[407] GERICHTSMARSCHALL: Hoher Gerichtshof! Ich möchte mitteilen, daß die Angeklagten Kaltenbrunner und Seiß-Inquart bei der heutigen Vormittagssitzung wegen Krankheit nicht anwesend sein werden.
M. DUBOST: Hoher Gerichtshof! Bevor ich abschließe, muß ich noch einige weitere Dokumente über Kriegsgefangene verlesen. Zunächst Dokument L-166, das wir als RF-377 vorlegen, Seite 65 des Dokumentenbuches. Es handelt sich um eine Notiz, in welcher eine Besprechung bei dem Reichsmarschall über Jagdflugzeuge vom 15. und 16. Mai 1944 zusammengefaßt wird. Der Gerichtshof findet diesen Auszug auf Seite 8, Nummer 20:
»Herr Reichsmarschall will dem Führer vorschlagen, daß amerikanische und englische Besatzungen, die wahllos in Städte schießen, und auf fahrende Zivilzüge oder am Fallschirm hängende Soldaten, sofort am Ort der Tat erschossen werden.«
Die Wichtigkeit dieses Schriftstücks braucht nicht unterstrichen zu werden. Es beweist die Verantwortlichkeit des Angeklagten Göring für die Vergeltungs maßnahmen gegen die in Deutschland abgeschossenen alliierten Flieger.
Wir lesen nun das Dokument R-117, RF-378.
Zwei Liberators, die am 21. Juni 1944 über dem Gebiet von Mecklenburg abgeschossen wurden, erreichten den Boden so, daß die Besatzung unversehrt blieb. Es waren insgesamt fünfzehn Mann; sie alle wurden unter dem Vorwand eines Fluchtversuchs erschossen.
Das Dokument wurde in den Akten des Stabsquartiers des Luftgaukommandos XI gefunden. Es beweist, daß neun Mitglieder der Besatzung den lokalen Polizeibehörden übergeben worden sind.
Im vorletzten Absatz, Zeile 3, liest man, daß sie gefangengenommen und der Polizei in Waren überstellt worden sind. Die Leutnants Helton und Ludka wurden am 21. Juni von der Schutzpolizei dem SS-Untersturmführer und Kriminalkommissar Stempel von der Sicherheitspolizei in Fürstenberg/Mecklenburg übergeben. Ich zitiere:
»... sind diese 7 Gefangenen unterwegs auf der Flucht erschossen worden.
[407] ... sind Ltn. Helton und Ludka ebenfalls am gleichen Tage auf der Flucht erschossen worden.«
Bezüglich der zweiten Liberator heißt es:
»Betr.: Absturz einer Liberator am 21. 6. 1944 11,30 Uhr
.... 6 Besatzungsmitglieder auf der Flucht er schossen, 1 schwer verletzt im Stola Schwerin.«
Als Beweisstück RF-379 legen wir nunmehr das Dokument F-553 vor, Seite 101 des Dokumentenbuches. Dieses Schriftstück bezieht sich auf die Internierung von Kriegsgefangenen in Konzentrationslagern und Vernichtungslagern. Die Gefangenen, die einen Fluchtversuch unternommen hatten, erfuhren eine unterschiedliche Behandlung. Wenn es gemeine Soldaten oder Unteroffiziere waren, welche die Arbeit nicht verweigert hatten, wurden sie im allgemeinen in ein Lager geschickt und gemäß Artikel 47 und folgenden der Genfer Konvention bestraft. Wenn es sich jedoch um Offiziere oder Unteroffiziere handelte – ich kommentiere hier das Dokument, das ich sodann dem Gerichtshof verlesen werde – wenn es sich jedoch um Offiziere oder Unteroffiziere handelte, die sich geweigert hatten, zu arbeiten, wurden sie der Polizei übergeben und gewöhnlich ohne Gerichtsverfahren ermordet.
Man versteht den Zweck dieser Unterscheidung. Jene französischen Unteroffiziere, die sich trotz des von den deutschen Behörden auf sie ausgeübten Drucks weigerten, in der deutschen Kriegsindustrie zu arbeiten, hatten eine sehr hohe Auffassung von ihrer patriotischen Pflicht. Ihre Fluchtversuche riefen gewissermaßen die Vermutung ihrer Nichtanpassungsfähigkeit an die Nazi-Ordnung hervor. Sie mußten daher ausgeschaltet werden. Die Ausrottung dieser Elite nahm anfangs 1944 systematischen Charakter an, und der Angeklagte Keitel ist zweifellos für diese Ausrottung verantwortlich, die er gebilligt, wenn nicht sogar angeordnet hat.
Das dem Gerichtshof vorliegende Schriftstück ist ein Protestbrief des Generals Bérard, Vorsitzender der Französischen Delegation bei der Deutschen Waffenstillstandskommission, an den deutschen General Vogl, Vorsitzender der Deutschen Waffenstillstandskommission. Es handelt eben von den nach Frankreich gedrungenen Nachrichten über die Vernichtung geflohener Kriegsgefangener.
Erster Absatz, vierte Zeile:
»Diese Mitteilung eröffnet das Bestehen einer von der Wehrmacht unabhängigen Organisation, in deren Befehlsbereich die geflüchteten Kriegsgefangenen fallen.«
Diese Note ist am 29. August 1944 vom Kommandanten des Oflag XC geschrieben worden.
General Bérard teilte der Deutschen Waffenstillstandskommission mit:
[408] »Hauptmann Lussus... und Leutnant Girot... vom Oflag XC, die am 27. April 1944 einen Fluchtversuch unternommen hatten, sind von der Lagerwache in der unmittelbaren Umgebung des Lagers wieder aufgegriffen worden.
Am 23. Juni 1944 erhielt der älteste der Offizie re des Oflag XC zwei Urnen, welche die Asche dieser beiden Offiziere enthielten. Man konnte diesem französischen Offizier keinerlei nähere Angaben über die Todesursache von Hauptmann Lussus und Leutnant Girot machen.«
General Bérard machte die Deutsche Waffenstillstandskommission zur gleichen Zeit darauf aufmerksam, daß dem Kommandanten des Oflag XC die folgende Mitteilung übermittelt worden war;
»Wollen Sie Ihren Kameraden zur Kenntnis bringen, daß es eine deutsche Stelle zur Überwachung der unerlaubt umherstreifenden Personen gibt, deren Tätigkeit sich über die im Kriegszustand befindlichen Gebiete von Polen bis zur spanischen Grenze erstreckt. Jeder geflüchtete Kriegsgefangene, der wieder aufgegriffen wird, und in dessen Besitz Zivilkleider, falsche Papiere, gefälschte Personalausweise und Photographien befinden, fällt in den Befehlsbereich dieser Behörde. Was mit den Betreffenden geschieht, vermag ich Ihnen nicht zu sagen; machen Sie Ihre Kameraden auf den besonderen Ernst dieser Sache aufmerksam.«
Die zwei letzten Zeilen dieser Mitteilung erhalten ihre volle Bedeutung an dem Tage, an dem die beiden Urnen mit der Asche der geflüchteten französischen Offiziere dem Lagerältesten übergeben werden.
Unsere sowjetischen Kollegen werden die Umstände darlegen, unter denen Fluchtversuche von Offizieren aus dem Lager Sagan unterdrückt wurden.
VORSITZENDER: Herr Dubost, wurde diese Beschwerde beantwort? Die Beschwerde des Generals Bérard an die Waffenstillstandskommission?
M. DUBOST: Herr Präsident, ich weiß nicht, ob eine Antwort erfolgt ist. Ich weiß nur, daß im Augenblick der Befreiung die Archive von Vichy zum Teil geplündert und zum Teil durch Kriegshandlungen zerstört wurden.
Wenn eine Antwort erfolgt wäre, würde sie in den Archiven von Vichy vorhanden sein, denn die von uns jetzt vorgelegten Dokumente stammen aus den deutschen Archiven der Deutschen Waffenstillstandskommission. Was die französischen Archive anbetrifft, ist es mir nicht bekannt, was aus ihnen geworden ist. Es ist jedoch möglich, daß sie im Verfolg der Kriegshandlungen verschwunden sind.
