Vormittagssitzung.

[316] DER GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Dönitz wird der Sitzung nicht beiwohnen.

VORSITZENDER: Ja, Dr. Horn.


DR. HORN: Am 16. Februar 1923 übertrug eine Botschafterkonferenz die Souveränität des Memellandes auf Litauen, nachdem es 1923 durch Handstreich litauischer Soldaten bereits annektiert war. Was veranlaßte Hitler, diese Richtlinien für die Rückgliederung des Memellandes 1939 zu geben?


VON RIBBENTROP: Das kleine Memelland war von jeher, als das Land unseres Deutschlandliedes, eine Herzensangelegenheit des ganzen deutschen Volkes. Die militärischen Tatsachen sind bekannt. Es wurde nach dem verlorenen Krieg unter die Alliierten Mächte gestellt, später wurde es durch litauische Soldaten besetzt, durch einen Handstreich. Das Land selbst ist Urdeutsches Gebiet, und es war eine natürliche Entwicklung, daß dieses Land wieder zu Deutschland wollte. Der Führer hat mir dann auch bereits im Jahre 1938 dieses Problem als eines derer bezeichnet, die früher oder später gelöst werden müßten. Im Frühjahr 1939 haben wir Verhandlungen mit der Litauischen Regierung aufgenommen. Diese Verhandlungen führten dann zu einem Zusammentreffen des litauischen Außenministers Urbszys mit mir, und es wurde ein Vertrag unterzeichnet, durch den das Memelland dem Deutschen Reich wieder eingegliedert wurde. Das war im März 1939. Auf die großen Leiden dieses Landes in den vergangenen Jahren brauche ich nicht einzugehen. Jedenfalls war es absolut dem Selbstbestimmungsrecht der Völker entsprechend, daß dem Willen der Memelländer im Jahre 1939 stattgegeben wurde, und der Vertrag vollzog eigentlich nur einen Zustand, der natürlich war, und der früher oder später hätte herbeigeführt werden müssen.


DR. HORN: Ein halbes Jahr später kam es dann zum Polenkrieg. Worin sahen Sie die entscheidenden Tatsachen, die zu diesem Kriegsausbruch führten?


VON RIBBENTROP: Ich habe hierüber schon gestern ausgesagt. Das Entscheidende war die englische Garantie für Polen. Darüber brauche ich nicht mehr zu sprechen. Dadurch wurde Polen jegliche Verhandlung und jegliche Verständigung mit uns im Hinblick auf die polnische Mentalität unmöglich. Was den unmittelbaren Kriegsausbruch anbetrifft, so sind es folgende Tatsachen:

Erstens: Es ist kein Zweifel, daß....


[316] MR. DODD: Hoher Gerichtshof! Ich führte heute vormittag allgemein aus, und ich wiederhole meine gestrige Feststellung, daß ich nur sehr ungern hier in dieses Verhör eingreife, aber der Zeuge hat selbst gesagt: »Wir haben all dies gestern behandelt.« Wir haben die ganze Geschichte gestern nachmittag von ihm gehört.

Ich möchte darauf hinweisen, daß der Zeuge selbst, bevor er antwortete, sagte, daß er schon gestern die Gründe für den Krieg angegeben habe, und ich stimme mit ihm vollkommen überein. Ich halte es für ganz unnötig, daß er heute nochmals darauf eingeht. Ich möchte nebenbei noch einschalten, daß wir schon gestern sehr im Zweifel darüber waren, ob sein Vorbringen erheblich und wesentlich ist, aber sicherlich brauchen wir ihn nicht nochmals darüber zu hören.


VORSITZENDER: Was sagen Sie dazu, Dr. Horn?


DR. HORN: Ich möchte dazu sagen, daß der damalige deutsche Außenminister, der des Angriffskrieges angeklagt ist, doch wohl ein paar Ausführungen machen darf über die entscheidenden Tatsachen, wie er sie sah, die zum Kriegsausbruch führten. Der Angeklagte soll natürlich nicht noch einmal vortragen, was er gestern schon vorgetragen hat, sondern ich will, daß er das, was er gestern noch nicht so präzise ausgeführt hat, heute vorträgt, und das wird den Gerichtshof nicht so lange in Anspruch nehmen.


VORSITZENDER: Einverstanden, Dr. Horn, vorausgesetzt natürlich, daß er nicht wieder über genau dieselben Dinge spricht, die er gestern ausgeführt hat.


DR. HORN: Bitte, führen Sie ganz kurz diese Tatsachen, die Sie bestimmten, aus.


VON RIBBENTROP: Es sind nur ein paar kurze Tatsachen, und es handelt sich nur – ich will nur sprechen über die letzten zwei Tage.

Erstens: Es ist kein Zweifel, daß am 30. und 31. August man in England genau über die ungeheuer gespannte Lage orientiert war. Man hat diese Tatsache auch Hitler in einem Briefe mitgeteilt, und Adolf Hitler hat hier gesagt, daß ein schnellster Entschluß und schnellste Lösung notwendig sei. Dies war im Briefe von Chamberlain an Adolf Hitler.

Zweitens: England wußte, daß die Vorschläge, die Deutschland gemacht hatte, vernünftig waren, denn wir wissen, daß England im Besitz dieser Vorschläge war in der Nacht vom 30. zum 31. August. Botschafter Henderson hat diese Vorschläge selbst als vernünftig bezeichnet.

Drittens: Es wäre daher möglich gewesen, im Laufe des 30. und 31. irgendeinen Wink nach Warschau zu geben und den Polen zu sagen, sie möchten irgendwie die Verhandlungen mit uns beginnen. [317] Dies wäre möglich gewesen, und zwar auf dreierlei Art. Entweder es hätte ein polnischer Unterhändler nach Berlin fliegen können. Das war ein Flug, wie der Führer gesagt hatte, von ein bis eineinhalb Stunden. Oder es hätte ein Zusammentreffen zum Beispiel von den Außenministern oder den Staatsoberhäuptern an der Grenze stattfinden können. Oder, noch einfacher, es hätte der Botschafter Lipski beauftragt werden können, zumindest noch einmal die deutschen Vorschläge entgegenzunehmen. Wäre dieser Auftrag gegeben worden, so wäre damit die Krise behoben gewesen und es wäre zu diplomatischen Verhandlungen gekommen. England selbst hätte, wenn es das wollte, sich ohne weiteres durch seinen Botschafter einschalten können, um bei den Verhandlungen zugegen zu sein, was deutscherseits nach dem ganzen Vorangegangenen zweifellos sehr begrüßt worden wäre.

Es ist aber dies nicht geschehen, sondern – wie, glaube ich, aus den mir hier erst bekanntgewordenen Dokumenten hervorgeht – es ist in dieser Zeit nichts geschehen, was irgendwie dieser sehr kritischen Situation gerecht werden konnte. Der polnische Chauvinismus ist natürlich. Wie wir aus den Worten des Botschafters Henderson beziehungsweise durch das Zeugnis des Herrn Dahlerus hier gehört haben, hat der Botschafter Lipski sehr starke Worte damals gebraucht, die die polnische Mentalität aufzeigten. Es ist also dadurch, daß Polen genau wußte, daß es unter allen Umständen die Hilfe von England und Frankreich haben würde, die Einstellung Polens so geworden, daß praktisch der Krieg unvermeidbar geworden ist. Ich glaube, daß diese Tatsachen doch für die historische Betrachtung dieser ganzen Phase von einiger Bedeutung sind. Ich selbst möchte sagen, daß ich die Entwicklung persönlich sehr bedauert habe. Es wurde eine fünfundzwanzigjährige Arbeit von mir damit beseitigt, und ich habe noch in letzter Stunde verschiedentlich versucht, alles zu tun, um diesen Krieg zu vermeiden. Ich glaube, das geht auch aus den Dokumenten des Botschafters Henderson selbst hervor, daß diese Versuche von mir gemacht worden sind. Ich habe Adolf Hitler gesagt, es sei Chamberlains heißester Wunsch, mit Deutschland zur Freundschaft zu kommen und zu einem Abkommen, und ich habe noch einen besonderen Beauftragten damals zur Botschaft in Berlin geschickt zu Henderson, um ihm zu sagen, wie ernst dieser Wunsch des Führers gemeint sei, und daß er alles tun möge, um seiner Regierung dieses Streben Adolf Hitlers ans Herz zu legen.


DR. HORN: Im April 1940 kam es zur Besetzung der Länder Dänemark und Norwegen. Am 31. Mai 1939 hatten Sie mit Dänemark einen Nichtangriffspakt abgeschlossen. Infolge dieser Tatsache hat Ihnen die Staatsanwaltschaft den Vorwurf einer perfiden Diplomatie gemacht. Wann und auf welche Weise erhielten Sie Kenntnis von der bevorstehenden Besetzung Dänemarks und Norwegens?


[318] VON RIBBENTROP: Es war immer der Wunsch des Führers und von mir, Skandinavien neutral zu halten. Ich habe im Rahmen der Politik Adolf Hitlers gegen die Kriegsausweitung auch alles getan, um diese durchzuführen.

Im April 1940 ließ mich eines Tages Hitler in die Reichskanzlei kommen. Er eröffnete mir, daß er Nachrichten habe, wonach die Besetzung oder die Landung englischer Truppen in Norwegen kurz bevorstünde. Er habe sich daher entschlossen, Norwegen und Dänemark zu besetzen, und zwar am übernächsten Vormittag. Das war das erste, was ich erfuhr. Ich war überrascht, und der Führer zeigte mir dann die verschiedenen Unterlagen, die er von seinem Nachrichtendienst bekommen hatte. Er beauftragte mich, sofort Noten vorzubereiten, um sowohl der Dänischen wie der Norwegischen Regierung mitzuteilen, daß dieser deutsche Einmarsch erfolgen würde. Ich habe den Führer darauf hingewiesen, daß wir mit Dänemark einen Nichtangriffsvertrag hätten, und auf die Neutralität Norwegens; ferner darauf, daß wir durch unsere Gesandtschaft in Oslo Nachrichten hätten, die nicht darauf hindeuten ließen auf eine Landung. Ich habe dann nach den Unterlagen, nachdem sie mir gezeigt wurden, den Ernst gesehen, wie ernst die Situation war, und daß diese Nachrichten ernst zu bewerten seien.

Ich bin dann am nächsten Tage bemüht gewesen, mit meinen Herren diese Noten vorzubereiten, die mit dem Flugzeug im Laufe des 8. April nach Oslo und Kopenhagen befördert wurden. Wir haben an dem Tage Tag und Nacht gearbeitet, um überhaupt diese Noten fertigstellen zu können. Es war der Befehl des Führers, daß diese Noten kurz vor der deutschen Besetzung in Oslo und Kopenhagen übergeben werden sollten. Dies wurde dann auch durchgeführt.

Die Besetzung Dänemarks vollzog sich nach meiner Kenntnis völlig reibungslos. Ich glaube, es ist kaum ein Schuß gefallen. Nach der Besetzung wurde sofort von uns mit der Dänischen Regierung Stauning verhandelt und Vereinbarungen getroffen, daß sich alles möglichst in Ruhe und in einer freundschaftlichen Atmosphäre abwickle. Es wurden Dänemark alle Garantien für die Integrität dieses Landes gegeben, und es hat auch in dem weiteren Verlauf sich in Dänemark alles verhältnismäßig ruhig abgewickelt.

In Norwegen lagen die Dinge etwas anders. Es war hier zu Widerständen gekommen. Wir haben dann versucht, den Norwegischen König im Lande zu behalten und ihn zu bestimmen, im Lande zu bleiben. Es wurde mit ihm noch verhandelt, aber dies gelang nicht, sondern ich glaube, er ging nach dem Norden, ich glaube nach Narvik, und wir konnten, wir hatten also dann Verhandlungsmöglichkeit mit Norwegen nicht mehr. Es wurde dann Norwegen bekanntlich besetzt; es wurde dort eine Zivilverwaltung eingesetzt.[319] Das Auswärtige Amt hatte von diesem Zeitpunkt mit diesen Dingen in Norwegen nichts mehr zu tun. Aber eins möchte ich noch sagen: daß der Führer mir wiederholt gesagt hat, daß diese Maßnahmen, die er getroffen hat, außerordentlich notwendig waren; und nach den gefundenen Dokumenten, die nach der Landung britischer Truppen in Norwegen gefunden worden sind, die dann veröffentlicht wurden, zeigte sich, daß ganz zweifelsohne die Besetzung dieser Länder und die Landung in Norwegen von England seit langer Zeit vorbereitet worden war.

Es ist nun auch im Verlaufe dieser Gerichtsverhandlung hier oft und wiederholt davon gesprochen worden von dem großen Leiden des dänischen und des norwegischen Volkes. Ich persönlich bin der Überzeugung, daß die Tatsache der deutschen Besetzung, die – man mag dazu stehen wie man will – aber in der praktischen Folge verhindert hat, daß Skandinavien zum Kriegsschauplatz wurde und damit, glaube ich, gerade dem dänischen und norwegischen Volke unermeßliche Leiden erspart hat, und wenn ein Krieg zwischen Skandinavien und Deutschland ausgebrochen wäre, wäre natürlich ein sehr viel größeres Leiden für diese Bevölkerung beschieden gewesen.


DR. HORN: Haben Sie vor der Besetzung Norwegens mit Quisling zu tun gehabt?


