Vormittagssitzung.

[156] [Der Zeuge Jüttner im Zeugenstand.]


RA. BÖHM: Herr Zeuge! Wir sind gestern in Ihrer Vernehmung stehengeblieben bei der Behandlung der Judenfrage innerhalb der SA. Ich möchte Sie nun fragen, wie ist die Beteiligung von SA-Angehörigen an Aktionen gegen die Juden im November 1938 zu erklären?

JÜTTNER: Die Teilnahme von SA-Angehörigen an dieser Aktion waren unverantwortliche Handlungen von einzelnen, die im krassen Widerspruch standen zu der Anordnung der Führung des Stabschefs Lutze. Stabschef Lutze war in München im Saal des Alten Rathauses. Er hat dort im Anschluß an die Rede von Dr. Goebbels sofort den Chef des Verwaltungsamtes, Obergruppenführer Matthes, beauftragt, in das Hotel Rheinhof zu gehen, wohin sich ein Teil der anwesenden SA-Führer bereits zurückgezogen hatte, um diesen SA-Führern ein strengstes Verbot zu übermitteln, an irgendwelchen Aktionen gegen die Juden teilzunehmen. Etwa eine Stunde später, als er die Nachricht hörte, daß die Synagoge in München in Brand gesteckt worden sei, hat Lutze in meiner Gegenwart den noch anwesenden SA-Führern im Rathaussaal zu München dieses Verbot wiederholt und befohlen, daß es sofort an die Einheiten durchgegeben werde. Das ist auch geschehen und wird dadurch bestätigt, daß vielerorts überhaupt keine Aktionen durchgeführt worden sind und zahlreiche SA-Männer den Erhalt des Befehls auf ihren Eid nehmen.


RA. BÖHM: Wie ist es dann gekommen, daß trotzdem sich SA-Angehörige an der Zerstörung jüdischer Einrichtungen beteiligt haben?


JÜTTNER: Wie nachträglich festgestellt wurde, haben sich einzelne Personen verleiten lassen durch Stellen, die zweifelsfrei unter dem Einfluß von Dr. Goebbels standen. Es haben in der Tat im Verhältnis zur Stärke der SA auch nur wenige wirkliche SA-Angehörige sich an der Aktion beteiligt, obwohl die öffentliche Meinung später diese ganze Aktion der SA in die Schuhe geschoben hat. Auch hier wiederum war es so, daß jeder im Braunhemd als SA-Mann bezeichnet worden ist. Daß die SA keineswegs die Trägerin dieser Aktion war, geht auch daraus hervor, daß, wie ich aus der Presse in den letzten Monaten gelesen habe, bei Einzelprozessen zum Beispiel in Bamberg, in Stuttgart und, glaube ich, auch in Hof Täter [156] verurteilt worden sind, die Synagogen zerstört hatten und nicht der SA angehörten. Auch die Tatsache, daß vielerorts SA-Männer sich zur Verfügung gestellt haben auf Weisung der Führung, um jüdische Einrichtungen vor Plünderung durch dunkle Elemente und so weiter zu schützen, hat in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, daß die SA diese Untaten begangen hatte. Jedenfalls hat der Stabschef Lutze später, ein bis zwei Tage später, dem Dr. Goebbels gegenüber seine Empörung über die Aktion selbst, über die ungerechtfertigte Beschuldigung der SA und die unverantwortliche Verleitung von SA-Männern zu Untaten aufs schärfste verurteilt. Er erließ bald darauf einen Befehl, daß in Zukunft SA-Männer sich anderen Stellen zu irgendwelchen Aufgaben und Handlungen nur noch zur Verfügung stellen dürfen, wenn er das ausdrücklich genehmige. Von ihm festgestellte Schuldige hat Stabschef Lutze bestraft und auch gegebenenfalls an die ordentlichen Gerichte zur Aburteilung weitergegeben.


RA. BÖHM: Ist das also bisher anders gewesen bis zu diesem Zeitpunkt, an dem Lutze in dieser Richtung Stellung genommen hat? War die politische Leitung in der Lage, SA-Angehörige für ihre Zwecke zu verwenden?


JÜTTNER: Die politische Leitung hatte lediglich die Befugnis, die SA zu gewissen Aufgaben anzufordern, und zwar waren das folgende Aufgaben: Teilnahme an Gau- und Kreisappellen, Anforderungen für den Einsatz der SA in Katastrophenfällen, ferner zu Propagandazwecken, zu Sammlungsaktionen für das Winterhilfswerk, für Kleidersammlungen und dergleichen. Das waren die üblichen Anforderungen, die die politische Leitung an die SA im Laufe der Jahre gestellt hat. Andere Anforderungen rechtswidriger Art hat, soweit mir bekanntgeworden ist, die politische Leitung zu keiner Zeit an die SA gestellt. Aber um diese von Dr. Goebbels beeinflußten Stellen von solchen Verleitungen für die Zukunft auszuschalten, deshalb hat Lutze diesen Befehl erlassen.


RA. BÖHM: Schön. Nun hat aber die Anklagebehörde in diesem Prozeß unter der Nummer 1721-PS ein Dokument vorgelegt. Das ist eine Meldung, eine Vollzugsmeldung der Brigade 50 an die Gruppe Kurpfalz. Ich möchte Ihnen dieses Dokument zunächst zeigen, und Sie dann fragen, ob Sie hierzu Erhebungen gepflogen haben?


[Dem Zeugen wird das Dokument überreicht.]


JÜTTNER: Wir haben Erhebungen gepflogen nach der Aktion. Aus dem Bereich der Gruppe Kurpfalz sind uns solche Handlungen und Untaten, wie sie in der Meldung verzeichnet sind, nicht mitgeteilt worden. Ich halte es auch für ausgeschlossen, daß das, was hier wiedergegeben ist, den Tatsachen entspricht.

[157] RA. BÖHM: Ich muß nun eine Reihe von Fragen an Sie stellen, die sich erübrigt hätten, wenn die Zeugen Lücke und Fust hier hätten vernommen werden können. Lucke ist nämlich derjenige, der diese Vollzugsmeldung erstellt hat, und Fust derjenige, an den sie gegangen sein soll. Ich frage Sie nun, ist es üblich, daß bei der Erstellung von Vollzugsmeldungen der Befehl, über den der Vollzug zu melden ist, in der Vollzugsmeldung wiederholt wird im SA-Dienst?


JÜTTNER: In meiner ganzen Amtstätigkeit als Chef der Hauptamtsführung der Obersten SA-Führung und als ständiger Vertreter des Stabschefs der SA habe ich niemals die Wahrnehmung gemacht, daß in einer Vollzugsmeldung der gegebene Befehl – wie es hier in dieser angeblichen Meldung geschehen ist – im Wortlaut wiederholt wird. Im übrigen möchte ich sagen, daß der Führer dieser Gruppe – das war der Obergruppenführer Fust – als er diesen hier wiedergegebenen Befehl gegeben haben soll, sich in München befand im Alten Rathaussaal und dann im Hotel Rheinhof. Er hat dieses Verbot von Stabschef Lutze empfangen und hat in Gegenwart von Obergruppen führer Matthes dieses Verbot an seine Gruppe telephonisch weitergeleitet. Fust ist ein ganz besonders rechtlich denkender Mensch. Als er nach Mannheim zurückkam, hat er sich, wie ich weiß, davon überzeugt, daß die Durchgabe seines Befehls erfolgt war und daß seiner Anordnung entsprechend SA-Männer zur Bewachung jüdischer Einrichtungen zur Verfügung gestellt worden sind. Auch der Leiter der Führungsabteilung dieser Gruppe Kurpfalz, ein gewisser SA-Führer Zimmermann, bestätigt, daß, der Gruppenführer genau das Gegenteil von dem befohlen hat, was hier in diesem Dokument als Gruppenbefehl angegeben ist, und daß auch er SA als Posten vor jüdischen Einrichtungen gesehen hat; und SA-Männer dieser Gruppe in Internierungslagern, die Einheiten in der Gruppe geführt haben, bekunden, daß sie niemals einen Befehl erhalten haben wie den, der hier angeblich von der Gruppe erteilt worden sein soll.


RA. BÖHM: Hat es im Sprachgebrauch der SA die Bezeichnung »jüdische Synagogen« gegeben?


JÜTTNER: Das gab es nicht. Wenn man von jüdischen Kirchensprach, sprach man von Synagogen. Der Begriff »jüdisch« war damit einbezogen, genau wie bei der Moschee der Begriff »mohammedanisch« davon untrennbar ist. So sagt man auch bei Synagogen, jedenfalls in unserem Sprachgebrauch, nicht jüdische Synagogen, sondern Synagogen schlechthin.


RA. BÖHM: In dem Befehl wird weiterhin von einer arischen Bevölkerung gesprochen. War das in diesem Zusammenhang möglich oder üblich.


JÜTTNER: Auch das ist völlig abwegig. Wenn der Befehl gegeben worden wäre, dann hätte man nicht gesagt: Nebenhäuser, die [158] von arischer Bevölkerung bewohnt werden, sondern man hätte zweifellos gesagt: Nebenhäuser, die von Deutschen oder deutschen Volksgenossen bewohnt sind; aber »arische Bevölkerung« würde in diesem Zusammenhang nie angewandt worden sein.


RA. BÖHM: Klingt es wahrscheinlich oder glaubhaft, daß man im Jahre 1938, in einer Zeit, in der die nationalsozialistische Macht doch hundertprozentig konsolidiert war, befohlen hätte: Meutereien und Plünderungen sind zu unterbinden!?


JÜTTNER: Das spricht ganz deutlich gegen die Echtheit dieser hier vorgelegten Meldung. Ein Anlaß, Plünderungen wie Meutereien in einem solchen Zusammenhang zu erwähnen, wäre unerklärlich; und es lag auch gar keine Veranlassung vor, das hier anzuführen.


RA. BÖHM: Wäre es möglich gewesen, daß die Gruppe in einem Befehl an die Brigade Vollzugsmel dung an den Brigadeführer befohlen hätte?


JÜTTNER: Das wäre absolut sinnlos gewesen. Die Brigade kann doch an sich selbst nicht Vollzugsmeldung erteilen.


RA. BÖHM: Es ist das aber in dem Befehl oder in der Wiederholung des Befehls zum Ausdruck gebracht.


JÜTTNER: Ja, das spricht gegen die Echtheit dieser hier wiedergegebenen Meldung.


RA. BÖHM: Und was entnehmen Sie aus der Formulierung dieses Befehls aus diesem Grunde?


JÜTTNER: Ich entnehme daraus, kurz gesagt, daß dieser Befehl niemals erteilt worden ist, und daß derjenige, der ihn erfunden hat, von der Befehlssprache der SA keine Ahnung hatte.


RA. BÖHM: War es üblich und entspricht es der Befehlsweitergabe in der SA, daß Befehle auf dem Dienstwege nicht weitergegeben wurden, sondern in der hier angegebenen Weise verfahren worden wäre, wonach die Standartenführer alarmiert worden wären, wonach diese genauestens instruiert worden wären, und daß in diesem Zusammenhang der Vollzugsbeginn gemeldet worden wäre.


JÜTTNER: Abgesehen davon, daß eine Vollzugsmel dung in der hier vorgelegten Form niemals so erstattet worden wäre, war es bei uns üblich, daß Befehle auf dem Dienstwege weitergegeben wurden; dann begann der Vollzug. Den Vollzugsbeginn besonders zu betonen oder zu melden, ist absolut abwegig, weil jeder Befehl den Vollzug von vorneherein bedingt. Eine Meldung hätte nur dann erfolgen müssen, wenn dem Vollzug sich irgendwelche Schwierigkeiten entgegengestellt hätten.


RA. BÖHM: Und was schließen Sie nun aus der Gesamtheit dieser unwahrscheinlichen und zum Teil unmöglichen Fassung der Photokopie vom 11. November 1938?


[159] JÜTTNER: Ich glaube, schon zum Ausdruck gebracht zu haben, daß diese Urkunde hier selbst gegen ihre Echtheit spricht, daß es sich um eine Fälschung handelt. Wenn ich sie mir näher ansehe, komme ich zu dem Ergebnis, daß auch zeitlich die Durchführung...


VORSITZENDER: Einen Augenblick! Könnten Sie uns die Nummer des Dokuments angeben, Dr. Böhm?


RA. BÖHM: Es ist die Nummer 1721-PS, US-425.


VORSITZENDER: Glauben Sie nicht, daß wir jetzt genug darüber gehört haben; wir haben jetzt schon ziemlich ausführliche Erörterungen darüber gehört, daß es nicht echt ist.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Es dreht sich darum, daß dieser Sachverhalt – nachdem die beiden Zeugen, die hier zuständig gewesen wären, nicht hierher gebracht werden konnten – sich so klären muß, daß an dieser Fälschung kein Zweifel mehr besteht. Denn mit dieser Vollzugsmeldung, wenn sie wahr und echt wäre, würde die SA ungeheuer belastet.


VORSITZENDER: Das weiß ich wohl. Aber der Zeuge hat uns dies zehn Minuten lang ausgeführt.


RA. BÖHM: [zum Zeugen gewandt] Im Zusammenhang mit dem Dokument 1721-PS ist unter der gleichen Nummer ein Befehl der Obersten SA-Führung als Dokument in Vorlage gebracht worden, ein Befehl, der von Ihnen unterschrieben ist und in dem es heißt:

»Bei den aus der Bevölkerung heraus entstandenen Aktionen gegen die Juden mußten hier und dort von Dienststellen der Partei und ihren Gliederungen zum Schutze deutschen Volksvermögens Wertgegenstände sichergestellt werden. Ich ordne an, daß solche Gegenstände gegen Quittung unverzüglich an die nächste Dienststelle der Geheimen Staatspolizei abgegeben werden.

Sollten den Dienststellen der Partei und ihrer Gliederungen im Zusammenhang mit dieser Aktion Diebstähle, die leider vorgekommen sein dürften, bekanntwerden oder bekanntgeworden sein, so ist unverzüglich der nächsten Polizeidienststelle Mel dung zu machen. Ebenso ist bei Auftauchen verdächtiger Gegenstände zu verfahren. Die Dienststellen der Polizei sind in Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehendst zu unterstützen.«

Aus diesem Befehl wird Ihnen der Vorwurf gemacht, daß Sie gewußt hätten, daß die Gegenstände, um die es hier geht, an eine Stelle abzuliefern waren, von der aus sie nie mehr ihren Eigentümern hätten zurückgegeben werden sollen.