[409] Ich war soeben im Begriff, dem Gerichtshof zur Kenntnis zu bringen, daß meine sowjetischen Kollegen die Umstände beschreiben werden, unter welchen die Fluchtversuche aus dem Lager Sagan unterdrückt wurden. Wir legen Schriftstück F-672 als RF-380 vor, Seite 115 des Dokumentenbuches. Es handelt sich um einen Bericht des Kriegsgefangenen- und Deportiertendienstes vom 9. Januar 1946, der die Verschleppung von zwanzig französischen Kriegsgefangenen nach Buchenwald behandelt. Dieser Bericht muß als echtes Dokument angesehen werden, ebenso wie die beigefügten Berichte von Kriegsgefangenen. Hier der Bericht von Claude Petit, früher Hauptvertrauensmann des Stalag VI/b:
»Im September 1943 waren die französischen Zivilarbeiter sowie die in das Zivilarbeitsverhältnis übernommenen französischen Kriegsgefangenen in Deutschland jedes geistlichen Beistandes beraubt. Da kein Priester unter ihnen war, beschloß Leutnant Piard, der Hauptseelsorger des Stalag VI/G, nach Rücksprache mit dem Seelsorger der Kriegsgefangenen, Abbé Rodhain, sechs kriegsgefangene Priester freiwillig in das Zivilarbeiterverhältnis überführen zu lassen, damit sie unter den französischen Zivilisten das Seelsorgeramt ausüben könnten.«
Da diese Überleitung der Priester in das Zivilarbeitsverhältnis schwer durchzuführen war und die Gestapo die Anwesenheit von Seelsorgern unter den französischen Zivilarbeitern nicht gestattete, organisierten diese Priester und einige Pfadfinder eine Pfadfindergruppe und eine Gruppe der katholischen Aktion.
»Vom Beginn des Jahres 1944 an fühlten sich die Priester bei der Ausübung ihrer verschiedenen Tätigkeiten von der Gestapo beobachtet.
Die sechs Priester wurden Ende Juli 1944 fast gleichzeitig verhaftet und in das Gefängnis von Braunweiler in der Nähe von Köln überführt.
Dasselbe geschah mit den Pfadfindern.
Gegen diese offensichtliche Verletzung der Genfer Konvention unternahm ich zahlreiche Schritte und Proteste, damit die von der Gestapo verhafteten Kriegsgefangenen der militärischen Stelle zurückgegeben würden. Weiter ersuchte ich um Mitteilung des Grundes ihrer Verhaftungen...
Infolge des schnellen Vormarsches der alliierten Truppen, die Aachen erreichten, wurden sämtliche Gefangenen von Braunweiler nach Köln überführt.«
Die deutschen Behörden selbst haben Schritte unternommen, um von dem Schicksal der Kriegsgefangenen unterrichtet zu werden.
[Dr. Stahmer tritt an das Rednerpult.]
[410] M. DUBOST: Herr Präsident, bevor Sie der Verteidigung die Erlaubnis geben, mich zu unterbrechen, erlauben Sie mir, die Verlesung dieses Schriftstücks zu beenden.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort!
M. DUBOST:
»Da die Militärbehörden es (den Bestimmungsort) nicht kannten, traten sie unverzüglich brieflich mit Buchenwald in Verbindung. Sie erhielten jedoch keine Antwort.
Anfang März sollte Major Bramkamp,... sich persönlich nach Buchenwald begeben...«
Es folgt eine Liste der Gefangenen, die auf diese Weise verschwunden sind. Und hier, Seite 122, die Bestätigung dieser Zeugenaussage durch Herrn Souche, Vertrauensmann des Kommandos 624, der schreibt:
»Bestimmte Kriegsgefangene, die in das Zivilarbeitsverhältnis übernommen worden waren, sowie französische Zivilarbeiter hatten in Köln eine Gruppe der katholischen Aktion unter der Leitung zweier ebenfalls in das Zivilarbeitsverhältnis übernommener kriegsgefangener Priester, Pannier und Cleton, organisiert....
Die Verhaftungen begannen unter den Mitgliedern der katholischen Aktion...«
Sie wurden anti-deutscher Machenschaften beschuldigt.
VORSITZENDER: Was hat Herr Dr. Stahmer einzuwenden?
DR. OTTO STAHMER, VERTEIDIGER DES ANGEKLAGTEN GÖRING: Wir sind nicht in der Lage, dem Vortrag des Herrn französischen Anklagevertreters zu folgen. Zunächst ist die Übersetzung sehr mangelhaft. Es werden Sätze ausgelassen, vor allem werden Nummern unrichtig genannt. Es wurde soeben die Nummer 612 genannt; ich habe diese Nummer hier, es handelt sich um ein ganz anderes Schriftstück. Wir haben die Dokumentenbücher nicht und können daher der Seitenangabe nicht folgen. Auch andere Herren beschweren sich darüber, daß wir nicht in der Lage sind, bei dieser Art des Vortrages irgendetwas aufzunehmen.
VORSITZENDER: Kann ich Ihr Dokument sehen?
DR. STAHMER: Hier ist die Nummer, die soeben erwähnt wurde; Nummer 612.
VORSITZENDER: Das ist nicht das Dokument. Das Dokument, aus dem Herr Dubost vorliest, trägt die Nummer 672. Ihr Dokument hat aber eine andere Nummer.
DR. STAHMER: Uns wurde aber diese Nummer durchgegeben, 612, das habe nicht nur ich allein gehört, sondern auch die anderen [411] Herren, und so wurde nicht nur diese eine Nummer, sondern alle Nummern unrichtig angegeben.
Dazu kommt die Schwierigkeit, daß wir das Dokumentenbuch nicht haben. Es wurde gesagt, Seite 118, wir wissen aber gar nicht, was 118 ist. Wir können also in dem Tempo gar nicht folgen.
VORSITZENDER: Herr Dubost, ich glaube, daß die Ursache der Verwirrung tatsächlich darin besteht, daß Sie die Nummern zu schnell verlesen. Diese werden daher unrichtig übersetzt, und zwar nicht nur ins Deutsche, sondern auch ins Englische. Es ist für die Dolmetscher sehr schwierig, alle diese Nummern zu verstehen. Sie nennen zuerst die Nummer des Schriftstücks, dann die Beweisstücknummer, dann die Seite des Dokumentenbuches, und die Übersetzung wird falsch. Die Arbeit der Dolmetscher wird sehr erschwert. Sie müssen viele Ziffern übersetzen.
Es ist wichtig, daß die Angeklagten in der Lage sind, den Dokumenten zu folgen, und dasselbe gilt für die Anwälte, Da sie keine Dokumentenbücher besitzen, ist es wesentlich, daß Sie sehr langsam vorgehen.
M. DUBOST: Herr Vorsitzender, die Dokumentenbücher, alle Dokumente, sind den Verteidigern überreicht worden.
VORSITZENDER: Herr Dubost, wollen Sie damit sagen, daß die Dokumentenbücher der Verteidigung in derselben Form gegeben worden sind, wie sie uns übergeben wurden, das heißt mit numerierten Seiten? Was mich angeht, so kann ich nur auf diese Weise die Dokumente finden. Sie sagten Seite 115; und das zeigt mir an, wo das Dokument zu finden ist. Hätte ich diese Seitenangabe nicht, dann wäre es mir unmöglich gewesen, das Dokument zu finden.
M. DUBOST: Es war nicht möglich, der Verteidigung ein Dokumentenbuch zur Verfügung zu stellen, das dieselben Seitenzahlen trägt wie das Dokumen tenbuch, das dem Gerichtshof vorgelegt wurde. Es ist in deutscher Sprache abgefaßt, und die Seiten sind daher nicht die gleichen wie im Englischen. Die Seitenbezeichnung im deutschen Dokumentenbuch und in dem Ihrigen stimmt nicht vollkommen überein.
VORSITZENDER: Ich erkläre Ihnen die Schwierigkeiten, unter denen die Verteidiger arbeiten. Wenn wir nur eine Anzahl von Dokumenten ohne Seitennumerierung vor uns hätten, würden wir dieselben Schwierigkeiten haben. Deshalb müssen Sie die Nummern der Dokumente sehr langsam angeben.
M. DUBOST: Ich werde den Wünschen des Gerichtshofs nachkommen, Herr Präsident.
VORSITZENDER: Herr Stahmer, das soeben verlesene Dokument hat die Nummer 672.
[412] DR. STAHMER: Das Dokument 672 können wir nicht finden. Nummer 673 haben wir. Wir haben lauter lose Blätter, aus denen müssen wir uns erst die Nummern zusammensuchen. Nummer 673 haben wir, aber Nummer 672 haben wir bisher nicht gefunden unter unseren Urkunden. Dadurch wird es uns erschwert, einem Vortrag zu folgen, weil wir jedesmal sehr lange suchen müssen, sofern die Nummern überhaupt richtig angegeben sind.
VORSITZENDER: Ich verstehe Ihre Schwierigkeiten. Herr Dubost, wollen Sie fortfahren. Und sprechen Sie bitte langsam, damit Sie den Verteidigern soweit als möglich Gelegenheit geben, die Dokumente aufzufinden. Ich glaube, daß Sie etwas Befriedigendes unternehmen sollten, um den Verteidigern das Auffinden der Dokumente zu erleichtern, durch Numerierung der Seiten oder durch Buchstaben, zum Beispiel durch ein Inhaltsverzeichnis, in welchem die Reihenfolge der Dokumente angegeben ist.
