Nachmittagssitzung.

[43] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Der Angeklagte Streicher wird an der Nachmittagssitzung nicht teilnehmen.


[Der Zeuge Bohle im Zeugenstand.]


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Zeuge! Wollen Sie sich bitte wieder das Dokument ansehen, mit dem wir uns vor der Pause beschäftigt haben.

Wollen Sie sich den Absatz ansehen, der beginnt: »Ebenso wie überall, ist es äußerst wichtig, wo der Feind ist, und was er macht.« Euer Lordschaft! Ich bin nicht ganz sicher, ob ich das nicht schon vorgelesen habe.


VORSITZENDER: O ja, Sie haben das schon gelesen und den nächsten Absatz sowie den oben auf Seite 3 des englischen Textes. Ich glaube wenigstens, Sie lasen den Paragraphen, der anfängt »Ein wichtiger Abschnitt«.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Vielleicht kann ich mit dem Absatz, der beginnt »Ein wichtiger Sektor«, anfangen. Haben Sie das?


BOHLE: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES:

»Ein wichtiger Sektor Ihrer und Ihrer Kameraden Arbeit müssen Wirtschaftsbetriebe, Handelsunternehmungen usw. sein. Nicht nur, daß Sie auf diesem Wege gut Ihre Propaganda fortpflanzen können. Sie können gerade in solchen Unternehmungen leicht Nachricht über sonderbare Besucher erhalten. Es ist bekannt, daß gerade die feindlichen Spionageorganisationen sich sowohl zu Erkundigungen wie zu Sabotageakten in den Wirtschaftskreisen bewegen. Besonders geeignet zu diesem Dienst sind Kameraden, die intime Beziehungen zu Speditionsgesellschaften haben. Selbstverständlich müssen Sie in der Auswahl Ihrer Mitarbeiter besonders peinlich genau und vorsichtig vorgehen. Hierher gehört auch ein Hinweis auf zwischenstaatliche Organisationen und Austauschvereine.«

Ich möchte Sie besonders bitten, auf die nächsten Zeilen zu achten:

»Es hat sich erwiesen, daß diese öfters sich harmloser Unternehmungen als Tarnung bedienten und in Wirklichkeit als Filialen des ausländischen Nachrichtendienstes anzusehen sind.«

[43] Zeuge, beschreibt dies nicht ganz genau die Art und Weise, wie die Auslandsorganisation ihre Tätigkeit ausübt? Lesen Sie es nochmals:

»Es hat sich erwiesen, daß diese öfters sich harmloser Unternehmungen als Tarnung bedienten und in Wirklichkeit als Filialen des ausländischen Nachrichtendienstes anzusehen sind.«

Stimmt das nicht genau mit den Anweisungen überein, die Ihr Landesgruppenleiter in diesem Dokument an seine Mitglieder geschrieben hat?

BOHLE: Im Gegenteil, ich finde, daß das ein klarer Beweis dafür ist, daß diese Organisationen, die hier erwähnt werden, im Dienste der Fremdspionage und nicht etwa dem der deutschen standen. Ich lese genau das Gegenteil dessen heraus, was der britische Ankläger vorgelesen hat.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Haben nicht Sie oder hat nicht Ihr Landesgruppenleiter hier diese Leute angewiesen, Abwehrdienste zu leisten, das heißt eine Funktion auszuüben, die zum Nachrichtendienst gehört? Ist das nicht ungefähr das, worauf der Verfasser bis zu dieser Stelle hinzielt?


BOHLE: Der Brief, den ich nicht persönlich kenne, dreht sich offensichtlich darum, daß Auslandsdeutsche angewiesen werden, in allen Fällen Meldung zu machen, wo sie der Arbeit des »Intelligence Service« begegneten. Dagegen ist in einem Krieg meines Erachtens nicht das geringste einzuwenden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut, wir wollen nicht weiter darüber diskutieren. Soweit ich Sie verstehe, wissen Sie nichts über die Instruktionen, die in diesem Briefe enthalten sind. Das ist das erstemal, daß Sie ihn gesehen oder davon gehört haben? Ist das richtig?


BOHLE: Nein, dieser Brief ist mir neu, und ich weiß auch nicht, ob er ein Original ist. Ein Original liegt nicht vor.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Darf ich dann annehmen, daß Sie keine Kenntnis hatten von der Tätigkeit in den Ländern um Deutschland herum, wo Ihre Organisation arbeitete, von der Tätigkeit, die sie in Belgien ausübte, keine Kenntnis hatten von der Tätigkeit, die sie in Norwegen ausübte, keine Kenntnis von dem, was sie in Spanien machte, und nicht sehr viel von dem, was in Rumänien gemacht wurde. Ist das richtig?


BOHLE: Nein, das ist nicht richtig. Ich habe selbstverständlich Kenntnis von der Tätigkeit der Landesgruppen draußen gehabt, aber es ist mir nicht ganz klar, welche besondere Tätigkeit als Zweck der Auslandsorganisation der Herr britische Ankläger herausstellen will.


[44] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wenn Sie über ihre Tätigkeit unterrichtet waren..., Ihre Aussage gibt mir zu verstehen, daß dies nicht der Fall war in Bezug auf die Tätigkeit, über die Ihr eignes Aus landsorganisations-Jahrbuch einen Artikel herausbrachte. Diese beiden Artikel berichteten sowohl über die Tätigkeit in Norwegen als auch in Griechenland. Sie wußten von alledem nichts, stimmt das?


BOHLE: Die Tätigkeit in Norwegen kannte ich nicht. Das habe ich bereits ausgesagt. Die Tätigkeit in Griechenland kannte ich sehr wohl; außerdem bewegte sie sich auf einem völlig normalen Gebiet.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut; Lassen wir das. Ich möchte nur noch zwei Fragen über eine andere Sache stellen. Habe ich recht, wenn ich behaupte, daß die Informationen, ich will jetzt nicht mit Ihnen diskutieren, welcher Art die Informationen waren, daß die Informationen, die Ihre Organisation nach Hause sandte, dann an den Angeklagten Heß weitergeleitet wurden?


BOHLE: Teilweise ja, teilweise nicht. Das kam auf den Inhalt der Informationen an. Wenn sie eine außenpolitische Information war, bekam sie natürlich eine andere Stelle.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie waren in der Tat eine Sammelstelle für Informationen, nicht wahr? Darf ich Ihnen erklären, was ich meine: Sie haben Informationen, die Sie erhielten, an die SS weitergeleitet?

BOHLE: Teilweise ja; wenn nicht an die SS, dann wahrscheinlich...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: An das Auswärtige Amt?


BOHLE: Manchmal auch an das Auswärtige Amt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und an die Abwehr, nicht wahr?


BOHLE: Abwehr sehr selten, aber das ist auch vorgekommen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie sagen sehr selten. Hatten Sie keinen Verbindungsoffizier von der Abwehr in Ihrer Organisation?


BOHLE: Nein, ich hatte nur einen Mitarbeiter, der ehrenamtliche Verbindung zur Abwehr in vorkommenden Fällen aufrecht erhielt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Vielleicht sprechen wir über denselben Herrn. Hatten Sie nicht einen Hauptmann Schmauß in Ihrem Hauptamt in Berlin?


BOHLE: Herr Schmauß ist nie im Leben Hauptmann gewesen, sondern er war Politischer Leiter und ehrenamtlicher SS-Führer. [45] Im Heer war er – glaube ich – Feldwebel. Er stammte auch nicht von der Abwehr, sondern war Personalchef der Auslandsorganisation und rein ehrenamtlich für diese Verbindung tätig.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie sagen, er war nicht Verbindungsoffizier zwischen Ihrer Auslandsorganisation und der Abwehr?


BOHLE: Nein, er war überhaupt kein Offizier. Er gehörte der Wehrmacht nicht an.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte mit Ihnen nicht über seinen Rang streiten. War er, was auch immer er gewesen sein möge, als Verbindungsmann zwischen Ihnen und der Abwehr tatsächlich tätig?


BOHLE: Ja, das ist richtig.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sehr gut. Nun weiter: Hat Heß außer den Informationen, die er durch Ihren Nachrichtenapparat, das heißt durch die Auslandsorganisation erhielt, auch noch Informationen von jenen Organisationen bekommen, die sich mit den Volksdeutschen beschäftigten, das heißt mit nichtdeutschen Staatsbürgern, sogenannten Volksdeutschen im Ausland, die nicht Mitglieder Ihrer Organisation waren, weil Sie nur deutsche Staatsbürger in Ihre Organisation aufnahmen. Aber hat Heß über die Tätigkeit der Volksdeutschen, ich glaube, Sie nennen sie so, Informationen von anderen Quellen erhalten?


BOHLE: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich darüber mit Heß nicht gesprochen habe und die Volksdeutschen Angelegenheiten völlig außerhalb meines Bereiches lagen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Dr. Karl Haushofer war einige Zeit 1938/1939 Präsident des VDA, stimmt das?


BOHLE: Ich glaube ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das war eine Organisation, die sich mit der Tätigkeit der Volksdeutschen im Ausland beschäftigte. Ist das richtig?


BOHLE: Ich glaube ja. Ich kenne mich auf diesem Gebiet nicht aus.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wie Sie wissen, waren Heß und Karl Haushofer gute Freunde, stimmt das nicht?


BOHLE: Jawohl, das stimmt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Haushofer war Schüler von Heß an der Münchener Universität, wußten Sie das?


BOHLE: Umgekehrt.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wissen Sie nicht, daß Heß Informationen von Haushofer über die Tätigkeit dieser anderen Organisationen erhielt?


[46] BOHLE: Nein, davon ist mir nichts bekannt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Ich will Ihnen keine Falle stellen. Ist das Ihre Antwort? Haben Sie vor diesem Gerichtshof die Wahrheit gesprochen?


BOHLE: Ich wollte ferner sagen, daß der Stellvertreter des Führers peinlichst genau eine Trennung in der auslandsdeutschen, das heißt reichsdeutschen Arbeit im Ausland und der Volksdeutschen durchgeführt hat, und ebenso peinlichst genau darauf achtete, daß ich mit Volksdeutschen Fragen in keiner Weise befaßt wurde. Ich habe deshalb auch von diesen Vorgängen keine Kenntnis.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Heß als Stellvertreter des Führers war in der Tat mit allen Angelegenheiten betraut, die sich auf das Deutschtum im Ausland bezogen, nicht wahr?


BOHLE: Das war er wohl, weil er im Auslande geboren war. Nicht aber, soviel ich weiß, in seiner Eigenschaft als Stellvertreter des Führers. Ich glaube, das hatte damit nichts zu tun.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß er nur deswegen, weil er im Ausland geboren war, mit allen Fragen bezüglich des Deutschtums im Ausland betraut war?


BOHLE: Ich nehme das an, denn es hätte genau so gut irgendein anderer Reichsleiter der Partei diese Fragen bearbeiten können. Ich nehme aber an, daß Heß sie deswegen übernommen hat, weil er eben das Ausland kannte.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte ganz klar sein. Gleichgültig warum, er hat in der Tat diese Dinge geleitet. Ist das Ihre Aussage?


BOHLE: Ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte Sie nunmehr an eine Stelle in Ihrem Verhör erinnern, das in diesem Gebäude am 9. November 1945 stattfand. Erinnern Sie sich an das Verhör vom 9....?


BOHLE: [unterbrechend] September?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Am 9. November.


BOHLE: November, ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie wurden am Nachmittag dieses Tages durch einen Leutnant Martin verhört.


BOHLE: Durch Leutnant Martin, ja.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Lassen Sie mich einen kurzen Auszug aus dem Protokoll über dieses Verhör verlesen und [47] Sie fragen, ob er stimmt. Sie wurden befragt über die Informationen, die durch die Auslandsorganisation nach Deutschland kamen:

»Frage: Mußte er sich in Bezug auf diese Dinge auf die Nachrichten verlassen, die er von Ihnen bekam?

Antwort: Nicht nur. Ich glaube, Heß hatte eine große Anzahl von Verbindungen in Hamburg, durch welche er Informationen erhielt, wovon er mir nichts mitteilte.

Frage: Welche Verbindungen hatte er in Hamburg?

Antwort: Es waren Schiffahrtsgesellschaften.

Frage: So etwas wie in Ihren Instruktionen an den Landesgruppenleiter in Rumänien?

Antwort: Ich glaube, er kannte eine Reihe von Leuten dort; ich habe es mir immer so erklärt, daß er sie kannte.

Frage: Ist das Helferich?

Antwort: Helferich auf der einen Seite, aber dann hatte er viele Leute, von denen er Informationen erhielt; ich glaube durch Professor Haushofer, seinen alten Lehrer, mit dem er sehr befreundet war. Aber er hat es immer so gehalten, daß wir nicht über das informiert wurden, was die Volksdeutschen anging. Er pflegte zu sagen: ›Das ist nicht Ihre Sache!‹«

Ist das richtig?

BOHLE: Ja, das ist richtig.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Und wie Sie es damals ausgesagt haben, ist das eine richtige Beschreibung der Stellung, die Heß bezüglich der Informationen von Agenten im Ausland innehatte. Ist das hier richtig dargestellt?


BOHLE: Soweit ich das übersehen kann, wird das Wohl richtig sein. Ich kann selbst nur beurteilen, inwieweit die Berichterstattung durch die Auslandsorganisation in Frage kam. Über die anderen kann ich nur Vermutungen anstellen, aber keine klare Auskunft geben, weil ich nicht eingeweiht war.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich habe keine weiteren Fragen. Vielleicht kann ich die Beweisstücke, auf die ich mich bezogen habe, in Ordnung bringen.

Das Jahrbuch der Auslandsorganisation, dem die Artikel über Norwegen und Griechenland entnommen waren, wird mit GB-284 bezeichnet. Die beiden Übersetzungen, die Sie haben, sind mit M-153 und M-156 bezeichnet, und beide zusammen werden jetzt Beweisstück GB-284.

Das geheime drahtlose Telegramm, das Dokument M-158 war, wird GB-285; und der Brief vom Landesgruppenleiter Konradi, der Dokument 3796-PS war, wird GB-286.


[48] BOHLE: Darf ich noch etwas zu einem Punkt aus dem britischen Kreuzverhör sagen?


VORSITZENDER: Ja.


BOHLE: Kann ich anfangen?


VORSITZENDER: Sie können eine kurze Erklärung abgeben, Sie können aber hier keine Rede halten.


BOHLE: Nein, ich will keine Rede halten, sondern ich möchte nur zu dem heute morgen angeschnittenen Thema der Geheimsender folgendes sagen: Obwohl ich über die Technik derartiger Sender nicht unterrichtet bin, nehme ich an, daß ein Geheimsender nur Zweck hat im Ausland, wenn ein Empfangsgerät sich in Berlin befindet; und ich weiß ganz genau, daß in meinem Dienstgebäude in Berlin oder in einem sonstigen Gebäude der Auslandsorganisation sich niemals ein Empfangsgerät befunden hat, von dem ich irgendeine Kenntnis hatte, und ich kann auch annehmen, daß ein solches Empfangsgerät nicht bestand.


