1. Der Kampf gegen die Arbeiterklasse.

[132] Als Hitler zur Macht kam, gab es in Deutschland drei Gruppen von Gewerkschaften. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), der achtundzwanzig Gewerkschaften umfaßte, und [132] der Allgemeine Freie Angestelltenverband (AFA) mit 13 angeschlossenen Verbänden, zählten insgesamt mehr als 4,5 Millionen Mitglieder. Die christlichen Gewerkschaften hatten über 1,25 Millionen Mitglieder. Die Arbeiterschaft Deutschlands hatte wie die Arbeiterschaft anderer Nationen wenig für sich durch einen Krieg zu gewinnen. Obgleich sich die Arbeiterschaft zwar gewöhnlich zur Unterstützung der Nation im Kriege bereitfindet, ist sie im allgemeinen eine friedliebende, wenn auch durchaus nicht pazifistische Macht in der Welt. Im Jahre 1933 hatte die arbeitende Bevölkerung Deutschlands nicht vergessen, wie schwer das Joch des Kriegsherrn sein kann. Es war die Arbeiterschaft, die sich mit den Matrosen und Soldaten in der Revolution von 1918 am Ende des ersten Weltkrieges verbunden hatte. Die Nazis hatten das nicht vergessen und vergeben. Das Nazi-Programm machte es daher erforderlich, diesem Teil des deutschen Volkes nicht nur die Macht zu nehmen, sich gegen eine Vernachlässigung seiner bescheidenen Lebensumstände zugunsten der Aufrüstung zu wehren, sondern ihn auch mit Zuckerbrot und Peitsche zu neuen und ungeahnten Opfern als Teil der von den Nazis betriebenen Kriegsvorbereitungen zu bewegen. Die Arbeiterschaft mußte eingeschüchtert werden, und das bedeutete, daß ihre Organisationen als Mittel ihres Zusammenhalts und ihrer Verteidigung zerstört werden mußten.

Die Absieht, die Arbeiterschaft den Zwecken der Nazi-Partei dienstbar zu machen, wurde von Ley am 2. Mai 1933 in einer Rede vor Arbeitern offen ausgesprochen:

»Ihr werdet sagen, was wollt ihr denn noch? Ihr habt doch die absolute Macht! Gewiß, wir haben die Macht, aber wir haben noch nicht das ganze Volk. Dich, Arbeiter, haben wir noch nicht hundertprozentig, und gerade dich wollen wir, wir lassen dich nicht, bis du in aufrichtiger Erkenntnis restlos zu uns stehst« (614-PS).

Der erste Schlag der Nazis galt den beiden großen Gewerkschaften. Am 21. April 1933 wurde – nicht einmal im Namen der Regierung, sondern der Nazi-Partei – von dem Verschwörer Robert Ley ein Befehl herausgegeben, in dem er sich selbst als »Stabsleiter der Politischen Organisation der NSDAP« bezeichnete, und der sich auf den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und den Allgemeinen Freien Angestelltenbund, die beiden größten deutschen Gewerkschaften, bezog. Er ordnete die Beschlagnahme ihres Eigentums und die Verhaftung ihrer obersten Leiter an. Der Befehl bestimmte, daß Gliederungen der Partei, die wir hier als verbrecherische Organisationen anklagen, die SA und SS, »zur Besetzung der Gewerkschaftshäuser und der Inschutzhaftnahme der in Frage kommenden Persönlichkeiten einzusetzen« seien. Ferner [133] sollten alle Verbandsvorsitzenden und Bezirkssekretäre der Verbände und die Filialleiter der Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten in »Schutzhaft« genommen werden (392-PS).

Dieser Befehl wurde am 2. Mai 1933 ausgeführt. Alle Gelder der Gewerkschaften, auch die Pensions-und Wohlfahrtsfonds, wurden beschlagnahmt. Gewerkschaftsführer wurden in Konzentrationslager geschickt. Einige Tage später, am 10. Mai 1933, wurde Ley von Hitler zum Führer der Deutschen Arbeitsfront (DAF) ernannt, die das beschlagnahmte Vermögen der Gewerkschaften übernahm. Die Deutsche Arbeitsfront, ein von den Nazis beherrschtes Arbeitsamt, wurde von Ley geschaffen, um die deutschen Arbeiter in der Nazi-Lehre zu unterweisen und allen, die dabei nicht so recht mitkamen, den Arbeitsplatz zu nehmen. »Werkscharen«, wie man sie nannte, wurden aufgestellt als »weltanschauliche Stoßtrupps in den Betrieben« (1940-PS; 817-PS). Die Partei bestimmte, daß »außer der Deutschen Arbeitsfront keinerlei Organisation mehr, weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber bestehen darf«. Am 24. Juni 1933 wurden auch die christlichen Gewerkschaften durch einen von Ley unterzeichneten Parteibefehl aufgelöst.

Am 19. Mai 1933 wurden – diesmal durch ein Gesetz der Regierung – »Treuhänder der Arbeit« geschaffen, die, von Hitler ernannt, die Bedingungen aller Arbeitsverträge festsetzen sollten, wodurch das bisherige System des Kollektivvertrags beseitigt wurde (405-PS). Am 20. Januar 1934 führte das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« das Führerprinzip in der Industrie ein. Die Unternehmer wurden zu Betriebsführern und die Arbeiter zur Gefolgschaft erklärt, es ermächtigte die Eigentümer, »Führer«-Entscheidungen »der Gefolgschaft gegenüber in allen betrieblichen Angelegenheiten« zu treffen (1861-PS). Durch diese Köder wurden die deutschen Großindustriellen bewogen, die Sache der Nazis zu unterstützen, die dann am Ende zu ihrem eigenen Verderben führte.

Die Nazis beherrschten und verfügten nicht nur über die deutsche Arbeiterschaft, sie zwangen auch die Jugend in die Reihen der arbeitenden Bevölkerung hinein, die sie auf solche Weise an die Kette gelegt hatten. Nach einem am 26. Juni 1935 erlassenen Arbeitsdienstgesetz wurden junge Männer und Frauen im Alter von achtzehn bis zu fünfundzwanzig Jahren zum Arbeitsdienst verpflichtet (1654-PS). Damit war die Aufgabe, die deutsche Arbeiterschaft zu unterjochen, vollendet; die Gewerkschaften und Angestelltenverbände waren nach den Worten von Ley, ihres »vereinsmäßigen Charakters« entkleidet, »an seine Stelle haben wir den Begriff des ›Soldaten der Arbeit‹ gesetzt«. Die arbeitenden Menschen [134] des deutschen Volkes waren damit unter der Aufsicht der Nazis. Die Angeklagten gewannen durch diese Maßnahmen den Kampf, die Arbeiterverbände als Träger eines möglichen Widerstandsgeistes zu beseitigen, und konnten nun der arbeitenden Klasse die Lasten für die Vorbereitung eines Angriffskrieges auferlegen.

Robert Ley, der Feldmarschall in der Schlacht gegen die Arbeiterschaft, hat unsere Anklage mit Selbstmord beantwortet. Anscheinend wußte er keine bessere Antwort.

Ich gehe nun zum Kampf gegen die Kirchen über, das zweite der beschriebenen Elemente, das vernichtet werden mußte.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 2, S. 132-135.
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