M. DUBOST: Herr Präsident! Vor drei Tagen haben wir den Verteidigern zwei Dokumentenbücher in französischer Sprache übergeben, die in gleicher Weise paginiert sind wie diejenigen, die Sie vor sich liegen haben. Wir haben ihnen aus technischen Gründen nur zwei Exemplare überlassen können; wir übergaben den Verteidigern jedoch gleichzeitig eine genügende Anzahl von Dokumenten in deutscher Sprache, so daß jeder Verteidiger die Akten in deutscher Sprache besitzt. Verlangt der Gerichtshof von mir, daß die Seitenzahlen des französischen Dokumentenbuches, das wir den Verteidigern geben, mit den Seitenzahlen eines Dokumentenbuches übereinstimmen, das wir herstellen müßten, während die Verteidiger es selbst tun könnten und Zeit genug dazu haben? Wir haben ja vor drei Tagen den Verteidigern zwei Dokumentenbücher in französischer Sprache übergeben. Sie hatten Gelegenheit, die französischen Texte mit den deutschen Texten zu vergleichen, um sich zu vergewissern, daß unsere Übersetzungen richtig waren, und sich für die Sitzung vorzubereiten.
VORSITZENDER: Fahren Sie fort, Herr Dubost, aber wie ich gesagt habe, langsam!
DR. STAHMER: Es ist nicht richtig, daß wir die Dokumente vor drei Tagen bekommen haben. Wir haben diesen Haufen gestern abend in unserem Fache gehabt. Wir haben keine Zeit dazu, die Seiten zu numerieren. Wie ich sage, gestern abend oder heute morgen ist dies in unserem Fach gewesen.
VORSITZENDER: Setzen Sie fort, Herr Dubost, und geben Sie die Bezeichnung der Dokumente langsam!
M. DUBOST: Wir gehen jetzt zu Dokument F-357 über, das als RF-381 vorgelegt wird. Dieses Dokument befaßt sich mit der Durchführung der allgemeinen Richtlinien über die Hinrichtung von [413] Kriegsgefangenen. Es enthält die Zeugenaussage eines deutschen Gendarmen, der am 25. Mai 1945 gefangengenommen wurde, Seite 127:
»Alle Kriegsgefangenen, die uns bei irgendwelcher Gelegenheit immer in die Hände fielen..., mußten wir niedermachen, anstatt sie der nächsten Wehrmachtsstelle zu übergeben, wie es bisher geschehen war.«
Es handelt sich um einen Befehl, der Mitte August 1944 gegeben wurde, und der Zeuge fährt fort: »Die Erschießung mußte an einer einsamen Stelle erfolgen«.
Derselbe Zeuge nennt die Namen von Deutschen, die Kriegsgefangene getötet haben.
Wir werden jetzt Dokument 1634-PS vorlegen, das die Beweisstücknummer RF-382 erhält, Seite 129 des Dokumentenbuches. Es wurde noch nicht verlesen und berichtet über die Ermordung von 129 amerikanischen Kriegsgefangenen durch die Deutsche Wehrmacht am 17. Dezember 1944 während der deutschen Offensive auf einem Feld, südwestlich und westlich von Baignes in Belgien.
Der Schreiber dieses Berichts faßt die Geschehnisse zusammen.
Die amerikanischen Gefangenen seien in der Nähe der Kreuzung versammelt worden. Einige Soldaten, deren Namen angegeben sind, rannten in westlicher Richtung über das Feld, versteckten sich zwischen Bäumen, in hohem Gras, Unterholz oder in Gräben, und entgingen auf diese Art der Niedermetzelung. Andere, die sich zu Beginn des Blutbades in der Nähe einer Scheune befanden, konnten sich dort verstecken. Auch diese seien am Leben geblieben.
»Das Maschinengewehr- und Artilleriefeuer auf diese Kolonne von amerikanischen Fahrzeugen dauerte ungefähr 10 bis 15 Minuten, und dann erschienen auf der Landstraße zwei deutsche Panzer und einige Kettenfahrzeuge aus der Richtung von Weismes. Als diese Fahrzeuge zu der Straßenkreuzung kamen, bogen sie nach Süden auf der Straße nach Saint-Vith ein. Die Panzer richteten ihr Maschinengewehrfeuer in den Graben längs der Straße, wo die amerikanischen Soldaten kauerten; dessen gewahr, warfen die anderen amerikanischen Soldaten daraufhin ihre Waffen weg und hoben die Arme über ihre Köpfe. Die amerikanischen Soldaten, die sich ergeben hatten, wurden dann aufgefordert, zu der Straßenkreuzung zurückzumarschieren, wobei die deutschen Soldaten auf einigen deutschen Fahrzeugen, an denen die amerikanischen Kriegsgefangenen auf der Straße N-23 vorbeikamen, ihnen Gegenstände, wie Armbanduhren, Ringe und Handschuhe abnahmen. Die amerikanischen Soldaten wurden dann auf der Landstraße nach St. Vith, vor einem [414] Haus an der südwestlichen Ecke der Straßenkreuzung versammelt.
Andere deutsche Soldaten, die in Panzern und Kettenfahrzeugen an der Straßenkreuzung angekommen waren, durchsuchten die gefangenen Amerikaner an dieser Stelle noch weiter und nahmen ihnen ebenfalls Wertgegenstände ab...
Etwas früher an demselben Tag war Unterfeldwebel Herman Johnson... von einem deutschen Panzer gefangengenommen worden. Nachdem er verhört war, wurde er gezwungen,... in einem Panzerwagen zu fahren,...
... und Unterfeldwebel Johnson wurde mit den anderen amerikanischen Kriegsgefangenen angeschlossen....
Ungefähr zur gleichen Zeit versuchte ein leichter deutscher Panzer sich auf der Straße in solche Stellung zu manövrieren, daß seine Kanonen auf die Gruppe der amerikanischen Gefangenen in dem Feld etwa 20 bis 25 Meter von der Straße gezielt hätten....
Einige deutsche Panzer hielten an, als sie an das Feld, in dem die entwaffneten amerikanischen Kriegsgefangenen mit erhobenen Armen oder hinter den Köpfen zusammengefaßten Händen standen, kamen. Ein deutscher Soldat, vermutlich ein Offizier oder ein Unteroffizier, in einem der anhaltenden Fahrzeuge stand auf, zog seine Pistole, zielte wohlüberlegt und feuerte in die Gruppe der amerikanischen Kriegsgefangenen. Einer der amerikanischen Soldaten fiel. Dieser Vorgang wiederholte sich noch einmal und ein anderer amerikanischer Soldat aus der Gruppe fiel zu Boden. Ungefähr gleichzeitig eröffneten Maschinengewehre von zwei Fahrzeugen auf der Straße Feuer auf die Gruppe amerikanischer Kriegsgefangener in dem Feld. Alle oder die Mehrzahl der amerikanischen Soldaten warfen sich auf den Boden, und blieben liegen, während das Feuer 2 bis 3 Minuten lang anhielt. Die Mehrzahl der Leute im Feld wurden von dem Maschinengewehrfeuer getroffen. Die deutschen Fahrzeuge setzten dann ihren Weg in südlicher Richtung fort, gefolgt von mehr Fahrzeu gen, die ebenfalls aus der Richtung von Weismes kamen, und wenn diese Fahrzeuge an das Feld, in dem die amerikanischen Soldaten lagen, kamen, wurde mit Handfeuerwaffen von den fahrenden Fahrzeugen auf die hingestreckten Leichen in dem Feld geschossen....
Einige deutsche Soldaten, offensichtlich von der Gruppe derer, die an der Straßenkreuzung Wache hielten, gingen dann zwischen den amerikanischen Kriegsgefangenen, die sich noch in ihrer ursprünglichen Lage in dem Feld befanden, [415] und auch zwischen denen, die eine kurze Strecke weggelaufen waren, umher und erschossen mit Pistolen und Gewehren oder erschlugen mit Gewehrkolben oder anderen harten Gegenständen einzeln alle amerikanischen Soldaten, die noch irgendein Lebenszeichen von sich gaben. In einigen Fällen wurden amerikanische Kriegsgefangene offensichtlich aus nächster Nähe genau zwischen beide Augen, in die Schläfe oder in den Hinterkopf geschossen.«
Diese Tatsache stellt einen Terrorakt dar, der eine Schande für die Deutsche Wehrmacht bleiben wird, denn er kann durch nichts gerechtfertigt werden. Diese Menschen waren, wie wir wissen, wehrlos und hatten sich ergeben.
Der Gerichtshof hat mir gestern gestattet, die Dokumente vorzulegen, auf die sich die Französische Anklagebehörde bei der Feststellung der Schuld von Göring, Keitel, Jodl, Bormann, Frank, Rosenberg, Streicher, Schirach, Heß, Frick, des OKW, des OKH, des OKL, der Reichsregierung, der Politischen Leiter sowie der SS und Gestapo an den in den Konzentrationslagern begangenen Grausamkeiten stützt.
Ich werde mich kurz fassen, ich habe nur wenige neue Dokumente vorzulegen.
Das erste Dokument belastet Kaltenbrunner; es ist das amerikanische Dokument L-35, Seite 246 des Dokumentenbuches 2. Dieses Dokument ist nicht vorgelegt worden. Es ist die Aussage von Rudolf Mildner, Dr. jur. und Oberst der Polizei, der erklärt:
»Die Einweisungsbefehle waren vom Chef der Sipo und SD, Dr. Kaltenbrunner oder in Vertretung vom Amtschef IV, SS-Gruppenführer Müller gezeichnet.«
Das Dokument erhält die Beweisstücknummer RF-383 bis.
