Nachmittagssitzung.

[373] DR. STAHMER: Welche Gründe führten zum Angriff auf Jugoslawien?

GÖRING: Deutschland hatte in den ganzen Jahren vor dem Kriegsausbruch die denkbar besten Beziehungen zum jugoslawischen Volk und zur Jugoslawischen Regierung. Es war ein Teil meiner außenpolitischen Aufgabe, diese Beziehungen besonders zu pflegen. Da ich mit dem Prinzregenten Paul und dem Ministerpräsidenten Stojadinowitsch persönlich befreundet war, habe ich mehrfach das Land besucht und auch einen längeren Urlaub dort zugebracht. Es war das Bestreben, nicht nur wirtschaftlich zu engen Beziehungen durch gegenseitige Ergänzung, sondern auch darüber hinaus politisch zu einer engen Verständigung und Freundschaft zu kommen. Es ist dies in vollem Umfange gelungen und fand seinen Höhepunkt in dem Gegenbesuch, den der Prinzregent Paul auf meine Besuche hin in Deutschland machte. Da ich gleichzeitig auch ähnliche freundschaftliche Beziehungen zu König Boris von Bulgarien hatte, habe ich auch hier oft ausgleichend wirken können und desgleichen dann und wann mit Italien.

Mein Eintreten für Jugoslawien hat sogar dort eine Zeitlang ein gewisses Mißtrauen gegen mich erweckt.

Nach Kriegsausbruch wurde ebenfalls alles vermieden, um in irgendeiner Form mit Jugoslawien andere Beziehungen als freundschaftliche zu besitzen. Bedauerlicherweise schied der Ministerpräsident Stojadinowitsch aus, aber auch sein Nachfolger verfolgte diese Politik. Der Beitritt zum Dreimächtepakt bezweckte gerade, Jugoslawien unter allen Umständen in seiner Neutralität zu erhalten und nicht in den Krieg hineinzuziehen. Schon zur Zeit, als diese Unterzeichnung stattfand, war die Notwendigkeit anerkannt worden, vorsorglich wegen der Landung – oder bevorstehenden Landung – Englands in Griechenland Truppen nach Rumänien zu dirigieren. Trotz dieses Abkommens war ausdrücklich vorgesehen, daß keinerlei Truppentransporte durch Jugoslawien laufen sollten, so daß die Neutralität auch nach dem Beitritt Jugoslawiens zum Dreimächteabkommen nach jeder Richtung hin bestätigt wurde. Als der Ministerpräsident Zwetkowitsch zurückkam, erfolgte kurz darauf der Putsch des Generals Simowitsch gegen die Regierung des Prinzregenten und die Einsetzung des unmündigen Königs.

Wir erfuhren damals durch die engen Beziehungen zu Jugoslawien sehr rasch die Hintergründe, die hinter dem Putsch des Generals Simowitsch auftauchten. Die Bestätigung bekamen wir kurze Zeit später, daß diese Unterrichtungen von jugoslawischer Seite richtig waren, nämlich, daß hier ein scharfes Einschalten einmal der russischen Politik als auch eine finanzielle Unterstützung dieses [373] Unternehmens mit außerordentlichen Geldmitteln durch England vorlag, wofür wir dann die Beweise fanden. Es war somit klar, daß dieses Unternehmen gegen die Freundschaftspolitik der bisherigen Jugoslawischen Regierung zu Deutschland gerichtet war. Es ist auch – das sei hier erwähnt – in späteren Presseäußerungen von russischer Seite darauf hingewiesen worden, welch starken Einfluß man darauf hatte, und zu welchem Zweck dieses Unternehmen ausgeführt wurde.

Die neue Jugoslawische Regierung stand ohne jeden Zweifel klar und deutlich bereits aufs engste mit unseren Gegnern, die wir zu diesem Zeitpunkt hatten, nämlich England und – schon in der Kombination des kommenden Gegners – Rußland, in einwandfreiem Zusammenhang. Das Simowitsch-Unternehmen war sogar der allerletzte und entscheidendste Grund, um die noch da und dort vorhandenen allerletzten Bedenken des Führers über die Haltung Rußlands zu zerstreuen und ihn zu veranlassen, nunmehr unter allen Umständen das Prävenire in der Richtung zu spielen. Vor diesem jugoslawischen Simowitsch-Unternehmen wären vielleicht noch, obwohl Vorbereitungen getroffen waren, letzte Zweifel an der Notwendigkeit der Auslösung des Angriffs gegen Sowjetrußland zurück gestellt worden.

Diese klare Haltung und Zusammenhänge zwischen Belgrad und Moskau nahmen aber dem Führer die allerletzten Zweifel weg. Gleichzeitig war klar, daß dieses Jugoslawien unter der neuen Regierung nur Zeit für seinen Aufmarsch zu gewinnen versuchte; denn in der gleichen Nacht, da der Putsch unternommen wurde, gingen die geheimen und ganz kurz darauf die offiziellen Mobilmachungsorders an die jugoslawische Armee heraus. Trotz der Zusicherungen, die Simowitsch nach Berlin gab, er würde sich an das Abkommen, oder so ähnlich, gebunden halten, war das Manöver klar zu durchschauen.

Die Lage war nun folgende: Italien, unser Bundesgenosse, hatte seinerzeit, von Albanien vorgehend, Griechenland angegriffen, soweit ich mich erinnere im Oktober oder September 1940. Von diesem Unternehmen war Deutschland nicht unterrichtet. Der Führer erfuhr einmal durch mich, der ich es durch Zufall erfahren hatte, und zweitens auch wahrscheinlich durch das Außenamt von diesem Unternehmen und dirigierte augenblicklich seinen Zug auf der Fahrt von Frankreich nach Berlin um, um den Duce in Florenz kurz zu sprechen. Die Italienische Regierung oder Mussolini selbst war sich wohl in dem Augenblick im klaren, warum der Führer ihn sprechen wollte und, soviel mir erinnerlich, wurde der Einmarschbefehl der italienischen Armeen von Albanien auf Griechenland dadurch um 24 oder 48 Stunden früher ausgelöst. Tatsache ist es, daß der Führer in seiner Sorge, eine Ausweitung des Konfliktes auf dem Balkan und das östliche Mittelmeer unter allen Umständen zu vermeiden,[374] dringendst auf den Duce einwirken wollte, von derartigen Plänen, die nicht notwendig, sondern aus Prestigegründen vorgenommen wurden, abzusehen.

Als die Zusammenkunft um 10.00 Uhr morgens stattfand, und der Führer seine Bedenken geäußert hatte, erklärte Mussolini wörtlich, daß seit 6.00 Uhr morgens bereits die italienischen Truppen im Vormarsch durch Griechenland seien und nach seiner Auffassung in Kürze in Athen stehen würden. Der Führer wies ihn noch einmal darauf hin, daß damit unter Umständen auch die Beziehungen zur Türkei aufs schwerste gefährdet würden und erneut ein Kriegsschauplatz entstehen würde, in der richtigen Erkenntnis – was er dort wohl nicht geäußert hat –, daß ein italienischer Kriegsschauplatz früher oder später den deutschen Bundesgenossen zur Hilfe holen würde.

So war auch die Situation nun beim Ausbruch des Angriffs auf Jugoslawien. Italien, gestoppt und zurückgeworfen, war in einer strategisch und taktisch außerordentlich ungünstigen Lage schon gegenüber dem griechischen Gegner. Schwenkte nun auch nur ein Teil der jugoslawischen Armee in Flanke und Rücken der italienischen Skutaristellung, dann war Italien nicht nur dort ausgeschaltet, sondern ein wesentlicher Teil der italienischen Streitkräfte vernichtet.

Schon kurz vorher war die Lage für diese italienischen Streitkräfte dadurch in absehbarer Zeit als hoffnungslos anzusehen, weil durch Zuzug und Landung englischer Hilfstruppen in Griechenland zu erwarten war, daß dann, wenn diese den Griechen zur Hilfe kamen, die italienische Armee nicht nur aus Griechenland, wo sie nur an der Grenze stand, sondern auch aus Albanien hinausgeworfen würde und nunmehr auch englische Truppen in bedrohlicher Nähe Italiens und des Balkans, der für uns wirtschaftlich entscheidend war, stehen würden.

Durch den Simowitsch-Putsch und die Mobilmachung Jugoslawiens wäre aber in kürzester Zeit die Besiegung der italienischen Balkanarmeen entschieden gewesen. Nur raschestes Handeln konnte eine doppelte Gefahr beseitigen, erstens eine Katastrophe des italienischen Bundesgenossen, zweitens eine Festsetzung englischer Truppen auf dem Balkan, die für eine kommende Ausgangsposition im Konflikt mit Rußland schädlich war.

Die in Marsch gesetzten deutschen Truppen für das Unternehmen »Marita«, Griechenland, die also gegen Griechenland vorgehen sollten, um die gelandeten englischen Divisionen wieder ins Mittelmeer zurückzuwerfen und den italienischen Bundesgenossen im Rücken zu entlasten, wurden mit ihren Teten rechts abgedreht und in ganz kurzen und beschleunigten und kurzfristigen Angriffsvorbereitungen in die Flanke des jugoslawischen Mobilmachungsaufmarsches geworfen. Die Luftwaffe wurde von ihren Flugplätzen in Deutschland in kürzester Frist, was leicht möglich war, auf den Flugplätzen [375] im Südostraum versammelt und ebenfalls zur Unterstützung des Angriffs angesetzt.

Nur durch dieses rasche Handeln und dadurch, daß die Voraussetzungen bereits durch den Aufmarsch »Marita« gegeben waren, konnte Deutschland eine außerordentliche Gefahr für seine ganze Lage auf dem Balkan und im Südosten in diesem Augenblick ausschalten. Es wäre politisch und militärisch ein Staatsverbrechen für die deutschen Lebensinteressen gewesen, wenn in diesem Falle der Führer nicht so gehandelt haben würde.

DR. STAHMER: Welche Ziele hat die Luftwaffe in Jugoslawien zunächst angegriffen?

GÖRING: Ich habe eben die ganz besondere Situation geschildert, in welcher sich die Deutsche Wehrmacht bei Ausbruch dieses Krieges befand, und welche Aufgaben sie lösen mußte, das hatte mit einer ungeheuren Schnelligkeit und mit einem ebenso großen zu erstrebenden Effekt zu geschehen, um noch rechtzeitig ihre ursprüngliche Aufgabe, die Durchstoßung – ich weiß jetzt nicht mehr den Namen – der Metaxas-Linie in Nordgriechenland vorzunehmen, bevor englische Truppen, die bereits bei Athen gelandet waren, zur Unterstützung der griechischen Besatzungen an der Metaxas-Linie kommen konnten. Es mußte also einerseits ein erheblich kleinerer Teil der deutschen Streitkräfte auf dieser Linie eindringen und der andere Teil, der vorgesehen war, sich auf die jugoslawische Armee werfen und ebenfalls hier mit an sich unzulänglichen Kräften in kürzester Frist – das war Voraussetzung für das ganze Gelingen – diese Armee ausschalten. Sonst konnte es nicht nur eintreten, daß mit völliger Sicherheit die Vernichtung der italienischen Armee vor sich ging, sondern daß auch die so geteilte deutsche Armee, mit Teilkräften in Jugoslawien vordringend – die bulgarische Unterstützung kam erheblich später –, mit anderen Teilkräften rechtzeitig die starke Metaxas-Linie forcierend, um den englischen Aufmarsch dort zu verhindern, selbst in ihrer Teilung in eine ungeheuer schwere und kritische und vielleicht verhängnisvolle militärische Lage kommen konnte. Die Luftwaffe war daher in diesem Teile mit dem größten Nachdruck einzusetzen, um zu erreichen, daß das jugoslawische Unternehmen eines Aufmarsches gegen Deutschland und seinen Bundesgenossen raschestens zum Stillstand kam.

Der Befehl war deshalb in erster Linie zu konzentrieren auf den Angriff auf das jugoslawische Kriegsministerium in Belgrad; dann zweitens auf den Bahnhof, der gerade in Belgrad bei dem an sich nicht sehr starken jugoslawischen Eisenbahnnetz ein besonderer Knotenpunkt für den Aufmarsch war; und dann waren noch einige der wichtigsten Zentren, Generalstabsgebäude und so weiter, vorgesehen, weil sich zu diesem Zeitpunkt noch das ganze Hauptquartier, politisch wie militärisch, in Belgrad befand, alle Fäden in diesem [376] Augenblick dort noch zusammenliefen und mit der Bombardierung dieses Nervenzentrums für den weiteren Aufmarsch von vorneherein eine außerordentliche Lähmung des Widerstandes eintreten mußte.

Die Warnung für Jugoslawien war nicht notwendig, und zwar aus folgenden Gründen: Formell mag man einwenden, daß wir keine Kriegserklärung oder Warnung geschickt haben. Tatsächlich war sich keiner der nun leitenden Männer Jugoslawiens auch nur im geringsten im Zweifel darüber, daß Deutschland vorgehen würde. Man erkannte das, denn man hatte sich selbst ja schon fieberhaft mit dem Aufmarsch befaßt und nicht nur mit der Mobilmachung. Die Angriffe des deutschen Heeres erfolgten zudem zu einem Zeitpunkt, der vor dem Bombardement von Belgrad lag. Aber selbst wenn man unterstellt, die Luftwaffe hätte den ersten Angriff vollzogen, und dann erst das Heer, also ohne Warnung, so hatte die Handlungsweise Jugoslawiens und die außerordentliche Gefahr der militärischen Situation dazu herausgefordert. Wir standen hier schon mitten im schwersten Kampf. Es ging hier darum, den Balkan nach zwei Seiten hin zu sichern und fest in die Hand zu nehmen. Die Ziele – das betone ich noch einmal – waren, wie ich mich genau erinnere, Kriegsministerium, Bahnhof, Generalstabsgebäude und noch dieses und jenes Ministerium. Die Stadt wurde natürlich, da diese Gebäude zerstreut in der Stadt lagen, auch in Mitleidenschaft gezogen.