VON RIBBENTROP: Ich muß da sagen, daß der Name Quisling erst später eigentlich zu einem Begriff geworden ist. Vor der Besetzung Norwegens war er mir persönlich jedenfalls kein Begriff. Es ist richtig, daß von seiten Herrn Rosenbergs mit mir Verbindung aufgenommen worden ist, um die Deutschfreunde in Skandinavien im Rahmen – glaube ich – der damaligen Nordischen Bewegung zu unterstützen, wie das ein natürlicher Vorgang ist. Es sind auch damals von uns Gelder gegeben worden für Zeitungen, Propaganda und auch für politische Tätigkeit in Norwegen.

Bei diesen Besprechungen aber – des entsinne ich mich sehr genau – ist niemals etwa von irgendeiner politischen Machtergreifung durch bestimmte Kreise Norwegens oder von militärischen Operationen irgendwie gesprochen worden.


DR. HORN: Welchen Einfluß hatte das Auswärtige Amt nach der Besetzung Dänemarks in diesem Lande?


VON RIBBENTROP: Nach der Besetzung Dänemarks war das Auswärtige Amt vertreten durch einen Gesandten beim Dänischen König. Später wurde dann durch gewisse Ereignisse – ich glaube, es würde zu lang, dies auszuführen. Die Dänische Regierung trat zurück und es wurde dann ein Reichsbevollmächtigter dort ernannt. Gleichzeitig gab es in Dänemark einen Militärbefehlshaber und später einen Höheren SS-und Polizeiführer.

[320] Die Tätigkeit des Gesandten beim Dänischen König war die Tätigkeit eines normalen und sehr einflußreichen Gesandten, der die Dinge dort alle Schwierigkeiten versuchte zu überbrücken, die naturgemäß durch eine Besatzung immer kommen können; und die Tätigkeit des Reichsbevollmächtigten war später nach meinen Richtlinien diejenige, um Dänemark, man möchte sagen, als ein Land zu behandeln, das nicht in Feindschaft Deutschland gegenüberstand, sondern in Freundschaft. Wir haben immer das als die oberste Richtschnur unseres Handelns in Dänemark gehabt, und lange Zeit später, als es durch die Verschärfung des Krieges zu ernsteren Schwierigkeiten kam, herrschte auch in Dänemark für lange Kriegsjahre eigentlich vollkommene Ruhe, und wir waren mit dem Zustand dort sehr zufrieden.

Später ist es dann, wie gesagt, zu einer gewissen Verschärfung gekommen durch feindliche Agententä tigkeit, Gegenmaßnahmen und so weiter. Die Aufgabe des Reichsbevollmächtigten war aber immer so, daß er Instruktionen von mir hatte, die Dinge nicht etwa zu verschärfen, sondern zu überbrücken und an einem weiteren guten Verhältnis zwischen dem deutschen und dem dänischen Volke zu arbeiten. Dies war für ihn nicht immer ganz leicht; aber er hat im großen und ganzen seine Aufgabe, glaube ich, zur Zufriedenheit durchgeführt.


DR. HORN: Seit wann und auf welchem Wege erhielten Sie Meldungen über Absichten des französisch-englischen Generalstabs über die Einbeziehung Hollands und Belgiens in deren Operationsgebiete?


VON RIBBENTROP: Es ist klar, daß diese Frage immer auch hier in dieser Gerichtsverhandlung einen großen Rahmen eingenommen hat. Die Lage war so, daß Deutschland durch eine Erklärung des Jahres 1937 mit Belgien eine Abmachung getroffen hatte, daß Deutschland Belgiens strikte Neutralität wahren würde unter der Voraussetzung, daß dies auch seitens Belgiens der Fall sein würde.

Es war nun nach dem Polenfeldzug wiederholt mir vom Führer mitgeteilt worden, daß sein Nachrichtendienst Meldungen gebracht hätte über feindliche Absichten eines Angriffs auf das Ruhrgebiet über holländisches und belgisches Gebiet. Auch wir haben gelegentlich solche Nachrichten bekommen, die allerdings weniger konkreter Natur waren.

Jedenfalls glaubte Adolf Hitler, immer und jederzeit mit einem Angriff auf dieses lebenswichtigste deutsche Gebiet, nämlich das Ruhrgebiet, rechnen zu müssen. Ich habe verschiedentlich in der Zeit mit dem Führer über die Bedeutung – gerade in der ganzen Welt – der belgischen Neutralität gesprochen, aber gleichzeitig war auch ich mir bewußt, daß natürlich es hier um einen Kampf, um [321] einen harten Kampf, ginge, größeren Ausmaßes, und daß da auch andere Maßstäbe angesetzt werden müßten.

Es ist dann im weiteren Verlauf der Dinge – im Frühjahr 1940 haben sich die Nachrichten über einen solchen Angriff konkretisiert und ich darf vielleicht erwähnen, daß später aufgefundene Akten, die das Auswärtige Amt veröffentlichte, Akten des französischen Generalstabs und so weiter, doch klar nachgewiesen haben, daß diese Nachrichten, die Deutschland besaß, zutreffend waren, daß tatsächlich der Gedanke eines Angriffs auf das Ruhrgebiet bei den Feinden Deutschlands, den damaligen Feinden Deutschlands, verschiedentlich erörtert worden ist.

Ich darf in diesem Zusammenhang vor allem an ein Dokument erinnern, eine Besprechung des englischen Premierministers Chamberlain mit Herrn Daladier in Paris, in dem der Vorschlag von Herrn Chamberlain, eines Angriffs zur Zerstörung der lebenswichtigen oder rüstungswichtigen Gebiete des Ruhrgebietes über die sogenannten »Schornsteine« Belgiens und Hollands, gemacht worden ist. Ich glaube, dieses Aktenstück liegt hier vor und ist der Verteidigung genehmigt worden.

Es war also die Lage vor dem Angriff, zu dem der Führer sich im Westen entschieden hatte, so, daß er jederzeit auch von der Gegenseite mit einem Angriff über diese Gebiete zum mindesten rechnen mußte. Er hat sich daher entschlossen, über dieses Gebiet anzugreifen, über die beiden neutralen Gebiete anzugreifen, und nach dem Angriff, glaube ich – das werden auch die Militärs bestätigen –, sind weitere Unterlagen und auch Tatsachen festgestellt worden, die auch engste Zusammenarbeit der Generalstäbe, des belgischen, und ich glaube auch des holländischen, nach meiner Erinnerung – mit dem englisch-französischen Generalstab Zeugnis ablegen.

Es ist natürlich immer eine sehr harte Sache, in einem solchen Kriege eine Neutralität und ein Land zu verletzen, und man soll nicht glauben, daß dies Dinge sind, mit denen wir uns mit einer Handbewegung sozusagen hinweggesetzt haben. Ich habe manche schlaflose Nacht über diese Dinge verbracht, aber ich möchte daran erinnern, daß diese selben Erwägungen auch auf der anderen Seite angestellt worden sind, und auch andere Staatsmänner haben diese Frage in dieser Zeit erörtert; ich erinnere an einen Ausspruch, der lautete, »daß man es müde sei, über die Rechte Neutraler nachzudenken,« dies ist ein Ausspruch, der von einem großen englischen Staatsmann, nämlich von Mr. Winston Churchill, stammte.


DR. HORN: Was veranlaßte Deutschland, die Integrität Luxemburgs zu verletzen?


VON RIBBENTROP: Mit Luxemburg lag es ebenso wie mit Belgien und mit Holland. Es ist ein kleines Land, und es ist klar, daß in einem solchen großen Kriegsgeschehen die Armeen nicht [322] plötzlich ein Land aussparen können. Aber ich möchte im Zusammenhang mit Luxemburg auf eine Tatsache hinweisen: Im Sommer des vergangenen Jahres, das heißt des Jahres 1939, hatten wir mit Luxemburg und Frankreich Verhandlungen angebahnt, um hier zu ganz konkreten Neutralitätsabmachungen auf vertraglicher Basis zu kommen. Diese Verhandlungen schienen sich auch erst günstig anzulassen; aber sie wurden dann plötzlich eines Tages von luxemburgischer und von französischer Seite abgebrochen. Wir haben das damals nicht ganz verstanden, warum das geschehen ist; aber ich weiß, daß ich, als ich dem Führer hierüber Meldung machte, ihn dies bis zu einem gewissen Grade mißtrauisch machte, welche Gedankengänge auf der anderen Seite hier dabei vorgeherrscht haben könnten. Wir haben das nie genau erfahren.


DR. HORN: Welche Einflußmöglichkeiten besaß das Auswärtige Amt nach der Teilbesetzung Frankreichs in Frankreich?


VON RIBBENTROP: Nach der Besetzung oder Teilbesetzung Frankreichs wurde auf meine Bitte vom Führer, obwohl wir ja noch nicht wieder im Frieden waren mit Frankreich, also eigentlich keine Veranlassung gehabt hätten, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, sondern wir waren nur im Waffenstillstand, ein Botschafter bei der Vichy-Regierung ernannt. Ich habe hierauf besonderen Wert gelegt, weil es von jeher mein Bestreben gewesen war, mit Frankreich zu einer engeren Zusammenarbeit zu kommen. Ich möchte hier betonen, daß dieses Bestreben sofort nach dem Siege und Waffenstillstand wieder aufgenommen worden ist. Ich habe – der Führer war durchaus bereit hierzu – und er hat dann auf meine Bitte auch die sogenannte Montoire-Politik eingeleitet. Dies fand dadurch statt, daß nach einem Zusammentreffen des Führers mit dem General Franco er sich mit Marschall Pétain in Montoire traf. Ich war bei dieser Begegnung zugegen.

Ich glaube, daß ich der historischen Wahrheit wegen hier feststellen darf und muß, daß die Art und Weise, wie damals Adolf Hitler dem besiegten Staatsoberhaupt Frankreichs entgegenkam, vielleicht beispiellos und ritterlich zu bezeichnen ist, und daß es hierfür wohl wenig Parallelen in der Geschichte gibt. Adolf Hitler war es auch, der Marschall Pétain sofort Vorschläge eines engeren Zusammengehens zwischen Deutschland und Frankreich machte, und es war Marschall Pétain, der dem Sieger gegenüber bereits in dieser ersten Besprechung sehr starke Reserven zum Ausdruck brachte, so daß zu meinem persönlichen großen Bedauern diese erste Besprechung einen etwas schnelleren Abschluß fand, als ich eigentlich gehofft hatte. Trotzdem haben wir im weiteren Verlauf systematisch versucht, diese Verständigungspolitik oder sogar die Politik einer engsten Zusammenarbeit mit Frankreich weiter durchzuführen. Daß dies nicht gelungen ist, scheiterte wohl an der natürlichen Einstellung [323] in Frankreich und auch an dem Willen der maßgebenden Kreise. An deutschen Versuchen hierzu hat es in dieser Zeit bestimmt nicht gefehlt.


DR. HORN: Welche Einwirkungsmöglichkeiten hatten Sie und das Auswärtige Amt auf die Verhältnisse in Belgien nach der Besetzung?


VON RIBBENTROP: Auf die Verhältnisse in Belgien und in Holland hatten wir keinen Einfluß. Der Führer richtete hier Militär- und Zivilverwaltungen ein, und das Auswärtige Amt betätigte sich hier nicht weiter, sondern war nur durch einen Verbindungsmann vertreten, der aber praktisch nicht oder kaum irgendwie in Funktion getreten ist. In Frankreich, das darf ich vielleicht noch nachholen, war es insofern anders, als wir natürlich durch den Botschafter gewissen Einfluß auf die Vichy-Regierung nehmen konnten, und ich habe das auch zum Beispiel auf dem Finanzgebiete getan.

Es ist hier in diesem Gerichtssaal sehr viel von der Tätigkeit eines Herrn Hemmen gesprochen worden. Ich möchte darüber sagen, so viel, daß ich damals Herrn Hemmen – ganz gleich, wie seine Vollmacht oder das auch gelautet haben mag – speziell eingesetzt habe, um zu verhindern, daß die Inflation in Frankreich käme und die französische Währung absackte. Das war der spezielle Auftrag, der damals Hemmen erteilt worden ist. Ich wollte also Frankreich, das zweifellos wirtschaftlich für Deutschland von Bedeutung war, nachdem es politisch nicht mehr mit Deutschland zusammenarbeiten wollte, gesund und die Finanzen intakt halten. Das war der wirkliche Grund des Auftrages an Herrn Hemmen.


DR. HORN: Welche außenpolitischen Pläne hatte Hitler nach Abschluß des Feldzuges im Westen?


VON RIBBENTROP: Nach Abschluß des Westfeld zuges sprach ich mit dem Führer im Hauptquartier über die weitere Entwicklung und fragte ihn, was man nun mit England, was er nun mit England weiteres vorhätte. Der Führer und ich schlugen damals vor, ob man nicht doch noch irgendwie mit England einen Versuch machen könne. Der Führer hatte anscheinend den gleichen Gedanken gehabt und war begeistert von diesem Gedanken, das heißt dem Gedanken eines nochmaligen Friedensangebotes oder Versuches eines Friedens mit England. Ich fragte den Führer, ob ich einen Vertragsentwurf für einen solchen Fall aufsetzen sollte. Der Führer sagte ganz spontan: »Nein, das ist gar nicht notwendig, das mache ich selber, das heißt, das brauche ich gar nicht zu tun« und äußerte wörtlich: »Es sind hier nur vier Punkte, die ich mit England, wenn es friedensbereit sein sollte, abmachen möchte. Vor allem steht, ich will, daß nach Dünkirchen unter keinen Umständen irgendein Prestigeverlust Englands irgendwie eintritt, also irgendein Friede, [324] der das involvieren würde, den möchte ich unter gar keinen Umständen haben.«

Was den Inhalt eines solchen Friedens anbetrifft, so erwähnte er vier Punkte. Er sagte:

erstens: Deutschland ist bereit, die Existenz des Britischen Imperiums nach jeder Richtung hin anzuerkennen;

zweitens: England muß daher Deutschland als die größte Macht, kraft seiner Volkszahl schon, des Kontinents anerkennen;

drittens: Ich möchte die deutschen Kolonien oder, sagte er, ich bin auch zufrieden mit ein oder zwei Kolonien, von England zurückhaben wegen der Rohstofffrage. Und

viertens sagte er, daß er mit England ein dauerndes Bündnis abschließen wollte auf Leben und Tod.