Mit Bezug auf Göring legen wir als RF-384 das amerikanische Dokument 343-PS vor, ein Schreiben von Feldmarschall Milch an Wolff. Der Brief endet mit folgenden Worten:
»Ich spreche der SS für ihre weitgehende Mithilfe den besonderen Dank des Oberbefehlshabers der Luftwaffe aus.«
Aus dem, was vorhergeht, ist ersichtlich, daß dieser Dank sich auf die biologischen Experimente Dr. Raschers bezieht. Somit ist Göring in diese Sache verwickelt.
Die deutsche SS-Ärzteschaft ist belastet. Das geht aus Dokument 1635-PS hervor, das noch nicht vorgelegt worden ist. Es wird Beweisstück RF-385 und ist im Anhang des zweiten Dokumentenbuches zu finden.
Es handelt sich um Auszüge aus Zeitschriften über mikroskopische und anatomische Forschungen. Die Auszüge beziehen sich auf Versuche, die an Personen vorgenommen worden waren, die dann, [416] obwohl völlig gesund, eines plötzlichen Todes starben. Die Umstände des Todes wurden dann von den Experimentierenden so dargestellt, daß kein Leser über die Umstände, unter denen sie zu Tode gebracht worden waren, im Zweifel sein konnte.
Mit Erlaubnis des Gerichtshofs werde ich einige Stellen zitieren:
»Untersucht wurden die Schilddrüsen von 21 angeblich gesunden Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren, die eines plötzlichen Todes starben....
Die betreffenden Menschen, 19 Männer und 2 Frauen, lebten bis zu ihrem Tode mehrere Monate unter völlig gleichen äußeren Bedingungen, auch was die Beköstigung anbelangt. Die zuletzt aufgenommene Kost bestand hauptsächlich aus Kohlehydraten....
Im Laufe einer längeren Zeit wurde ein Untersuchungsgut von den Lebern 24 erwachsener und gesunder Menschen gesammelt, die plötzlich zwischen 5 bis 6 Uhr morgens starben.«
Der Gerichtshof wird bei der Prüfung dieser Dokumente und der Originale feststellen, daß die deutsche medizinische Literatur sehr reich an Experimenten war, die an erwachsenen, in gutem Gesundheitszustand befindlichen Personen vorgenommen wurden, welche plötzlich zwischen 5 und 6 Uhr morgens starben.
Niemand in Deutschland konnte über die Umstände im unklaren sein, unter denen diese Todesfälle eingetreten waren, da man die Berichte über die Experimente der SS-Ärzte in den Lagern öffentlich druckte.
Ein letztes Dokument, F-185-B und A, bezieht sich auf Versuche mit vergifteten Kugeln, die am 11. August 1944 in Gegenwart der SS-Obersturmbannführer Dr. Ding und Dr. Widmann durchgeführt wurden, Seite 187 des Dokumentenbuches 2.
Diese beiden Dokumente werden als RF-386 und RF-387 vorgelegt. Der Gerichtshof findet die Beschreibung dieses Experiments, in der die Opfer als zum Tode Verurteilte hingestellt werden.
Das Dokument RF-386 wird von dem Chirurgen Professor M. May, dem diese soeben erwähnten pseudo-wissenschaftlichen Dokumente vorgelegt worden sind, das heißt die Auszüge aus den wissenschaftlichen Zeitschriften, die Berichte über die Versuche, wie folgt beurteilt, Seite 222:
»Die Bösartigkeit und Beschränktheit dieser Experimentierenden setzen Sie in Erstaunen. Die Symptome der Vergiftung mit Aconitin sind seit un denklicher Zeit bekannt. Dieses Gift wurde zuweilen von wilden Völkern verwendet, um ihre Pfeile damit zu vergiften. Man hat jedoch noch nie gehört, daß sie ihre Beobachtungen (übrigens gänzlich [417] unzureichend und kindlich) über den vorauszusehenden Erfolg ihrer Erfahrungen in einem so überheblichen Stil beschrieben, noch daß sie sie von einem ›Doz.‹, das heißt einem Professor unterschreiben ließen.«
Wir unterbreiten jetzt Dokument F-278(a) als RF-388. Es belastet Keitel. Es ist ein Schreiben, das »Oberkommando der Wehrmacht, im Auftrag: gez. Dr. Lehmann« unterschrieben ist. Es trägt das Datum vom 17. Februar 1942, ist an den Außenminister gerichtet und belastet diesen. Es betrifft die Behandlung in den Internierungslagern, Seite 75:
»Täter, die auf Grund des Führererlasses nach Deutschland gebracht werden, dürfen keinerlei Verkehr mit der Außenwelt haben; sie dürfen daher weder selbst schreiben noch Briefe, Pakete oder Besuche empfangen. Briefe, Pakete oder Besucher sind mit dem Bemerken zurückzuweisen, daß dem Täter jeder Verkehr mit der Außenwelt verboten ist.
Das Oberkommando teilt die dortige Auffassung im Schreiben vom 31. Januar 1942 mit, daß für belgische Häftlinge eine Bestellung von belgischen Verteidigern nicht in Frage komme.«
Wir legen jetzt Dokument 682-PS, RF-389 vor, Seite 134 des Dokumentenbuches 2. Dieses Dokument belastet die Reichsregierung, das Reichskabinett. Es ist eine Besprechung zwischen Dr. Goebbels und Thierack, dem Justizminister, die am 14. September 1942 von 13.00 Uhr bis 14.15 in Berlin stattfand.
»Hinsichtlich der Vernichtung asozialen Lebens steht Dr. Goebbels auf dem Standpunkt, daß Juden und Zigeuner schlechthin, Polen, die etwa 3 oder 4 Jahre Zuchthaus zu verbüßen hätten, Tschechen und Deutsche, die zum Tode, lebenslänglichem Zuchthaus oder Sicherungsverwahrung verurteilt wären, vernichtet werden sollen. Der Gedanke der Vernichtung durch Arbeit sei der beste.«
Wir wollen diesen letzten Satz im Gedächtnis behalten. Er beweist, daß der Wille zur Vernichtung durch Arbeit im Schoße der Deutschen Regierung selbst fest vorhanden war.
Das letzte Dokument, das wir im Zusammenhang mit den Konzentrationslagern vorlegen, ist F-662, das die Beweisstücknummer RF-390 erhält, Seite 77 des Dokumentenbuches 2. Dieses Dokument ist die Zeugenaussage des Herrn Poutiers aus Paris, Place de Breteuil. Er erklärt, daß die Verhafteten in den Kommandos von Mauthausen und Ebensee unter der direkten Kontrolle von Zivilpersonen arbeiteten, während die SS-Männer sie nur beaufsichtigten. Dieser Zeuge, der in vielen Arbeitskommandos beschäftigt war, bestätigt, daß alle durch Zivilisten kontrolliert wurden und [418] von ihnen Befehle erhielten, die SS hatte lediglich die Beaufsichtigung. Soweit konnten die Bewohner des Ortes das Elend der Häftlinge auf dem Hin-und Rückweg und während der Arbeit beobachten, was die in den letzten Tagen dem Gerichtshof vorgelegten Zeugnisse bestätigen.
Wir fassen das Ansteigen der verbrecherischen deutschen Politik im Westen zusammen. Zu Beginn der Besatzung: Verletzung des Artikels 50 des Haager Abkommens, Exekution von Geiseln und Schaffung eines Pseudogeiselrechts, um die Hinrichtung in den Augen der Bewohner der besetzten Länder zu legalisieren.
In den folgenden Jahren wächst die Mißachtung der Menschenrechte ständig und erreicht in den letzten Monaten der Besetzung den Höhepunkt. Willkürliche Verhaftungen, Scheinprozesse oder Hinrichtungen ohne gerichtliches Urteil gehören zur täglichen Praxis.
Freisprüche oder Begnadigungen werden schließlich – der Gerichtshof wird sich daran noch erinnern – nicht mehr beachtet. Von deutschen Gerichten freigesprochene Personen, die aus der Haft entlassen werden müßten, werden verschleppt und sterben in den Internierungslagern.
Zu gleicher Zeit wächst und entwickelt sich die Organisation derjenigen Franzosen, die im Lande verblieben sind und nicht wollen, daß ihre Heimat stirbt. Daher wütet der deutsche Terrorismus gegen sie. Er verschlimmerte sich mehr und mehr, und nun folgt die Schilderung der terroristischen deutschen Unterdrückung gegen die Patrioten in Westeuropa, gegen die sogenannte »Widerstandsbewegung«, ohne daß dabei diesem Ausdruck mehr als seine artgemäße Bedeutung zu geben ist.