DR. STAHMER: In den letzten Tagen sind hier wiederholt die Luftangriffe auf Warschau, Rotterdam und Coventry behandelt worden. Sind diese Angriffe über die militärische Notwendigkeit hinaus durchgeführt?

GÖRING: Die Zeugen, vor allen Dingen der Feldmarschall Kesselring, haben einen Teil davon berichtet. Aber aus diesen Aussagen mußte ich wieder erkennen – was ja selbstverständlich ist –, wie ein Befehlshaber einer Armee, Heeresgruppe oder Luftflotte letzten Endes doch nur einen Teilausschnitt übersieht. Als Oberbefehlshaber der Luftwaffe bin ich hingegen in der Lage, das Gesamtbild hier zu übersehen, da ich ja auch der verantwortliche Mann war, die Befehle hierfür zu erteilen. Nach meinen Befehlen und nach meinen Gesichtspunkten erhielten die Flottenchefs ihre Richtung und Weisung, was sie zu machen hatten.

Warschau: Ich möchte zunächst die Äußerung klarstellen, daß am ersten Morgen des Angriffs auf Polen eine ganze Reihe polnischer Staate – ich glaube, der Herr Englische Anklagevertreter nannte sie dem Namen nach – angegriffen wurden. Ich habe die Namen nicht mehr so im Kopfe.

In meinen Anweisungen zum ersten Angriffstag auf Polen steht ausdrücklich als erstes Ziel: Zerschlagung und Vernichtung der feindlichen Luftstreitkräfte; ist dieses erreicht, können die anderen [377] Ziele ohne weiteres angegriffen werden. Deshalb Befehl, folgende Flugplätze anzugreifen. Ich bin sicher-ohne die Namen jetzt zur Hand zu haben –, daß 80 Prozent der genannten Namen Städte sind, bei denen sich Flugbasen befunden haben. Das zweite Hauptziel, das aber am ersten Tage nur in geringem Ausmaße oder beim ersten Hauptschlag anzugreifen war, war eine Anzahl ganz besonders entscheidender Eisenbahnknotenpunkte für die Verschiebung größerer Truppenteile.

Ich verweise darauf, daß kurz vor dem letzten und entscheidenden Luftangriff auf Warschau, auf den ich gleich komme, der französische Militärattaché in Polen einen Bericht an seine Regierung geschickt hat, den wir vorzulegen in der Lage sind, und den wir später in Paris gefunden haben; aus ihm geht hervor, daß dieser Gegner selbst erklärt, die deutsche Luftwaffe, das müsse er zugeben, habe in Polen ausschließlich militärische Ziele angegriffen, »ausschließlich« besonders betont.

Warschau hatte zunächst nur ein oder zwei Angriffsziele, lange bevor – das heißt, lange bevor ist ein falscher Ausdruck, weil es rasch ging –, also bevor die Einschließung Warschaus erfolgte. Das war der Flugplatz Okêcie, wo die Hauptmasse feindlicher polnischer Luftstreitkräfte war, und das war der Bahnhof Warschau, als einer der hauptstrategischen Bahnhöfe Polens. Diese besprochenen Angriffe waren aber auch nicht die entscheidenden, sondern, nachdem Warschau eingeschlossen war, wurde es zur Übergabe aufgefordert. Es lehnte die Übergabe ab. Im Gegenteil, ich erinnere an die Aufrufe, die an die gesamte polnische Zivilbevölkerung und auch die Einwohnerschaft von Warschau gerichtet waren, energischen Widerstand, also nicht nur militärischen, sondern auch zivilen – was bekanntlich gegen das Völkerrecht ist –, zu leisten. Trotzdem haben wir sie noch einmal verwarnt. Wir haben als erstes Flugblätter abgeworfen, nicht Bomben, in denen wir die Bevölkerung aufforderten, nicht zu kämpfen. Zum zweiten haben wir, als der Kommandant auf seinem Standpunkt beharrte, aufgefordert, die Zivilbevölkerung vor dem Bombardement zu evakuieren.

Als dann eine Funknachricht kam, der Kommandant wolle einen Parlamentarier schicken, gingen wir darauf ein, warteten aber umsonst auf diesen. Wir haben dann wenigstens gefordert und erreicht, daß das Diplomatische Korps und alle Neutralen auf einer von uns zu bestimmenden Straße Warschau verlassen konnten, was auch geschehen ist. Als dann auf die letzte Anfrage, wo klar gesagt worden war, daß wir nunmehr gezwungen seien, auch die Stadt schärfstens anzugreifen, keine Übergabe erfolgte, wurde zunächst auf die Forts, dann auf die in der Stadt aufgefahrenen Batterien und Truppenteile sofort zum Angriff übergegangen. Das war der Angriff Warschau.

[378] In Rotterdam war die Lage eine völlig andere. Um den Feldzug in den Niederlanden so rasch wie möglich zu beenden, und damit einem Volke Blutvergießen zu ersparen, mit dem wir an sich keinen inneren Gegensatz hatten, und den wir nur aus den vorhin erwähnten Gründen durchführen mußten, hatte ich den Einsatz der Fallschirmdivision in den Rücken des gesamten holländischen Aufmarsches gegen Deutschland vorgeschlagen, vor allem, um die drei entscheidenden Brücken, einmal die bei Moerdijk über den Rhein, dann die bei Dordrecht und Rotterdam, in die Hand zu bekommen. Damit war von vornherein der Weg in den Rücken der Gesamtaufstellung gegeben und wenn dies gelang, konnte die holländische Armee bei aller Tapferkeit sich nur wenige Tage halten. Dieser Aufmarsch oder das Abspringen meiner Fallschirmdivision an den drei Brücken gelang vollkommen.

Während bei Moerdijk und Dordrecht die Sache schnell überwunden wurde, geriet der Teil in Rotterdam in schwierige Lage. Er wurde zunächst von holländischen Kräften eingeschlossen. Es kam alles darauf an, die Eisenbahnbrücke und Straßenbrücke, die nebeneinander liegen, unter allen Umständen unzerstört in die Hand zu bekommen, denn nur dadurch war dies letzte Einfalltor in den Rücken der Festung Holland offen. Während der Hauptteil in der südlichen Stadt Rotterdam war, waren einige kühne Stoßtrupps der Fallschirmtruppen über beide Brücken vorgedrungen; sie standen hart nördlich vor beiden Brücken, einmal in der Station, die sich gleich hinter der Eisenbahnbrücke nördlich des Flusses befand, und zum zweiten in einem Häuserblock, der sich unmittelbar an der Nordkante der Straßenbrücke, gegenüber dieser Station, befand, und an der bekannten Butter-oder Margarinefabrik, die später eine Rolle spielte.

Dieser Stoßtrupp hielt sich trotz schwerster und überlegener Angriffe. Währenddessen kam von außen eine deutsche Panzerdivision, die sich Rotterdam näherte, über Moerdijk und die Dordrecht-Brücke.

Und hier möchte ich auch den Irrtum aufklären, der bei dem Kreuzverhör zwischen Sir David Maxwell-Fyfe und Feldmarschall Kesselring bezüglich der beteiligten Personen auftauchte. Der Generalleutnant Schmidt gehörte dieser von außen kommenden Gruppe an und führte die Panzertruppe. Der General Student führte die Fallschirmdivision, die in Rotterdam war, also innen drin, und daraus erklärt sich, daß einmal Kapitulationsverhandlungen mit dem von außen kommenden deutschen Kommandeur geführt wurden, und zum zweiten Kapitulationsverhandlungen mit dem in der Stadt befindlichen die Fallschirmtruppen kommandierenden General; die beiden wurden dann – ich möchte hier nicht in die Ausführlichkeiten gehen-zusammengefaßt. Bevor es nun hier – wenn man das zeitlich [379] genau überprüft, kann man es fast auf die Minute feststellen – klar und irgendwie zu Abmachungen kam und abzusehen war, ob es überhaupt zu einer Kapitulation kam oder nicht – das ging zunächst ja nur Rotterdam an –, befand sich die Gruppe nördlich der beiden Brücken in einem außerordentlich bedrängten und schweren Zustand. Der Zuzug über die beiden Brücken war schwierig; sie lagen unter starkem flankierendem Maschinengewehrfeuer – ich könnte heute noch hier die Situation haargenau aufzeichnen – und auch unter Artilleriefeuer. Daher konnten nur einzelne Leute – ich erinnere mich noch genau der späteren Situation an der Brücke – unter der Brücke, in hängender Stellung, also an den Händen sich fortbewegend, hinübergelangen, um aus dem Feuerbereich zu kommen.

Es war angefordert worden, nördlich der Station auch dort stehende Batterien und auch die holländischen Streitkräfte auf der zwischen Eisenbahn und Butterfabrik nach Norden führenden Straße, die diese Stoßtrupps sehr bedrängten, mit Bomben anzugreifen; denn in diesem Augenblick hatten ja die Fallschirmtruppen keine Artillerie und die Bombenkräfte stellten die einzige Artillerie der Fallschirmtruppen dar. Ich hatte meinen Fallschirmern vor dem Unternehmen versichert, daß sie unter allen Umständen den Schutz der Bomber gegen schweres Feuer bekommen würden.

Drei Gruppen eines Geschwaders waren angesetzt. Der Hilferuf kam aus der Funkstation, die die Fallschirmer in Rotterdam hatten; die funktionierte nicht so gut, wie hier besprochen worden ist. Zum zweiten erfolgte dieser Einsatz auf Grund der erkennbaren, ausgelegten und abgesprochenen Erdzeichen, die die Aufklärungsflugzeuge zurückbrachten. Es handelte sich hier um Pfeile, Zeiger und Buchstaben, die den Aufklärungsfliegern andeuteten, »werden bedrängt von Artillerie aus nördlicher oder westlicher oder südlicher Richtung« und so weiter.

Daraufhin befahl ich der Luftflotte den Einsatz eines Geschwaders. Das Geschwader startete in drei Gruppen; eine Gruppe hatte praeter propter 25 bis 30 Flugzeuge. Als die erste Gruppe kam, war, soviel ich weiß, die Kapitulationsverhandlung im Gang, aber mit noch keinem klar erkenntlichen Ziel. Trotzdem wurden rote Leuchtsignale abgeschossen. Die erste Gruppe faßte diese Leuchtsignale nicht auf, sondern warf verabredungsgemäß ihre Bomben genau in jenen Teil, der befohlen war. Es handelt sich genau, wenn ich mich der Zahl noch erinnere, im Höchstfall um 36 zweimotorige Flugzeuge, die in der Hauptsache 50-Kilo-Bomben abgeworfen haben. Die zweite und dritte darauf folgende Gruppe erfaßte die roten Leuchtzeichen, machte kehrt und warf ihre Bomben nicht ab.

Eine Funkverbindung zwischen Rotterdam und den Flugzeugen bestand nicht. Die Funkverbindung ging von Rotterdam über mein Hauptquartier, Luftflotte 2, zur Division, Divisionsgeschwader-Bodenstelle; [380] von der Geschwader-Bodenstelle war eine Funkverbindung zu den Flugzeugen gegeben. Es handelt sich hier um Mai 1940, wo im allgemeinen die Funkverbindung Bodenstelle – Flugzeuge schon zwar leidlich gut war, aber in keiner Weise mit der hervorragenden Verbindung, die sich im Laufe des Krieges herausstellte, vergleichbar. Das Wesentliche aber ist, daß Rotterdam zu den Flugzeugen direkt nicht funken konnte und deshalb die verabredeten Zeichen, rote Leuchtsignale, abgeschossen hat; aufgefaßt von der Gruppe 2 und 3, nicht erfaßt von der Gruppe 1.

Die große Zerstörung erfolgte nicht durch Bomben, sondern, wie gesagt, durch Brand. Man erkennt das am besten daran, daß alle die Bauten, die aus festem Stein und Beton gebaut waren, in dem zerstörten Teil stehen blieben, während die älteren Häuser vernichtet wurden. Das Ausbreiten dieses Feuers hatte seinen Grund durch die Entzündung dieser großen Mengen von Fetten und Öl. Zum zweiten, ich möchte das ausdrücklich betonen, hätte bei einem energischen Eingreifen der Rotterdamer Feuerwehr die Ausbreitung des Brandes durchaus, trotz auftretenden Sturmes, verhindert werden können.

Die endgültigen Kapitulationsverhandlungen sind, soweit mir erinnerlich, erst um ungefähr 6.00 Uhr abends erfolgt. Ich weiß das deshalb, weil während dieser Kapitulationsverhandlungen noch herumgeschossen wurde, und der General der Fallschirmtruppen Student während der Kapitulationsverhandlungen im Zimmer an das Fenster trat und einen schweren Schädelschuß mit Gehirnverletzung bekommen hat.