Ich frage Sie nun: Wie ist der Befehl zustandegekommen? Konnte oder kann man aus dem Inhalt dieses Befehls, in dem betont ist, daß [160] die Dienststellen der Polizei in Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehendst zu unterstützen sind, Ihren Willen insofern daraus ersehen, daß Sie beabsichtigt hätten, das allen jüdischen Angehörigen gestohlene Gut nicht mehr zurückzugeben?

JÜTTNER: Dieser Befehl, der mir eben vorgelesen worden ist, den habe ich in der Vorverhandlung vor der Kommission bereits kennengelernt. Meiner Erinnerung nach ist er vom 29. November. Damals wußte ich am 29. November genau, daß Adolf Hitler, vor allem aber Hermann Göring, Rudolf Heß und auch Lutze, diese Aktion vom November 1938 aufs schärfste verurteilt haben. Der Befehl, der meine Unterschrift trägt, der wird von mir nicht bestritten. Er ist die Wiedergabe einer Anordnung des Büros des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, also auf seine Initiative zurückzuführen. Da ich nun wußte, daß gerade Rudolf Heß als äußerst rechtlich denkender Mensch diese Aktion schärfstens verdammt hat, mußte ich aus seiner Anweisung entnehmen, daß sie bezweckte, das gestohlene Gut den ursprünglichen Eigentümern, nämlich den Juden, zurückzuerstatten. Eine andere Annahme kam für mich überhaupt nicht in Frage, und daß dieses Gut an die Polizeistellen zunächst als treuhänderische Stellen abzugeben war, war für mich auch selbstverständlich; denn die Polizei galt, jedenfalls in meinen Augen, als der Hüter der Ordnung und nicht als Stellen, die berufen sind, fremder Leute Gut einzubehalten oder zu stehlen.

RA. BÖHM: Nun möchte ich zu einem anderen Fragenkomplex übergehen. Der Zeuge Schellenberg hat behauptet, daß 1943 und 1944 die SA-Führung die Übernahme nicht nur der Konzentrationslagerbewachung, sondern auch die Bewachung von Kriegsgefangenen- und Arbeitslagern angestrebt hat. Was haben Sie dazu zu sagen?


JÜTTNER: Darf ich fragen, in welchem Jahr das gewesen sein soll?


RA. BÖHM: In den Jahren 1943 und 1944.


JÜTTNER: Im Jahre 1943 von Mai bis August habe ich die SA geführt als Stellvertreter des Stabschefs. Wie zuvor, habe ich auch in dieser Zeit niemals angestrebt, Aufgaben, die anderen Stellen, dem Reichsführer-SS, oblagen, in die Hände der SA zu spielen. Vor allen Dingen nicht Aufgaben polizeilicher Art. Ich habe weder die Übernahme solcher Aufgaben angestrebt noch Verhandlungen darüber führen lassen. Im übrigen habe ich in der Gefangenschaft, nachdem mir dieser Vorwurf gegen die SA aus der Anklageschrift bekanntgeworden war, mit Herrn Schellenberg mich darüber unterhalten. Herr Schellenberg hat mir erklärt, daß die Wiedergabe seiner Aussage auf einem Mißverständnis beruhen muß. Er hatte gemeint, Rücksprache der SA mit der Reichsführung der SS über die Frage der Stadt- und Landwacht. Solche Rücksprachen werden von mir nicht bestritten. Sie behandelten die zeitliche Diensteinteilung, nämlich, daß auf gesetzlicher Grundlage für die Stadt- und[161] Landwacht verpflichtete SA-Angehörige nicht in Konflikt kommen dadurch, daß zu gleicher Zeit SA-Dienst abgehalten wird. Also diese zeitliche Regelung bezweckte diese Rücksprachen. Mit der Übernahme der Konzentrationslagerbewachung und später auch Kriegsgefangenen- und Arbeitslagerbewachung hatte die SA überhaupt nichts zu tun. Mir ist auch nicht bekanntgeworden, daß einzelne SA-Männer gesetzlich zu solchen Aufgaben verpflichtet worden sind.

RA. BÖHM: Äußern Sie sich zu der Frage, wie die SA zur Kirche stand.


JÜTTNER: In der Kirchenfrage ließ die SA dem einzelnen volle Entschlußfreiheit. Stabschef Röhm war Mitglied der Kirche. Er hat im übrigen, ich erinnere mich, 1934 eine Anordnung an die SA erlassen, wonach er dem SA-Mann untersagte, in irgendwelchen Kirchenstreitigkeiten Stellung zu nehmen mit der Begründung, daß dadurch die Gemeinschaft in der SA gestört werden könnte. Ich selbst war ununterbrochen, und bin es auch heute noch, Mitglied der evangelischen Kirche. Als Stellvertreter des Stabschefs war ich es auch. Der überwiegende Teil der SA-Angehörigen gehörte Kirchen an. Viele SA-Angehörige, jedenfalls nicht vereinzelte, waren auch, und zwar bis zuletzt, in Kirchenvorständen aktiv tätig, was wir wußten und nie verhindert haben. Stabschef Lutze hat überall einen Befehl erlassen, daß SA-Dienst während der Gottesdienste nicht abzuhalten ist.


RA. BÖHM: Kann man sagen, daß die SA den Grundsatz des positiven Christentums sich zu eigen gemacht hat?


JÜTTNER: Das kann ich, glaube ich, absolut bejahen.


RA. BÖHM: Der Kriegsbeginn von 1939 wird in Verbindung mit dem Wirken der SA gebracht. Wie begründen Sie, daß dieses Wirken der SA nicht der Vorbereitung eines Krieges gedient hat?


JÜTTNER: Ich nehme an, daß zunächst oder überhaupt das praktische Wirken der SA gemeint ist. Das, was die SA getan hat in der Vergangenheit, das kann man gerecht nur beurteilen nach der damals gegebenen Lage und nicht nach dem Bild, das durch den Krieg gewonnen wurde. Die Lage, die damals in Deutschland geherrscht hat, ist – wenn ich recht unterrichtet bin, Herr Vorsitzender – hier schon hinreichend erörtert worden. Ich darf aber hervorheben, daß die deutschen Männer damals durch die herrschende Not körperlich unerhört heruntergekommen waren. Sie waren kaum noch einsatzfähig, geschweige denn leistungsfähig, auch im Beruf nicht. Ihr Tauglichkeitsgrad und auch ihre charakterliche Haltung war auf einen erschreckenden Tiefstand gesunken, und da war es das einzige Streben der SA, dazu beizutragen, daß in Deutschland wieder eine körperlich leistungsfähige, einsatzfähige, mutige und charaktervolle Mannschaft entsteht, die in allen Notlagen [162] des Vaterlandes einsatzwillig und einsatzbereit ist. Es drohten 1933 in Deutschland Bürgerkrieg und Aufstände. Wir hatten hinter uns die Polenaufstände. Bei seiner zentralen Lage war Deutschland mehr als manches andere Land auf den Schutz seiner Grenze bedacht und mußte es sein, und schließlich war dieses rohstoffarme Land gezwungen, Naturkatastrophen mit allen Mitteln zu begegnen, um größeren Schaden zu verhindern. Dazu brauchte sie eine gut ausgebildete, gesunde, körperlich leistungsfähige, einsatzbereite, wehrbereite Mannschaft. Die zu erziehen, das hatte sich die SA zur Aufgabe gestellt.


RA. BÖHM: Hat die SA bis zum Kriegsbeginn an den Frieden geglaubt, und womit könnten Sie beweisen, daß dieser Glaube der SA an eine friedliche Entwicklung bestanden hat?


JÜTTNER: Die SA hat wahrlich keinen Krieg gewollt. Hunderttausende von ehemaligen Frontsoldaten aus dem vorherigen Krieg waren in der SA. Die kannten den Krieg mit seinen unsäglichen Opfern. Die wollten keinen Krieg. Die wollten wegen der Existenz ihres Vaterlandes, aber auch ihrer eigenen Existenz wegen, eine friedliche Entwicklung. Sie waren 1939 bis in die Augusttage, bis Ende August... ich selbst war hier in Nürnberg als Aufmarschleiter des Reichsparteitages beschäftigt, um dort die Wettkämpfe für den Reichsparteitag und die großen Aufmärsche vorzubereiten. Die dachten nicht an Krieg, sie waren von dem Krieg nicht begeistert, sondern er trat bei ihnen auf Bestürzung. An Frieden haben wir immer geglaubt aus sehr vielen geschichtlichen Vorgängen der Vergangenheit; durch das Flottenabkommen mit England, Verträge mit Polen, Wirtschaftsabkommen mit anderen Staaten, freundschaftliche Beziehungen zu den südosteuropäischen Staaten, dann vor allem auch die völkerversöhnenden Vorgänge bei der Olympiade 1936. Wir haben an den Frieden geglaubt wegen der ständig von der SA stark unterstützten Zusammenarbeit der Frontkämpferverbände der europäischen Staaten, wegen des immer zunehmenden Verständnisses der Jugendverbände der verschiedenen Staaten, wegen der regelmäßigen internationalen Arbeiterzusammenkünfte in Hamburg. Wir wußten von den freundschaftlichen Besuchen von großen Staatsmännern anderer europäischer Staaten bei Adolf Hitler; wir kannten die Publikationen prominenter Ausländer über das Dritte Reich, und schließlich war es das Münchener Abkommen, das wir begeistert aufgriffen und begrüßten, das uns den Frieden als gesichert erscheinen ließ.


RA. BÖHM: Hatte die SA-Führung einen Einfluß auf die Politik?


JÜTTNER: Nach dem Tode Röhms überhaupt nicht. Die SA war völlig ungeeignet, auf die Politik irgendwelchen Einfluß auszuüben, weder die SA als Organisation noch ihre Führung. Auch ein Mißbrauch der SA etwa zu kriegstreiberischen Zwecken war [163] vollkommen ausgeschlossen. Militarismus, etwa die Verherrlichung militärischer Bilder, Kommiß und Drill oder gar Kriegshetze oder Erzeugung von kriegerischem Geist wurde von der SA niemals gebilligt; dafür sprechen allein schon die Einstellung Röhms zu den Nachbarstaaten und die Einstellung Lutzes zum Krieg überhaupt.


RA. BÖHM: Hätte die SA einer Aufforderung für Kriegspropaganda Folge leisten müssen?


JÜTTNER: Ich habe schon in der Vorverhandlung vor der Hohen Kommission erklärt, daß die SA blinden Gehorsam nicht kannte. Aufforderungen zur Kriegspropaganda sind an die SA von keiner Seite herangetragen worden. Die SA hat infolgedessen weder bei ihren Lehrgängen noch bei der Erziehung ihrer Einheiten irgendwelche Propaganda für einen Krieg getrieben.


RA. BÖHM: Vor einigen Tagen wurde mir von der Anklage unter anderem eine eidesstattliche Versicherung des Herrn Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Högner in mein Fach gelegt, und nachdem ich keine andere Möglichkeit habe, als jetzt in diesem Beweisverfahren dazu Stellung zu nehmen, möchte ich aus dem Fragenkomplex heraus einige Fragen an Sie stellen. In dieser eidesstattlichen Versicherung wird ausgeführt: »Bereits im Jahre 1922 – ich glaube, es war der sogenannte Tag in Coburg – beherrschte die SA mit ihren bewaffneten Banden die Straße, machte Überfälle auf die friedliche Bevölkerung, insbesondere auf politische...«


VORSITZENDER: Liegt die eidesstattliche Erklärung beim Akt?


RA. BÖHM: Diese eidesstattliche Erklärung wurde mir vor drei Tagen in mein Fach gelegt. Ich hätte keine Veranlassung, diese eidesstattliche Versicherung vorzubringen, Herr Präsident; aber nachdem sie mir zugegangen...


VORSITZENDER: Ich habe Ihnen eine ganz einfache Frage gestellt: Können Sie mir darauf nicht eine Antwort geben? Ich fragte Sie, ob diese eidesstattliche Erklärung als Beweisstück vorgelegt wurde.


RA. BÖHM: Dieses Dokument ist nicht als Beweisstück vorgelegt worden; aber ich habe keine Möglichkeit mehr, zu diesem Dokument von irgendeiner Seite Stellung nehmen zu lassen, wenn ich die jetzige Gelegenheit nicht wahrnehme, Herr Präsident.


VORSITZENDER: Entweder Sie wollen das Dokument als Beweisstück vorlegen oder Sie wollen es nicht. Wenn es noch nicht vorgelegt ist, brauchen wir darauf nicht weiter einzugehen.


RA. BÖHM: Nein, ich möchte nur einige Fragen aus diesem Dokument an den Zeugen stellen.


VORSITZENDER: Das können Sie nicht tun, solange Sie das Dokument nicht als Beweisstück vorgelegt haben. Wenn Sie es als [164] Beweis benützen wollen, dann müssen Sie es vorlegen. Wenn Sie es nicht tun wollen... So hören Sie mir doch zu.

Es ist nicht wahr, wenn Sie behaupten, keine Möglichkeit gehabt zu haben, das Dokument zu besprechen. Sie können es im Wiederverhör besprechen. Wenn das Dokument im Kreuzverhör verwendet wird, dann können Sie darüber sprechen. Sonst aber... wenn Sie es jetzt, vorbehaltlich der Zulässigkeit, als Beweisstück vorlegen wollen, so können Sie das tun und die Verantwortung dafür übernehmen.


RA. BÖHM: Ja, das würde zutreffen, wenn im Kreuzverhör diese eidesstattliche Versicherung vorgelegt würde; es ist aber nicht...


VORSITZENDER: Wenn es nicht vorgelegt wird, dann werden wir das Dokument nicht einsehen und nichts davon zur Kenntnis nehmen.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich entnehme daraus, daß, wenn diese eidesstattliche Versicherung im Kreuzverhör nicht vorgelegt wird, daß sie auch nachher nicht mehr vorgelegt werden kann; dann ist der Sachverhalt klar; dann brauche ich auch keine Stellung mehr dazu nehmen zu lassen.


VORSITZENDER: Ja, wenn seitens der Anklagebehörde ein Antrag eingebracht würde, das Dokument im Gegenbeweis vorzulegen, dann könnten Sie jedenfalls unter diesen Umständen dazu Stellung nehmen.