Von dem Augenblick an, als Deutschland begriff, daß seine Politik der Zusammenarbeit zum Scheitern verurteilt war, daß seine Geiselpolitik die Erbitterung der Menschen, die dadurch gefügig gemacht werden sollten, nur erhöhte, verstärkte es das Terrorregime im Lande, anstatt seine Politik den Bewohnern der besetzten Gebiete gegenüber zu ändern. Und dieser Terror wurde unter dem Vorwand einer antikommunistischen Kampagne durchgeführt. Der Gerichtshof erinnert sich an Keitels Befehl und weiß, was er von diesem Vorwand zu halten hat. Alle Franzosen, alle Europäer waren ohne Unterschied der Partei, des Berufs, der Religion oder Rasse, vermischt in dem Widerstand gegen Deutschland und vermischt in den Gräbern und in den Kollektivbeinhäusern, in die die Deutschen sie nach der Vernichtung warfen.
Dieses Durcheinander ist jedoch gewollt und berechnet, es rechtfertigt in gewissem Maße die Willkür der Unterdrückung, diese Willkür, von der Dokument F-278(c), RF-391, Zeugnis gibt. Es trägt das Datum vom 12. Januar 1943 und ist von Falkenhausen unterzeichnet; Seite 4 des Dokumentenbuches:
[419] »Die Personen, die ohne gültigen Berechtigungsschein im Besitz von Sprengstoff- und militärischen Schußwaffen, Pistolen aller Art, Maschinenpistolen, Gewehren usw., mit Munition angetroffen werden, können in Zukunft ohne kriegsgerichtliches Verfahren sofort erschossen werden.«
Dieser Befehl, sowie andere ähnlicher Art, werden auch noch nach Landung der Alliierten in Westeuropa ausgeführt. Und dies sogar gegen organisierte Streitkräfte in Belgien und in Frankreich, obwohl die Deutschen selbst diese Streitkräfte bis zu einem gewissen Grade als Truppen betrachtet haben. Dies geht aus dem Dokument F-173, RF-392, hervor.
VORSITZENDER: Ich glaube, das wäre eine günstige Gelegenheit für eine Unterbrechung.
[Pause von 10 Minuten.]
M. DUBOST: Das Dokument, das ich als RF-392 vorgelegt habe, ist eine Vortragsnotiz der Kommission in Wiesbaden. Wir lesen:
»Das Vorgehen deutscher Truppen, unterstellt man selbst die Richtigkeit der französischen Sachdarstellungen, erfolgt im Rahmen von Kampfhandlungen, die in ihrem Umfang weit hinaus gehen über reine polizeiliche Aktionen gegen irgendwelche einzelnen Rechtsbrecher. Auf der Gegenseite treten organisierte, die Souveränität der Französischen Regierung in Vichy ausdrücklich verneinende Organisationen auf, die zahlenmäßig und ausstattungsmäßig, ihrer ganzen Führung und ihrem Auftreten nach beinahe als Truppeneinheiten bezeichnet werden müssen. Wiederholt ist betont, daß diese aufständischen Einheiten sich selbst als Teile der gegen Deutschland kämpfenden alliierten Streitkräfte ansehen. General Eisenhower bezeichnet die in Frankreich kämpfenden Terroristen als seinem Oberbefehl unterstellte Truppen. Gegen solche« – auf dem Original befindet sich ein Vermerk in rotem Bleistift »leider nicht nur« – »richten sich die deutschen Gegenmaßnahmen.«
Dieses Dokument zeigt, daß die französischen Kräfte im Innern, wie auch alle französischen Kräfte der besetzten Westgebiete, tatsächlich von der Deutschen Wehrmacht als Truppen betrachtet worden sind.
VORSITZENDER: Es konnte für das Protokoll von Wert sein. Es ist in dem Dokumentenbuch über die Ausrottung unschuldiger Bevölkerung auf Seite 167 enthalten.
M. DUBOST: Die Patrioten, die also von der Deutschen Wehrmacht als reguläre Truppen angesehen wurden, sind sie auch als Soldaten behandelt worden? Nein!
[420] Der Befehl Falkenhausens beweist dies. Sie wurden entweder auf der Stelle getötet – aber das ist ja schließlich das Schicksal des Kämpfers – oder der Sipo oder dem SD übergeben und durch diese Organisationen, die frei von jeder gesetzlichen Bindung waren, zu Tode gefoltert. Dies geht aus Dokument 835-PS hervor, das als US-527 bereits vorgelegt worden ist, sowie aus Dokument F-673, das wir als RF-392 vorlegen, Seite 6 des Dokumentenbuches.
Dokument F-673, das sehr umfangreich ist, stammt aus den Archiven der Deutschen Kommission in Wiesbaden. Wir legen es als ein Stück als RF-392 vor. Jedesmal, wenn wir diese Nummer 673 erwähnen, handelt es sich um eines der Dokumente aus diesem umfangreichen deutschen Bande.
Hier ist ein Schreiben aus dem Führerhauptquartier vom 18. August 1944, 26. Ausfertigung, Geheime Kommandosache:
»Betrifft:
Bekämpfung von: 1. Terroristen und Saboteuren in den besetzten Gebieten.
2. Gerichtsbarkeit gegen nichtdeutsche Zivilpersonen in den besetzten Gebieten.«
1. »In der Anlage,« schreibt der Verfasser dieses Briefes, »werden Abschrift des Führerbefehls vom 30. Juli 1944 und des ersten Durchführungserlasses vom 18. August 1944 übersandt.«
Hier ist der Befehl des Führers, dritter Absatz:
»Ich befehle daher:...
1. Die Truppe und jeder einzelne Angehörige der Wehrmacht, SS und Polizei, haben Terroristen und Saboteure, die sie auf frischer Tat antreffen, sofort an Ort und Stelle niederzukämpfen.
2. Wer später ergriffen wird, ist der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.
3. Mitläufer, besonders Frauen, die nicht unmittelbar an Kampfhandlungen teilnehmen, sind zur Arbeit einzusetzen...«
Wir wissen, was das bedeutet. Wir kennen die Arbeitsbedingungen in den Konzentrationslagern.
Ich fahre jetzt mit dem Verlesen des Briefes fort, der diesen Führerbefehl übermittelt. Absatz 4 stellt einen Kommentar des Befehls dar:
»4. Laufende gerichtliche Verfahren wegen aller Terror- und Sabotageakte und aller sonstigen Straftaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht gefährden, [421] sind auszusetzen. Anklagen sind zurückzunehmen. Die Vollstreckung ist nicht mehr anzuordnen. Die Täter sind mit den Vorgängen der nächsten örtlichen Dienststelle der Sicherheitspolizei und des SD zu übergeben.«
Dieser Befehl, der allen Kommandierenden übermittelt werden soll, siehe Seite 7, wird im vorletzten Absatz kommentiert:
»Nichtdeutsche Zivilpersonen der besetzten Gebiete, die die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht in anderer Weise als durch Terror oder Sabotage gefährden, sind dem SD zu übergeben.«
Dieser Befehl ist von Keitel unterzeichnet.
Durch diesen Kommentar, den ich eben verlesen habe, hat Keitel den Führerbefehl gutgeheißen und die Hinrichtung zahlreicher Unschuldiger veranlaßt. Denn der Befehl, ohne Prüfung jeden, der als Terrorist gilt, zu töten, trifft natürlich nicht nur die Terroristen, sondern auch die Unschuldigen, ja mehr die Unschuldigen als die Terroristen. Im übrigen geht der Kommentar Keitels sogar über den Befehl Hitlers hinaus. Keitel wendet die Vorschriften Hitlers, Seite 9 des Dokumentenbuches, auf einen möglichen Fall an, der nicht vorgesehen war:
»Straftaten nichtdeutscher Zivilpersonen in den besetzten Gebieten gegen die Sicherheit oder Schlagfertigkeit der Besatzungsmacht.«
Das geschieht auf eigene Initiative des Generals und stellt einen politischen Akt dar, der ihn bloßstellt und belastet. Dadurch nimmt er an der Weiterentwicklung und Ausdehnung der Hitlerpolitik teil. Denn es handelt sich wohl um die Auslegung eines Hitlerbefehls in seinem Sinne, aber über seinen Rahmen hinausgehend. Der Gestapo und dem SD wurden Weisungen erteilt, ohne Verurteilung hinzurichten. Diese Weisungen wurden ausgeführt. Dokument F-574, das als RF-393 vorgelegt wurde, Seite 10 des Dokumentenbuches, stellt die Aussage eines gewissen Goldberg dar, Unteroffizier der Sicherheitspolizei in Châlon-sur-Saône vor der Befreiung dieser Stadt. Er war von den Patrioten gefangen genommen und von dem Divisionskommissar, Chef der Kriminalpolizei des Polizeikreises Dijon, verhört worden. Die Verteidigung kann uns nicht vorwerfen, daß er von einem untergeordneten Polizeibeamten vernommen worden ist. Es war der Dienststellenleiter der Kriminalpolizei des Kreises Dijon persönlich, der diesen Zeugen vernommen hat.
