Nachmittagssitzung.

VORSITZENDER: Mit tiefstem Bedauern hat der Gerichtshof vom Ableben des Chief Justice Harlan F. Stone vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika Kenntnis genommen. Am stärksten wird sein Verlust in Amerika empfunden werden, wo er der Öffentlichkeit große Dienste geleistet hat. Es scheint aber angebracht, daß dieser Gerichtshof, zu dessen Mitgliedern auch Vertreter der Vereinigten Staaten zählen, dem amerikanischen Volke seine Anteilnahme zu diesem großen Verlust ausdrückt.

Nachdem er eine Zeitlang Dekan der Rechtsfakultät der Columbia-Universität war, wurde er im Jahre 1923 zum Attorney General der Vereinigten Staaten ernannt. Zwei Jahre später wurde er Richter und im Jahre 1941 Vorsitzender dieses Gerichtshofs. Die Pflichten dieses hohen Amtes erfüllte er mit größter Geschicklichkeit und getreu den hohen Traditionen.

Der Gerichtshof hat mich ersucht, seine Anteilnahme und sein Beileid zu diesem großen Verlust auszudrücken, den das amerikanische Volk erlitten hat.

Der Hauptanklagevertreter der Vereinigten Staaten, Herr Justice Jackson, ist Mitglied des Obersten Gerichtshofs, dessen Vorsitz Chief Justice Stone führte. Vielleicht möchte er einige Worte hinzufügen.

JUSTICE ROBERT H. JACKSON, HAUPTANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Hoher Gerichtshof! Die Nachricht vom Hinscheiden des Chief Justice Stone erfüllt jeden Amerikaner hier in Nürnberg mit Trauer. Nicht nur, weil er das Oberhaupt des Rechtswesens in den Vereinigten Staaten war, sondern weil er so vielen unter uns ein persönlicher Freund war. Er hatte eine seltene Gabe für persönliche Freundschaften. Es gab keinen, der den jungen Leuten, die von Zeit zu Zeit nach Washington kamen, gütiger und aufgeschlossener gegenüberstand. Sie alle fanden in ihm einen Führer, einen Philosophen und einen Freund.

Ich weiß, daß nicht nur ich den Verlust eines persönlichen Freundes erlitten habe. Auch die amerikanischen Mitglieder des Gerichtshofs, Herr Biddle und Herr Parker teilen meine Gefühle. Viele unserer jüngeren Mitarbeiter standen in enger Verbindung mit dem Chief Justice, Verbindungen, die man kaum erwarten konnte, es sei denn, man hätte Harlan Stone persönlich gekannt. Er übernahm das Justizdepartement of Justice als Attorney General zu einer Zeit größter Schwierigkeiten. Er prägte ihm den Stempel seiner Rechtschaffenheit auf, einen Stempel, den es weiterhin trug, und die, wie wir wissen, zu der Tradition dieses Gerichtshofs gehört.

Als Richter dieses Gerichtshofs war er ein fortschrittlicher und vorurteilsloser Mann, der geduldig die Argumente beider Seiten [109] anhörte, um dann mit der völligen Unparteilichkeit und Leidenschaftslosigkeit, die das Kennzeichen des gerechten Richters sind, zu seiner Entscheidung zu gelangen. Er führte den Vorsitz gerecht und freundlich gegenüber seinen Kollegen und denen, die vor ihm erschienen.

Ein Mann ist dahingegangen, der im öffentlichen Leben jene standhaften Eigenschaften verkörperte, die wir mit dem Begriff »New Englander« verbinden.

Seine Freunde finden ihren Trost darin: Er schied dahin genau so, wie er es sich gewünscht hatte; in vollem Besitz seiner Fähigkeiten und in Ausübung seiner Pflicht.

Ich sage dem Gerichtshof meinen tiefgefühlten Dank dafür, daß er von seinem Hinscheiden Kenntnis genommen und uns Gelegenheit gegeben hat, im Namen der amerikanischen Juristen unsere Würdigung seiner Fähigkeiten und seiner Charaktereigenschaften auszusprechen.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow, bitte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Bevor ich weitere Fragen an den Zeugen richte, möchte ich die folgende Erklärung abgeben: Der Verteidiger des Angeklagten, Dr. Seidl, hat beim Zeugenverhör erklärt, daß ein Dokument, ein amtlicher Anhang zum Bericht der Regierung der Polnischen Republik, eine Fälschung sei. Dies Dokument zählt die von der Polnischen Republik erlittenen Verluste von kulturellen Wertgegenständen auf.

Die Anklagevertretung der Sowjetunion wünscht keine Polemik über dieses Thema, ersucht aber den Hohen Gerichtshof zur Kenntnis zu nehmen, daß dies ein amtlicher Anhang zum Bericht der Regierung der Polnischen Republik ist, und daß sie die Erklärung des Zeugen als eine Verleumdung betrachtet.


VORSITZENDER: [zum Zeugen gewandt] Sagten Sie darauf etwas?


BÜHLER: Ich wollte sagen, es war von einem Dokument die Rede, in welchem von der Aufzählung der Kunstschätze die Rede war.


VORSITZENDER: Oberst Smirnow! Handelt es sich um das Dokument, welches eine Liste von Kunstschätzen enthält?


BÜHLER: Nein, das meine ich nicht.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, Herr Vorsitzender; es ist eine Aufstellung über die verlorengegangenen Kulturschätze. Es ist eine Liste von Bibliotheken und der Verluste, die diese Bibliotheken während der deutschen Herrschaft in Polen erlitten haben.


VORSITZENDER: Handelt es sich bei dem von Ihnen erwähnten Dokument um USSR-93?


[110] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Es ist ein Anhang zum Dokument USSR-93, dem amtlichen Bericht der Polnischen Regierung.


VORSITZENDER: Es handelt von gewissen Weisungen. Das war das Beweisstück, das heute früh eingereicht wurde.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, Herr Vorsitzender; es ist eine Liste der eingetretenen Verluste. Ein offizieller Anhang zum Bericht der Polnischen Regierung. Es enthält keine Weisungen, sondern die Angaben der Gesamtverluste, die die öffentlichen Bibliotheken in Polen erlitten haben.


VORSITZENDER: [zum Zeugen gewandt] Wollen Sie hierzu etwas sagen?


BÜHLER: Also, die Bezeichnung des Dokuments paßt nicht auf das von mir gemeinte Dokument. Das Dokument, das ich anzweifle, enthält Richtlinien über die deutsche Kulturpolitik im Generalgouvernement, befaßt sich nicht mit Kunstschätzen und nicht mit einer Aufzählung von Bibliotheksgütern.


VORSITZENDER: Ja. Ich habe dem, was Sie hier in der Vormittagssitzung vorbrachten, entnommen, daß die Ihrer Ansicht nach im Zusammenhang mit diesen Dokumenten erwähnten Weisungen anscheinend nicht ergangen sind oder daß Sie jedenfalls nichts davon gehört hatten und sie demnach für Fälschungen hielten.


BÜHLER: Ich habe das Dokument angezweifelt.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird über das Dokument beraten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Darf ich nun die nächste Frage stellen?


VORSITZENDER: Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie behaupten, daß Sie persönlich, wie auch die Verwaltung des Generalgouvernements, keine engen Beziehungen zu der Tätigkeit der Polizei hatten. Habe ich Sie richtig verstanden?


BÜHLER: Darf ich die Frage nochmal hören?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie behaupten, daß Sie persönlich, wie auch die Verwaltung des Generalgouvernements, keine engen Beziehungen zu der Tätigkeit der Polizei hatten. Habe ich Sie richtig verstanden?


BÜHLER: Wir hatten tägliche Verbindungen mit der Polizei, aber wir hatten gewaltige Meinungsverschiedenheiten; außerdem gehörte die Polizei nicht zu meinem Zuständigkeitsbereich. Der Polizeichef war mir in keiner Weise unterstellt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Polizei gehörte also nicht zu Ihren Obliegenheiten? Stimmt das?


[111] BÜHLER: Nein, sie gehörte nicht zu meinen Obliegenheiten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wie ist es dann zu erklären, daß niemand anders als gerade Sie erfolgreiche Verhandlungen mit der Polizei über die Ausnutzung der beweglichen Habe von Juden, die in den Konzentrationslagern umgebracht wurden, führten? Erinnern Sie sich an diese Verhandlungen?


BÜHLER: Ich habe nicht ganz verstanden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich frage Sie, wenn Sie keine unmittelbaren Beziehungen zur Polizei hatten, wie können Sie dann erklären, daß gerade Sie erfolgreiche Verhandlungen mit der Polizei über die Ausnutzung der beweglichen Habe von Juden, die in den Konzentrationslagern getötet wurden, führten. Erinnern Sie sich an diese Verhandlungen mit der Polizei?


BÜHLER: Ich erinnere mich an keine solchen Verhandlungen. Solche Verhandlungen kann ich nicht geführt haben. Die Verwaltung war allerdings diejenige Behörde, die durch Verordnung des Vierjahresplans den Auftrag auszuführen hatte, das jüdische Vermögen zu beschlagnahmen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender! Ich bitte um die Erlaubnis, ein Dokument vorzulegen, das uns von der Amerikanischen Anklagevertretung übergeben wurde. Es ist das Dokument 2819-PS. Es ist eine von der Wirtschaftsabteilung der Verwaltung des Generalgouvernements herausgegebene Weisung an die Gouverneure von Warschau, Radom, Lublin und Galizien. Ich bitte, dieses Dokument vorlegen zu dürfen.

Ich zitiere aus dem Text des Dokuments folgenden Inhalt:

»Betrifft: Übergabe des beweglichen jüdischen Vermögens durch die SS an die Regierung.

Zu Ihrer Unterrichtung teile ich mit, daß am 21. 2. 1944 von Staatssekretär Dr. Bühler mit dem Höheren SS- und Polizeiführer, Obergruppenführer Koppe, in Gegenwart verschiedener Abteilungspräsidenten die Vereinbarung getroffen wurde, daß das bewegliche jüdische Vermögen, soweit es sich in Lägern befindet oder in Zukunft anfällt, von der SS der Regierung zur Verfügung gestellt wird. In Durchführung der getroffenen Vereinbarung habe ich veranlaßt, daß die Übernahme der in verschie denen Lägern der SS befindlichen Waren in kürzester Zeit durchgeführt wird. Die aus Beschlagnahmen und Sicherstellungen herrührenden Bestände sind gleichfalls vom Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD an mich abgeführt worden. Ich bitte, sich mit dem örtlichen SS- und Polizeiführer in Verbindung zu setzen und eine Klarstellung vorzunehmen...«

[112] Hier unterbreche ich das Zitat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wollen Sie jetzt weiter behaupten, daß Sie keine Beziehungen zur Polizei hatten?

BÜHLER: Ich hatte tägliche Arbeitsbeziehungen mit der Polizei, das will ich in keinem Augenblick abstreiten, aber ich hatte kein Recht, Befehle an die Polizei zu geben.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Jedenfalls wurde das Vermögen der in den Konzentrationslagern von Polen getöteten Juden auf Grund Ihrer Verhandlungen in die Warenlager des Generalgouvernements überführt?


BÜHLER: Das ist nicht richtig; es wurde nicht von dem Vermögen gesprochen, das von den getöteten Juden herrührte, sondern von Vermögen, das schlechthin von Juden stammte und durch die Polizei der ordnungsmäßigen Verwertung durch die Verwaltung entzogen wurde.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Konnte sich denn bei der Sicherheitspolizei und beim SD das Eigentum nicht umgebrachter Juden befinden?


BÜHLER: Warum nicht? Die Polizei hat von Anfang an die Juden für sich in Beschlag genommen und hat sich daher auch auf diese Weise in den Besitz ihres Vermögens gesetzt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Enthielt das Lager von Auschwitz in der Chopinstraße auch das Eigentum nicht ermordeter Juden, von Juden, die am Leben geblieben sind?


BÜHLER: Diese Lager, die hier erwähnt sind, sind nicht im Sinne von Konzentrationslagern aufzufassen, sondern als Warenlager.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Welche anderen Warenlager für das bewegliche jüdische Eigentum gab es noch, außer in Konzentrationslagern?


BÜHLER: Wie es in den Konzentrationslagern aussah, wußte ich nicht, weil ich keines betreten und je gesehen habe. Daß aber die Polizei das bewegliche jüdische Eigentum in Besitz genommen hatte, das wurde mir allerdings von dem Leiter meiner Treu handstelle erzählt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich frage Sie: Als im Jahre 1944 die Vernichtungsmaschinerie in Auschwitz und Maidanek im vollen Gange war, welche anderen Warenlager für das bewegliche Vermögen ermordeter Juden gab es, abgesehen von denen in den Konzentrationslagern? Welche anderen Warenlager kennen Sie, wo befanden sich solche?


[113] BÜHLER: Den Juden wurde ihr Besitz an Ort und Stelle abgenommen. Daß sich der jüdische Besitz in Konzentrationslagern befindet, habe ich nie angenommen. Ich habe von diesen Lagern auch gar nichts gewußt. Wo die Polizei dieses bewegliche Vermögen hingebracht hatte, war mir nicht klar, aber es mußten Lager existieren.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, Ihre Aufmerksamkeit auf das Datum zu lenken. Es ist der 21. Februar 1944. Gab es um diese Zeit noch lebende Juden in Polen, oder waren die jüdischen Ghettos bereits leer?


BÜHLER: Die jüdischen Ghettos waren leer. Juden hat es noch gegeben, das weiß ich, weil sie weiter in der Rüstung irgendwo eingesetzt waren. Das Judenvermögen konnte nicht aus dem Raum hinausgeschafft worden sein. Es mußte irgendwo im Generalgouvernement sein, wahrscheinlich in der Nähe der Ghettos, oder wo sonst die Evakuierung der Juden stattgefunden hat. Es hat sich hier bei diesem Fernschreiben nicht – ich betone – um Warenlager gehandelt, die bei Konzentrationslagern waren, sondern diese waren an jedem Orte. Jeder Ort hatte das von der Umsiedlung der Juden herrührende Vermögen irgendwo gelagert.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die jüdischen Ghettos waren bereits leer. Wo waren die Juden aus Polen hingekommen?