Dies zu Rotterdam und zur Aufklärung der beiden Generale mit ihren Kapitulationsverhandlungen, der eine von außen, der andere von innen.

Coventry: Nachdem wir vom 6./7. September bis in den November – also nach häufigen Vorwarnungen an die Englische Regierung, auch nachdem der Führer sich vorbehalten hatte, den Befehl zur Vergeltung zum Angriff auf London selbst zu geben – sehr lange gezögert hatten, nachdem immer wieder deutsche Städte ohne militärische Ziele beworfen wurden, wurde London als Angriffsziel befohlen. Die deutsche Luftwaffe lag vom 6. bis 7. September ab – erster Angriff 6. September nachmittags – in ununterbrochener Folge auf London.

Wenn dies auch aus Gründen von Vergeltung und politischem Druck der politischen Führung zweckentsprechend erschien, so sah ich doch darin kein laufendes, erstrebenswertes Ziel.

Ich will nicht mißverstanden werden, wenn ich sage, daß ich schon aus dem ersten Weltkrieg wußte, daß der Londoner hart im Nehmen ist, und daß wir ihn dadurch nicht zu irgend einem Niederringen seines militärischen Widerstandes bringen konnten.

[381] Mir kam es aber darauf an, in erster Linie eine Zunahme der Abwehrkraft der englischen Luftwaffe zu verhindern. Als Soldat, oder besser gesagt, als Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, war für mich entscheidend das Niederringen und Ausschalten der feindlichen Luftwaffe.

Ich habe, obwohl der Führer nach wie vor London angegriffen sehen wollte, aus eigenem Entschluß eine genaueste Vorbereitung des Zieles Coventry getroffen und zwar deshalb, weil nach den Unterlagen, die ich hatte, in und um Coventry ein Hauptbestandteil der Luftwaffenindustrie und Luftwaffenzubehör-Industrie war. Birmingham und Coventry waren mir die entscheidendsten Ziele. Ich entschloß mich für Coventry, weil hier die meisten Ziele in der geringsten Ausdehnung erfaßt werden konnten.

Ich habe diesen Angriff persönlich angesetzt mit den beiden Luftflotten, die diese Unterlagen jedesmal nachprüften; bei der ersten günstigen Wetterperiode, einer Mondnacht, habe ich den Angriff angesetzt und habe verlangt, er sei solange und so oft durchzuführen, bis nachhaltigste Wirkung gegen die dortige englische Flugzeugindustrie erzielt sei; dann sollte auf die nächsten Ziele in Birmingham und eine große Motorenfabrik südlich Weston übergegangen werden, nachdem vorher die Luftfahrtindustrie, teilweise bei Bristol und südlich London, angegriffen worden war.

Das war der Angriff auf Coventry. Daß hier die Stadt stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, ergibt sich ebenfalls daraus, daß die Industrie dort sehr verteilt in der Stadt lag – mit Ausnahme zweier neuer Werke, die außerhalb der Stadt waren –, und daß wiederum durch Brandwirkung eine Ausdehnung des Schadens sich ereignete. Wenn wir heute die deutschen Städte sehen, so wissen wir ja, was Brandwirkung an Zerstörung vermag. Das war der Angriff auf Coventry.

DR. STAHMER: Im Jahre 41 fanden Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit Japan statt. Waren Sie an diesen Verhandlungen beteiligt?

GÖRING: Ich selbst war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Über Verhandlungen mit Japan kann ich sehr wenig sagen, da ich auch militärisch mit Japan außerordentlich wenig zu tun hatte und mit Japanern selten zusammengekommen bin. Ich habe während des ganzen Krieges nur ein einziges Mal kürzere Zeit eine japanische Offiziersabordnung, Attachés, empfangen. Deshalb kann ich über Zusammenarbeit mit Japan nichts sagen. Angewiesen waren wir, mit den Japanern Erfahrungen, Kriegserfahrungen auszutauschen; das ist aber über die Ämter gegangen. Ich selbst habe mit den Japanern persönlich nichts zu tun gehabt.


DR. STAHMER: Wann erfuhren Sie zum erstenmal, daß Hitler einen Krieg gegen Rußland für notwendig hielt?


[382] GÖRING: Zum erstenmal erfuhr ich von der Absicht des Führers, unter Umständen in einen Konflikt mit Rußland zu kommen, im Spätherbst 1940 in Berchtesgaden.


DR. STAHMER: Waren Sie bei der Besprechung zugegen, die im November 1940 mit dem russischen Außenminister Molotow in Berlin stattfand?


GÖRING: Ich persönlich war bei der Aussprache zwischen Hitler und Molotow nicht anwesend. Herr Molotow hat aber auch bei mir Besuch gemacht, und wir sprachen über die allgemeine Lage. Selbstverständlich kenne ich aber die Besprechung mit Molotow, denn sie wurde mir vom Führer ausgiebig mitgeteilt. Und es war gerade diese Besprechung, die den Führer in seinem Mißtrauen, daß Rußland sich zu einem Angriff auf Deutschland bereitstellte, außerordentlich bestärkt hat; dies ergab sich aus den Erörterungen bei dieser Besprechung und den Forderungen, die Herr Molotow dort gestellt hat.

Es war dies einmal eine Garantie an Bulgarien und ein Beistandspakt an Bulgarien so, wie vorher Rußland diese Garantien und Beistandspakte mit den drei Ostseeländern gemacht hatte.

Zum zweiten handelte es sich um die völlige Preisgabe Finnlands durch Deutschland dergestalt, daß Rußland, das kurz vorher einen Frieden abgeschlossen hatte, erneut Finnland glaubte angreifen zu müssen, um sich nicht mit den vorherigen Resultaten, Hangö und so weiter, zu begnügen.

Es handelte sich zum dritten um Erörterungen über die Dardanellen und Bosporus; es handelte sich weiterhin, zum vierten, um eine Eindringungsmöglichkeit in Rumänien über Bessarabien hinaus.

Das waren die Punkte, die mit dem Führer besprochen wurden. Es kam dann noch eine Andeutung an den Außenminister hinzu über eine Besetzung oder Sicherstellung von Interessen am Ausgang der Ostsee.

Der Führer sah nun diese Forderungen anders an. Obgleich an sich Rußland berechtigt war, Deutschland gegenüber vielleicht die Forderung Finnland zu stellen, so glaubte er im Zusammenhang mit den anderen Nachrichten, die er über die russische Bereitstellung und den Aufmarsch hatte, daß Rußland seine Position in Finnland deshalb verstärken wollte, um Deutschland nördlich zu überflügeln und in unmittelbarer Nähe der für Deutschland in diesem Kriege doch lebenswichtigen oder wenigstens sehr entscheidenden schwedischen Erzfelder zu stehen. Zum zweiten war es bei dem Vordringen in den rumänisch-bulgarischen Raum, das gefordert war, für den Führer durchaus nicht so sicher, daß sich dieser Druck dann nicht in südlicher – sprich Dardanellen – und nah-östlicher Richtung fortsetzen würde, sondern in westlicher Richtung; das heißt also, daß auch hier Rußland sich in die Südflanke Deutschlands [383] schieben könnte und unter Besetzung der rumänischen Ölfelder Deutschland in der Öllieferung von Rußland völlig abhängig machen würde. Er sah in diesen Forderungen verkappte Sicherungen von Aufmarschpositionen gegenüber Deutschland. Die Andeutung von Sicherungen am Ausgang der Ostsee war für Deutschland damals nun schon ganz und gar nicht diskutabel.

Alles in allem erweckte diese Unterredung beim Führer nur das Gefühl der erhöhten Bedrohung in der weiteren Auseinandersetzung mit Rußland.

Schon in der Besprechung mit mir hat mir der Führer erklärt, warum er sich mit dem Gedanken trage, unter Umständen dem russischen Stoß zuvorzukommen. Die Nachrichten über fieberhaftes Arbeiten an Aufmarschvorbereitungen in dem neu von Rußland erworbenen Gebiet Polens, Lettlands, Litauens, Estlands und Bessarabiens machten ihn außerordentlich mißtrauisch. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt zum Teil nur 8, später 20 und 25 Divisionen an der gesamten Ostgrenze stehen. Weitere Nachrichten liefen ein, daß Rußland in dem Augenblick, da Deutschland im Westen, sei es durch eine englische Invasion oder sei es, daß Deutschland sich seinerseits zur Invasion Englands entschließt, uns in den Rücken fallen könnte. Seine Argumente wurden noch bestärkt dadurch, daß kurz vorher – wider jede sonstige Gewohnheit, die wir früher in Rußland sahen – Ingenieuren, und ich glaube auch Offizieren von uns, also Deutschen, plötzlich spontan die gewaltigen russischen Rüstungswerke auf dem Gebiet der Flugzeugindustrie und der Tanks gezeigt wurden.

Diese Meldungen über den hohen Stand des überraschend großen Ausstoßvermögens dieser Rüstungsfabriken haben den Führer weiterhin in seiner Überzeugung bestärkt. Er war so sehr davon überzeugt, daß er sagte, wenn England – das war seine politische Überlegung – nach wie vor nicht daran denkt, zu einem Arrangement mit uns zu kommen, obwohl es zur Zeit allein gegen uns steht, so muß es irgend etwas noch im Hintergrund haben. Er habe Nachricht, daß besorgten Elementen in England gegenüber der Premierminister Churchill auf zwei Dinge hingewiesen hätte:

Erstens, daß mit einer verstärkten Unterstützung der Vereinigten Staaten zu rechnen wäre, mindestens zunächst auf technischem, also auf rüstungsmäßigem Gebiet, dann noch weitergehend zweitens, was er aber für noch wahrscheinlicher halte, daß bereits auch Churchill sich mit Rußland in dieser Richtung verständigt habe und darauf hinwies, daß es hier über kurz oder lang zum Zusammenstoß kommen würde.

Seine Kalkulation war nun diese: Bevor Amerika mit seinen Rüstungen und der Aufstellung seiner Armee fertig sei, durch scharfen zusammengefaßten Angriff und Vorstoß den russischen [384] Aufmarsch zu zerschlagen und die russischen Streitkräfte soweit niederzuschlagen und soweit zu schwächen, daß sie keine Rückengefahr mehr bedeuteten, wenn er zur englisch-amerikanischen Auseinandersetzung auf dem Kontingent antreten müßte.

Das waren die Ausführungen des Führers.

Dann kam der Molotowbesuch, den ich soeben erwähnte und der dies außerordentlich bestärkt hat.

DR. STAHMER: Wie war Ihre Stellungnahme zu einem Vorgehen gegen Rußland damals?

GÖRING: Ich selbst war damals zunächst sehr überrascht gewesen und habe den Führer gebeten, mir zu gestatten, mich erst einige Stunden später wieder zu äußern. Es kam mir völlig überraschend. Ich habe dann am Abend, nachdem dies am Nachmittag war, dem Führer folgendes ausgeführt: Ich bäte ihn dringend und inständigst, nicht in diesem Augenblick oder in absehbarer Zeit den Krieg gegen Rußland zu beginnen; nicht, daß mich hier irgendwie völkerrechtliche oder andere Gründe bewogen hätten, sondern meine Einstellung kam ausschließlich aus politischen und militärischen Gründen.

Erstens, ich habe von jeher und von Beginn der Machtergreifung an, vielleicht von allen führenden Männern in Deutschland die russische Auseinandersetzung immer als die drohende Gefahr für Deutschland angesehen. Ich wußte, und viele mit mir, daß in Rußland seit über einem Jahrzehnt damals eine außerordentlich starke Aufrüstung und Ausbildung vor sich ging, daß der Standard auf allen Gebieten gedrückt worden war zugunsten einer einmaligen gewaltigen Rüstung. Die Lieferungen der deutschen Industrie, Überprüfung von Lieferungen englischer, amerikanischer und anderer Industrien zeigte immer wieder deutlich, daß es sich ausschließlich um solche Maschinen handelte, die direkt oder mittelbar für eine Aufrüstung und ein gewaltiges Industrieprogramm der Rüstung notwendig waren. Man konnte daraus Tempo und Umfang der russischen Rüstung erkennen.

Wenn nun Deutschland in kommunistischer Richtung sich entwickelt hätte, dann wären selbstverständlich die russischen Rüstungen nach meiner Überzeugung gegen andere Gefahren gewesen. Nachdem wir aber an die Macht gekommen waren, spielte hier natürlich der innere politische und der weltanschauliche Gegensatz eine nach meiner Auffassung bedrohliche Rolle.

An sich habe ich eingesehen, daß derartige Gegensätze durchaus nicht zu den Gegensätzen der Staaten führen müssen, da die nationalen und staatlichen politischen Interessen immer noch größer und stärker sein werden als alle weltanschaulichen Gegensätze oder Übereinstimmungen. Aber auch hier sah ich eine Bedrohung; denn was sollten diese gewaltigen russischen Rüstungen zu einem [385] Zeitpunkt, wo Deutschland vor der Machtergreifung rüstungsmäßig ohnmächtig dalag?