DR. HORN: Ist es richtig, daß Sie durch Hitler Ende 1939 von griechisch-französischen Generalstabsbesprechungen und Entsendung französischer Offiziere nach Griechenland Kenntnis erhielten?


VON RIBBENTROP: Ja, das stimmt. Es lag in dem Rahmen der mir gestellten Politik des Führers gegen die Kriegsausweitung, daß ich diese Dinge, natürlich besonders auch am Balkan, scharf beobachten sollte. Adolf Hitler hatte den Wunsch, unter allen Umständen den Balkan aus dem Kriege herauszuhalten.

Griechenland: Die Lage war hier folgende: Griechenland hatte eine englische Garantie akzeptiert; auch in Jugoslawien, zwischen Jugoslawien und England und Frankreich vor allem bestanden sehr enge Beziehungen. Wir hörten nun durch den Nachrichtendienst des Führers und auch aus militärischen Kanälen dauernd von irgendwelchen generalstabsmäßigen Besprechungen, die angeblich zwischen Athen, Belgrad, Paris und London einerseits stattfinden sollten. Ich habe in dieser Zeit ein paarmal den Griechischen Gesandten zu mir gebeten und ihn auf diese Dinge aufmerksam gemacht, und habe ihn gebeten, daß man doch sehr vorsichtig sein möge, daß Deutschland in keiner Weise die Absicht hätte, irgend etwas gegen das griechische Volk, das in Deutschland ja immer sehr populär gewesen ist, zu unternehmen.

Es kamen dann aber weitere Nachrichten auch von der Einräumung britischer Stützpunkte durch Griechenland an die englische Flotte, glaube ich, und diese Dinge führten dann zu dem von uns in keiner Weise gewünschten Eingreifen Italiens, über das, ich glaube, Reichsmarschall Göring ja hier schon gesprochen hat. Es war nicht möglich, dieses Eingreifen zu verhindern, denn als ich – ich war damals bei Adolf Hitler – mit ihm in Florenz zum Zusammentreffen mit Mussolini ankam, war es leider schon zu spät und Mussolini sagte: »Wir marschieren bereits«.

[325] Der Führer war über diese Nachricht außerordentlich betrübt und bedrückt. Es kam dann darauf an, mit allen Mitteln zu verhindern, zumindest, daß der Krieg zwischen Italien und Griechenland sich ausbreiten sollte. Hierzu war naturgemäß die jugoslawische Politik entscheidend. Ich habe dann alle Möglichkeiten versucht, um unsere Beziehungen zu Jugoslawien enger zu gestalten und es zu dem damals bereits abgeschlossenen Dreimächtepakt zu bekommen. Das war zunächst sehr schwierig, aber durch den damaligen Regenten Prinz Paul und die Regierung Zwetkowitsch gelang es dann eines Tages doch, Jugoslawien zum Beitritt zum Dreimächtepakt zu bewegen. Wir wußten genau, daß aber in Belgrad sehr starke Kräfte am Werke waren, die gegen den Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächtepakt und gegen eine engere Bindung überhaupt an Deutschland waren. Der Führer sagte damals in Wien, es sei ihm vorgekommen wie ein Begräbnis, dieser Abschluß des Dreimächtepaktes.

Trotzdem aber waren wir ungeheuer erstaunt – ich glaube, es waren zwei, drei Tage nach diesem Abschluß –, daß plötzlich in Belgrad durch den Putsch des Generals Simowitsch diese Regierung beseitigt wurde und eine neue Regierung kam, die zweifellos als Deutschland nicht gewogen bezeichnet werden mußte.

Es kamen dann Nachrichten von Belgrad über engste Zusammenarbeit mit dem englischen Generalstab, und ich glaube, daß auch amerikanische Beobachter in diesem Gebiete hierüber Bescheid wissen, und auch von englischer Seite ist mir dies in den letzten Monaten gesagt worden, daß englische Kräfte bei diesem Putsch mitgewirkt hätten. Das war ja auch ganz natürlich, denn wir waren ja im Kriege.

Die ganzen Ereignisse haben dann den Führer bewogen, im Balkan einzugreifen, erstens, um Italien, das durch die griechische Tapferkeit in eine sehr schwierige Lage in Albanien gekommen war, zu helfen, und zweitens, um zu verhindern, daß Jugoslawien diese italienische Lage etwa durch einen Angriff von Norden noch bedrohlicher gestalten würde und damit überhaupt unserem italienischen Bundesgenossen eine große Niederlage bereiten würde.

Es waren also die militärisch-strategischen Maßnahmen, die den Führer bewogen haben zu dem Feldzug und Eingreifen gegen Griechenland und Jugoslawien.


DR. HORN: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat Griechenland trotz Neutralitätserklärung vor dem italienischen Angriff im Oktober 1940 der britischen Marine Stützpunkte auf seinen Inseln zur Verfügung gestellt. Ist das richtig?


VON RIBBENTROP: Das waren die militärischen Nachrichten, die mir zugänglich gemacht wurden.


[326] DR. HORN: Im September 1939 wurde von General Gamelin, dem damaligen französischen Oberkommandierenden, ein Plan einer alliierten Landung in Saloniki genehmigt. Wann erhielt Deutschland von diesen Absichten Kenntnis?


VON RIBBENTROP: Die genauen Einzelheiten hier über haben wir erst aus den Akten des französischen Generalstabs bei Ausbruch des Krieges erfahren; aber ich weiß, daß alle Nachrichten, die beim Führer von den verschiedenen Nachrichtenzentren des Reiches zusammenliefen, von Anfang an in ihm die Besorgnis wachriefen, daß es möglich sei, daß in kürzester Frist hier eine neue Front in Saloniki wie im Weltkriege errichtet werden könnte, und daß dies zu einer starken Zersplitterung der deutschen Kräfte führen müßte.


DR. HORN: Sie waren im September 1939 zu einem zweiten Besuch in Moskau? Wodurch wurde dieser Besuch veranlaßt und was wurde dort verhandelt?


VON RIBBENTROP: Mein zweiter Besuch in Moskau war notwendig geworden durch die Beendigung des polnischen Feldzugs. Ich flog gegen Ende September nach Moskau und habe dort diesmal einen besonders freundlichen Empfang erfahren. Die Lage war damals so, daß im polnischen Raum klare Verhältnisse geschaffen werden mußten. Sowjettruppen hatten die östlichen Teile Polens besetzt, und bis zur damals vereinbarten Demarkationslinie hatten wir die westlichen Teile besetzt. Es mußte daher hier eine klare Abgrenzung getroffen werden. Ferner lag uns daran, die Beziehungen zu Sowjetrußland noch zu vertiefen und freundschaftlich zu gestalten.

Es wurde dann auch in Moskau eine Vereinbarung getroffen, die eine endgültige Linie im polnischen Raum festlegte, und ferner wurde ein Wirtschaftsvertrag in Aussicht genommen, der die wirtschaftlichen Beziehungen auf eine völlig neue Basis stellen sollte.

Es wurde ein umfassender Vertrag über den Austausch von Rohstoffen und Rohmaterialien in Aussicht genommen und später dann auch abgeschlossen. Gleichzeitig wurde der Pakt politisch zu einem Freundschaftspakt ausgestaltet, der ja bekannt ist. Es war dann noch eine Frage, die sich um das Gebiet von Litauen handelte. Um das Vertrauensverhältnis zwischen Moskau und Berlin besonders eng zu gestalten, verzichtete der Führer auf den Einfluß auf Litauen und räumte der Sowjetunion in diesem zweiten Vertrage den Einfluß auf Litauen ein, so daß nunmehr auch territorial zwischen Deutschland und der Sowjetunion ganz klare Verhältnisse geschaffen waren.


DR. HORN: Ist es richtig, daß am 15. Juni 1940 nach Überreichung eines Ultimatums das gesamte Litauen, auch der deutsch verbliebene Teil, ohne Benachrichtigung der Reichsregierung von den Russen besetzt wurde?


[327] VON RIBBENTROP: Darüber war keine besondere Vereinbarung getroffen; aber es ist ja bekannt, daß diese Gebiete besetzt worden sind.


DR. HORN: Welche weiteren russischen Maßnahmen erweckten bei Hitler Besorgnis hinsichtlich des russischen Verhaltens?


VON RIBBENTROP: Es waren verschiedene Punkte, die den Führer allmählich mit einer Skepsis gegenüber dem russischen Verhalten einnahmen. Einmal war es die eben schon erwähnte Besetzung der Baltenstaaten, ferner die Besetzung Bessarabiens und der Nordbukowina, die am Ende des Frankreichfeldzuges erfolgte, und die uns kurz vorher ohne vorherige Konsultation mitgeteilt worden war. Der Rumänische König hatte sich damals an uns gewandt um einen Rat. Der Führer hat aus Loyalität gegenüber dem Vertrage mit Sowjetrußland dem Rumänischen König geraten, der russischen Forderung zu entsprechen und Bessarabien zu räumen. Es war ferner der Finnlandkrieg im Jahre 1940, der in Deutschland, bei dem deutschen Volke, das starke Sympathien für das finnische Volk hatte, eine gewisse Sorge ausgelöst hatte. Der Führer glaubte auch dem wohl bis zu einem gewissen Grade Rechnung tragen zu müssen. Ferner waren es zwei weitere Punkte; der eine war, daß der Führer Nachricht bekam über gewisse kommunistische Propaganda in deutschen Fabriken, die irgendwie zentralisiert sein sollten in der russischen Handelsvertretung, und ferner vor allem Nachrichten über militärische Vorbereitungen, die von russischer Seite getroffen wurden. Ich weiß, daß er nach dem Frank reichfeldzug verschiedentlich mir davon sprach, daß gegenüber Ostpreußen, glaube ich, damals um zwanzig deutsche Divisionen herum konzentriert worden seien, ferner sehr starke Kräfte – ich entsinne mich zufälligerweise der Zahl –, ich glaube, es waren dreißig Korps, die in Bessarabien konzentriert sein sollten. Den Führer haben diese Dinge mit Besorgnis erfüllt, und er hat mich in der Zeit ersucht, diese Dinge scharf zu beobachten. Er hat damals sogar geäußert, daß dieser Vertrag wohl nur abgeschlossen worden sei, vom Jahre 1939, um uns wirtschaftlich-politische Bedingungen diktieren zu können. Er würde Gegenmaßnahmen auf alle Fälle anordnen. Ich habe damals den Führer auf die Gefahr von Präventivkriegen hingewiesen, aber der Führer sagte, daß auf alle Fälle das italienisch-deutsche Interesse, wenn es notwendig sei, allem vorgehen müßte. Ich habe geäußert, daß ich hoffe, daß es nie dazu kommen werde, daß wir jedenfalls diplomatisch alle Anstrengung in anderer Richtung machen würden.


DR. HORN: Im November, und zwar vom 12. bis 14. November 1940, war der russische Außenkommissar Molotow zu einem Besuch in Berlin. Auf wessen Initiative erfolgte der Besuch und welchen Inhalt hatten die Besprechungen?


[328] VON RIBBENTROP: Die Besprechungen mit Herrn Molotow in Berlin hatten folgenden Inhalt: Ich darf vielleicht noch vorausschicken, daß in dem Bestreben, mit Rußland diplomatisch zu einer Klärung und eventuellen Einigung zu kommen, ich mit Erlaubnis des Führers an Marschall Stalin im Spätherbst 1940 einen Brief schrieb und Herrn Molotow nach Berlin einlud. Die Einladung wurde angenommen, und in der Unterredung, die der Führer mit Herrn Molotow hatte, wurde der Gesamtkomplex der deutsch-russischen Beziehungen erörtert. Ich war bei der Unterredung zugegen. Herr Molotow sprach mit dem Führer zunächst über das deutsch-russische Verhältnis im allgemeinen und dann über Finnland und über den Balkan. Er sagte, daß Rußland vitale Interessen in Finnland hätte. Er sprach davon, daß Rußland auf Grund der damaligen Abgrenzung der Interessensphären Finnland als Interessensphäre eingeräumt worden sei. Der Führer erwiderte, daß Deutschland in Finnland ja auch starke Interessen habe, vor allem waren es auch die Nickelinteressen, und ferner dürfe man nicht übersehen, daß im ganzen deutschen Volke eben für das finnische Volk Sympathie herrsche; er bäte Herrn Molotow, ihm in dieser Frage entgegenzukommen. Es ist dann verschiedentlich noch über dieses Thema gesprochen worden.