BÜHLER: Als die jüdischen Ghettos geleert wurden, hatte ich angenommen, daß sie nach dem Nordosten Europas ausgesiedelt wurden, wie mir diese Absicht der Chef des Reichssicherheitshauptamts bei der damaligen Besprechung im Februar 1942 ausdrücklich erklärt hat.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Am 21. Februar 1944 lief die Front durch das Generalgouvernement. Wie und wo wollte man die Juden im Nordosten ansiedeln?


BÜHLER: Nach der Besprechung sollte dies ja im Jahre 1942 stattfinden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Das Dokument ist vom 21. Februar 1944 datiert.

BÜHLER: Ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich gehe zur nächsten Frage über. Sagen Sie, beweist nicht die Tatsache, daß der Polizeichef an jeder Besprechung beim Generalgouverneur teilnahm, und daß der Generalgouverneur besondere Besprechungen über ausschließlich polizeiliche Angelegenheiten angeordnet hatte, daß sehr enge Beziehungen zwischen den Verwaltungsämtern des Generalgouverneurs und der Gestapo bestanden?


[114] BÜHLER: Ich habe bereits eingangs bemerkt, daß der Generalgouverneur die Auffassung vertreten hat, daß er die Befehlsgewalt über die Polizeigewalt haben müsse. Aus diesem Grunde ist es zu erklären, daß der Generalgouverneur immer wieder auch die Polizei zu Arbeitsbesprechungen an den Verhandlungstisch hergeholt hat. Das hat aber nicht ausgeschlossen, daß die Polizei ihre eigenen Wege gegangen ist und ihre eigenen Methoden angewendet hat.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Aber beim Generalgouverneur fanden Besprechungen über ausschließlich polizeiliche Belange statt?


BÜHLER: Ab und zu, ja.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, wer wurde, nachdem Krüger von seinem Posten als Polizeichef abberufen war, zu seinem Nachfolger bestimmt?


BÜHLER: Krüger wurde meiner Erinnerung nach im November 1943 von seiner Dienststellung in Krakau abberufen und ersetzt durch den Obergruppenführer Koppe.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Welcher Art waren Ihre persönlichen Beziehungen zu Koppe?


BÜHLER: Nachdem unter Krüger das Verhältnis zur Polizei stets feindschaftlich war, und nachdem, wenn die Verwaltung irgendeinen Wunsch hatte, der in das polizeiliche Gebiet hineinragte, von Krüger solche Wünsche stets abgeschlagen wurden, habe ich, nachdem Krüger aus Krakau weggegangen war, versucht, mit dem neuen Höheren SS- und Polizeiführer ein in kameradschaftlichen Formen sich abspielendes Verhältnis zu gewinnen, um auf diese Weise auch auf die Polizeiarbeit und die Polizeimethoden Einfluß gewinnen zu können.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht können Sie mir kurz antworten. Wie waren Ihre persönlichen Beziehungen zu Koppe? Gut oder schlecht?


BÜHLER: Sie waren in kameradschaftliche Form gekleidet.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich lasse Ihnen ein Dokument vorlegen. Herr Vorsitzender! Sie werden die Stelle auf Seite 38, zweiter Absatz der englischen Übersetzung finden.

Ich verlese die Stelle in das Protokoll. Es ist eine Erklärung Franks an Himmler bei der Unterredung am 12. Februar 1944 in Posen.

»Unmittelbar nach der Begrüßung trat der Reichsführer-SS Himmler mit mir und SS-Obergruppenführer Koppe in die Unterredung ein. Der Reichsführer fragte mich gleich zu Beginn, wie ich mit dem neuen Staatssekretär für das Sicherheitswesen, SS-Obergruppenführer Koppe, zusammenarbeite. Ich gab meiner tiefen Befriedigung darüber Ausdruck, daß [115] sowohl zwischen mir und SS-Obergruppenführer Koppe, wie zwischen Staatssekretär Dr. Bühler und ihm ein selten schönes Verhältnis kameradschaftlicher Zusammenarbeit herrsche.« (Dokument 2233-PS.)


[Zum Zeugen gewandt:]


Entspricht diese Feststellung Franks den Tatsachen?

BÜHLER: Koppe war zu dieser Zeit erst wenige Wochen im Generalgouvernement. Diese Feststellung bestätigt das, was ich eingangs bereits hier erklärt habe, daß ich, nachdem Krüger durch Koppe ersetzt wurde, versucht habe, durch ein in kameradschaftlicher Form gehaltenes Verhältnis zu Koppe Einfluß auf die Polizeigewalt im Generalgouvernement zu nehmen. Da haben also keine Streitigkeiten bis zu diesem Zeitpunkt stattgefunden.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und zwischen Koppe und Dr. Bühler, das heißt zwischen Koppe und Ihnen herrschte die kameradschaftlichste Zusammenarbeit, nicht wahr?


BÜHLER: Ich wiederhole: Meine Beziehungen zu Koppe waren in kameradschaftliche Formen gekleidet. Im übrigen haben mich täglich fachliche Fragen mit Koppe zusammengeführt Zum Beispiel auch die Frage des jüdischen Eigentums. Diese Frage zu besprechen wäre unter Krüger überhaupt nicht möglich gewesen, weil Krüger auf dem Standpunkt gestanden hat, daß das gesamte jüdische Eigentum der SS gehöre.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hat sich, seit Koppe Polizeichef geworden ist, irgend etwas für die polnische Bevölkerung geändert? Sind die polizeilichen Maßnahmen milder geworden?


BÜHLER: Ich glaube, sie waren milder.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir bei der Verlesung einer besonderen Regierungssit zung vom 16. Dezember 1943 in Krakau zu folgen. Ich bitte, dem Zeugen das Dokument vorzulegen. Sagen Sie bitte bei dieser Gelegenheit, ist das Ihre Unterschrift in der Liste der Anwesenden? Es ist Seite 154.


BÜHLER: Regierungssitzung vom 16. Dezember 1943? Ja, da habe ich unterschrieben, Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie bitte, erinnern Sie sich, wer Ohlenbusch war?


BÜHLER: Ohlenbusch ist der Präsident der Hauptabteilung Propaganda gewesen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Hatte er irgendeine Beziehung zur Polizei oder zur Verwaltung?


BÜHLER: Ohlenbusch war Teilnehmer an den Regierungssitzungen, an denen auch die Polizei in der Regel teilgenommen hat.


[116] OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, aber hatte er selbst irgendeine dienstliche Beziehung zur Polizei oder nicht?


BÜHLER: Als staatlicher Beamter und als Abteilungsleiter der Regierung hatte er selbstverständlich Beziehungen, dienstliche Beziehungen zur Polizei.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Aber er war Beamter der Zivilverwaltung und Ihnen unterstellt?


BÜHLER: Ja, selbstverständlich, dienstlich war er mir unterstellt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich zitiere einen kurzen Auszug auf Seite 176. Die Herren Richter werden diese Stelle auf Seite 33, Absatz 3, unseres Dokuments finden. Ohlenbusch spricht:

»Zu überlegen wäre, ob man nicht aus Zweckmäßigkeitsgründen die Exekutionen möglichst dort vornehmen lasse, wo das Attentat auf einen Deutschen erfolgt sei. Vielleicht müsse man auch überlegen, ob man nicht dafür besondere Exekutionsstätten schaffen wolle, denn es sei festgestellt worden, daß die polnische Bevölkerung zu den jedermann zugänglichen Exekutionsorten ströme, um die blutgetränkte Erde in Gefäße (der Dolmetscher übersetzt an dieser Stelle nicht ›Gefäße‹, sondern ›Eimer‹) zu füllen und diese in die Kirche zu bringen.« (Dokument 2233-PS.)

Betrachten Sie diese Frage als eine ausschließliche Polizeifrage?

BÜHLER: In meiner Übersetzung steht nichts von Eimern drin mit Blut, sondern da steht von Gefäßen was. Ich glaube nicht, daß das Blut eimerweise weggetragen werden konnte.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein. Wir sprechen hier von Gefäßen, in welche man die blutgetränkte Erde füllte. Sind Sie nicht der Ansicht, daß die Errichtung geheimer Hinrichtungsstätten eine Frage ist, die ausschließlich die Polizei angeht?


BÜHLER: Dieser Ansicht bin ich auch. Diese Frage wurde deshalb in keiner Weise irgendwie gutgeheißen. Ich darf aber sagen, daß zu gleicher Zeit täglich deutsche Passanten in Warschau und Krakau ohne jeden Anlaß hinterrücks erschossen wurden. Daß diese Frage wohl durch die Erregung ausgelöst wurde, welche diese...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Zeuge, ich frage Sie etwas anderes. Sind Sie nicht der Ansicht, daß, nachdem diese Frage auf Anregung von Ohlenbusch besprochen wurde, dies ein Beweis dafür ist, daß sogar die zweitrangigen Beamten der zivilen Verwaltung sich in Angelegenheiten der Polizei einmischten und direkte Beziehungen zu der Polizei hatten?


[117] BÜHLER: Nein, das möchte ich nicht sagen, sondern dies ist nicht als polizeiliche Maßnahme vorgeschlagen worden, sondern nur aus der Bedrohung heraus, in der sich sämtliche Deutsche in diesem Stadium der Besetzung befunden haben.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Wurde diese Frage der geheimen Hinrichtungsstätten auf Anregung Ohlenbuschs aufgeworfen? Ich nehme an, daß Sie das nicht abstreiten werden.


BÜHLER: Wie meinen Sie diese Frage?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Frage wurde doch auf die Anregung Ohlenbuschs besprochen? Das streiten Sie doch nicht ab?


BÜHLER: Ich weiß nicht, ob diese Frage überhaupt besprochen wurde. Meines Erachtens wurde sie überhaupt nicht...


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie haben doch den maschinengeschriebenen Bericht dieser Sitzung, bei der Sie anwesend waren, vor sich?


BÜHLER: Ja. Das sind Ausführungen, die Ohlenbusch gemacht hat, wenn ich mich nicht irre. Hier steht »der Präsident Ohlenbusch«. Jawohl.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich gehe zur nächsten Frage über. Berichtete in dieser Sitzung nicht auch der SS-Obergruppenführer zu diesem Thema Koppe? Ich führe ein kurzes Zitat an. Die Herren Richter werden es auf Seite 34, zweiter Absatz finden. Es ist die Seite 180 Ihres Dokumentenbuches:

».... Für das Eisenbahnattentat habe man 150 und für die beiden deutschen Beamten 50 polnische Terroristen entweder am Tatort oder in allernächster Nähe hingerichtet. Man müsse bedenken, daß bei einer Erschießung von 200 Menschen minde stens 3000 Personen (engste Angehörige) betroffen würden...« (Dokument 2233-PS.)


[Zum Zeugen gewandt:]


Halten Sie das nicht für einen Beweis, daß auch nach dem Amtsantritt Koppes die gleichen grausamen Maßnahmen zur Unterdrückung der polnischen Bevölkerung durchgeführt wurden wie auch früher?

BÜHLER: Soweit hier von der Erschießung von 150 und 50 Leuten die Rede ist, handelt es sich offenbar um Geiselerschießungen, die in keinem Augenblick die Billigung des Generalgouverneurs oder meine Billigung erfahren haben. Wenn ich trotzdem erklärt habe, daß mir im gesamten das Regime Koppe milder erschien, so muß ich trotzdem bei dieser Behauptung stehenbleiben.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Demnach hatten diese Maßnahmen weder Ihre Billigung noch die des Generalgouverneurs, nicht wahr?


[118] BÜHLER: Meine Billigung hatten sie nicht. Ich glaube auch nicht die des Generalgouverneurs.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, auf Seite 185 des Ihnen vorliegenden Dokuments überzugehen. Ich fange mit dem Zitat an:

»Der Herr Generalgouverneur spricht SS-Ober gruppenführer Koppe Dank und Anerkennung für seine tatkräftige Arbeit aus und gibt seiner Befriedigung Ausdruck, daß an der Spitze des Polizeiwesens im Generalgouvernement ein Fachmann von großer Qualität stehe. Er verspricht SS-Obergruppenführer Koppe die tatkräftige Mitarbeit aller Dienststellen des Generalgouvernements und gibt ihm die besten Wünsche für ein gutes Gelingen seiner Arbeit mit auf den Weg.« (Dokument 2233-PS.)

Wie soll man nun diese Erklärung verstehen? Wie ist nach Ihrer vorherigen Antwort jetzt diese Erklärung zu verstehen?

BÜHLER: Diese Erklärung des Generalgouverneurs erstreckt sich nicht auf diese 50 und 150 Leute, sondern auf die gesamte Arbeit, die Koppe im Generalgouvernement leisten sollte. Unter den Prinzipien, die bei dieser Arbeit maßgebend sein sollten, stand unter anderem – das habe ich mit erreicht –, daß Geiselerschießungen nicht mehr stattfinden sollen. Es mag sein, daß in diesem Fall dieses Prinzip noch nicht durchgedrückt war.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Einen Augenblick. Bitte halten Sie einen Moment inne. Es wurde Ihnen ja gerade ein Bericht von Koppe, in dem die Rede von Geiselerschießungen ist, auf Seite 180 vorgelesen. Daraufhin hat ihm der Generalgouverneur seine Zu friedenheit ausgedrückt. Mithin hat der Generalgouverneur die Tätigkeit Koppes gebilligt?


BÜHLER: Also, dies war nicht die einzige Ausführung, die Koppe machte; sondern die Ausführungen des Generalgouverneurs bezogen sich auf die gesamten Ausführungen, die Koppe machte, und nicht auf herausgerissene Teile.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sehr schön, aber dann auch auf diese Erklärung, das heißt auf diesen Bericht?


BÜHLER: Ich weiß aber, daß der Generalgouverneur mit mir auf Koppe einwirkte, daß Geiselerschießungen nicht mehr stattfinden sollten.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, wer, als Krüger noch Chef der Polizei war, den Befehl erteilte, je einen männlichen Bewohner aus jedem Hause zu erschießen, an dem ein Plakat mit der Ankündigung eines polnischen Nationalfeiertages angeschlagen war?