Ich habe aber nun dem Führer gesagt, daß ich trotz dieser grundsätzlichen Einstellung von Rußland her immer eine Gefahr befürchtet und gesehen habe und ihn doch bitte, lieber diese Gefahr weiter in der Schwebe zu lassen und, wenn es irgendeine Möglichkeit gäbe, die Interessen Rußlands gegen England zu lenken. Und zwar sagte ich ihm:

»Wir kämpfen zur Zeit gegen eine der größten Weltmächte, das Britische Imperium. Wenn Sie, mein Führer, auch nicht der absoluten Ansicht sind, so muß ich Ihnen widersprechen, denn ich bin der absoluten Ansicht, daß über kurz oder lang die zweite große Weltmacht, die Vereinigten Staaten, gegen uns aufmarschieren werden. Dies wird nicht von der Wahl des Präsidenten Roosevelt abhängen; auch der andere Kandidat wird dieses nicht verhindern können. Wir stehen dann im Kampf gegen zwei der größten Weltmächte: Es war Ihr Meisterstück bei Beginn des Krieges, den Einfrontenkrieg zu ermöglichen; Sie haben in Ihrem ›Kampf‹ immer darauf hingewiesen. Mit einem Zusammenstoß, der jetzt mit Rußland sich ereignen würde, würde die dritte große Weltmacht gegen Deutschland in den Kampf geworfen. Damit ständen wir wiederum allein gegen praktisch die Welt, und zwar wiederum an zwei Fronten; die anderen Staaten daneben zählen nicht.«

Er erwiderte: »Ich verkenne Ihre Argumente keineswegs, ich verkenne die russische Gefahr weniger als jeder andere. Wenn es aber gelingt, die vorgesehenen Pläne im Kampf gegen das Englische Imperium durchzuführen, und wenn diese halbwegs nur glücken, wird Rußland mit seinem Angriff nicht losbrechen. Nur wenn wir uns in einem schweren Kampf im Westen festgefahren haben, bin ich Ihrer Überzeugung, wird die russische Gefahr sich enorm steigern.«

Ich war sogar der Meinung, daß die schnelle Zusage der Russen zum Ausgleich vor der Polenkrise nur gegeben wurde, damit Deutschland, von dieser Seite frei, um so sicherer zu diesem Konflikt kommen sollte, weil damit der deutsch-englisch-französische Konflikt gegeben war und es durchaus verständlich im russischen Interesse war, diesen Konflikt herbeizuführen und dabei noch so gut abzuschneiden, wie es das vorher tat.

Ich habe dem Führer weiter gesagt, soweit meine Nachrichten und Unterlagen da sind, wird doch die russische Rüstung erst im Jahre 42/43, vielleicht sogar 44 vollkommen fertig sein. Bis dahin aber müßte es uns gelingen, doch mit England, wenn auch nicht zu einem Siegfrieden unsererseits, so zu einem Arrangement zu [386] kommen. Dies sei aber nur möglich, wenn entscheidende Erfolge gegen England erreicht würden. Zur Zeit läge die deutsche Luftwaffe mit sämtlichen Kräften im Angriff auf England. Wenn Sie jetzt eine neue Front bilden und zum Angriff gegen Rußland aufmarschieren, müssen erhebliche Kräfte, weit über die Hälfte, zwei Drittel, nach Osten herumgeworfen werden. Praktisch hört damit ein energischer Luftangriff auf England auf; die bisher gebrachten Opfer sind umsonst; England kann seine heruntergedrückte Flugzeugindustrie in Ruhe wieder reorganisieren und aufbauen.

Weit entscheidender aber als dieses war es, daß mit solch einem Aufmarsch gegen Rußland mehr oder weniger endgültig mein Plan, den ich dem Führer vorgetragen hatte, England in Gibraltar und Suez anzugreifen, fallen gelassen werden mußte.

Der Angriff auf Gibraltar war seitens der Luftwaffe so exakt vorbereitet, daß er nach menschlichem Ermessen keinen Fehlschlag bringen konnte. Die dort stehenden englischen Luftstreitkräfte auf dem kleinen Flugplatz nördlich des Gibraltarschen Felsens waren irrelevant. Der Angriff meiner Fallschirmtruppen auf den Felsen wäre ein Erfolg geworden; die gleichzeitige Besetzung der anderen Seite, der afrikanischen, und ein dann erfolgter Vorstoß auf Casablanca und Dakar sicherte zumindest gegen ein Eingreifen Amerikas, einen Aufmarsch, wie er später in Nordafrika erfolgte.

Wie weit darüber hinaus durch ein Übereinkommen noch Inseln bei Kap Verden benutzt werden könnten, stand offen. Es springt in die Augen, was es bedeutet haben würde, mit Flugzeugen auf dem Stützpunkt Nordafrika oder mit U-Booten dort zu sitzen, und den ganzen von Kapstadt heraufkommenden und von Südamerika herankommenden Geleitzugsverkehr aus derartig günstigen Positionen anzugreifen.

War aber das Mittelmeer im Westen geschlossen, so konnte es nicht schwierig sein, durch Vorstoß über Tripolis das Unternehmen Suez zu einem absolut berechenbaren, nach Zeit und Erfolg berechenbaren Abschluß zu bringen. Die Ausschaltung des Mittelmeeres als Kriegsschauplatz, die Schlüsselpunkte Gibraltar-Nordafrika bis herunter nach Dakar, Suez, womöglich noch mit südlicher Vorlagerung, hätten mit wenigen Kräften, eine Anzahl Divisionen auf der einen und eine Anzahl Divisionen auf der anderen Seite, die ganze Unsicherheit der italienischen großen Küste für Angriffsmöglichkeiten ausgeschlossen.

Ich bat ihn dringend, diese entscheidenden Erwägungen doch in den Vordergrund zu stellen, und erst nach Abschluß eines solchen Unternehmens die weitere militärische und politische Lage bezüglich Rußlands zu überprüfen. Denn wenn diese Voraussetzungen geschaffen waren, war auch eine günstige Position für das Eingreifen der Vereinigten Staaten für uns gegeben, eine Flankenstellung.

[387] Ich habe ihm diese Gründe eingehend vorgetragen und immer wieder darauf hingewiesen, daß wir hier eine verhältnismäßig sichere Sache gegen eine noch unsichere aufgeben würden und daß die Aussicht bestände, nach Erringung einer solchen Position unter Umständen viel eher zu einem Arrangement mit England zu kommen, in einem Zeitpunkt, da der eine diesseits und der andere jenseits des Kanals sich gerüstet gegenüberstanden.

Das waren meine Gründe für die Verschiebung des Zeitpunktes, zumal ich ihm noch sagte, daß bei erhöhten Erfolgen in dieser Richtung die russische Vorbereitung womöglich in andere Kanäle gegen unsere derzeitigen Feinde, vielleicht politisch, umgelenkt werden könnte. Ich betone aber, daß der Führer zunächst auch nur allgemeine Vorbereitungen, mit einschränkenden Kautelen, traf, sich den tatsächlichen Angriff, das sagte er mir auch damals gleich, noch vorbehalten würde; die letzte Entschließung ist erst nach dem Simowitsch-Putsch in Jugoslawien gefallen.

VORSITZENDER: Das Gericht wird jetzt eine Pause einlegen.


[Pause von 10 Minuten.]


DR. STAHMER: Die Anklagebehörde hat ein Dokument 376-PS vorgelegt, eine Niederschrift vom 29. Oktober 1940, das im Absatz 5 folgendermaßen heißt: »Den Führer beschäftigt im Hinblick auf eine spätere Kriegsführung gegen Amerika die Frage der Besetzung der Atlantischen Inseln.« Was können Sie zu dieser Studie sagen?

GÖRING: Ich kenne das Dokument sehr genau, weil es mir hier vorgelegt worden ist. Es handelt sich um einen Brief, den der im OKW befindliche Vertreter der Luftwaffe, der damalige Oberstleutnant von Falkenstein, an den Generalstabschef meiner Luftwaffe geschrieben hat. Es ist dies eine Studie, ein Hinweis auf die Punkte, die ich soeben ausgeführt habe, das heißt Besetzung Gibraltars, Nordafrikas und eventuell der Atlantischen Inseln, erstens als Kampfbasis gegen den damaligen Gegner England und zweitens, um für den Fall, daß Amerika in den Krieg tritt, eine bessere Flankenposition gegen deren Geleitzüge zu besitzen; es handelte sich aber um einen rein generalstabsmäßigen Hinweis. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich von mir aus, ohne vorher mit dem Führer gesprochen zu haben, schon meine Untersuchungen über die Möglichkeit der Durchführungen derartiger Unternehmungen militärisch angestellt. Es ist deshalb belanglos.

DR. STAHMER: In diesem Zusammenhang noch eine weitere Frage. Es ist hier ein Organisationsplan für das Jahr 1950 vorgelegt worden, gefertigt von einem Major Kammhuber.


GÖRING: Auch diese Frage ist kurz zu beantworten. Das Dokument kenne ich, denn es ist zwei- oder dreimal von der Anklage [388] erwähnt worden. Bei Hinzuziehung eines sachverständigen Generalstabsoffiziers aus irgendeiner der vertretenen Mächte würde sich dieses Dokument sofort als nebensächlich aufklären. Es ist eine reine Generalstabsstudie, und zwar der untergeordneten Organisationsabteilung, um das beste Schema für eine Führungsorganisation zu finden. Es handelte sich darum, sollten die Führungsstellen, Luftflotten, oder sollten Forts gebildet werden; es handelt sich auch darum, ob man ein Geschwader gemischt aus Jägern und Bombern, oder reinrassig nur aus Bombern oder Jägern zusammensetzt und derartige Fragen, die laufend und fortgesetzt von den Dienststellen eines Generalstabs, unabhängig von Krieg und Frieden, pflichtgemäß zu bearbeiten sind.

Daß solchen Bearbeitungen natürlich irgendwelche Annahmen, die im Bereich einer strategischen Möglichkeit liegen, zugrunde gelegt werden müssen, ist ja klar. In diesem Fall hat der Major als Grundlage angenommen eine Lage um 1950 oder bis 1950. Ein Zweifrontenkrieg, was ja noch nicht so absolut außer halb aller Möglichkeiten lag, nämlich eines Krieges einerseits mit England-Frankreich im Westen, und andererseits mit Rußland im Osten. Als Voraussetzung war angenommen, daß Polen in eigener Hand ist und Österreich in eigener Hand und ähnliches mehr.

Diese Studie ist niemals bis zu mir gelangt; ich habe sie hier erst kennengelernt. Das hat aber nichts zu bedeuten; da sie in meinem Ministerium, in meinem Generalstab gemacht ist, ist sie selbstverständlich auch auf meinen Befehl gemacht, denn solche Aufgaben habe ich im Generalrahmen gestellt, die Organisation, Führung und Zusammensetzung laufend an Kriegsspielen und Beispielen zu überprüfen. Völlig belanglos für die politische Beurteilung, völlig fehl am Platze hier in diesem Rahmen des Prozesses.


DR. STAHMER: Es wurde hier vor einigen Tagen auf eine Ansprache hingewiesen, die Sie vor Fliegeroffizieren gehalten haben sollen und in der es heißt: »Mir schwebt vor, eine Luftwaffe zu besitzen, die, wenn einmal die Stunde schlagen sollte, wie ein Chor der Rache über den Gegner hereinbricht; der Gegner muß das Gefühl haben, schon verloren zu sein, bevor er überhaupt mit Euch gefochten hat.« Ich lasse Ihnen diese Rede einmal vorlegen und bitte zu erklären, ob Sie sich zu dieser Rede bekennen und welche Bedeutung und welcher Zweck damit verfolgt war.


GÖRING: Dieses Zitat ist in der Anklage zweimal vorgebracht, einmal zu Beginn und zum zweiten neulich im Kreuzverhör mit dem Feldmarschall Milch. Es handelt sich um eine Ansprache, die in dem Buch »Reden und Aufsätze« von mir, das als Beweismaterial dem Gericht bereits eingereicht worden ist, enthalten ist. Die Rede betitelt sich »Kameradschaft, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft, [389] Ansprache an 1000 Fliegerleutnants am Tage ihrer Vereidigung in Berlin am 20. Mai 1936.«

In längeren Ausführungen habe ich hier tausend jungen aktiven Fliegeroffizieren am ersten Tage, da sie nun Offizier geworden waren, die Begriffe der Kameradschaft, der Pflichterfüllung, der Opferbereitschaft und der Einsatzbereitschaft auseinandergesetzt. Dieses Zitat ist nun hier völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Ich erlaube mir daher, oder bitte das Gericht um die Erlaubnis, einen kurzen Absatz vorher vorzulesen; dann bekommt das Ganze seinen richtigen Sinn; und ich bitte noch einmal die Atmosphäre darstellen zu dürfen:

Vor mir stehen 1000 junge, hoffnungsfrohe Fliegerleutnants, denen ich ja nun auch einen dementsprechend kämpferischen Geist zu geben hatte. Das hat mit Angriffskrieg nichts zu tun, sondern entscheidend war, daß meine Jungen, wenn es zum Krieg kommt, sei es so oder so, tapfere Burschen und Männer mit dem Willen zur Tat sein sollten. Das kurze Zitat vor diesen lautet:

»Ich verlange von Euch nichts Unmögliches. Ich verlange von Euch nicht, daß Ihr Musterknaben seid. Ich bin gerne großzügig. Ich verstehe, daß die Jugend Dummheiten machen muß, sonst wäre sie keine Jugend. Ihr könnt ruhig Streiche machen, dafür bekommt Ihr etwas auf den Kopf; aber das ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, daß Ihr ehrliebende, anständige Kerle, daß Ihr Männer seid. Ihr könnt Zicken machen, soviel Ihr wollt; aber wenn es in die Maschine geht, dann müßt Ihr Männer sein, entschlossen, alle Widerstände über den Haufen zu rennen. Das ist es, was ich von Euch verlange, mutige, tollkühne Kerle.« (Dokument 1856-PS)

Und dann kommt der Absatz, der soeben verlesen worden ist. »Mir schwebt vor,« et cetera, »eine Waffe zu besitzen« et cetera, »die wie ein Chor der Rache über den Gegner kommen soll.« Das hat nun nichts mit Rache zu tun, sondern »Chor der Rache« ist in Deutschland ein terminus technicus, ein übliches Wort. Ich hätte genau so sagen können... der Gegner wird ein anderes Wort in diesem Sinne gebrauchen.

