Der Einfall in Belgien, in die Niederlande

und in Luxemburg.

[233] Der Plan für die Besitzergreifung Belgiens und der Niederlande wurde im August 1938 erwogen, als der Angriff auf die Tschechoslowakei entworfen und die Möglichkeit eines Krieges mit Frankreich und England in Erwägung gezogen wurde. Der Vorteil, der für Deutschland darin lag, daß es diese Länder für seine eigenen Zwecke ausnützen konnte, besonders als Luftstützpunkte im Krieg gegen England und Frankreich, wurde hervorgehoben. Im Mai 1939, als Hitler seine unwiderrufliche Entscheidung zum Angriff auf Polen traf und als Folge davon die Möglichkeit zumindest eines Krieges mit England und Frankreich voraussah, sagte er zu seinen militärischen Befehlshabern:

»Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden.«

Am 22. August desselben Jahres sagte er seinen militärischen Befehlshabern, daß seiner Ansicht nach England und Frankreich »die Neutralität dieser Länder nicht verletzen werden«. Gleichzeitig versicherte er Belgien, Holland und Luxemburg, daß er ihre Neutralität respektieren würde; und am 6. Oktober 1939, nach dem polnischen Feldzug, wiederholte er diese Versicherung. Am 7. Oktober gab General von Brauchitsch der Heeresgruppe B die Anweisung, »sich für den sofortigen Angriff auf holländisches und belgisches Gebiet vorzubereiten, falls die politische Lage dies erforderlich machen sollte«.

In zahlreichen Befehlen, die von den Angeklagten Keitel und Jodl gezeichnet waren, war der Angriff auf den 10. November 1939 festgesetzt; er wurde jedoch von einem Mal zum anderen bis Mai 1940 wegen der Wetter Verhältnisse und der Transportfragen verschoben.

Bei der Ansprache vom 23. November 1939 sagte Hitler:

»Wir haben eine Achilles-Ferse: das Ruhrgebiet. Vom Besitz des Ruhrgebietes hängt die Kriegsführung ab. Wenn England und Frankreich durch Belgien und Holland in das Ruhrgebiet vorstoßen, [233] sind wir in höchster Gefahr... Sicher werden England und Frankreich die Offensive gegen Deutschland ergreifen, wenn sie aufgerüstet sind. England und Frankreich haben Pressionsmittel, um Belgien und Holland dazu zu bringen, englische und französische Hilfe zu erbitten. In Belgien und Holland sind die Sympathien für Frankreich und England... Wenn die französische Armee in Belgien einmarschiert, um uns anzugreifen, ist es für uns zu spät. Wir müssen zuvorkommen... Wir werden die englische Küste mit Minen verseuchen, die nicht geräumt werden können. Dieser Minenkrieg mit der Luftwaffe fordert eine andere Ausgangslage. England kann ohne seine Zufuhr nicht leben. Wir können uns selbst ernähren. Die dauernde Minenverseuchung der englischen Küste wird England auf die Knie zwingen. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn wir Belgien und Holland besetzt haben... Mein Entschluß ist unabänderlich, ich werde Frankreich und England angreifen zum schnellsten und günstigsten Zeitpunkt. Verletzung der Neutralität Belgiens und Hollands ist bedeutungslos. Kein Mensch fragt darnach, wenn wir gesiegt haben. Wir werden die Verletzung der Neutralität nicht so idiotisch begründen wie 1914. Wenn wir die Neutralität nicht verletzen, so tun es England und Frankreich. Ohne Angriff ist der Krieg nicht siegreich zu beenden.«

Am 10. Mai 1940 fielen deutsche Streitkräfte in die Niederlande, Belgien und Luxemburg ein. Am selben Tag überreichten die deutschen Botschafter den niederländischen und belgischen Regierungen eine Note, die behauptete, daß die britischen und französischen Armeen, mit der Einwilligung Belgiens und Hollands, durch diese Länder zu marschieren planten, um die Ruhr anzugreifen, und die auf diese Weise den Angriff zu rechtfertigen versuchte. Deutschland jedoch versicherte den Niederlanden und Belgien, daß ihre Besitzungen respektiert werden würden. Eine ähnliche Note wurde Luxemburg am gleichen Tage übergeben.

Der Gerichtshof hat keinerlei Beweismaterial zur Rechtfertigung der Behauptung, daß die Niederlande, Belgien und Luxemburg von Deutschland angegriffen wurden, weil ihre Besetzung von England und Frankreich geplant worden war. Britische und französische Stäbe hatten bei der Aufstellung gewisser Pläne für militärische Operationen in den Niederlanden zusammengearbeitet, aber der Zweck dieser Pläne war die Verteidigung dieser Länder im Falle eines deutschen Angriffs.

Der Angriff auf Belgien, Holland und Luxemburg entbehrte jeder Berechtigung.

Er wurde in Verfolg lange vorher erwogener und vorbereiteter Maßnahmen ausgeführt und war ganz offenbar eine Angriffskriegshandlung. [234] Der Entschluß zum Angriff wurde ohne jede andere Erwägungen als die der Forderung der aggressiven Politik Deutschlands getroffen.


Quelle:
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg. Nürnberg 1947, Bd. 1, S. 233-235.
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