[119] BÜHLER: Dies ist mir nicht bekannt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Bitte legen Sie das entsprechend Dokument vor. Das Zitat findet sich auf Seite 1 Absatz 7 unseres Dokumentenbuches.

»Herr Generalgouverneur empfing den Distriktschef Dr. Wächter, der das Ankleben von Hetzpla katen zum 11. 11. (polnischer Freiheitstag) in einigen Gegenden meldete. Herr Generalgouverneur ordnete an, daß in jedem Haus, in dem ein Plakat angehängt bleibt, ein männlicher Einwohner erschossen wird. Diese Anordnung wird durch den Polizeichef durchgeführt. Dr. Wächter hat in Krakau 120 Geiseln vorsorglich festgenommen.«


[Zum Zeugen gewandt:]


Erinnern Sie sich daran? Wer war demnach der Urheber dieser verbrecherischen Übung des Geiselnehmens?

BÜHLER: Wollen Sie etwa behaupten, daß ich bei dieser Besprechung zugegen war?

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich möchte Sie über etwas anderes fragen.


BÜHLER: Ich bitte meine Frage zu beantworten. War ich anwesend oder war ich nicht anwesend?


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nein, ich brauche Ihnen keine Antwort zu geben. Sie sind Zeuge und haben auf meine Frage zu antworten. Ich verhöre Sie, nicht Sie mich.

Ich bitte Sie, auf folgende Frage zu antworten. Ihr Wohnort war Krakau. Auf Befehl Franks hat Dr. Wächter als Vorsichtsmaßnahme 120 Geiseln festgesetzt. Wollen Sie vielleicht sagen, daß Sie auch davon nichts wußten?


BÜHLER: Über diese Maßnahmen wußte ich nichts. Mir ist auch nicht bekannt, daß Geiseln erschossen wurden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, folgende Frage zu beantworten. Habe ich Sie richtig verstanden, als Sie heute davon sprachen, daß es in Polen keine Hungersnot gab?


BÜHLER: Jawohl, daß keine Hungersnot bestand.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte, Ihnen die Rede des Staatssekretärs Dr. Bühler – anscheinend sind Sie das – auf einer Arbeitssitzung vom 31. Mai 1943 in Krakau vorzulegen. Ich zitiere:

»... Die Regierung des Generalgouvernements sei sich bereits seit längerer Zeit darüber im klaren, daß die Sätze der Ernährungsrationen, die den Fremdvölkischen gegeben würden, unter keinen Umständen länger beibehalten werden können, ohne daß man die Bevölkerung zur Selbsthilfe greifen [120] lasse oder in den Aufstand treibe. .... Die Schwierigkeiten der Ernährungslage, die sich naturgemäß schlecht auf die Stimmung der Bevölkerung auswirken, die enorme Preissteigerung, die zum Teil übertriebene und engherzige Gehalts- und Lohnpolitik hätten dazu geführt, daß Teile der polnischen Bevölkerung zur Verzweiflung getrie ben worden seien...«

Haben Sie dieses gesagt?

BÜHLER: Den ersten Teil konnte ich hier verfolgen. Die letzten Sätze habe ich nicht gefunden hier.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, den Text zu verfolgen. Den ersten und zweiten Teil werden Sie im Text finden. »Teile der polnischen Bevölkerung seien damals zur Verzweiflung getrieben worden.«


BÜHLER: Wo steht das? Ich bitte, es mir zu zeigen.


[Der Text wird dem Zeugen gezeigt.]


Ich habe diese Äußerungen getan, und zwar war...

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Dann habe ich die folgende Frage an Sie: Sind Sie nicht der Ansicht, daß diese Verlautbarungen aus dem Jahre 1943 zeigen, daß Sie heute falsche Aussagen vor dem Gerichtshof gemacht haben?

BÜHLER: Nein, nein, sondern ich habe diese Aussagen so gemeint, daß die Bevölkerung zur Selbsthilfe greifen mußte, und Selbsthilfe habe ich darin erblickt, wenn der Arbeiter drei Tage in der Woche von seiner Arbeitsstätte fernblieb und sich um die Lebensmittel kümmern mußte. Darin habe ich einen Verzweif lungsschritt dieses Arbeiters gesehen. Ich habe aber heute morgen erklärt, daß es zwar schwer war für die Bevölkerung, die nötigen Lebensmittel zu beschaffen, aber daß es nicht unmöglich war, und daß ich Hungerkatastrophen in keiner Weise im Generalgouvernement beobachtet habe. Ich bitte auch zu bedenken, daß 80 % der Bevölkerung des Generalgouvernements ländlich ist, daß also Hungerkatastrophen in einem großen Ausmaße überhaupt nicht hätten stattfinden können, es sei denn, daß auch das flache Land völlig ausgeplündert worden wäre, und das ist nicht der Fall gewesen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sie sagten, daß es infolge der Ernährungsnormen, die im Generalgouvernement aufgestellt waren, zu einem Aufruhr der Bevölkerung kommen könnte, und daß die Bevölkerung durch Hungersnot zur Verzweiflung getrieben wurde. Beweist das nicht, daß im Lande Hungersnot herrschte?


BÜHLER: Ich habe »Aufruhr« im Sinne von »Unruhen« gemeint, keine bewaffnete Selbsthilfe. Es ist klar, daß die Befriedigung und die Lust zu arbeiten unter der unzulänglichen Lebensmittelration leidet. Ich habe ja heute morgen erklärt, wie es kam, daß eine [121] Vollversorgung der Bevölkerung nicht eintreten konnte. Andererseits war aber ein solch umfangreicher freier Markt und schwarzer Markt, daß sich auch der Arbeiter, wenn er genügend Zeit hatte, mit Lebensmitteln versorgen konnte, und die Zeit, die er nicht hatte, hat er sich genommen. Das war die Selbsthilfe des Arbeiters.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, folgende Frage zu beantworten: Wurden den Polen nicht nur soviel Bildungsmöglichkeiten gelassen, daß, wie Frank und Goebbels es beabsichtigten, die Hoffnungslosigkeit des Schicksals ihres Volkes nur noch unterstrichen wurde?


BÜHLER: Es waren Bestrebungen zu verspüren, die polnische Bevölkerung in ihrem Bildungsniveau niederzuhalten. Diese Strömungen gingen von Berlin aus und gingen von Himmler aus.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, hier zu erklären wie man mit den polnischen Universitäten verfuhr.


BÜHLER: Die sind geschlossen und nicht wieder geöffnet worden. Es haben aber Fachkurse stattgefunden in Warschau und in Lemberg, in welchen Universitätsbildung für diese Leute vermittelt wurde; diese Fachkurse sollten allerdings auf Verlangen des Reiches geschlossen werden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Vielleicht werden Sie sich daran erinnern, wer den Befehl unterzeichnete, die Universitäten zu schließen. Vielleicht werden Sie die Unterschrift erkennen. Es ist ein offizieller Bericht.


BÜHLER: Ja, diese Verordnung über die Bestellung von Hochschulkuratoren war vom Generalgouverneur am 1. November 1940 unterschrieben worden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob in Polen nicht nur Handwerksschulen übriggeblieben waren.


BÜHLER: Es sind nicht nur Handwerksschulen übriggeblieben, sondern so waren zum Beispiel auch Handelsschulen da, und da war ein gewaltiger Andrang. Im übrigen waren Gewerbeschulen und Volksschulen in vollem Ausmaße eingerichtet worden.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Mit anderen Worten blieben lediglich Fachschulen übrig, die Handwerker, kleine Beamte und Händler ausbildeten?


BÜHLER: Ob nur kleine oder größere Händler die besucht haben, weiß ich nicht. Jedenfalls waren Handelsschulen zugelassen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte mir zu sagen, auf wessen Anregung das königliche Schloß in Warschau zerstört wurde.

BÜHLER: Das weiß ich nicht genau. Ich habe einmal gehört, daß der Führer den Wunsch haben sollte, daß das Warschauer [122] Schloß, das schwer beschädigt war, in seinen Mauern niedergelegt werden sollte.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Und auf wessen persönlichen Befehl wurde das königliche Schloß in Warschau zerstört?


BÜHLER: Ich weiß nicht, ob dieses Schloß gesprengt wurde. Das weiß ich nicht.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ja, es wurde doch zerstört. Auf wessen Befehl?


BÜHLER: Das ist mir nicht bekannt.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Nicht bekannt?


BÜHLER: Nein.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Stelle, die ich jetzt verlesen möchte, befindet sich auf Seite 1 der dem Gerichtshof von uns überreichten Übersetzung des Dokuments. Es ist ein kurzes Zitat. Ich werde es in das Sitzungsprotokoll verlesen:

»... Der Führer besprach mit Herrn Generalgouverneur die Gesamtlage, billigte die Arbeit des Generalgouverneurs in Polen, insbesondere die Niederlegung des Schlosses in Warschau und den Nichtwiederaufbau dieser Stadt...«

Wurde dieses Schloß in Warschau nicht auf Befehl Franks zerstört?

BÜHLER: Mir ist nicht bekannt, daß dieses Schloß zerstört wurde. Meines Wissens sollte es einmal zerstört werden. Es wurde aber von diesem Plan Abstand genommen.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Sagen Sie mir bitte, gab der Angeklagte Frank nicht in Ihrer Gegenwart am 21. April 1940 den Befehl, bei der sogenannten Anwerbung von Arbeitskräften Polizeimaßnahmen zu ergreifen?


BÜHLER: Ich müßte dieses Protokoll erst sehen. Ich kann mich aus dem Kopf nicht erinnern.


[Das Protokoll wird dem Zeugen überreicht.]


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Die Stelle, die ich zitieren möchte, befindet sich auf Seite 46 des Dokumentenbuches im letzten Absatz. Ich zitiere:

»Besprechung mit Staatssekretär Dr. Bühler, SS-Obergruppenführer Krüger und Dr. Frauendorfer in Gegenwart von Herrn Reichsminister Dr. Seyß-Inquart.

Gegenstand der Besprechung ist die Verschickung von Arbeitern, insbesondere Landarbeitern ins Reich...

Der Herr Generalgouverneur stellte fest, daß man, nachdem alle Mittel in Gestalt von Aufrufen und so weiter keinen Erfolg gehabt hätten, nunmehr zu dem Ergebnis kommen [123] müsse, daß die Polen aus Böswilligkeit oder aus der Absicht heraus, sich Deutschland nicht zur Verfügung zu stellen, ihm indirekt zu schaden, sich dieser Arbeitspflicht entzögen.

Er richtet deshalb die Frage an Dr. Frauendorfer, ob es noch irgendwelche Maßnahmen gebe, die man noch nicht ergriffen habe, um die Polen auf dem Wege der Freiwilligkeit zu gewinnen.

Reichshauptamtsleiter Dr. Frauendorfer verneint diese Frage.

Der Herr Generalgouverneur betont nachdrücklich, daß nunmehr von ihm eine endgültige Stellungnahme verlangt werde. Es werde sich demnach fragen, ob man nun zu irgendeiner Form von Zwangsmaßnahmen werde greifen müssen.«

War das kein Befehl, bei der Rekrutierung Zwangsmaßnahmen zu ergreifen?

BÜHLER: Ich will diese Äußerung nicht bestreiten, nachdem ich das Protokoll gesehen habe. Sie gehört zu den Äußerungen des Generalgouverneurs, von denen ich behaupte, daß sie nicht ganz freiwillig abgegeben wurden, die aber meinen Kurs in dieser Fragen in keiner Weise geändert haben.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte Sie, folgende Frage zu beantworten: Waren Sie am 18. August 1942 bei der Besprechung zwischen Dr. Frank und dem Angeklagten Sauckel zugegen, und hat Frank in Ihrer Gegenwart Sauckel erklärt, er freue sich, ihm melden zu können, daß er mit Hilfe der Polizei neue Arbeitskräfte ins Reich geschickt hätte?


BÜHLER: Ich hatte zusammen mit meinen Dienststellenleitern die mit der Arbeitererfassung, mit Arbeitsfragen befaßt waren, eine Besprechung mit dem Reichskommissar Sauckel, bevor der Besuch bei dem Generalgouverneur war. Ich weiß nun nicht mehr aus dem Gedächtnis, ob ich dabei war, wie Reichskommissar Sauckel vom Generalgouverneur empfangen wurde.

Ich bitte mir das Protokoll vorzulegen.


OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Ich bitte dem Angeklagten, ich bitte um Entschuldigung, dem Zeugen die Stelle vorzulegen.


[Das Dokument wird dem Zeugen übergeben.]


Ich verlese zwei kurze Zitate Seite 918 und 920. Dr. Frank sagt:

»Ich freue mich, Ihnen... amtlich melden zu können, daß wir bis jetzt über 800000 Arbeitskräfte ins Reich vermittelt haben.... Sie haben neuerdings das Ersuchen um die Vermittlung von weiteren 140000 Arbeitskräften gestellt. Ich habe die Freude, Ihnen amtlich mitteilen zu können, daß wir [124] entsprechend unserem gestrigen Übereinkommen 60 % dieser neuangeforderten Kräfte bis Ende Oktober und die restlichen 40 % bis Ende des Jahres ins Reich abgeben werden.«

Nun bitte ich Sie, auf Seite 120 überzugehen. Ich zitiere nur einen Satz:

»Über die Zahl der jetzigen 140000 hinaus können Sie aber im nächsten Jahr mit einer weiteren Arbeiterzahl aus dem Generalgouvernement rechnen, denn wir werden zur Erfassung Polizei einsetzen.«

Beweist dies nicht die Anwendung drakonischer Polizeimaßnahmen für die sogenannte Rekrutierung von Arbeitern?

BÜHLER: Ich erinnere mich nicht, bei dieser Gelegenheit zugegen gewesen zu sein, kann also in keiner Weise bestätigen, ob das in dieser Weise gesagt wurde.