In diesem Zusammenhang will ich nun nicht weiter vorlesen. Was dann noch weiterging, das ist durchaus verständlich; denn man muß sich vorstellen, vor wem ich sprach.

DR. STAHMER: In welchem Umfange haben Sie an der wirtschaftlichen und militärischen Vorbereitung des Planes »Barbarossa« mitgewirkt?

GÖRING: Militärisch selbstverständlich; als Oberbefehlshaber der Luftwaffe habe ich alle notwendigen Maßnahmen getroffen, die auf rein militärischem Gebiet für die Vorbereitung eines solchen [390] Feldzuges liegen. Es hat mit Zustimmung, Ablehnung, wie ich neulich schon ausführte...

... Militärisch traf ich die selbstverständlichen Vorbereitungen, die bei einem neuen strategischen Aufmarsch jeweils notwendig sind, die jeder Offizier pflichtgemäß zu erfüllen hat, und wozu die Offiziere der Luftwaffe von mir ihren Befehl bekommen haben. Im einzelnen, glaube ich, dürfte es das Hohe Gericht nicht interessieren, wie ich den Aufmarsch meiner Luftflotte vollzogen habe. Entscheidend war bei den ersten Angriffen, mit ganzer Wucht wiederum als Hauptziel die feindliche Luftwaffe zu zerschlagen. Unabhängig von diesen rein militärisch pflichtgemäßen Vorbereitungen liefen wirtschaftliche Vorbereitungen, die nach den Erfahrungen der vorhergehenden Kriege – Polen, Westkriege – notwendig erschienen, im Fall Rußland doppelt notwendig, denn hier trafen wir ja eine völlig andere Konstruktion des Wirtschaftslebens an als in den übrigen Ländern des Kontinents. Denn hier handelte es sich um eine Staatswirtschaft und Staatseigentum; eine Privatwirtschaft und Privateigentum nennenswerten Umfangs war nicht gegeben.

Daß ich damit beauftragt wurde, war wiederum selbstverständlich gegeben aus der Tatsache, daß ich als Beauftragter des Vierjahresplans die gesamte Wirtschaft lenkte und mit Weisungen zu versehen hatte. Ich habe deshalb den Wehrwirtschaftsstab beauftragt, unter Heranziehung von wirtschaftlichen Kennern Rußlands einen allgemeinen Wirtschaftsplan für den Vormarsch aufzustellen, um so mehr als man damit rechnen mußte, daß bei einem Vordringen Rußland nach alten bewährten Verfahren große Teile seiner Wirtschaft zerstören würde. Aus diesen vorbereitenden wirtschaftlichen Mobilmachungsarbeiten ergab sich die sogenannte »Grüne Mappe«.

Ich bin der Auffassung, daß in jedem künftigen Kriege, und auch in vergangenen von anderer Seite, neben einer militärischen und politischen Mobilmachung auch stets eine wirtschaftliche sein muß; sonst kommt man in sehr unangenehme Lagen hinein.

Die »Grüne Mappe« ist wiederholt zitiert worden; auch hier sind zum Teil Zitate aus dem Zusammenhang herausgerissen. Ich möchte, um die Zeit abzukürzen, nun nicht aus dieser »Grünen Mappe« weitere Zitate vorlesen; das kann vielleicht im Dokumentenbeweis geschehen. Würde ich aber hier die gesamte »Grüne Mappe« von A-Z, von Anfang bis Ende vorlesen, so würde das Gericht erkennen, daß es sich hier um eine sehr zweckmäßige und zweckdienliche Arbeit für eine Wehrmacht handelt, die in ein Gebiet mit vollkommen veränderter wirtschaftlicher Struktur vorzustoßen hat; das Gericht würde auch erkennen, daß nur so gearbeitet werden kann. Sie enthält viel Positives und sie enthält da und dort einen Satz, der für sich zitiert, wie es geschehen ist, ein falsches Bild ergibt.

[391] Alles in allem sieht es unter anderem auch Entschädigungen vor, und alles ist festgesetzt. Daß man für die Fortführung einer Wirtschaft, die im Besitz eines Staates ist, von dem Augenblick an, da man mit diesem Staat in feindselige Berührung kommt, sorgen muß, soweit natürlich von Interesse für den eigenen Kriegsbedarf, ist ebenfalls eine Selbstverständlichkeit.

Zur Abkürzung der Zeit aber verzichte ich auf die Verlesung jener mich außerordentlich entlastenden Seiten, weil ich im großen Ganzen ja sowieso erkläre, daß die Inanspruchnahme der russischen Staatswirtschaft nach Eroberung von Gebieten für deutsche Zwecke ebenso selbstverständlich und pflichtgemäß für uns war, wie umgekehrt auch Rußland augenblicklich, als es deutsche Gebiete besetzte, dasselbe tat, nur mit dem Unterschied, daß wir nicht bis zur letzten Schraube die gesamte russische Wirtschaft derartig abdrosselten, abmontierten und zurückführten, wie das hier der Fall ist. Es sind dies Maßnahmen, die sich aus der Kriegsführung ergeben. Ich übernehme dafür selbstverständlich die volle Verantwortung.


DR. STAHMER: Es ist eine Aktennotiz vorgelegt worden als Dokument Nummer 2718-PS; sie lautet:

»Aktennotiz über Ergebnis der heutigen Besprechung mit den Staatssekretären über ›Barbarossa‹. Sie hat folgenden Wortlaut:

›1. Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die gesamte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Rußland ernährt wird.

2. Hierbei werden zweifellos 'zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird‹.«

Haben Sie von dem Inhalt dieser Besprechung der Staatssekretäre und dieser Aktennotiz Kenntnis erhalten?

GÖRING: Ich kenne das Dokument erst, seitdem es mir hier vorgelegt worden ist. Es ist dies ein etwas unsicheres Dokument. Man erkennt nicht klar, wer dabei war, wo es besprochen wurde und wer die Verantwortung für den darin ausgedrückten Unsinn hat.

Es ist selbstverständlich, daß im Rahmen der gesamten Referentenbesprechungen auch viel Dinge geredet worden sind, die sich vollkommen unsinnig dar stellen.

Die Deutsche Wehrmacht wäre weiterhin ernährt worden, auch wenn es zu keinem Kampf mit Rußland gekommen wäre. Es war also nicht so, wie man hier vielleicht schließen konnte, daß wir, um die Deutsche Wehrmacht zu ernähren, Rußland angreifen mußten. Sie ist vor dem Angriff auf Rußland ernährt worden und wäre auch weiterhin ernährt worden. Wenn wir aber in Rußland einmarschieren und vormarschieren, dann ist es selbstverständlich, daß [392] die Wehrmacht zunächst immer und überall aus dem Lande ernährt wird. Die Ernährung von einigen Millionen Menschen, zwei oder drei, wenn ich den großen, den gesamten Aufmarsch in Rußland nehme mit allem dazu gehörigen Gefolge, alles was dranhängt, kann nicht bewirken, daß zig und zig Millionen andererseits deshalb verhungern; denn der Soldat kann beim besten Willen nicht auf der einen Seite so viel aufessen, daß es auf der anderen Seite für die dreifache Zahl nicht reichen sollte. De facto und tatsächlich ist die Bevölkerung auch nicht verhungert. Eine Hungerkatastrophe war allerdings in den Bereich der Möglichkeit getreten, jedoch nicht deshalb, weil die Deutsche Wehrmacht sich aus Rußland versorgen sollte, sondern wegen der Zerstörung oder Wegnahme des gesamten Saatgutes durch die Russen. Zunächst konnte mit den unzulänglichen Mitteln die auf dem Felde stehende Ernte, die auch von den zurückgehenden russischen Truppen zum Teil bereits vernichtet war, nicht annähernd hereingebracht werden; zweitens bestand eine außerordentliche Gefahr für die kommende Herbst-und Frühjahrsbestellung, da nichts dafür vorhanden war an Gerät und Saatgut.

Wenn trotzdem diese Krise überwunden wurde, dann nicht deshalb, weil die russischen Truppen alles vernichtet und zurückgeführt hatten, sondern deshalb, weil Deutschland einen scharfen Eingriff in seine eigenen Bestände machen mußte. Traktoren, Maschinen landwirtschaftlicher Art, Sensen und alles mögliche mußte herangeschafft werden, sogar Saatgut; die Truppen konnten zunächst nicht aus dem Lande verpflegt werden, sondern die Verpflegung mußte aus Deutschland nachgeschafft werden, darüber hinaus sogar noch Stroh und Heu.

Erst durch äußerste Anstrengung der Organisation und Verwaltung konnte in Zusammenarbeit mit der Einwohnerschaft allmählich der Ausgleich wieder auf dem landwirtschaftlichen Sektor und auch ein Überschuß für die deutschen Gebiete erzielt werden.

Soweit mir bekannt ist, ist eine Hungerkatastrophe nur in Leningrad selbst eingetreten, wie das auch hier erwähnt worden ist.

Nun war Leningrad eine Festung, die belagert wurde. Ich habe ebenfalls in der Kriegsgeschichte bis heute kein Beispiel dafür, daß der Belagerer die Belagerten ausgiebig mit Lebensmitteln versorgt, damit sie weiter längeren Widerstand leisten können, sondern ich habe immer nur die Beispiele aus der Kriegsgeschichte, daß Belagerung und Blockade alles tun, um die Übergabe der Festung durch Abschneiden der Lebensmittelzufuhr zu erzwingen. Wir hatten also keine Verpflichtung, weder völkerrechtlich noch nach den Grundlagen militärischer Kriegsführung, belagerte Festungen oder Städte mit Lebensmitteln zu versorgen.

DR. STAHMER: Welchen Anteil hatte die Luftwaffe an den Angriffen auf Leningrad?

[393] GÖRING: Die Luftwaffe um Leningrad war sehr schwach. Der nördlichste Teil unseres Aufmarsches war am schwächsten mit Luftwaffe ausgestattet, so daß die Luftwaffe dort sehr viel Aufgaben gleichzeitig zu erfüllen hatte. Es ist zu keinem Zeitpunkt zu irgendeinem auch nur nennenswerten konzentrierten Angriff der Luftwaffe auf Leningrad gekommen, wie wir solche Angriffe auf andere Städte gemacht haben oder wie solche Angriffe in ausgiebigstem Maße auf deutsche Städte unternommen worden sind.

Der Führer hat mir nicht einmal, sondern wiederholte Male in Gegenwart der anderen Herren bei den Lageberichten Vorwürfe darüber gemacht, daß scheinbar die deutsche Luftwaffe sich nicht nach Leningrad hineintraut. Ich habe ihm darauf erwidert:

»Solange meine Luftwaffe bereit ist, in die Hölle von London zu fliegen, wird sie wohl auch bereit sein, das luftmäßig sehr viel schwächer verteidigte Leningrad anzugreifen. Ich habe aber dazu nicht die nötigen Kräfte; außerdem dürfen Sie mir dann nicht soviel Aufgaben für die Luftwaffe im Norden der Front stellen, wie zum Beispiel die Verhinderung des Nachschubs über den Ladogasee und andere Aufgaben mehr.«

Es sind deshalb nur Angriffe geflogen worden, einmal auf Kronstadt und auf die im Vorhafen von Leningrad liegende Flotte und sonstige Ziele, wie schwere Batterien. Es war mir auch interessant, einmal aus den Zeugenaussagen des vereidigten russischen Professors für Museen zu hören, daß die deutsche Luftwaffe in erster Linie Museen zerstören sollte und dann, die nicht vereidigte Zeugenaussage des russischen – ich weiß es nicht – Metropoliten oder wie er sich nennt, der den Eindruck hatte, daß meine Luftwaffe in erster Linie seine Kathedralen als Ziel betrachtete. Ich mache auf diesen Widerspruch in der Auffassung aufmerksam, für Nichtfachleute vielleicht verständlich. Tatsächlich aber war Petersburg im vordersten Kampfrahmen auch nicht notwendig von der Luftwaffe her anzugreifen, da die eigene Artillerie, die mittlere und schwere, bis in die Stadt genügend hineinreichten.

DR. STAHMER: Hat sich die Beschlagnahme seitens der Besatzungsmacht in Rußland auf staatliches Eigentum beschränkt?

GÖRING: Ich habe im Zusammenhang mit der letzten Frage vergessen, etwas kurz zu erwähnen. Es ist von sehr vielen Zerstörungen in Rußland gesprochen worden, und es sind auch Bilder im Film gezeigt worden, die an sich eindrucksvoll, für einen Deutschen deshalb nicht so eindrucksvoll waren, weil sie nur ein bescheidenes Ausmaß jener Zerstörungen darstellen, die wir persönlich in unseren Städten erlebten. Aber ich möchte darauf hinweisen, daß viele dieser Zerstörungen im Verlaufe von Schlachten und Kampfhandlungen zustande gekommen sind; es war also nicht[394] beabsichtigt, daß sie von der Luftwaffe oder Artillerie zerstört werden sollten; sondern, auch wenn es sich um historische Stätten oder Kunststätten handelte, geschah die Zerstörung sehr häufig im Zusammenhang mit Kampfhandlungen.

