Bormann – die Lösung der Hausarbeitsfrage auf einem anderen als dem vorerwähnten Wege vorgenommen werden.«

[295] Ich verlese aus dem dritten Absatz, vom zweiten Satz ab:

»Im Zusammenhang hiermit« – nämlich mit der Hereinnahme von Ostarbeiterinnen – »soll, was auch Reichsleiter Bormann billigt, die illegale Hereinholung von Hausgehilfinnen in das Reich durch Angehörige der Wehrmacht oder sonstiger Dienststellen nachträglich genehmigt und auch unabhängig von der offiziellen Werbeaktion weiterhin nicht verwehrt werden. Der entscheidende Gesichtspunkt für die Anwerbung der ukrainischen Hausgehilfinnen ist der, daß nach dem ausdrücklichen Willen des Führers nur solche Mädchen angeworben werden, gegen deren dauernden Verbleib im Deutschen Reich nach Maßgabe ihrer Haltung und ihres Erscheinungsbildes keine Bedenken bestehen.«

Und ich verlese von Punkt 1, so ziemlich der letzte Absatz auf Seite 3 Ihres Dokumentenbuches:

»Praktisch soll die Anwerbung, die im Falle der Hausgehilfen sich besonders stark auf die Freiwilligkeit stützen muß, unter Einschaltung der Dienststellen des Reichsführers-SS... erfolgen.«

Ich bin damit mit meinen Zitaten zu dem Dokumentenbuch der Anklagebehörde fertig und möchte mich nur noch, für meine späteren Ausführungen, beziehen auf das russische Dokument USSR-172 und auf das Dönitz-Dokument 91.

Damit wäre meine Beweisführung bereits zu Ende.

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Darf ich vorschlagen, daß, auch wenn dieser Zeuge Kempka gefunden werden kann, der Verteidigungsanwalt ein Affidavit oder einen Fragebogen an alle Personen übermitteln kann, die von dem angeblichen Tod des Angeklagten Bormann Kenntnis haben. Wir würden sicherlich dagegen keinen Einspruch erheben.

DR. BERGOLD: Ich habe auch nichts dagegen einzuwenden.


VORSITZENDER: Dr. Bergold! Haben Sie eine Ahnung, was uns dieser Zeuge Kempka über den Tod Bormanns sagen kann?


DR. BERGOLD: Er soll nach dem Affidavit, das ich hier verlesen habe, anwesend gewesen sein, wie Bormann bei der Explosion eines Panzers gefallen ist. Er müßte also dann Augenzeuge gewesen sein, ebenso wie der Zeuge Rattenhuber, von dem ja die Wissenschaft des Zeugen Krueger herstammt. Wenn die beiden Zeugen Kempka und Rattenhuber gefunden werden, kann ich mich mit Affidavits und Fragebogen begnügen.


MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich habe diese Aussage Kempkas, die in Form eines Affidavits gegeben wurde und auf die wir aufmerksam gemacht wurden, schon vor einiger Zeit gesehen. Nach meiner Erinnerung jedoch hat er nicht positiv angeben können, daß[296] er ihn sterben sah. Ich schlage aber noch einmal vor, daß wir weitere Anstrengungen machen sollten, um ein Affidavit oder einen Fragebogen von ihm zu erhalten oder ihn sorgfältig über die Umstände des Todes zu befragen.


VORSITZENDER: Es wurden einmal von der Anklagebehörde dem Gerichtshof gegenüber Angaben gemacht, daß Bormann von der Kanzlei in einem Panzer entkommen wäre, sodann wäre der Panzer auf einer Brücke angehalten oder zerstört worden und daß zwei der Personen im Panzer Bormann zum letzten Male verwundet gesehen hätten oder etwas Ähnliches.


MR. DODD: Ja, ich glaube, das ist die beste Information.


VORSITZENDER: Herr Dodd! Wenn die Anklage vertretung irgendwelches Material, sei es in Form von Affidavits oder ähnlichem hat, so würde der Gerichtshof es gerne vorgelegt haben.


MR. DODD: Jawohl. Ich bin sicher, daß wir kein Affidavit besitzen. Soweit ich mich erinnere, hat irgend jemand im Herbst vorigen Jahres einen Bericht Kempkas über die letzten Tage in Berlin hierüber gesandt. Ich werde ihn heraussuchen und Ihnen vorlegen.


VORSITZENDER: Wenn Sie auf die Sache eingehen können, so kann man sie vielleicht durch Ihre Nachforschung klarstellen.


MR. DODD: Gut.