OBERJUSTIZRAT SMIRNOW: Herr Vorsitzender, ich habe keine weitere Frage an den Zeugen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl, möchten Sie ein Rückverhör anstellen?


DR. SEIDL: Einige Fragen möchte ich noch an den Zeugen stellen.

Zunächst möchte ich ein Mißverständnis aufklären, das offenbar entstanden ist. Die Frage, die ich im Zusammenhang mit dem Dokument Nr. USSR-93 an den Zeugen gerichtet habe, hat sich lediglich auf die Anlage 1 bezogen, die betitelt ist: »Das kulturelle Leben in Polen«. Diese Anlage beschäftigt sich mit Richtlinien über kulturelle Politik, die von der Verwaltung des Generalgouvernements erteilt worden sein sollte und ich habe den Zeugen auch nur so verstanden, daß er nur auf diese Frage eine Antwort geben wollte und nicht auf die weiteren Anlagen, die zum Beispiel die geraubten Kunstgegenstände betreffen. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn er den Ausdruck »Verfälschen« nicht gebraucht hätte. Jedenfalls wollte er sagen, daß ihm solche Richtlinien nicht bekannt waren.

Herr Zeuge! Ist es richtig, daß weitaus die meisten der in das Reich verbrachten polnischen Arbeitskräfte sich freiwillig gemeldet haben?


BÜHLER: Darf ich vorausschicken, ich wollte den Vorwurf einer Fälschung auch nicht der Anklagebehörde machen, sondern ich wollte nur darauf hinweisen, daß sie sich möglicherweise eines gefälschten Dokuments bedient hat. Ich wollte ihr nicht selbst den Vorwurf einer Fälschung machen.

Zu der Frage des Verteidigers möchte ich sagen, daß nach meinen Beobachtungen der weitaus überwiegende Teil der Arbeitskräfte aus dem Generalgouvernement freiwillig ins Reich gegangen ist.


[125] DR. SEIDL: Um Ihrem Gedächtnis zu Hilfe zu kommen, will ich Ihnen ein kurzes Zitat aus dem Tagebuch vorweisen, das sich mit der Erfassung von Arbeitskräften beschäftigt. Am 4. März 1940 hat der Generalgouverneur auf einer Dienstversammlung der Stadthauptmänner des Distrikts Lublin zur Frage der Arbeitserfassung folgendes erklärt – ich zitiere wörtlich:

»Den von Berlin geforderten Erlaß einer neuen Verordnung mit besonderen Zwangsmaßnahmen und Strafdrohungen lehne er ab. Maßnahmen, die nach außen hin Aufsehen erregen, müßten vermieden werden. Das gewaltsame Verfrachten von Leuten habe alles gegen sich.«

Gibt diese Auffassung die wirkliche Einstellung des Generalgouverneurs wieder?

BÜHLER: Ich war bei dieser Besprechung nicht zugegen, habe also diese Äußerung des Generalgouverneurs nicht gehört; sie deckt sich aber mit den Anweisungen und Grundsätzen, die der Generalgouverneur mir mit auf den Weg gegeben hat und die ich stets unbeirrt beachtet und durchgeführt habe.

DR. SEIDL: Waren Sie bei der Besprechung zugegen – ich sehe Sie waren selbst dabei – vom 14 Januar 1944? Die Besprechung mit dem Staatssekretär Dr. Bühler, Dr. Koppe und anderen – ich zitiere wörtlich:

»Der Herr Generalgouverneur wendet sich mit Entschiedenheit dagegen, daß Polizeikräfte zur Durchführung solcher Maßnahmen in Anspruch genommen würden. Eine solche Aufgabe gehöre nicht in den Bereich der Polizei«

Ist es richtig, daß der Generalgouverneur wiederholt sich gegen den Einsatz von Polizei bei der Erfassung von Arbeitskräften gewendet hat?

BÜHLER: Es war dies nicht die einzige Gelegenheit, sondern er hat den Beauftragten des Reichskommissars Sauckel wiederholt in öffentlichen Sitzungen ganz schwer angegriffen, wenn ihm wieder über Arbeiterrazzien etwas zu Ohren gekommen ist. Ich muß allerdings sagen, der Beauftragte hat wiederholt erklärt, daß nicht er diese Arbeiterrazzien veranlaßt habe.

DR. SEIDL: Das erste Zitat, das der Anklagevertreter Ihnen vorgehalten hat, war ein Eintrag vom 25. Januar 1943, und er hat Sie gefragt, ob Sie selbst sich als Kriegsverbrecher betrachten. Ich will Ihnen nun einen anderen Teil der Besprechung vorhalten, in der Sie selbst mit dabei waren. Ich zitiere auf Seite 7 dieser Tagebucheintragung. Der Generalgouverneur erklärte:

»Herr Staatssekretär Krüger, Sie wissen, daß Anweisungen des Reichsführers-SS von Ihnen erst vollzogen werden dürfen, wenn Sie mich vorher gehört haben. Das ist in diesem Falle [126] unterblieben. Ich spreche mein Bedauern darüber aus, daß Sie einen Befehl des Reichsführers vollzogen haben, ohne mich vorher entsprechend der Verordnung des Führers zu verständigen. Nach dieser Verordnung dürfen Anweisungen des Reichsführers-SS hier im Generalgouvernement nur vollzogen werden, wenn ich vorher meine Einwilligung erteilt habe. Es ist hoffentlich das letzte Mal, daß das unterblieben ist, denn ich möchte nicht wegen eines jeden solchen Falles den Führer belästigen.« (Dokument 2233-PS.)

Ich lasse nun einen Satz aus und zitiere wörtlich:

»Es ist nicht möglich, daß wir uns über Führerverordnungen hinwegsetzen, und es ist ausgeschlossen, daß auf dem Gebiet der Polizei und der Sicherheit unmittelbar Weisungen des Reichsführers befolgt werden unter Umgehung des Mannes, den der Führer hier eingesetzt hat; sonst bin ich ja völlig überflüssig.«

Ist es richtig, frage ich Sie nun, daß zwischen dem Generalgouverneur und dem Höheren SS- und Polizeiführer Krüger sehr häufig solche Auseinandersetzungen stattgefunden haben und daß der Generalgouverneur diese Auseinandersetzungen damit beendet hat, daß er zur Zusammenarbeit aufforderte, um überhaupt noch irgendeine Verwaltung in diesem Gebiet zu ermöglichen?

BÜHLER: Das ist richtig, solche Auseinandersetzungen waren unser tägliches Brot.

DR. SEIDL: Die Anklagevertretung hat Ihnen auch unter der Nummer USSR-335 die Standgerichtsverordnung vom Oktober 1943 vorgelegt.

Ich frage Sie, wie war die Sicherheitslage im Generalgouvernement zu dieser Zeit und wäre es damals überhaupt noch möglich gewesen, in einem normalen Strafgerichtsverfahren mit den Verhältnissen Herr zu werden?


VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl! Ist diese Frage nicht schon sehr eingehend im direkten Verhör behandelt worden?


DR. SEIDL: Ich verzichte auf die Beantwortung der Frage jetzt noch einmal.


[Zum Zeugen gewandt:]


Nun eine letzte Frage, die sich auf die Kunstschätze bezieht:

Ist es richtig, daß ein Teil der Kunstschätze, die aus dem oberschlesischen Raum geborgen wurden, auf dem letzten Dienstsitz des Generalgouverneurs in Neuhaus gesichert wurden und daß der Generalgouverneur Ihnen den Auftrag gegeben hat, eine Liste dieser Gegenstände dem Reichsminister Lammers zu bringen?

[127] BÜHLER: Der Generalgouverneur hat einen Bericht über die Verbringung von 20 der hervorragendsten Kunstschätze aus dem Schatze des polnischen Staates an Herrn Reichsminister Lammers diktiert.

Ich war während dieses Diktates anwesend und habe diesen Bericht persönlich dem Herrn Staatssekretär Kritzinger in Berlin übergeben. Er hat darin angezeigt, daß er diese Kunstschätze, um sie vor den Russen zu bergen, von Seichau, oder wie dieser Ort hieß, nach Schliersee gebracht hat. Diese Kunstschätze standen in der Dienststelle des Generalgouverneurs offen herum.


DR. SEIDL: Ich habe dann keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann abtreten.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. SEIDL: Ich bin damit am Ende der Zeugenvernehmung überhaupt angelangt. Nachdem aber die Dokumentenbücher noch nicht geheftet sind, würde ich vorschlagen, daß zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht nach dem Fall Frick, ich dann diese Dokumentenbücher vorlegen darf.

VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl, wieviele Bücher wollen Sie vorlegen?

DR. SEIDL: Es sind insgesamt fünf Hefte. Ich selbst habe die Hefte noch nicht bekommen.


VORSITZENDER: Sind die in diesen fünf Bänden enthaltenen Dokumente bereits genehmigt?


DR. SEIDL: Es handelt sich fast nur um Dokumente, die bereits die Anklagevertretung vorgelegt hat, und es ist mit der Anklage eine Vereinbarung über die Dokumente zustande gekommen.


VORSITZENDER: Gut, dann brauchen wir jetzt auf diese Dokumentenbücher nicht zu warten. Der Gerichtshof wird diese Dokumentenbücher prüfen, wenn sie vorgelegt werden, und wenn Sie wünschen, besondere Erklärungen dazu abzugeben, so können Sie das tun.


DR. SEIDL: Jawohl.


VORSITZENDER: Zweifellos werden Sie sich in Ihrem Plädoyer darauf beziehen. Sie sagen, die meisten Dokumente seien schon vorgelegt und Sie brauchten sich daher nicht einleitend darauf beziehen, sondern könnten sich in Ihrem Schlußplädoyer damit befassen?


DR. SEIDL: Ich hätte aber schon in diesem Beweisverfahren einige kurze Abschnitte aus diesen Dokumenten vorgelesen, wer das notwendig ist, um den Zusammenhang herzustellen, und es ist unmöglich, im Plädoyer das alles zu tun; aber ich glaube nicht, daß damit allzuviel Zeit verloren geht.


[128] VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl! Es wird dem Gerichtshof nicht viel nützen, wenn Sie später zu diesen Dokumenten Erläuterungen abgeben, nachdem Ihre Zeugen schon verhört worden sind und Zeugenverhöre anderer Angeklagten dazwischen kommen. Deshalb hält der Gerichtshof es für besser und zweckdienlicher, daß Sie sich erst bei Ihrem Schlußplädoyer auf diese Dokumente beziehen. Ich glaube, Dr. Seidl, daß wir zwei Bücher vorliegen haben, nicht wahr? Oder sind es drei?


DR. SEIDL: Es sind insgesamt fünf Bücher, die anderen drei Bücher scheinen noch nicht geheftet zu sein.


VORSITZENDER: Aber Sie sagen, daß die meisten Dokumente schon als Beweismaterial vorliegen?


DR. SEIDL: Es ist das Tagebuch des Angeklagten Dr. Frank, das 42 Bände umfaßt, vorgelegt worden, aber die Anklagevertretung hat ja nur die Teile für sich verwertet, die ihr günstig erschienen sind. Es ist daher meines Erachtens notwendig, daß auch im Beweisverfahren der Zusammenhang etwas hergestellt wird, und es sind auch andere Dokumente im Dokumentenbuch, die man meines Erachtens auszugsweise verlesen müßte. Ich werde mich aber bei der Verlesung dieser Dokumente auf das Notwendigste beschränken, und ich würde dem Gericht vorschlagen, daß es so gehandhabt wird wie bei dem Angeklagten von Ribbentrop, daß ich dann die einzelnen Dokumente dem Gericht als Beweisstücke übergebe. Es sind verschiedene Reden des Angeklagten Dr. Frank, es sind Erlasse, gesetzliche Bestimmungen, es sind zwei eidesstattliche Versicherungen dabei, und ich glaube schon, daß auch im Beweisverfahren dazu irgendwie Stellung genommen werden muß, und es muß ja auch den einzelnen Dokumenten eine Beweisstücknummer gegeben werden. Bis jetzt wurde nur ein einziges Dokument als Beweisstück für den Angeklagten vorgelegt, und das ist das Affidavit von dem Zeugen Dr. Bühler. Ich habe aber die Absicht, eine ganze Reihe weiterer Dokumente förmlich dem Gericht als Beweismittel zu unterbreiten, und ich möchte das nur deshalb zurückstellen, weil eben das Gericht noch nicht im Besitz der gehefteten Dokumentenbücher ist.


VORSITZENDER: Wann werden die anderen Bücher fertig sein?


DR. SEIDL: Mir wurde gesagt, daß sie heute abend noch fertig werden würden.


VORSITZENDER: Wieviel Zeit glauben Sie dazu zu benötigen?


DR. SEIDL: Ich glaube, daß zwei Stunden ausreichen würden.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


[129] VORSITZENDER: Herr Dr. Seidl! Der Gerichtshof würde es begrüßen, wenn Sie jetzt Ihre Dokumente behandeln, soweit es sich um Dokumente handelt, die schon als Beweismittel vorgelegt worden sind. Falls Sie nicht auf andere Stellen darin Bezug nehmen wollen, glauben wir, daß Sie nur die Dokumente anzugeben und einzureichen brauchen, sofern es Ihnen nicht besonders wichtig erscheint, auf bestimmte Dokumente hinzuweisen. So es sich um neue Dokumente handelt, werden Sie diese zweifellos als neue Beweismittel anbieten und die notwendigen kurzen Erläuterungen dazu geben. Der Gerichtshof hofft jedoch, daß Sie imstande sind, heute nachmittag noch damit fertig zu werden. In Bezug auf Ihre anderen Bücher hören wir, daß Ihnen die Dokumente schon in deutscher Sprache zur Verfügung stehen, und darum können Sie uns diese Dokumente jetzt vorlegen.