Auch in Deutschland werden Persönlichkeiten von dem Rang eines Musikers und Komponisten wie Tschaikowsky und Dichter wie Tolstoj und Puschkin viel zu hoch verehrt, als daß absichtlich eine Zerstörung der Grabstätten dieser bedeutenden und großen Kulturschaffenden jemals beabsichtigt gewesen wäre.

Nun zur Frage, ob nur Staatseigentum beschlagnahmt worden ist. Soweit ich weiß, ja.

Hinsichtlich des Privateigentums, wie hier in Staatsberichten vorgetragen wurde, könnte ich mir denken, daß im kalten Winter 41/42 von deutschen Soldaten Pelzstiefel oder Filzstiefel oder Schafpelze da und dort den Einwohnern abgenommen worden sind; das ist durchaus möglich. Im großen und ganzen gab es aber kein Privateigentum, infolgedessen war kein solches zu beschlagnahmen. Ich persönlich kann nur von einem kleinen Ausschnitt sprechen, der Umgebung der Stadt Winniza und der Stadt Winniza selbst. Als ich mich mit meinem Sonderzug dort als Hauptquartier aufhielt, war es so, daß ich wiederholt die Bauernkaten, die Dörfer und die Stadt Winniza besuchte, weil mich das Leben dort interessierte.

Ich habe dort eine so unvorstellbare Armut festgestellt, daß ich mir mit bestem Willen nicht erklären kann, was man dort hätte nehmen sollen.

Als nebensächliches, aber instruktives Beispiel möchte ich erwähnen, daß für leere Marmeladegläser, Konservenbüchsen oder auch leere Zigarren- oder Zigarettenschachteln von den Einwohnern auffallende Angebote an Eiern und Butter gemacht wurden, da sie diese primitiven Gegenstände für außerordentlich erstrebenswert gehalten haben. In diesem Zusammenhang möchte ich auch betonen, daß von meiner Seite, und soviel ich weiß, von keiner deutschen Seite bewußt Theater und dergleichen zerstört worden sind. Ich kenne nur das Theater in Winniza; das habe ich besichtigt. Die dortigen Schauspieler und Schauspielerinnen und Ballett habe ich gesehen. Das erste, was ich tat, war, daß ich für diese Leute Stoffe, Kleider und alles mögliche kommen ließ, weil sie nichts hatten.

Das zweite Beispiel, die Zerstörung von Kirchen. Auch nur aus eigenem Erlebnis in Winniza. Dort wohnte ich der Einweihung der größten Kirche bei, die vorher jahrelang ein Magazin gewesen war und nun unter deutscher Verwaltung wieder in eine Kirche umgestaltet wurde. Die Geistlichkeit bat mich, bei dieser Einweihung zugegen zu sein; alles war mit Blumen geschmückt; ich habe aber abgelehnt, da ich dem griechisch-orthodoxen Glauben nicht angehöre.

[395] Was die Plünderung von Läden anbelangt, so konnte ich in Winniza nur einen einzigen Laden feststellen, in dem nichts drin war.


DR. STAHMER: Welche Bedeutung hatte das Arbeitslager »Dora« für die Luftwaffe, das in der französischen Anklage erwähnt worden ist?


GÖRING: Ich muß noch vorher erwähnen, daß auch der Vorwurf, daß wir die Industrie überall zerstört haben, nicht richtig ist, sondern daß wir einen großen Teil der Industrie schon für eigene Zwecke wieder aufbauen mußten.

So erinnere ich an den berühmten Staudamm Dnjepropetrowsk, der zerstört war und für die Elektrizitätsversorgung der ganzen Ukraine und sogar auch des Donezgebietes entscheidend gewesen ist.

Über Gewerbe und Landwirtschaft habe ich vorhin schon gesprochen; wir fanden den Befehl der verbrannten Erde, wie er von den Russen ausgegeben war, vollkommen durchgeführt. Diese verbrannte Erde, Zerstörung aller Vorräte und vorhandenen Dinge, war eine sehr schwer zu überwindende Situation. Es sind deshalb auch wirtschaftlich große Aufbauten gemacht worden.

Bei der Zerstörung von Städten möchte ich noch hinzufügen, daß über das Maß dessen hinaus, was beim Vormarsch oder Rückzug im Verlaufe von Kämpfen zerschossen wurde, ein beträchtlicher Teil und wichtige Gebäude großer Städte unterminiert waren; sie flogen dann zeitgemäß in die Luft und forderten zahlreiche deutsche Opfer. Als zwei Hauptbeispiele nenne ich Odessa und Kiew.

Nun zur Frage des Lagers »Dora«. Das Lager »Dora« habe ich ebenfalls hier als Begriff zum erstenmal gehört. Selbstverständlich kannte ich die unterirdischen Werke, die in der Nähe von Nordhausen waren; ich war zwar selbst nicht dort. Aber diese waren ziemlich frühzeitig errichtet worden. Es wurde dort zunächst vor allen Dingen die Fabrikation von V 2 und V 1 betrieben. Die Zustände, wie in dem Lager »Dora« geschildert, kenne ich nicht. Ich halte sie auch für übertrieben. Aber es ist selbstverständlich, daß ich wußte, daß unterirdische Werke hergestellt wurden. Ich war auch daran interessiert, daß weitere für die Luftwaffe hergestellt wurden. Ich sehe auch nicht ein, daß die Herstellung von unterirdischen Bauten etwas besonders Schlimmes oder Vernichtendes sei.

Ich habe ein großes unterirdisches Werk in Kahla in Thüringen für die Flugzeugfabrikation errichten lassen, an dem zum großen Teil deutsche Arbeiter, zum anderen Teil russische Arbeiter und Kriegsgefangene arbeiteten. Dort habe ich mich persönlich von der Arbeit überzeugt und an dem Tage auch eine gute Stimmung gefunden und den Leuten anläßlich meines Erscheinens – Deutschen wie Ausländern und Kriegsgefangenen – auch Zulagen an Getränken, Zigaretten und ähnlichem mitgebracht.

[396] Die übrigen unterirdischen Werke, wofür ich auch KZ-Häftlinge angefordert habe, kamen nicht mehr zur Durchführung. Daß ich KZ-Häftlinge für die Luftwaffenindustrie angefordert habe, ist richtig, ist auch in meinen Augen selbstverständlich, denn im einzelnen kannte ich zu der damaligen Zeit nicht die Zusammensetzung der Konzentrationslager. Ich wußte nur, daß sich auch eine ganz große Reihe von Deutschen darin befand, solche, die Kriegsdienst verweigert hatten, politisch unzuverlässig waren, oder die sonstige Strafen hatten, wie das während der Kriegszeit ja auch in anderen Ländern zum Teil gewesen ist. Nun mußte in Deutschland damals alles arbeiten; es wurden auch die Frauen zu dieser Zeit in den Arbeitseinsatz gebracht, auch solche, die früher nie gearbeitet hatten. Auch in meinem Hause wurde eine Fallschirmherstellung errichtet, an der sich alles zu beteiligen hatte; ich sah nicht ein, wenn das ganze deutsche Volk sich an Arbeit beteiligt, warum nicht auch Häftlinge, gleichgültig, ob sie in Gefängnissen, KZ, oder sonstwo sind, nicht in jede Produktion eingeschleust werden, die kriegswichtig ist.

Im übrigen bin ich der Überzeugung, daß es sicherlich für KZ-Häftlinge, nach dem, was ich heute weiß, besser war, in irgendeiner Flugzeugfabrik zu arbeiten und untergebracht zu sein, als vielleicht in ihrem Lager. Die Sache an sich, daß sie arbeiteten, ist selbstverständlich, und daß sie auch in der Produktion arbeiteten, ebenso. Daß Arbeit aber Vernichtung bedeutet, ist für mich ein neuer Begriff. Mag sein, daß er da und dort angestrebt war, aber jedenfalls hatte ich ein Interesse daran, daß die Leute nicht vernichtet wurden, sondern arbeiteten und damit Werte schafften. Die Arbeit an sich war die gleiche, die deutsche Arbeiter leisteten, nämlich Herstellung von Flugzeugen und Flugzeugmotoren; ich konnte keinerlei beabsichtigte Vernichtung dabei sehen.


DR. STAHMER: Unter welchen Voraussetzungen sind Kriegsgefangene für die Flak verwendet worden?


GÖRING: Für die Flak sind Kriegsgefangene verwendet worden, und zwar in der Hauptsache für jene Batterien, die in der Heimat als sogenannte ortsfeste Batterien zum Schutz von Werken und Städten standen. Und zwar handelt es sich hier um sogenannte Hilfsfreiwillige. Es waren in der Hauptsache russische Kriegsgefangene, aber nicht durchwegs, soviel ich mich erinnere. Man darf nicht vergessen, daß es in Rußland ja verschiedene Völkerschaften gab, die nicht durchaus einheitlich und nicht einheitlich zu dem dortigen System standen. Genau so, wie es sogenannte Ostbataillone aus Freiwilligen gab, so hat sich auch eine große Zahl von Freiwilligen auf Bekanntgabe in den Lagern für die Bedienung von Flakbatterien gemeldet. Wir hatten auch eine ganze Division von freiwilligen russischen Kriegsgefangenen, die gegen ihr Land kämpfen wollten.

[397] Ich schätze die Leute nicht, aber im Kriege nimmt man, was man bekommt. Es ist auf der anderen Seite nicht anders gewesen.

Die Hilfsfreiwilligen gingen deshalb ganz gerne zur Flak, weil ihre Arbeit dort erheblich geringer und ihre Verpflegung als Truppenverpflegung besser war; was sonst die Gründe gewesen sein mögen, weiß ich im einzelnen nicht. Immerhin, wenn man eine örtliche deutsche Flakbatterie des Jahres 1944 oder 1945 ansah, so machte sie, das gebe ich zu, einen etwas eigentümlichen Eindruck. Es waren die jungen Deutschen, die Jungens von 15-16, die alten Männer zwischen 55-60, zum Teil Frauen, zum Teil Hilfsfreiwillige aller Völker. Ich nannte sie deshalb immer meine »Zigeunerbatterien«. Aber sie schossen, und das war das entscheidende.


DR. STAHMER: In welchem Verhältnis stand Sauckel dienstlich zu Ihnen?


GÖRING: Ich erwähnte, daß im Vierjahresplan bereits 1936 ein Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz vorhanden war. Im Jahre 1942, nachdem er krank geworden war und durch einen anderen vertreten wurde, wurde ich durch die Ernennung eines neuen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, durch den Führer unmittelbar und ohne meine Mitwirkung, überrascht. Aber da der Führer zu jener Zeit schon sehr viel stärker immer unmittelbar in die Probleme eingriff, tat er dies hier auch, weil die Arbeiterfrage von Tag zu Tag brennender geworden war. Es war ihm auch vorgeschlagen worden, einen neuen Beauftragten einzusetzen, zunächst allerdings einen Gauleiter mit einem anderen Namen, den von Schlesien. Der Führer wählte aber den Gauleiter von Thüringen, Sauckel, aus, und ernannte ihn zum Bevollmächtigten.

Der Erlaß ist gegengezeichnet von Lammers, nicht von mir; das ist aber bedeutungslos; er wurde formell in den Vierjahresplan hineingestellt, denn der Vierjahresplan hatte die Generalvollmachten für alle wirtschaftlichen Dinge. Deshalb wurde zum Schluß selbst noch die Einsetzung von Goebbels als Generalbevollmächtigten für den totalen Krieg, der nun mit mir gar nichts zu tun hatte, auch noch in die Vollmacht des Vierjahresplans eingeschleust; sonst wäre das ganze Gesetzgebungswerk des Vierjahresplans, das ich allmählich in seinen Vollmachten aufgebaut hatte, zusammengekracht und es hätten völlig neue Verhältnisse geschaffen werden müssen.

Wenn auch Sauckel seine Befehle in erster Linie zu dem damaligen Zeitpunkt und von dort ab vom Führer erhielt, weil der Führer auf all diesen Gebieten jetzt selbst schärfer eingriff, so habe ich seine Ernennung, gerade die seiner Person begrüßt, weil ich ihn als einen unserer ruhigsten, bewährtesten Gauleiter kannte und auch überzeugt war, daß er sich dieser Aufgabe ganz widmen würde.

Die Verbindung mit den Dienststellen des Vierjahres plans war natürlich gewahrt und bei wichtigen gesetzgeberischen Erlassen [398] wurde, soviel ich weiß, auch von Sauckel mit meinen, den Dienststellen des Vierjahresplans zusammengearbeitet. Sauckel selbst hielt mir auch einige Male Vortrag, nachdem er beim Führer gewesen war, und sandte mir auch einige jener Berichte, die er dem Führer zugesandt hatte. Wenn auch nicht im einzelnen, war ich im großen ganzen orientiert.


DR. STAHMER: Im März 1944 sind 75 englische Fliegeroffiziere aus dem Gefangenenlager Stalag Luft III geflohen. Wie Ihnen sicher aus der Verhandlung bekannt ist, sind 50 dieser Offiziere nach ihrer Gefangennahme durch den SD erschossen worden. Ist diese Erschießung von Ihnen befohlen? Hatten Sie von diesem Vorhaben Kenntnis?