VORSITZENDER: Dann könnte man Fragebogen oder Affidavits bekommen.


MR. DODD: Ja.


VORSITZENDER: Das schließt dann Ihre Beweisaufnahme im Falle Bormann ab?


DR. BERGOLD: Das ist alles, was ich habe.


VORSITZENDER: Gut. Danke.

Oberst Pokrowsky! Wollen Sie etwas sagen?

Verzeihen Sie, Dr. Bergold, haben Sie als Beweismittel alle Beweisstücke vorgelegt, die Sie anbieten wollten, und haben Sie ihnen auch Nummern gegeben?


DR. BERGOLD: Jawohl, in meinem Dokumentenbuch.


VORSITZENDER: Beabsichtigen Sie, Ihr Dokumentenbuch als Beweismittel vorzulegen?


DR. BERGOLD: Ja.


VORSITZENDER: Auf jedem Dokument ist doch eine Beweisstücknummer?


DR. BERGOLD: Auf jedem Dokument, jawohl.


VORSITZENDER: Gut.

[297] Oberst Pokrowsky! Der Gerichtshof möchte gerne wissen, ob Sie mit Dr. Stahmer, dem Verteidiger des Angeklagten Göring, über Affidavits, Beweismittel oder Zeugen über den Fall Katyn zu einer Einigung gekommen sind?


OBERST J. W. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Herr Vorsitzender! Wir haben drei Konferenzen mit dem Verteidigungsanwalt gehabt. Nach der zweiten Zusammenkunft habe ich dem Gerichtshof mitgeteilt, daß sich die Sowjetische Anklagebehörde im Interesse der Zeitersparnis mit der Verlesung eines Teiles des vorgelegten Beweismaterials begnügen wird. Vor 15 Minuten habe ich mit den Verteidigungsanwälten Dr. Exner und Dr. Stahmer eine Zusammenkunft gehabt. Sie sagten mir, daß sie den Standpunkt des Gerichtshofs dahingehend verstünden, daß der alte Beschluß, zwei Zeugen vorzuladen, noch in Kraft wäre; die Diskussion gehe nur über zusätzliche Dokumente.

Ich glaube, daß wir bei solcher Auslegung der Entscheidung des Gerichtshofs mit der Verteidigung zu keiner Einigung kommen können. So wie ich es verstehe, wird bei dieser Sachlage die Entscheidung dem Gerichtshof überlassen werden müssen.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof beschließt, daß, falls keine Vereinbarung erzielt werden kann, die Aussage nicht nur durch Affidavits gegeben werden soll und daß die drei Zeugen der beiden Seiten erstmals am Montag vormittag um 10.00 Uhr gerufen werden sollen, wenn Sie nicht vorher eine Einigung darüber erzielen können, daß die Aussage in Form von Affidavits gegeben wird.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Darf ich dazu etwas sagen?

Verschiedene, an dem Fall Katyn interessierte Anwälte haben heute morgen eine Besprechung gehabt, Dr. Stahmer und Professor Exner. Wir wollten das Gericht bitten, es in der Form zu machen, daß seitens der Verteidigung zwei Zeugen hier vor Gericht persönlich gehört werden, und zwar die beiden Zeugen Oberst Ahrens und Oberleutnant von Eichborn, hingegen der dritte Zeuge nicht vernommen, sondern statt dessen ein Affidavit vorgelegt wird und außerdem noch zwei weitere Affidavits. Wir glauben, damit den Weg dem Gericht vorschlagen zu können, der ausreichend ist und gleichzeitig am meisten Zeit erspart, indem zwei Zeugen gehört werden und drei Affidavits.


VORSITZENDER: Dr. Siemers! Der Gerichtshof hat nichts dagegen, daß zwei Zeugen vorgeladen werden und ein Affidavit abgegeben wird. Aber nach dem Gerichtsbeschluß sollte die Beweisführung auf drei Zeugen auf beiden Seiten beschränkt sein, und daher ist der Gerichtshof nicht willens, weitere Affidavits zu bewilligen. Die Beweisführung muß auf die Aussage von je drei Personen [298] auf jeder Seite beschränkt bleiben. Die Zeugen können ihre Aussage entweder mündlich oder durch Affidavits abgeben.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Soviel mir gesagt worden ist, soll der damalige Beschluß so gelautet haben, daß drei Zeugen genehmigt werden, ohne daß von Affidavits die Rede war, und daher hatten Dr. Stahmer und Professor Exner angenommen, daß außer den Zeugen, soweit einige Einzelpunkte zu beweisen sind, diese durch Affidavits bewiesen werden können, und ich glaube, wenn zwei Zeugen und drei Affidavits gebracht werden, daß das zeitlich schneller geht, als wenn drei Zeugen gebracht werden.