DR. SEIDL: Herr Präsident! Auf Wunsch der Anklagevertretung, und ich glaube auch auf Wunsch des Gerichts, habe ich die ursprüngliche Fassung meiner Dokumentenbücher sehr verkleinert. Die ersten fünf Dokumentenbücher, so wie ich sie vorbereitet habe, umfaßten mehr als 800 Seiten. Die neue Fassung ist erheblich kürzer, und ich habe den deutschen Text der neuen Fassung noch nicht in Händen, so daß ich augenblicklich nicht in der Lage bin, das Gericht auf die Zahlen der Seiten hinzuweisen und die Übereinstimmung zwischen meiner Seitenzahl und der Seitenzahl der jeweiligen Übersetzung festzustellen. Wenn ich einem Wunsch Ausdruck geben darf, dann wäre es der, daß zunächst abgewartet wird, bis die fünf Dokumentenbücher in der neuen Fassung vorliegen, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Numerierung der Seitenzahl und die Numerierung der einzelnen Beweisstücke nicht mehr so genau übereinstimmt, wie es wünschenswert wäre.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof hält es für das beste, daß Sie jetzt mit den ersten drei Büchern beginnen. Wir haben sie auch hier.


DR. SEIDL: Wenn das Gericht die ersten drei Bände hat, dann will ich jetzt beginnen. Ich beginne mit Band I. Das erste Dokument auf Seite 1 ist der Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwaltung der besetzten polnischen Gebiete vom 12. Oktober 1939. Dieser Erlaß umschreibt im einzelnen die Befugnisse des Generalgouverneurs. In Paragraph 5 und in Paragraph 6 wird ein Teil der Einschränkungen in der Zuständigkeit des Generalgouverneurs wiedergegeben, auf den bereits die Zeugen Dr. Lammers und Dr. Bühler verwiesen haben. Dieses Dokument trägt die Nummer 2537-PS und es wird Beweisstück Frank Nummer 2.

Ich gehe über zu Seite 3 des Dokumentenbuches. Dieses Dokument ist der Erlaß des Führers über die Errichtung eines Staatssekretariats für das Sicherheitswesen im Generalgouvernement vom 7. Mai 1942. Ich zitiere Paragraph 2:

[130] »Der Staatssekretär für das Sicherheitswesen ist zugleich Vertreter des Reichsführers-SS in dessen Eigenschaft als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums.«

Auf Seite 4 zitiere ich Absatz IV:

»Der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei kann dem Staatssekretär für das Sicherheitswesen auf dem Gebiet des Sicherheitswesens und der Festigung deutschen Volkstums unmittelbar Weisungen erteilen.«

Dieses Dokument wird Beweisstück Frank Nummer 3.

Hinter diesen Erlaß des Führers vom 7. Mai 1942 gehört nun der Erlaß über die Überweisung von Dienstgeschäften auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen vom 23. Juni 1942. Ich weiß nun nicht, ob dieser Erlaß in dieses Heft bereits eingebunden ist. Anscheinend ist dieser Erlaß, der nachträglich noch hinzugekommen ist, noch nicht übersetzt.

VORSITZENDER: Welches Datum?

DR. SEIDL: Vom 23. Juni 1942.


VORSITZENDER: Wir haben einen Erlaß vom 27. Mai 1942.


DR. SEIDL: Dieser Erlaß ist anscheinend noch nicht übersetzt, weil er nachträglich hinzugekommen ist, und ich werde ihn nachträglich noch in das Dokumentenbuch einfügen. Er wird Beweisstück Frank Nummer 4.

Es heißt in Paragraph 1 dieses Erlasses:

»Die in den Anlagen A und B aufgeführten Sachgebiete der Polizeiverwaltung und des Polizeirechts gehen auf den Staatssekretär für das Sicherheitswesen über.«

In Anlage 1 werden die Sachgebiete der Ordnungspolizei aufgeführt, und zwar in 15 Nummern – nein, ich muß mich berichtigen, in 26 Nummern und in Anlage B die Sachgebiete der Ordnungspolizei in 21 Nummern.

Ich gehe dann über zu Dokumentenbuch I, Seite 5. Es ist ein Erlaß des Führers über die Ernennung der Beamten und die Beendigung des Beamtenverhältnisses im Geschäftsbereich des Generalgouvernements vom 20. Mai 1942. Ich zitiere aus Ziffer 3, Absatz 2:

»Zum Geschäftsbereich des Generalgouverneurs im Sinne dieses Erlasses gehören nicht die zum Bereich des Reichsführers-SS und Chefs der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern und die zum Zollgrenzschutz gehörigen Beamten.«

Ich gehe dann über auf Seite 6 des Dokumentenbuches zu dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers zur Festigung des deutschen Volkstums vom 7. Oktober 1939. Dieser Erlaß ist bereits US-Beweisstück 305 (Dokument 686-PS).

[131] Das nächste Dokument ist das Schreiben des Reichsmarschalls Göring an den Chef der Sicherheitspolizei und des SD vom Juli

1941.

MR. DODD: Herr Vorsitzender! Ich möchte vorschlagen, daß die Beweisstücke numeriert werden, damit wir folgen können und später die Reihenfolge haben, in der sie eingereicht wurden. Das letzte und dieses hier haben noch keine Beweisstücknummer erhalten.

MR. FRANCIS BIDDLE, MITGLIED DES GERICHTSHOFS FÜR DIE VEREINIGTEN STAA TEN: Das letzte war doch Frank Nummer 5, nicht wahr?


VORSITZENDER: Nein, Frank Nummer 5 war das vom 27. Mai 1942.


MR. DODD: Das wußten wir nicht, wir haben die Nummer über das Lautsprechersystem nicht bekommen. Ich bitte um Entschuldigung.


VORSITZENDER: Es ist vielleicht nicht gesagt worden, ich habe es von mir aus notiert. Wollen Sie uns bitte, Herr Dr. Seidl, jedesmal die Beweisstücknummer der einzelnen Dokumente geben. Sie sprechen jetzt von dem Schreiben vom 31. Juli 1941?


DR. SEIDL: Jawohl. Dieser Brief hat bereits eine US-Nummer, und zwar 509.


VORSITZENDER: Gut, einen Augenblick, vielleicht bin ich im Irrtum. Ja, Herr Dodd! Ich glaube, ich habe mich geirrt. Der Grund, warum Dr. Seidl keine Nummer gegeben hat, ist der, daß es bereits als Beweisstück US-305 vorliegt. Ich habe mich geirrt. Es ist nicht Frank Nummer 5; er ist nur bis Frank Nummer 4 gekommen. Das nächste ist US-509.


DR. SEIDL: 509 (Dokument 710-PS). Ich gehe über auf Seite 10 des Dokumentenbuches. Es ist das ein Befehl... es sind dies die Richtlinien des OKW zum Fall »Barbarossa«, 447-PS, US-135, und ich zitiere Absatz 2:

»Eine Erklärung Ostpreußens und des Generalgouvernements zum Operationsgebiet des Heeres ist nicht beabsichtigt. Dagegen ist der Oberbefehlshaber des Heeres auf Grund der nichtveröffentlichten Führererlasse vom 19. und 21.10.1939 berechtigt, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die zur Durchführung seines militärischen Auftrages und zur Sicherung der Truppe notwendig sind.«

Ich gehe über auf Seite 11 des Dokumentenbuches. Hier handelt es sich um eine Anordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers über den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 27. März 1942. Ich zitiere Ziffer 4:

»Dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz stehen zur Durchführung seiner Aufgaben die mir vom [132] Führer übertragenen Weisungsrechte an die Obersten Reichsbehörden, ihre nachgeordneten Dienststellen sowie an die Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände, an den Reichsprotektor, den Generalgouverneur, die Militärbefehlshaber und die Chefs der Zivilverwaltungen zur Verfügung.«

Dieses Dokument wird Beweisstück Frank Nummer 5.

Das nächste Dokument befindet sich auf Seite 12. Es ist der Erlaß des Führers über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942, aus welchem sich ergibt, daß dessen Weisungsrecht sich auch auf das Generalgouvernement bezogen hat. Es wird Beweisstück Frank Nummer 6.

Das Dokument auf Seite 13 des Dokumentenbuches bezieht sich ebenfalls auf das Weisungsrecht des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Es ist bereits Beweisstück US-206, 3352-PS.

Das Dokument auf Seite 15 ist ein Schreiben des Professors Dr. Kubiojowytsch, des Leiters des ukrainischen Hauptausschusses, an den Angeklagten Dr. Frank. Es trägt bereits die Nummer US-178, und ich lese lediglich den ersten Satz aus diesem Dokument, um zu zeigen, wie das Verhältnis zwischen dem Angeklagten Dr. Frank und dem Verfasser dieses Briefes war. Er schreibt nämlich:

»Ihrem Wunsche entsprechend, übersende ich Ihnen diesen Brief, in dem ich kurz die Mißstände und die peinlichen Vorfälle, welche eine besonders schwere Lage der ukrainischen Bevölkerung im Generalgouvernement hervorrufen, darlegen möchte.«

Ich gehe dann über auf Seite 16 des Dokumentenbuches. Es ist das ein Auszug aus dem Beweisstück US-275, 1061-PS, und zwar ist das der Bericht des SS-Brigadeführers Stroop über die Vernichtung des Warschauer Ghettos. Ich zitiere den zweiten Absatz der Ziffer II, aus welchem sich ergibt, daß der Befehl dazu unmittelbar vom Reichsführer-SS Himmler gegeben wurde:

»Im Januar 1943 wurde vom Reichsführer-SS anläßlich seines Besuches in Warschau dem SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau der Befehl erteilt, die im Ghetto untergebrachten Rüstungs- und wehrwirtschaftlichen Betriebe mit Arbeitskräften und Maschinen nach Lublin zu verlagern.«

Hinter Seite 16 des Dokumentenbuches gehört nun richtig die eidesstattliche Versicherung, die die Anklagevertretung im Kreuzverhör des Angeklagten Dr. Kaltenbrunner vorgelegt hat.

OBERST Y. V. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Soweit ich sehe, liegt hier ein Mißverständnis vor. Unter der Nummer, die Dr. Seidl in seinem Dokumentenbuch nannte, befindet sich kein Dokument über das [133] Warschauer Ghetto, sondern ein Dokument des Polizeichefs und SS-Führers in Galizien über die Lösung der Judenfrage in Galizien. Ich möchte bitten, diese Frage aufzuklären.

DR. SEIDL: Das Dokument auf Seite 16 ist der Bericht des SS-Brigadeführers Stroop, der bereits unter US-275 vorgelegt wurde. Der Bericht des SS-Führers Katzmann, an den offenbar der sowjetische Anklagevertreter denkt, über die Lösung der Judenfrage in Galizien kommt erst auf Seite 17 des Dokumentenbuches, also auf der nächsten Seite. Anscheinend ist es übersehen worden, in dem Dokumentenbuch für die Sowjetische Anklagebehörde diese Seite 16 mit einzuheften. Hinter diesen Bericht des Brigadeführers Stroop unter US-275 würde nun auf Seite 16a die eidesstattliche Versicherung des SS-Brigadeführers Stroop gehören, die im Kreuzverhör des Angeklagten Dr. Kaltenbrunner unter US-804 vorgelegt wurde. Diese eidesstattliche Versicherung trägt die Nummer 3841-PS. Ich konnte diese eidesstattliche Versicherung in das Dokumentenbuch nicht mehr aufnehmen, weil diese eidesstattliche Versicherung von der Anklagevertretung erst zu einem Zeitpunkt vorgelegt wurde, als ich das Dokumentenbuch bereits zum Übersetzen gegeben hatte.

Auf Seite 16b würde ein weiteres Dokument kommen, das ebenfalls im Rahmen des Kreuzverhörs dem Angeklagten Dr. Kaltenbrunner vorgelegt wurde, und zwar die eidesstattliche Versicherung des Karl Kaleske.

Diese eidesstattliche Versicherung hat die Nummer US-803, 3840-PS. Das würde dann Seite 16b des Dokumentenbuches werden.

Ich komme nun zu dem Bericht, den der sowjetische Anklagevertreter im Auge gehabt hat und der sich mit der Lösung der Judenfrage in Galizien befaßt. Er befindet sich auf Seite 17 des Dokumentenbuches. Diese Maßnahme hat die Nummer US-277 und die Nummer L-18. Ich zitiere wörtlich die Seiten 4 und 5:

»Nachdem in immer mehr Fällen festgestellt wurde, daß die Juden es verstanden hatten, sich bei ihren Arbeitgebern durch Beschaffung von Mangelwaren und so weiter unentbehrlich zu machen, mußten ganz drakonische Maßnahmen unsererseits eingeleitet werden.«

Ich gehe jetzt zum Absatz 2 über und zitiere wörtlich:

»Da die Verwaltung nicht in der Lage war und sich zu schwach zeigte, diesem Chaos Herr zu werden, wurde kurzerhand der gesamte Arbeitseinsatz der Juden vom SS- und Polizeiführer übernommen. Die bestehenden jüdischen Arbeitsämter, die mit Hunderten von Juden besetzt waren, wurden aufgelöst, sämtliche Arbeitsbescheinigungen von Firmen und Dienststellen für ungültig erklärt und die von den Arbeitsämtern den Juden gegebenen Karten durch Abstempelung der Polizeidienststellen neu gültig gemacht.«

[134] Ich gehe über auf Seite 19 des Dokumentenbuches. Hier handelt es sich um einen Brief des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei an den Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler vom 17. April 1943. Dieses Dokument hat die Nummer 2220-PS und die Beweisstücknummer US-175. Ich zitiere wörtlich:

»In unserer Besprechung am 27. März d. J. waren wir übereingekommen, daß über die Zustände im Generalgouvernement schriftliche Unterlagen ausgearbeitet werden sollten, auf die sich unser in Aussicht genommener gemeinsamer Vortrag beim Führer stützen kann.

Das zu diesem Zweck von SS-Obergruppenführer Krüger zusammengestellte Material ist Ihnen bereits unmittelbar zugegangen. Auf Grund dieses Materials habe ich eine Aufzeichnung fertigen lassen, die die wichtigsten Punkte dieses Materials zusammenfaßt, übersichtlich gliedert und in der Herausstellung der zu ergreifenden Maßnahmen gipfelt.