GÖRING: Ich lernte den Vorgang genau, leider zu einem späteren Zeitpunkt kennen. Als der Ausbruch dieser 75 oder 80 englischen Fliegeroffiziere im letzten Drittel des März erfolgte, befand ich mich auf Urlaub, wie ich unter Beweis stellen kann. Ich hörte ein oder zwei Tage später zunächst von diesem Ausbruch. Da aber schon vorher einige Großausbrüche erfolgt waren, von denen nach wenigen Tagen immer wieder das Gros ins Lager zurückgebracht wurde, glaubte ich auch diesmal, daß dasselbe geschehen würde. Als ich zurückkehrte vom Urlaub, wurde mir von meinem damaligen Generalstabschef mitgeteilt, daß ein Teil, er konnte damals die Zahl nicht nennen, dieser entflohenen Fliegeroffiziere erschossen worden sei.

Zum Teil habe sich das in unserer Luftwaffe herumgesprochen und Erregung hervorgerufen; man fürchtete auch Repressalien.

Ich fragte, von wem er das wüßte, und was sich hier ereignet habe. Er sagte, er wisse nur so viel, daß ein Teil der Ausgebrochenen in der Umgebung des Lagers wieder von den Lagerwachen und den in der unmittelbaren Umgebung liegenden Instanzen festgenommen und ins Lager wieder zurückgebracht worden sei. Diesen sei nichts geschehen. Hingegen, die weiter ab vom Lager gefaßt worden seien, von deren Schicksal wüßte er nur, daß ein Teil von diesen erschossen worden sei.

Ich wandte mich nun an Himmler und fragte ihn. Er bestätigte mir das, ohne daß er mir auch eine feststehende Zahl nannte, und sagte mir, daß er diesen Befehl vom Führer bekommen habe.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß dies ja doch völlig unmöglich sei, und daß ja gerade die englischen Offiziere verpflichtet seien, zumindestens 1 oder 2 Ausbrüche zu versuchen, das wußten wir ja. Er sagte, glaube ich, er habe auch dem Führer zunächst widersprochen, aber der Führer habe absolut darauf bestanden, da er erklärte, diese Ausbrüche in diesem Umfang stellten eine außerordentliche Gefährdung der Sicherheit dar.

[399] Ich habe ihm dann gesagt, daß dies zu schwerster Erregung in meiner Waffe führen würde, da kein Verständnis dafür vorhanden sei; wenn er derartige Befehle gäbe, dann könnte er mich zumindest vorher unterrichten, bevor er sie durchführte, um mir die Möglichkeit zu geben, derartige Befehle, wenn es möglich sei, abzustellen. Ich habe dann nach dieser Unterrichtung den Führer persönlich darauf angesprochen. Der Führer hat mir bestätigt, daß er diesen Befehl gegeben habe, und hat mir auseinandergesetzt, warum, und zwar aus den oben erwähnten Gründen. Ich habe ihm auseinandergesetzt, warum dieser Befehl nach unserer Auffassung völlig unmöglich sei und welche Rückwirkung er beim Einsatz meiner Flieger nunmehr auch gegenüber dem Westgegner haben werde.

Der Führer hat – damals war unser Verhältnis schon außerordentlich schlecht und gespannt – mir ziemlich heftig geantwortet, daß ja die Flieger, die gegen Rußland fliegen, auch damit rechnen müßten, daß sie sofort bei einer Notlandung erschlagen würden; und die Flieger, die gegen den Westen fliegen, sollten hier kein besonderes Vorrecht in dieser Richtung für sich in Anspruch nehmen wollen. Ich erklärte ihm, daß das miteinander nichts zu tun hätte.

Ich habe daraufhin mit meinem Generalstabschef gesprochen und diesen veranlaßt – es war, glaube ich, der Generalquartiermeister –, an das OKW zu schreiben, daß ich, beziehungsweise die Luftwaffe, nunmehr bäte, daß die Lager ihr abgenommen würden.

Ich wollte nun nichts mehr mit Gefangenenlagern zu tun haben, falls solche Dinge weiter eintreten würden. Dieses Schreiben liegt im Gesamtzusammenhang der Ereignisse, wenige Wochen nach diesen Ereignissen. Das ist das, was ich über diese Sache weiß.


DR. STAHMER: Der Zeuge von Brauchitsch hat kürzlich bekundet, daß im Mai 1944 der Führer strengste Maßnahmen gegen die sogenannten Terrorflieger befohlen hat. Sind von Ihnen in Befolgung dieses Führerbefehls Anweisungen zur Erschießung von feindlichen Terrorfliegern oder zu deren Auslieferung an den SD erlassen worden?


GÖRING: Der Begriff Terrorflieger ging sehr durcheinander. Ein Teil der Bevölkerung, auch der Presse, nannte mehr oder weniger alles Terrorflieger, was Städte angriff. Es war eine außerordentliche Erregung in das deutsche Volk gekommen durch die sehr schweren und fortlaufenden Angriffe auf deutsche Städte, wobei die Bevölkerung zum Teil sah, daß die eigentlich wichtigen industriellen Ziele weniger getroffen wurden als die Wohnungen und die nichtmilitärischen Ziele. So waren einige deutsche Städte aufs allerschwerste schon in ihren Wohngebieten getroffen, ohne daß die bei diesen Städten liegende Industrie wesentlich angeschlagen war.

Es kamen dann mit dem weiteren Hereinkommen der feindlichen Streitkräfte die sogenannten Tiefflieger auf, die zum Teil militärische [400] Ziele, zum Teil nichtmilitärische Ziele angriffen. Es wurde immer wieder dem Führer gemeldet – auch ich hörte von diesen Meldungen –, daß die Zivilbevölkerung mit Maschinengewehren oder Maschinenkanonen angegriffen wurde, auch einzelne Fahrzeuge, die als zivile zu erkennen waren, ferner Sanitätsautos, die mit dem roten Kreuz versehen waren. Einmal wurde eine Meldung erstattet – ich erinnere mich genau, weil sie den Führer besonders erregte-, daß in einen Haufen Kinder hineingeschossen worden war.

Es wurde auch auf Männer und Frauen, die an Geschäften anstanden, geschossen; das wurde nun eigentlich als Terrorflieger bezeichnet. Der Führer war außerordentlich erregt.

In der Bevölkerung geschahen zunächst Lynchakte in der Erregung; gegen diese wurde zunächst auch eingeschritten. Ich habe dann gehört, daß über die Polizei und über Bormann eine Anweisung herausgegeben wurde, nicht dagegen einzuschreiten. Die Meldungen häuften sich weiter, und der Führer befahl nun oder äußerte sich in dieser Richtung, daß die Terrorflieger an Ort und Stelle zu erschießen seien. Durch die Vernehmung von Fliegern war vorher von mir festgestellt worden, daß ihnen seitens ihrer Vorgesetzten derartige Angriffe verboten waren, und daß sie nur wirklich militärisch erkennbare Ziele mit den Bordwaffen angreifen durften. Es wurde nun in solchen Fällen öfter eine Heranziehung aller Stellen, die damit zu tun hatten, angeordnet. Wir waren uns klar – wie Brauchitsch schon sagte –, nicht nur wir in der Luftwaffe, sondern auch im OKW und anderen militärischen Stellen, daß hier ein Befehl sehr schwer zu formulieren und zu vertreten sei.

Zunächst mußte überhaupt einmal der Begriff, »was ist Terrorflieger«, einwandfrei festgestellt werden. Hierzu wurden vier Punkte gefunden, die hier ja schon verlesen worden sind. Die Debatte ging darüber hin und her.

Ich hatte generell meine Auffassung dahin geäußert, daß diese Flieger, da sie ja von ihren eigenen Vorgesetzten ein Verbot hierfür hatten, gerichtlich durch die Kriegsgerichte jederzeit bestraft werden konnten. Nach längerem hin und her jedenfalls ist es zu keinem abschließenden Befehl gekommen. Es ist auch keine Luftwaffendienststelle angewiesen worden, irgend etwas in dieser Richtung zu unternehmen.

Nach dem Dokument, in dem am 6. Juni 1944 davon gesprochen wird, daß eine Unterredung zwischen Himmler, Ribbentrop und mir in Kleßheim stattgefunden habe, und das von Warlimont unterzeichnet ist, sagt Warlimont, Kaltenbrunner habe ihm erklärt, er habe erfahren, daß solch eine Besprechung stattgefunden habe. Sie sagt nicht, daß sie stattgefunden hat. Nun ist der 6. Juni 1944, wie schon Brauchitsch ausführte, ein ganz markanter Tag, denn es ist der Tag der Invasion in Frankreich. Ich weiß in diesem Augenblick [401] nicht genau, wer nach Kleßheim kam. Kleßheim, ein Schloß bei Berchtesgaden, war dafür eingerichtet, wenn Verbündete oder ausländische Missionen kamen.

Schon lange vorher war es üblich, daß ich als Oberbefehlshaber der Luftwaffe, wenn solche alliierten Besuche kamen, nicht da war; denn jeder dieser Besuche wollte in erster Linie bei den Unterredungen natürlich eine Hilfe durch die deutsche Luftwaffe, forderte immer wieder deutsche Luftwaffenstreitkräfte beziehungsweise Maschinen an, gleichgültig, ob das Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Finnland, Italien oder wer sonst war.

Nun hatte ich die Praxis, in solchen Fällen nicht da zu sein, um dem Führer Gelegenheit zu geben, auszuweichen und zu sagen, ich muß mich erst mit dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe besprechen. So war ich meines Erinnerns auch bereits am 4., oder schon am 3. von Berchtesgaden weggefahren und befand mich hier auf meiner Besitzung in der Nähe von Nürnberg. Der begleitende Generalstabsoffizier, der Arzt und mehrere andere werden dies – wenn notwendig – aussagen können. Hier habe ich in den Morgenstunden von der Invasion erfahren. Brauchitsch irrt in einem, daß dies schon als Invasion durchgegeben wurde; im Gegenteil, auf meine Rücktrage wurde gesagt, es läßt sich noch nicht klar erkennen, ob es sich um ein Ablenkungsmanöver oder um die tatsächliche Invasion handelt. Daraufhin bin ich erst in den späten Abendstunden oder Nachmittagsstunden nach Berchtesgaden zurückgekommen; man fährt von hier 41/2 Stunden und ich bin – ich kann mich genau erinnern – erst nach dem Mittagessen abgefahren. Ich habe also an keiner Unterredung in Kleßheim und auch an keinem anderen Ort mit Himmler oder Ribbentrop über diese Frage teilgenommen, das möchte ich ausdrücklich betonen.

Die Besprechungen hierüber führten mein Adjutant Brauchitsch beziehungsweise mein Generalstabsoffizier; er ist es auch gewesen, der dem OKW damals als meine Auffassung, ohne mich nochmals zu befragen, mitteilte, es sei richtig, in solchen Fällen ein Gerichtsverfahren durchzuführen.

Das Entscheidende aber ist, daß an keine Dienststelle der Luftwaffe, weder an das Durchgangslager und Vernehmungslager in Oberursel, noch an irgendeinen Truppenteil ein diesbezüglicher Befehl als Führerbefehl oder Befehl von mir hinausgegangen ist.

Es gibt ein Dokument über eine Meldung des Luftgaues XI, das hier verlesen wurde. In ihm wird, glaube ich, von der Erschießung amerikanischer Flieger gesprochen; es wird hiermit in Zusammenhang gebracht, weil vom Luftgau XI die Rede ist. Ich habe das Dokument – es handelt sich um zwei sehr eingehende Anlagen – durchgesehen. Es ist hier deutlich und klar ausgesprochen, daß der Luftgau XI meldet, eine abgesprungene Besatzung, die von einem [402] Truppenteil, der nicht der Luftwaffe angehörte, aus dem See gerettet worden ist, sei auf dem Transport zum Fliegerhorst durch die Polizei – es ist auch die Polizeistelle genau angegeben – erschossen worden. Sie ist also dort nicht angekommen, sondern vorher durch die Polizei erschossen worden.

Nun meldet pflichtgemäß der Luftgau XI diese Ereignisse. In der Anlage ist jeder einzelne genau namentlich bezeichnet und auch, was aus ihm geworden ist, einige kamen ins Lazarett, einige wurden, wie gesagt, erschossen. Diese Meldungen und jeder einzelne Meldebogen erklärt sich daraus, daß die Dienststellen der Luftgaue, als die bodenständigen Dienststellen in der Heimat, angewiesen waren – unabhängig, ob ein Absturz oder eine Notlandung eines eigenen oder feindlichen Flugzeuges vorlag –, eine automatische Meldung auf einem vorgedruckten Bogen abzugeben: »Um so viel Uhr feindliches oder eigenes Flugzeug da oder dort abgestürzt, durch Beschuß oder Notlandung – Besatzung abgesprungen oder Besatzung tot, oder Hälfte der Besatzung tot, übrige Besatzung in das Lager gebracht oder ins Lazarett.«

Und nun wird hier auch ganz korrekt gemeldet: »Auf der Flucht von der Polizei erschossen, da und da beerdigt.«

Diese Meldungen liefen zu hunderten ein; ich meine Meldungen über abgeschossene eigene und feindliche Flugzeuge und deren Besatzungen, die bei dem großen Luftkrieg laufend einliefen und vom Luftgau an die zuständige Dienststelle weitergegeben wurden. Die Luftwaffe selbst hat mit diesem nichts zu tun; es geht aus dem deutschen Originaldokument mit aller Klarheit hervor, daß es sich nur um eine Meldung handelte.