RA. BÖHM: Dann würde ich das Gericht aber bitten zuzulassen, daß ich meinen Zeugen, den ich hierfür vorgesehen habe, der jetzt im Zeugenstand sitzt, rufen lassen kann, um ihn zu diesem Sachverhalt, der sich aus dieser eidesstattlichen Versicherung ergibt, vernehmen zu können.


VORSITZENDER: Nein, entweder Sie legen dieses Affidavit als Beweisstück selbst vor, oder Sie warten, bis das Wiederverhör erfolgt.

Sir David! Ich weiß nicht, um was es sich hier handelt. Dr. Böhm scheint nicht zu wissen, wie die Sachlage ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Es kann sein – ich habe den Namen des Ausstellers nicht genau gehört – es kann sein, daß es sich um eines von den Affidavits handelt, bezüglich deren ich vor ein bis zwei Tagen einen Antrag einbrachte. Ich wollte sie nach Erledigung der Dokumente der Verteidigung zur allgemeinen Widerlegung der gegnerischen Behauptungen vorlegen. Ja, Euer Lordschaft, es handelt sich hier um das Affidavit des bayerischen Ministerpräsidenten, und es ist eines der Dokumente, über die ich dem Gerichtshof vor einigen Tagen Mitteilung gemacht habe.


[165] VORSITZENDER: Gut, können Sie es im Kreuzverhör vorlegen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, sicher.


VORSITZENDER: Wäre das nicht das beste; dann kann Dr. Böhm im Wiederverhör darüber Fragen stellen; er hat ja wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt, das Dokument anzusehen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ja, Euer Lordschaft, das werde ich tun.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Was ich vermeiden wollte, wäre die Situation gewesen, die dann entstanden wäre, wenn das Dokument vorgelegt worden wäre nach der Einvernahme meines letzten Zeugen, so daß ich keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, dieses Dokument zu entkräften.

Herr Jüttner! Ich möchte nun eine letzte Frage an Sie stellen. Hatten die politischen Ziele der SA verbrecherischen Charakter?


JÜTTNER: Das, was die SA getan hat, was ihre Führung an Zielen verfolgt hatte, braucht zu keiner Zeit das Tageslicht zu fürchten. Die SA-Führung hat keine verbrecherischen Ziele verfolgt und auch nicht von verbrecherischen Zielen von irgendwelchen anderen Stellen gewußt. Die SA als Organisation hat niemals Handlungen begangen, die ihre Diffamierung als Verbrecherorganisation rechtfertigen könnte. Die SA, Herr Vorsitzender, besaß viele Anhänger im Reich, im ehemaligen und auch außerhalb seiner Grenzen. Die SA hatte auch Gegner. Mancher dieser Gegner hat seine Stimme erhoben und aus Haß oder Mißgunst Vorurteile gegen die SA erzeugt. Nicht die Wahrheit, sondern nur solche Vorurteile, die bekanntlich in der Geschichte schon manchen wackeren Mann zu Fall gebracht haben, könnten dazu führen, daß man die fünf oder sechs Millionen Männer, die in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten der SA angehört haben, zu Verbrechern stempeln könnte.


RA. BÖHM: Ich habe keine weiteren Fragen mehr, Herr Präsident.


JÜTTNER: Für diese Männer, für diese fünf bis sechs Millionen Männer mit der mehrfachen Millionenzahl von Familienangehörigen dieser Männer kann ich offenen Blickes und unter Eid erklären, daß die SA niemals einen verbrecherischen Charakter gehabt hat.

Herr Vorsitzender! Maßgebend in meinem ganzen Leben für mich war, daß man für das, was man getan hat, mutig eintritt, auf jede Gefahr hin und sich vor nichts fürchtet, auch nicht vor dem Tode, als allein vor der Schande. Mit Schande bezeichne ich, wenn man sich der Verantwortung entzieht, indem man selbst seinem Leben ein Ende setzt, oder wenn man unwahrhaftig wird. Und in dieser Hinsicht, Herr Vorsitzender, ist mein Gewissen rein. Darum kann ich mit meiner Erklärung über die Schuldlosigkeit der SA auch dem höchsten Richter gegenübertreten.


[166] RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe zunächst keine weiteren Fragen mehr.


VORSITZENDER: Wünscht die Anklagevertretung den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zeuge! Wollen Sie sagen, daß die SA nichts mit den Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete zu tun hatte?


JÜTTNER: Ich habe das letzte nicht ganz verstanden... Greueltaten?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete, der ausländischen, von Deutschland besetzten Gebiete.


JÜTTNER: Die SA-Führung...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist eine ganz einfache Frage. Sie haben Ihre Reden gehalten. Beantworten Sie nun meine Frage mit Ja oder Nein, ob die SA etwas mit den Greueltaten gegen die Bevölkerung der besetzten Gebiete zu tun hatte.


JÜTTNER: Ich habe die Absicht, das wahrheitsgemäß zu beantworten, infolgedessen kann ich mir über meine Antwort auch nichts vorschreiben lassen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Können Sie nicht mit Ja oder Nein antworten?


VORSITZENDER: Erklärungen können Sie später abgeben, wie Sie wissen. Beantworten Sie zuerst die Fragen mit Ja oder Nein, und geben Sie Ihre Erläuterungen später.


JÜTTNER: Die SA hatte mit der Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten nichts zu tun.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut. Nun dann bitte ich Sie, Ihren Bericht über die SA während des Krieges zu betrachten.

Der Hohe Gerichtshof wird diesen im Dokumentenbuch 16 B auf Seite 113 finden; Euer Lordschaft, es ist Dokument 4011-PS, das nun die Beweisstücknummer GB-596 erhält.

Nun, Zeugte, ehe Sie das Schriftstück ansehen, können Sie sich erinnern, vor der Kommission gesagt zu haben: »Bei Beginn des Krieges mit Polen hat die SA-Gruppe ›Sudeten‹ Kriegsgefangenentransporte in Gefangenenlager durchgeführt. Andere SA-Gruppen im Osten mögen später für ähnliche Zwecke verwendet worden sein. Die SA-Führung und die SA als Organisation hatten mit dieser Frage nichts zu tun.« Erinnern Sie sich an Ihre Aussage? Sie steht auf Seite 336 des Protokolls. Eine Ihrer Gruppen führte die Transporte von Kriegsgefangenen in Lager durch, und andere SA-Gruppen mögen für ähnliche Zwecke verwendet worden sein. Erinnern Sie sich, das vor der Kommission ausgesagt zu haben? Wenn Sie das[167] Schriftstück einen Augenblick vergessen und sich nur darauf konzentrieren, ob Sie das vor der Kommission ausgesagt haben, wäre uns damit geholfen. Erinnern Sie sich, das vor der Kommission ausgesagt zu haben?


JÜTTNER: Ich habe vor der Kommission zugegeben – und das bestreite ich auch heute nicht – daß die SA-Gruppe »Sudeten« Kriegsgefangene im Auftrage der Wehrmacht zurücktransportiert hat im Polenfeldzug. Vorher wurde ich aber von Ihnen, Herr Anklagevertreter, über die Behandlung der Bevölkerung der besetzten Gebiete befragt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ihre Antwort darüber habe ich bereits erhalten. Wir müssen stufenweise vorgehen. Sie geben zu, vor der Kommission ausgesagt zu haben, daß die Gruppe »Sudeten« Transporte von Kriegsgefangenen in die Lager durchgeführt hat. »Andere SA-Gruppen im Osten mögen später für ähnliche Zwecke verwendet worden sein.« Erinnern Sie sich an Ihre Aussage? Ich möchte das nur in das Protokoll aufnehmen, was Sie ausgesagt haben.

Geben Sie zu, das gesagt zu haben?


JÜTTNER: Das habe ich ja eben schon gesagt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Richtig. Nun, sehen wir uns Ihren Bericht an. Es ist ein Bericht, den Sie am 23. Juni 1941 erstattet haben und Sie finden nach einem allgemein gehaltenen Absatz – ich bitte Euer Lordschaft, die Seite 116 aufzuschlagen, es ist die vierte Seite des Originalschriftstücks. – Nun, Zeuge, wollen Sie sich bitte nach der Überschrift unter Absatz 4a ansehen:

»Die im Hinterland verbliebenen SA-Männer sorgen zunächst für die Aufrechterhaltung der Organisation der SA. Alle Einheiten, auch die kleinsten, sind lebendig, und die Männer geben einsatzwillig ihre Freizeit für den Dienst in der Partei. Dieser umfaßt Unterstützung der Politischen Leiter bei ihrer Erziehungs- und Aufklärungsarbeit, Propaganda und Propagandaabwehr, Versammlungsvorbereitungen, Überwachung der Bevölkerung in Grenzgebieten...«

Ist das, was Sie 1941 schrieben, richtig?

JÜTTNER: Das stimmt ganz genau. Hinterland ist nämlich die Heimat und nicht besetzte Gebiete.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich bitte das Hohe Gericht, nunmehr auf Seite 117 des englischen Textes überzugehen. Zeuge! Ich glaube, in Ihrem Text ist es Seite 123. Haben Sie es? Es ist Seite 5 des Originals, nächste Seite... Seite 5. Dort finden Sie unter c):

»Besonders vielseitig haben sich die Dienstleistungen der SA entwickelt, die der unmittelbaren Unterstützung der Wehrmacht [168] gelten und die der deutschen Wehrkraft zugute kommen. Bei Abfassung des Berichts bzw. in den voraufgegangenen Wochen waren eingesetzt:... bei 21 Gruppen SA- Männer zur Bewachung von Gefangenen.«

Wo haben diese 21 Gruppen nun die Kriegsgefangenen bewacht?

JÜTTNER: Im deutschen Reichsgebiet, während des Polenfeldzuges.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das war im Jahre 1941; da war doch der Polenfeldzug schon seit fast 21 Monaten beendet. Wie Sie sehen, sprachen Sie von der Zeit der Abfassung dieses Berichts beziehungsweise den voraufgegangenen Wochen.

Wo wurden damals die Gefangenen bewacht?


JÜTTNER: Dieser Bericht ist eine Zusammenfassung der Tätigkeit der SA im Kriege von Anbeginn an, und da wird alles wieder aufgezählt, was früher auch von der SA Positives geleistet worden ist.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen vorgehalten habe, und können Sie Ihren eigenen Bericht nicht lesen? Hier heißt es:

»Bei Abfassung des Berichts bezw. in den voraufgegangenen Wochen waren eingesetzt:...«

Das heißt also im Juni 1941 und besagt, es wurden Kriegsgefangene bewacht. Ich frage Sie, wo wurden Kriegsgefangene bewacht?

JÜTTNER: Man kann das ja nicht so hinnehmen, daß etwa 21 SA-Gruppen zur Bewachung von Kriegsgefangenen eingesetzt waren, sondern es steht dabei: 21 Gruppen haben SA-Männer...

VORSITZENDER: Die Frage hat gelautet: Wo, sagten Sie, bewachten sie Kriegsgefangene? Von der Zahl 21 war nicht die Rede. Wo wurden Kriegsgefangene bewacht?


JÜTTNER: In Gefangenenlagern im Reichsgebiet, wo einzelne SA-Männer kurzfristig zur Wehrmacht zwecks Bewachung von Kriegsgefangenen eingezogen worden sind.


VORSITZENDER: Was verstehen Sie unter Reichsgebiet? Meinen Sie Deutschland, wie es vor dem Krieg war?


JÜTTNER: Ja. Es ist möglich, daß in Westpreußen und im Generalgouvernement auch Kriegsgefangenenlager waren. Das entzieht sich aber meiner Kenntnis.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und in den baltischen Ländern?


JÜTTNER: Davon ist mir nichts bekannt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, wir können Ihrem Gedächtnis ein wenig nachhelfen. Wir bleiben bei diesem Schriftstück. Betrachten Sie nun die nächste Seite...


[169] VORSITZENDER: Ehe Sie dazu übergehen...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte, Euer Lordschaft?


VORSITZENDER: Vielleicht wollen Sie den Satz gerade vor Ziffer b dem Zeugen vorhalten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft.


[Zum Zeugen gewandt:]


Wenn Sie sich die Stelle unmittelbar vor Ziffer b ansehen, werden Sie die Worte finden:

»Der Deutschen Arbeitsfront wurden zahlreiche SA-Führer und Unterführer für ihre Aufgaben innerhalb der Organisation Todt zur Verfügung ge stellt.«

Ist das richtig?

JÜTTNER: Welche Seite ist das? Darf ich noch einmal fragen?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie finden es ungefähr zehn Zeilen vor der Stelle, die ich Ihnen über die 21 SA-Gruppen für die Bewachung der Kriegsgefangenenlager vorgelesen habe.

Es heißt dort:

»Der Deutschen Arbeitsfront wurden zahlreiche SA-Führer und Unterführer für ihre Aufgaben innerhalb der Organisation Todt zur Verfügung gestellt.«


JÜTTNER: Wir haben Männer an die Organisation Todt abgegeben zur Arbeit, die aber damit aus der SA ausschieden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: War das zur Beschaffung von Zwangsarbeitern?


JÜTTNER: Nein, die haben wir abgegeben an die Organisation Todt, und damit schieden sie aus den Befugnissen der SA aus.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Bitte sehen Sie sich Seite 6 des Original-Dokuments an, und Sie finden eine Überschrift: »Vormilitärische Wehrerziehung«. Sie werden sehen, was hier im zweiten Kriegsjahr gesagt wird – es ist der zweite Absatz gleich nach Behandlung der SA-Kriegswehrmannschaften:

»Diese Erziehungsarbeit ist in erster Linie eine wehrgeistige, um die Wehrwilligkeit zu erhalten und zu stärken und den nationalsozialistischen Gemeinschaftsgedanken im deutschen Mannestum zum kompromißlosen Bekenntnis zur Wehrgemeinschaft zu erhärten.«

Dann geben Sie einen Bericht über die Ausbildung, einschließlich:

»Planmäßige Zielübungen, Unterricht und Übungen in der Handhabung und Reinigung des Gewehrs, sowie Schießen auf dem Stand und im Gelände, ferner Handgranatenwurf...« und so weiter.

[170] Nun Zeuge! Sie sind mit diesen Dingen gut vertraut. Ich halte Ihnen vor, daß diese in Ihrem dritten Bericht im zweiten Kriegsjahr dargestellte »Vormilitärische Wehrerziehung« genau dieselbe Ausbildung ist, die Sie in Ihren Berichten über die Ausbildungsrichtlinien 1934, 1938 und 1939 darstellen. Es ist fast wörtlich dieselbe Ausbildung, die die SA ihren Mitgliedern in den letzten sieben Jahren gab, nicht wahr? Sind das nicht dieselben Worte wie in allen Ihren Ausbildungsrichtlinien?