Über den Balkan sagte Herr Molotow, daß er gern mit Bulgarien einen Nichtangriffspakt schließen und überhaupt mit Bulgarien in engere Beziehungen kommen möchte. Auch war gedacht an Stützpunkte dort. Der Führer erwiderte oder fragte, ob denn Bulgarien sich an Herrn Molotow gewandt hätte. Aber das war wohl noch nicht der Fall gewesen, und daraufhin meinte der Führer, daß er zu dieser Frage erst dann Stellung nehmen könne, wenn er mit Mussolini, der ja natürlich am Balkan ebenfalls interessiert sei und sein Bundesgenosse sei, gesprochen hätte.

Es ist dann noch über verschiedene andere Punkte gesprochen worden; aber zu einer endgültigen Lösung oder Einigung ist es in dieser Besprechung nicht gekommen, sondern die Besprechung verlief eigentlich in einer Form, die mir im Interesse einer Überbrückung aller Gegensätze nicht ganz zufriedenstellend schien. Ich habe dann den Führer anschließend gebeten, mich zu autorisieren, das Gespräch mit Herrn Molotow erneut aufzunehmen und gesagt, ob er einverstanden sei, daß ich mit Herrn Molotow doch noch sprechen möchte über einen eventuellen Beitritt Rußlands zum Dreimächtepakt. Das war damals eine unserer Absichten. Der Führer hat sich damit einverstanden erklärt, und ich habe eine weitere lange Aussprache mit dem russischen Außenkommissar gehabt. Diese Aussprache verlief wieder oder in dieser Aussprache wurden wieder diese verschiedenen Fragen besprochen. Herr Molotow erwähnte das vitale Inte resse Rußlands an Finnland; er erwähnte das starke Interesse [329] und auch die Verbundenheit des russischen Volkes mit dem bulgarischen Volke, auch das Interesse am sonstigen Balkan, und es wurde dann von uns letztlich vereinbart, daß er mit Herrn Stalin nach seiner Rückkehr nach Moskau sprechen würde, um zu sehen, ob nicht eine Lösung der Fragen gefunden werden könnte. Ich schlug ihm vor den Beitritt zum Dreimächtepakt, und schlug ihm ferner vor, daß ich mit dem Führer über diese verschiedenen aufgeworfenen Fragen nochmals sprechen würde; vielleicht ließe sich doch noch eine Lösung finden. Im ganzen war also das Ende dieser Unterredung so, daß Herr Molotow mit der Absicht nach Moskau zurückkehrte, um auf dem Wege über die Botschaften die weiteren Fragen zwischen uns zu klären.


VORSITZENDER: Dr. Horn, da diese Verhandlungen nicht zu einem Übereinkommen führten, sind sie doch recht weit entfernt von den Dingen, die wir hier erörtern. Sie behaupten doch nicht, daß irgendeine Vereinbarung zustande kam?


DR. HORN: Nein, ich möchte nur unter Beweis stellen, daß von deutscher Seite Bemühungen ausgingen, den Rußlandkonflikt zu verhindern.


VORSITZENDER: In diesen Verhandlungen war doch keine Frage eines Konfliktes mit Rußland.

DR. HORN: Nein. Aus den gesamten Bemühungen von seiten Deutschlands und von Ribbentrops geht doch hervor, daß man allen Konfliktstoff zwischen Deutschland und Rußland nach Möglichkeit beseitigen wollte. Von einem vorsätzlichen... Die Anklage hat behauptet, daß der Pakt mit Rußland mit der Absicht abgeschlossen worden sei, ihn zu brechen und Rußland anzugreifen; daß von vornherein die Angriffsabsicht auch auf Rußland festgestanden habe. Ich möchte mit den Ausführungen unter Beweis stellen, daß das nicht der Fall war.


VORSITZENDER: Es scheint mir, daß das wirklich sehr weit hergeholt ist. Es zeigt doch nur, daß Ribbentrop Verhandlungen mit Rußland führte, die zu keinem Ergebnis führten. Das ist alles. Sie können fortfahren, Dr. Horn.


DR. HORN: Sie haben in einer Ihrer letzten Antworten von militärischen Konzentrationen an der Grenze Ostpreußens gesprochen, und zwar von zwanzig deutschen Divisionen. Ich vermute, daß es sich um einen lapsus linguae bei Ihnen handelt.


VON RIBBENTROP: Nein, ich meine russische Divisionen. Das weiß ich, daß der Führer öfter darüber sprach. Er sagte, daß wir, glaube ich, nur eine Division überhaupt in Ostpreußen hätten.


DR. HORN: War nicht die Besetzung von Gebieten des Balkans durch Rußland der Grund zu den Besprechungen mit Molotow?


[330] VON RIBBENTROP: Ich habe die Frage nicht ganz verstanden. Bitte, wiederholen Sie dieselbe.


DR. HORN: Waren nicht russische Besetzungen auf dem Balkan und auch Baltikum mit der Grund, um Molotow nach Berlin einzuladen?


VON RIBBENTROP: Auf dem Balkan – nein; denn da gab es an sich keine russische Besetzungszone. Aber wohl traf es zu für Bessarabien, was man an sich wohl nicht zum Balkan im genauesten Sinn bezeichnen kann. Es war die Besetzung Bessarabiens, die damals überraschend schnell kam, und der Nordbukowina, das heißt eines Gebietes, das in Moskau nicht als russische Interessensphäre verabredet worden war – das, wie der Führer sich damals ausdrückte, altes österreichisches Kronland war –, und die Besetzung der baltischen Gebiete. Das ist richtig, daß das den Führer mit einer gewissen Sorge erfüllte.


DR. HORN: Ist es richtig, daß Hitler und Ihnen im Laufe des Sommers 1940 von dem Vorhandensein einer englisch-französischen Militärkommission in Moskau Nachrichten zugingen?


VON RIBBENTROP: Ja – nein; wann, welches Datum?


DR. HORN: Im Sommer 1940, nach Juni 1940?


VON RIBBENTROP: Ja, das trifft zu. Solche Nachrichten kamen laufend, obwohl ich nicht sagen kann, heute, inwieweit das nun gerade auf den Sommer 1940 wirklich zugetroffen hat. Es war im Jahre 1939, als ich in Moskau ankam waren ja dort französische und englische Militärkommissionen anwesend, um damals im Auftrag der Britischen und Französischen Regierung ein Militärbündnis zwischen Rußland, England und Frankreich abzuschließen. Es war dies im Rahmen dieser Politik, die der Führer mit »englischer Einkreisungspolitik« in seiner Reichstagsrede, glaube ich, vom 28. Mai damals ja ankündigte, gezeigt hatte und dies mir damals, im Jahre 1936, in der Botschaft von Mr. Churchill ganz klar offenbart worden war.


DR. HORN: Ist es richtig, daß bei den Besprechungen zwischen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich gebe mir alle Mühe, dem zu folgen, und ich wäre dankbar für jede Unterstützung. Sprach der Zeuge von 1940? Ich möchte völlige Klarheit darüber haben, ob es 1940 oder 1939 war. Es macht einen großen Unterschied.

VORSITZENDER: Sie meinen die englische Mission? 1940, glaube ich.


VON RIBBENTROP: Ich wollte darauf noch antworten. Über 1940 habe ich schon gesagt, daß ich das nicht genau sagen kann, [331] sondern ich habe nur erwähnt, daß solche Nachrichten vorlagen, aber 1939 weiß ich, daß diese Mission da war.


DR. HORN: Ist bei dem Besuch von Molotow im Jahre 1940 in Berlin auch darüber gesprochen worden, daß Rußland mit dem letzten russisch-finnischen Friedensschluß nicht einverstanden sei und die Einverleibung ganz Finnlands beabsichtigte?


VON RIBBENTROP: In dieser konkreten Form trifft das nicht zu. Aber es war klar aus der russischen Haltung ersichtlich, daß Rußland Finnland als seine Interessensphäre ansah; welche Maßnahmen Rußland dort zu treffen beabsichtigte, das kann ich nicht sagen.


DR. HORN: Am 5. April 1941 wurde ein russisch-jugoslawischer Nichtangriffspakt und Freundschaftspakt abgeschlossen. Wie war die Wirkung dieses Abschlusses auf Deutschland?


VON RIBBENTROP: Die Wirkung auf den Führer schien ihm eine Bestätigung dessen zu sein, daß Rußland sich von der Politik des Jahres 1939 entfernt hatte. Er empfand es als einen Affront, wie er sich ausdrückte, denn er sagte, er hätte einen Pakt abgeschlossen mit der anderen Regierung, und nun schlösse kurze Zeit darauf Rußland einen Pakt mit der Regierung, die ausgesprochen gegen Deutschland eingestellt war.


DR. HORN: Ist es richtig, daß Hitler Ihnen daraufhin weitere diplomatische Schritte gegenüber Rußland verboten hat?


VON RIBBENTROP: Es ist richtig, daß – ich habe den Führer damals darauf hingewiesen – man jetzt in verstärktem Maße versuchen sollte, diese Haltung Rußlands zu klären, und er sagte mir damals, das hätte keinen Zweck und würde nach seiner Auffassung an der russischen Haltung nichts ändern.


DR. HORN: Welche Gründe führten zum Ausbruch des Rußlandkonfliktes?


VON RIBBENTROP: Ich muß da folgendes sagen:

Der Führer stand im Winter des Jahres 1940/41 vor folgender Situation – und ich halte das für sehr wichtig, das hier klarzustellen:

England war nicht friedensbereit. Es waren daher für den Führer von entscheidender Bedeutung die Fragen, nämlich die Haltung der Vereinigten Staaten von Amerika und die Haltung Rußlands. Er hat mir dar über folgendes gesagt; ich habe eine sehr lange Aussprache mit ihm hierüber damals gehabt und ihn gebeten, mir ganz klare diplomatische Richtlinien zu geben. Er sagte, die Haltung Japans ist nicht unbedingt sicher für Deutschland. Wir haben zwar den Dreimächtepakt abgeschlossen, aber es sind sehr starke Kräfte in Japan, die auch in umgekehrter Richtung wirken, und wir können nicht wissen, welche Haltung Japan einnimmt. Italien hat sich durch [332] den Griechenfeldzug als ein sehr schwacher Bundesgenosse erwiesen. Es könnte daher sein, daß Deutschland vollkommen allein steht. Er sprach dann über die Haltung der USA. Er sagte, daß er mit der USA gute Beziehungen immer hätte haben wollen, aber trotz äußerster Zurückhaltung sei die Haltung der USA immer deutschfeindlicher geworden. Der Abschluß des Dreimächtepaktes sollte ja gerade die USA aus diesem Kriege heraushalten, indem damals es unser Wunsch war, unsere Auffassung, daß dadurch die Kreise in USA gestärkt werden möchten, die für den Frieden und für gute Beziehungen mit Deutschland arbeiteten. Dies war aber nicht von Erfolg gewesen, sondern nach Abschluß des Dreimächtepaktes war die Haltung der USA Deutschland gegenüber nicht freundlich. Die Grundidee also, die der Führer dabei hatte, und auch ich, nämlich, daß die USA für den Fall eines Eintritts in den Krieg in Europa mit einem Zweifrontenkrieg hätte rechnen und dadurch lieber nicht eintreten sollen, dieser Grund war nicht, trat nicht ein.

Es kam nun die weitere Frage, die Haltung Rußlands; hierüber sagte der Führer folgendes: Wir haben den deutsch-russischen Freundschaftsvertrag. Rußland hat aber eine Haltung jetzt gezeigt, die eben erörtert wurde, die mich zu gewissen Bedenken veranlaßt. Wir wissen daher nicht, was von dieser Seite kommen kann. Es kamen Nachrichten von immer weiteren Aufmärschen, er hatte selber militärische Gegenmaßnahmen getroffen, über die ich nicht orientiert bin und war; aber er stand vor der großen Sorge, daß früher oder später, daß Rußland auf der einen Seite und USA mit England auf der anderen Seite gegen Deutschland vorgehen könnten. Er rechnete also auf der einen Seite mit einem Angriff Rußlands und auf der anderen Seite mit einem Angriff der USA mit England gemeinsam, also von Großlandungen im Westen. Diese ganzen Erwägungen haben dann den Führer schließlich bestimmt, das »Prävenire« zu spielen, und von sich aus Rußland..., gegen Rußland zum Präventivkrieg zu schreiten.


DR. HORN: Welche realpolitischen Intentionen lagen dem Dreimächtepakt zugrunde?


VON RIBBENTROP: Der Dreimächtepakt wurde abgeschlossen im Jahre – ich glaube – im September 1940; die Situation war so, wie ich sie eben schilderte, nämlich, daß der Führer die Sorge hatte, daß früher oder später die USA in den Krieg eintreten könnten. Es war daher mein Bestreben, mein diplomatisches, auf dem Felde der Diplomatie alles zu tun, um die deutsche Position zu stärken. Ich glaubte, wir hatten unser Bündnis mit Italien; aber das hat sich ja als ein schwacher Bundesgenosse dann erwiesen.