In diesem Zusammenhang kam es zu einer sehr heftigen Auseinandersetzung; daran werden sich all die Herren, die täglich am Lagevortrag des Führers teilzunehmen hatten, genau erinnern; der Führer hat mich wiederholt in sehr unfreundlichem Ton darauf angesprochen, er wünsche nun endlich, daß der oder diejenigen Offiziere, die wiederum abgesprungene Flieger gegenüber der Bevölkerung in Schutz genommen hätten, gefunden werden; er wünschte die Namen zu wissen und deren Bestrafung. Ich habe weder die Leute suchen noch feststellen, noch bestrafen lassen.

Ich wies den Führer immer wieder darauf hin, daß es schon vorgekommen sei, daß sogar eigene abgesprungene Flieger von der Bevölkerung, da diese zunächst völlig benommen war, aufs schwerste mißhandelt wurden. Ich habe deshalb von seiten der Luftwaffe wiederholt darauf hingewiesen und ihn zur Abstellung der Dinge dringend aufgefordert.

Es kam dann zu einer letzten scharfen Auseinandersetzung, wiederum bei einer Lagebesprechung in Gegenwart zahlreicher Herren, in der dann der Führer, als ich noch einmal auf diese Dinge [403] hinwies, mich mit den Worten abfertigte: »Ich weiß ja, daß die beiden Luftwaffen ein gegenseitiges Feigheitsabkommen abgeschlossen haben.«

Ich habe ihm daraufhin gesagt: »Nicht wir haben ein Feigheitsabkommen abgeschlossen; aber irgendwie sind wir Flieger immer, auch wenn wir uns noch so bekämpfen, Kameraden geblieben.«

Dessen werden sich all die Herren erinnern können, die dabei waren.

DR. STAHMER: Wie war Ihre Einstellung als Oberster Gerichtsherr der Luftwaffe gegenüber Straftaten, die von den Ihnen unterstellten Soldaten im besetzten Gebiet begangen wurden?

GÖRING: Ich habe mir als Gerichtsherr alle Fälle, die irgendwie schwererer Art waren, selbst vorlegen lassen und viele Stunden auf die Bearbeitung verwendet. Ich habe deshalb ja auch so großer. Wert darauf gelegt, daß der Oberste Rechtsvertreter der Luftwaffe hier über diesen Punkt gehört wird. Ich habe in vielen Fällen Urteile aufgehoben, weil sie zu milde waren, besonders wenn es sich um Schändung von Frauen gehandelt hat. In diesen Fällen habe ich stets die Todesstrafe, die vom Gericht ausgesprochen war, bestätigt, wenn nicht von seiten der beleidigten Partei in Ausnahmefällen ein Gnadengesuch eingegeben wurde. Desgleichen sind eine Reihe von Todesurteilen gegen Angehörige der Luftwaffe von mir bestätigt worden, die an einem Mord von Einwohnern der besetzten Gebiete teilgenommen hatten, sowohl im Osten wie im Westen. Ich möchte die Zeit des Gerichts nicht mit einer Reihe von Einzelfällen, die dies unter Beweis stellen, in Anspruch nehmen. Ich war darüber hinaus Gerichtsherr auch für diejenigen Bewohner der besetzten Gebiete, die vor ein Luftwaffengericht gestellt wurden; also zum Beispiel, wenn in Frankreich, Holland, Rußland oder in einem anderen Land die eingeborene Zivilbevölkerung feindlichen Fliegern auf der Flucht geholfen oder sich an Flugzeug-Sabotageakten schuldig gemacht oder Spionage im Zusammenhang mit der Luftwaffe getrieben hatte, also alle Vergehen, die im Rahmen und in Bezug auf die Luftwaffe stattgefunden hatten. Die Kriegslage erforderte selbstverständlich, daß hier im allgemeinen scharf durchgegriffen wurde.

Ich möchte aber betonen, daß in diesem Zusammenhang selbstverständlich pflichtgemäß von den Gerichten die vorgeschriebene Todesstrafe auch gegen Frauen verhängt wurde. In all diesen Fällen, wo es sich um Frauen handelte, habe ich während der gesamten Kriegsjahre nicht einen einzigen, aber auch nicht einen einzigen Fall bestätigt; ich habe vielmehr in jedem Fall, wo es sich um eine Frau handelte, selbst dort, wo es sich um tätliche Angriffe und [404] Beteiligung an einem solchen gegen Angehörige meiner Luftwaffe gehandelt hat, also auch in schwersten Fällen, Begnadigung ausgesprochen und nicht unter ein einziges Urteil bei einer Frau meine Bestätigungsunterschrift gesetzt.


DR. STAHMER: Haben Sie bei Ihren militärischen und wirtschaftlichen Maßnahmen in den besetzten Gebieten darauf Rücksicht genommen, ob diese Maßnahmen mit der Haager Landkriegsordnung im Einklang standen?


GÖRING: Die Haager Landkriegsordnung habe ich zum erstenmal überflogen, als wir dicht vor Ausbruch des Polenkonfliktes standen. Als ich sie damals durchlas, bedauerte ich es, sie nicht sehr viel früher eingehend studiert zu haben. Ich würde dann nämlich dem Führer gesagt haben, daß mit dieser Haager Landkriegsordnung, wie sie paragraphenmäßig hier festgelegt ist, unter keinen Umständen ein moderner Krieg zu führen ist, sondern daß man zwangsläufig durch den modernen Krieg in der Ausweitung seiner Technik mit den damals 1906 oder 1907 festgelegten Bedingungen in Konflikt geraten müßte.

Entweder müsse man sie aufsagen, oder moderne, der technischen Entwicklung entsprechende neue Gesichtspunkte einführen. Meine Begründung ist nun folgende:

Die Haager Landkriegsordnung habe ich, wie sie nun einmal bestand, für meine Begriffe der Logik entsprechend, als Bestimmungen für den Landkrieg im Jahre 1907 absolut richtig gewürdigt. 1939 bis 1945 gab es aber nicht nur den Landkrieg, sondern auch den Luftkrieg, der hier schon nicht berücksichtigt ist und der zum Teil eine völlig neue Lage schafft und die Haager Landkriegsordnung in vielen Dingen umgestaltet. Aber nicht das ist so sehr das Entscheidende, sondern der moderne und totale Krieg setzt sich nach meiner Auffassung auf drei Gebieten fort: der Waffenkrieg zu Lande, zur See und zur Luft; der Wirtschaftskrieg, der ein integraler Bestandteil jeder modernen Kriegführung geworden ist, und zum dritten der Propagandakrieg, der ebenfalls einen wesentlichen Bestandteil einer Kriegführung darstellt. Erkennt man logischerweise diese Grundlage an, dann ergeben sich auch gewisse Abwandlungen, die dem Buchstaben nach eine Verletzung der Logik, dem Geiste nach aber keine sein können.

Wenn die Haager Landkriegsordnung vorsieht, daß Waffen des Gegners als selbstverständliche Kriegsbeute gelten, dann muß ich sagen, daß heute, im modernen Krieg die Waffen des Gegners unter Umständen nur Verschrottungswert haben; daß aber Wirtschaftsgüter, Rohstoffe, hochwertiger Stahl, Aluminium, Kupfer, Blei, Zinn, viel wesentlicher als Kriegsbeute erscheinen und sind, als veraltete Waffen, die ich dem Gegner abnehme.

[405] Darüber hinaus aber handelt es sich nicht nur um Rohstoffe, gleichgültig wem sie gehören; die Haager Landkriegsordnung sieht ja an einer Stelle – ich habe sie jetzt nicht so im Kopf – auch vor, daß die Dinge, die notwendig sind, beschlagnahmt werden können, allerdings gegen Ersatz. Das ist auch nicht das Entscheidende, das kann man ohne weiteres anerkennen. Entscheidend ist aber, daß man in diesem modernen Krieg und einem Wirtschaftskrieg, der die Basis für jede weitere Kriegführung bildet, die Vorräte zunächst auf dem Ernährungsgebiet als Basis und Grundlage jeder Kriegführung, darüber hinaus die Rohstoffe auf dem gewerblichen Gebiet als absolut kriegsnotwendig und erfaßbar ansehen muß.

Aber ebenso sind die Fabrikationsstätten und Maschinen ein Teil der Wirtschaftskriegführung. Haben sie bisher dem Gegner, sei es in der unmittelbaren, der mittelbaren oder in der zubringenden Industrie für seine Rüstung und Kriegführung gedient, müssen sie auch dem dienen, der nunmehr durch militärische Entscheidung in den Besitz dieser Produktionsmittel gekommen ist – wenn auch nur vorübergehend während des Waffenstillstands oder in den besetzten Gebieten. In diesem Zusammenhang spielt dann auch im Wirtschaftskrieg selbstverständlich die Arbeiterfrage eine weitaus größere Rolle als in den früheren Kriegen, die in der Haager Landkriegsordnung noch als Vorbild dienten.

1907 konnte als letzter Krieg der russisch-japanische, bestenfalls der englisch-burische – die aber beide aus ganz anderen Verhältnissen heraus geführt wurden –, sonst aber praktisch ja doch nur ein Jahrzehnt zurückliegende Kriege, als Grundbasis dienen. Damals war es ein Krieg von Heer zu Heer, an dem die Bevölkerung mehr oder weniger nicht so beteiligt war; unvergleichlich mit dem heutigen totalen Krieg, der jeden, selbst das Kind, durch die Einführung des Bombenkrieges mit in das Kriegsgeschehen hinein zieht.

So ist nach meiner Überzeugung also auch die Arbeitskraft und damit der Arbeiter und seine jeweilige Ausnutzung ein integrierender Bestandteil des Wirtschaftskriegs. Dabei ist nicht gesagt, daß nun ein solcher Arbeiter so ausgenutzt werden soll, daß er an Leib und Leben Schaden leidet, sondern seine Arbeitskraft soll eingespannt werden. Neulich hat schon einer der Zeugen erwähnt, was es bedeutet, wenn in einem besetzten Gebiet, wo man sich noch im Kampf befindet und jahrelang aufhält, ein, zwei, drei, vier oder fünf neue militärische junge Jahrgänge heranwachsen, die ohne Arbeit in ihrem Heimatsgebiet...


VORSITZENDER: Dr. Stahmer, ist es möglich, daß der Angeklagte heute abend fertig wird?


DR. STAHMER: Ja. Es ist die letzte Frage.


VORSITZENDER: Bitte, fahren Sie fort.


[406] GÖRING: Es ist also auch die Frage der Arbeiterdeportierung von diesem Sicherheitsstandpunkt aus zu betrachten. Verpflichtet waren wir, das gesamte besetzte Gebiet, soweit uns möglich, zu ernähren. Wir mußten also auch über die Arbeitskraft verfügen können. Gleichzeitig mußten besonders diejenigen, die keine Arbeit in ihrem eigenen Lande hatten, als eine Gefahr für das Anwachsen des unterirdischen Widerstandes gegen uns selbst und daher als besonders ausschaltungsbedürftig angesehen werden.

Wenn diese Jahrgänge nach Deutschland zur Arbeit eingezogen wurden, so geschah dies einmal aus grundsätzlichen Erwägungen der Sicherheit, um sie nicht in ihrem Lande dem Müßiggang und damit der Arbeit und dem Kampf gegen uns zur Verfügung zu stellen, und andererseits dienten sie dazu, in dem Wirtschaftskrieg Vorteile für uns zu gewährleisten.

Zum dritten – ich streife die Dinge zunächst nur kurz –, zum Abschluß den Propagandakrieg. Es ist an einer Stelle von der Anklage erwähnt, daß wir auch die Radioapparate eingezogen hätten; es dürfte dies wohl eine Selbstverständlichkeit sein, denn welch hohe Bedeutung der Propagandakrieg, die feindliche Propaganda in das Hinterland hinein über den Rundfunk und Radio hat, hat niemand stärker zu fühlen bekommen als Deutschland. All die großen Gefahren der Untergrundbewegungen, des Bandenkrieges, der Widerstandsbewegung, der Sabotage und alles, was damit zusammenhängt, hat schließlich auch in diesem Krieg diese Erbitterung, diese Atmosphäre und diese gegenseitige Bekämpfung bis aufs äußerste hervorgerufen. Auch was an Grausamkeiten und solchen Dingen, die absolut abzulehnen sind, geschehen ist, sind letzten Endes, wenn man in Ruhe darüber nachdenkt, in erster Linie auf den Propagandakrieg zurückzuführen.

So ist die Haager Landkriegsordnung nach meiner persönlichen Überzeugung kein Instrument, das man dem modernen Krieg zugrunde legen kann, weil sie wesentliche Grundsätze dieses Krieges, den Waffenkrieg in der Luft, den Wirtschaftskrieg und den Propagandakrieg überhaupt nicht berücksichtigt.

Ich möchte zu diesem Punkt abschließend dieselben Worte gebrauchen, die einer unserer größten, bedeutendsten und zähesten Gegner, der englische Premierminister Churchill, gebrauchte: »Im Kampf auf Leben und Tod gibt es schließlich keine Legalität«.


VORSITZENDER: Der Gerichtshof wird sich jetzt vertagen.


[Das Gericht vertagt sich bis

16. März 1946, 10.00 Uhr.]


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 9, S. 373-408.
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