OBERST JOHN HARLAN AMEN, BEIGEORDNETER ANKLÄGER FÜR DIE VEREINIGTEN STAATEN: Erinnern Sie sich, daß Sie am 11. September 1945 durch Oberst Brundage vernommen worden sind?


BOHLE: Ja.


OBERST AMEN: Ich möchte Ihnen einige Fragen und Antworten aus Ihrer Vernehmung vorlesen und Sie fragen, ob Sie sich daran erinnern, diese Fragen gefragt worden zu sein und die Antworten gegeben zu haben.

Frage: Nun, als Sie anfingen, wer war Ihr unmittelbarer Vorgesetzter?

Antwort: Rudolf Heß bis 1941, bis er sich nach England begab.

Frage: Wer war sein Nachfolger?

Antwort: Martin Bormann. Martin Bormann wurde automatisch Nachfolger von Heß, aber er hat nicht wirklich die Stellung für Heß ausgefüllt, weil Heß vom Ausland war und in Ägypten geboren wurde, während Bormann niemals etwas von auswärtigen Angelegenheiten verstand, er beschäftigte sich nicht damit, aber natürlich war er mein Vorgesetzter.

Frage: Aber nominell war er Ihr Vorgesetzter?

Antwort: Er war technisch mein Vorgesetzter, aber er hat mir keine Befehle oder Anweisungen oder irgend etwas Ähnliches gegeben, da er nichts von diesen Dingen verstand.

Frage: So daß Sie für alles, was in Ihrem Amt getan wurde, verantwortlich waren?

Antwort: Absolut.

[49] Frage: Und Sie sind willens, diese Verantwortlichkeit zu übernehmen?

Antwort: Natürlich.

Erinnern Sie sich, daß Sie diese Fragen gefragt wurden und diese Antworten gegeben haben?

BOHLE: Das ist absolut richtig.

OBERST AMEN: Und waren diese Antworten richtig, als Sie sie gaben?

Absolut richtig.


OBERST AMEN: Sind sie noch heute wahr?


BOHLE: Immer noch wahr.


OBERST AMEN: So daß Sie die Verantwortung übernehmen für alles, was Ihr Amt durchgeführt hat, stimmt das?


BOHLE: Jawohl, das ist richtig.


OBERST AMEN: Wer war von Strempel?


BOHLE: Von Strempel, ich glaube, war Gesandtschaftsrat im Auswärtigen Amt, aber ich kenne ihn nicht näher.


OBERST AMEN: War er nicht Erster Sekretär bei der Deutschen Botschaft in den Vereinigten Staaten von 1938 bis Pearl Harbor?


BOHLE: Ich kann es nicht genau sagen, weil ich ihn nur ganz flüchtig kenne und keinerlei Verbindung mit ihm hatte.


OBERST AMEN: Nun, er wurde über die Unterstützung des Deutsch-Amerikanischen Bundes durch die Auslandsorganisation vor dem Jahre 1938 vernommen, und ich möchte Ihnen nur eine oder zwei Fragen und Antworten vorlesen und Sie fragen, ob Sie mit dem übereinstimmen, was Sie über die Sache wissen. Verstehen Sie?


BOHLE: Jawohl.


OBERST AMEN:

»Frage: Wurde der Deutsch-Amerikanische Bund von der Auslandsorganisation unterstützt?

Antwort: Ich bin ganz sicher, daß er mit der auswärtigen Organisation der Partei in Verbindung stand. Zum Beispiel hat der Bund Anweisungen bekommen, wie die Organisation aufgezogen werden sollte, wie, wo und wann er Massenversammlungen abhalten sollte und wie er die Propaganda durchzuführen hatte. Persönlich ist mir nicht bekannt, ob er finanzielle Unterstützung erhalten hat.«

Stimmt das mit Ihrer Anschauung überein?

[50] BOHLE: Nein, das ist eine absolut falsche Darstellung.

Die Auslandsorganisation hat erstens mal überhaupt nicht finanziell unterstützt, und hat keinerlei Verbindung mit dem Amerika-Deutschen Volksbund gehabt. Das habe ich in wiederholten Verhören hier in Nürnberg auch deutlich zum Ausdruck gebracht und darüber ein Affidavit abgegeben.


OBERST AMEN: Ja, das weiß ich. Ihr Zeugnis geht also dahin, daß, falls Strempel dies als Tatsache beschworen hat, er nicht die Wahrheit gesagt hat? Ist das richtig?


BOHLE: Ich bin der Meinung, daß Herr von Strempel, wenn er Legationssekretär oder sonstiger Sekretär war, überhaupt nichts davon wissen kann, und eine Auskunft gegeben hat, über die er sich selbst offenbar nicht im klaren ist. Dies stimmt jedenfalls nicht.


OBERST AMEN: Ist Ihnen die Tatsache bekannt, daß im Jahre 1938 eine Anordnung herausgegeben wurde, die den Angehörigen der Deutschen Botschaften und Konsulate verbot, weiter Beziehungen oder Verbindungen mit dem Bund zu pflegen?


BOHLE: Es war ein genereller Befehl für die Reichsdeutschen im Ausland, aus dem Bund, sofern sie überhaupt darin waren, auszutreten. Dieser Befehl lag aber meines Wissens Jahre vorher, etwa 1935 oder 1936, und stammte auf meine Bitte vom Stellvertreter des Führers.


DR. SEIDL: Ich widerspreche dieser Frage. Diese Frage hat mit dem Beweisthema, für welches der Zeuge Bohle genannt wurde, nichts zu tun. Es wurde auch keine Frage im Hauptverhör an ihn gerichtet, die in irgendeinem Zusammenhang mit dieser Frage, nämlich mit der Tätigkeit des Deutsch-Amerikanischen Bundes, stehen könnte. Ich glaube auch nicht, daß diese Fragestellung geeignet ist, die Glaubwürdigkeit des Zeugen auf die Probe zu stellen, da sie mit dem Fragenkomplex des Zeugen nicht das geringste zu tun hat.


OBERST AMEN: Es scheint nur, daß diese Frage in unmittelbarem Zusammenhang damit steht, ob diese Organisation sich im Ausland und in den Vereinigten Staaten mit Spionage beschäftigt hat oder nicht.


VORSITZENDER: Sicherlich. Nach Ansicht des Gerichtshofs sind diese Fragen vollkommen in Ordnung.


OBERST AMEN: Ist es nicht Tatsache, daß trotz dieses Befehls die Auswärtige Abteilung der NSDAP doch die Unterstützung des Bundes fortsetzte?


BOHLE: Nein, das ist mir nicht bekannt, ich halte es für ausgeschlossen.


[51] OBERST AMEN: Nun möchte ich Ihnen noch ein oder zwei weitere Auszüge aus der Vernehmung von Strempel vorlesen und Sie fragen, ob diese Erklärung mit Ihrer Kenntnis der Tatsachen übereinstimmt.

»Frage: Hat die Auslandsabteilung der Partei die Unterstützung des Bundes fortgesetzt nachdem dieser von Ihnen erwähnte Befehl erlassen war?

Antwort: Ich bin sicher, daß Herr Dräger, Konsul in Neuyork-City und Vertreter der Auslandsabteilung der Partei, die Beziehungen zu den Amtsträgern des Bundes fortsetzte.«

Stimmt das mit Ihrer Erinnerung über die Tatsachen überein?

BOHLE: Nein, das entspricht meines Erachtens nicht den Tatsachen. Ob Herr Konsul Dr. Dräger die Beziehungen noch fortgesetzt hat gegen meinen Befehl, kann ich natürlich nicht beurteilen. Es lag der ganz strikte Befehl vor, sich vom Bund absolut zurückzuziehen, weil ich von Anbeginn die Tätigkeit des Bundes auf das schärfste beanstandet habe, und der Stellvertreter des Führers sich meiner Beanstandung ganz klar anschloß.

OBERST AMEN: Sie waren mit Dräger bekannt, nicht wahr?


BOHLE: Jawohl.


OBERST AMEN: Welches war seine Stellung in den Vereinigten Staaten, soweit es sich um Ihre Organisation handelte?


BOHLE: Er war Vertrauensmann der Auslandsorganisation für die einzelnen Parteigenossen, die wir in den Vereinigten Staaten hatten.


OBERST AMEN: Er war, was man einen Geheimagenten nennt, nicht wahr?


BOHLE: Nein, das war er natürlich nicht, sondern wir hatten...


OBERST AMEN: Und es ist nicht richtig, daß Sie ihn bei Ihrer Vernehmung »Geheimagenten« nannten?


BOHLE: Nein, ich habe ihn Vertrauensmann genannt, und zwar brachte die Übersetzung »confidence man«. Ich habe...


OBERST AMEN: Gut, ich will Ihre Berichtigung anerkennen. Er war ein Vertrauensmann Ihrer Organisation in den Vereinigten Staaten.

Stimmt das?


BOHLE: Ganz recht, ja, das ist richtig.


OBERST AMEN: Und außer ihm gab es noch andere Vertrauensmänner in den Vereinigten Staaten. Ist das richtig?


BOHLE: Ja, richtig.

[52] OBERST AMEN: Wollen Sie dem Gerichtshof mitteilen, wie sie hießen, und wo sie sich befanden?


BOHLE: Einer war der Generalkonsul Wiedemann in San Francisco, dann Konsul Dr. Gißling in Los Angeles, dann Konsul von Spiegel, ich glaube in New Orleans, das weiß ich aber nicht, oder in Boston. Eines von beiden. Ich glaube das waren alle.


OBERST AMEN: Und jede dieser Personen machte von Zeit zu Zeit Berichte, die durch Dräger an Sie weitergeleitet wurden. Stimmt das nicht?


BOHLE: Nein, die haben keinerlei Berichte an mich gemacht. Ich kann mich nicht erinnern, von Wiedemann oder Spiegel oder Gißling jemals einen Bericht gesehen zu haben, es war auch nicht ihre Aufgabe.


OBERST AMEN: Dräger hat doch die Berichte an Sie gemacht, nicht wahr?


BOHLE: Dräger berichtete an die Auslandsorganisation in Berlin oder an mich persönlich. Meistens an meine Dienststelle.


OBERST AMEN: Und diese Berichte enthielten die verschiedenen Informationen, die von den anderen Vertrauensmännern gesammelt worden waren. Ist das richtig?


BOHLE: Das weiß ich nicht, weil ich diese Berichte nicht kenne und ich nicht sagen kann, ob etwas zu berichten war. Wir hatten keine Organisation der Partei in den Vereinigten Staaten, da sie Rudolf Heß im April 1933 auflöste.


OBERST AMEN: Das sagen Sie. Aber Sie hatten doch jemanden in Deutschland, dessen Pflicht es war, diese Berichte, die von Dräger an Sie gesandt, wurden, zu lesen und zu beurteilen. Stimmt das nicht?


BOHLE: Die Berichte, die kamen, waren rein technischer Natur, soweit ich unterrichtet bin, und ich glaube, ich bin richtig unterrichtet. Wir hatten in den Vereinigten Staaten sehr wenig Mitglieder der Partei, die kartei- und kassenmäßig erfaßt werden mußten, um ihnen ihre Rechte als Mitglieder in der Partei zu sichern. Eine politische Betätigung in den Vereinigten Staaten war verboten und hat auch nicht stattgefunden.


OBERST AMEN: Aber ich behaupte Ihnen gegenüber, daß trotz des Befehls die Tätigkeit Ihrer Organisation dort fortgesetzt wurde. Nun, ist es nicht Tatsache, daß in Ihrer Organisation in Deutschland jemand regelmäßig diese Berichte von den Vereinigten Staaten empfangen hat?


BOHLE: Es war mein Mitarbeiter, Herr Grothe, der für diese...

OBERST AMEN: Verzeihung.


[53] BOHLE: Es war mein Mitarbeiter, Herr Grothe.


OBERST AMEN: Richtig. Warum haben Sie mir das nicht schon vorher mitgeteilt, als ich Sie fragte, wer die Berichte von den Vereinigten Staaten las, wenn sie eintrafen?


BOHLE: Ich darf um Wiederholung bitten, ich habe das nicht ganz verstanden.


OBERST AMEN: Nun, ich ziehe diese Frage zurück. An wen hat Grothe den wesentlichen Inhalt dieser Berichte, die er regelmäßig aus den Vereinigten Staaten erhielt, weitergeleitet?


BOHLE: Soviel ich weiß, hat er sie meistens für sich selbst behalten, weil sie gar nichts Interessantes enthielten, und er selbst auch nicht in der Lage war, irgend etwas damit anzufangen. Herr Grothe hatte eine Ehrenstellung bei uns infolge seines Alters, und hatte gerade deshalb diesen Zweig der Arbeit übernommen, weil sie von keinerlei Wichtigkeit für die Auslandsorganisation war.


OBERST AMEN: So daß Sie nicht in der Lage sind, zu wissen, was in diesen Berichten stand? Ist das richtig?


BOHLE: Das ist zum größten Teil richtig.

OBERST AMEN: So wissen Sie nicht, ob sie wichtig waren oder nicht und ob sie Nachrichten über Spionageangelegenheiten enthielten oder nicht? Ist das richtig?


BOHLE: Ich bin sicher, wenn sie derartige Informationen enthalten hätten, würde Herr Grothe sie mir vorgelegt haben.


OBERST AMEN: Gut, abgesehen davon, wissen Sie überhaupt nichts darüber? Ist das richtig?


BOHLE: Das ist richtig.


OBERST AMEN: Nun lassen Sie mich nur kurz ein oder zwei Auszüge aus der Vernehmung von Strempel verlesen:

»Frage: Diese Beziehungen scheinen den von Ihnen erwähnten Befehl verletzt zu haben. Hatten Sie diese Verletzungen an das Auswärtige Amt berichtet?

Antwort: Jawohl, mehrere Male. In Berichten, die ich für Thomson entwarf, als ich in der Botschaft war, haben wir die Aufmerksamkeit Berlins darauf gelenkt, daß diese Beziehungen zu dem Bund sehr schädlich waren, und haben erklärt, daß die fortgesetzte Unterstützung des Bundes durch die Auslandsabteilung der Partei die diplomatischen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten schädigten.

Frage: Was für eine Aktion wurde in Berlin unternommen, um der Tätigkeit, über die Sie sich be klagten, ein Ende zu machen?

[54] Antwort: Ich weiß von keiner Maßnahme.«

Stimmt das mit Ihrem Wissen von den Dingen überein?

BOHLE: Ich habe von dieser Berichterstattung des Herrn von Thomson nicht die geringste Ahnung. Das ist das erstemal, daß ich von Protesten der Botschaft in Washington über unerlaubte Beziehungen von Dr. Dräger zum Bund etwas erfahre.

OBERST AMEN: Sie wissen, wer Thomson war, nicht wahr?


BOHLE: Thomson war Geschäftsträger in Washington.