So war unser Freund, außer den Balkanstaaten, der einzige Freund, den wir noch hatten, nachdem Frankreich nicht zu gewinnen [333] war, Japan. Wir haben daher im Sommer 1940 versucht, mit Japan zu einem engeren Gestalten der Dinge zu kommen. Von Japan waren die gleichen Bestrebungen im Gange. Das führte dann zum Pakt. Das Ziel dieses Paktes oder der Inhalt dieses Paktes war ein Bündnis politischer, militärischer und wirtschaftlicher Art. Es ist aber kein Zweifel, und so haben wir es von Anfang an angesehen, daß dieser Pakt als Defensivpakt gedacht war; das heißt als ein Pakt, der vor allem die USA aus dem Kriege heraushalten möchte; und ich hatte die Hoffnung, daß durch eine solche Konstellation die Möglichkeit gegeben sein könnte, vielleicht doch dann noch zum Frieden mit England zu kommen. Der Pakt selber hat nicht... dem Pakte selber haben nicht, wie das so oft behauptet worden ist, irgendwelche aggressiven oder Weltherrschaftspläne untergelegen. Das trifft nicht zu, sondern sein Ziel war, wie gesagt, eine Konstellation herbeizuführen, die Deutschland auf der einen Seite die Möglichkeit gab, in Europa die Dinge neu zu ordnen, und Japan die Möglichkeit auch gab, in Ostasien die Dinge – vor allen Dingen lag damals das Chinaproblem vor – in seinem Sinne zu lösen.

Das war also der Sinn und das Ziel des Paktes, das mir bei Abschluß und dessen Herbeiführung vorschwebte. Die Situation war ja nicht ungünstig, da dadurch unter Umständen die USA neutralisiert und England isoliert werden könnte, um dann auf dieser Basis doch noch zu einem Kompromißfrieden zu kommen, den wir während des ganzen Krieges niemals aus dem Auge verloren und letzten Endes immer angestrebt haben.


DR. HORN: Welchen Einfluß hatte nach Ihnen zugegangenen Botschaftsberichten der Anschluß Österreichs und das Münchener Abkommen auf die Vereinigten Staaten?


VON RIBBENTROP: Es ist kein Zweifel, daß die Vereinigten Staaten nach der Besetzung Österreichs und nach dem Münchener Abkommen in verschärftem Maße gegen Deutschland reagierten.


DR. HORN: Im November 1938 wurde der Amerikanische Botschafter in Berlin zur Berichterstattung nach Washington zurückgerufen. Dadurch wurden die normalen diplomatischen Beziehungen zu Deutschland unterbrochen. Welche Gründe lagen nach Ihren Beobachtungen dieser Maßnahme zugrunde?


VON RIBBENTROP: Wir haben das niemals in den Einzelheiten eigentlich erfahren, und wir haben es auch sehr stark bedauert, weil wir dadurch dann gezwungen wurden, auch unsererseits unseren Botschafter aus Washington abzuberufen beziehungsweise zur Berichterstattung zurückzurufen. Aber es ist ja natürlich klar, daß die ganze Haltung der USA für diese Maßnahme bestimmend war. Es war eine große Anzahl von Vorgängen, die den Führer im Laufe dieser Zeit immer mehr zur Überzeugung brachten, daß sie früher [334] oder später die USA in diesen Krieg gegen uns hereinbringen würden. Ich darf nur einige Punkte erwähnen. Es war schon eine Einstellung damals des Präsidenten Roosevelt im Jahre 1937 durch die damalige Quarantänerede zum Ausdruck gekommen. Es hat dann ein sehr starker Pressefeldzug eingesetzt, und nach dieser Botschafterrückberufung erfolgte eine weitere Verschärfung der Lage, die sich auf allen Gebieten der zwischen Deutschland und Amerika schwebenden Beziehungen auswirkte.

Ich glaube, es sind inzwischen hierüber ja viele Dokumente im Laufe der letzten Jahre veröffentlicht worden, von denen ja, glaube ich, die Verteidigung auch eine Anzahl eingereicht hat, so zum Beispiel die Haltung, die damals bei der Polenkrise von bestimmten USA-Diplomaten eingenommen worden ist und so weiter. Es war dann die Einführung der »Cash- and Carry-Klausel«, die ja sich nur für Deutschlands Gegner auswirken konnte; es war die Zurverfügungstellung von Zerstörern an England; es war später die sogenannte »Lend-Lease-Bill«, und auf anderen Gebieten war es das weitere Vorschieben der USA nach Europa, und zwar die Besetzung Grönlands, Islands, auf dem afrikanischen Kontinent und so weiter, die Hilfe für Sowjetrußland nach dem Ausbruch dieses Krieges. Alle diese Maßnahmen haben damals den Führer immer mehr in der Auffassung bestärkt, daß früher oder später mit einem Krieg mit Amerika wohl mit großer Bestimmtheit zu rechnen ist. Es ist kein Zweifel, daß der Führer primär einen solchen Krieg nicht gewollt hat, und ich darf sagen, daß ich in diesen Jahren – und das geht, glaube ich, aus vielen von der Anklagebehörde hier vorgelegten Dokumenten hervor – immer und immer wieder auf dem diplomatischen Felde versucht habe, alles zu tun, um die USA aus diesem Kriege herauszuhalten.


DR. HORN: Im Sommer 1941 erließ der damalige amerikanische Präsident Roosevelt an die USA-Flotte seinen sogenannten Schießbefehl zur Sicherung der amerikanischen Transporte von Rüstungsmaterial nach England.

Wie war die Reaktion dieses Befehls auf Hitler und die deutsche Diplomatie?


VON RIBBENTROP: Das war natürlich für uns ein sehr bedauerlicher Vorgang. Ich kann zu technischen Einzelheiten und Dingen nicht Stellung nehmen; ich entsinne mich aber sehr genau, daß Hitler über diesen Befehl sehr erregt war. Ich glaube, es ist von ihm in einer Rede in irgendeiner Versammlung – ich glaube, es war wohl in München, das weiß ich aber nicht mehr genau – gewesen, daß er damals auf diese Rede geantwortet hat, auf diese Ankündigung gewarnt hat, und zwar in einer Form, auf die ich zufällig mich besinne, weil sie mir so merkwürdig schien. Er sagte, Amerika habe einen Schießbefehl gegeben, um gegen deutsche Schiffe zu [335] schießen. »Ich habe keinen Schießbefehl gegeben, aber befohlen, daß zurückgeschossen wird.« Das war, glaube ich, die Formulierung, wie ich mich noch entsinne.

Auf dem Felde der Diplomatie war es so, daß uns die Unterlagen über diese Begebenheiten zugingen, über die aber die Marine besser Bescheid weiß als ich, und daß dann, ich glaube, Proteste und Veröffentlichungen erfolgten, die auf diese Maßnahmen Bezug hatten und den deutschen Standpunkt klarlegten. Einzelheiten dieses Protestes kann ich Ihnen im Augenblick ohne Unterlagen nicht sagen.


DR. HORN: Hat Japan vor seinem Angriff auf Pearl Harbor Deutschland von diesem Vorhaben verständigt?


VON RIBBENTROP: Nein, das war nicht der Fall. Ich habe Japan damals versucht zu bewegen, und zwar zu einem Angriff auf Singapore; und zwar war dies so, daß ein Frieden mit England nicht zu erreichen war, und auf militärischem Gebiete wußte ich nicht, welche Maßnahmen möglich sein könnten, um dieses Ziel zu erreichen. Jedenfalls beauftragte mich der Führer damals, auf diplomatischem Gebiete alles zu tun, um eine Schwächung der Position Englands zu erreichen und damit zu diesem Frieden zu kommen. Wir glaubten, daß dies am besten geschähe durch einen Angriff Japans auf die starke Position Englands in Ostasien. Daher habe ich versucht, Japan damals zu bewegen auf einen Angriff auf Singapore.

Nach dem Ausbruch des deutsch-russischen Krieges habe ich auch versucht, Japan zu einem Angriff auf Rußland zu bewegen, weil mir damit eine Beendigung dieses Krieges am schnellsten möglich schien. Japan tat dies nicht; es hat aber dann... es tat weder das eine, möchte ich sagen, noch das andere, was wir wollten; sondern es tat ein drittes, es griff die USA in Pearl Harbor an. Dieser Angriff war für uns eine vollkommene Überraschung. Wir hatten es für möglich gehalten, daß Japan Singapore, das heißt England angreifen würde, auch Hongkong. Wir hatten es aber niemals als etwas für uns Erstrebenswertes gehalten, daß es die USA angreifen sollte. Daß die Möglichkeit bei einem Angriff auf England bestand, daß die USA eingreifen könnten, das war natürlich eine Frage, die wir uns auch oft vorgelegt haben. Aber wir hofften sehr, daß dies nicht der Fall sein, daß Amerika nicht eingreifen würde. Der Angriff auf Pearl Harbor wurde mir in Berlin durch die Presse zuerst bekannt, dann durch den Japanischen Botschafter Oshima. Alle anderen Nachrichten, Versionen oder Unterlagen sind vollkommen unwahr; das möchte ich hier unter meinem Eide bezeugen. Ich möchte sogar weitergehen und kann bestätigen, daß selbst dieser Angriff für den Japanischen Botschafter, jedenfalls was er mir sagte bei dieser ersten Unterredung, als er mir diese Mitteilung machte, auch für ihn vollkommen überraschend gekommen ist.


[336] DR. HORN: Wünschen Euer Lordschaft jetzt eine Pause einzulegen?


VORSITZENDER: Dr. Horn, wie lange werden Sie noch brauchen?


DR. HORN: Es wird nicht mehr lange dauern; eine Viertelstunde bis zwanzig Minuten, rechne ich.


VORSITZENDER: Wir machen jetzt eine Pause von zehn Minuten.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. HORN: Welche Überlegungen veranlaßten Hitler und Sie, neben Japan in den Krieg gegen die USA einzutreten?

VON RIBBENTROP: Nach der Nachricht von Pearl Harbor mußte der Führer sich entscheiden; der Wortlaut des Dreier-Paktes besagte, daß wir Japan nur im Falle eines Angriffs auf Japan selbst beistehen sollten. Ich ging zum Führer, legte ihm die Rechtslage auseinander und habe ihm dabei gesagt, daß natürlich wir diesen neuen Kampfgenossen gegen England begrüßen, aber daß dadurch auch ein neuer Gegner entstanden sei oder entstehen würde, vielmehr, wenn wir den USA den Krieg auch nunmehr erklären. Der Führer entschied dann, daß bereits die USA gegen unsere Schiffe schösse und damit praktisch den Kriegszustand hergestellt habe. Es sei also nur noch eine Frage der Form, oder jedenfalls sei wohl dieser praktisch offizielle Kriegszustand jederzeit durch einen Zwischenfall zu erwarten. Auf die Dauer wäre es nicht möglich, daß dieser Zustand, wie er jetzt dort im Atlantik herrsche, ohne einen deutsch-amerikanischen Krieg weitergehen könnte.

Er beauftragte mich dann, eine Note zu entwerfen, die er selbst noch änderte, und dem amerikanischen Vertreter seine Pässe auszuhändigen.


DR. HORN: Wie war in der Folgezeit die Zusammenarbeit des Auswärtigen Amtes während des Krieges mit Deutschlands Verbündeten?


VON RIBBENTROP: Die Zusammenarbeit war mit Italien natürlich eng, das heißt, praktisch mußten wir im weiteren Verlauf des Krieges dort mehr oder weniger die militärischen Dinge selbst dirigieren, jedenfalls mitdirigieren.

Mit Japan war die Zusammenarbeit eine sehr schwierige, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil wir uns mit den Japanern nur durch die Luft unterhalten konnten, mit der Japanischen Regierung. Wir hatten Verbindung wohl ab und zu durch U-Boote, aber eine gemeinsame Kriegsführung oder eine gemeinsame politische Führung des Krieges war nicht gegeben. Ich glaube, daß in diesem Punkte das Wort des amerikanischen Generals Marshall [337] richtig ist – daß hier eine irgendwie enge strategische Zusammenarbeit und Planung irgendwelcher Art nicht stattgefunden hat; tatsächlich war dies auch nicht der Fall.


DR. HORN: Wie war die Zusammenarbeit mit Italien?


VON RIBBENTROP: Das sagte ich eben schon. Die Zusammenarbeit mit Italien war natürlich eine sehr enge, aber sie war schwierig, weil sehr viele heterogene Einnüsse hier zusammenwirkten, und weil Italien von Anfang an sich als ein sehr schwacher Bundesgenosse nach jeder Richtung erwiesen hatte.


DR. HORN: Warum haben Sie im Laufe des Rußlandfeldzuges Hitler verschiedentlich zu Teil-Friedensschlüssen geraten?


VON RIBBENTROP: Es war in Moskau eine gewisse Vertrauensatmosphäre zwischen der Sowjetregierung und uns hergestellt worden, zwischen Stalin, Molotow und mir, die sich auch auf den Führer ausstrahlte. Ich weiß, daß der Führer zum Beispiel mir mal gesagt hat, daß Stalin, den er als einen der ganz Großen der Geschichte bezeichnete, und dessen Schaffung der Roten Armee als ganz groß bezeichnete, sagte, daß er Vertrauen in Stalin habe, aber man wisse ja nicht, was kommen könne. Die Machtentfaltung sei ungeheuer groß und ungeheuer stark. Es ist nun daher sehr schwierig gewesen, zu wissen, wann man überhaupt mit Rußland und wie man mit Rußland noch mal zu einer Einigung kommen könnte. Ich habe immer durch Diplomaten und andere Kanäle versucht, gewisse Fühlungen zu halten, weil ich immer noch glaubte und hoffte, daß man die Beziehungen, daß man doch zu einem Frieden irgendwie kommen könnte, der Deutschland im Osten entlasten, indem es dann seine Kräfte im Westen konzentrieren könnte, der vielleicht sogar dann zu einem allgemeinen Frieden führen könnte. In diesem Bestreben habe ich zum erstenmal im Jahre – im Winter 1942, dem Führer den Vorschlag gemacht – das war vor Stalingrad –, eine Einigung mit Rußland herbeizuführen, und zwar nach der englisch-amerikanischen Landung in Afrika, die ich mit großer Besorgnis betrachtete. Adolf Hitler – ich traf ihn damals im Zuge in Bamberg – lehnte aber sehr kategorisch diesen Frieden, einen solchen Friedensfühler ab, weil er glaubte, daß das nur geeignet sei, wenn das- bekannt würde, Defaitismus zu erzeugen und so weiter. Ich hatte ihm damals vorgeschlagen, auf einer sehr moderierten Basis mit Rußland zu einem Frieden zu kommen.