Dieser Zeuge hat erklärt:
»Ende Mai 1944 hatte der SD von Châlon, ohne daß ich einen diesbezüglichen Befehl gesehen hätte, das Recht erhalten, die Todesstrafe zu verhängen und das Urteil zu vollstrecken, ohne daß die Angeklagten vor Gericht erschienen und ohne daß der Fall der Kommandantur in Dijon zur Entscheidung [422] vorgelegt wurde. Der Chef des SD von Châlon, Krüger, besaß alle Vollmachten, solche Entscheidungen zu treffen.... Soviel ich weiß, ist kein Einspruch von seiten des SD in Dijon erhoben worden. Ich nehme daher an, daß dieses Verfahren den Bestimmungen entsprach, und auf Vorschriften gegründet war, die mir nicht amtlich mitgeteilt worden waren, die jedoch von den vorge setzten Behörden stammten.«
Die Ausführung wurde durch SD-Mitglieder gewährleistet, deren Namen von dem Zeugen angegeben worden sind. Sie sind für den Gerichtshof jedoch ohne Interesse, da er sich nur mit der Bestrafung der Hauptverantwortlichen befaßt, die diese Befehle erteilt haben.
Und wie wurden diese Befehle in den verschiedenen westeuropäischen Ländern ausgeführt?
Für Holland zitiere ich den Bericht der Niederländischen Regierung, Seite 15:
»Ungefähr 3 Tage nach dem Attentat auf Rauter, ungefähr am 10. März 1945, war ich Zeuge der Hinrichtung mehrerer holländischer Patrioten durch die grüne Polizei, als ich auf dem Felde von Waltrop arbeitete.«
Dieses holländische Dokument befindet sich als F-224 im Archiv der Französischen Delegation und ist bereits als Ganzes vorgelegt worden. Dieser Abschnitt ist jedoch noch nicht verlesen worden. Der Zeuge fährt fort:
»Ich habe mit einem Oberwachtmeister der grünen Polizei, dessen Name mir unbekannt ist, gesprochen. Er erklärte mir, daß diese Hinrichtung als Vergeltung für das Attentat auf Rauter stattfand; er sagte ferner, daß Hunderte von holländischen ›Terroristen‹ mit der gleichen Begründung niedergemacht worden sind.«
Ein anderer Zeuge erklärt:
»Als ich mich gegen 6.00 Uhr abends,« es spricht der Deutsche, der den Befehl zur Hinrichtung erteilt, »in mein Büro begab, erhielt ich dort den Befehl, 40 Gefangene erschießen zu lassen.«
Die kanadischen Offiziere, welche die Untersuchungen durchführten, beschreiben den Zustand, in dem sie die Leichen aufgefunden haben. Ich glaube nicht, daß der Gerichtshof die Verlesung dieser Schilderung für nötig erachtet.
Der Gerichtshof findet auf Seite 21 eine Ergänzung und Berichtigung von Munt zu seinem Bericht vom 4. Juni 1945 über die Erschießung von holländischen Patrioten nach dem Attentat auf Rauter. Die Hinrichtung wurde auf Befehl von Kolitz vorgenommen. 198 Gefangene wurden abtransportiert. Munt leugnet, die Hinrichtung begünstigt zu haben; er gibt jedoch zu, daß es ihm auf [423] Grund eines höheren Befehls nicht möglich war, die Hinrichtung der holländischen Patrioten zu verhindern.
Auf Seite 22 im vorletzten Absatz erklärt Munt:
»Nach einem Angriff auf zwei Wehrmachtsangehörige an zwei aufeinander folgenden Tagen, bei dem beide Verwundungen erlitten und ihnen die Gewehre abgenommen wurden, hat Modron darauf bestanden, daß 15 Holländer erschossen werden; 12 wurden erschossen.«
Ein Dokument von ganz besonderer Bedeutung befindet sich ebenfalls in dem Dokumentenbündel F-224, das bei der Untersuchung durch die Niederländische Regierung angelegt worden ist; Seite 30 des Dokumentenbuches. Es ist der Erlaß über die Verkündung des Polizeistandrechtes in den besetzten niederländischen Gebieten, der von dem Angeklagten Seyß-Inquart unterzeichnet ist. Seyß-Inquart ist also der Hauptverantwortliche für diese summarischen Erschießungen von Patrioten in Holland.
In diesem Erlaß ist der erste Absatz beachtenswert:
»... verhänge ich über die gesamten besetzten niederländischen Gebiete mit sofortiger Wirkung das Polizeistandrecht. Ich verbinde damit den Befehl, daß sich jedermann aller Umtriebe, die die öffentliche Ordnung und die Sicherheit des öffentlichen Lebens zu stören oder zu gefährden geeignet sind, zu enthalten...
Der Höhere SS- und Polizeiführer trifft alle Maßnahmen, die ihm zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung oder der Sicherheit des öffentlichen Lebens erforderlich erscheinen.
Der Höhere SS- und Polizeiführer kann bei der Durchführung seiner Aufträge vom geltenden Recht abweichen.«
Polizeistandrecht: Diese Worte täuschen uns nicht. Es handelt sich ganz einfach um Mord, denn die Polizei ist berechtigt, in Ausführung ihrer Aufgabe von dem bestehenden Gesetz abzuweichen.
Dieser Satz, den Seyß-Inquart unterzeichnet hat und der seine Untergebenen bei der Ermordung holländischer Patrioten gegenüber den deutschen Gerichten schützte, trägt in sich selbst die Verurteilung Seyß-Inquarts.
In Ausführung dieses Erlasses hat am 2. Mai ein summarisches Polizeischnellgericht die Todesurteile gegen 10 holländische Patrioten ausgesprochen.
Ein anderes Polizeischnellgericht hat das Todesurteil gegen 10 weitere holländische Patrioten ausgesprochen; alle sind hingerichtet worden.
[424] Immer noch in Ausführung desselben Erlasses hat ein Polizeischnellgericht die Todesstrafe gegen einen holländischen Patrioten ausgesprochen; er ist ebenfalls hingerichtet worden.
Dieses Dokument F-224 enthält eine sehr lange Liste ähnlicher Texte. Es scheint mir jedoch überflüssig, diese Texte jetzt zu zitieren. Der Gerichtshof möge sich allein an den letzten Absatz halten, der von besonderer Bedeutung ist. Wir wollen einen Augenblick bei ihm verweilen, Seite 46 des Dokumentenbuches. Es ist der Bericht des holländischen Untersuchungs- und Identifizierungsdienstes, nach welchem feststeht, daß insgesamt mehr als 4000 holländische Staatsangehörige hingerichtet wurden, wenn es auch nicht möglich ist, jetzt schon die genaue Zahl der von den militärischen Einheiten der Besatzungsmacht Erschossenen bekannt zu geben.
Ich lese die französische Übersetzung des uns von unseren alliierten Freunden zur Verfügung gestellten Textes. Es folgen Einzelheiten über die Exekutionen und über die Orte, an denen die Leichen gefunden worden sind.
Dies gibt nur einen sehr schwachen Begriff von den Leiden, die Holland erduldet, und den Opfern an Menschenleben, die es gebracht hat. Dies mußte gesagt werden, denn es sind die Folgen der verbrecherischen Befehle des Angeklagten Seyß-Inquart.
Was Belgien betrifft, ist das grundlegende Dokument das französische Dokument F-685, das wir dem Gerichtshof als RF-394 bereits vorgelegt haben, Seite 48 des Dokumentenbuches. Es ist ein Bericht der Belgischen Kommission für Kriegsverbrechen, der sich ausschließlich auf die Verbrechen bezieht, die bei der Befreiung des belgischen Gebietes im September 1944 von der Wehrmacht begangen worden sind.
Diese Verbrechen sind alle an belgischen Patrioten begangen worden, die gegen die Deutsche Wehrmacht kämpften. Es handelt sich nicht nur um Hinrichtungen, sondern auch um Folterungen und Mißhandlungen:
»In Graide wurde ein Lager der geheimen Armee angegriffen. Es wurden 15 furchtbar verstümmelte Leichen aufgefunden.
Die Deutschen haben Kugeln verwendet, deren Spitzen abgesägt waren. Einige Leichen waren von Bajonettstichen durchlöchert. Zwei Gefangene waren verprügelt worden, ehe man sie durch Revolverschüsse getötet hatte.
Diese Gefangenen waren Soldaten, die mit den Waffen in der Hand im Kampf gefangen genommen waren, und Einheiten angehörten, die gemäß dem genannten Dokument von dem deutschen Generalstab von jener Zeit an als reguläre Truppen betrachtet wurden....