OBERST AMEN: Und Sie wissen, daß von Zeit zu Zeit verschiedene Funktionäre des Bundes herübergekommen sind und mit Vertretern Ihrer Organisation und des Führers Konferenzen abhielten, nicht wahr?


BOHLE: Ich habe gehört, daß sie beim Führer waren, sie waren aber nicht bei mir und haben bei mir keinerlei Unterredungen irgendwelcher Art gehabt.


OBERST AMEN: Ich sagte nicht mit Ihnen, ich sagte mit Vertretern Ihres Amtes, vielleicht mit Ihrem Freund, Herrn Grothe?


BOHLE: Das wäre möglich, das kann ich aber nicht genau sagen, denn er hat mir darüber nicht berichtet, und es können auch dort keinerlei offizielle Sachen irgendwelcher Art besprochen worden sein, weil Herr Grothe genau wußte, daß ich in Amerika den Deutschen Volksbund in seiner ganzen Arbeit ablehne.


OBERST AMEN: Aber auf jeden Fall übernehmen Sie die Verantwortung für alles, was in Ihrer Organisation getan wurde. Ist das richtig?


BOHLE: Das ist selbstverständlich.


VORSITZENDER: Wünscht einer der anderen Hauptanklagevertreter den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?


[Keine Antwort.]


Dann steht Ihnen, Dr. Seidl, der Zeuge zum nochmaligen Verhör zur Verfügung, wenn Sie wünschen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge, Sie haben vorhin bereits eine Frage beantwortet, die ich an Sie stellen wollte, daß nämlich in Deutschland kein geheimer Sender war, der in der Lage gewesen wäre, in das Ausland irgendwelche geheime Nachrichten durchzugeben. Ich frage Sie nun, haben Sie selbst irgendeine Sendestation in Deutschland gehabt?

BOHLE: Ich selbst habe keinerlei Sendestation gehabt.


DR. SEIDL: Hat die Auslandsorganisation eine solche gehabt?


BOHLE: Das halte ich für völlig ausgeschlossen, denn sonst hätte ich es wissen müssen. Ich habe nie eine gesehen.


[55] DR. SEIDL: Ist es richtig, daß Sie sich selbst zur Durchgabe von Funkdurchsagen an Auslandsdeutsche in Übersee nicht in offener Sprache des deutschen Rundfunks bedient haben?


BOHLE: Das ist richtig.


DR. SEIDL: Sie haben vorhin erklärt, daß der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, Ihr unmittelbarer Vorgesetzter war?


BOHLE: Ja.


OBERST AMEN: Waren die Richtlinien, die der Stellvertreter des Führers in Ihrer Tätigkeit Ihnen gegeben hat, allgemeiner Art oder aber war es so, daß der Stellvertreter des Führers sich um Einzelheiten der Arbeit der Auslandsorganisation gekümmert hat?


BOHLE: Der Stellvertreter des Führers gab nur allgemeine Richtlinien und überließ mir vollkommen, weil Ich sein volles Vertrauen besaß, die Regelung der Einzelheiten. Seine allgemeinen Richtlinien gingen darauf hinaus, daß er es mir in allerschärfster Form wiederholt zur Pflicht machte, alles zu vermeiden, was irgendwie durch die Auslandsorganisation zu einer Belastung des Verhältnisses zu fremden Staaten führen könnte.


DR. SEIDL: Ich habe dann keine weiteren Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge abtreten.


[Der Zeuge verläßt den Zeugenstand.]


DR. SEIDL: Meine Herren Richter! Bevor ich zum nächsten Zeugen übergehe, das ist der Zeuge Strölin, möchte ich dem Gerichtshof den Vorschlag unterbreiten beziehungsweise den Antrag stellen, es in Bezug auf die eidesstattliche Versicherung des Zeugen Gaus ebenso zu handhaben, wie in Bezug auf die Vernehmung des Zeugen Bohle. Der Zeuge Gaus wurde bereits für einen anderen Angeklagten als Zeuge genehmigt. Der Verteidiger für den anderen Angeklagten hat aber auf seine Vernehmung verzichtet. Es ist also so, wie hier bei dem Fall Bohle, daß es meines Erachtens zweckmäßig wäre, den Zeugen Gaus jetzt schon zu vernehmen und an Hand seiner Vernehmung oder bei Gelegenheit seiner Vernehmung ihm die eidesstattliche Versicherung vorzulesen, genau so wie in anderen Fällen, wie zum Beispiel im Fall Blaha.

VORSITZENDER: Wurde das Affidavit schon übersetzt und den Hauptanklagevertretern in den verschiedenen Sprachen zugeleitet?


DR. SEIDL: Ich weiß nicht, ob die Übersetzung schon vollständig ist. Jedenfalls habe ich heute mittag das Affidavit der Übersetzungsabteilung zugeleitet, und zwar in sechs Abschriften.


VORSITZENDER: Gut, was können Sie mir dazu sagen, Sie David oder Oberst Pokrowsky?


[56] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe dieses Affidavit noch nicht gesehen, und was das letzte angeht, so wurde dieses in größter Eile in das Englische übersetzt, und nur die Liebenswürdigkeit meiner Sowjetkollegen, die damit einverstanden waren, daß die Sache ohne eine russische Übersetzung weitergehen konnte, und die Sache meiner Delegation überließen, machte es möglich, weiter zu verhandeln. Sonst hätten meine Sowjetkollegen den Gerichtshof ersucht, sie zurückzustellen. Es ist sehr schwierig, wenn diese eidesstattlichen Versicherungen in letzter Minute vorgelegt werden und wir keine Gelegenheit haben, diese vorher zu sehen.


VORSITZENDER: Vielleicht kann Oberst Pokrows ky mir sagen, ob er dieses Affidavit gesehen hat, oder ob es schon Übersetzt worden ist?


OBERST Y. V. POKROWSKY, STELLVERTRETENDER HAUPTANKLÄGER FÜR DIE SOWJETUNION: Meine Herren Richter! Ich teile den Standpunkt von Sir David Maxwell-Fyfe. Ich glaube, daß es vollständig unangebracht ist, dem Gerichtshof jetzt dieses Dokument vorzulegen.

Wenn ich Sir David Maxwell-Fyfe richtig verstanden habe, hat er dieses Affidavit nicht erhalten. Genau in derselben Lage befindet sich auch die Sowjet-Delegation. Außerdem möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß die Frage über diesen Zeugen schon besprochen und endgültig gelöst wurde, und es scheint mir, daß es keinen Grund gibt, diese Frage wieder aufzurollen.


VORSITZENDER: Dr. Seidl, der Gerichtshof ist der Ansicht, daß das folgende Verfahren eingehalten werden muß:

Dieses Affidavit muß übersetzt und dem Gerichtshof zur Stellungnahme vorgelegt werden, denn dieser Zeuge wurde für den Angeklagten Ribbentrop zugelassen, und dann zog dieser meines Wissens den Antrag auf Ladung dieses Zeugen zurück. Sie haben niemals den Zeugen Gaus verlangt, und ich möchte Sie und die anderen Verteidiger darauf aufmerksam ma chen, daß es sehr unangenehm ist, wenn Dokumente dieser Art, nachdem alle Fragen über Zeugen und Dokumente eingehend vom Gerichtshof besprochen worden sind, im letzten Augenblick und ohne irgendwelche Übersetzung vorgelegt werden. Aber wir wollen das jetzt nicht weiter besprechen. Das Dokument muß übersetzt und dem Gerichtshof in drei Sprachen vorgelegt werden.


DR. SEIDL: Ich darf vielleicht nur eine kurze Bemerkung zu dem letzten Punkt machen. Ich bin bis jetzt immer davon ausgegangen, daß ein förmlicher Beweisantrag in Bezug auf einen Zeugen nicht notwendig war, der vom Gerichtshof schon für einen anderen Angeklagten genehmigt wurde. Das war unzweifelhaft bei [57] dem Zeugen Gaus für den Angeklagten Ribbentrop der Fall. Ich hatte also keine Veranlassung, insoweit einen förmlichen Antrag zu stellen, um im Kreuzverhör den Zeugen zu befragen.

Ich hörte soeben von dem Herrn Verteidiger des Angeklagten von Ribbentrop, daß er, was sein Vertreter schon am letzten Samstag gesagt hat, von sich aus nunmehr auf den Zeugen Gaus verzichtet, und ich benenne nun meinerseits den Botschafter Dr. Gaus als Zeugen für den Tatbestand, wie er in der eidesstattlichen Versicherung niedergelegt ist.


VORSITZENDER: Ich weiß nicht, was Sie meinen, wenn Sie sagen, Sie laden ihn vor. Sie können beantragen, ihn laden zu lassen, wenn Sie wollen. Sie können nicht jemanden vorladen lassen, den Sie nicht beantragt haben.


DR. SEIDL: Jawohl, Herr Vorsitzender.


VORSITZENDER: Sobald wir das Dokument sehen, werden wir über diese Frage entscheiden.


DR. SEIDL: Der nächste Zeuge, der von dem Gerichtshof für den Angeklagten Heß genehmigt wurde, ist der Zeuge Karl Strölin. Ich habe nun, um Zeit zu ersparen, auch für diesen Zeugen ein Affidavit vorbereitet und bitte nun den Gerichtshof, mir mitzuteilen, ob es mit diesem Zeugen ebenso gehandhabt werden soll, wie in Bezug auf den Zeugen Bohle, oder ob die Anklagevertretung damit einverstanden ist, daß lediglich das Affidavit verlesen wird.


VORSITZENDER: Hat die Anklage das Affidavit gesehen?


DR. SEIDL: Ich habe heute vormittag das Affidavit der Anklagevertretung übergeben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe die englische Übersetzung des Affidavits erhalten, und es gibt ein oder zwei Fragen, die die Anklagebehörde an den Zeugen zu stellen wünscht. Darum bin ich der Ansicht, daß der zweckmäßigste Vorgang der wäre, wenn Dr. Seidl ebenso verfährt, wie bei dem letzten Zeugen, das heißt das Affidavit verliest, und dann können, wenn das Affidavit verlesen ist, die wenigen Fragen, die die Anklagevertretung zu stellen wünscht, dem Zeugen vorgelegt werden.


VORSITZENDER: Sehr wohl.


OBERST POKROWSKY: Ich möchte Ihnen, Herr Vorsitzender, mitteilen, daß in Bezug auf dieses Dokument die Verteidigung wiederum gegen Ihre Entscheidung verstoßen hat, und zwar hat die Sowjetvertretung dieses Affidavit erst vor kurzer Zeit erhalten, etwa vor ein oder zwei Stunden, und zwar nicht in russischer, sondern nur in englischer Sprache. Deswegen hatte ich die Möglichkeit, mich mit dem Dokument nur sehr oberflächlich bekannt zu machen, und ich möchte vorschlagen, die Vorlage dieses Dokuments [58] auf den Augenblick zu verschieben, bis der vom Gerichtshof eingeführten Regel Folge geleistet wird, und zwar bis zu dem Augenblick, in dem wir die russische Übersetzung bekommen.


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Wäre es nicht besser, fortzufahren, um dem Gerichtshof Zeit zu sparen? Sir David hat offenbar das Affidavit gesehen und es auf englisch gelesen, und wenn er sich damit zufriedengibt, wäre es dann nicht besser, jetzt fortzufahren, statt es zu verschieben? Sie müssen verstehen, Dr. Seidl hat tatsächlich die Zustimmung erhalten, den Zeugen aufzurufen, und es ist nur eine Zeitfrage, ob er es durch ein Affidavit macht; denn er könnte ihn ja auch aufrufen und ihn verhören.


OBERST POKROWSKY: Ich kann nur wiederholen, daß ich mich nur flüchtig mit diesem Dokument bekanntmachen konnte. Soweit ich verstehe, ist es für die Sowjet-Delegation ohne besonderes Interesse. Es interessiert mehr die Britische Delegation...


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Bitte verstehen Sie, daß der Zeuge Dr. Seidl zugestanden wurde, deswegen hat Dr. Seidl das Recht, ihn als Zeugen aufzurufen und an ihn Fragen zu richten, und der einzige Grund, es durch Affidavit zu machen, ist, die Sache klarer und schneller zu erledigen. Wenn wir deshalb entscheiden würden, daß das Affidavit nicht verwendet werden soll, würde Dr. Seidl an den Zeugen Fragen stellen, und ich befürchte, es würde länger dauern als das Verlesen des Affidavits, und Sie würden doch dagegen keinen Einspruch erheben.


OBERST POKROWSKY: Vielleicht würde der Gerichtshof es zweckmäßig finden, daß Herr Dr. Seidl an den Zeugen die Fragen stellt, auf die im Affidavit die Antwort gegeben wird. Ich glaube, daß dies uns mit dem kleinen Widerspruch versöhnen könnte, da es dort nur einige Fragen gibt, und die ersten drei, soviel ich verstehe, im wesentlichen historischen Charakters sind und mit der Organisation des Instituts in Stuttgart im Jahre 1917 zu tun haben.


VORSITZENDER: Oberst Pokrowsky! Ich habe das Affidavit noch nicht gelesen. Ich bin leider nicht in der Lage, Ihrem Wunsche nachzukommen und diese Fragen vorzulegen, da ich sie nicht kenne.


OBERST POKROWSKY: Ich ziehe meine Beanstandung zurück.


VORSITZENDER: Also, rufen Sie jetzt Ihren Zeugen auf.


[Der Zeuge Strölin betritt den Zeugenstand.]


VORSITZENDER: Wie heißen Sie?

ZEUGE KARL STRÖLIN: Karl Strölin.


VORSITZENDER: Sprechen Sie mir diesen Eid nach:

[59] Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich die reine Wahrheit sagen, nichts verschweigen und nichts hinzufügen werde.


[Der Zeuge Strölin spricht die Eidesformel nach.]


VORSITZENDER: Sie können sich setzen, wenn Sie wollen.

DR. SEIDL: Herr Zeuge, Sie waren zuletzt Oberbürgermeister der Stadt Stuttgart, ist das richtig?


STRÖLIN: Jawohl.


DR. SEIDL: Waren Sie in dieser Eigenschaft auch gleichfalls ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Auslandsinstituts?


STRÖLIN: Jawohl.


DR. SEIDL: Sie haben heute vormittag eine eidesstattliche Versicherung unterschrieben, die ich Ihnen nun vorlesen werde:

»1. Das Deutsche Auslandsinstitut wurde im Jahre 1917 in Stuttgart gegründet. Daß Stuttgart zum Sitz dieses Instituts gewählt wurde, hängt damit zusammen, daß der schwäbische Volksstamm schon immer einen besonders hohen Prozentsatz an Auswanderern gestellt hat. So entstand gerade in Stuttgart das Bedürfnis, eine Einrichtung zu dem Zwecke zu gründen, die landsmannschaftliche Verbundenheit zwischen der alten und der neuen Heimat aufrechtzuerhalten. Diesem Zweck sollte das Deutsche Auslandsinstitut dienen. Es ergaben sich dabei folgende Aufgaben:

a) die wissenschaftliche Erforschung des Deutsch tums in der Welt,

b) die Pflege der kulturellen Verbindung mit den Ausgewanderten,

c) die Unterrichtung des Inlandes über das Deutschtum im Ausland und über fremde Länder.