VORSITZENDER: Ich bedauere, daß Dr. Stahmer und Dr. Exner den Gerichtsbeschluß falsch aufgefaßt haben. Der Gerichtshof beabsichtigte und beabsichtigt noch immer, das Beweismaterial auf die Aussage von je drei Zeugen für beide Seiten zu beschränken. Es macht keinen Unterschied, ob sie ihre Aussagen mündlich oder in Form von Affidavits machen.

Wir haben es der Sowjetischen Anklagebehörde und den Verteidigungsanwälten überlassen, sich darüber zu einigen, daß die Aussagen durch Affidavits gemacht werden sollten, um Zeit zu sparen. Aber damit war nicht die Absicht verbunden, die Anzahl der Zeugen, die Aussagen machen sollten, zu erhöhen.


DR. SIEMERS: Herr Präsident! Ich wäre dann dankbar, wenn Dr. Stahmer und Professor Exner eventuell gehört werden könnten; da ich selbst in der letzten Zeit nicht in Nürnberg gewesen bin, habe ich die Einzelheiten nicht mitverhandelt, und es ist für mich schwierig, jetzt Dr. Stahmer... Ich sehe eben, daß Dr. Stahmer... Vielleicht kann Herr Dr. Stahmer selbst noch darüber sprechen.


DR. STAHMER: Ich habe soeben gehört den Bericht von Herrn Dr. Siemers, jedenfalls zum Teil, und ich hatte bei der letzten Besprechung, Herr Präsident, ja schon darauf hingewiesen, daß Herr Professor Exner und ich den Beschluß so aufgefaßt hatten, daß wir neben den drei Zeugen auch noch Affidavits bringen dürften. Es waren ja fünf Zeugen uns ursprünglich bewilligt mit der Maßgabe, daß allerdings nur drei hier an der Gerichtsstelle aussagen dürften. Wir hatten daher angenommen, daß jedenfalls diejenigen Zeugen, von den fünf, die uns bewilligt waren, daß wir dann jedenfalls bezüglich dieser überschießenden Zahl Affidavits vorlegen dürften. Es waren im ursprünglichen Beschluß fünf Zeugen bewilligt und dann kam später der Beschluß durch das Gericht...


VORSITZENDER: Hören Sie! Davon ist dem Gerichtshof nichts bekannt. Wenn Sie dies behaupten, so müssen Sie schriftlich beweisen, daß die Entscheidung so lautete. Der Gerichtshof erinnert sich nicht daran, daß fünf Zeugen erlaubt wurden.


[299] DR. STAHMER: Ja, ja, ja, ich werde die Beschlüsse dem Gericht dann noch schriftlich unterbreiten, wenn sie ergangen sind. Ich weiß es aus dem Kopfe nicht mehr, aber es waren ursprünglich fünf Zeugen, und dann habe ich nachher noch einen Zeugen genannt, der wurde auch bewilligt, und dann hinterher ist dann erst der Beschluß gekommen, drei Zeugen nur an Gerichtsstelle vorzuführen.


VORSITZENDER: Dr. Stahmer! Als die Entscheidung erging, die Zeugen von fünf auf drei zu beschränken, war meiner Erinnerung nach in dieser Entscheidung nichts über Affidavits enthalten.


DR. STAHMER: Nein! Über Affidavits ist damals nichts gesprochen worden.


VORSITZENDER: Ich sage Ihnen nun folgendes: Als der Gerichtshof diesen einschränkenden Beschluß bekanntgab, beabsichtigte er, das Beweismaterial auf je drei Zeugen für beide Seiten zu beschränken, weil die Angelegenheit nur eine nebensächliche Tatsachenbehauptung ist und weil der Gerichtshof der Ansicht ist, daß in diesem Stadium des Prozesses eine derartige Tatsachenbehauptung nicht durch eine große Anzahl von Zeugen untersucht werden sollte. Drei Zeugen auf beiden Seiten genügen vollkommen.

Aus diesen Gründen wünscht und beabsichtigt der Gerichtshof nur die Aussagen von drei Zeugen zu hören, und zwar entweder mündlich oder durch Affidavits.

Der Gerichtshof vertagt sich nunmehr.


[Das Gericht vertagt sich bis

1. Juli 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 17, S. 269-301.
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