JÜTTNER: Nein, das stimmt nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun gut.


JÜTTNER: Vor dem Kriege...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich werde Ihnen die Ausbildungsrichtlinien der Reihe nach vorlegen. Ihre Antwort lautet, daß sie nicht die gleichen gewesen seien. Ich behaupte, daß dies eine bewußte Unwahrheit ist, und daß dieser Bericht praktisch das gleiche Gebiet umfaßt und die gleichen Worte verwendet, wie Ihre Berichte aus den Jahren 1934, 1938 – Ihre Ausbildungsrichtlinien von 1934, 1938 und 1939.

Nun, angenommen, dies genüge für den Gerichtshof, um Ihre Glaubwürdigkeit beurteilen zu können, halten Sie noch immer aufrecht, daß dieser Bericht nicht der gleiche ist, wie die Ausbildungsrichtlinien aus den Jahren 1934, 1938 und 1939? Halten Sie daran fest oder nicht?


JÜTTNER: Es kommt darauf an, wie dieser Dienst gehandhabt wurde und der Dienst...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich frage Sie nicht, wie dieser Dienst gehandhabt wurde. Ich frage Sie über den Inhalt der Ausbildungsrichtlinien, und ich lege Ihnen eine ganz klare Frage vor.

Ist die in diesem Bericht enthaltene Ausbildung zwei Jahre nach Ausbruch des Krieges nicht die gleiche wie die in den Ausbildungsrichtlinien der Jahre 1934, 1938 und 1939 festgelegte Ausbildung? Wollen Sie nunmehr in Ihrer Antwort aufrechterhalten, daß dies nicht der Fall ist?

JÜTTNER: Wir haben vor dem Kriege keine vormilitärische oder nachmilitärische Ausbildung betrieben. Im Kriege haben wir alles getan, um die Wehrkraft des deutschen Volkes zu stärken. Etwas anderes kann ich darauf nicht antworten. Infolgedessen muß ich zu einem Nein kommen; denn das, was hier steht, ist etwas anderes als das, was wir vor dem Kriege praktisch getan haben.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, das ist also Ihre Antwort. Ich werde Gelegenheit haben, die Richtlinien dem Gerichtshof zur Beurteilung vorzulegen. Schlagen Sie nun Seite 15 des Originaldokuments auf.

[171] Es ist Seite 127 im Buch Eurer Lordschaft.


[Zum Zeugen gewandt:]


Haben Sie die Überschrift »Arbeit der SA in den zurückgewonnenen Gebieten«. Haben Sie das?

JÜTTNER: Jawohl.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE:

»Arbeit der SA in den zurückgewonnenen Gebieten.

Im Osten wurden die beiden SA-Gruppen ›Weichsel‹ mit dem Sitz in Danzig, und ›Warthe‹ mit dem Sitz in Posen gebildet. Das oberschlesi sche Gebiet wurde der Gruppe Schlesien, das Gebiet von Memel und Suwalki der Gruppe Ostland zugeteilt.«

Beachten Sie besonders die Gruppe »Ostland«.

»Die SA-Einheiten bildeten sehr bald ein Netz fester Stützpunkte für die nationalsozialistische Bewegung. Es umfassen die Gruppe Weichsel 15 Standarten mit 507 Stürmen, die Gruppe Warthe 28 Standarten mit 684 Stürmen. Wie einst in der Kampfzeit, so war auch in diesen Gebieten die SA« –

bitte beachten Sie die Worte »wie einst in der Kampfzeit« –

»der Stoßtrupp der Partei. Sie hilft, die deutschen Kräfte zu erfassen, zu stärken und nationalsozialistisch auszurichten. Hierbei mußte oft erst mit deutschem Sprachunterricht begonnen und es müssen zunächst die einfachsten Begriffe des Nationalsozialismus' auseinandergesetzt werden. Viele junge Volksdeutsche wurden als SA-Unterführer auf SA-Schulen im Reich ausgebildet. Der praktische SA-Dienst ist auch in diesen Gebieten auf die Stärkung der Wehrkraft abgestellt. Es galt dabei, Minderwertigkeitsgefühle, die den Volksdeutschen aus der Zeit der polnischen Unterdrückung anhafteten, zu überwinden und die Form des äußeren Auftretens und der Haltung SA-mäßig zu gestalten. Dann erst konnte mit der eigentlichen wehrmannschaftlichen Erziehung begonnen werden.

Ähnlich wie im Osten ist auch im Westen die Arbeit der SA. Dort ist es in kurzer Zeit gelungen, durch die Erfassung früherer deutscher Weltkriegssoldaten einen bedeutenden Teil der männlichen Bevölkerung an die SA heranzuführen.

Die Führer der Standarten sind überwiegend reichsdeutsche SA-Führer. Die Sturmbanne und Stürme werden fast ausnahmslos von Elsässern geführt, die auf einer SA-Schule des Reiches eine Sonderausbildung erhalten haben. Ihnen stehen reichsdeutsche SA-Führer und -Männer beratend und helfend zur Seite.«

[172] Nun, ich werde Ihnen viele Fragen über den Osten stellen, aber den Westen möchte ich mit nur einer Frage abtun. Wollten Sie nicht mit diesem Absatz besagen, daß die SA ihr Bestes tat, um die Eindeutschung des Elsaß zu fördern?

JÜTTNER: Die SA hat dort ihre Organisation aufgebaut und die Männer zu Anständigkeit und zu SA-mäßiger Haltung charakterlich und auch äußerlich zu erziehen versucht. Die Frage der Eindeutschung und so weiter spielte bei unserer Arbeit keine Rolle.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sehen Sie sich den Vorgang näher an. Der Stabschef war im Jahre 1941 Lutze. Damals war er noch am Leben. Im nächsten Absatz heißt es:

»Der Stabschef hat gerade diese Gebiete im Osten und Westen während der Berichtszeit... aufgesucht und hat sich – keineswegs nur in den Hauptstäd ten, sondern vornehmlich in den kleinen und kleinsten Standorten der SA – Einblick... verschafft.«

Hat der Stabschef Sie als seinen Stellvertreter zu irgendeiner dieser Besichtigungen mitgenommen?

JÜTTNER: Im Osten war ich einmal dabei, im Westen nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht hatten Sie Glück, daß Sie im Osten waren. Waren Sie je in Wilna?


JÜTTNER: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Vielleicht können Sie uns helfen mit Ihrer umfassenden Kenntnis der SA, von der Sie heute morgen sprachen. Kannten Sie einen SA-Führer Hinkst, der Stadtkommandant von Wilna war?


JÜTTNER: Nein, den kenne ich nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Den kannten Sie nicht? Denken Sie nur nach. Sie erinnern sich seiner nicht? Stadtkommandant von Wilna, Hinkst.


JÜTTNER: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie werden sich erinnern, daß in Wilna die alten Baracken als SA-Kasernen – SA-Baracken – übernommen wurden? Wußten Sie das?

JÜTTNER: Ich bin in meinem Leben nie in Wilna gewesen und weiß auch nicht, wer von der SA oder anderen Stellen dort tätig war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie nicht, daß eine der aufgestellten Gruppen in Wilna war?


JÜTTNER: Nein.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Eine sehr interessante Gruppe. Ihre Aufgabe war nicht ganz so groß wie die der SS; immerhin [173] töteten sie 10000 Juden im Herbst 1941. Sie sagen, Sie haben nie davon gehört?


JÜTTNER: Ich habe das nicht verstanden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich habe Ihnen eben vorgehalten, daß im September 1941 in Wilna 10000 Juden getötet wurden und daß es Männer der SA-Gruppe in Wilna waren, die sie aus den Ghettos zur Liquidierung trieben.


JÜTTNER: Ich bestreite das ganz entschieden. Die SA hat mit diesen Angelegenheiten nichts zu tun. SA war dabei nicht beteiligt. Wir hatten in Wilna keine SA.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Dann sehen wir uns einmal dieses Affidavit an. Sehen Sie sich dieses Affidavit an...


VORSITZENDER: Haben Sie das Dokument unterschrieben, das Ihnen eben vorgelegt wurde, diesen Bericht?


JÜTTNER: Jawohl.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun sehen Sie sich das Dokument D-964 an, eine eidesstattliche Erklärung von Szloma Gol.

Euer Lordschaft! Es ist GB-597, Seite 55. Ich bitte um Verzeihung, Euer Lordschaft. Dieser Mann sagt folgendes:

»1. Ich bin ein Jude und lebte in Wilna in Litauen. Während der deutschen Besatzungszeit lebte ich im Wilnaer Ghetto.

2. Die Verwaltung des Ghettos in Wilna wurde von der SA durchgeführt. Der Stadtkommissar von Wilna war ein SA-Führer namens Hinkst. Der Landkommissar von Wilna war ein SA-Führer namens Wolf. Der Sachbearbeiter für jüdische Fragen war ein SA-Führer namens Murer.«

Erinnern Sie sich an SA-Führer Hinkst oder an SA-Führer Wolf in Litauen?

JÜTTNER: Ich habe weder den Namen Wolf noch den Namen Hinkst jemals gehört und bestreite ganz entschieden, daß wir eine SA-Gruppe in Wilna hatten.

RA. BÖHM: Verzeihung, Herr Präsident! Die Belastungen, die man versucht, der SA zuzuschieben, sind derartig horrend und dem Zeugen offensichtlich nicht bekannt, daß ich bitten müßte, falls man von dieser eidesstattlichen Versicherung oder ihrem Inhalt Gebrauch macht, diesen Zeugen Gol hierher zu bringen und ihn zu vernehmen. Wenn er hier in Nürnberg ist, kann er vor Gericht vernommen werden.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Mit dem größten Vergnügen. Herr Gol ist hier, und mein Herr Kollege kann ihm alle Fragen stellen, die er will. Er kann die Gegenstände, [174] die den Leichen der erschossenen Juden abgenommen wurden, hier vorzeigen.


VORSITZENDER: Ist der Mann in Nürnberg?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft! Von diesen sechs Affidavits habe ich vier zurückbehalten, die die hauptsächlichen strittigen Punkte beweisen sollen. Ich habe Gol, Belg, Sigall und Kibart hier behalten. Die anderen beiden mußten zu der Arbeit zurück, die man für sie gefunden hatte. Euer Lordschaft, in Anbetracht dessen, was diese Männer erlitten hatten, wäre es nicht richtig, sie alle zurückzubehalten. Immerhin habe ich vier zurückgehalten, und ich bin der Ansicht, daß die Verteidigung reichlich Gelegenheit zu Kreuzverhören hat.


VORSITZENDER: Behandeln alle Zeugen das gleiche Thema?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft! Sie behandeln Wilna, Kaunas und Schaulen, drei Orte.


VORSITZENDER: Sir David! Beabsichtigen Sie, diese Affidavits jetzt einzuführen oder zu verlesen, oder wollen Sie sie im Kreuzverhör bringen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich hatte die Absicht, die Hauptpunkte der Affidavits im Kreuzverhör zu bringen, um zu zeigen, worauf sie sich stützen. Ich wollte sie nicht ganz verlesen, sondern habe ungefähr drei Punkte aus den Affidavits herausgesucht, die ich verlesen wollte.


VORSITZENDER: Jawohl. – Dr. Böhm?


RA. BÖHM: Bevor diese eidesstattlichen Versicherungen verlesen werden, würde ich zunächst bitten, diese eidesstattlichen Erklärungen auf ihre Echtheit zu prüfen. Das Dokument, das Sie in die Hand bekommen, ist D-964.


VORSITZENDER: Dr. Böhm! Wir werden Ihren Antrag dann berücksichtigen, wenn der Mann zum Kreuzverhör vorgeladen werden soll. Das dürfte wohl genügen?


RA. BÖHM: Nein, nur unter der Voraussetzung, daß dieses Dokument, diese eidesstattliche Versicherung, die hier vorgelegt wurde, überhaupt echt und unterschrieben ist.


VORSITZENDER: Sir David sagte, daß der Mann hier ist. Sie können den Zeugen dann fragen, ob das Affidavit echt ist oder nicht.


RA. BÖHM: Ich habe keine Veranlassung, einen Zeugen hier einzuführen, Herr Präsident, der keine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat.


VORSITZENDER: Niemand sagt, daß Sie ihn als Ihren Zeugen einführen sollen. Ihr Antrag, den wir jetzt behandeln, geht dahin, daß der Zeuge zum Kreuzverhör hierher gebracht werden soll; damit wird er aber nicht Ihr Zeuge.


[175] RA. BÖHM: Herr Präsident! Unter der Voraussetzung, daß er überhaupt eine eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, habe ich beantragt, ihn hier zu hören.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Das Original-Affidavit liegt dem Zeugen vor. Mir wird gesagt, daß es vor Major Wurmser beschworen worden ist. Die tatsächlichen Angaben, die der Mann gemacht hat, ehe er unterschrieb, sind im Original enthalten.


RA. BÖHM: Deswegen erhebe ich Einwand, weil sich nämlich aus meinem Dokument nicht ergibt, daß es unterschrieben ist.


VORSITZENDER: Zeuge! Geben Sie uns das Original-Dokument. Dr. Böhm! Sie sollten sich die Mühe nehmen, das Original anzusehen, bevor Sie solche Einwendungen machen.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich habe keine Anschuldigungen gemacht; ich habe nur gebeten, festzustellen, ob es unterzeichnet ist; denn auf meinem Dokument ist es nicht unterzeichnet.


VORSITZENDER: Sir David! Um Zeit zu sparen, wäre es nicht ausreichend, nur zwei Affidavits zu benützen und zwei Zeugen im Kreuzverhör zu vernehmen?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich schlug drei vor, nachdem es sich um drei Orte handelt, Wilna, Kaunas und Schaulen. Ich will mich gerne darauf beschränken.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof bewilligt die Verwendung dieser Affidavits im Kreuzverhör unter der Bedingung, daß die drei Zeugen zum Kreuzverhör hierher gerufen werden. Es wäre das beste, wenn sie unmittelbar nach dem Kreuzverhör und Wiederverhör dieses Zeugen hierher gerufen würden.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Eine kleine Schwierigkeit besteht in Bezug auf Schaulen, weil die beiden Zeugen, die abreisen mußten, über den Vorfall in Schaulen sprechen sollten. Euer Lordschaft, ich habe einen Zeugen,... ich bitte um Entschuldigung, Euer Lordschaft, ich habe mich geirrt, ich sagte Schaulen, es hätte aber Kaunas heißen müssen. Ich werde die Tatsachen in das Affidavit bringen und werde nur die Affidavits in Bezug auf Wilna und Schaulen benützen; denn beide Zeugen sind hier.