Der wissenschaftlichen Forschung dienten beim Deutschen Auslandsinstitut eine über 100000 Bände umfassende Bibliothek über Volkskunde und ein Pressearchiv für das Auslandsdeutschtum. Zu diesem Zwecke wurden fast alle im Ausland erscheinenden deutschsprachigen Zeitungen und eine große Anzahl fremdsprachiger Zeitungen gehalten und ausgewertet. In einer Kartothek wurde eine umfassende Bildsammlung angelegt. Einen immer stärkeren Umfang hatte, im Zuge des wachsenden Interesses der Auslandsdeutschen an der Heimat, die Familienforschung angenommen. Neben der sammelnden und registrierenden Tätigkeit übte das Deutsche Auslandsinstitut beratende und darstellende Funktionen aus. Auch Gegenstand der Beratung war lange Zeit hindurch die[60] Auswandererfrage. Das hatte zur Voraussetzung, daß das Deutsche Auslandsinstitut auch über die Arbeitsmöglichkeiten und über die Lebensbedingungen in den einzelnen Auswanderungsgebieten unterrichtet wurde. Das Material des Deutschen Auslandsinstituts wurde auf Verlangen den verschiedenen Dienststellen und Organisationen zur Verfügung gestellt. Die darstellende Tätigkeit des Deutschen Auslandsinstituts bestand im wesentlichen in der Veranstaltung von Ausstellungen. Mittelpunkt dieser Tätigkeit war das Museum des Deutschtums im Auslande in Stuttgart. Die wissenschaftliche Arbeit des Deutschen Auslandsinstituts fand ihren Niederschlag besonders in den von ihm herausgegebenen Büchern, Zeitschriften und Kalendern mit heimatlichem Charakter. Durch Versendung solchen Buchmaterials wurde die Verbindung mit den Deutschen im Ausland aufrechterhalten. Im Verkehr mit den Deutschen im Auslande war der leitende Gedanke des Deutschen Auslandsinstituts, daß diese Auslandsdeutschen Bindeglieder zwischen den Völkern sein sollten, um das gegenseitige Verständnis und den Willen zur Zusammenarbeit zu vertiefen. Sie sollten Träger der Freundschaft zwischen der alten und neuen Heimat sein. Diesen Gedanken habe ich als Präsident des Deutschen Auslandsinstituts ganz besonders betont bei meiner Festrede auf dem Deutschen Tag in Neuyork, in Madison Square Garden im Oktober 1936. Das Deutsche Auslandsinstitut hatte im übrigen keinerlei Einrichtungen oder Beauftragte im Ausland als Vermittler dieser korrespondierenden Mitglieder. Eine unmittelbare oder Einzelbetreuung von Deutschen im Auslande war nicht Aufgabe des Deutschen Auslandsinstituts. Die Betreuung der Reichsdeutschen erfolgte durch die Auslandsorganisation der NSDAP, mit den Volksdeutschen hielt der Volksbund für das Deutschtum im Ausland Verbindung.

2. Das Deutsche Auslandsinstitut hat niemals irgendeine Tätigkeit entwickelt, die man als Fünfte Kolonnentätigkeit bezeichnen könnte. Es ist von keiner Seite an mich oder an das Institut ein in dieser Richtung liegendes Ansinnen gestellt worden.

3. Der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, hat keinerlei Einfluß auf die Tätigkeit dieses Instituts genommen. Er hat keinerlei Richtlinien oder Weisungen erteilt, die das Institut zu einer Tätigkeit im Sinne einer Fünften Kolonne hatten veranlassen können.«

Herr Zeuge, sind diese Angaben richtig?

STRÖLIN: Diese Angaben sind richtig.

DR. SEIDL: Ich habe zunächst keine Frage an den Zeugen.


[61] VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen an den Zeugen zu stellen?


DR. OTTO FREIHERR VON LÜDINGHAUSEN, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN VON NEURATH: Mit Erlaubnis des Gerichtshofs möchte ich jetzt an Sie ein paar Fragen stellen, Herr Zeuge:

Erstens, von wann bis wann waren Sie Oberbürgermeister von Stuttgart.


STRÖLIN: Von 1933 bis zum Ende des Krieges.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und seit wann kennen Sie den Angeklagten von Neurath? Was war er damals, und welchen Ruf genoß er?


STRÖLIN: Ich kenne den Herrn von Neurath aus der Zeit vom ersten Weltkrieg her. Er war damals am Ende des ersten Weltkrieges Kabinettschef des Königs von Württemberg. Er genoß einen sehr guten Ruf. Als Oberbürgermeister bin ich dann mit Herrn von Neurath häufiger zusammengekommen. Er wurde im Jahre 1938 Ehrenbürger der Stadt Stuttgart.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie sind dann später noch in engere Beziehungen mit ihm getreten als er zurückkehrte aus der Tschechoslowakei?


STRÖLIN: Als er zurückkam aus der Tschechoslowakei zog sich Herr von Neurath zurück auf seinen Hof Leinfelden, in der Nähe von Stuttgart, und hier bin ich in engere und nähere Beziehungen mit ihm getreten.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was wissen Sie über seine Herkunft, seine Familie, seine Erziehung, überhaupt seine Persönlichkeit?


STRÖLIN: Von Neurath entstammt einer alten schwäbischen Familie. Sein Vater war Oberst-Kammerherr des Königs von Württemberg, sein Großvater und sein Urgroßvater waren Minister. Von Neurath war hochgeachtet als ein vornehmer Charakter, als eine distinguierte Persönlichkeit stets hilfsbereit, außerordentlich human, verantwortungsbewußt, gerade und offen.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie während seiner Tätigkeit als Außenminister und eventuell auch später Gelegenheit gehabt, mit ihm über Politik, insbesondere auch über seine Ansicht über Auslandspolitik zu sprechen?


STRÖLIN: Von Neurath hat sich mit mir wiederholt über diese Fragen, natürlich nur in allgemeiner Form, unterhalten. Als Reichsaußenminister war er davon überzeugt, daß es Deutschland auf friedlichem Wege gelingen werde, wieder den ihm gebührenden Platz einzunehmen. Jeden anderen Weg lehnte er ab. Er strebe danach, vertrauensvolle Beziehungen zu den europäischen Großmächten [62] zu erhalten und zu stärken, insbesondere aber auch zu England. Er habe gerade auf diesem Gebiete getan, was überhaupt möglich war.

Ich hatte später Gelegenheit, mit ihm das Buch von Henderson anzusehen: »Zwei Jahre bei Hitler«, in dem ja auch gerade besonders hervorgehoben wurde, wie außerordentlich beliebt – »extremely popular« – von Neurath damals in London gewesen ist. Ich erinnere mich, daß wir auch über den Satz zusammen sprachen, den Henderson geschrieben hat, daß er die Aufrichtigkeit von Neuraths zum Frieden und zu friedlichen und guten Beziehungen zu England anerkannte. Auch die Pflege der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten lag von Neurath sehr am Herzen. Ich erinnere mich daran, daß er nach meiner Amerikareise mit mir darüber sprach, daß es gut war, daß ich bei meinen Reden den Willen Deutschlands zur Freundschaft mit den Vereinigten Staaten betont hätte. Ich erinnere mich aber auch daran, wie scharf von Neurath den Ton der Rede Hitlers kritisierte, die dieser Anfang 1939 als Antwort auf die Botschaft Roosevelts gehalten hatte. Er sagte damals, die internationale Spannung sei durch diese Rede erhöht worden. Dann kam von Neurath auf das Münchener Abkommen zu sprechen, an dem er selbst lebhaften Anteil genommen hatte. Er sprach dann aber später immer wieder von der Tragik, die nun darin bestanden hätte, daß, trotz aller Bemühungen, das Verhältnis zwischen England und Deutschland kein dauernd vertrauensvolles geblieben sei. Er wies darauf hin, wie tragisch das für Europa und für die Welt gewesen sei. Aus allen Gesprächen mit von Neurath habe ich immer wieder die Überzeugung bekommen können, daß er den Willen zur Verständigung und zum friedlichen Ausgleich gehabt hat, und ich habe aus allen seinen Äußerungen die Überzeugung gewonnen, daß er nie eine Politik gemacht hätte, die zum Kriege führen könnte.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Was waren die Gründe zu seiner Ernennung zum Ehrenbürger von Stuttgart? Das geschah doch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Reichsaußenminister?


STRÖLIN: Die Ernennung erfolgte im Jahre 1938 aus Anlaß seines 65. Geburtstages, am 2. Februar 1938. Die Ernennung sollte Dank und Anerkennung sein, nicht nur der Stadt Stuttgart, sondern des ganzen Schwabenlandes für die von von Neurath bewiesene Friedensliebe und für die Ruhe und Besonnenheit, mit der er die Außenpolitik geführt hatte. Sie sollte aber auch ein Zeichen der Achtung sein vor der geraden und lauteren Persönlichkeit von Neuraths.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Zeuge! Die englische Anklage behauptet hier, daß Herr von Neurath mehrfach Versicherungen an Auslandsregierungen abgegeben habe, beziehungsweise an deren Vertreter, in denen er versichert habe, Deutschland habe keinerlei[63] kriegerische oder aggressive Absichten diesen Staaten gegenüber, daß diese Erklärungen aber in Wirklichkeit nur zum Schein abgegeben worden seien, um diese Staaten in Sicherheit zu wiegen, denn er, von Neurath, hätte damals schon gewußt, und es auch gutgeheißen, daß Hitler tatsächlich aggressive Absichten gegen diese Staaten hatte.

Halten Sie, nach Ihrer Kenntnis seiner Persönlichkeit, ihn einer derartigen Infamie überhaupt für fähig?


STRÖLIN: Nein, ich halte von Neurath für eine derartige Handlungsweise nicht fähig.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat Herr von Neurath Ihnen seinerzeit Mitteilung gemacht über sein Ausscheiden aus der Stellung als Reichsaußenminister?


STRÖLIN: Ich war zufällig am 4. Februar 1938 bei von Neurath auf dem Außenministerium, gerade in dem Augenblick, als die Bewilligung seines Abschiedsgesuches herauskam. Er schilderte, wie es zu diesem Abschiedsgesuch gekommen sei. Von Neurath sei bis Ende des Jahres 1937 davon überzeugt gewesen, daß Hitler durchaus mit der von ihm geführten Außenpolitik einverstanden gewesen sei. Hitler habe, ebenso wie er, es nicht auf kriegerische Verwicklungen ankommen lassen wollen. Völlig unerwartet habe nun Hitler Ende 1937 eine veränderte Haltung eingenommen. Hitler habe plötzlich andere Töne angeschlagen, und man habe von diesen nicht wissen können, ob sie vielleicht ernst gemeint gewesen seien. Von Neurath habe dann in persönlicher Unterredung mit Hitler versucht, ihm diese veränderte Auffassung wieder auszureden. Er habe aber dabei den Eindruck bekommen müssen, daß er seinen Einfluß auf Hitler verloren habe. Das habe ihn veranlaßt, seine Demission einzureichen.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nach seiner oder gleichzeitig mit seiner Enthebung als Reichsaußenminister wurde von Neurath doch zum Präsidenten des Geheimen Kabinettsrats ernannt. Wissen Sie irgend etwas über diese Stellung, wie es dazu kam, was damit bezweckt wurde und was für eine Tätigkeit er als solcher ausgeübt hat?


STRÖLIN: Er hat diese Ernennung zum Präsidenten des Geheimen Kabinettsrats gleichzeitig mit seiner Verabschiedung erhalten. Dieses Kabinett ist aber niemals zusammengetreten, und zwar ebensowenig wie das Reichskabinett. Das Geheime Kabinett sollte von Hitler selbst einberufen werden, und er hat es eben nicht einberufen, von Neurath glaubte dann später, daß man ihn zu diesem Präsidentenposten nur ernannt hätte, um dem Auslande gegenüber zu verschleiern, daß der frühere Reichsaußenminister auf die Politik des Reiches keinerlei Einfluß mehr habe.


[64] VORSITZENDER: Dr. von Lüdinghausen, es ist mir nicht klar, woher dieser Zeuge wissen, kann, ob der Geheime Kabinettsrat jemals einberufen wurde. Auf jeden Fall haben wir es schon von Göring gehört und wahrscheinlich werden wir es noch einmal von dem Angeklagten von Neurath hören. Was eine klare Wiederholung eines bereits angeführten Beweismittels ist. Wir sollten nicht die Zeit des Gerichtshofs damit vergeuden.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie mit Herrn von Neurath auch manchmal über seine Einstellung und sein Verhältnis zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei gesprochen?


STRÖLIN: Von Neurath verhielt sich gegenüber der Partei kritisch und ablehnend, ablehnend und abwartend zunächst. Die Partei stand zu ihm in einem schlechten Verhältnis. Die Partei stand auf dem Standpunkt, von Neurath sei kein Nationalsozialist.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie mit ihm auch mal über die Politik der Nazis gegenüber den christlichen Kirchen, das heißt der katholischen und evangelischen Kirche, gesprochen?


STRÖLIN: Von Neurath war gläubiger Christ und lehnte die Politik der Partei gegenüber den christlichen Kirchen ab. Er unterstützte besonders die Bestrebungen des Landesbischofs Bohr um religiöse Freiheit. Er setzte sich wiederholt dafür ein, daß Seminare, die beschlagnahmt waren, wieder freigegeben wurden. Auf Grund der Besprechung mit von Neurath bin ich persönlich bei Kirchenminister Kerrl gewesen und habe mit ihm die Frage der Kirchen-Politik besprochen. Ich mußte dabei feststellen, daß der Kirchenminister Kerrl an sich eifrig bemüht war, den Ge dankendes positiven Christentums durchzusetzen und zu vertreten. Es ist ihm aber nicht gelungen, weil er in seiner Tätigkeit ständig sabotiert war, insbesondere von Himmler und von Bormann.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Haben Sie dann später, als Herr von Neurath endgültig in Leinfelden in seinem Gut wieder Wohnung nahm, mit ihm über seine Tätigkeit als Reichsprotektor gesprochen?


STRÖLIN: Von Neurath sagte, daß er den Posten als Reichsprotektor in Böhmen und Mähren nur äußerst ungern angenommen habe. Er habe ihn zweimal abgelehnt, aber er glaubte dann doch, ein Opfer seiner Person bringen zu müssen. Er habe geglaubt, gerade dort ausgleichend und versöhnend wirken zu können. Er hat persönliche Schwierigkeiten gehabt mit Himmler und Frank; er erzählte mir von seinen Bestrebungen, eine bessere Behandlung der Tschechen zu erreichen, und von seinen vergeblichen Vorstellungen bei Hitler. Als ich von Neurath einmal in Prag besuchte, wurde ich zu dem Staatspräsidenten Hacha gebeten und dieser sagte mir betont, wie froh er darüber sei, daß von Neurath nach Böhmen-Mähren geschickt worden sei, da er ein hohes Vertrauen [65] genieße und in jeder Beziehung eine ausgleichende Funktion erfülle. Als Grund seiner Ablösung und Abberufung erzählte mir von Neurath, daß er, von Neurath, dem Führer zu milde gewesen sei in der Behandlung der Tschechen, und daß dieser es vorgezogen hätte, einen besonders erprobten SS-Führer an diese Stelle zu setzen.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wer sollte da hingesetzt werden?