Die Aufzeichnung ist mit Obergruppenführer, Krüger abgestimmt und besitzt sein volles Einverständnis. Ein Stück von ihr lasse ich Ihnen anbei zugehen.«

Es ist gezeichnet: »Dr. Lammers.«

Ich gehe über auf Seite 20 des Dokumentenbuches und zitiere wörtlich:

»Geheim! – Betrifft die Zustände im Generalgouvernement...

Die deutsche Verwaltung im Generalgouvernement hat folgende Aufgaben zu erfüllen:

1. Zum Zwecke der Ernährungssicherung des deutschen Volkes die landwirtschaftliche Produktion zu steigern und möglichst restlos zu erfassen, der einheimischen Bevölkerung, die in kriegswichtiger Arbeit eingesetzt ist, auskömmliche Rationen zuzustellen und das übrige für Wehrmacht und Heimat abzuführen.«

Die folgenden Ziffern lasse ich aus und gehe sofort über zu Ziffer B, wo von Krüger, beziehungsweise seinem Helfer, Kritik an den Maßnahmen des Generalgouverneurs geübt wird. Ich zitiere wörtlich:

»Den unter A bezeichneten Aufgaben gegenüber hat die deutsche Verwaltung im Generalgouvernement weitgehend versagt. Wenn es auch im Jahre 1942 gelungen ist, das Ablieferungssoll an landwirtschaftlichen Erzeugnissen für Wehrmacht und Heimat zu einem verhältnismäßig hohen Bruchteil, nämlich mit über 90 Prozent, zu erfüllen und auch bei der Gestellung von Arbeitskräften für die Heimat die Anforderung im allgemeinen zu decken, so ist demgegenüber doch [135] zweierlei festzustellen: Einmal waren diese Leistungen im Jahre 1942 erstmalig. Vorher war zum Beispiel an Brotgetreide lediglich 40000 Tonnen für die Wehrmacht geliefert worden. Zweitens und vor allem aber ist verabsäumt, für die Aufbringung solcher Leistungen diejenigen Voraussetzungen organisatorischer, wirtschaftlicher und politischer Art zu schaffen, die unerläßlich sind, wenn derartige Leistungen nicht zu einer Erschütterung der Gesamtverhältnisse führen soll, aus der mit der Zeit in jeder Hinsicht chaotische Zustände entstehen können. Dieses Versagen der deutschen Verwaltung erklärt sich einmal aus dem durch den Generalgouverneur persönlich verkörperten System der deutschen Verwaltungs- und Regierungstätigkeit im Generalgou vernement, und zweitens aus den verfehlten Grundlinien der Politik in allen für die Verhältnisse des Generalgouvernements entscheidenden Fragen.

2. Der Geist der deutschen Verwaltung im Generalgouvernement.

Das Bestreben des Generalgouverneurs ging von Anbeginn darauf aus, aus dem Generalgouvernement ein Staatsgebilde zu machen, das in vollkommener Unabhängigkeit vom Reich sein eigenes Dasein führen sollte.«

Ich gehe dann über zu Seite 22 des Berichts, zu Ziffer 3 und zitiere hier wörtlich:

»3. Die Behandlung der einheimischen Bevölkerung kann nur auf der Grundlage einer sauberen und geordneten Verwaltungs- und Wirtschaftsführung in die richtigen Bahnen geführt werden. Nur eine solche Grundlage gestattet es, die einheimische Bevölkerung auf der einen Seite streng und wenn nötig auch hart anzupacken, auf der anderen Seite aber auch großzügig zu verfahren und durch gewisse Freiheiten, zumal auf kulturellem Gebiet, bei der Bevölkerung ein gewisses Maß von Zufriedenheit hervorzurufen. Ohne eine solche Grundlage stärkt Härte die Widerstandsbewegung und unterhöhlt Entgegenkommen das deutsche Ansehen. Daß es an dieser Grundlage fehlt, ergibt sich aus dem oben Gesagten. Statt darauf bedacht zu sein, diese Grundlage herzustellen, inauguriert der General gouverneur eine Förderung des kulturellen Eigenlebens der polnischen Bevölkerung, die an sich schon über das Ziel hinausschießt, unter den obwaltenden Verhältnissen aber und nicht zuletzt im Zusammenhang mit unserer militärischen Lage im letzten Winter nur als Schwäche ausgelegt werden konnte und das Gegenteil des erstrebten Zieles erreichen muß.

[136] 4. Das Verhältnis von Volksdeutschen und der polnisch-ukrainischen Bevölkerung im Generalgouvernement.

Zahlreich sind die Fälle, in denen die deutsche Verwaltung die Belange der Volksdeutschen im Generalgouvernement hinter den Interessen der Polen und Ruthenen hat zurücktreten lassen in dem Bestreben, die letzteren für uns zu gewinnen. Es wurde der Standpunkt vertreten, daß anderswo ausgesiedelte Volksdeutsche nicht sogleich als Siedler, sondern für die Dauer des Krieges nur als Landarbeiter anzusetzen wären. Rechtsgrundlagen für die Enteignung polnischen Besitzes wurden bisher nicht geschaffen. Schlechter Behandlung von Volksdeutschen Arbeitern durch ihre polnischen Betriebsführer wurde nicht Einhalt geboten. Reichs- und Volksdeutsche Patienten ließ man in polnischen Krankenanstalten von polnischen Ärzten teuer und schlecht behandeln. In deutschen Bädern des Generalgouvernements stieß die Unterbringung von reichsdeutschen Kindern aus bomben gefährdeten Gebieten und von Stalingradkämpfern auf Schwierigkeiten, während Fremdvölkische dort Kuraufenthalt nahmen und dergleichen mehr.

Die großen Ansiedlungsvorhaben im Distrikt Lublin zugunsten von Volksdeutschen hätten reibungsloser durchgeführt werden können, wenn der Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums bei der Verwaltung die wünschenswerte Mitarbeit und Förderung gefunden hätte...«

Ich gehe über auf Seite 24 und zitiere unter Ziffer C wörtlich:

»Das durch den Generalgouverneur persönlich verkörperte Verwaltungssystem und das sachliche Versagen der deutschen allgemeinen Verwaltung auf den verschiedensten Gebieten von ausschlaggebender Bedeutung haben nicht nur das Vertrauen und die Arbeitswilligkeit der einheimischen Bevölkerung erschüttert, sondern es auch zuwege gebracht, daß sich das gesellschaftlich zerklüftete und durch seine ganze Geschichte hindurch stets uneinige Polentum zu einem in seiner Deutschfeindlichkeit geschlossenen Volkskörper zusammengefunden hat. In einer Welt des Scheins fehlen die realen Fundamente, auf denen allein diejenigen Leistungen, die das Reich vom Generalgouvernement verlangen und diejenigen Ziele, die es in ihm verwirklicht sehen muß, auf die Dauer bewerkstelligt und erfüllt werden können. Die Nichterfüllung der der allgemeinen Verwaltung gestellten Aufgaben mußte, wie zum Beispiel auf dem Gebiet der Festigung des deutschen Volkstums... naturgemäß dazu führen, daß andere Verwaltungskörper (Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums und Polizei) sich dieser Aufgaben annahmen.«

[137] Ich gehe nun über zur Seite 27 des Dokumentenbuches. Es ist das der bereits wiederholt erwähnte Bericht des Generalgouverneurs an den Führer vom 19. Juni 1943. Dieses Dokument hat die Nummer 437-PS, US-Beweisstück 610.

Von diesem Dokument hat die Anklage bis jetzt lediglich Seite 10 und 11 vorgelegt. Es sind das gerade die Punkte, die in diesem Memorandum vom Generalgouverneur auf das schärfste verurteilt wurden.

VORSITZENDER: Sie sprechen jetzt von dem Bericht, der auf Seite 20 beginnt?

DR. SEIDL: Ich spreche von dem Bericht, der auf Seite 27 anfängt. Mit dem Bericht, der auf Seite 20 anfängt, bin ich bereits zu Ende.


VORSITZENDER: Welche Nummer gaben Sie dem Bericht auf Seite 20?


DR. SEIDL: Der Bericht auf Seite 20 ist ein wesentlicher Bestandteil des Schreibens, das auf Seite 19 beginnt und das bereits die Nummer US-175 hat.

VORSITZENDER: O ja, ich verstehe.


DR. SEIDL: Ich gehe nun über zu dem Dokument auf Seite 27. Es ist das Memorandum, das bereits von verschiedenen Zeugen erwähnt wurde und das von der Anklagevertretung unter Nummer US-610, 437-PS, vorgelegt wurde. Von diesem Bericht wurden von der Anklage lediglich Seite 10 und 11 des Berichts verlesen – das ist Seite 36 und 37 des Dokumentenbuches –, also nur die Stellen, die in dem Bericht als Übergriffe der Polizei verurteilt wurden, und gegen deren Übergriffe sich der Generalgouverneur beim Führer beschwert hat. Ich beabsichtige nicht, das gesamte Memorandum zu verlesen, sondern will sofort übergehen auf Seite 27 des Berichtes, das ist Seite 53 des Dokumentenbuches. Und zwar zitiere ich unter Ziffer 2:

»2. Die nahezu vollständige Einstellung der Betätigungsmöglichkeit auf dem kulturellen Sektor hat bis in die unteren Schichten des polnischen Volkes hinein zu einer erheblichen Mißstimmung geführt. Die polnische Mittel- und Oberschicht ist außerordentlich geltungshungrig. Erfahrungsgemäß liegt in der Möglichkeit einer kulturellen Betätigung gleichzeitig die Ablenkung von politischen Tagesfragen eingeschlossen. Die deutsche Propaganda stößt vielfach auf den von polnischer Seite vorgebrachten Einwand, daß die von der deutschen Herrschaft er zwungene Einschränkung der kulturellen Betätigung nicht nur keinen Unterschied gegenüber der bolschewistischen Kulturlosigkeit aufweist, sondern sogar unter dem [138] den Sowjetbürgern zugebilligten Maße kultureller Betätigung verbleibt...

3. Auf der gleichen Ebene steht die Schließung der Hochschulen, der höheren Schulen und der Mittelschulen. Ihr wohldurchdachter Zweck ist zweifellos das Absinken des polnischen Bildungsniveaus. Die Verwirklichung dieses Zieles erscheint, auf die Kriegsnotwendigkeiten zugeschnitten, nicht immer den deutschen Interessen dienlich. Mit der Dauer des Krieges verstärkt sich auch auf den verschiedensten Wissensgebieten das deutsche Interesse an der Mobilisierung geeigneter fremdvölkischer Nachwuchskräfte. Viel bedeutungsvoller ist aber die Tatsache, daß die Lahmlegung des Schulwesens und die weitgehende Unterbindung der kulturellen Betätigung in steigendem Maße zur Förderung einer gegen Deutschland verschworenen polnischen Volksgemeinschaft unter Führung der Intelligenz beiträgt. Was im Laufe der Geschichte des polnischen Volkes, was selbst in den ersten Jahren der deutschen Herrschaft nicht möglich war, nämlich die Herbeiführung einer auf ein einheitliches Ziel ausgerichteten und innerlich auf Gedeih und Verderb zusammenhaltenden Volksgemeinschaft, droht nun durch die deut schen Maßnahmen langsam aber sicher Wirklichkeit zu werden. An diesem Prozeß der Zusammenschließung der einzelnen polnischen Bevölkerungsschichten kann die deutsche Führung angesichts der damit wachsenden Abwehrkraft der Polen nicht achtlos vorübergehen. Die deutsche Führung müßte auch durch gewisse kulturelle Konzessionen die Klassengegensätze fördern und nach Möglichkeit eine Bevölkerungsschicht gegen die andere ausspielen können.

4. Die Arbeitererfassung und die bei ihr allerdings vielfach unter dem unausweichlichen Druck der Verhältnisse beobachteten Methoden haben, gefördert durch eine geschickte bolschewistische Agitation, eine ungeheure Haßstimmung in weitesten Kreisen erzeugt. Die hierbei gewonnenen Arbeiter kommen vielfach mit einer tiefgründigen Entschlossenheit zum positiven Widerstand, ja zur aktiven Sabotage zum Einsatz. Eine Verbesserung der Werbemethoden in Verbindung mit der Weiterarbeit an der Abstellung von immer noch vorhandenen Mißständen in der Behandlung der polnischen Arbeiter im Reich, eine auch nur notdürftige Fürsorge endlich für die zurückgebliebenen Familienangehörigen würde eine Stimmungsverbesserung auf diesem Gebiet bewirken, die sich in Hebung der Arbeitsfreude und Produktionssteigerung im deutschen Interesse umsetzen würde.

5. Die deutsche Verwaltung ist zu Beginn des Krieges unter Entfernung des polnischen Elements in allen wichtigen [139] Stellen aufgebaut worden. Der vorhandene Bestand an deutschen Kräften war schon immer quantitativ und qualitativ unzulänglich. Im vergangenen Jahr vollends mußte unter dem Druck der Ersatzanforderungen der Wehrmacht eine sehr erhebliche Abgabe deutscher Arbeitskräfte erfolgen. Es mußten schon bisher zwangsläufig nichtdeutsche Arbeitskräfte in verstärktem Maße herangezogen werden. Bei einer wesentlichen Änderung in der Behandlung der Polen könnte die Verwaltung unter Beachtung aller gebotenen Vorsicht das polnische Element stärker zur Mitarbeit heranziehen, ohne welche die Verwaltung bei dem gegenwärtigen Kräftebestand, von späteren Abzügen nicht zu reden, gar nicht aufrechterhalten werden kann. Die stärkere Beteiligung der Polen würde auch an sich zu einer weiteren Verbesserung der Stimmung beitragen.

Neben den in diesen Vorschlägen aufgezeigten positiven Änderungen bedürfen eine Reihe von Methoden, die bisher bei der Behandlung der Polen beobachtet wurden, einer Abänderung oder müssen sogar zumindest während der Dauer des europäischen Kampfes völlig eingestellt werden.