VORSITZENDER: Der Marschall wird dafür sorgen, daß die beiden Zeugen bereit sind und nach Abschluß der Aussagen dieses Zeugen zum Kreuzverhör gerufen werden können, wenn Dr. Böhm sie vernehmen will.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gewiß, Euer Lordschaft! Sie werden bereit sein. Ich möchte nun den Zeugen hier über Wilna befragen.


[176] VORSITZENDER: Sir David! Ich sehe, es ist jetzt 11.35 Uhr. Ehe Sie anfangen, werden wir eine Pause einschalten.


[Pause von 10 Minuten.]


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich habe drei dieser Zeugen ausgewählt, um über jede der drei Städte etwas zu bringen. Szloma Gol wird Wilna behandeln, Kagan Kaunas und Kibart Schaulen.

Sie sind jetzt nicht im Gerichtssaal, damit sie beim Kreuzverhör nicht anwesend sind. Sie werden zur rechten Zeit zur Verfügung stehen.


RA. BÖHM: Herr Präsident! Ich kann auf die Einvernahme dieser Zeugen verzichten. Ich habe nichts dagegen, wenn diese eidesstattlichen Versicherungen verwendet werden, weil ich den Sachverhalt in diesem Zusammenhang mit dem Zeugen Kibart im Kreuzverhör klären kann. Diese Leute hatten mit der SA gar nichts zu tun, und der Zeuge Jüttner wird den Sachverhalt aufklären. Es waren Beamte des Ostministeriums, die dort als SA-Leute genauso betrachtet wurden, als man zum Beispiel einen Wehrmachtssoldaten, der früher bei der SA war, wenn er Wehrmachtssoldat ist, nicht als SA-Mann betrachten konnte. Ich lege also auf die Einvernahme dieser Zeugen keinen Wert. Ich verzichte darauf, diese Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen.


VORSITZENDER: Sehr gut. Dann, Sir David, brauchen Sie wohl diese Zeugen nicht zu rufen, wenn der Verteidiger keinen Wert darauf legt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich füge mich ganz Dr. Böhm und der Entscheidung des Gerichtshofs. Ich möchte nur betonen, daß die Anklagevertretung gegen die Vorladung dieser Zeugen, die bereit sind, Ihre Aussagen abzugeben, nichts einzuwenden hat.


VORSITZENDER: Sie können also die Affidavits bringen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wie Sie wünschen, Euer Lordschaft.

Zeuge! Haben Sie eine Abschrift des Dokuments D-964 in deutscher Sprache?


JÜTTNER: D-964, ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist ein Affidavit eines Herrn Gol, und ich habe Ihnen den ersten und zweiten Absatz vorgelesen. Wenn Sie sich den dritten Absatz ansehen wollen, so heißt es dort:

»3. Im Dezember 1943 wurden 80 Juden aus dem Ghetto, darunter vier Frauen, ich selbst und mein Freund Joseph Belic von einem SA-Sturmführer, dessen Namen ich vergessen [177] habe, ausgewählt und mußten auf dessen Befehl in einer breiteren Grube in einiger Entfernung von der Stadt leben. Diese Grube war ausgehoben worden, um als unterirdischer Benzinbehälter zu dienen. Die Grube war kreisrund, 60 Meter im Durchmesser und 4 Meter tief. Während wir in dieser Grube lebten, würde sie teilweise mit Brettern zugedeckt. Zwei Wohnräume aus Brettern wurden abgeschlagen und des gleichen eine Küche und eine Latrine. Wir lebten 6 Monate in dieser Grube, bevor wir entkamen. Die Grube wurde von SA-Leuten bewacht, über die ich weiter unten Einzelheiten angeben will.«

Sie sehen dann im fünften Absatz, daß er erklärt:

»5. Daraufhin warfen SA-Leute Ketten in die Grube, und der Sturmführer befahl den jüdischen Vorarbeitern (wir waren eine Werksgemeinschaft) uns die Ketten anzulegen. Die Ketten wurden um meine Fußknöchel und ebenso rund um den Leib gelegt. Sie wogen je 2 kg, und wir waren nur imstande, kleine Schritte mit ihnen zu machen. Wir trugen diese Ketten für 6 Monate dauernd. Die SA sagte uns, daß jeder, der die Ketten ablege, gehängt werden würde. Die vier Frauen, die in der Küche arbeiteten, wurden nicht erfaßt.«

Bevor wir zu der Arbeit kommen, möchte ich Sie auf den Absatz 10 verweisen; dort ist eine Beschreibung der Wächter:

»10. Diese Arbeit, die im öffnen der Gräber und Aufbauen der Scheiterhaufen bestand, wurde von etwa 80 Wachmannschaften überwacht. Über 50 von diesen waren SA-Leute in braunen Uniformen, mit Pistolen und Dolchen und automatischen Waffen bewaffnet. (Die Waffen waren ständig schußbereit und auf uns gerichtet.) Die übrigen 30 Wächter bestanden zum Teil aus Litauern und zum Teil aus SD und SS. Im Verlaufe dieser Arbeit wurden die litauischen Wächter selbst erschossen, wahrscheinlich, damit sie nicht ausplaudern konn ten, was gemacht worden war. Der Befehlshaber des gesamten Platzes war der SA-Führer Murer, (der Sachbearbeiter der jüdischen Fragen), aber er beaufsichtigte die Arbeiten nur von Zeit zu Zeit. Der SA-Führer Legel befehligte an Ort und Stelle. In der Nacht wurde unsere Grube Von 10 oder 12 dieser Wächter bewacht.«

Dann sagt er:

»11. Die Wächter... schlugen und stachen uns«...

und daß er auf einen Haufen von Leichen gestoßen wurde. Weiter sagt er, wenn jemand mehr als zwei Tage krank war wurde er erschossen.

[178] Im Absatz 12 lesen wir dann:

»12. Von den 76 in der Grube befindlichen Personen wurden elf bei der Arbeit erschossen.«

Jetzt möchte ich Sie ganz kurz auf die Absätze 6, 7, 8, 9 hinweisen, in welchen die Arbeiten beschrieben werden. In Absatz 7 heißt es:

»7. Unsere Arbeit bestand darin, Massengräber zu öffnen und Leichen herauszubefördern, um sie dann zu verbrennen. Ich war damit beschäftigt, diese Leichen auszugraben. Mein Freund Belic war mit Sägen und Zurechtmachen von Holz beschäftigt.«

Dann im Absatz 8 finden Sie:

»8. Wir haben insgesamt 80000 Leichen ausgegraben. Ich weiß dieses daher, weil zwei Juden, die mit uns in der Grube lebten, von den Deutschen dazu angestellt worden waren, diese Leichen zu zählen. Das war die einzige Aufgabe dieser beiden. Die Leichen bestanden aus einem Gemisch von Juden, polnischen Priestern und russischen Kriegsgefangenen. Unter denen, die ich ausgrub, befand sich mein eigener Bruder. Ich fand seine Personalausweise bei ihm. Er war seit zwei Jahren tot, als ich ihn ausgrub; ich weiß dieses deshalb, weil er zum Haufen von 10000 Juden gehörte, die vom Wilnaer Ghetto stammten und im September 1941 erschossen wurden.«

Und dann beschreibt er, wie Scheiterhaufen aus Lagen von Holzstößen gebaut, die Leichen daraufgelegt, mit Öl überschüttet und dann angezündet wurden.

Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß Sie niemals gehört haben, was sich in Wilna abgespielt hat oder daß die SA nicht daran beteiligt war?

JÜTTNER: Ich habe dazu folgendes zu erklären: Mit Bewachung von Ghetto...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Zu allererst, bevor Sie eine Erklärung abgeben, wollen Sie bitte meine Frage beantworten: Wollen Sie sagen, daß Sie nie von diesen Ereignissen in Wilna gehört haben oder daß die SA damit nichts zu tun hatte?


JÜTTNER: Das behaupte ich ganz entschieden. Ich höre heute zum erstenmal davon. Ich habe auch damit nichts zu tun gehabt, und wir hatten keine SA in Litauen. Wir hatten nur versucht, eine SA im ehemaligen Generalgouvernement aufzubauen. Das waren SA-Anwärter und Deutsche. In Litauen hatten wir keine SA organisiert. Mit Bewachung von Ghettos und diesen Scheußlichkeiten, wenn sie vorgekommen sein sollten und als solche gebrandmarkt werden müssen, hatte weder die SA-Führung noch die SA-Organisation je etwas zu tun gehabt. Wohl könnte ich mir vorstellen, daß [179] hier auch ein Mißbrauch mit SA-Uniformen und der Zugehörigkeit zur SA getrieben worden ist, nämlich von Litauern.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich verstehe. Ihre Erklärung ist also, daß man jemanden, der ein braunes Hemd getragen hat, verkannt hat. Ist das Ihre Erklärung? Sie trugen Hakenkreuzbinden am Arm, um die Sache zu komplizieren. Sie wollen wirklich diesem Gerichtshof, der hier seit neun Monaten anhört, was sich in diesen Gebieten zugetragen hat, erklären, daß man Leute, die ein braunes Hemd trugen, verkannt hat. Ist das Ihre Erklärung?


JÜTTNER: Es ist eine von den Erklärungen, die ich vorhin gegeben habe.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich möchte nun – ich brauche im Hinblick auf die Erklärung des Zeugen keine Zeit damit zu verlieren, – Dokument D-975, eine zusätzliche Erklärung des Herrn Gol, vorlegen. Das wird GB-598. In diesem Dokument wird der Vorgang beschrieben, wie die Goldzähne aus den Leichen entfernt wurden. Ich möchte nicht auf Einzelheiten eingehen, Euer Lordschaft; es ist schon oft genug behandelt worden, wie das normalerweise vor sich ging. Euer Lordschaft! Ich möchte lediglich feststellen, daß Murer persönlich die Schachteln mitgenommen hat.


[Zum Zeugen gewandt:]


Ich komme jetzt zu Kaunas oder Kowno. Wollen Sie mir folgendes sagen: Behaupten Sie, daß Sie den SA-Brigadeführer Kramer nicht kennen, der Kommandant von Kowno war?

JÜTTNER: Von SA-Brigadeführer Kramer haben wir bisher nicht gesprochen, Herr Anklagevertreter. Ich kenne einen SA-Brigadeführer...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wir sprechen jetzt von ihm, und ich Will, daß Sie mir sagen, ob Sie den SA-Brigadeführer Kramer kennen oder nicht? Er war Stadtkommandant von Kaunas oder Kowno, eine sehr bekannte Stadt.


JÜTTNER: Kowno ist mir durchaus bekannt; da stimme ich mit Ihnen überein. Aber den Namen – Kahmer oder Kramer – möchte ich noch wissen.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kramer. Er war deutscher Stadtkommandant und SA-Brigadeführer – Kramer –.


JÜTTNER: Ich kenne einen Brigadeführer Kramer. Ob der Stadtkommandant von Kowno war, weiß ich nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kennen Sie einen SA-Hauptsturmführer namens Jordan?


JÜTTNER: Nein.


[180] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie nicht, daß auf der Dienststelle des Stadtkommandanten von Kowno nur SA-Angehörige arbeiteten, daß sogar das weibliche Büropersonal der Frauengruppe der SA angehörte und die braunen SA-Hemden mit der Hakenkreuzbinde trugen? Sagen Sie, daß Sie niemals davon gehört haben?


JÜTTNER: Wir hatten in Kowno keine SA. Ich kenne auch dort keine SA-Dienststelle. Wenn ein Kramer, der SA-Führer gewesen sein soll, dort tätig war, dann war er nicht als SA-Führer tätig. Mit der ganzen Angelegenheit hatte die SA nichts zu tun. Das möchte ich nochmals ganz besonders stark unterstreichen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jetzt möchte ich Ihnen noch zwei Namen vorhalten. Kennen Sie einen SA-Brigadeführer namens Lenzen?


JÜTTNER: Ein Brigadeführer Lenzen war früher mal beim Reichssportführer tätig. Dort habe ich ihn kennengelernt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wußten Sie, daß Lenzen Kommissar für das Landgebiet um Kaunas war?


JÜTTNER: Wenn Lenzen Kommissar für ländliche Gebiete war, war er nicht von der SA als SA-Führer dort eingesetzt, sondern im Rahmen des Ostministeriums, unterstand also nicht der SA, wenn er dort tätig war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Sie sagen also, Sie hatten keine SA-Gruppe dort. Ich weiß nicht, ob es eine Kompanie oder eine kleine Einheit war, die Kriegsgefangene in der Nähe von Kowno bewachten. Sie haben uns gesagt, daß Sie Einheiten hatten, die die Wehrmacht in diesen Gebieten unterstützte. Wollen Sie sagen, daß es keine SA-Einheit gab, die Kriegsgefangene in der Nähe von Kaunas bewachte?


JÜTTNER: Wir haben bei Kowno keine SA-Einheiten organisiert. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Wir haben SA organisiert im ehemaligen Generalgouvernement; sonst haben wir im Osten, außer Westpreußen und im ehemaligen Posen, keine SA organisiert. Infolgedessen kann da keine SA bestehen.


VORSITZENDER: Um genau zu sein, Sir David, ich glaube nicht, daß er gesagt hat, daß sie SA-Einheiten in den Gebieten um Kowno zur Unterstützung der Wehrmacht hatten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nein, Euer Lordschaft, ich glaube, »im Osten« waren die genauen Worte...


VORSITZENDER: Ich dachte, er sagte »im Reichsgebiet«.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es war in diesem Bericht, ich will es nachprüfen. Es tut mir leid, Herr Vorsitzender, wenn ich mich geirrt habe. Er sagte...