STRÖLIN: Das war Heydrich.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Hat das der Herr von Neurath zum Anlaß genommen, seine Demission zu geben?


STRÖLIN: Offenbar.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nun, Herr von Neurath war auch Ehrengruppenführer der SS. Hat er Ihnen einmal erzählt, wieso er zu dieser, sagen wir mal, Auszeichnung gekommen ist?


STRÖLIN: Er hat mir erzählt, daß er zum Ehrenführer der SS ernannt worden sei, ohne danach gefragt worden zu sein. Als er Hitler nach dem Grunde fragte, sagte dieser, daß demnächst der Besuch von Mussolini stattfinde, und er, Hitler, wünsche, daß jeder, der in seinem Gefolge sei, eine Uniform trage. Da er, von Neurath, keine Uniform besitze, habe er ihn zum Ehrenführer der SS ernannt. Von Neurath sagte, er habe nicht die Absicht, sich Himmler zu unterstellen. Darauf hätte Hitler gesagt, das sei auch nicht notwendig, es sei ja nur eine Uniformtrage.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Wie war dann die Stellung Herrn von Neuraths zum Kriege?


STRÖLIN: Ich habe Herrn von Neurath am ersten Kriegstag in Stuttgart auf die Bahn gebracht. Er war damals niedergeschlagen, geradezu bestürzt. Er nannte den Krieg ein fürchterliches Unglück, ein »Aufs-Spiel-Setzen« der Existenz des Volkes. Er sagte damals, alle seine Arbeit aus den Jahren 1932 bis 1938 sei damit vernichtet worden. Während des Krieges sei von Neurath dann verschiedentlich mit dem Führer zusammengekommen. Jedesmal habe er dabei die Gelegenheit benützt, Hitler darauf anzugehen, doch dem Friedensgedanken näherzutreten. Damit sei er, von Neurath,...


VORSITZENDER: Wie kann der Zeuge das sagen, er war doch bei solchen Zusammenkünften nicht gegenwärtig? Wie kann uns der Zeuge das sagen, was der Angeklagte von Neurath zum Führer sagte?


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Sie hören ja, das ist, was der Angeklagte ihm erzählt hat. Das hat der Angeklagte direkt dem Zeugen erzählt.


STRÖLIN: Das hat mir von Neurath wiederholt erzählt. Er hat mir...


VORSITZENDER: Es wird alles äußerst kumulativ sein.


[66] DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich glaube nicht. Der Zeuge wird das nur der Anklage gegenüber selbst bestätigen brauchen.


VORSITZENDER: Dr. Lüdinghausen! Der Gerichtshof nimmt an, daß der Angeklagte von Neurath diese Aussage selbst machen wird, und der Gerichtshof wünscht nicht, von Zeugen Aussagen über Sachen, die ihnen erzählt wurden, zu hören.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Gut, dann verzichte ich auf das weitere, und möchte nur noch eine Frage stellen.


[Zum Zeugen gewandt:]


Hat Herr von Neurath sich nicht auch mit Ihnen und anderen Leuten bemüht, zumindest Erwägungen gepflogen, um dem Kriege und der Herrschaft Hitlers ein Ende zu machen? Das sind nun Tatsachen, die der Zeuge aus eigener Wissenschaft weiß.

STRÖLIN: Von Neurath hat sich mit mir nach meiner Rückkehr aus Prag verschiedentlich über diese Frage unterhalten. Er hat sich bemüht, insbesondere die Einberufung des Reichskabinetts zu erreichen, wie die anderen Minister auch. Es ist ihm aber nicht gelungen, da Hitler dieses Reichskabinett als einen Defaitistenklub ablehnte. Als Voraussetzung für eine Beendigung des Krieges versuchte von Neurath, einen Wechsel von Ministern und die ebenfalls allgemein geforderte Bestellung eines Reichskanzlers durchzusetzen. Auch das scheiterte. Nun setzte sich im Laufe des Jahres 1943 bei Neurath immer mehr die Überzeugung durch...

VORSITZENDER: Das ist genau dieselbe Sache wieder, nicht, was von Neurath gemacht hat, sondern, was von Neurath diesem Zeugen erzählt hat.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich bitte um Entschuldigung. Das ist nur die Vorgeschichte; sonst wäre das, was jetzt kommt, nicht recht verständlich.


VORSITZENDER: Ich dachte, Sie sagten, Sie hätten nur noch eine Frage?


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ja, das kommt jetzt. Diese Frage zeigt die Bemühung, diese seine Absichten eventuell durchzusetzen.


STRÖLIN: Nachdem diese Versuche von Neuraths, auf reformatorischem Gebiet etwas zu erreichen, gescheitert sind, und zwar, da er sah, daß alles daran scheiterte, daß Hitler einen ablehnenden und intransigenten Standpunkt einnahm, kam von Neurath ungefähr anfangs 1944 zu der Überzeugung, daß die Rettung Deutschlands vor der völligen Zerstörung an der Person Hitlers nicht scheitern dürfe. Er überlegte nun die Frage, wie man mit Hitler zunächst einmal noch sprechen könnte und auf ihn einwirken könnte im Sinne einer Beendigung des Krieges. Er kam dabei auf die Person des [67] Feldmarschalls Rommel, und ich wurde beauftragt, mit Feldmarschall Rommel darüber zu sprechen. Rommel war damals im In- und Auslande außerordentlich populär, und von Neurath stand auf dem Standpunkte, daß Rommel nach seiner ganzen Stellung auch dafür in Frage käme, notfalls Hitler zu ersetzen. Ich bin dann Anfang März 1944 ungefähr zu Feldmarschall Rommel gefahren und habe mit ihm diese Frage besprochen. Er hat die Lage ebenso kritisch beurteilt. Ich kannte Generalfeldmarschall Rommel schon vom ersten Weltkrieg her, so daß ich ganz offen mit ihm sprechen konnte. Er vertrat ebenfalls den Standpunkt, daß, wenn der Krieg militärisch nicht gewonnen werden könnte, unnötiges Blutvergießen und eine sinnlose Zerstörung...


VORSITZENDER: Dr. Lüdinghausen, wir wollen das wirklich nicht, diese Unterredung zwischen diesem Zeugen und Rommel. Wir wünschen das nicht. Wir wünschen, diese Unterredung zwischen diesem Zeugen und Rommel nicht zu hören.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich wünsche auch nicht, daß der Zeuge diese Sache bespricht.


VORSITZENDER: Warum haben Sie ihn dann jetzt nicht unterbrochen? Warum taten Sie das nicht?


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Ich wollte es nicht von dem Angeklagten selbst hören, sondern von derjenigen Persönlichkeit, deren sich der Angeklagte bedient hat, um diese Schritte zu tun. Das ist meiner Ansicht nach doch noch mehr, als wenn der Angeklagte selber etwas sagt. Aus diesem Grunde habe ich den Zeugen darüber betragt. Aber es ist jetzt zu Ende.


VORSITZENDER: Wenn wir zu dem Angeklagten kommen, werden wir ihn dann nicht in dieser Sache hören?


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Nein, das ist nicht beabsichtigt. Außerdem ist jetzt mit drei Worten die Sache zu Ende, soweit ich im Bilde bin. Bitte, Herr Zeuge.


STRÖLIN: Rommel hat dann auf Veranlassung von Neuraths einen Brief an Hitler geschrieben des Inhalts, daß er glaube, daß auf Grund der militärischen Lage eine Fortsetzung des Krieges nicht mehr möglich sei und er, Rommel, empfehle Hitler, politische Verhandlungen einzuleiten. Rommel sei infolgedessen, wie er mir erzählte, nach seinem Unglücksfall deswegen in Ungnade gefallen, und damit scheiterte auch der Versuch von Neuraths, mit Hilfe Rommels auf eine Beendigung des Krieges hinzuwirken.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Und dann kam der 20. Juli und bald darauf war es zu Ende. Ich habe keine weiteren Fragen, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich vertagen.


[Pause von 10 Minuten.]


[68] VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Verteidiger Fragen an diesen Zeugen zu stellen?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich bitte darum, dem Zeugen das Dokument 3258-PS, GB-262 zu übergeben. Euer Lordschaft, es ist dasselbe Dokument, aus dem dem Gerichtshof ein Auszug bereits überreicht wurde, während ich den letzten Zeugen ins Kreuzverhör genommen habe.

Zeuge! Ich möchte, daß Sie in Ihren Aussagen über das Deutsche Auslandsinstitut ganz klar sind. Wollen Sie sagen, daß zwischen diesem Institut und Heß oder der Auslandsorganisation keine Verbindung bestand?


STRÖLIN: Mit Rudolf Heß hatte das Deutsche Auslandsinstitut keine Verbindung. Mit der Auslandsor ganisation bestand die Verbindung schon durch die Tatsache, daß die Auslandsorganisation Tagungen in Stuttgart abhielt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: So ist der Umstand, daß sowohl die Auslandsorganisation als auch das Deutsche Auslandsinstitut ihre Zusammenkünfte in Stuttgart hatten, die einzige Verbindung zwischen den beiden Organisationen; ist das richtig?


STRÖLIN: Die Auslandsorganisation hat meines Wissens das Deutsche Auslandsinstitut in sachlicher Hinsicht nicht in Anspruch genommen, weil sie über eigene Materialsammlungen verfügte. Die Auslandsorganisation ist, soviel ich weiß, im Jahre 1932 gegründet worden und hat sich...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, ich möchte Sie nicht unterbrechen, aber, wenn Sie meine Frage mit Ja oder Nein beantworten können, würden wir sehr viel Zeit sparen. Ich will meine Frage wiederholen, falls Sie sich darüber nicht ganz im klaren sind: Behaupten Sie, daß die Tatsache, daß beide Organisationen ihre Zusammenkünfte in Stuttgart abhielten, die einzige Verbindung zwischen den beiden Organisationen darstellte? Nun können Sie mit Ja oder Nein antworten.


STRÖLIN: Ich kann das nicht mit Ja oder Nein beantworten, sondern ich muß sagen, daß das verbindende Glied die Tatsache war, daß Stuttgart, die Stadt der Auslandsdeutschen, Repräsentant sozusagen der Deutschen im Auslande war aus seiner geschichtlichen Vergangenheit heraus.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Können Sie englisch lesen?


STRÖLIN: Etwas.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich Seite 461 in dem Buch ansehen, das Sie vor sich haben? Unten auf [69] Seite 461 finden Sie den Abdruck eines Artikels, der im »Stuttgarter Neuen Tagblatt« vom 21. September 1933 erschien.

Der Gerichtshof wird den Auszug auf Seite 4 der englischen Übersetzung finden. Dieser Artikel beschreibt die Jahresversammlung Ihres Instituts nach seiner Reorganisation im Jahre 1933, nachdem die NSDAP zur Macht gekommen war. Ich möchte Ihnen nur vier kurze Auszüge aus diesem Artikel 2 vorlesen und Sie um Ihre Erläuterung bitten.

»Der Vorsitzende des Deutschen Auslandsinstituts, Oberbürgermeister Dr. Strölin, eröffnete die Feier.«

Das waren doch Sie, nicht wahr?

STRÖLIN: Jawohl.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES:

»Er begrüßte unter den Anwesenden besonders den Ministerpräsidenten und den Kultusminister von Württemberg, Mergenthaler, als Vertreter der übergeordneten Behörden, General Haushofer von München, als Vertreter von Rudolf Heß, der vom Führer mit der obersten Leitung in allen Fragen beauftragt worden ist, die die Deutschen im Ausland betreffen.«

Haben Sie das gesagt?

STRÖLIN: Daran kann ich mich nicht erinnern. Haushofer war für mich der Vertreter des VDA, ich kann mir nicht mehr vorstellen, daß er als Vertreter von Rudolf Heß bei dieser Gelegenheit war. Es ist aber wohl dann so.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Glauben Sie, daß der Gerichtshof sicher geht, wenn er annimmt, daß das »Stuttgarter Neue Tagblatt« am Tage nach der Feier Ihre Eröffnungsrede genau berichtet hat?

Sie brauchen sich den Rest augenblicklich nicht anzusehen. Es ist doch nicht wahrscheinlich, daß dieser Artikel unwahr oder unrichtig ist?


STRÖLIN: Nein, der Artikel wird schon richtig sein, aber ich war mir nicht darüber klar, jetzt in der Erinnerung, daß Haushofer damals ein Vertreter von Rudolf Heß gewesen sein soll, denn Rudolf Heß hat mit dem Deutschen Auslandsinstitut selbst nichts zu tun gehabt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Also, Sie sagen hier, und zwar in einer Rede, daß Haushofer der Vertreter von Rudolf Heß ist, und daß Heß vom Führer mit der obersten Leitung aller Angelegenheiten im Hinblick auf die Deutschen im Ausland beauftragt worden ist. Es ist Ihnen doch klar, was Sie da sagen?


[70] STRÖLIN: Ja, das mag damals so gesagt worden sein, praktisch ist es aber nie dazu gekommen, daß ich von Rudolf Heß irgendeine Weisung bekommen habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Von Ihrem Institut kann doch mit Recht behauptet werden, daß es sich mit Angelegenheiten der Deutschen im Ausland zu befassen hatte, nicht wahr?


STRÖLIN: Ich habe die Frage nicht verstanden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Hat sich Ihr Institut, das Deutsche Auslandsinstitut, nicht mit Fragen befaßt, die sich auf Deutsche im Ausland bezogen?


STRÖLIN: Jawohl.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Dann werde ich dies nicht weiter erörtern. Wollen Sie bitte die Seite heruntergehen und die nächste überspringen...


STRÖLIN: Darf ich zu diesem Punkt noch eine Erklärung abgeben? Es war das erstemal, daß ich für das Deutsche Auslandsinstitut eine Rede gehalten habe, und diese Rede ist selbstverständlich in Übereinstimmung mit den Persönlichkeiten, die dort zu begrüßen waren, zusammengestellt worden. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, daß Haushofer damals in einer solchen Funktion aufgetreten ist, und kann nur nochmals die Erklärung abgeben, daß mir als dem nur ehrenamtlichen Präsidenten des Instituts nichts davon bekannt ist, daß von Rudolf Heß irgendwelche Weisungen an das Deutsche Auslandsinstitut gegeben worden sind.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Vielleicht wußten Sie darüber nichts. Aber Sie waren doch damals der neue Obmann des Deutschen Auslandsinstituts. Stimmt das?