1. Daß Beschlagnahme und Aussiedlung auf dem Gebiet landwirtschaftlichen Grund und Bodens für die landwirtschaftliche Erzeugung weitgehende und nicht wiedergutzumachende Störun gen mit sich gebracht haben, habe ich bereits in Sonderberichten dargetan. Nicht minder groß ist der stimmungsmäßig mit solchen Aktionen verbundene Schaden. Schon die Beschlagnahme eines Großteils des polnischen Großgrundbesitzes hat die naturgemäß stets antibolschewistisch eingestellten davon betroffenen Schichten des polnischen Volkes verständlicherweise verbittert. Ihre gegnerische Einstellung fällt aber wegen ihrer geringen zahlenmäßigen Stärke und ihrer völligen Absonderung von der Masse des Volkes lange nicht so ins Gewicht, wie die Haltung der Masse der meist kleinbäuerlichen Bevölkerung. Die aus wehrpolitischen Gründen zweifellos notwendige Aussiedlung polnischer Bauern aus dem Wehrplangebiet hat schon eine ungünstige Auswirkung auf die Gesinnung und Haltung vieler Bauern gehabt. Immerhin hielt sich diese Aussiedlung räumlich in gewissen Grenzen. Sie wurde auch durch sorgfältige Vorbereitung seitens der Regierungsdienststellen unter Vermeidung unnötiger Härten durchgeführt. Die vom Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums für notwendig erachtete Aussiedlung polnischer Bauern im Distrikt Lublin mit dem Ziel der Einsetzung volksdeutscher Siedler war schon im Umfange ungleich wichtiger. Sie wurde dazu noch, wie ich bereits gesondert berichtet habe, in einem [140] Tempo und nach Methoden durchgeführt, welche eine über haupt nicht meßbare Erbitterung unter der Bevölkerung geschaffen haben. Familien wurden in kürzester Frist auseinandergerissen, die Arbeitsfähigen ins Reich verschickt, während alte Leute und Kinder in leerstehende Judenghettos eingewiesen wurden. Dies ist mitten im Winter 1942/43 geschehen, wobei unter der ausgesiedelten Bevölkerung erhebliche Verluste, besonders unter dem letztgenannten Personenkreis, eingetreten sind. Mit der Aussiedlung war eine völlige Enteignung der beweglichen und unbeweglichen Habe der Bauern verbunden. Die gesamte Bevölkerung verfiel in den Glauben, daß die bisherige Aussiedlung den Anfang einer Gesamtaussiedlung der Polen aus dem Gebiet des Generalgouvernements bedeute. Allgemein wurde die Auffassung vertreten, daß es den Polen ähnlich ergehen würde wie den Juden. Für die kommunistische Agitation war die Umsiedlung im Distrikt Lublin eine willkommene Gelegenheit, um mit der ihr eigenen Geschicklichkeit die Stimmung im ganzen Generalgouvernement, ja bis in die eingegliederten Ostgebiete hinein, nachhaltig zu vergiften. So kam es, daß erhebliche Teile der Bevölkerung in den Aussiedlungsgebieten, aber auch in von ihr nicht betroffenen Gebieten in die Wälder geflüchtet sind und den Banden erheblichen Zulauf gebracht haben. Die Folge war eine ungeheure Verschlechterung der Sicherheitslage. Diese zur Verzweiflung getriebenen Menschen werden von geschickten Agenten zu einer planmäßigen Störung der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion mißbraucht.

2. Daß die Gewährleistung der Sicherheit der Person eine unabdingbare Voraussetzung für eine bessere Einschaltung der Masse der polnischen Bevölkerung im Abwehrkampf gegen den Bolschewismus bildet, ist bereits bei der ersten Erwähnung des Katyner Verbrechens dargetan. Der mangelnde Schutz vor willkürlich erscheinenden Verhaftungen und Erschießungen ist ein Hauptargument kommunistischer Propagandaparolen. Erschießungen von Frauen, Kindern und Greisen in aller Öffentlichkeit, wie sie immer wieder ohne Wissen und gegen den Willen der Führung durchgeführt worden sind, müssen unter allen Umständen unterbleiben. Selbstverständlich fallen hierunter nicht öffentliche Hinrichtungen von Banditen und Partisanen. Bei Kollektivstrafen, die fast immer Unschuldige treffen und gegen eine in ihrer Grundhaltung politisch indifferente Bevölkerung verhängt werden, kann die ungünstige psychologische Auswirkung überhaupt nicht ernst genug genommen werden. Schwerwiegende Strafmaßnahmen und Hinrichtungen sollten nur [141] nach Durchführung eines wenigstens dem primitivsten Rechtsempfinden entsprechenden Verfahrens und unter Verkündung eines Urteils erfolgen. Auch wenn das Gerichtsverfahren noch so einfach, noch so mangelhaft und improvisiert durchgeführt wird, vermeidet oder mildert es die ungünstigen Auswirkungen einer von der Bevölkerung als rein willkürlich empfundenen Strafmaßnahme und beeinträchtigt die bolschewistische Agitation, welche die jetzigen deutschen Maßnahmen nur als Vorspiel zu künftigen Ereignissen darstellt. Dazu kommt, daß Kollektivstrafen, die sich naturgemäß vorwiegend gegen Unschuldige, im schlimmsten Fall Gezwungene oder Verzweifelte richten, nicht gerade als Zeichen der Stärke der herrschenden Macht bewertet werden, von der die Bevölkerung erwartet, daß sie die Terroristen selbst trifft und sie dadurch von der auf ihr lastenden Unsicherheit befreit.«

Ich gehe nun über zu Seite 37 des Berichts und zitiere unter 3.):

»Neben den unter 1. und 2. aufgezeigten wichtigsten Voraussetzungen für die Befriedung des Generalgouvernements muß auch bei der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung die Sicherheit des Eigentums gewährleistet bleiben, wenn dem nicht zwingende Kriegsnotwendigkeiten entgegenstehen. Entschädigende Enteignungen oder Beschlagnahmen auf dem industriellen Sektor, bei Handel und Gewerbe und sonstigem Privateigentum sollten in jedem Falle unterbleiben, sofern sich nicht der Eigentümer oder Verfügungsberechtigte gegen die deutsche Autorität vergangen hat. Ist die Inan spruchnahme von industriellen Unternehmungen, gewerblichen Betrieben oder Grundstücken aus kriegswichtigen Gründen erforderlich, sollte in jedem Falle unter Vermeidung von Härten und unter Gewährung einer angemessenen Entschädigung vorgegangen werden. Durch ein solches Vorgehen würde einerseits die Initiative polnischer Unternehmer gefördert und andererseits eine Schädigung deutscher kriegswirtschaftlicher Interessen vermieden werden.

4. Bei der Beeinflussung der Stimmung der Polen kommt dem Einfluß der katholischen Kirche eine Bedeutung zu, die gar nicht überschätzt werden kann. Ich verkenne nicht, daß die katholische Kirche immer zu den Vorkämpfern eines staatlich unabhängigen Polens gehört hat. Zahlreiche Geistliche haben auch nach der deutschen Besetzung noch ihren Einfluß in dieser Richtung geltend gemacht. Auch in diesen Kreisen sind Hunderte von Verhaftungen durchgeführt worden. Eine Reihe von Priestern sind in Konzentrationslager überführt [142] und auch erschossen worden. Für die Gewinnung der Stimmung der polnischen Bevölkerung ist aber, wenn auch nicht eine Mitarbeit, doch wenigstens eine legale Haltung der Kirche erforderlich. Sie kann zweifellos gerade heute unter dem Eindruck des Verbrechens von Katyn für eine Verstärkung der Abwehrfront gegen den Bolschewismus im polnischen Volk gewonnen werden, weil sie schon aus Selbsterhaltungstrieb eine bolschewistische Herrschaft im Weichselraum ablehnen muß. Voraussetzung hierfür ist aber, daß künftig alle nicht durch unmittelbare Kriegsinteressen gebotenen Maßnahmen gegen ihre Betätigung und ihren Besitzstand unterlassen werden. Bis in die letzte Zeit ist durch Schließung von Klöstern, kirchlichen Anstalten und Wohltätigkeitseinrichtungen ein Schaden angerichtet worden...«


VORSITZENDER: Dr. Seidl! Ich dachte, Ihre Auszüge würden kurz sein. Sie haben nunmehr von Seite 53 bis Seite 65 vorgelesen.

DR. SEIDL: Herr Präsident. Dieses Dokument ist das einzige dieser Art, das mir zur Verfügung steht, und im Hinblick darauf, daß die Anklage nur die Stellen wörtlich zitiert hat, die der Angeklagte Dr. Frank selbst gerade auf das schärfste verurteilt hat, hielt ich es für meine Pflicht, nun auch meinerseits eine größere Anzahl von Stellen wörtlich zu zitieren, und den Gesamteindruck richtig wiederzugeben und zu zeigen, was eigentlich der Angeklagte Dr. Frank mit diesem Dokument erreichen wollte. Aber ich werde nur noch wenige Zeilen zitieren und dann auf ein anderes Dokument übergehen.


VORSITZENDER: Ich hatte gehofft, ein oder zwei Auszüge aus diesem Dokument würden zeigen, was der Angeklagte Frank erreichen wollte, ein oder zwei Absätze.


DR. SEIDL: Ich gehe dann sofort auf das nächste Dokument über, Herr Präsident. Es ist das auf Seite 68 die eidesstattliche Versicherung des Zeugen Dr. Bühler, die ich dem Zeugen heute vorgehalten habe und die die Beweisstücknummer Frank 1 erhalten hat. Seite 68 des Dokumentenbuches.

Seite 70 ist das Beweisstück US-473, L-49. Wenn ich mich recht erinnere, dann ist dieses Dokument von der Anklage bereits ganz verlesen worden, und ich bitte das Gericht, lediglich auch im Beweisverfahren für den Angeklagten Frank amtlich davon Kenntnis nehmen zu wollen.

Seite 72 des Dokumentenbuches ist eine eidesstattliche Versicherung des früheren Kreishauptmanns Dr. Albrecht. Um korrekt zu sein, muß ich sagen, daß es sich hier noch nicht um eine eidesstattliche Versicherung im engeren Sinne handelt. Es handelt sich in Wirklichkeit zunächst nur um ein Schreiben, das dieser Kreishauptmann Dr. Albrecht über den Generalsekretär des Gerichts an mich gerichtet [143] hat. Ich habe dann dieses Schreiben zurückgeschickt, damit es von dem Zeugen beeidet würde. Ich muß aber sagen, daß bis jetzt das beeidete Protokoll noch nicht zurückgekommen ist, so daß zunächst dieses Beweisstück nur den materiellen Beweiswert eines Briefes hat; und ich bitte das Gericht, zu entscheiden, ob auch als Brief dieses Dokument vom Gericht als Beweisstück entgegengenommen wird.


VORSITZENDER: Ich glaube, der Gerichtshof hat sich mit dieser Frage schon vorher beschäftigt, als Sie Ihr Gesuch vorgelegt hatten. Der Gerichtshof wird das Dokument als das annehmen, was es seinem Beweiswert nach ist. Falls Sie es in Form einer eidesstattlichen Versicherung erhalten, werden Sie es zweifellos einreichen.


DR. SEIDL: Jawohl. Das wird dann Beweisstück Frank Nummer 7. Ich verzichte darauf, die ersten Ziffern zu verlesen und gehe sofort über zu Seite 74 des Dokumentenbuches und zitiere unter Ziffer 4 wörtlich:

»Dr. Franks Kampf gegen die Ausbeutung und Vernachlässigung des Generalgouvernements zugunsten des Reiches, Konflikt mit Berlin.

Das erste Zusammentreffen mit Dr. Frank erfolgte kurze Zeit nach der Gründung des Generalgouvernements im Herbst 1939 in der polnischen Distriktshauptstadt Radom, wo die 10 Kreishauptämter dieses Distriktes über die Lage der Bevölkerung ihrer Verwaltungsbezirke und die Probleme eines möglichst raschen und wirksamen Wiederaufbaues des allgemeinen sowie des Verwaltungs- und Wirtschaftslebens zu berichten hatten. Hervorstechend war die besondere Aufmerksamkeit Dr. Franks und seine tiefe Sorge um das ihm anver traute Gebiet. Sie fand ihren Ausdruck in der Weisung, das Generalgouvernement weder als Ausbeutungsobjekt noch als Verfallsgebiet zu betrachten und zu behandeln oder behandeln zu lassen, sondern als Ordnungszelle und Intensivgebiet im Rücken der kämpfenden deutschen Front und vor den Toren der deutschen Heimat, gleichsam als Brückenland zwischen beiden. Deshalb habe der loyale einheimische Bewohner dieses Landes Anspruch auf den vollen Schutz der deutschen Verwaltung als Bürger des Generalgouvernements. In diesem Sinne wurde der restlose Einsatz aller Behörden und Wirtschaftskreise von ihm gefordert und über die laufenden Kontrollen durch die Aufsichtsbehörden persönlich von ihm durch periodische Inspektionsreisen unter Beteiligung der zentralen Fachbehörden überwacht. So wurden z.B. die beiden von mir verwalteten Kreishauptmannschaften dreimal in vier Jahren persönlich von ihm revidiert.

Gegenüber den Forderungen der Berliner Zentralstellen, welche glaubten, aus dem Generalgouvernement mehr ins [144] Reich einführen zu können als diesem zuträglich war, vertrat Dr. Frank mit aller Energie die staatliche Selbständigkeit des Generalgouvernements als ›Nebenland des Reiches‹ und seine eigene Unabhängigkeit als unmittelbar nur dem Gesamt-Staatsoberhaupt, nicht aber der Reichsregierung Unterstellter. Auch wies er uns an, derartigen Ersuchen, welche etwa auf Grund persönlicher Beziehungen zu unseren Entsendebehörden oder Fachministerien im Reich an uns ergehen sollten, keinesfalls zu entsprechen, sondern, wenn wir deswegen in Konflikt mit der von uns gleichwohl erwarteten Treuepflicht gegenüber dem Reich gerieten, ihm darüber zu berichten. Diese feste Haltung trug Dr. Frank den Unwillen der Berliner Regierungskreise und dem Generalgouvernement den Spottnamen ›Frankreich‹ ein. Es setzte ein Verleumdungsfeldzug gegen ihn und die gesamte Generalgouvernement-Verwaltung im Reich ein, in dem bedauerliche Ungeschicklichkeiten und menschliche Unzulänglichkeiten Einzelner systematisch verallgemeinert und aufgebauscht wurden, während man die tatsächlichen Aufbauleistungen zu verkleinern suchte.«

Ich bitte von Ziffer 5 dieses Berichts lediglich Kenntnis zu nehmen, ebenso von Ziffer 6, und zitiere lediglich noch von Ziffer 7:

»Dr. Frank als Gegner von Gewalttaten gegen die einheimische Bevölkerung, insbesondere als Gegner der SS.