Zweitens habe ich dem Führer nochmals geraten zu einem solchen Frieden in einem langen schriftlichen Exposé, im Jahre 1943, das war, glaube ich, nach dem italienischen Zusammenbruch. Der Führer war damals auch aufgeschlossen für einen solchen Frieden und skizzierte schon eine gemeinsame eventuelle Demarkationslinie, die man finden konnte, sagte mir aber, er wolle mir am nächsten Tage [338] Nachricht beziehungsweise Bescheid geben. Am nächsten Tage habe ich aber dann von ihm keine Autorisation bekommen. Ich glaube, daß der Führer wohl der Auffassung war, daß eine Überbrückung des Nationalsozialismus mit dem Kommunismus sehr schwierig wäre, und daß ein solcher Friedensschluß wohl nur einen Waffenstillstand bedeuten würde.

Es ist dann später von mir noch ein-, zweimal versucht worden, aber der Führer stand auf dem Standpunkt, daß zunächst ein entscheidender militärischer Erfolg errungen sein müßte, denn erst dann könne man verhandeln; sonst hätten solche Verhandlungen doch keinen Zweck.

Wenn ich nach meiner Auffassung gefragt werde, ob eine solche Verhandlung Erfolg versprochen hätte, so möchte ich sagen, daß ich das auch für sehr zweifelhaft halte. Ich glaube, daß bei der starken Haltung, die unsere Gegner eingenommen haben, vor allem England seit Ausbruch des Krieges, wohl zu keinem Augenblick wirklich die Möglichkeit gegeben war, für Deutschland zu einem Frieden zu kommen, und zwar weder mit dem Osten noch mit dem Westen. Und ich bin überzeugt, daß seit der Formulierung in Casablanca der bedingungslosen Kapitulation eine solche Möglichkeit überhaupt nicht mehr gegeben war. Meine Ansicht stütze ich nicht etwa auf lediglich abstrakte Beurteilungen, sondern auf dauernde Fühler, die durch indirekte Kanäle, allerdings oft für die Gegenseite wohl unkennbar, ausgestreckt wurden, und die die Meinung der maßgebenden Persönlichkeiten, für die Politik bestimmenden Persönlichkeiten, in diesen Ländern während der Jahre zum Ausdruck brachten. Man hatte beschlossen, diesen Waffengang zum Austrag zu bringen; ich glaube, daß der Führer wohl recht hatte, wenn er sagte, daß dies doch keinen Zweck habe.


DR. HORN: Nun zu einem anderen Gebiet; der Zeuge Lahousen hat hier ausgesagt, daß im September 1939 im Zuge Hitlers eine Besprechung stattgefunden habe, an der auch Sie teilgenommen hätten, und in der über die Entfachung eines Aufstandes in der polnischen Ukraine gesprochen worden sei? Wie kam es zu dieser Besprechung, und welches war Ihre Rolle bei dieser Besprechung?


VON RIBBENTROP: Ich entsinne mich, daß im Laufe des Polenfeldzuges der damalige Chef der Abwehr der Wehrmacht, Admiral Canaris, mich, wie er das gelegentlich tat, bei einem kurzen, ich möchte sagen persönlichen Besuch, aufsuchte; ich war damals im Führerzug in meinem Wagen. Daß der Zeuge, der hier aufgetretene Zeuge Lahousen, dabeigewesen ist, dessen entsinne ich mich nicht; sondern ich hatte den Eindruck, als ich Herrn Lahousen hier sah in diesem Saale, daß ich ihn zum erstenmal gesehen habe. Canaris kam gelegentlich zu mir, um mir zu sagen, was er auf dem Nachrichtengebiet und sonstigen Gebieten täte. Dieses Mal war es auch [339] so, und ich glaube, es war er, der mir erzählte, daß er seine ganzen Verbindungsmänner angesetzt habe, um im Rücken der polnischen Armee bei ukrainischen und sonstigen Minoritäten einen Aufstand zu erzeugen. Irgendwelche – wie das hier behauptet wurde – Richtlinien oder Weisungen von mir hat und kann er bestimmt nicht bekommen haben, und zwar aus zwei Gründen:

Erstens hat der deutsche Außenminister niemals einer militärischen Stelle überhaupt eine Weisung geben können.

Zweitens war das Auswärtige Amt im Augenblick des Beginns des Polenfeldzuges mit diesen Fragen, ukrainischen und sonstigen Fragen überhaupt, nicht befaßt; jedenfalls ich nicht. Ich kannte sie überhaupt gar nicht im einzelnen, diese Dinge, so daß ich hätte Weisungen geben können.


DR. HORN: Von der Anklagebehörde ist hier ein Runderlaß des Auswärtigen Amtes....


VON RIBBENTROP: Ich darf vielleicht noch etwas weiteres dazu sagen. Hier ist von dem Zeugen Lahousen gesagt worden, daß ich gesagt hätte, es müßten Häuser in Flammen aufgehen oder Dörfer in Flammen aufgehen, und die Juden müßten totgeschlagen werden. Ich möchte hier ganz kategorisch versichern, daß eine solche Äußerung von mir niemals stattgefunden hat.

Canaris war damals bei mir in meinem Wagen, und es ist möglich, dessen entsinne ich mich nicht mehr genau, daß ich ihn nachher noch zwischen Tür und Angel gesehen habe. Anscheinend hat er dann Instruktionen, die auf den Führer zurückzuführen waren, bekommen, wie er sich in Polen zu verhalten hat im Hinblick auf die ukrainischen oder auf sonstige Fragen. Die Äußerung, die mir hier zugeschoben wird, ist auch völlig sinnlos, denn erstens waren es ja gerade in der Ukraine die ukrainischen Dörfer, das waren Ukrainer, die da lebten, das waren ja unsere Freunde, das waren ja gar nicht unsere Feinde. Also es wäre völlig sinnlos gewesen von mir, zu sagen, daß hier diese Dörfer in Flammen aufgehen sollten. Und zweitens, was die Frage des Judentotschlagens anbetrifft, so kann ich nur eines sagen, daß dies meiner inneren Einstellung vollkommen widersprochen hätte, und daß die Frage von Totschlagen von Juden überhaupt nicht in irgendwelchen Gehirnen oder Gedanken damals war, so daß ich zusammenfassend sagen möchte, daß dies absolut unzutreffend ist. Ich habe auch niemals eine Weisung gegeben oder geben können, oder auch nur eine Richtlinie dieser Art. Ich darf vielleicht noch hinzufügen, daß ich mich erinnere, daß, ich glaube, Herr Lahousen auch nicht ganz überzeugt war von dieser Äußerung von mir; daß ich diesen Eindruck hatte.


DR. HORN: Wie stehen Sie zu dem von der Anklagebehörde vorgelegten Runderlaß des Auswärtigen Amtes, betitelt: »Die Judenfrage als Faktor der Außenpolitik im Jahre 1938?«


[340] VON RIBBENTROP: Diesen Runderlaß habe ich hier gesehen zum erstenmal. Es ist so: Im Auswärtigen Amt gab es eine Stelle, die sich mit Parteidingen befaßte und mit weltanschaulichen Fragen. Diese Stelle hat zweifellos zusammengearbeitet mit den Stellen der Partei, die hierfür zuständig waren. Das war nicht das Amt. Ich habe den Erlaß hier gesehen. Er scheint mir durchaus in dem Sinne zu liegen, wie damals allgemein solche Erlasse zur Schulung der Beamten und so weiter herausgegeben worden sind. Es wäre sogar denkbar, daß dieser Erlaß irgendwie durch mein Büro oder was gelaufen ist, aber ich glaube, daß die Tatsache, daß ich denselben nicht unterschrieben habe, noch, glaube ich, der Staatssekretär, sondern ein Referent, vielleicht davon zeugt, daß demselben jedenfalls von mir keine besondere Bedeutung beigelegt worden sein könnte, wenn ich ihn gesehen hätte. Sollte er in meinem Büro oder irgendwie bei mir durchgegangen sein, habe ich ihn sicher nicht gelesen, weil ich solche lange Schriftstücke überhaupt grundsätzlich nicht las; sondern ich habe mir solche Schriftstücke immer in wenigen Worten von meinen Mitarbeitern unterbreiten lassen, und ich darf vielleicht dazu erwähnen, daß im Laufe der Tagesarbeit bei mir wohl jeden Tag Hunderte von Briefen einliefen, die mir zum Teil vorgetragen wurden, die ich auch, oder Erlasse, Dinge, die ich dann unterschrieben habe, und viele von diesen Dingen habe ich wohl gar nicht zur Kenntnis genommen. Aber ich möchte das auch hier erklären, es ist ganz selbstverständlich, wenn einer meiner Beamten diesen Erlaß unterschrieben hat, daß ich die volle Verantwortung für denselben übernehme.


DR. HORN: Von der Anklagebehörde ist wiederholt über die Genfer Konvention gesprochen worden. In diesem Zusammenhang fiel auch verschiedentlich Ihr Name. Wie standen Sie zur Genfer Konvention?


VON RIBBENTROP: Ich glaube – und das werden und könnten viele bestätigen –, daß von Anfang des Krieges an das Auswärtige Amt und ich immer sehr und nach jeder Richtung für die Genfer Konvention eingetreten sind. Ich möchte hinzufügen, daß wir hierbei immer ein williges Ohr – jedenfalls alle Dinge, die an mich kamen – auch bei dem Militär fanden. Daß später vielleicht in diesen oder jenen Punkten davon abgegangen worden ist, ist auf die Härte des Krieges und wohl auf die Härte des Führers zurückzuführen.

Was die Terrorflieger anbetrifft, so muß ich sagen, daß in den Jahren 1943/1944 sich die englisch-amerikanischen Luftangriffe allmählich zu einer furchtbaren Gefahr für Deutschland entwickelten. Mein erster Eindruck damals war Hamburg, und ich entsinne mich dieses Vorfalls genau, weil ich damals mit dem Führer da war und ihm die Furchtbarkeit meines Eindruckes schilderte. Ich glaube, [341] daß niemand, der nicht mal einen, solchen Angriff oder die Resultate eines solchen Angriffs gesehen und erlebt hat, sich überhaupt ein Bild davon machen kann, was das bedeutet. Es ist ganz klar, daß deutscherseits man dauerrad, und vor allen Dingen Adolf Hitler, sich überlegte, wie man dieser Dinge Herr werden könnte.

Ich muß noch erwähnen diesen fürchterlichen Angriff auf Dresden damals, und ich würde bitten, wenn der Gerichtshof es wünscht, hier einen Zeugen benennen zu dürfen; das ist der damalige Dänische Gesandte, Richard, der diesen Angriff selbst miterlebt und mir zwei Tage später geschildert hat. Es war daher ganz klar, daß die Terrorfliegerfrage vom Führer irgendwie gelöst werden wollte. Unsere Auffassung stand dem insofern entgegen, als wir diese Lösung im Rahmen der Genfer Konvention wünschten, oder daß wir jedenfalls eine Lösung wollten, die dann der Gegenseite ganz offen publiziert werden könnte. Mein Standpunkt, den ich verschiedentlich ausgedrückt hatte, – obwohl mein Ressort ja nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar an der Frage interessiert war, das heißt, wir waren nicht interessiert an der Abwehr selbst, das war ja eine militärische, polizeiliche und innerpolitische Frage, sondern wir waren interessiert im Hinblick auf die Genfer Konvention, – war der, daß wenn man in dieser Frage etwas täte, man eine offizielle Verlautbarung herausgeben sollte, in der angekündigt würde eine Definition des Terrorfliegerbegriffes und in der gesagt würde, daß diese Terrorflieger, die eines Angriffs auf Zivilbevölkerung überführt seien, beziehungsweise verdächtig seien, vor Kriegsgerichte gestellt würden. Diese Maßnahme sollte, oder diese vorbereitende Maßnahme sollte dann aber Genf offiziell notifiziert und über die Schutzmächte auch den Feinden notifiziert werden. Wenn die Flieger dann von dem Kriegsgericht als schuldig dieses bewußten Angriffes befunden würden, sollten sie abgeurteilt werden; wenn nicht, sollten sie in den normalen Kriegsgefangenenstatus zurückgehen. Es ist nun praktisch dann nicht dazu gekommen, daß auf diesem Gebiete – oder aber mein Vorschlag war es nicht, sondern eine Äußerung, eine Ansicht, die ich Hitler ein-, zweimal in Unterredungen mitteilte – daß sie praktisch nicht zu einer Auswirkung kamen, weil es praktisch zu einer Definition dieses Angriffs nicht kommen konnte. Es ist dann, glaube ich, noch die Sprache gewesen von einer Unterredung, die in Kießheim stattgefunden haben soll, und in der ich mich für einen weitergehenden Vorschlag oder so etwas ähnliches eingesetzt haben soll. Diese Unterredung selbst hat nach meiner klaren Erinnerung nicht stattgefunden. Ich glaube auch – jedenfalls entsinne ich mich nicht –, daß ich zu diesem Zeitpunkt zumindest mit Himmler, mit dem ich damals nicht gut stand, oder mit Göring, den ich selten sah – überhaupt über diese Frage gesprochen habe. Ich glaube daher, daß es möglich ist, daß im Laufe eines Staatsbesuches in Kleßheim wie das öfters war, [342] allgemein beim Führer irgendwie ein Gespräch über diese Dinge stattgefunden hat; das weiß ich aber nicht mehr. Eines weiß ich, daß, wenn von einem weitergehenden Vorschlag von mir gesprochen worden sein kann, dann ist das, kann das nur auf folgendes zurückzuführen gewesen sein: Es war damals, es stand zur Diskussion, das entsinne ich mich, daß eine klare Definition dieses Angriffs der Terrorflieger gefunden werden sollte, und es waren Vorschläge, glaube ich, von verschiedenen Seiten erörtert worden, wonach bestimmte Kategorien von Angriffen als Terrorangriffe bezeichnet werden sollten; ich glaube, Bordwaffenangriffe und solche. Es ist nun möglich, daß diese Notiz, oder was es war, so entstanden ist, daß praktisch der Betreffende meine Auffassung kannte, der eben eine umfassende Lösung finden wollte – wenn man zu einer käme –, die dann offiziell irgendwie mit der Genfer Konvention übereinstimmen oder jedenfalls mit Genf offiziell aufgenommen werden sollte.