[425] In Foret waren am 6. September mehrere hundert Mitglieder der Widerstandsbewegung im Schlosse untergebracht. Die Deutschen, die durch das Eingreifen in den Kampf von ihrer Gegenwart erfuhren, beschlossen eine Strafaktion. Einige der Angehörigen der Widerstandsbewegung, die keine Waffen hatten, versuchten zu entfliehen; einige wurden getötet, andere erreichten wieder das Schloß, da sie die deutschen Linien nicht durchqueren konnten; wieder andere wurden gefangengenommen. Die Deutschen rückten hinter den Gefangenen der Widerstandsbewegung vor. Nach 2 Stunden hörte der Kampf auf, da keine Munition mehr vorhanden war. Die Deutschen versprachen denjenigen, die sich ergeben würden, das Leben. Ein Teil der Gefangenen wurde auf einen Lastkraftwagen geladen, die anderen wurden trotz des gegebenen Versprechens gemartert und ermordet. Das Schloß wurde in Brand gesetzt und die Leichen mit Benzin übergossen und verbrannt. 20 Männer kamen in dem Gemetzel um, 15 andere waren während des Kampfes getötet worden.«
Es gibt der Beispiele viele. Dieses Zeugnis für das heldenhafte Belgien war notwendig. Wir mußten uns ins Gedächtnis zurückrufen, was wir ihm und den Kämpfern seiner Geheimarmee schuldig sind, und wie hoch seine Opfer waren.
Was Luxemburg betrifft, haben wir ein Dokument des Justizministers des Großherzogtums Luxemburg, UK-77, zur Verfügung, das bereits als RF-325 vorgelegt worden ist, Seite 53 des Dokumentenbuches. Der Gerichtshof wird daraus ersehen, daß ein außerordentliches Standgericht, ähnlich dem in Holland, auch in Luxemburg eingesetzt wurde. Dieses Gericht hat tatsächlich gearbeitet und eine gewisse Anzahl von Verurteilungen ausgesprochen, insgesamt 21, die alle ebenso willkürlich waren wie das Gericht selbst, das sie ausgesprochen hat.
Das Dokument enthält die amtliche Anklage des Großherzogtums Luxemburg gegen alle Mitglieder des Reichskabinetts, insbesondere gegen den Innenminister, den Justizminister, die Parteikanzlei, die Führer der SS, und der SS und Polizei und vor allem gegen den Reichskommissar für die Festigung des Deutschen Volkstums.
Was Norwegen anbetrifft, beziehen wir uns auf Dokument UK-79, bereits als RF-323 vorgelegt, Seite 55 des Dokumentenbuches. Es zeigt, daß auch in Norwegen ähnliche Polizeistandgerichte wie in Holland eingerichtet wurden. In Norwegen wurden sie SS-Gerichte genannt. Über 150 Norweger sind zum Tode verurteilt worden.
Übrigens wird sich der Gerichtshof der Aussage des Herrn Cappelen erinnern, der berichtet hat, was sein Land und seine Landsleute gelitten haben.
[426] Bezüglich Dänemark stellt Dokument F-666, RF-338, Seite 57 des Dokumentenbuches, nämlich der Bericht der Dänischen Regierung, fest, daß Polizeigerichte in Tätigkeit gewesen sind, die ähnlich den in Norwegen, Luxemburg und Holland eingesetzten Gerichten arbeiteten. Diese Standgerichte der Polizei, die sich aus SS oder Polizisten zusammensetzten, verschleiern in Wirklichkeit die Willkür der SS und der Polizei, eine Willkür, die nicht nur von der Regierung geduldet, sondern sogar angeordnet wurde, wie sich aus den Dokumenten, die wir vorgelegt haben, ergibt.
Das erlaubt uns, zu behaupten, daß die Opfer dieser Gerichte ermordet wurden, ohne daß ihnen das Recht der Verteidigung oder Rechtfertigung gegeben worden war.
Für Frankreich muß die Frage sehr aufmerksam geprüft werden. Der Gerichtshof weiß, daß sich die französische Geheimarmee bei der Landung der alliierten Truppen, der Aufforderung des Stabes entsprechend, erhoben, und den Kampf begonnen hat. Ohne Zweifel haben diese Kämpfer, denen man deutscherseits einige Wochen später halbamtlich den militärischen Charakter zuerkannt hat, trotz der Warnung seitens des alliierten Generalstabs anfangs ziemlich außerhalb des Gesetzes gestanden. Wir bestreiten nicht, daß es sich in sehr vielen Fällen um Freischärler gehandelt haben mag; wir geben zu, daß man sie zum Tode verurteilen konnte; wir erheben jedoch Einspruch dagegen, daß sie nicht zum Tode verurteilt wurden, sondern nach furchtbaren Folterungen einfach hingemordet worden sind. Wir werden Ihnen den Beweis hierfür erbringen.
Dokument F-577, das dem Gerichtshof als RF-395 vorgelegt worden ist, Seite 62 des Dokumentenbuches, besagt, daß am 17. August, am Tage der Befreiung von Rodez, die deutsche Polizei 30 Patrioten mit Maschinengewehren erschossen hat. Um sie vollends zu erledigen, hat man dann große Mauersteine aus der Wand des Grabens, in dem sie lagen, herausgelöst und etwas Erde auf sie geworfen. Brustkorb und Schädel wurden zerschmettert.
Dokument F-580, das wir als RF-396 vorlegen, Seite 79 des Dokumentenbuches, zeigt, daß fünf »Laienbrüder des Marien-Ordens«, soviel ich weiß, waren sie keine Kommunisten, gefoltert und ermordet wurden, weil sie Mitglieder einer Gruppe der »geheimen Armee«, die hingerichtet wurde, waren. Es wurden im ganzen 36 Leichname nach dieser Hinrichtung, einer Strafaktion der Deutschen Wehrmacht, aufgefunden.
Der Gerichtshof kann das Ergebnis der Untersuchung lesen und ersehen, unter welchen Umständen diese fünf Geistlichen gefoltert und getötet wurden, unter welchen Umständen ein Stab der Widerstandsbewegung, der verraten worden war, zusammen mit einigen Mitgliedern desselben religiösen Ordens, festgenommen und deportiert wurde.
[427] Der Beweis wird erbracht, daß Angehörige der Widerstandsbewegung aus dem Wald von Acheres verhaftet und gefoltert wurden, nachdem sie in das Gefängnis von Fontainebleau gebracht worden waren. Wir kennen sogar den Namen des deutschen Gestapofunktionärs, der die Patrioten gefoltert hat. Sein Name spielt aber keine Rolle. Dieser Deutsche hat die ihm von Keitel und anderen Angeklagten, deren Namen ich soeben genannt habe, erteilten Befehle ausgeführt. Dokument F-584, das ich als RF-397 vorlegen werde, Seite 87 des Dokumentenbuches, zeigt, daß man bei der Auffindung der Leichen festgestellt hat, daß etwa zehn von ihnen vor der Erschießung die Augen verbunden worden waren, daß acht von ihnen gebrochene Arme hatten, entweder infolge von Verletzungen oder Folterungen, und daß viele an den Unterschenkeln blutunterlaufene Stellen aufwiesen, die auf stark zusammengezogene Fesseln zurückzuführen sind. Das war der Bericht des Polizeikommissars von Pau vom 28. August 1944, einen Tag nach der Befreiung von Pau.
Wir legen nunmehr Dokument F-585 als RF-398 vor, Seite 96 des Dokumentenbuches. Ich fasse zusammen:
Am Tage nach der Befreiung wurden in zwei Gräben in der Nähe von Signes im Vargebirge 38 Leichname gefunden. Ein Leichnam wurde als der des Führers der Widerstandsbewegung der Côte d'Azur, Valmy, und zwei weitere als die Leichname der beiden Fallschirmjäger Pageot und Manuel identifiziert. Ein Zeuge dieses Blutbades, namens Tuirot, ist vorhanden; seine Aussagen sind wiedergegeben. Tuirot wurde zusammen mit seinen Kameraden gefoltert, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, den Beistand eines Priesters oder Anwalts in Anspruch zu nehmen. Die achtunddreißig Männer wurden in einen Wald geführt, kamen vor ein Scheingericht, das aus SS-Leuten bestand, die sie zum Tode verurteilten, und wurden hingerichtet.
Ich lege nunmehr dem Gerichtshof Dokument F-586 als RF-399 vor, Seite 110 des Dokumentenbuches. Es befaßt sich mit der Ermordung von siebenunddreißig Patrioten in Saint Nazaire und Royan, die Angehörige der französischen Geheimarmee waren und vor der Hinrichtung gefoltert wurden.
Hier der Tatsachenbericht eines Augenzeugen:
»Ich bin durch diese Trümmer gegangen und habe das Schloß der Witwe Laurent erreicht. Dort erwartete mich ein scheußlicher Anblick. Das Schloß, das der Gestapo zur Folterung jugendlicher Angehöriger der Widerstandsbewegung diente, war in Brand gesteckt worden. In einem Keller lag eine verkohlte Leiche, der man vorher die Unterarme und einen Fuß abgerissen hatte und die vielleicht lebendigen Leibes verbrannt worden war.«
[428] Ich will jedoch nicht länger bei diesen Vorkommnissen verweilen; denn, wo immer die Gestapo in Aktion trat, wandte sie die gleichen Methoden an.