STRÖLIN: Nein, ich war nicht der Obmann des Instituts, sondern der Obmann des Instituts war ein besonderer Leiter. Ich war lediglich in meiner Eigenschaft als Oberbürgermeister, in einem meiner vielen Nebenämter, gleichzeitig der Präsident des Instituts. Es ist ganz unmöglich, daß ich mich daran erinnern kann, wen und wie ich einzelne Persönlichkeiten damals begrüßt habe.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Bitte beschränken Sie sich darauf, die Frage, die ich an Sie stelle, zu beantworten: Waren Sie oder waren Sie nicht am 20. September 1933 der Obmann des Deutschen Auslandsinstituts?


STRÖLIN: Ja, ich bin damals dazu bestimmt worden.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie wurden damals dazu bestimmt, weil Sie ein guter Nazi waren, und weil die NSDAP zur Macht gekommen war und dieses Institut reorganisierte.


STRÖLIN: Ich bin zu diesem Posten bestimmt worden, weil ich Oberbürgermeister von Stuttgart war, und weil die Stadt Stuttgart [71] ja nachher auch den Namen »Stadt der Auslandsdeutschen« bekommen hatte, weil sie immer besonders enge Verbindung mit den Deutschen im Auslande hatte, aus ihrer Geschichte und Tradition heraus.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, gut; gehen wir weiter. Wollen Sie den folgenden kurzen Absatz überspringen und sich den nächsten Absatz anschauen, der anfängt:

»Der stellvertretende Gauleiter Schmidt, als Vertreter von Dr. Goebbels, erklärte...«

STRÖLIN: Auf welcher Seite ist das?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Auf derselben Seite.

STRÖLIN: Seite 461?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Verzeihen Sie, es ist auf Seite 462, und zwar im dritten Absatz, in der Mitte der Seite.


STRÖLIN: Jawohl, ich habe es.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES:

»Gauleiter Schmidt als Vertreter von Dr. Goebbels erklärte: ›Die örtliche Gauleitung ist bereit, mit den, neuen Beamten des Deutschen Auslandsinstituts durch dick und dünn zu gehen‹.«

Heß, wie Sie wissen, war mit der Parteiführung beauftragt, nicht wahr, der Gauleiter? Wir wollen weiter gehen:

»Nationalsozialismus verlangt die Blutgemeinschaft aller Deutschen als ihr historisches Recht.«

Wollen Sie sich jetzt – wir wollen dies jetzt verlassen – wollen Sie sich Seite 463 ansahen?

STRÖLIN: Darf ich dazu etwas sagen?

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Bitte sehr.


STRÖLIN: Dieser stellvertretende Gauleiter Schmidt war eben hier in seiner Aufgabe als Vertreter des Gauleiters, aber nicht als der Vertreter von Rudolf Heß.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nein. Aber das, worauf es mir jetzt ankommt, ist, daß der Gauleiter, der Heß unterstellt war, mit Ihrem Institut durch dick und dünn gehen wollte. Haben Sie das entsprechend gewürdigt?


STRÖLIN: Das hat sich von selbst erklärt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich jetzt Seite 463 ansehen, zweiter Absatz:

»In seiner Rede erklärte der neue Direktor des Deutschen Auslandsinstituts, Dr. Csaki:

[72] Wir haben mit tiefem Schmerz die innere Uneinigkeit des deutschen Volkes verfolgt. Nun, nachdem all dies überwunden ist, seit alle Volksdeutschen Organisationen in einer Linie stehen, sind wir alle mit einem Gefühl des Stolzes auf unser deutsches Mutterland erfüllt, von einem Gefühl des Glückes, daß Deutschland geeint ist.

Das Gefühl der Zugehörigkeit zum deutschen Volk gibt uns ein glückliches Bewußtsein. Im Verlauf der Jahrhunderte ist diese oder jene Stellung verloren worden. Wir müssen verhüten, daß wir noch weiteres verlieren. Es verleiht uns ein Gefühl des Stolzes und des Selbstbewußtseins, daß wir die Brücken zu dem deutschen Lebensraum darstellen!«

War das wirklich der Zweck des Deutschen Auslandsinstituts?

STRÖLIN: Der Dr. Csaki hat hier gesagt, es sei – die Deutschen im Auslande seien Brücken für den deutschen Lebensraum. Dieser deutsche Lebensraum bestand also beispielsweise auch bei den Deutschen in Ungarn und Rumänien, und insofern ist es richtig, wenn er sagt, die Deutschen seien Brücken zu diesem Lebensraum, nämlich zu dem Raume, in dem Deutsche leben. Das war auch immer der Standpunkt des Deutschen Auslandsinstituts, Brücken zu dem Lebensraum, in dem diese leben.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Gut. Haben Sie jemals ein Buch von Dr. Emil Ehrich gesehen oder gelesen, betitelt: »Die Auslandsorganisation der NSDAP«? Sie brauchen es sich nicht anzusehen. Haben Sie jemals dieses Buch oder ein Buch ähnlichen Titels gelesen?


STRÖLIN: Ich kann mir das nicht denken.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wissen Sie, daß Dr. Emil Ehrich der persönliche Berater von Bohle war?


STRÖLIN: Ich glaube, er war einmal Adjutant von Bohle.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich Seite 305 des Buches ansehen, das Sie vor sich haben, Herr Vorsitzender, diese Stelle ist auf Seite 5 der englischen Übersetzung; es ist eine Reproduktion von Dr. Emil Ehrichs Buch. Wollen Sie sich den zweiten Absatz auf Seite 305 ansehen, ungefähr in der Mitte dieses Absatzes, der mit den Worten beginnt:

»Am 27. August 1936 hat der Führer Stuttgart als die ›Stadt der Auslandsdeutschen‹ bezeichnet und der Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP hat den Schutz dieser schönen Stadt übernommen, innerhalb deren Stadtwälle auch das Deutsche Auslandsinstitut untergebracht ist, das in herzlicher Zusammenarbeit mit der Auslandsorganisation arbeitet.«

[73] Habe ich dann mit der Behauptung recht, daß während der ganzen Zeitspanne, und zwar von 1933 an, das Deutsche Auslandsinstitut in herzlichster Zusammenarbeit mit der Auslandsorganisation stand?

STRÖLIN: Das ist insofern nicht richtig, als eine praktische, wissenschaftliche oder sachliche Arbeit zwischen dem Deutschen Auslandsinstitut und den Auslandsorganisationen nicht bestand, sondern die herzliche Zusammenarbeit bestand darin, daß, wie ich schon vorhin sagte, die Auslandsdeutschen ihre Sitzungen in Stuttgart abgehalten haben. Das war die herzliche Zusammenarbeit zwischen den beiden; eine sachliche Arbeit hat nicht stattgefunden, war gar nicht notwendig.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich bitte Seite 127 dieses Buches ansehen? Bitte sagen Sie mir, ob dieser Bericht genau ist. Sehen Sie sich den letzten Absatz an: »Alle Personen, die in der Zukunft...« Verzeihung, es ist ein vertraulicher Bericht über eine besondere Ausbildungsarbeit, die das DAI für die Auslandsorganisationen unternahm. Es stimmt doch, daß Sie den Auslandsorganisationen bei der Ausbildung von Landesgruppenleitern und anderen Führern im Ausland mitgeholfen haben?


STRÖLIN: Darf ich fragen, wer diesen Artikel oder Bericht unterschrieben hat?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nein, ich kann Ihnen nicht sagen, wer diesen Bericht unterschrieben hat. Ich habe Sie etwas zu fragen: Hat das Deutsche Auslandsinstitut bei der Ausbildung von Führern der Auslandsorganisation im Ausland mitgeholfen?


STRÖLIN: Ich bin darüber nicht unterrichtet.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Also, gehen Sie auf Seite 128, zweiter Absatz über, den ich Ihnen ganz kurz vorlesen werde:

»Das Auslandsinstitut spielt eine Rolle in der Ent scheidung über den Schulplan der Schulungslager, ebenso wie als Zwischenstelle zu den Parteibehörden, die das Lager leiten, und den Deutschen im Ausland, die an ihnen teilnehmen.«

Behaupten Sie immer noch, daß dieser Bericht...

STRÖLIN: Es fragt sich, von wann dieser Bericht ist.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich sagte Ihnen, es ist ein Bericht...


STRÖLIN: Ich habe von diesem Bericht keine Kenntnis gehabt.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Jawohl, ich möchte nur nach eine oder zwei sehr kurze Fragen bezüglich der Aussagen stellen, die Sie über den Angeklagten von Neurath gemacht haben. [74] Sie haben uns erzählt, daß er ein Mann des Friedens war, von ausgezeichnetem, liebenswürdigem Charakter. Wissen Sie, daß er am 5. November 1937 an einer Zusammenkunft teilnahm, bei der Hitler zu den Führern seiner Wehrmacht sprach? Haben Sie jemals von dieser Zusammenkunft vom 5. November 1937 gehört?


STRÖLIN: Nein, ich habe davon nichts gehört, jedenfalls nicht, bevor ich in die Gefangenschaft gekommen bin.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Nun, vielleicht kann ich Ihnen kurz mitteilen, was sich da ereignete. Hitler sagte bei dieser Zusammenkunft unter anderem, daß der einzige Ausweg aus den deutschen Schwierigkeiten darin bestünde, größeren Lebensraum zu beschaffen, und er sagte, daß dieses Problem nur mit Gewalt gelöst werden könnte. Nachdem er dieses gesagt hatte, fuhr er dann fort, daß er sich entschieden habe, Österreich und die Tschechoslowakei anzugreifen. Haben Sie niemals von dieser Zusammenkunft gehört?


STRÖLIN: Nein, ich habe von dieser Zusammenkunft nichts gehört, habe erst nachher daraus geschlossen...


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Aber...


STRÖLIN: Darf ich den Satz zu Ende sprechen?


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich möchte nur wissen...


STRÖLIN: Ich habe eben erzählt, daß von Neurath mir angedeutet hat, daß er mit Hitler ernste Meinungsverschiedenheiten gehabt hätte. Das war gegen Ende 1937. Es ist mir erst nachher klar geworden, daß er damit wohl die Besprechung und die Auffassung Hitlers gemeint hat, die dieser am 5. November geäußert hat. Daß eine solche Besprechung stattgefunden hat, habe ich aber erst gelegentlich meiner Gefangenschaft gehört beziehungsweise aus der Zeitung.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich werde zu all dem im Augenblick zurückkommen. Ich möchte Ihnen nur ein Bild davon machen, was sich in dieser Versammlung zugetragen hat, und ich zitiere vier Zeilen aus dem Protokoll dieser Zusammenkunft:

»An sich glaubte der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich die Tschechei bereits im stillen abgeschrieben und auch damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages durch Deutschland bereinigt werde.«

Hitler hat dann gesagt, daß die Einverleibung der Tschechoslowakei und Österreichs die Erlangung von Nahrungsmitteln für fünf bis sechs Millionen Menschen bedeute, und er stelle sich eine Zwangseinwanderung von zwei Millionen Leuten aus der Tschechoslowakei vor.

[75] Nun, das hatte sich auf dieser Konferenz ereignet. Wissen Sie, daß ungefähr vier Monate später, am 12. März 1938, von Neurath Herrn Masaryk Zusicherungen gegeben hat und ihm unter anderem zugesichert hat, und zwar im Namen von Herrn Hitler, daß sich Deutschland noch immer an das deutsch-tschechoslowakische Schiedsvertragsabkommen vom Jahre 1925 gebunden betrachte? Wissen Sie, daß er das gesagt hat?

STRÖLIN: Das ist mir nicht erinnerlich.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Können Sie verstehen, nachdem ich Ihnen den Tatbestand erzählt habe, können Sie jetzt verstehen, daß irgend jemand, der an dieser Konferenz teilgenommen und gehört hat, was Hitler am 5. November gesagt hat, der Tschechoslowakei eine Versicherung dieser Art abgeben konnte? Können Sie verstehen, daß ein ehrlicher Mann so etwas tun kann?

STRÖLIN: Ich kann die Situation, die damals war, nicht übersehen. Ich weiß nicht, von wem Herr von Neurath unter Umständen einen Befehl bekommen hat.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich frage Sie nicht nach Ihrem damaligen Urteil. Ich frage Sie jetzt, was Sie von einem Mann halten, der so etwas machen kann. Ich möchte, daß Sie das dem Gerichtshof sagen.


STRÖLIN: Ich kann darauf keine Antwort geben, weil ich die Situation im ganzen nicht übersehe.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Vorsitzender! Ich muß der Zulassung dieser Art suggestiver Fragen unter allen Umständen widersprechen. Es geht absolut nicht an, daß dem Zeugen eine solche Frage vorgelegt wird, ohne daß er ganz genau ins Bild gesetzt wird, wie es denn zu dieser Erklärung überhaupt gekommen ist. Tatsache ist und richtig ist es, daß Hitler in der Versammlung vom 5. November 1937, daß Hitler zum erstenmal Pläne entwickelte, die mit der bisherigen Friedenspolitik des Herrn von Neurath nicht mehr im Einklang standen, und Herr von Neurath hat das zum Anlaß genommen, um – ich glaube im Dezember oder Anfang Januar – mit Hitler eingehend darüber zu sprechen und ihm das Unmögliche dieser von ihm anscheinend beabsichtigten Politik darzutun und ihn davon abzuhalten. Als er dann aus Hitlers Antwort entnehmen mußte, daß Hitler trotzdem bei dieser in Zukunft aggressiv zu orientierenden Politik bleiben wolle, hat er seinen Abschied eingereicht. Am 4. Februar 1938 erhielt Herr von Neurath seinen Abschied. Er schied aus, aus der aktiven Politik.

Als dann am 11. oder 12. März der Einmarsch nach Österreich erfolgte, von dem Herr von Neurath bis zu diesem Tage keine Ahnung hatte, hat ihn Hitler angerufen und...


[76] VORSITZENDER: Dr. Lüdinghausen! Wollen Sie, bitte, abwarten. Die Frage wurde bezüglich des 5. März 1938 gestellt, ob ein Mann, der der Konferenz vom 5. November 1937 beigewohnt hatte, die Zusicherung vom 5. März hätte geben können.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Jawohl, das kann ich auch erklären, wenn Sie mir das Wort erlauben. Diese Frage von seiten des Gesandten Mastny bezog sich darauf, ob in dem Moment gleichzeitig oder im Anschluß an den Einmarsch in Österreich irgendwelche militärische Aktionen gegen die Tschechei beabsichtigt worden seien, und diese Frage glaubte Herr von Neurath durchaus mit Recht und als anständiger Mensch, nach seinem Wissen mit Nein beantworten zu können. Es muß doch die Situation berücksichtigt werden, unter welcher diese Erklärung abgegeben worden ist. Zuerst hat Hitler in der Besprechung vom 5. November 1937 von Jahren später gesprochen. Als er dann am 12. März in Österreich einrückte, zu einer Zeit, als es vom 5. März noch gar nicht...


VORSITZENDER: Einen Augenblick. Wir wünschen alle diese Argumente nicht. Die Frage war, was der Zeuge von einem Menschen hält, der so gehandelt hat. Das war die einzige Frage, die gestellt wurde, und diese Frage...