Es ist dann hier noch vorgelegt worden in diesem Zusammenhang ein Dokument, nämlich ein Vorschlag eines Gutachtens, glaube ich, des Auswärtigen Amtes in dieser Frage. Dieses Gutachten, ich weiß es jetzt nicht mehr genau, wie es entstanden ist, ob es auf meinen Befehl erfolgt ist, oder ob es auf Rücksprachen mit den beteiligten Wehrmachtsstellen erfolgte, die einmal die Auffassung des Auswärtigen Amtes wissen wollten, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß die Wehrmacht immer großen Wert darauf legte, unsere Auffassung bezüglich der Genfer Konvention genau zu kennen. Ich entsinne mich aber dieses Gutachtens und auch, daß dasselbe mir vorgelegen hat. Es ist nun gesagt worden, ich hätte das gebilligt. Ich glaube, Einzelheiten desselben würden zu weit führen; das ist aber nicht zutreffend, sondern ich entsinne mich, daß ich damals dieses Gutachten als eine wichtige Angelegenheit, die ich nicht allein entscheiden könnte, dem Führer unterbreiten ließ, und ich glaube, daß der Führer dann, oder ich entsinne mich ziemlich genau, daß der Führer damals sagte, daß dies Unsinn sei, und daß daher dieses Gutachten beim Führer also nicht auf fruchtbaren Boden irgendwie gefallen ist. Im weiteren Verlauf haben wir dann nur gehört, weil wir ja nur mittelbar interessiert waren, daß es zu irgendeinem Befehl des Führers oder etwaiger Wehrmachtsstellen auf diesem Gebiet nicht gekommen ist, weil die Wehrmacht genau der gleichen Auffassung in dieser Frage war wie wir. Im einzelnen genau weiß ich das allerdings nicht. Ich kann aber eins hier absolut sagen, und das ist, daß mir im Laufe – oder seitdem diese Frage der Terrorfliegerbekämpfung schwebte – nicht ein einziger Fall von Lynchjustiz jemals bekanntgeworden ist. Daß sie stattgefunden haben, habe ich erst hier gehört.


[343] DR. HORN: Neulich trat der Zeuge Dahlerus hier auf. Seit wann kennen Sie Dahlerus?


VON RIBBENTROP: Ich habe nach meiner Auffassung Herrn Dahlerus hier zum erstenmal gesehen. Es ist natürlich denkbar, daß ich ihn irgendwann mal zufällig oder von weitem, oder zufällig in der Reichskanzlei und so weiter gesehen haben könnte bei einem seiner anscheinend vielfachen Besuche beim Führer, aber entsinnen tue ich mich seiner nicht; und als ich ihn hier sah, hatte ich den Eindruck, daß ich ihn zum ersten Male sähe.


DR. HORN: Hatten Sie Einwirkungsmöglichkeit auf Gästeflugzeuge der Reichsregierung?


VON RIBBENTROP: Nein. Eine solche Einwirkungsmöglichkeit hatte ich nicht.


DR. HORN: Noch eine andere Frage: Was stand Ihnen als Außenminister an Grundstücken dienstlich zur Verfügung?


VON RIBBENTROP: Es ist neulich von dem britischen Herrn Anklagevertreter hier behauptet worden, ich hätte früher eins und später sechs Häuser besessen. Ich möchte hier vor diesem Gerichtshof dies klarstellen. Ich war durch eigene Arbeit – nachdem ich mein ganzes Vermögen seinerzeit verloren hatte in Amerika – wieder zu einem wohlhabenden Mann geworden; als solcher und außerdem hatte ich Möglichkeiten, und auch durch Verwandte, meine Frau, Geldmittel. Ich habe mir im Jahre 1922/1923 ein Haus in Berlin-Dahlem gebaut und verschiedene Grundstücke dazu gekauft, wo wir viele Jahre gewohnt haben. Ich habe ferner mir im Jahre 1934 – ich möchte betonen, daß dies mit politischer Betätigung überhaupt nichts zu tun hat, sondern ich fing meine Tätigkeit ja damals überhaupt erst an – aus einer kleinen Erbschaft, glaube ich, die meine Frau gemacht hatte und aus etwas Geld, das ich hatte, nur ein kleines Besitztum, namens Sonnenburg bei Berlin, mit einem kleinen Haus erworben.

Die anderen, oder ich möchte sagen, seit diesem Zeitpunkt habe ich nicht einen Quadratmeter Besitztum irgendwo in Deutschland oder sonstwo erworben. Die hier von dem britischen Herrn Anklagevertreter erwähnten anderen Häuser – da handelt es sich um das sogenannte Schloß Fuschl, das durch den Empfang verschiedener ausländischer Staatsmänner im Krieg wohl etwas bekanntgeworden ist. Es handelt sich hier nicht um ein Schloß, sondern um einen Turm, einen alten Jagdturm der Erzbischöfe von Salzburg, das mir der Führer zur Verfügung gestellt hatte, weil er wünschte, daß, wenn er auf dem Obersalzberg sei, ich nicht im Hotel wohne, das immer sehr besetzt war, ich mußte meine Mitarbeiter ja mitbringen, sondern daß ich ein Dach über dem Kopfe hätte. Dieser Besitz Fuschl hat niemals mir persönlich gehört, sondern dies war eine [344] sogenannte Stiftung des Auswärtigen Amtes, die ausschließlich dem Staate gehörte und von diesem auch unterhalten wurde. Was die ehemaligen Besitzer dieses Schlosses oder dieses Turmes anbetrifft, so möchte ich sagen, daß ich dieselben niemals kannte, sondern nur deren Namen; über dieselben kann ich sonst nichts sagen. Ich habe nur gehört, daß im Rahmen von Beschlagnahmungen, die damals in Österreich von politischen Gegnern erfolgt worden sind, glaube ich, auch dieses Haus mit von der Reichsregierung beschlagnahmt worden ist.

Das zweite Haus, das hier erwähnt wurde, war ein Haus in – ich glaube – der Slowakei. Hier handelte es sich um ein drittes Haus im Sudetenland, das früher einem Grafen Czernin gehört haben sollte. Auch dies glaube ich klarstellen zu können. Es handelt sich um folgendes: Der Führer hatte mir erlaubt, für die Einladung ausländischer Staatsmänner, um mit ihnen etwas informeller sprechen zu können, Jagden gelegentlich abzuhalten. Ich war auch Jäger. Und da hat das Auswärtige Amt, das heißt die Reichsregierung, im Sudetenland einige Bauernjagden gepachtet und dazu ein Haus, das etwas repräsentativen Charakter hat, glaube ich, für ein paar Jahre gemietet, nicht einmal gekauft, ich glaube nur gemietet. Dasselbe traf zu für eine Jagd in der Slowakei. Ich glaube, diese Jagd, die gehörte uns überhaupt nicht, sondern es hatte die Slowakische Regierung mir jedes Jahr für ein paar Tage zur Verfügung gestellt, um dort einen Hirsch zu schießen. Es war ein Jagdhaus, in dem ich ein oder zweimal zwei oder drei Tage zugebracht habe, was überhaupt nichts irgendwie mit meinen Eigentumsverhältnissen zu tun hat.

Ein weiterer Punkt ist erwähnt worden: Ein Haus, namens Tanneck. Ich darf erwähnen, daß ich dieses Haus, das, glaube ich, im Rheinland lag, überhaupt niemals gesehen habe. Es ist ein kleines Häuschen nach der mir gewordenen Schilderung gewesen, in dem, glaube ich, der Futtermeister wohnte, der eine Anzahl Pferde betreute. Ich war früher Kavallerist und für Pferde interessiert, die vom Staate damals in Frankreich von Aga Khan, dem bekannten Rennstallbesitzer, gekauft worden waren in der Normandie, weil dieses Material sonst dort zugrunde gehen würde. Die Pferde sind nach ihrem vollen Werte, möchte ich gleich hierbei betonen, ich habe darauf immer ausdrücklichen Wert gelegt, bezahlt worden, was Aga Khan, glaube ich, gern bestätigen wird; und sie sind dann nach Deutschland gebracht worden mit vollem Einverständnis des Führers, der allerdings für Pferde nicht viel übrig hatte, aber meinen Standpunkt verstand; und dieselben sollten später in einem gemeinsamen Gestüt, mit dem staatlichen Gestüt Grabitz der Reichsregierung vereinigt werden.

[345] Wenn der Gerichtshof es erlaubt, möchte ich noch sagen, daß über meine persönlichen Verhältnisse meine Verteidigung entsprechende Zeugenaussagen unterbreiten wird. Ich habe damals die Weisung gegeben, daß ich am Ende meiner Ministerschaft keine Mark mehr haben will als am Anfang, mit Ausnahme von zwei Dotationen, die der Führer mir gegeben hat, die aber auch größtenteils, oder zum Teil jedenfalls, glaube ich, schon wieder vom Staat im Rahmen des Staatsetats von mir verbraucht wurden.


DR. HORN: Noch eine letzte Frage: Sahen Sie während Ihrer außenpolitischen Tätigkeit gangbare Wege, die Deutschland zugestandenen, aber theoretisch gebliebenen Revisionsaussichten zu verwirklichen?


VON RIBBENTROP: Das war ja die große Schwierigkeit, aus der letzten Endes dieser ganze Krieg entstanden ist. Adolf Hitler wollte, und das hat er mir sehr oft gesagt, nach Lösung der von ihm als vital erkannten Probleme in Europa einen sozialen Idealstaat aufbauen; er wollte Bauten errichten und so weiter. Das war sein Ziel. Nun standen der Verwirklichung dieser von dem Führer als vital bezeichneten Ziele außerordentliche Schwierigkeiten gegenüber durch das, ich möchte sagen, erstarrte System, politische System, sowohl europäisches, wie vielleicht Weltsystem, das damals aufgerichtet worden ist.

Wir haben ja doch – vor allen Dingen – auch vor mir schon lange der Führer, dann ich in seinem Auftrag – daher kann ich, glaube ich, der Kronzeuge dafür sein – immer wieder versucht, diese Dinge auf diplomatischem, friedlichem Wege zu lösen. Ich habe mich viele Nächte mit dem Völkerbund beschäftigt, Tag und Nacht mit dem Paragraph 19 der Völkerbundsatzung; aber die Schwierigkeit lag ja eben gerade darin, daß der Führer nicht in der Lage war, oder zu der Überzeugung kam, daß es einfach nicht möglich sei, auf dem Verhandlungswege – ohne zumindest eine starke Wehrmacht im Rücken zu haben - überhaupt irgend etwas durchzusetzen. Und der Fehler lag meiner Ansicht nach darin, daß es eben tatsächlich wohl beim Völkerbund den Paragraphen 19, einen sehr guten Paragraphen gab, den wir alle gern unterschrieben haben und hätten, oder haben und auch durchgeführt hätten, aber die praktischen Institutionen, um nun diesem Paragraphen die lebendige Wirklichkeit zu verleihen, die fehlten, die waren einfach nicht vorhanden. Und daher ergab sich allmählich die Situation, daß die Mächte – und das ist auch an sich natürlich –, die für diese – ich möchte sagen – Erstarrung – diesen Status-quo-Zustand bestehen lassen wollten-sich jedem deutschen Schritt widersetzten, daß dies wieder beim Führer Reaktionen hervorrief, bis es dann schließlich so dazu kam, und zur großen Tragik möchte ich sagen, daß über [346] eine Frage, wie Danzig und der Korridor, die verhältnismäßig leicht zu lösen gewesen wäre, dieser große Krieg entstanden ist.


DR. HORN: Ich habe keine weiteren Fragen.