[181] VORSITZENDER: Haben Sie es gefunden, Sir David? Ich beziehe mich auf den Bericht vom 23. Juni 1941; in dem sagt er: »im Hinterlande. Wir hatten 21 Gruppen... zur Bewachung von Kriegsgefangenen im Reichsgebiet. Ich meine im Reichsgebiet vor Beginn des Krieges. Von baltischen Provinzen weiß ich nichts.«


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Ich stimme damit vollkommen überein. Sie werden sich erinnern, daß er weiter im Bericht sagt, oben auf Seite 127, es hätten zwei Gruppen bestanden, eine in Danzig und eine in Posen. Dann sagt er, Oberschlesien sei der Einheit Schlesien zugewiesen worden und das Gebiet von Memel und Suwalki den baltischen Provinzen Ostland. Das meine ich... daß es eine baltische Provinz Ostland gab.


VORSITZENDER: Nun, er sagt in dem Bericht...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Jawohl, Euer Lordschaft! Ich stimme damit überein, daß es nicht genau so war, ehe er den Bericht vorlegte. Deshalb will ich Ihnen kurz den Inhalt dieses Affidavits vortragen, da der Zeuge erklärt, daß er, abgesehen davon, daß er zwei der Leute kenne, nichts von der Sache wisse. Erst gibt der Aussteller des Affidavits an, daß er während der deutschen Besetzung im Ghetto von Kaunas wohnte und daß er dem jüdischen Ghettorat angehörte, der sich mit Statistiken und mit der Versorgung der Juden befaßte. Als Vertreter der Juden...


VORSITZENDER: Wir haben das Dokument nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Oh, Euer Lordschaft, ich bitte um Entschuldigung. Es ist D-968, GB-599. Es tut mir sehr leid, Euer Lordschaft, das ist meine Schuld.


VORSITZENDER: Ist das im Buch?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Es ist im Buch auf Seite 61, Euer Lordschaft.


VORSITZENDER: Ja.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Er sagt dann:

»Als Vertreter der Juden für die Rationen etc. hatte ich unmittelbar mit dem Amt des Stadtkommissars, und zwar der Abteilung des SA-Hauptsturmführers Jordan zu tun. Das Amt des Stadtkommissars war ausschließlich mit SA-Leuten besetzt. Selbst die Mädchen in diesem Amt trugen braune SA-Uniformen.«

Dann sagt er:

»Der deutsche Stadtkommissar hieß Kramer und war ein SA-Brigadeführer, Jordan der Sachbearbeiter in jüdischen Angelegenheiten für Kramer. Ich weiß ihren Rang und daß sie in der SA waren deshalb, weil sie die Befehle, die im Ghetto angeschlagen waren, unterzeichneten.«

[182] Im Absatz 3 beschreibt er die Plünderungsaktion:

»Sie erfolgte ausschließlich durch SA-Leute. Jordan war unter ihnen. Sie alle trugen braune Uniformen.«

Sie nahmen ihr Eigentum weg und erschossen 27 Personen. Dann am 13. September, während der Aktion, erschossen Jordan und SA-Sturmführer Kepen in Gegenwart von Brigadeführer Lenzen, der Stadtkommissar des Landdistrikts von Kaunas war, drei Juden.

Weiter sagt er:

»Am 21. oder 22. September 1941 befand ich mich in einer Arbeitsgruppe. Ich sah ca. 30 SA- Leute in Uniform, die eine Gruppe von ungefähr 300 russischen Kriegsgefangenen begleiteten. Diese Russen waren ziemlich erschöpft, sie konnten kaum gehen. Zwei brachen zusammen und wurden von der SA erschossen. Die SA schlug während der ganzen Zeit auf sie ein. Meine Arbeitsgruppe mußte diese Russen begraben.«

Euer Lordschaft! Dann gibt Absatz 7 ein Beispiel für die, man mag sagen, sinnlose Brutalität, der aber doch ein Plan zugrunde lag. Die Leute wurden gezwungen, ein Gewicht eine lange Strecke weit zu tragen. Es ist zu bemerken, daß 100 SA-Leute diese Juden dabei bewachten. Sie waren mit automatischen Pistolen bewaffnet.

In Absatz 8 heißt es:

»Am 28. Oktober 1941 wurde eine ›Großaktion‹, bei der 10 500 Leute erschossen wurden, unternommen. Die Bevölkerung des Ghettos wurde zuvor in zwei Gruppen eingeteilt, eine um erschossen zu werden und die andere, um im Ghetto verbleiben zu können. Die Aussonderung an diesem Morgen wurde überwacht von einem Mann namens Rauka, der, wie ich glaube, zur SA oder Gestapo gehörte, und später, im Laufe des Tages, kamen drei höhere SA-Führer, Jordan, Kepen und Poeschl, um ihnen zu helfen. Alle diese SA-Leute waren in Uniform. Ich kenne die Anzahl derjenigen, die erschossen wurden, weil meine Aufgabe im jüdischen Rat die Verpflegung umfaßte, für welche wir eine Zählung der Juden vornehmen mußten. Eine neue Zählung wurde nach dieser Erschießung vorgenommen.«

Dann wird geschildert, wie Jordan ihm sagte, er solle die Leichen von 20 kurz vorher erschossenen Leuten holen.

In Absatz 10 wird davon berichtet, daß Jordan 500 Intellektuelle zu Archivarbeiten angefordert hat. Es wurde ihm gesagt, daß eine solche Anzahl nicht zur Verfügung stehe.

»Die SA jedoch, die unterstützt wurde von anderen Deutschen, deren Uniform ich aber nicht kenne, von denen ich aber annehme, daß sie zum SD gehörten, ergriffen 530 Personen nach Belieben und erschossen sie.

[183] Dieses erfolgte in Gegenwart von den SA-Führern Jordan, Poeschl und Lenzen.«

Euer Lordschaft! Das ist der Fall Kowno. Die nächste Stadt, die ich behandeln möchte, ist Schaulen, Euer Lordschaft! Sie werden das Dokument unter Nummer D-969 finden auf Seite 63 des Dokumentenbuches. Es wird Beweisstück GB-600. Es ist ein Affidavit, ausgestellt von einem Leib Kibart.

Ich frage Sie jetzt, Zeuge, kannten Sie einen SA-Sturmführer namens Schroepfer? – Schroepfer –.

JÜTTNER: Einen Sturmführer Schroepfer kannte ich in der SA nicht.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kannten Sie einen SA-Sturmführer namens Bub? – Bub –.

JÜTTNER: Ist mir auch unbekannt.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kannten Sie einen Mann in der SA – sein Rang ist mir leider nicht bekannt – namens Gewecke, der Gebietskommissar für das Gebiet ungefähr 130 Meilen südlich von Riga wurde?


JÜTTNER: Ist mir ebenfalls unbekannt. Die Gebietskommissare, überhaupt die Kommissare, wurden nicht von der SA eingesetzt, sondern vom Ostministerium. Darauf hatten wir keinerlei Einfluß.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Kibart behauptet, daß dieser in der SA gewesen sei, und ich bitte Sie zu versuchen, sich zu erinnern, ob Sie ihn kennen. Es besteht gar kein Zweifel darüber, daß er existiert. Wir haben Dokumente erbeutet, die von ihm unterzeichnet sind. Aber ich wollte wissen, ob Sie ihn kennen? – Gewecke?


JÜTTNER: Ich habe Sie durchaus verstanden. Vielleicht scheinen Sie mich falsch verstanden zu haben, wenn Sie behaupten, daß ich Kramer und Lenzen nicht kenne, sondern ich habe nur behauptet...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das habe ich nicht gesagt, Herr Zeuge; wir wollen kein Mißverständnis. Ich wollte mich vergewissern, indem ich Sie davon unterrichte, daß kein Zweifel besteht, daß Gewecke existiert hat; denn seine Name erscheint in erbeuteten Dokumenten. Ich möchte, daß Sie ganz sicher sind, daß Sie ihn nicht kannten, ehe Sie antworten. Sie kannten ihn nicht?


JÜTTNER: Nein, ich kenne ihn nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Dann möchte ich mich wieder ganz kurz fassen.

In den ersten beiden Absätzen gibt der Aussteller dieses Affidavits an, daß er Lederarbeiter sei und wo er gearbeitet hat. Im dritten sagt er, er sei während der Arbeit von der SA beschimpft und geschlagen worden, und dann heißt es im Absatz 4, daß zuerst Schroepfer dort gewesen sei und später Bub.

[184] Im fünften Absatz fährt er fort:

»Es ist schwierig zu schätzen, aber ich nehme an, daß zu Beginn 700 – 800 SA-Leute dort gewesen sind, aber ihre Zahl nahm später ab. Ich erkannte sie als SA-Leute, weil sie braune Uniformen mit der Hakenkreuzarmbinde trugen. Später benutzten sie oft andere Deutsche aus der Gegend als Helfer.«

Im sechsten Absatz sagt er weiter:

»Es waren 4500 Juden in dem Ghetto, das völlig überfüllt war. Deshalb umzingelte die SA im Au gust 1941 das ganze Ghetto, und viele von ihnen gingen in die Häuser und brachten Frauen, Kinder und alte Männer heraus, verfrachteten sie auf Lastwagen und fuhren sie weg. Ich habe dies alles persönlich gesehen. Es wurde ausschließlich von der SA ausgeführt. Ich sah, wie sie Kinder bei den Haaren ergriffen und sie auf die Lastwagen warfen. Ich sah nicht, was danach geschah, aber ein Litauer erzählte mir später, daß sie 20 Kilometer weit gefahren und dann erschossen wurden. Er sagte, er habe gesehen, wie die SA diesen Juden befahl, sich auszuziehen und sie dann mit automatischen Pistolen erschoß.«

Der siebente Absatz besagt, daß sie erschossen wurden, wenn sie versuchten, Lebensmittel in das Ghetto zu bringen, und er beschreibt, wie ein Bäckermeister, der vier oder fünf Zigaretten und etwas Wurst hatte, erhängt wurde.

Der achte Absatz handelt von Gewecke, und ich bitte den Gerichtshof, folgendes zur Kenntnis zu, nehmen:

»Der Distriktskommissar, in dessen Hof ich arbeitete, hieß Gewecke. Ich sah ihn jeden Tag. Er gehörte zur SA. Die SS ersetzte die SA im September 1943, und das Ghetto wurde von da ab ein Arbeitslager.«

Euer Lordschaft! Wenn Sie jetzt Seite 107 aufschlagen, werden Sie dort einen Bericht Geweckes finden – aus Schaulen. Es ist Dokument 3661-PS, das Beweisstück GB-601 wird. Es ist datiert vom 8. September 1941 aus Schaulen, wo Gewecke Gebietskommissar war. Es ist an den Reichskommissar für das Ostland gerichtet.

Euer Lordschaft! Meines Wissens gehören zum Ostland nur die Länder Litauen, Estland und Lettland – möglicherweise irre ich mich; aber ich glaube, es ist so.

Dies ist eine Beschwerde über einen SS-Standartenführer namens Jäger, der in Schaulen tätig wird. Nachdem er erklärt hat, daß es ihm oder vielmehr seinem Agenten gelungen sei, sich jüdische Silber- und Goldgegenstände anzueignen, fährt er fort...

[185] Euer Lordschaft! Dieser neue Fall soll nur zeigen, daß Jäger sich durch die Weisung des Reichskommissars und Gebietskommissars bezüglich der Beschlagnahme von jüdischem Eigentum nicht gebunden fühlte und daß er sich mit Angelegenheiten beschäftigte...

RA. BÖHM: Dieses Dokument, das mir vorgelegt wird, bezieht sich auf den SS-Standartenführer Jäger. Ich glaube nicht, daß der Fall der SS besprochen wird und bitte, das Dokument vorzulegen, wenn die SS behandelt wird; denn die SA hat damit nichts zu tun.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Tatsache ist, daß der Unterzeichner dieses Dokuments Mitglied der SA ist. Er war als Kommissar tätig – mein Kollege kann sagen, was er will – er war Mitglied der SA, und hier protestiert er dagegen, daß die SS herkommt, um jüdisches Eigentum zu beschlagnahmen, genau dasselbe also, was die SA, wie sich aus dem Beweismaterial ergibt, in diesem Gebiet tat. Euer Lordschaft, das ist der Grund, warum ich das Dokument vorlege; denn es dient zur Bestätigung meiner Behauptungen.


RA. BÖHM: Dieser Mann war nicht Mitglied der SA in diesem Gebiet, sondern er arbeitete als Kommissar.


VORSITZENDER: Wir haben eben gehört, daß er Mitglied der SA war, und der Zeuge hier erklärt, er wisse es nicht. Ich sehe nicht ein, mit welchem Recht Sie sagen, daß er nicht Mitglied der SA gewesen ist.


RA. BÖHM: Es mag sein, daß er es gewesen ist, aber nicht in seiner Eigenschaft als SA-Angehöriger, sondern in seiner Eigenschaft als Angehöriger des Ostministeriums. Die SA hatte damit nichts zu tun.


VORSITZENDER: Das ist eine Angelegenheit, die der Gerichtshof zu prüfen hat. Wir werden die Aussagen dieses Zeugen prüfen, der erklärt, daß es damals dort keine SA gegeben habe. Wir werden ebenso die Aussagen des Affidavitausstellers prüfen, der erklärt, daß jener Gewecke in SA-Uniform zusammen mit einer Anzahl anderer SA-Männer dort gewesen ist. Es ist dies ein erbeutetes Dokument und deshalb nicht unzulässig.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Der nächste Absatz bringt die Sache, mit der allein ich den Gerichtshof bemühen möchte:

»Wenn diese Übergriffe der SS nicht aufhören, muß ich als Gebietskommissar die Verantwortung für eine ordnungsmäßige Erfassung des jüdischen Vermögens ablehnen.«


VORSITZENDER: Ich nehme an, daß Dr. Böhms Argument darauf abzielt, daß dieser Mann, Gewecke, als Gebietskommissar handelte und nicht als Mitglied der SA.

[186] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Herr Vorsitzender! Das ist ein Argument, das Dr. Böhm berechtigt ist vorzubringen; es ist aber wichtig, daß Euer Lordschaft die Affidavits sehen, die von diesem Mann handeln, da man sie mittels eines erbeuteten Dokuments stützen und bestätigen kann; das war meine Absicht.


[Zum Zeugen gewandt:]


Jetzt komme ich auf eine Sache, die Sie schon verschiedentlich erwähnt haben. Sie sagten, die einzige SA-Organisation in diesem Gebiet war die Einheit, die von dem Angeklagten Frank im Generalgouvernement, ich glaube, im April 1942, gebildet wurde. Die SA-Einheit des Generalgouvernements wurde auf Befehl von Lutze gebildet, und dann wurde das Kommando von dem Angeklagten Frank übernommen. Das ist richtig, nicht wahr? Sie sagten, daß er einen besonderen Stab für die tatsächliche Führung der Einheit hatte; und diese lag in den Händen von zwei Männern namens Selz und Friedemund, wenn ich Sie recht verstanden habe. Ist das richtig?