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Verzeihen Sie, Herr Präsident, diese Frage kann niemand beantworten, wenn er nicht weiß, in welchem Zusammenhang die Frage gestellt ist. Herr Mastny hat die Frage gestellt, ob dieser Einmarsch in Österreich irgendwelche aggressiven Handlungen gegen die Tschechei auslösen würde, und diese Frage hat von Neurath beantwortet; nicht mehr und nicht weniger. Er hat keinerlei Antwort geben wollen für Jahre später. Dem Gesandten kam es darauf an, darüber orientiert zu sein, ob in Verbindung und im Zusammenhang mit dem Einmarsch der deutschen Truppen irgendwelche militärischen Handlungen gegenüber der Tschechei beabsichtigt seien. Nach Informationen, die mein Mandant hatte, konnte er mit gutem Gewissen diese Frage im gegebenen Zusammenhang verneinen. Und nur dann ist diese Frage zulässig, wenn der Zeuge orientiert wird über das, was ich eben gesagt habe. Es handelt sich nicht darum, daß er ein für allemal erklärte: niemals wird Deutschland in die Tschechoslowakei einmarschieren, sondern lediglich um die Beantwortung der Frage des tschechischen Gesandten Mastny: Besteht die Gefahr, daß in Verbindung mit diesem Einmarsch in Österreich auch gegen die Tschechoslowakei militärische Maßnahmen, ergriffen werden. Und diese Frage konnte er so beantworten. Deswegen ist die Fragestellung, die eben von der Englischen Anklagevertretung gestellt worden ist, meines Erachtens nicht zulässig.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß diese Frage vollkommen zulässig ist.


[77] OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wir wollen die Sache nicht weiter verfolgen. Ich will Ihnen nur eine weitere Frage stellen, um selbst ganz klar zu sehen: Sie sagten in Ihrer Aussage, wie ich es mir notierte, daß der Angeklagte von Neurath in gutem Rute stand, von würdevollem und ehrenhaftem Charakter sei. Nachdem Sie gehört haben, was ich Ihnen sagte, sind Sie noch immer bereit, dem Gerichtshof zu erklären, daß er einen guten Ruf hatte und einen würdigen und ehrenhaften Charakter besaß? Sind Sie noch jetzt dieser Meinung? Ich möchte nur den Wert Ihrer Aussage bemessen. Sind Sie noch derselben Meinung nach dem, was Sie jetzt hier gehört haben?


STRÖLIN: Es ist nach wie vor meine Meinung, daß Herr von Neurath ein vornehmer und anständiger Charakter ist. Ich kann nicht beurteilen, unter welchen Umständen er damals gehandelt hat und welche Gesichtspunkte dafür maßgebend waren.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie sagen, daß er sich für den Frieden einsetzte und alles getan hat, um einen Krieg zu vermeiden? Nennen Sie eine Täuschung dieser Art »alles tun, um einen Krieg zu vermeiden«? Ist das Ihre Auffassung von einer friedlichen Politik, daß man eine Zusicherung gibt, vier Monate nachdem man ganz genau weiß, daß Deutschland die Absicht hat, in Ihr Land einzufallen? Nennen Sie das: alles tun, um den Krieg zu vermeiden?


STRÖLIN: Ich darf noch einmal erklären, daß ich die Frage in ihrem Zusammenhang in ihren wesentlichen Punkten nicht genügend übersehe, um hierüber ein Urteil zu haben. Aber die Dinge sind sicherlich nicht so einfach, wie sie eben hier vorgetragen worden sind.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Lassen Sie mich nun zu einer anderen Seite dieser Sache übergehen. Es wurde uns lang und breit erzählt, daß er Hitlers Politik mißbilligte, und daß er demissionierte. Wissen Sie, daß er nach seinem Rücktritt zum Reichsprotektor von Böhmen und Mähren ernannt wurde, und zwar im März 1939? Wissen Sie das?


STRÖLIN: Jawohl.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Das war, nachdem die restliche Tschechoslowakei überrannt und besetzt worden war.


STRÖLIN: Ich habe ja vorhin schon erklärt, daß von Neurath mir gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, daß er diesen Posten nur sehr ungern annehme. Er habe zweimal abgelehnt, den Posten anzunehmen. Er habe danach geglaubt, ein Opfer bringen zu müssen, um seine Person hier einzusetzen, und nach dem, was mir Staatspräsident Hacha nachträglich gesagt hat, war der Einsatz seiner Person durchaus zweckmäßig, denn von Neurath hat während seiner Tätigkeit, das hat mir Staatspräsident Hacha gesagt, zweifellos [78] ausgleichend und versöhnlich dort wirken können, und er ist ja, wie ich vorhin schon sagte, auch deswegen abberufen worden, weil er dort zu milde gewesen ist.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Sie haben es bereits gesagt, und wir haben es bereits gehört, und wir behalten es im Gedächtnis, es ist daher nicht nötig, daß Sie es nochmals sagen. Versuchen Sie bitte, meine Fragen kurz zu beantworten. Lassen Sie mich folgende Frage stellen: Haben Sie jemals daran gedacht, daß der Grund für diese Ernennung darin gelegen haben mag, daß er für seine Hilfe in der kurz vorher erfolgten Besetzung Österreichs und der Tschechoslowakei belohnt werden sollte?


STRÖLIN: Nein, daran habe ich nie gedacht. Ich habe aber, wenn ich das noch erwähnen darf, im Buch von Henderson eine ganz andere Version gelesen, nämlich, daß man von Neurath auf diesen Posten gesetzt hat, um ihn in seinem internationalen Ansehen zu schädigen. Ich wollte diese Version nur bringen, um zum Ausdruck zu bringen, daß ganz andere Möglichkeiten hier mitgespielt haben.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Erinnern Sie sich, daß Sie um als einen disziplinierten, humanen und gewissenhaften Mann beschrieben haben?


STRÖLIN: Jawohl.

OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Wollen Sie sich dieses Plakat ansehen?


[Das Plakat wird dem Zeugen überreicht.]


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Euer Lordschaft! Es tut mir leid, daß ich kein Exemplar dieses Plakats für den Gerichtshof habe. Es ist eine sehr kurze Angelegenheit. Es wurde bereits in den tschechoslowakischen Bericht über die deutsche Besetzung eingeführt. Ich gebe Euer Lordschaft die Dokumentennummer USSR-60.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wie Sie sehen, ist es von dem Angeklagten von Neurath unterschrieben, diesem humanen und gewissenhaften Mann.

STRÖLIN: Jawohl. Ich sehe daraus, daß die tschechischen Hochschulen geschlossen worden sind auf die Dauer von drei Jahren, und daß neun Täter erschossen worden sind. Es steht aber in dieser Bekanntmachung, soviel ich sehe, nichts Besonderes darin, warum das geschehen ist. Ich kann infolgedessen die Bekanntmachung nicht beurteilen, denn ich kann nicht wissen, was hier von Neurath bekanntgegeben hat. Diese Bekanntmachung sagt mir gar nichts, wenn ich nicht weiß, aus welchen Gründen er hier eine derartige [79] Bekanntmachung herausgegeben hat. Daß Hochschulen geschlossen worden sind, und daß neun Täter erschossen worden sind, das wird ja wohl seine triftigen Gründe gehabt haben.

DR. VON LÜDINGHAUSEN: Herr Präsident! Darf ich dazu folgendes sagen, und zwar sage ich das im Interesse der Ersparung von Zeit. Diese Frage der Tschechoslowakei, dieses Plakats, das ich natürlich auch kenne, wird behandelt werden, wenn ich den Fall Neurath überhaupt behandle. Dort, während dieses Zeitpunkts des Verfahrens, werde ich dann Gelegenheit haben, den Beweis dafür zu erbringen, daß dieses Plakat nicht von dem Angeklagten von Neurath stammt. Da der Zeuge hier ja nicht in Prag war und also auch nur etwas wiedergeben könnte, was er nicht von sich aus wußte, sondern was ihm Herr von Neurath erzählt hat, glaube ich, daß diese Frage hier nicht am Platze liegt und unnötige Zeit in Anspruch nimmt, denn ich müßte ja doch dem widersprechen und müßte die Sache klarstellen, wie sie gewesen ist. Wir können ja nicht dem Zeugen Fragen stellen, die positiv, im besten Glauben, aber immerhin positiv falsch sind; nämlich von falschen Tatsachen ausgehend, die sich in Wirklichkeit anders zugetragen haben; denn ich werde den Beweis erbringen, daß Herr von Neurath zur Zeit, als dieses Plakat entworfen und angebracht wurde, gar nicht in Prag war und gar nicht orientiert war, was in Prag sich abspielte während seiner Abwesenheit.

Deswegen glaube ich, daß wir diese Frage hier heute gar nicht behandeln sollten, da, wie gesagt, der Zeuge aus eigener Wahrnehmung überhaupt nichts darüber wissen kann.


VORSITZENDER: Es wird Ihnen freistehen, zu beweisen, daß dieses Plakat angeschlagen wurde, als von Neurath von Prag abwesend war, und daß er keine Genehmigung dafür erteilt hat. Das würde ihn bezüglich dieses Plakats entlasten. Aber die Frage an diesen Zeugen lautete: Angenommen, daß dieses Plakat von von Neurath stammt, kann man dann diesen Mann als human bezeichnen? Nur das soll durch das Kreuzverhör festgestellt werden.


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Doch der Zeuge weiß ja von diesem Plakat gar nichts. Er kann ja die Frage auch dann nicht richtig beantworten, wenn er nicht die Zusammenhänge kennt, wenn er nicht weiß, daß tatsächlich dieses Plakat nicht von Herrn von Neurath stammt.


VORSITZENDER: Der Zeuge wurde des längeren von Ihnen betragt, um zu zeigen, daß er human war und einen sehr guten Charakter hatte. Unter diesen Umständen kann die Anklagevertretung dem Zeugen Umstände vor Augen führen, die zeigen könnten, daß er nicht solch humaner Mann war. Das ist alles, was jetzt geschieht.


[80] DR. VON LÜDINGHAUSEN: Dann kann doch der Zeuge höchstens nur antworten: »Ich weiß es nicht« oder: »Wenn es richtig ist, kann man es nicht als human bezeichnen«. Das können wir alle tun, das braucht der Zeuge nicht zu tun.


VORSITZENDER: Der Zeuge kann sagen: »Wenn das richtig ist, dann stimmt es mit dem, was ich von von Neurath weiß, nicht überein.«


DR. VON LÜDINGHAUSEN: Das kann er auch nicht, das wird er auch nicht sagen, aus dem einfachen Grunde, weil man ja die Verhältnisse, weil er ja die Umstände gar nicht kennt, unter denen es veröffentlicht worden ist. Ich sehe offengestanden nicht ein, was diese Frage bringen soll, denn wenn jemand die Frage so gestellt bekommt, wird jeder anständige Mensch sagen, daß es inhuman ist; aber es hat ja auf die Tatsache gar keinen Einfluß, daß der Zeuge dann ein Urteil abgibt über eine Tatsache, die gar nicht existiert, die gar nicht richtig ist.


VORSITZENDER: Oberstleutnant Griffith-Jones! Glauben Sie nicht, daß dies unnötig Zeit in Anspruch nimmt, wenn der Zeuge nichts davon weiß? Ich verstehe, daß es wahrscheinlich der Zweck des Kreuzverhörs ist, die Zuverlässigkeit des Zeugen in Zweifel zu ziehen.


OBERSTLEUTNANT GRIFFITH-JONES: Ich danke dem Gerichtshof. Der Sinn dieses Kreuzverhörs, wenn es erlaubt ist, dies zu sagen, war dieser: Dieser Angeklagte hat einen Zeugen aufgerufen, der vor dem Gerichtshof unter. Eid aussagen soll. Wenn diese Aussage nicht bestritten wird, dann ist sie im Protokoll, und dann gibt es nichts, den Gerichtshof daran zu hindern, diesen Zeugen als einen Mann anzusehen, der in der Lage ist, eine derartig zuverlässige Aussage zu machen. Dieses Kreuzverhör findet nur statt, um zu zeigen, daß dieser Zeuge, ob er nun die Wahrheit oder die Unwahrheit sagt, bestimmt ungenau ist. Seine Aussagen über den guten Charakter des Mannes können einer Nachprüfung nicht standhalten. Das ist ganz klar. Und der Gerichtshof sagt ja nicht, daß wir nicht das Recht haben, ein Kreuzverhör über den Charakter anzustellen. Jedoch möchte ich die Zeit des Gerichtshofs nicht unnötig in Anspruch nehmen.


VORSITZENDER: Sehr wohl.


OBERST AMEN: Zeuge, wann waren Sie das letztemal in Neuyork-City?


STRÖLIN: In Neuyork war ich im Jahre 1936.


OBERST AMEN: Und damals haben Sie eine Rede in Madison Square Garden gehalten, ist das richtig?


STRÖLIN: Jawohl.


[81] OBERST AMEN: Das war eine Versammlung im Garden?


STRÖLIN: Es war der Deutsche Tag, am 6. Oktober 1936.


OBERST AMEN: Eine Versammlung für den Deutschen Tag, stimmt das?


STRÖLIN: Es war eine Jahresversammlung der Deutschen, die am 6. Oktober stattfand.


OBERST AMEN: Und ein Großteil der Versammlungsteilnehmer waren Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes; ist das richtig?


STRÖLIN: Ja.


OBERST AMEN: Tatsache war, daß die gesamte Versammlung unter der Leitung des Deutsch-Amerikanischen Bundes stattfand, nicht wahr?


STRÖLIN: Es war ein Festkomitee aus allen deutschen Vereinen, ich glaube Neuyork hat im ganzen 2000 deutsche Vereine gehabt: und diese 2000 deutschen Vereine hatten sich zu einem Festkomitee zusammengeschlossen und dieses Festkomitee hat den »Deutschen Tag« gemacht. Wie diese Zusammensetzung im einzelnen war, war mir nicht bekannt.


OBERST AMEN: Und Sie haben auf Einladung des Deutsch-Amerikanischen Bundes Ihre Rede gehalten, nicht wahr?


STRÖLIN: Nein, es war vom Festkomitee der Deutschen Vereine in Neuyork.


OBERST AMEN: Ja, und viele Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes gehörten zu diesem Komitee, ist das richtig? Ja oder nein?


STRÖLIN: Ja.


OBERST AMEN: Und in der Tat waren viele Mitglieder Ihrer Organisation damals auch aktive Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes, ist das richtig?


STRÖLIN: Ja.


OBERST AMEN: Und Sie persönlich hatten verschiedene Besprechungen mit diesen, sowohl hier in Deutschland, wie auch in Neuyork-City, richtig?


STRÖLIN: Nein, das ist nicht richtig.


OBERST AMEN: Nun, was ist richtig?

STRÖLIN: Es ist richtig, daß ich eingeladen worden bin, aber weitere Konferenzen haben nicht stattgefunden.