VORSITZENDER: Herr Dr. Horn! Ich glaube kaum, daß wir das Verhör des Zeugen heute fortsetzen können. Der Gerichtshof wäre jedoch Ihnen und der Anklagebehörde für Unterstützung hinsichtlich Ihrer Dokumente dankbar, wenn Sie uns sagen könnten, wie es mit Ihren Dokumenten augenblicklich steht. Vielleicht kann uns die Anklagevertretung sagen, wie weit sie imstande gewesen ist, in diese Dokumente Einsicht zu nehmen, seit sie übersetzt sind, ob sie sich hat entscheiden können, gegen welche Dokumente sie Einspruch erheben und welche Dokumente sie zur Vorlage als Beweismittel zulassen will. Können Sie uns sagen, wie es augenblicklich steht? Welche und wieviele Dokumente sind übersetzt?


DR. HORN: Ein Herr der Britischen Anklagevertretung hat mir heute morgen gesagt, daß das englische Dokumentenbuch bis Montag völlig fertig sein wird, und daß ich mich dann mit ihm zusammensetzen kann, um die Frage der zulässigen Urkunden mit ihm zu besprechen. Und er stellte mir in Aussicht, daß dann von der Britischen Anklagedelegation aus alles weitere mit den übrigen Anklagedelegationen geregelt wird, so daß ich also am Dienstag in der Lage wäre, meine restlichen Urkunden vorzulegen, und ich glaube, in zwei, drei Stunden könnte diese Arbeit erledigt sein. Ich würde in der Hauptsache diese Urkunden gruppenweise vorlegen und auch nicht allzuviel davon verlesen, sondern nur dem Gerichtshof erklären, aus welchem Grunde ich bitten würde, diese Urkunden zur amtlichen Kenntnis zu nehmen.


VORSITZENDER: Sie haben gesagt, daß es höchstens zwei oder drei Stunden dauern würde, Ihre Dokumente zu erläutern, sobald Sie sich mit der Anklagebehörde geeinigt haben? Nicht wahr?


DR. HORN: Ja.


VORSITZENDER: Haben Sie außer dem Angeklagten Zeugen vorzuladen?


DR. HORN: Nein. Ich möchte nur ein Affidavit von dem von mir genannten Zeugen, Legationsrat Gottfriedsen, vorlegen, das die wirtschaftlichen Verhältnisse des früheren Reichsaußenministers und jetzigen Angeklagten von Ribbentrop, klarlegt. Gottfriedsen war der offiziell beauftragte Mann im Auswärtigen Amt, der die dienstlichen Einkünfte des Reichsaußenministers verwaltete und im übrigen auch weitestgehend über die privaten Vermögensverhältnisse unterrichtet ist, insbesondere sowohl über den privaten wie dienstlichen Grundbesitz des Reichsaußenministers und des Außenministeriums Auskunft geben kann. Ich habe diese Auskünfte [347] in Form von einigen Fragen in einem Affidavit aufgenommen. Falls von der Staatsanwaltschaft gegen dieses Affidavit keine Bedenken und kein Einspruch erhoben werden, lege ich keinen Wert auf den Zeugen Gottfriedsen. Wenn die Staatsanwaltschaft ihn wünscht, würde ich ihn dann über den Inhalt, über die Substanz des Affidavits hören.

Sonst habe ich keinen Zeugen für den Angeklagten von Ribbentrop. Ich wäre also mit Präsentierung mei ner Dokumente dann mit dem Fall Ribbentrop fertig, soweit er die Verteidigung angeht.


VORSITZENDER: Ich bitte die Anklagebehörde, uns ihre Ansicht hierzu zu sagen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Was die Englische Anklagevertretung betrifft, wir haben bisher sechs Dokumentenbücher gehabt, ich glaube bis zum Dokument 214, ungefähr zwei Drittel der Dokumente, die Dr. Horn vorzulegen wünscht. Wir konnten bisher die Dokumente bis zu Nummer 191 durchgehen. Ich habe eine Liste zusammengestellt – ich kann dem Gerichtshof und Herrn Dr. Horn je eine überreichen – der Dokumente, gegen die wir Einspruch erheben, mit kurzen Erklärungen dazu. Ich glaube, daß wir gegen etwa 70 bis 80 Dokumente Einspruch erheben, die zwischen 45 und 191 liegen; vielleicht sind es etwas mehr. Die Sowjet-Delegation ist, glaube ich, in der Lage, ihre Einsprüche ebenfalls vorzulegen, die praktisch ganz mit den unsrigen übereinstimmen, obwohl sie unabhängig vorbereitet wurden. Herr Champetier de Ribes hat mindestens zwei Gruppen von Dokumenten, gegen die er Einspruch zu erheben wünscht. Ich glaube, Herr Dodd läßt mir mehr oder weniger freie Hand in diesem Punkt und will in Übereinstimmung mit dem Standpunkt der Britischen Delegation vorgehen.

Dies ist der derzeitige Stand der Dinge. Es wird wohl das beste sein, wenn ich eine sehr summarische Liste der Einwendungen vorlege, die ich bisher vorzubringen habe.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof würde gern wissen, Sir David, wie die Anklagebehörde zu der Übersetzung der Dokumente steht. Sie erinnern sich, daß der Gerichtshof verfügt hat, daß die Anklagebehörde – wenn möglich – gegen Dokumente Einspruch erheben sollte, bevor sie übersetzt sind, um unnötige Übersetzungsarbeiten zu vermeiden, und daß im Falle einer Meinungsverschiedenheit zwischen Anklagevertretung und Verteidigung die Angelegenheit dem Gericht vorgetragen werden sollte. Wir waren der Meinung, daß über eine große Zahl von Dokumenten auf diese Weise eine Einigung erzielt, und Zeit und Arbeit der Übersetzung gespart werden kann.


[348] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja. Die Schwierigkeit, die wir mit diesen Dokumenten hatten, liegt darin, daß wir uns die größte Mühe gegeben haben, unsere Ansicht nach dem Inhaltsverzeichnis zu bilden. Es ist aber sehr schwer, sich aus einer kurzen Beschreibung eines Dokuments von ungefähr anderthalb Zeilen eine Meinung zu bilden. Es kann aber sein, daß dies am praktischesten wäre, obwohl es schwierig ist. Falls die Anklagevertretung ein Inhaltsverzeichnis der Dokumente erhielte, in dem diese so gut wie möglich beschrieben sind, und die Anklagevertretung ihre Einwände auf Grund dieses Inhaltsverzeichnisses erheben und das Gericht von entstandenen Differenzen erführe, ehe die Dokumente übersetzt sind, so würde ich annehmen – ich fürchte, ich kann das nur versuchsweise ausdrücken –, daß es sich lohnte, dies zu versuchen. Andernfalls würde es wie in diesem Falle zu dieser schrecklichen Stockung in der Übersetzungsabteilung des Gerichts durch eine Riesenmenge von Dokumenten kommen, gegen die wir schließlich vielfache Einwendungen machen werden. Das hält dann natürlich wieder die Übersetzung der Dokumente auf, die zu den nachfolgenden Verfahren gehören. Ich würde also gern – und ich glaube, daß meine Kollegen mich hierin unterstützen werden – den Versuch machen, wenn der Gerichtshof glaubt, daß es so durchgeführt werden kann, meine Einwendungen auf einer Liste der Dokumente vorzulegen und versuchen, ob wir zu einem Ergebnis kommen, so daß die Übersetzung aller Dokumente vermieden werden kann.


VORSITZENDER: Würde es der Anklagevertretung helfen, wenn die Verteidigung ihr alle Dokumente in deutscher Sprache überreichte, mit einem vollständigen Inhaltverzeichnis in englisch, und daß dann ein Mitglied der Anklagevertretung, das mit der deutschen Sprache vertraut ist, diese Dokumente in deutscher Sprache lesen und die Anklagevertretung auf diese Art ihre Entschlüsse fassen kann? Könnte das der Anklagevertretung helfen? Sie würde dann nicht nur das Inhaltsverzeichnis haben, um auf die Art der Dokumente zu schließen, sondern die Dokumente würden ihr in deutscher Sprache vorliegen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das wäre eine große Hilfe, besonders wenn die wichtigeren Stellen besonders unterstrichen würden.


VORSITZENDER: Dann könnte man wohl mit Unterstützung der Verteidigung zu einer gewissen Einigung über die Frage kommen, welche Dokumente dem Gerichtshof vorgelegt werden müssen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube, das kann so gemacht werden, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Sir David! Um nun das Programm für die nächsten Tage zu besprechen, so werden am Montag wahrscheinlich [349] einige der Verteidiger Fragen an den Angeklagten Ribbentrop stellen wollen, und dann wird die Anklagebehörde vielleicht den Wunsch haben, ihn ins Kreuzverhör zu nehmen, und das wird wohl, glaube ich, den ganzen Montag andauern.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehr wahrscheinlich, Euer Lordschaft.

VORSITZENDER: Unter diesen Umständen hätten wir also, falls das von Herrn Dr. Horn skizzierte Programm innegehalten wird, keinerlei notwendige Verzögerung. Seine Dokumente können bis Dienstag morgen von der Anklagebehörde überprüft, ihre Einsprüche dagegen dann vorgelegt sein, und er könnte dann, wie er sagt, in zwei oder drei Stunden die Dokumente durchgehen, die dem Gerichtshof zur Entscheidung überlassen bleiben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bin ergebenst damit einverstanden, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Dann würde der Gerichtshof gern wissen, wie die Angelegenheit des nächsten Angeklagten steht. Es kann sein, daß Dienstag nach der Mittagspause der Fall Keitel zur Verhandlung kommt. Sind alle seine Dokumente in Ordnung? Soweit ich mich erinnere, sind die meisten seiner Dokumente bereits als Beweisstücke vorgelegt worden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Viele davon.


VORSITZENDER: Ist das richtig?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht kann uns Dr. Nelte darüber Auskunft geben.


VORSITZENDER: Gewiß, wenn er so freundlich sein will.

DR. NELTE: Herr Präsident! Ich bin jederzeit bereit anzufangen. Die Dokumente liegen vor, sind schon in der vergangenen Woche, auch soweit es sich um Affidavits handelt, der Anklagebehörde zugeleitet worden. Ich erwarte nur noch die Entscheidung der Anklagebehörde über die Frage der Erheblichkeit derjenigen Dokumente, die der Angeklagte als eigene Abhandlungen überreicht hat, und die zur Abkürzung seiner Gesamtvernehmung vorgelegt werden sollen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, sie selbst durchzugehen, aber wir sind grundsätzlich immer damit einverstanden, daß eine Erklärung verlesen wird, solange der Zeuge für das Kreuzverhör zur Verfügung steht. Wenn der Gerichtshof keine Einwendungen hat, hat auch die Anklagevertretung gegen diese Methode nichts einzuwenden.


VORSITZENDER: Ja. Der Gerichtshof hat keinerlei Einwendungen gegen diese Methode schriftliche Dokumente vorzulegen, [350] vorausgesetzt, daß die Anklagebehörde keinen Einspruch dagegen erhebt, und daher kein Kreuzverhör des Zeugen nötig ist. Kann Herr Dr. Nelte uns sagen, ob die Dokumente, die er vorzulegen wünscht, soweit sie noch nicht als Beweismaterial vorgelegt sind, bereits übersetzt sind?


DR. NELTE: Sie sind von mir dem Übersetzungsbü ro abgeliefert worden, die letzten zwei Dokumente vor drei Tagen. Ich nehme also an, daß die verschiedenen Anklagedelegationen die Übersetzungen inzwischen erhalten haben.


VORSITZENDER: Sir David, haben Sie die Dokumente erhalten?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft, wir haben sie noch nicht erhalten.


DR. NELTE: Vielleicht sind sie noch nicht vorgelegt worden; es sind einige, etwa zwei Drittel der Dokumente, schon vor vierzehn Tagen im Übersetzungsbüro fertiggestellt gewesen, und zwar in der französischen und englischen Sprache. Ich habe dann auch der Russischen Delegation dieselben Dokumente zugeleitet, damit sie auch in die russische Sprache übersetzt werden können.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es wird mir von General Mitchell mitgeteilt, daß die Dokumente übersetzt sind. Sie sind nur noch nicht verteilt.


VORSITZENDER: Sehr gut, dann sollte also im Falle des Angeklagten Keitel keine Ursache für eine Verzögerung bestehen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich glaube nicht, Euer Lordschaft.


DR. NELTE: Nein.


VORSITZENDER: Trifft das gleiche auch für den Angeklagten Kaltenbrunner zu, dessen Fall der nächste ist? Dr. Kauffmann, sind Ihre Dokumente bereits übersetzt?


DR. KAUFFMANN: Herr Präsident! Ich habe nur ganz wenige Affidavits, und es wird kein Zweifel sein, daß sie rechtzeitig in den Händen der Anklagebehörde sind.


VORSITZENDER: Einen Augenblick bitte, das heißt, daß Sie bereit sein werden zu beginnen?


DR. KAUFFMANN: Jawohl, nach Keitel, Herr Präsident!


VORSITZENDER: Ja, nach Keitel, gut. Sir David, Sie werden uns also die Einwendungen unterbreiten, die Sie gegen die Dokumente Dr. Horns machen, und auch der Anklagevertreter der Sowjetunion wird seine Einwände vorbringen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde diese, soweit ich sie schon habe, sofort einreichen.


[351] VORSITZENDER: Ja; das gleiche gilt für Herrn Champetier de Ribes, soweit er welche hat.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es Euer Lordschaft genehm ist, jawohl.


VORSITZENDER: Sehr gut. Der Gerichtshof wird nunmehr die Verhandlung vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

1. April 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 10, S. 316-353.
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