Außer über die Ausbeutung und Verelendung des Generalgouvernements ging auch der Vorwurf der Versklavung der einheimischen Bevölkerung sowie ihrer Zwangsverschleppung ins Reich und von mancherlei Vergewaltigungen durch die Zeitungsberichte über den Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß und wurde als schwere Belastung Dr. Franks hingestellt. Was die Gewalttaten angeht, so trifft hieran die Schuld nicht Dr. Frank, sondern zu einem Teil die zahlreichen nichtdeutschen Agenten und Provokateure, welche mit zunehmendem Druck auf die kämpfenden deutschen Fronten ihre unterirdische Tätigkeit steigerten, zum anderen vor allem den früheren Staatssekretär für das Sicherheitswesen im Generalgouvernement, SS-Obergruppenführer Krüger und seine Organe. Meine Beobachtungen in dieser Hinsicht sind allerdings wegen der starken Geheimhaltung dieser Dienststellen gering.

Dr. Frank dagegen ging in seinem Entgegenkommen gegenüber der polnischen Bevölkerung so weit, daß ihm dies häufig von seinen deutschen Landsleuten übelgenommen wurde. Daß er aber mit seinem Eintreten für die berechtigten Interessen der polnischen Bevölkerung das Richtige getroffen hatte, beweist zum Beispiel die eindrucksvolle Tatsache, daß sich knapp eineinhalb Jahre nach der Niederlage des polnischen [145] Volkes im Feldzug der 18 Tage der Aufmarsch der deutschen Heeresmassen gegen Rußland im polnischen Raum ohne nennenswerte Störung vollzog, und die Ostbahn die Truppentransporte mit polnischem Personal bis an die vordersten Entladestellen fahren lassen konnte, ohne sie durch Sabotageakte verzögert zu sehen.«

Ich gehe auf den letzten Absatz auf Seite 79 über:

»Diese humane Einstellung Dr. Franks, welche ihm Hochachtung und Sympathie in weiten Krei sen der Einheimischen erwarb, führte andererseits zu schweren Konflikten mit der SS, in deren Kreisen als Leitwort ihres Denkens und Handelns das Wort Himmlers kursierte: ›Nicht lieben, sondern fürchten sollen sie uns‹.

Es kam zeitweise zum völligen Bruch. Ich erinnere mich noch genau, daß Dr. Frank bei einem Regierungsbesuch der Karpathen-Bezirke der Kreishauptmannschaft Stanislau im Sommer 1943 in Jaremtsche am Pruth auf einem einsamen Spaziergang mit mir und meiner Frau sich in bittersten Worten über die Willkürakte der SS Luft machte, welche so oft seine politische Linie durchkreuzten. Er nannte die SS damals die ›Schwarze Pest‹ und wies, als er unser Erstaunen bemerkte, sogar aus seinem Munde eine solche Kritik zu hören, darauf hin, daß es zum Beispiel durchaus unabwendbar sein würde, wenn eines Tages oder Nachts meine Frau durch Organe der Gestapo unschuldig verhaftet würde und auf Nimmerwiedersehen verschwände, ohne die Möglichkeit der Verteidigung in einem Gerichtsverfahren erhalten zu haben. Einige Zeit darauf hielt er vor den Studenten in Heidelberg eine aufsehenerregende stürmisch begrüßte Rede über die Notwendigkeit der Wiederherstellung eines deutschen Rechtsstaates, wie er stets dem wahren Bedürfnis der Deutschen entsprochen hätte. Als er diese Rede in Berlin wiederholen wollte, soll er, wie mir aus zuverlässiger, jetzt aber leider vergessener Quelle mitgeteilt wurde, auf Be treiben Himmlers ein Redeverbot auf ein Vierteljahr vom Führer und Reichskanzler erhalten haben. Der Kampf gegen die Gewaltmethoden der SS ging bis zu einem Nervenzusammenbruch Dr. Franks, der einen längeren Erholungsurlaub erforderlich machte. Nach meiner Erinnerung war dies im Winter 1943/44.«

Von Ziffer 8 bitte ich das Gericht amtlich Kenntnis nehmen zu wollen, und ich gehe über auf Seite 84 des Dokumentenbuches. Es ist das eine eidesstattliche Versicherung des SS-Obergruppenführers Erich von dem Bach-Zelewski vom 21. Februar 1946. Diese eidesstattliche Versicherung wird Beweisstück Frank Nummer 8.

VORSITZENDER: Wurde dieser Zeuge nicht vernommen?

[146] DR. SEIDL: Dieser Zeuge wurde hier bereits von der Anklagevertretung vernommen. Ich habe dann den Antrag gestellt, daß ich entweder den Zeugen noch einmal verhören darf, oder aber, daß mir eine eidesstattliche Versicherung genehmigt wird. Das Gericht hat dann, soviel ich weiß, am 8. März 1946 einen Beschluß erlassen, daß ich eine eidesstattliche Versicherung dieses Zeugen vorlegen dürfte, daß es aber der Anklagevertretung freistünde, den Zeugen dann noch einmal im Kreuzverhör zu vernehmen.


VORSITZENDER: Gut.

DR. SEIDL: Ich gehe sofort über zu den Angaben des Zeugen zu dieser Sache und zitiere wörtlich:

»1. Aus Anlaß des Überwechselns russischer Partisanengruppen über die Bug-Linie ins Generalgouvernement im Jahre 1943 erklärte Himmler das Generalgouvernement zum ›Bandenkampfgebiet‹. Damit war für mich als ›Chef der Bandenkampfverbände‹ die Verpflichtung gegeben, das Generalgouvernement zu bereisen, Meldungen und Erfahrungen zu sammeln und über die Partisanenbekämpfung Berichte und Vorschläge zu unterbreiten.

In der allgemeinen Information, die mir Himmler erteilte, bezeichnete er den Generalgouverneur Dr. Frank als einen Vaterlandsverräter, der mit den Polen unter einer Decke stecke und den er in nächster Zeit beim Führer zu Fall bringen würde. Ich entsinne mich noch an zwei Vorwürfe, die Himmler gegen Frank erhob:

a) Frank hätte auf einer Juristentagung im Altreichsgebiet die Ausführung gemacht: ›ein schlechter Rechtsstaat wäre ihm lieber als der bestgeführteste Polizeistaat‹ und

b) Frank wäre in einer Rede vor einer polnischen Abordnung von Maßnahmen Himmlers abgerückt und hätte die mit der Ausführung Beauftragten durch den von ihm gebrauchten Ausdruck ›militante Persönlichkeiten‹ vor den Polen herabgesetzt.

Nachdem ich auf einer Rundreise mich persön lich an Ort und Stelle über die Lage im Generalgouvernement orientiert hatte, suchte ich in Krakau den Höheren SS- und Polizeiführer Krüger und den Generalgouverneur Dr. Frank auf.

Krüger sprach sehr auffällig über Dr. Frank und machte Franks schwankende und labile Politik den Polen gegenüber für die Zustände im Generalgouvernement verantwortlich, plädierte für ein schärferes und rücksichtsloseres Vorgehen und erklärte, er würde nicht eher ruhen, bis der Verräter Frank gestürzt sei. Ich hatte bei den Ausführungen Krügers den Eindruck, daß auch persönliche Motive seine Haltung [147] beeinflußten und daß er gern selbst Generalgouverneur geworden wäre.

Anschließend hatte ich eine längere Aussprache mit Dr. Frank, berichtete ihm über meine Eindrücke, während Frank längere Ausführungen über eine neue Polenpolitik machte, die auf eine Beruhigung der Polen auf dem Wege von Zugeständnissen hinzielte. In Übereinstimmung mit meinen persönlichen Eindrucken machte Dr. Frank für die Zuspitzung der Lage im Generalgouvernement verantwortlich:

a) Die rücksichtslose Umsiedlungsaktion jetzt mitten im Kriege, besonders das sinn- und zwecklose Umsiedeln des SS- und Polizeiführers Globocnik in Lublin und

b) das zu geringe Lebensmittelkontingent, das dem Generalgouvernement verbliebe.

Als ausgesprochene Feinde einer Versöhnungs politik bezeichnete, Dr. Frank Krüger und Globocnik, die unbedingt abberufen werden müßten.

In der Überzeugung, daß nach einem Scheitern Dr. Franks nur eine rücksichtslosere Persönlichkeit sein Nachfolger werden würde, sagte ich ihm meine Unterstützung zu. Nach Zusicherung strengster Verschwiegenheit sagte ich Frank, daß auch in seiner Auffassung sei, Krüger und Globocnik müßten verschwinden. Er, Dr. Frank, wüßte jedoch, daß Himmler ihn hasse und seine Absetzung bei Hitler betreibe. Bei dieser Sachlage würde ein Antrag Franks auf Abberufung von Krüger und Globocnik nicht nur abgelehnt werden, sondern deren Position bei Himmler nur stärken. Frank solle mir freie Hand lassen, dann könnte ich ihm versprechen, daß in kürzester Zeit beide abgelöst würden. Dr. Frank stimmte zu, und ich benützte militärische Fehler, die Krüger und Globocnik begingen, bei Himmler ihre Abberufung durchzusetzen.

3. Der Warschauer Aufstand 1944...«


VORSITZENDER: Ich muß Sie darauf hinweisen, daß Sie sagten, Sie würden nur zwei Stunden für die fünf Bände benötigen. Sie haben sich bereits mehr als eine Stunde mit einem Band beschäftigt und lesen fast alles aus diesen Dokumenten vor. Das hatte der Gerichtshof nicht beabsichtigt. Ihnen waren kurze Bemerkungen gestattet, die den Zusammenhang der Dokumente untereinander und den Zusammenhang mit dem gesamten übrigen Beweismaterial zeigen sollten. Aber das tun Sie nicht.

DR. SEIDL: Ich bitte dann das Gericht, von Ziffer 3 der eidesstattlichen Versicherung des Zeugen von dem Bach-Zelewski amtlich [148] Kenntnis zu nehmen. Diese Ziffer beschäftigt sich mit dem Warschauer Aufstand im Jahre 1944 und mit der Frage, ob der Generalgouverneur mit der Niederschlagung dieses Aufstandes irgend etwas zu tun hatte. Ich gehe dann über auf Seite 92 des Dokumentenbuches.


VORSITZENDER: Enthält die Anklageschrift tatsächlich irgend etwas im Zusammenhang mit der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes vom Jahre 1944?


DR. SEIDL: In der Anklageschrift selbst steht nichts über den Anteil des Generalgouverneurs an der Niederschlagung dieses Aufstands. Es hat aber die Sowjet-Anklagevertretung ein Telegramm vorgelegt, von dem zwar nicht feststeht, ob es abgeschickt wurde, das aber doch den Angeklagten Dr. Frank in irgendeine Beziehung zu dem Warschauer Aufstand gebracht hat. Ich will aber jetzt nähere Ausführungen darüber nicht machen und gehe über zu Seite 92 des Dokumentenbuches. Es ist das eine eidesstattliche Versicherung des Zeugen Wilhelm Ernst von Palézieux, für den das Gericht einen Fragebogen bewilligt hat, wobei mir aber vom Gericht mitgeteilt wurde, daß auch an Stelle eines Fragebogens eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt werden könnte. Ich zitiere lediglich die zwei wesentlichen Absätze. Es heißt dort wörtlich wie folgt:

»Die seit Frühjahr 1943 auf der Burg in Krakau eingelagerten Kunstschätze wurden dort staatsamtlich und legal verwaltet. Dr. Frank hat mir gegenüber die Kunstschätze immer als Staatsbesitz des Generalgouvernements bezeichnet. Von den vorhandenen Kunstschätzen waren schon vor meiner Anwesenheit in Polen Verzeichnisse aufgenommen worden; das Verzeichnis der ersten Wahl lag als Katalog mit Beschreibung und Herkunftsangabe der Gegenstände gedruckt in Buchform vor, es war im Auftrag des Generalgouverneurs hergestellt worden.«


VORSITZENDER: Sie lesen nun die eidesstattliche Versicherung wieder ganz vor. Wir wollen diese...

DR. SEIDL: Herr Präsident! Ich habe angenommen, daß in den Fällen, wo ein Zeuge nicht vor Gericht persönlich vernommen wird, es zulässig ist, daß entweder der Fragebogen verlesen wird oder das Affidavit, weil ja sonst der Inhalt der Zeugenaussagen nicht Inhalt des Protokolls und damit Gegenstand des Verfahrens wird.


VORSITZENDER: Diese Regelung wurde deshalb getroffen, damit die Angeklagten und ihre Verteidiger die Möglichkeit haben, das Dokument in deutscher Sprache zu hören. Deshalb wurden die Dokumente über das Mikrophon verlesen. Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen. Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, daß Sie den Vortrag Ihres urkundlichen Beweismaterials abkürzen müssen. [149] Wir beschäftigen uns bereits mehr als eine Stunde mit einem Buch, und wir haben uns mit noch weiteren vier Büchern zu befassen. Es ist für Ihren Fall keineswegs förderlich, alle diese langen Stellen zu verlesen, weil der Prozeß noch mehrere Wochen dauern wird. Sie brauchen nur verbindende Erklärungen abzugeben, um die Dokumente verständlich zu machen und sie mit den mündlichen Zeugenaussagen, die hier gemacht werden, in Beziehung zu bringen.


[Das Gericht vertagt sich bis

24. April 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 12, S. 109-151.
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