OBERST AMEN: Aber Sie bestreiten doch nicht, daß viele Mitglieder Ihrer Organisation seinerzeit auch Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes waren?


[82] STRÖLIN: Darüber weiß ich nicht Bescheid.


VORSITZENDER: [zum Zeugen] Ich habe gerade niedergeschrieben, daß Sie schon gesagt haben, daß es so war?


OBERST AMEN: Genau so.


STRÖLIN: Ich bitte, die Frage nochmals zu wiederholen.


OBERST AMEN: Haben Sie mir nicht gerade vor einigen Sekunden als Antwort auf eine frühere Frage gesagt, daß viele Mitglieder Ihrer Organisation zur Zeit Ihrer Rede in der Versammlung in Madison Square Garden auch Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes waren?


STRÖLIN: Verstehen Sie darunter Mitglieder des Deutschen Auslandsinstituts als Organisation, von dem Sie sprechen?


OBERST AMEN: »Ihre Organisation« habe ich gesagt.


STRÖLIN: Ich hatte keine Organisation, sondern ein Institut.


OBERST AMEN: Richtig. Und unter wessen Schutz haben Sie diese Rede in Madison Square Garden gehalten?


STRÖLIN: Ich bin zu dieser Rede aufgefordert worden, weil ich kurz vorher zum Oberbürgermeister der Stadt der Auslandsdeutschen ernannt wurde. Ich war Oberbürgermeister dieser Stadt, und deswegen bin ich aufgefordert worden, dort die Festrede zu halten. Stuttgart ist zur Stadt der Auslandsdeutschen ernannt worden, weil die Schwaben den größten Anteil an den Auswanderern gestellt hatten, und deswegen Stuttgart sozusagen die Heimatstadt der deutschen Ausländer sein sollte.


OBERST AMEN: Nun, ist es nicht eine Tatsache, daß viele Mitglieder der Auslandsorganisation zu jener Zeit auch Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes waren? Ja oder nein?


STRÖLIN: Ja.


OBERST AMEN: Ist es nicht auch eine Tatsache, daß zu jener Zeit viele Mitglieder des Instituts auch Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes waren? Ja oder nein?


STRÖLIN: Ja, es waren einige dieser Deutschen aus Amerika gekommen; sie waren Studenten, die in Amerika studiert hatten und nach Deutschland von Amerika zurückkehrten.


OBERST AMEN: Und ist es nicht auch Tatsache, daß viele dieser Mitglieder des Deutsch-Amerikanischen Bundes, die auch Mitglieder der Auslandsorganisation und des Instituts waren, vor den Bundesgerichten der Vereinigten Staaten wegen verschiedener Spionagevergehen angeklagt, vor Gericht gestellt und verurteilt wurden? Ja oder nein?


STRÖLIN: Nein, darüber ist mir nichts bekannt.


[83] OBERST AMEN: Sie haben das nie gehört?


STRÖLIN: Nein, ich habe nichts davon gehört. Den Fall Kappe, den kenne ich, aber der ist nicht im Zusammenhang mit dem Deutschen Auslandsinstitut.


OBERST AMEN: Das ist natürlich nur ein Fall. Vielleicht wissen Sie auch von anderen?


STRÖLIN: Können Sie mir Einzelheiten darüber sagen?


OBERST AMEN: Ich könnte wohl, aber ich stelle Ihnen lieber die Fragen, als daß ich Ihnen die Antworten sage.


STRÖLIN: Ich kann mich keines Falles erinnern; ich bitte, mich zu fragen.


OBERST AMEN: Nun, ich gehe zu einem anderen Gegenstand über, es ist schon ziemlich spät. Kennen Sie einen Herrn Alfred Weninger, W-e-n-i-n-g-e-r ?


STRÖLIN: Ich habe diesen Namen nicht verstanden. Alfred...


OBERST AMEN: Alfred Weninger, oder wie Sie es aussprechen.


STRÖLIN: Weninger, jawohl, ich bin vertraut mit diesem Namen.


OBERST AMEN: Wer ist das?


STRÖLIN: Alfred Weninger ist, soviel ich weiß, im Augenblick in Frankreich; und er ist, glaube ich, Jurist.


OBERST AMEN: Nun, wissen Sie es nicht, wissen Sie nicht, ob er ein Jurist ist oder nicht?


STRÖLIN: Ja, er ist als Jurist angestellt.


OBERST AMEN: Welcher Nationalität ist er?


STRÖLIN: Er ist Franzose.

OBERST AMEN: Ist er ein Freund von Ihnen?


STRÖLIN: Jawohl.


OBERST AMEN: Haben Sie zu seinen Gunsten, zumindest in einem Falle, interveniert?


STRÖLIN: Ich habe dafür gesorgt, daß er aus dem Gefängnis herausgekommen ist.


OBERST AMEN: Das war im März 1943?


STRÖLIN: Nein, das muß ein Mißverständnis sein. Ich meine einen Alfred Weninger, der Franzose ist, und dem ich während des Krieges geholfen habe, daß er nicht zum Tode verurteilt wurde, und daß er nachher aus dem Gefängnis herausgekommen ist. Das war aber in der Zeit von 1942 bis 1944. Ein anderer Alfred Weninger ist mir nicht bekannt. Das muß ein Doppelname sein.


[84] OBERST AMEN: Nein, es ist richtig. Er wurde zusammen mit zwölf anderen Kameraden verhaftet und ist wegen Spionage und Zusammenarbeit mit dem Feinde verurteilt worden?


STRÖLIN: Jawohl; und dem habe ich geholfen.


OBERST AMEN: Und Sie haben bei dem Generalanwalt des Volksgerichtshofs interveniert?


STRÖLIN: Ja, bei Freisler habe ich interveniert.

OBERST AMEN: Und auch bei dem Innenministerium und dem Justizministerium in Berlin?


STRÖLIN: Beim Innenminister habe ich eine Denkschrift abgegeben über die damaligen Zustände im Elsaß, die darauf abgestellt war, eine Begnadigung der Elsässer herbeizuführen.


OBERST AMEN: Und als Ergebnis Ihrer Bemühungen haben diese Leute die einstweilige Aufhebung ihrer Urteile erlangt? Ist das richtig?


STRÖLIN: Jawohl. Darf ich dazu ausdrücklich sagen, daß ich hier den Herrn von Neurath gebeten habe, zu intervenieren, und daß es ihm zu verdanken war, daß durch seinen Brief an Hitler die Begnadigung dieser Elsässer durchgeführt worden ist.


OBERST AMEN: So daß dieser Mann Ihnen, gelinde gesagt, gegenwärtig sehr verpflichtet ist. Ist das richtig?


STRÖLIN: Ja, ich nehme das an.


OBERST AMEN: Nun, Sie haben ihm doch sein Leben gerettet, nicht?


STRÖLIN: Ich habe es vielen anderen auch gerettet. Ich weiß nicht, ob die Menschen daraufhin dankbar sind oder nicht.


OBERST AMEN: Nun, auf jeden Fall nehme ich an, daß Sie nicht die Wahrheit dessen bezweifeln werden, was er als den Inhalt einer Unterhaltung mit Ihnen angegeben hat. Stimmt das?


STRÖLIN: Das bezweifle ich nicht, daß er sich daran erinnern wird.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, daß Sie mit ihm im Juni 1940 eine Unterredung hatten?


STRÖLIN: Das kann ich im Augenblick nicht sagen, ohne daß Sie mir Näheres angeben, um was es sich dabei gehandelt haben kann.


OBERST AMEN: Nun, ich werde Ihnen sagen, was Sie nach seiner Behauptung gesagt haben sollen, und ich frage Sie, ob Sie sich daran erinnern, das zu ihm gesagt zu haben, entweder mit denselben Worten, die ich zitieren werde, oder dem wesentlichen Inhalt nach. Verstehen Sie?


[85] STRÖLIN: Ja, ich habe verstanden.


OBERST AMEN: Hier sind die Worte: »Ich warne Sie vor dem Nationalsozialismus, der vor nichts zurückschreckt und aus der Justiz seinen sklavischen Diener macht. Sie sind Verbrecher, und ich habe nur den einen Wunsch, herauszukommen.« Haben Sie das Weninger wörtlich oder dem Inhalt nach gesagt? Ja oder nein?


STRÖLIN: Ich habe nicht genau verstanden, was Sie gesagt haben. Ich bitte, das zu wiederholen.


OBERST AMEN: Sie verstehen doch englisch, nicht wahr, Zeuge?


STRÖLIN: Wenig, ich verstehe es wenig.


OBERST AMEN: Sie wurden doch tatsächlich auf englisch von einem unserer Vernehmungsbeamten verhört, nicht wahr?


STRÖLIN: Ich habe nur gelegentlich einmal etwas englisch gesprochen, aber ich glaube, daß er mich nicht recht verstanden haben wird.


OBERST AMEN: Und Sie haben vollkommen verstanden, was ich Ihnen gerade vorgelesen habe?


STRÖLIN: Ich habe es im Deutschen nicht genau verstanden, und ich bin mir über den Sinn dessen, was Sie damit fragen wollen, nicht klar.


OBERST AMEN: Nun, ich werde es Ihnen nochmals vorlesen, aber ich behaupte, daß Sie nur Zeit gewinnen wollen, um über Ihre Antwort nachzudenken. Ich frage Sie erneut, ob Sie Weninger in diesen Worten oder im wesentlichen im Juni 1940 das Folgende gesagt haben:

»Ich warne Sie vor dem Nationalsozialismus, der vor nichts zurückschreckt und aus der Justiz seinen sklavischen Diener macht. Sie sind Verbrecher, und ich habe nur den einen Wunsch, herauszukommen.«

Haben Sie verstanden?

STRÖLIN: Ja, ich habe Sie verstanden. Ich kann mich aber daran nicht erinnern.

OBERST AMEN: Leugnen Sie, diese Erklärung abgegeben zu haben, wenn ich Ihnen sage, daß Weninger es behauptet, Weninger, der, wie Sie uns gerade mitteilten, Ihnen äußerst verpflichtet ist?


STRÖLIN: Ich kann mich dieser Erklärung nicht erinnern. Es kann sein, daß ich eine kritische Erklärung abgegeben habe, aber an den Wortlaut kann ich mich nicht erinnern.


OBERST AMEN: Bestreiten Sie, diese Erklärung gemacht zu haben? Antworten Sie ja oder nein!


STRÖLIN: Ich bestreite es, daß ich sie in dieser Form gemacht habe.


[86] OBERST AMEN: Aber haben Sie es dem Inhalt nach gesagt? Haben Sie diese Erklärung abgegeben?


STRÖLIN: Ich kann mich überhaupt nicht erinnern.


OBERST AMEN: Erinnern Sie sich, gegenüber Weninger eine andere Erklärung abgegeben zu haben, und zwar im Jahre 1936 in Straßburg? Waren Sie mit Weninger in Straßburg im Jahre 1936 zusammen?


STRÖLIN: Das kann ich mich im Augenblick nicht erinnern.


OBERST AMEN: Aber Sie bestreiten es nicht?


STRÖLIN: Ich kann mich nicht erinnern.


OBERST AMEN: Es ist ganz gut möglich?


STRÖLIN: Es ist denkbar, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Ich kann mich jetzt nicht plötzlich erinnern, wann ich dort war.


OBERST AMEN: Und haben Sie nicht Weninger in Straßburg, und zwar im Jahre 1936, wörtlich oder dem Sinne nach das Folgende gesagt:

»Wenn ich im Ausland bin, dann schäme ich mich, ein Deutscher zu sein.« Ja oder nein?

STRÖLIN: Das war damals vollkommen ausgeschlossen, denn im Jahre 1936 war ich sehr stolz darauf, ein Deutscher zu sein.

OBERST AMEN: Nun, dann streiten Sie ab, eine derartige Erklärung gegenüber Weninger gemacht zu haben?


STRÖLIN: Im Jahre 1936 habe ich diese Erklärung ganz bestimmt nicht gemacht.


OBERST AMEN: Wann haben Sie sie gemacht?


STRÖLIN: Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß ich Weninger gegenüber eine derartige Erklärung abgegeben habe, wenigstens nicht im Jahre 1936.


OBERST AMEN: Wann haben Sie eine derartige Erklärung gegenüber Weninger oder irgend jemand anderem abgegeben; in welchem Jahre entschlossen Sie sich, solche Erklärungen abzugeben?


STRÖLIN: Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß ich eine solche Erklärung abgegeben habe.


OBERST AMEN: Aber Sie streiten es nicht ab?


STRÖLIN: Daß es einen Zeitpunkt gegeben hat, wo man nicht mehr stolz war auf Deutschland, das gebe ich ohne weiteres zu.


[87] VORSITZENDER: Wünscht ein anderer Anklagevertreter den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?


DR. SEIDL: Ich habe keine Fragen mehr an den Zeugen.


VORSITZENDER: Dann kann der Zeuge abtreten.


[Der Zeuge verlaßt den Zeugenstand.]


Ist damit Ihre Sache beendet, Dr. Seidl, oder haben Sie noch weiteres Beweismaterial anzubieten?

DR. SEIDL: Jawohl. Ich habe zunächst den Fragebogen zu verlesen, der inzwischen eingegangen ist, über die Vernehmung des Zeugen Alfred Heß, dessen Vernehmung der Gerichtshof ja durch Fragebogen gestattet hat.

Ich habe dann noch auf verschiedene Dokumente in dem Dokumentenbuch Nr. 3 Bezug zu nehmen und möchte aber vorher zum Abschluß für heute auf Wunsch des Angeklagten Heß feststellen, das bezieht sich auf Band 2 des Dokumentenbuches, daß Lord Simon als offizieller Vertreter der Britischen Regierung zu der Unterredung gekommen ist, und ich verlese daher von Seite 93 noch kurz einige Sätze:

Lord Simon führt aus:

»Herr Reichsminister, man teilte mir mit, daß Sie glaubten, in bestimmtem Auftrag hierher gekommen zu sein, und daß Sie hiervon zu einem Regierungsbevollmächtigten zu sprechen wünschen. Sie wissen, ich bin Dr. Guthrie. Ich komme daher im Auftrage der Regierung zu Ihnen, um Ihnen zuzuhören und mit Ihnen alles zu besprechen, was Ihnen zur Unterrichtung der Regierung gut dünkt.«

Das war alles, was ich noch in Ergänzung der Verlesung des Simon-Protokolls vorbringen wollte.

VORSITZENDER: Würden Sie imstande sein, heute zu beenden, wenn wir noch für einige Minuten weiterverhandeln würden?

DR. SEIDL: Herr Präsident, der Fragebogen beziehungsweise die Antworten auf dem Fragebogen sind ziemlich umfangreich ausgefallen. Der Zeuge wurde auch im Kreuzverhör vernommen, und ich nehme an, daß die Anklagevertretung auch die Unterlagen des Kreuzverhörs zu lesen beabsichtigt, und ich glaube nicht, daß das heute noch möglich sein wird.


VORSITZENDER: Sehr wohl, wir werden uns vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

26. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 10, S. 43-89.
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