Ich möchte nunmehr dem Gerichtshof das Dokument F-699 vorlegen, das sich auf die Ermordung von achtundvierzig Angehörigen der Geheimarmee in Grenoble bezieht. Alle wurden vor der Hinrichtung gefoltert. Ich lege Ihnen das Dokument als RF-400 vor.
Ich komme nunmehr zu Dokument F-587, das ich als RF-401 vorlege, Seite 115 des Dokumentenbuches. Es bezieht sich auf die Erhängung von 12 Patrioten in Nimes, von welchen zwei aus einem Lazarett herausgeholt wurden, wo sie wegen der Wunden, die sie sich im Kampf zugezogen hatten, in Pflege waren. Alle diese jungen Leute waren in der Gegend von St. Hippolyte du Fort im Kampf gefangen genommen worden. Die Leichname dieser unglücklichen Männer wurden geschändet. Sie trugen auf der Brust ein Plakat mit folgendem Text: »So werden die französischen Terroristen bestraft.« Als die französischen Behörden diesen unglücklichen Männern die letzte Ehre erweisen wollten, waren die Leichen verschwunden. Die Deutsche Wehrmacht hatte sie fortgebracht und man hat sie niemals wieder gefunden.
Tatsächlich wurden zwei dieser Unglücklichen aus dem Lazarett herausgeholt. Dokument F-587 enthält vor allem den Bericht eines Augenzeugen, der gesehen hat, wie diese beiden Verwundeten aus dem Krankensaal herausgeholt wurden, in dem sie lagen.
Ich lege nunmehr Dokument F-561 als RF-402 vor, Seite 118 des Dokumentenbuches. Es bezieht sich auf die Hinrichtung von 109 Patrioten in Lyon, die unter unmenschlichen Umständen erschossen wurden. Sie wurden nach Schluß der Tagesarbeit niedergemacht. Die alliierten Luftstreitkräfte hatten am 14. August den Flugplatz Bron bombardiert.
Die deutschen Behörden verwendeten vom 16. August bis 22. August eingezogene Zivilpersonen sowie Häftlinge aus der Festung Montluc in Lyon, welche die Bombentrichter aufzufüllen hatten. Nach beendigtem Tagewerk gingen die Zivilpersonen nach Hause, während die Häftlinge mehr oder weniger mißhandelt und an Ort und Stelle erschossen wurden; ihre Leichen wurden in die noch nicht ganz aufgefüllten Trichter geworfen.
Dokument F-591, RF-403, Seite 119 des Dokumentenbuches, ist ein Bericht über die Greueltaten, die von der Deutschen Wehrmacht am 30. August 1944 in Tavaux im Departement Aisne begangen worden sind:
»Im Laufe des Nachmittags des 30. August 1944 trafen deutsche Soldaten der Division ›Adolf Hitler‹ in Tavaux ein. Sie begaben sich in das Haus des Herrn Maujean, des Führers der Widerstandsbewegung. Frau Maujean öffnete die Tür. [429] Ohne irgendeine Erklärung zu geben, schossen sie auf Frau Maujean und verletzten sie am Schenkel und Unterkiefer. Darauf schleppten sie die Frau in die Küche und brachen ihr einen Arm und ein Bein. In Gegenwart ihrer 5 Kinder, im Alter von 6, 7, 8 und 9 Jahren sowie von 8 Monaten, begossen sie Frau Maujean mit einem endzündlichen Stoff und verbrannten sie vor den Augen der Kinder. Der älteste Sohn hielt sein 8 Monate altes Schwesterchen auf den Armen. Dann erklärten sie den Kindern, daß sie erschossen würden, wenn sie ihnen nicht sagten, wo sich ihr Vater befinde. Die Kinder sagten jedoch nichts, obgleich sie wußten, wo sich ihr Vater befand. Bevor sie das Haus wieder verließen, schlossen sie die Kinder im Keller ein, gossen Benzin ins Haus und steckten es in Brand. Das Feuer konnte jedoch gelöscht und die Kinder gerettet werden. Diese Tatsachen sind Herrn Mau jean von dem ältesten seiner Kinder berichtet worden. Es war niemand weiter Zeuge dieser Begebenheiten, denn die Einwohner waren durch die ersten in Brand gesteckten Häuser erschreckt in die umliegenden Schützengräben, Felder und Wälder geflüchtet.
An demselben Abend sind in Tavaux 21 Personen getötet und 83 Häuser in Brand gesteckt worden.«
Das französische Dokument F-589, das wir als RF-404 vorlegen, Seite 121 des Dokumentenbuches, gibt die vorläufige Zahl der in der Gegend von Lyon an Patrioten begangenen Morde am 25. September 1944 an. In 8 Departements wurden 713 Opfer entdeckt, von denen jedoch nur 217 identifiziert werden konnten. Diese Zahl ist nur annähernd. Sie ist weit geringer als die Zahl der Verschwundenen in den 8 Departements Ain, Ardeche, Drôme, Isere, Loire, Rhone, Savoie und Haute-Savoie.
Der deutsche General von Brodowski hat in seinem Kriegstagebuch, das in unsere Hände fiel, zugegeben, daß er viele Patrioten hat erschießen lassen. Wehrmacht, Polizei und SS arbeiteten zusammen und sind für diese Morde verantwortlich.
Diese Truppen haben Verwundete in Feldlazaretten der französischen Widerstandsarmee gemordet. Dieses Dokument, F-257, lege ich als RF-405 vor, Seite 123 des Dokumentenbuches. In den letzten vier Absätzen arbeiten Polizei und Wehrmacht zusammen:
»Ich bin beauftragt, im Departement Cantal und angrenzenden Gebieten die Autorität der Besatzungsmacht baldigst wieder herzustellen....«
Am 6. Juni 1944:
»Mit der taktischen Durchführung des Unternehmens wird General Jesser beauftragt, dem hierzu sämtliche für das [430] Unternehmen zur Verfügung stehende Truppen und sonstige Kräfte unterstellt werden.«
6. Abschnitt:
»Kdr. der Sipo und SD, HptStuf. Geißler, bleibt mir unterstellt. Über etwaige Heranziehung franz. Ordnungskräfte macht er mir Vorschläge....
Für Unternehmen Cantal stehen zusätzlich 1 Rgts.Stab und zwei Bataillone. SS-Panzer-Division ›Das Reich‹ zur Verfügung.«
Dieser General übergab dem SD die am 15. Juni 1944 verwundeten Gefangenen, was gleichbedeutend mit ihrer Hinrichtung war.
»Präfekt von Le Puy hat bei Verb. Stab angefragt, ob auf Gefechtsfeld Montmouchet vom Roten Kreuz Le Puy geborgene Verwundete als Kriegsgefangene in Le Puy eingeliefert werden könnten.«
Der deutsche General jedoch entschied in Ausführung der Befehle des deutschen Generalstabs und insbesondere Keitels und Jodls, daß diese Verwundeten als Freischärler zu behandeln und dem SD oder der Abwehr zuzuführen seien. Diese der deutschen Polizei übergebenen Verwundeten wurden gefoltert und ohne Urteil hingerichtet.
Nach Aussagen Goldbergs, die ich soeben anführte, erfolgte die Hinrichtung ohne jedes Urteil. Jeder dem SD übergebene Mann wurde hingerichtet. Die Ereignisse trugen sich zu dem vom Gericht genannten Zeitpunkt am 21. Juni 1941 zu.
»12 Verdächtige verhaftet und dem SD übergeben.«
Am 16. August 1944 ließ dieser General der Deutschen Wehrmacht vierzig Leute nach den Kämpfen von Bourg-Lathe und Cosnat hinrichten.
»Im Verlaufe der Operation Jesser vom 15. Juli 1944 im Gebiet von Bourg-Lastic wurden 23 Personen standrechtlich erschossen.
... Nacht 17. 7. Cosnat (3 km s. St. Hilaire) angegriffen. 40 Terroristen niedergemacht...«
Dieser deutsche General gibt in seinem Kriegstagebuch zu, daß unsere Kameraden als Soldaten und nicht als Mörder kämpften.
Dieser General der Deutschen Wehrmacht gibt zu, daß die französische Widerstandsarmee Gefangene machte:
»Südöstlich Argenton, 30 Kilometer südwestlich Chateaurox, Terroristenzentrale durch Jako ausgehoben. 16 deutsche Soldaten befreit, Waffen und Munition erbeutet, 7 Terroristen getötet, darunter zwei Kapitäne.... Ein deutscher Soldat schwer ver wundet.«
[431] Ein ähnlicher Vorfall wird etwas weiter erwähnt:
»Raum s. v. Argenton zwei Terroristenlager ausgehoben; 9 Feindtote, darunter zwei Offiziere. Sechzehn deutsche Soldaten befreit.«
Unten auf der Seite heißt es:
»Befreit zwei SS-Männer.«
Diese französischen Soldaten hatten Anrecht auf die Achtung seitens ihrer Gegner. Sie benahmen sich als Soldaten, doch sie wurden hingemacht.
VORSITZENDER: Wir unterbrechen nunmehr bis 14.00 Uhr.
[Das Gericht vertagt sich bis 14.00 Uhr.]
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