JÜTTNER: Nein, so stimmt das nicht. Erstens waren es nicht die Namen Friedemund...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn die Namen nicht stimmen, so war es mein Fehler. Ich habe sie so notiert, wie ich sie verstanden habe. Sagen Sie mir die richtigen Namen. Es ist mein Fehler, wenn ich sie falsch verstanden habe. Wie lauteten die richtigen Namen?


JÜTTNER: Die richtigen Namen wären Pelz und Kühnemund, und dieser Führungsstab unterstand nicht dem ehemaligen Generalgouverneur Frank, sondern dem Stabschef unmittelbar; der übte die Geschäftsleitung aus, und Frank war lediglich ernannt als Führer der SA dort, wie ich das schon ausgeführt habe. Zu den anderen eidesstattlichen Erklärungen darf ich mich wohl nachher noch äußern?

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Sie finden das in dem bereits vorgelegten Dokument 3216-PS, US-434, ein Auszug aus »Das Archiv«. Es beschreibt die Gründung dieser Einheit im Generalgouvernement.

Zeuge! Ich möchte, daß Sie dem Gerichtshof sagen, zu welchem Zweck eine Einheit im Generalgouvernement gebildet wurde.


JÜTTNER: Das waren zweierlei. Vorher darf ich nochmals eine Frage stellen zu den Affidavits aus Kowno, Schaulen und Riga. Ich habe noch eine Aufklärung zu geben, die zur Ergründung der Wahrheit notwendig ist. Ich wollte fragen, ob ich das jetzt tun darf, oder soll ich das im Anschluß an die eben jetzt gestellten Fragen tun?


VORSITZENDER: Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß Ihr Verteidiger die Fragen während des Wiederverhörs stellen sollte.


[187] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte gern, daß Sie mir so kurz wie möglich sagen, zu welchem Zweck die SA-Einheit im Generalgouvernement im Jahre 1942 gebildet wurde.


JÜTTNER: Der Zweck war ein zweifacher: Erstensmal, die im Generalgouvernement tätigen Reichsdeutschen kameradschaftlich und geschlossen, soweit sie der SA angehörten, zusammenzuhalten, und zum zweiten, Volksdeutsche, die geneigt waren und geeignet erschienen, später der SA beizutreten, in die Gemeinschaft einzufügen, indem man ihnen die deutsche Sprache, deutsche Sitten und so weiter nahebrachte und die Kameradschaft, die wir in der SA pflegten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte das ganz klarstellen. Sie sagen, es handelte sich um ganz friedliche Absichten im Generalgouvernement. Bleiben Sie bei dem, was Sie dem Gerichtshof gesagt haben, nämlich, daß keine anderen SA-Formationen in den Ostgebieten tätig waren, insbesondere nicht im Ostland – das sind, wie ich glaube, die ehemaligen Länder Estland, Lettland und Litauen. Ich habe Ihnen bereits einige Dokumente vorgehalten und möchte dies klarstellen. Sind Sie darauf vorbereitet, daß Ihre Aussage auf Grund der Tatsache beurteilt wird... auf Grund Ihrer Antwort zu folgender Frage: Sagen Sie, daß keine SA-Einheiten im Ostland tätig waren?


JÜTTNER: Ich bin bereit, darauf ganz klar zu antworten: Die Oberste SA-Führung hat in diesem Gebiet Ostland – das Sie eben umschrieben mit Litauen, und Lettland, wenn ich recht verstanden habe – eine SA-Organisation nicht aufgezogen. Eine deutsche SA wurde dort nicht gebildet. Wenn SA dort gebildet worden sein sollte, ist das eine wilde Organisation gewesen, die mit der SA-Führung nicht das geringste zu tun hatte. Davon ist mir nichts bekannt, daß dort eine SA aufgezogen war.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Gut, das ist Ihre Antwort.

Euer Lordschaft! Ich möchte bitten, daß der Gerichtshof sich kurz eine Stelle des Dokuments 1475-PS ansieht. Es ist auch R-135, US-289, und zwar befindet es sich im Dokumentenbuch 16 B, Seite 81, – gleich nach Seite 81. Es ist 81 A – es sollte da sein. Euer Lordschaft, würden Sie dem Zeugen eine Abschrift geben lassen. Es ist ein Protest des Reichskommissars für das Ostland an den Angeklagten Rosenberg und dürfte dem Gerichtshof bekannt sein. Auf der ersten Seite ist ein Protest gegen die Tötung so vieler Juden bei dem Unternehmen »Cottbus«, da sie zur Sklavenarbeit hätten verwendet werden können; auf jeden Fall erscheine es nicht die geeignete Methode zur Bandenbekämpfung, Männer, Frauen und Kinder in Scheunen einzuschließen und diese dann anzuzünden. Soweit dies. Das, Euer Lordschaft, hat einen Haken. Auf der nächsten Seite ist ein Bericht des Generalkommissars von Weißruthenien [188] vom 5. Juni 1943 an den Angeklagten Rosenberg über den Reichskommissar für das Ostland. Es ist möglich, daß das Gebiet nicht ganz mit dem erwähnten übereinstimmt, Euer Lordschaft; doch werde ich das klar stellen. Dieser Bericht fängt an, indem er das Ergebnis meldet:

»Feindtote 4500, Bandenverdächtige-Tote 5000«

offenbar jene Leute, die in Scheunen eingeschlossen und dort verbrannt wurden.

Euer Lordschaft! Weiter unten ist die Beute angegeben. Dann der nächste Absatz:

»Das Unternehmen berührt das Gebiet des Generalbezirks Weißruthenien im Gebiet Borissow. Es handelt sich dabei besonders um die beiden Kreise Begomie und Pleschtschamizy. Gegenwärtig sind die Polizeitruppen zusammen mit der Wehrmacht bis zum Palik-See vorgestoßen und haben die ganze Front der Beresina erreicht. Die Fortsetzung der Kämpfe findet im rückwärtigen Heeresgebiet statt.«

Dann wird angegeben, daß »bei 4500 Feindtoten nur 492 Gewehre« erbeutet wurden. Das ist eine Schlußfolgerung, die tief blicken läßt.

Der nächste Absatz lautet:

»Auf Anordnung des Chefs der Bandenbekämpfung, SS-Obergruppenführer von dem Bach...« – Euer Lordschaft, das ist ein Offizier, der vor dem Gerichtshof bereits vor einigen Monaten ausgesagt hat – »haben auch Einheiten der...« –

ich möchte Sie bitten, Zeuge, dies besonders zu beachten

– »Einheiten der Wehrmannschaften an dem Unternehmen teilgenommen. SA-Standartenführer Kunze hat die Wehrmannschaften geführt.«

Herr Zeuge! Wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß die SA-Wehrmannschaften nicht zur SA gehörten und daß der Standartenführer Kunze nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied der SA gehandelt hat?

JÜTTNER: Jawohl, sehr gerne und freudig werde ich ganz klar antworten. Erstens steht hier nicht drin SA-Wehrmannschaften, sondern Wehrmannschaften, und zweitens...

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Einen Augenblick, wollen Sie sagen, daß Wehrmannschaften nicht SA-Wehrmannschaften sind, daß sie also nicht Einheiten der SA waren. Ist das Ihre Antwort?


JÜTTNER: In dem Falle war es keine Einheit der SA; das behaupte ich mit aller Bestimmtheit. Es waren nicht von der SA gebildete oder aufgezogene Wehrmannschaften, wenn solche Wehrmannschaften überhaupt bestanden haben. Zweitens, wenn der SA-Standartenführer Kunze diese dort angeblich gebildeten[189] Wehrmannschaften geführt hat, hat er sie keinesfalls in seiner Eigenschaft als SA-Führer geführt, sondern im Rahmen der Ostverwaltung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber er war doch der Befehlshaber der Wehrmannschaften. Wollen Sie behaupten, daß eine bekannte SA-Formation, eine von einem SA-Standartenführer befehligte Wehrmannschaft... wollen Sie dem Gerichtshof sagen, daß diese nicht als SA tätig geworden sei? Ist das Ihre Aussage? Verlangen Sie wirklich, daß der Gerichtshof Ihnen das glaubt?

Gut, nun lege ich Ihnen ein anderes Dokument vor. Euer Lordschaft! Wenn Sie Seite 64 A aufschlagen, werden Sie finden...


JÜTTNER: Ich habe hierzu zu sagen: Das will ich nicht nur dem Gericht glauben machen, sondern es war so; SA-Wehrmannschaften ist ein ganz fester Begriff. Es gab auch Wehrmannschaften anderwärts, die mit der SA nichts zu tun hatten; anscheinend waren dies hier solche. Wir hatten keine Wehrmannschaften dort. Der Standartenführer Kunze war nicht als SA-Führer tätig; SA-Führung und Organisation hat weder mit diesen noch mit den geschilderten Vorgängen in Schaulen, Riga und Kowno irgend etwas zu tun.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, Zeuge, seien Sie vorsichtig, bevor Sie die nächste Frage beantworten. Sagen Sie, daß es keine SA-Einsatzkommandos gab, die im Generalgouvernement Sklavenarbeiter beschafften? Es ist doch eine einfache Frage. Sagen Sie, daß es keine Einsatzkommandos gab, die im Generalgouvernement Sklavenarbeiter erfaßte?


JÜTTNER: Die SA kannte Einsatzkommandos über haupt nicht.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, ich behaupte, daß das absolut unwahr ist.


JÜTTNER: Das ist die SA-Führung.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich möchte Euer Lordschaft bitten, das Dokument D-970 anzusehen; es wird Dokument GB-602 werden auf Seite 64 A. Es ist ein Bericht an den Angeklagten Frank als Generalgouverneur, datiert vom 25. September 1944. Er handelt von dem Prior des Karmelitenklosters Czerna, auf den von einem der erwähnten SA-Einsatzkommandos geschossen wurde. Ich lese:

»Der in Frage stehende Vorfall hat sich im Rahmen der Erfassung von Arbeitskräften zur Durchführung besonderer Bauvorhaben im Kreise Ilkenau ereignet. Er wurde dem Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Krakau durch die Außendienststelle Kressendorf und den Stützpunkt Wolbron bekannt. Da der Tatort im Bereich des Einsatzstabes Ilkenau liegt, wurden die Ermittlungen von der Staatspolizeileitstelle Kattowitz – Außenposten Ilkenau – geführt.

[190] Auf Grund des vorliegenden Ermittlungsergebnisses ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die termingemäße Durchführung des Bauvorhabens in dem genannten Gebiet war in Frage gestellt, da die einzelnen Gemeinden das ihnen aufer legte Soll an Arbeitskräften nicht stellten. Daher wurde von dem Baustab Kattowitz ein besonderes Kommando in Stärke von 12 SA-Männern beauftragt, in den einzelnen Dörfern Arbeitskräfte einzutreiben. Die Durchführung dieser Aufgabe seitens dieses SA-Einsatzkommandos ging in jedem Falle so vor sich, daß zunächst an den Dorfschulzen herangetreten und ihm das Anliegen vorgebracht wurde.«

Anschließend wird beschrieben, wie im Weigerungsfalle die Häuser durchsucht wurden. Bei der Überholung der Häuser leisteten einige Bewohner Widerstand, der mit der Waffe gebrochen werden mußte.

»Auf Grund der Tatsache, daß in dem genannten Raum in letzter Zeit mehrfach Banden aufgetreten sind, rechneten die SA-Männer damit, daß sich Bandenangehörige tagsüber in Zivil getarnt in den Dörfern aufhielten. Im übrigen wurde nach den Ermittlungen der Staatspolizeileitstelle Kattowitz bei der Erfassung der Arbeitskräfte auf die örtlichen Belange der Dörfer Rücksicht genommen und Arbeitskräfte wehrwirtschaftlicher Betriebe von der Maßnahme ausgenommen.«

Das ist das erste Kommando, das Zwangsarbeiter aus diesem Dorfe erfaßte.

Nun kommt ein anderes SA-Kommando:

»Der Prior des Klosters Czerna wurde in Nowojowa Gora von Angehörigen des SA-Einsatzkom mandos erfaßt. Es wurde ihm aufgegeben, zunächst bei den Männern des SA-Einsatzkommandos zu verbleiben. Als sich die Angehörigen des Kommandos gerade in einem Hause befanden, um es nach Arbeitskräften zu durchsuchen, benutzte der Prior nach den Ermittlungen der Staatspolizeileitstelle Kattowitz diesen ihm geeignet erscheinenden Augenblick zur Flucht. Da er auf mehrmaligen Anruf und Abgabe einiger Warnschüsse nicht stehen blieb, sondern vielmehr sein Tempo beschleunigte und zu entkommen versuchte, wurde von der Waffe Gebrauch gemacht. – Der Prior war angehalten worden, weil er angeblich anderen Arbeitern gegenüber negative Äußerungen über den Ostwall und das Bauvorhaben gemacht hatte, die geeignet wären, den ohnehin geringen Arbeitswillen der Arbeiter noch weiter ungünstig zu beeinflussen. Es war beabsichtigt, den Geistlichen zunächst zum Baustab nach Nielepice und von dort zur Dienststelle der Sicherheitspolizei zu [191] bringen, um weitere Ermittlungen in dieser Angelegenheit vorzunehmen.«

Nun, beachten Sie den letzten Absatz:

»Nach Mitteilung der Staatspolizeileitstelle Kattowitz soll sichergestellt sein, daß in Zukunft nicht SA-Männer, sondern Polizeibeamte derartige Unternehmen durchführen.«

Nun, Zeuge, warum haben Sie dem Gerichtshof vor zehn Minuten gesagt, daß es keine SA-Einsatzkommandos gegeben habe und daß diese niemals an der Suche nach Zwangsarbeitern im Generalgouvernement beteiligt gewesen seien? Warum haben Sie das gesagt? Sie wußten doch, daß es unwahr ist. Warum haben Sie es gesagt?

JÜTTNER: Das ist nicht unwahr, sondern ich wiederhole diese Aussage nochmals und bleibe dabei, daß die SA Einsatzkommandos nicht hatte. Hier, diese SA-Männer sind wohl herangezogen worden von der Stelle, die den Bericht erstattet hat, und zwar notdienstverpflichtet – anders kann ich mir das nicht erklären – als Hilfspolizei, und die berichtende Stelle hat diese als notdienstverpflichtete Hilfspolizeikommandos schlechthin als SA-Einsatzkommandos in seinem Sprachgebrauch bezeichnet. Von uns stammt dieser Begriff nicht. Wir hatten keine und haben auch keine solchen gebildet, und die Verantwortlichkeit für die Handlungen, die durchgeführt wurden, lag hier nicht bei, der SA, sondern bei der Stelle, die die Männer eingesetzt hat.

Ich kann noch hinzufügen, daß wir gerade mit der Polizeistelle im Generalgouvernement wiederholt gegen den zu häufigen Einsatz von SA-Angehörigen des Generalgouvernements zu Polizeizwecken Stellung genommen haben. Wir wollten das nicht; wir wollten keine Polizeidienste durch die SA erfüllen lassen. Sie wurden aber zeitweise herangezogen auf Grund gesetzlicher Bestimmung als Hilfspolizeibe amte. Wenn zum Schluß es heißt, »in Zukunft nicht SA-Männer, sondern Polizeibeamte«, dann soll das zweifellos heißen, nicht Hilfspolizeibeamte, sondern richtige Polizeibeamte...


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Aber die Polizei protestierte dagegen, daß die SA das tat und auch gegen die brutalen Methoden, mit denen sie vorgingen. – Soll ich aus Ihrer langatmigen Antwort schließen, daß Sie wissen, daß SA-Leute in der Hilfspolizei des Generalgouvernements verwendet wurden? Wollen Sie das dem Gerichtshof sagen?


JÜTTNER: Wir haben von dem dort tätigen SA-Führer Kühnemund wiederholt Berichte bekommen, daß SA-Männer auf Grund gesetzlicher Bestimmungen zum Polizeidienst verpflichtet worden sind.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Das ist wenigstens etwas. Ich bitte Sie, mir nun folgendes zu sagen: Sie sagten in Ihrem Bericht [192] über den Krieg, daß die SA zur Bewachung von Kriegsgefangenen Verwendung fand. Hat die SA nicht auch Lager von Zwangsarbeitern bewacht?


JÜTTNER: Es ist mir nicht bekannt, daß wir Arbeitslager bewacht haben sollen.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Lassen Sie mich Ihnen die Namen einiger Lager geben, die, wie ich behaupte, von der SA bewacht wurden. Sakrau, ein Zwangsarbeiterlager, dessen Insassen alles Juden waren; Mechtal, Markstadt, Faulbrück, Reichenberg und Annaberg.


JÜTTNER: Ich höre die Namen als Arbeitslager heute zum ersten Male.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Euer Lordschaft! Sie werden auf Seite 131 des Dokumentenbuches 16 B ein Affidavit von Rudolf Schönberg finden. Dies wird Beweisstück GB-601. Er spricht über Bewachung dieser Lager durch die SA sowie über die dortigen Zustände und schließt folgendermaßen:

»Ich will hiermit nur besagen, daß die SA seinerzeit schon in den mörderischen und verbrecherischen Methoden der SS in nichts zurückstand.«

Das war im Jahre 1940.

Ich will Ihnen noch etwas vorhalten. Erinnern Sie sich daran, daß die SA ein Arbeitslager in Frauenberg, in der Nähe von Admont, bewachte? Das war ein Arbeitslager für Arbeitsscheue und Trunkenbolde mit ungefähr 300 Insassen. Erinnern Sie sich daran, daß die SA dieses Lager bewachte?

JÜTTNER: Ist mir völlig unbekannt. Ich habe nie davon gehört.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich lege das Dokument vor. Es ist ohne jeden Zweifel ein persönlicher Bericht an Himmler. Wollen Sie es bitte ansehen. Es ist Dokument NO-034.

Euer Lordschaft! Das Dokument ist von gewissem unerfreulichem Interesse insofern, als es sich mit der Wahl von Auschwitz als Konzentrationslager befaßt. Der Grund, Euer Lordschaft, warum ich mich damit beschäftige, und zwar nur dieser eine. Ich bitte um Verzeihung, Euer Lordschaft! Das Affidavit hätte Nummer GB-603 sein sollen, und dieses hier ist Beweisstück GB-604.


VORSITZENDER: Auf welcher Seite?


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Verzeihung, Euer Lordschaft, Seite 132, die nächste Seite. Es ist ein Bericht von einem SS-Oberführer Glücks, dessen Name uns nicht ganz unbekannt ist. Es ist ein Bericht vom 21. Februar 1940 an Himmler, in welchem Glücks sich mit fünf eventuellen Konzentrationslagern beschäftigte, deren Verwendung Himmler prüfen sollte... nein, sechs eventuelle [193] Konzentrationslager. Das dritte Lager ist ein Ort Frauenberg, und es heißt hierüber:

»Frauenberg ist ein vom Landesfürsorgeverband Steiermark eingerichtetes Arbeitslager für Arbeitsscheue und Trunkenbolde. Es besteht aus 5 Holzbaracken und ist aufnahmefähig für 300 Häftlinge.

Die Arbeitshäftlinge sind ausschließlich Steiermärker, die vom Landesfürsorgeverband Steier mark während ihres Lageraufenthaltes für ihre Arbeitsleistung gelöhnt werden (Stunde 27-57 Pfg., abzüglich Verpflegung). Die Bewachung erfolgt durch die SA (etwa 20 Mann). Die Arbeitshäftlinge werden beschäftigt in zwei Steinbrüchen und im Straßenbau.«

Sodann heißt es:

»Grund und Boden ist jetzt Staatseigentum; früher gehörte es zum Stift Admont.«

Zeuge! Wie kann es möglich sein, daß diese SA-Männer ein Arbeitslager bewachten und Sie, der stellvertretende Stabschef, nichts über die Tatsache wußten, daß SA-Männer in Arbeitslagern beschäftigt waren? Wie konnten Ihnen diese Tatsachen unbekannt sein? Erklären Sie dem Gerichtshof, wieso Ihnen das unbekannt sein konnte?

JÜTTNER: Diese Männer haben, wenn sie eingesetzt worden sind, als Hilfspolizeibeamte verpflichtet gehandelt. Genau wie NSKK-Männer oder andere Staatsbürger als Hilfspolizisten gesetzlich verpflichtet werden konnten, wurden auch SA-Männer auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen als Hilfspolizei verpflichtet. Das waren staatliche Maßnahmen, die mit der SA nichts zu tun hatten, auf die die SA keinen Einfluß hatte, von der die SA auch nichts wissen konnte. Es war unmöglich, daß die SA-Führung über das Geschick jedes einzelnen Mannes, wie es hier an mich in der Frage zum Ausdruck kommt, Bescheid wissen konnte. Das war völlig ausgeschlossen. Das waren nicht SA-Männer, sondern das waren in die Polizei dienstverpflichtete Leute.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Ich halte Ihnen das vor und lege das Beweismittel vor, in welcher Weise die SA während der Kriegsjahre beschäftigt war.

Ich möchte Sie nun ein wenig über die Ausbildung verhören, durch die es ihnen möglich war, diese Art von Arbeit zu verrichten. Streiten Sie ab, daß die SA der Träger des militärischen Gedankens in Deutschland war?


JÜTTNER: Es sind mir in der Vorverhandlung schon solche Fragen gestellt worden. Man verwechselt immer Wehrgedanken mit militärischen Gedanken. Die SA war Träger des Wehrgedankens. Das hat mit militärischem Dienst oder militärischer Ausbildung nichts zu tun.


[194] SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Und Sie behaupten, das habe nichts mit der Pflege des Angriffsgeistes zu tun?


JÜTTNER: Keineswegs, nicht das geringste.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum hat Ihr Freund Lutze, von dem Sie uns soviel erzählt haben, in seinem Vortrag im Jahre 1939 diese zwei Begriffe so eng miteinander verbunden!

Euer Lordschaft! Ich beziehe mich nur kurz auf ein Dokument, das bereits vorgelegt worden ist; 3215-PS, US-426. Es ist im Original-SA-Dokumentenbuch enthalten.

Es ist ein Artikel von Lutze als Stabschef der SA über die militärische Ausbildung der SA vom 11. März 1939, und er sagt darin:

»Niemals aber vergaßen diese Männer auch den Auftrag des Führers, die Wehrerziehung des deutschen Mannes zu fördern und den Wehrgeist im deutschen Volke wieder aufzurichten.«

Und dann zitiert er die sehr bekannte Stelle aus »Mein Kampf«, welche Sie, Zeuge, sicherlich auswendig kennen:

»Die Sportabteilungen der SA sollen einst Träger des Wehrgedankens eines freien Volkes sein.«

Und er zitiert Hitlers Worte:

»Man gebe der deutschen Nation sechs Millionen sportlich tadellos trainierte Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht und zu höchstem Angriffsgeist erzogen...«

Geben denn nicht diese Worte Ihres Chefs Lutze, in einen Satz zusammengefaßt, Geist und Ziel wieder, in dem sie die SA von 1934 bis 1939 zu erziehen bestrebt waren?

JÜTTNER: Ich muß mich wirklich wundern, daß der Herr Anklagevertreter in den langen Monaten der Verhandlung den Unterschied zwischen Wehrgedan ken und militärischer Ausbildung noch nicht gefunden hat. In der Vorverhandlung vor dem kleinen Gerichtshof ist hier eingehend darüber gesprochen worden. Lutze hat nicht von militärischer Ausbildung geschrieben. Er hat von Wehrerziehung geschrieben. Das ist etwas ganz anderes als militärische Ausbildung. Wir haben das getan, was jedes Land von seinen Patrioten erwartet, eine Wehrerziehung, eine körperliche und sittliche Ertüchtigung der Menschen, sonst nichts, aber keine Kriegsvorbereitung, die Sie mir unterzuschieben suchen, betrieben.

SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Wenn es so ist, wie Sie sagen, warum hat die SA-Führung schon am 25. Juli 1933 befohlen, daß keine Veröffentlichungen über die technischen Sondereinheiten, Nachrichten-, Motor- oder auch der gesonderten Fliegerstürme, erfolgen dürften, weil sie »als Verstöße gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags aufgefaßt werden könnten«.

[195] Euer Lordschaft! Das ist Dokument D-44, US-428, das erste Dokument im Dokumentenbuch.


[Zum Zeugen gewandt:]


Warum war ihre Politik derart, daß das, was die SA in diesen technischen Einheiten tat, als Verstoß gegen den Versailler Vertrag betrachtet werden konnte, und warum hat die SA-Führung jedem, der hierüber Veröffentlichungen brachte, Verfolgung wegen Landesverrats angedroht, wenn sie keine militärische Ausbildung betrieben hat?

JÜTTNER: Auch darüber habe ich bereits vor der Gerichtskommission ausgesagt. Dieser Befehl hing zusammen mit den Röhmschen Milizbestrebungen. Die Einzelheiten müssen aus dem Protokoll ersichtlich sein.

Wenn der Gerichtshof wünscht, wiederhole ich das damals Angegebene.


VORSITZENDER: Sie können die Frage beantworten.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Warum befürchteten sie, daß die Erziehung der SA und die Bildung von technischen Einheiten als eine Verletzung des Versailler Vertrags betrachtet würde, wenn sie keinen militärischen Charakter hatten?


JÜTTNER: Die Verhandlungen Röhms mit den ausländischen Staaten waren nicht abgeschlossen; infolgedessen hätte ein falscher Verdacht entstehen können.


SIR DAVID MAXWELL-FYFE: Nun, warum hat von Reichenau im Mai 1933 vorgeschlagen, daß die Oberste SA-Führung gemeinsam mit der Partei die Vertretung im Reichsverteidigungsrat führen solle? Warum sollte sie im Reichsverteidigungsrat vertreten sein, wenn sie keine militärische Ausbildung betrieb?

Euer Lordschaft! Ich glaube, das ist ein neues Dokument. Es ist 2822-PS und wird Beweisstück GB-605. Das Dokument ist niemals vorgelegt worden; es ist im alten SA-Dokumentenbuch zu finden. Leider sind die Seiten nicht numeriert, aber es hat die Nummer 2822-PS. Es ist »streng vertraulich« und datiert vom 26. Mai 1933. Es ist vom Chef des Ministerialbüros im Reichswehrministerium an die Oberste SA-Führung. Das Dokument ist sehr kurz und stammt von von Reichenau. Ich weiß nicht, welchen Rang er damals hatte. Ich glaube, er wurde später General oder Feldmarschall.

»Im Nachgang zu meinem Schreiben vom 22. Mai 1933... darf ich darauf aufmerksam machen, daß mir seitens des Wehrpolitischen Amtes der NSDAP der Wunsch übermittelt worden ist, ebenfalls im Reichsverteidigungsrat vertreten zu [196] sein. Ich möchte der Erwägung anheimstellen, diese Vertretung mit derjenigen der Obersten SA-Führung in Personalunion zu vereinen und u. U. eine geeignete Persönlichkeit mit beiden Vertretungen zu beauftragen.«

Warum erhob die Oberste SA-Führung Vorstellungen, um im Reichsverteidigungsrat vertreten zu werden, wenn die SA keine militärische Ausbildung betrieb?

JÜTTNER: Die Vertretung im Reichsverteidigungsrat hat mit militärischem Training gar nichts zu tun. Es war damals – das habe ich auch vor dem kleinen Gerichtshof schon ausgeführt – für den Fall, daß wir die Reparationen nicht zahlen konnten und mit einem Einmarsch von Westen gerechnet werden mußte, vorgesehen, daß das linke Rheinufer von den wehrfähigen Deutschen geräumt wird. Diese Räumung war der SA zur Durchführung übertragen über die Partei. Insofern hatten die SA und die Partei ein Interesse daran, was in dem sogenannten Reichsverteidigungsrat besprochen wurde.

RA. BÖHM: Herr Präsident! Darf ich einen Moment stören?

Dieses Dokument enthält die Bestätigung, daß dies von Röhm abgelehnt worden ist. Es wäre doch auch zweckmäßig, dem Zeugen das auch vorzuhalten. Es ist von Röhm abgelehnt worden. Hier steht »An Krüger – Nein – Mit Reichenau... vereinbart... Röhm«. Er hat es also abgelehnt.


VORSITZENDER: Es ist vielleicht besser, wenn wir jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

15. August 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 21, S. 156-198.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon