Erstes Kapitel

301-288
Demetrios in Griechenland – Ptolemaios und Lysimachos – Seleukos und Demetrios – Der Kongreß auf Rhossos – Agathokles und Kassandros gegen Korkyra – Demetrios' Zerwürfnis mit Seleukos – Kassandros' Umtriebe in Griechenland – Demetrios gegen Athen – Der Tyrann Lachares – Demetrios erobert Athen – Demetrios gegen Sparta – Pyrrhos König in Epeiros – Alexandros und Antipatros – Alexandros' Tod – Demetrios König in Makedonien – Demetrios gegen Theben und Athen – Lysimachos gegen die Geten – seine Gefangennehmung – Demetrios gegen Thrakien und Theben – Die Pythien in Athen – Demetrios' Bündnis mit Agathokles – sein Feldzug gegen Pyrrhos – sein Prunk – Pyrrhos' Einfall in Makedonien – sein Bündnis mit Demetrios – Demetrios' Rüstungen zum Krieg gegen Asien.

Demetrios hatte sich nach der Schlacht bei Ipsos und nach dem Verlust des väterlichen Reiches mit seiner Flotte dem Lande zuwenden wollen, das er erobert und befreit hatte, dessen Dankbarkeit er verdient zu haben glaubte; die Gesandtschaft der Athener lehrte ihn, wie sehr er sich getäuscht hatte. Er hätte noch genug Macht gehabt, die undankbare Stadt zu züchtigen; aber er mußte erwarten, daß sie sich dann hilfebittend an Kassandros wenden, daß er zu einem Kampf gezwungen sein werde, dem er jetzt nicht gewachsen war; er versagte sich ein Unternehmen, das ihm schwerlich, dem König von Makedonien wahrscheinlich zum Besitz von Athen verholfen hätte. Er segelte am Peiraieus vorüber zum Isthmos; noch waren Korinth, Megara, vielleicht einige andere Punkte in Hellas und in der Peloponnes von seinen Truppen besetzt, und überall bestanden die freien Verfassungen, die er zwei Jahre vorher ins Leben gerufen hatte; vielleicht daß er da besseren Dank als in Athen fand. Die Hoffnung betrog ihn; täglich kamen Nachrichten von neuem Abfall: hier waren seine Besatzungen vertrieben, da Kassandros' Truppen eingerückt, dort die freien Verfassungen gestürzt und Oligarchie oder Tyrannis im makedonischen Interesse gegründet; bald war Hellas und die Peloponnes ihm so gut wie ganz entrissen, er mußte sich begnügen, Korinth und Megara zu halten. Um nicht untätig zu liegen, bestellte er Pyrrhos, den jungen, länderlosen König, für die hellenischen Angelegenheiten und ging mit seiner Flotte in See. Er wandte sich zunächst nordwärts nach[365] Thrakien; König Lysimachos besaß keine Flotte, er war noch in Kleinasien, er konnte sein Land nicht schützen; ungehindert verwüstete Demetrios die reichen Gestade des Hellesponts und der Propontis, machte ungeheure Beute. Schon konnte er reichlichen Sold an seine Truppenzahlen; des Helden Name und sein Gold lockte die Söldner von nah und fern, sein Heer mehrte sich täglich. Ein unerwartetes Ereignis gab eben jetzt seinem Schicksal plötzlich eine noch glücklichere Wendung1.

Der Bund der vier Könige gegen Antigonos, durch das gemeinsame Interesse erzeugt, währte kaum so lange, als dies es gebot; schon vor Beendigung des Kampfes war der Lagide so gut wie zurückgetreten, und die Verträge nach der Schlacht von Ipsos zeigten, mit wie mißtrauischen Blicken sich auch Seleukos und Lysimachos betrachteten; jeder glaubte vor dem anderen auf seiner Hut sein zu müssen. Seleukos hatte ein ungeheures Reich, eine Kriegsmacht, die vielleicht größer, durch die Elefanten mindestens furchtbarer war als die der übrigen Könige zusammengenommen; Syrien und Phoinikien waren ihm, gewiß weil er es forderte, nachträglich zugesprochen; man mußte erwarten, daß er auch bald auf der See herrschen werde; er war um den Osten mächtiger als Antigonos, nicht minder kühn, geschmeidiger, darum gefährlicher.

Für Lysimachos lag es nahe, zu vermuten, daß Kleinasien zu gewinnen der nächste Gedanke des Seleukos sein werde, er mußte sich auf alle Fälle fertig machen; Pleistarchos in Kilikien, die Fürsten von Kappadokien, am Pontos, in Armenien waren kein sicherer Wall; nur eine Verbindung mit Ptolemaios konnte Sicherung gewähren.

Ptolemaios kam ihm in demselben Sinne entgegen. Auch er konnte schon nicht mehr zweifeln, daß, wenn Seleukos sein heimkehrendes Heer nach Phoinikien marschieren ließ, es nicht geschah, um ihm diese Landschaft zu erobern; vielleicht auch hatte er bereits durch Lysimachos Kunde von dem, was nach dem Tage von Ipsos zwischen den drei Königen verabredet war; ihm mußte daran liegen, sich durch eine Verbindung zu stärken, die nötigenfalls den König des Ostens, wenn er zu dreist gegen Ägypten wurde, im Rücken fassen konnte.

Unter den Exzerpten aus Diodoros findet sich ein sehr bemerkenswertes, das dieser Zeit anzugehören scheint. »Nach dem Siege über Antigonos marschierte Seleukos nach Phoinikien, begann den geschlossenen Verträgen gemäß Koilesyrien sich anzueignen.« Da Ptolemaios bereits die Städte besetzt hatte und sich beschwerte, daß Seleukos, obschon sein[366] Verbündeter, sich die Zuteilung des schon von Ägypten besetzten Landes habe genehm sein lassen, nicht minder, daß die Könige ihm, der doch an dem Kriege gegen Antigonos mit teilgenommen habe, nichts von den gemachten Eroberungen hätten zukommen lassen, antwortete Seleukos auf diese Vorwürfe: es sei gerecht, daß über die Eroberungen diejenigen verfügten, welche den Feind mit den Waffen in der Hand niedergeworfen hätten; in Betreff Koilesyriens wolle er der bestehenden Freundschaft wegen sich für jetzt nicht auf Weiterungen einlassen, sondern später zu Rate gehen, wie man sich mit Verbündeten, die übervorteilen wollten, zu verhalten habe.

Nur um so mehr wird Ptolemaios den Abschluß mit Lysimachos beeilt haben. Das Zeichen der erzielten Verständigung beider Könige war, daß sie sich verschwägerten: Lysimachos vermählte sich mit Ptolemaios' Tochter Arsinoë2; er brachte damit der Staatsklugheit ein nicht geringes Opfer3; er liebte seine »Penelope«, die edle Perserin Amastris, von ganzem Herzen; er hatte, sobald die mannigfachen Märsche, Okkupationen und Anordnungen, die nach der Schlacht von Ipsos seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, es irgend gestatteten, sie nach Sardeis geladen und dort den Winter mit ihr verlebt. Jetzt schied Amastris von ihm und kehrte zurück nach Herakleia, der Erziehung ihrer Söhne und der Verwaltung des Staates ihre große Einsicht und ihre Liebe zu widmen.

Seleukos seinerseits wird die Annäherung seiner beiden mächtigen Nachbarn mit gespannter Aufmerksamkeit betrachtet haben; er kannte[367] diesen berechnenden, kaltblütigen, keine Hoffnung aufgebenden Lagiden zu gut, als daß er ihm hätte den Vorstrich lassen dürfen. Und Lysimachos war an des klugen Lagiden Seite ein gefährlicher Gegner. Lysimachos hatte womöglich ebensoviel Hartnäckigkeit wie Antigonos, und der letzte Feldzug hatte gezeigt, wie zäh und gewandt er den Krieg zu führen verstand; er war jetzt im Besitz einer großen Macht, er hatte während der zwanzig Jahre seiner Herrschaft, fast stets an den großen Kämpfen unbeteiligt, ungeheure Geldvorräte aufgehäuft, und die Lage seines Reiches gab ihm die beste Gelegenheit, sie zu den ausgedehntesten Werbungen zu verwenden. Die enge Verbindung zwischen beiden Königen mußte Seleukos veranlassen, sich gleichfalls nach einem mächtigen Bundesgenossen umzusehen; seine Wahl konnte zwischen Kassandros und Demetrios schwanken; jener war zu entfernt, durch seinen Bruder Pleistarchos und durch andere Verhältnisse zu sehr mit Lysimachos4 verbunden; hätte er sich für ihn entschieden, so mußte dessen bitterster Feind Demetrios unfehlbar zu Ptolemaios und Lysimachos treten, die ihm gern Griechenland und die Inseln gelassen hätten, um des Beistandes seiner Seemacht gewiß zu sein; Verhältnisse, durch welche Kassandros' Macht mehr als neutralisiert worden wäre. Seleukos entschied sich, um Demetrios' Freundschaft und um die Hand seiner Tochter Stratonike zu werben5.

Nichts konnte für Demetrios erwünschter sein; er mag es erwartet haben, denn seine Tochter ist bereits bei ihm; er segelt sofort mit seiner ganzen Flotte an der Küste Kleinasiens hinab nach Syrien, hier und dort landend. Er erscheint auf der Höhe von Kilikien, er ist genötigt, dort einige Schiffe landen zu lassen. Kaum ist die Kunde nach Tarsos gekommen, so meint Pleistarchos, es sei Verrat, den Seleukos gestiftet; er fühlt sich zu ohnmächtig zum Widerstand, er verläßt sein Fürstentum und flüchtet heim zum Bruder, um über Seleukos zu klagen, der sich mit dem gemeinsamen Feinde verbündet, an diesen ihn verraten habe. Als Demetrios von dieser Flucht vernimmt, landet er schleunigst mit seiner ganzen Macht bei Kyinda, nimmt den Rest des dort verwahrten Schatzes, bringt die 1200 Talente eilig zu Schiff, segelt, indem er das Land besetzt hält, nach Rhossos auf der Südecke des Issischen Meerbusens. Dort erwartet ihn Seleukos bereits, auch die edle Phila ist von Kypros herübergekommen. Beide Könige empfangen sich ohne Verdacht, ohne Verstellung, mit königlichem Sinn; zuerst bewirtet Seleukos die edlen Gäste in[368] seinem Lager, dann Demetrios ihn auf seinem Prachtschiff von dreizehn Ruderreihen; so wiederholen sich Feste und Unterredungen; ohne Bedeckung, ohne Waffen, herzlich und vertraulich kommt man zueinander;

dann endlich wird die schöne Braut in Seleukos' Lager geleitet und hält an dessen Seite ihren festlichen Einzug in die neue Residenz Antiocheia. Demetrios segelt nach Kilikien zurück.

Auf diesem Kongreß von Rhossos müssen viele und bedeutende Verabredungen zwischen den beiden Königen getroffen worden sein. Wenn Demetrios Kilikien besetzte, so konnte dies nicht ohne die ausdrückliche Beistimmung des Seleukos geschehen; ihm mochte es lieb sein, die hemmende Nähe des Pleistarchos aufhören zu sehen; er mochte glauben, Demetrios werde die neugegründete Freundschaft gern mit der Abtretung der für Syrien so wichtigen Landschaft besiegeln, zumal wenn ihm andere Vorteile dafür zugewandt wurden.

Die Ereignisse der nächstfolgenden Zeit – voller fünf Jahre – sind überaus dunkel; es sind nur einzelne Tatsachen in den verschiedenen Exzerpten aus Diodor, in einigen attischen Inschriften einzelne andere zerbröckelte Notizen überliefert, und Plutarchs Biographie des Demetrios, in der man die Grundlinien des Zusammenhangs zu finden erwarten müßte, ist für diese Jahre noch oberflächlicher als in ihren übrigen Teilen. Die Reihenfolge, in der die einzelnen Angaben im folgenden aufgezählt werden, ist der Zeit nach rein hypothetisch.

Zunächst begegnen wir der Angabe, daß Demetrios nach der Zusammenkunft in Rhossos seine Gemahlin Phila nach Makedonien gesandt habe, um ihn wegen der Beschwerden des Pleistarchos bei ihrem Bruder Kassandros zu rechtfertigen. Eine Rechtfertigung war überflüssig, wenn Phila nichts weiter sollte; man darf vermuten, daß ihr Auftrag noch weiter ging, daß sie versuchen sollte, mit Kassandros einen Ausgleich anzubahnen, den Demetrios wünschen konnte, um nicht bloß auf Seleukos' Freundschaft gestellt zu sein, zu dem auch wohl Seleukos seine Zustimmung gegeben haben konnte, um gegen die Allianz der Machthaber am Hellespont und am Nil einen Bundesgenossen zu gewinnen, der die thrakisch-kleinasiatische Macht im Rücken bedrohen konnte. Sollte der Ausgleich gelingen, so mußte Demetrios ein Erbieten machen, das für Kassandros von Wert war; er mußte bereit sein, die griechischen Lande, die ihm sonst den Rücken gesichert hatten, Kassandros zu opfern; er konnte es, wenn es ihm gelang, aus den Trümmern der väterlichen Herrschaft zu Kypros und den phoinikischen Städten, die er noch innehatte, das Hinterland der phoinikischen Küste, Koilesyrien, zu retten. Die »Freiheit« der Hellenen mag die auf Rhossos verabredete Formel gewesen sein; mochte Kassandros sich mit den Gewaltsamkeiten belasten, die dieser[369] Freiheit den gemeinten Sinn gaben. Noch hielt Pyrrhos als Stratege des Demetrios den Isthmos; daß Demetrios dessen Schwester Deidameia, seine Gemahlin, nach Kilikien kommen ließ, mochte als Zeichen dafür gelten, daß er für einen Frieden mit Kassandros Hellas aufzugeben gedenke.

Ist ein solcher Friede zum Abschluß gekommen, in dem dem Makedonen Griechenland oder ein Teil Griechenlands preisgegeben worden ist?

Die nächsten Jahre zeigen, daß man in Athen nach der großen Entscheidung bei Ipsos, nach der Vernichtung der Macht, die unter dem Namen der Freiheit Griechenland in beschämenderer Abhängigkeit als selbst Antipatros und Kassandros gehalten hatte, die Zeit der wahren Freiheit gekommen sah. Statt des Stratokles und der anderen servilen Anhänger des Demetrios nahmen erprobte Patrioten, Olympiodoros, Philippides der Dichter, der wohl jetzt heimkehrende Demochares die Leitung in die Hand. Teuer genug hatte Athen seine Treue gegen den »Befreier« bezahlt: attische Männer in großer Zahl waren unter den bei Ipsos Gefallenen oder Gefangenen. Die Stadt schien kein Vorwurf zu treffen, wenn sie sich nach der Schlacht von der Sache dessen lossagte, dessen Niederlage sie unabsehbaren Gefahren preisgab; noch weniger, wenn sie auch gegen die, welche ihn niedergeworfen hatten, ihre Selbständigkeit zu behaupten gedachte.

Es wird erwähnt, daß die Phoker von Elateia dem Apollon einen ehernen Löwen geweiht hätten zur Erinnerung an die Hilfe, die Olympiodoros ihnen aus Athen brachte, als Kassandros ihre Stadt belagerte, daß diese Hilfe die Belagerer zum Abzug genötigt habe. In denselben Zusammenhang scheint es zu gehören, wenn angegeben wird, daß Olympiodoros, als Kassandros in Attika einbrach, nach Aitolien geeilt sei, um Hilfe zu bitten, und daß dies Bündnis vor allem der Grund gewesen sei, daß Athen dem Krieg mit Kassandros entgangen.

Also Kassandros war – gewiß nach der großen Entscheidung in Phrygien, vielleicht im Frühling 300 – über die Thermopylen nach Griechenland eingerückt. Das Bündnis Athens mit den Aitolern nötigte ihn, den Angriff auf Attika, die attische Hilfe, die Belagerung Elateias aufzugeben. Wenigstens die attischen Nachrichten sagen so. Ob Pyrrhos, des Demetrios Stratege, auf dem Isthmos ruhig zusah oder irgend etwas tat, erfahren wir nicht. Eine nächstweitere Notiz zeigt den König Kassandros in Unternehmungen nach ganz anderer Richtung. Er hatte, seit Pyrrhos von den Molossern vertrieben, Neoptolemos ihr König geworden war (304), in Epeiros den bestimmenden Einfluß; er warf sich auf die dem Lande nahe gelegene Insel Korkyra, die Demetrios 303 dem spartanischen Abenteurer Kleonymos entrissen und, so scheint es, frei erklärt hatte; sie wird, da Demetrios zu fern war oder sie preisgegeben[370] hatte, sich Hilfe bittend nach Sizilien an den mächtigen König Agathokles gewendet haben6; kühn und hochstrebend, wie er war, mochte er mit Freude den Vorwand ergreifen, sich in die hellenischen Angelegenheiten zu mischen. Schon hatte Kassandros auf vielen Schiffen sein Fußvolk hinübergesetzt und hielt die Stadt von der Land- und Seeseite so dicht umschlossen, daß sie sich demnächst ergeben zu müssen schien. Da kam Agathokles; sofort warf er sich mit seinem Geschwader auf die makedonische Flotte; ein überaus heftiger Kampf entspann sich, den Makedonen galt es, ihre Schiffe zu retten, ohne die Kassandros mit seinem Heere zugrundegerichtet war; die Syrakusier kämpften für den Ruhm, im Angesicht von Hellas die Makedonen, die Überwinder des Erdreichs, zu überwinden. Endlich siegten die Syrakusier, sämtliche makedonischen Schiffe wurden verbrannt. Hätte Agathokles seine Truppen landen und sofort auf die Makedonen marschieren lassen, er würde sie in der wildesten Verwirrung gefunden, sie beim ersten Angriff überwältigt haben; er begnügte sich, seine Truppen auf dem Gestade landen und die Siegeszeichen errichten zu lassen. Wahrscheinlich wurde nun unterhandelt, den Makedonen freier Abzug unter der Bedingung gestattet, daß fortan Korkyra unter Agathokles' Herrschaft blieb. Ihn selbst riefen die heimischen Angelegenheiten zurück.

Unsere Anführungen müssen von einem Punkt zum anderen überspringen, um noch vielleicht einige Spuren von Zusammenhang zu finden. In der Note mag die Möglichkeit einer Beziehung des Lagiden zu dem Zuge des Agathokles nach Korkyra angedeutet werden, für die sich nicht weiter Sicheres ergibt7. Eine andere Notiz, die der Zeit nach ein paar[371] Jahre später fällt, sagt, daß Demetrios die Stadt Samaria zerstört habe; Samaria, das schon von Alexander zu einem militärisch wichtigen Punkt gemacht und mit makedonischen Veteranen besetzt worden war, hatte Ptolemaios gewiß so lange wie möglich gehalten; wenn Demetrios diese Stadt gewonnen hatte, so wird er auch Gaza genommen, somit das ganze Koilesyrien mit Phoinikien innegehabt haben. Er hatte diese Gebiete Ptolemaios entrissen, nicht Seleukos, der ja dem Ägypter erklärt hatte, daß er die Frage wegen Koilesyrien dahingestellt wolle sein lassen. Es wird ihm genehm gewesen sein, daß Demetrios sie aufnahm und in so schneidiger Weise löste; dem Lagiden war damit ein Gegner nahe, der ihn nötigte, die Genugtuung für die Verträge nach der Schlacht bei Ipsos liegen zu lassen; und zugleich war des Lagiden Macht bedeutend genug, um auch Demetrios in Atem und bei dem Bündnis mit dem syrischen Nachbarn zu halten. Seleukos gewann in dem Maße eine bessere und dominierende Stellung, als sich beide balancierten und in steigender Rivalität lähmten. Der Lagide aber mußte doppelt schwer empfinden, wie übel er daran war, wenn er weder Kypros noch die phoinikischen Städte hatte; selbst der blühende Handel Alexandriens, an dem das Gedeihen des Nillandes hing, mußte schwer leiden, wenn der verwegene Demetrios, der Seegewaltige, ihm feind war.

Es wird bezeugt, daß durch Seleukos Frieden und Freundschaft zwischen den beiden Königen gestiftet, daß sie zu besiegeln des Ptolemaios Tochter Ptolemais dem Demetrios verlobt wurde8. Nicht minder bezeugt wird, daß Pyrrhos, der die ihm von Demetrios anvertrauten festen Plätze in Hellas hielt, »als Geisel nach Ägypten geschifft sei«. Also es müssen in dem geschlossenen Vertrag Bedingungen gestanden haben, für die Demetrios dem Ägypter Geiseln stellte; daß er, nicht Ptolemaios deren stellte, scheint zu zeigen, daß Demetrios etwas in Händen hatte, was er unter gewissen Umständen oder in einer gewissen Frist aufzugeben sich verpflichtete. Man könnte an Koilesyrien, an Phoinikien, an Kypros denken; jedenfalls für jetzt noch war und blieb Demetrios im Besitz dieser wichtigen Gebiete.[372]

Des Demetrios Stellung konnte mit diesem Frieden, der die Möglichkeit einer Veränderung seines Besitzstandes an diesen Küsten in Aussicht stellte, nicht eben stärker geworden sein. In der Überlieferung läßt sich nur erkennen, daß Seleukos sofort auf diesen schwachen Punkt zu drücken verstand, daß er seine Beziehungen zu Demetrios zu lockern begann. Er schlug ihm vor, Kilikien gegen eine entsprechende Geldsumme ihm abzutreten; Demetrios lehnte es ab, begreiflich, da dieser Besitz der Küsten von den kilikischen Promontorien bis Gaza hin und Kypros als Meerakropole hinter ihnen für seine Seeherrschaft so geeignet wie möglich war. Seleukos kam mit einem zweiten Antrag: wenigstens Tyros und Sidon möge er ihm verkaufen, er habe so Großes an ihm getan, daß er sich wohl eines Freundschaftsdienstes von ihm versehen dürfe; er würde nach der Niederlage von Ipsos ohne ihn und die von ihm veranlaßte Verschwägerung verloren gewesen sein; sei er nicht willig, so werde er seine Hand von ihm ziehen. Demetrios war noch weniger dazu gewillt: und wenn er tausend Schlachten wie die von Ipsos verliere, so wolle er die Verwandtschaft des Seleukos auch mit den geringsten Opfern nicht bezahlen; was er habe, das habe er; irgendeinen Besitz aufzugeben, scheine ihm unwürdiger, als ihn zu verlieren. Er verstärkte die Besatzungen in den Städten. Allgemein hielt man, wenn Plutarchs Äußerungen dafür als Beweis gelten können, die Forderungen des Seleukos für höchst ungerecht und gewaltsam: Seleukos besitze schon Land genug, und nun wolle er, der vom Syrischen Meere bis zum Indus herrsche, um zweier Städte willen den schon vom Schicksal hart getroffenen Demetrios, der ihm nahe verwandt sei, verfolgen. Hatte sich vielleicht Demetrios in jenem Frieden mit dem Lagiden, vielleicht in Artikeln, die vor Seleukos geheim gehalten wurden, verpflichtet, seinen Besitz an diesen Küsten, wenn er ihn aufgebe, nicht anders als zugunsten Ägyptens aufzugeben? War vielleicht sein Gedanke, hier nichts aufzugeben, vielmehr im Besitz dieser seemächtigsten Gebiete vom Meere aus die weiteren Küsten Kleinasiens, die Inseln, Griechenland selbst zu erfassen, – von Griechenland wenigstens die Peloponnes, wenn anders mit Kassandros ein Abkommen zustande gekommen war, das diesem das hellenische Land im Norden des Isthmos preisgab?

Aber Kassandros hatte vor Elateia kehrt gemacht, das Bündnis der Aitoler und Athener, der Zug des Olympiodoros nach Elateia war ihm Grund genug gewesen, das, wie wir hypothesieren, mit Demetrios verabredete Unternehmen aufzugeben; daß er sich auf Korkyra warf, zeigte ihn mit Projekten beschäftigt, die nicht viel weniger als die Gründung einer Seeherrschaft auf den westhellenischen Meeren zu bedeuten schienen. Und vor allem: sein Zurückweichen aus Hellas gab den Athenern Raum, sich wieder zu selbständiger Macht zu erheben; schon hatten sie das[373] Bündnis mit den Aitolern, die Dankbarkeit Elateias; die Boioter waren gewiß bereit, sich ihnen anzuschließen; noch bereiter die Städte Euboias, von denen Karystos nicht aufgehört hatte, sich zu ihnen zu halten; in Athen standen jetzt Männer am Ruder, die Demetrios als entschlossene Patrioten, als seine schärfsten Gegner kannte.

Er mag der Meinung gewesen sein, dort einschreiten zu müssen, nicht mit längerem Zögern die begonnene hellenische Bewegung höher schwellen lassen zu dürfen. Vielleicht war er durch diese Rücksicht schon zum Abschluß mit Ägypten bestimmt worden. Er begann einen Krieg gegen Athen, der in einem attischen Volksbeschluß als der »vierjährige« bezeichnet wird9.

Das wenige, was von demselben erkennbar ist, muß aus dürftigen und zufälligen Notizen zusammengelesen werden; auch die Zeit desselben ist nur ungefähr, nur auf indirektem Wege zu bestimmen.

Die Athener mußten auf Krieg gefaßt sein, seit sie Kassandros zur Umkehr genötigt. Es gibt eine attische Inschrift vom August 299, in der auf Philippides' Antrag für Poseidippos ein goldener Kranz beschlossen wird, weil er sich der an König Kassandros abgeschickten Gesandtschaft angeschlossen und nach deren Zeugnis sich für den Zweck ihrer Sendung sehr nützlich erwiesen habe. Und wenn in einem anderen Dekret zu Ehren des Philippides gerühmt wird, daß er den König Lysimachos bestimmt habe, nicht bloß über 300 der bei Ipsos gefangenen Athener freizugeben, sondern auch im Jahre 299/8 10000 Medimnen Weizen an Athen zu schenken10, wenn nicht minder Demochares in dem Ehrendekret, das sein Sohn für ihn beantragt, gerühmt wird, daß er eine Gesandtschaft an Ptolemaios veranlaßt habe und selbst zu Lysimachos gegangen sei, worauf von jenem 50, von diesem 30 Talente der Stadt geschenkt seien, – so sieht man wohl, wie Athen sich für den drohenden Krieg rüstete und bei den Rivalen des Demetrios bereite Unterstützung fand. Und was mehr war, der Vertrag mit Kassandros hatte die beiden dem Demetrios feindlichen Parteien in Athen, die Patrioten und die Makedonisten, vereinigt; gegen Demetrios gingen Demochares und Lachares Hand in Hand, und Stratokles schwieg.

Es mag im Laufe des Jahres 298 gewesen sein11, daß Demetrios, nachdem[374] er seine phoinikischen, syrischen, kilikischen Städte mit verstärkten Besatzungen gesichert hatte, in See ging, den Krieg gegen Athen zu beginnen. Er fuhr mit einer mächtigen Flotte dorthin, seine Besatzungen in Megara und Korinth boten ihm wichtige Stützpunkte; er mochte hoffen, mit der attischen Macht rasch fertig zu werden. Nahe der attischen Küste überfiel ihn ein Sturm, in welchem er den größten Teil seiner Schiffe und viele von seinen Truppen verlor; er selbst rettete sich. Er begann mit den Überbleibseln seiner Macht Angriffe auf die attische Küste, doch richtete er nichts aus. Er sandte nach Kypros, dorther neue Schiffe kommen zu lassen. Er selbst wandte sich nach der Peloponnes, Messene zu belagern; mit großer Anstrengung wurde gekämpft; ein Katapultpfeil durchbohrte ihm die Wange; er war dem Tode nah; langsam genas er. Endlich wurden Messene und einige andere Städte, die gleichfalls abgefallen waren, wiedergewonnen. Dann wandte er sich von neuem gegen Attika.

Wir sahen, wie Athen sich auf den schweren Kampf gegen Demetrios gerüstet hatte, wie die demokratische und die makedonische Partei Hand in Hand gingen, wie namentlich Demochares tätig war, in Ägypten und in Lysimacheia Unterstützung zu finden, während Lachares die Verbindung mit Makedonien vermitteln mochte. Nur Makedonien schien bei der Nähe der drohenden Gefahr die rasche Hilfe, die nötig war, bringen zu können, während die Flotte, die Ptolemaios außer seiner Geldhilfe versprach, nur erst nach langer Frist erscheinen konnte, und die 100 Talente, die Lysimachos zu seinen 30 noch hinzufügen wollte, im Falle eines Gewaltstoßes des erbitterten Feindes Athen nicht retten konnten.

Die nächste sichere Angabe, die wir finden, ist der Tod des Kassandros. Er starb 297 an einer zehrenden Krankheit. Er hatte nicht aufgehört, der Freiheit Athens feind zu sein, und seine Verbindung mit Lachares hatte ihm nur die Handhabe werden sollen, die Stadt von neuem und in den schon erprobten Formen von Makedonien abhängig zu machen. Nun folgte ihm sein und der Thessalonike Sohn, der kränkelnde Philippos, der eben achtzehn Jahre sein konnte. Die von dem Vater angeknüpfte Verbindung mit Athen bewahrte er, und unter den drohenden Zeitumständen durfte selbst Demochares den Beistand, der seiner Vaterstadt jetzt nicht mehr von dem gefürchteten Gewalthaber kam, nicht verschmähen; er war mit unter den Gesandten, welche seitens der Athener an den König geschickt wurden. Es wird erzählt, daß der junge König sie huldreich empfangen, sie gefragt habe, was er den Athenern zuliebe[375] tun könne. Und Demochares habe darauf gesagt: er möge sich hängen lassen; den lauten Unwillen der Umstehenden habe Philippos beschwichtigt: sie möchten diesen Thersites ungestraft laufen lassen; den anderen Gesandten aber habe er aufgetragen, heimgekehrt den Athenern zu sagen: die seien viel hochmütiger, die solches sprächen, als die es ruhig mit anhörten. Dennoch scheint Philippos eine Bewegung zugunsten der Athener gemacht zu haben; nicht um der Athener willen, für Makedonien selbst waren Demetrios' Erfolge eine große Gefahr. Er rückte nach Elateia; er mochte jetzt, da er als Beschützer der Griechen gegen Demetrios erschien, dort bessere Aufnahme finden als vor drei Jahren sein Vater. Da raffte ihn die Schwindsucht hinweg, nachdem er vier Monate König gewesen war. Das Königtum ging über auf seinen Bruder Antipatros.

Indessen war König Demetrios mit verstärkter Seemacht in den attischen Gewässern erschienen; es gelang ihm, Aigina zu nehmen, auch Salamis, das seit 318 von Athen getrennt war, fiel in seine Gewalt; es scheint, daß das ganze attische Volk aufgeboten wurde, Eleusis zu schützen. Demochares wurde von neuem ausgesandt; er schloß mit den Boiotern Frieden und Bündnis und gewann sie für den Kampf gegen Demetrios. Er ging zu König Antipatros, er empfing von ihm 20 Talente, er brachte sie dem Demos nach Eleusis.

Vielleicht während der Zeit, da er abwesend und das Volk Athens, alt und jung, im Felde bei Eleusis war, begann Lachares die Ausführung seines argen Planes. Über die einzelnen Vorgänge liegt so gut wie nichts vor; wir erfahren, daß er Demochares aus der Stadt vertrieb12, daß er ein Gesetz veranlaßte: wer von einem Frieden oder Vergleich mit Demetrios spräche, sollte des Todes sein. Ob man sich etwas der Art von Demochares und seiner Partei versehen mochte? Jedenfalls war es die Masse des Volkes, die Lachares auf seiner Seite hatte; ihr mochte die Mühe des Kampfes längst zu schwer, die Rettung durch Makedonien um welchen Preis immer erwünscht sein, und die Zeit, da man in Demetrios von Phaleron einen »Tyrannen« gehabt, war bei dem gemeinen Volke in gutem Gedächtnis. Lachares machte der bisherigen Demokratie ein Ende,[376] bevor der König Demetrios kam, sie nach seiner Art wieder in Schwung zu bringen; er handelte im Sinne derjenigen Mächte, die das Umsichgreifen des Demetrios zu fürchten hatten; er stand im Solde Makedoniens und Thrakiens, deren gemeinschaftliches Interesse durch die Vermählung des jungen Königs Antipatros mit Lysimachos' Tochter Eurydike noch enger geknüpft wurde.

Lachares gilt den alten Schriftstellern für einen der schnödesten Tyrannen: er sei vor allen anderen grausam gegen die Menschen, ruchlos gegen die Götter gewesen; sie vergleichen ihn mit Dionys von Syrakus, wie der habe er wie ein Wüterich geherrscht, in steter Furcht vor Verrat und Mord gezittert. Das vermehrte die Drangsale der durch den Feind bedrängten Stadt, so daß gegen ihn Verschwörung und Aufruhr, freilich, ohne Erfolg, versucht wurde. Indes hatte Demetrios im attischen Gebiet festen Fuß gefaßt, auf der Südseite Eleusis, an der Ostküste Rhamnus eingenommen; er verwüstete von dort aus das Gebiet der Stadt. Auf die dem Tyrannen feindliche Stimmung rechnend, sandte er von Salamis aus in den Peiraieus Vertraute mit der Aufforderung, Waffen für tausend Mann bereit zu halten, er werde kommen, für sie zu kämpfen; und so groß war der Haß gegen Lachares, daß die vom Peiraieus willfahrten und Demetrios Herr der Hafenstadt wurde. Es begann eine förmliche Absperrung der Stadt; ein Schiff, das Getreide nach Athen bringen wollte, wurde aufgebracht, der Besitzer, der Steuermann desselben, aufgehängt. Solche Strenge schreckte alle Schiffsherren davon ab, die Einfahrt nach Athen zu versuchen; bald begannen da die Vorräte zu fehlen; ein Maß Salz kostete vierzig Drachmen, für ein Talent konnte man kaum zwanzig Scheffel Getreide erhalten; die Not stieg auf das furchtbarste; man aß Gras, Wurzeln, Ungeziefer; es wird erzählt, daß ein Vater von seinem Sohn um einer toten Ratte willen fast totgeschlagen wurde. Lachares selbst nahm in dieser Zeit von der Pallasbildsäule des Pheidias den Goldschmuck und vom Architrav des Parthenon die goldenen Schilde, und mußte doch am eigenen Tisch mit elenden Beeren fürlieb nehmen. Da endlich sahen die Athener von der Akropolis aus eine Flotte von 150 Segeln bei Aigina erscheinen, die ihnen Ptolemaios zu Hilfe sandte. Aber schon waren auch Demetrios aus Kypros und der Peloponnes Verstärkungen gekommen; sobald sich seine 300 Schiffe in See zeigten, segelte die ägyptische Flotte hinweg, die letzte Hoffnung der Athener.

Lachares verzweifelte, sich länger halten zu können; er beschloß, sein Heil in der Flucht zu suchen; in einem Bauernkleide, das Gesicht mit Ruß beschmiert, eine Misttrage auf dem Rücken, schlich er sich aus einer Pforte der Stadtmauer, warf sich dann auf ein Pferd und jagte, die Taschen voll Dareiken, von dannen. Bald waren ihm des Demetrios leichte[377] Reiter nach; der Fliehende warf einzelne Goldstücke hin, die aufzulesen die Reiter von den Pferden stiegen; dies Spiel wiederholend, entkam Lachares glücklich über die Grenze nach Boiotien.

Sobald der Tyrann hinweg war, eilten die Athener, die in unbeschreiblichem Elend schmachteten, an Demetrios Gesandte zu schicken, um sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben, wennschon sie wenig genug hoffen mochten. Demetrios zog in die Stadt ein; er befahl, das Volk solle sich im Theater versammeln; er umgab die Bühne mit seinen Truppen; dann trat er selbst auf das Logeion und begann zu reden; nicht zürnend oder drohend, mit Milde und Nachsicht hielt er ihnen vor, was er an ihnen, was sie an ihm getan; so groß aber sei seine Liebe für Athen, daß er auch jetzt ihnen verzeihe; er sei nur gekommen, die Stadt von der Tyrannis zu befreien, würdiger dünke ihm verzeihen als strafen; fortan seien die Obrigkeiten wiederhergestellt, die dem Volke die liebsten seien; um aber der Hungersnot in der Stadt ein Ende zu machen, schenke er den Athenern 100000 Scheffel Getreide. Hierbei soll ihm ein nicht attischer Ausdruck entschlüpft sein, dessen Verbesserung ihm von den Sitzreihen herzugerufen wurde, und Demetrios, so heißt es, habe lachend gedankt und für diese gute Lehre noch 5000 Scheffel Getreide versprochen. Über alle diese in der Tat unerwarteten Dinge waren die Athener gar außer sich, schrien und applaudierten in wahrhaft bacchantischem Entzücken, fielen einander frohlockend und vor Freude weinend in die Arme; auf allen Straßen und Plätzen wiederholte sich das Jauchzen und Preisen, auf der Rednerbühne wetteiferte man, Demetrios mit Lob und Ehren zu überschütten; alle endlich überbot Dromokleides mit dem Antrag: den König Demetrios zu bitten, daß er Munychia und Peiraieus von dem Volk der Athener als Geschenk annehme13. Demetrios behielt die Hafenstädte in seiner Gewalt.

Es ist früher die Notiz erwähnt, daß Samaria von Demetrios zerstört worden sei, und daß dies Ereignis von den alten Chronographen dem Jahre 297 oder 296 zugeschrieben wird. Wie sich dort der Krieg entzündete, ist nicht mehr zu erkennen; möglich, daß der Ägypter seine Versuche, Koilesyrien an sich zu reißen, begann, sobald er Demetrios tief genug in den vierjährigen Krieg verwickelt sah; möglich, daß Demetrios den Befehl gegeben hatte, Samaria lieber zu zerstören als in des Ägypters Hände fallen zu lassen; kein Zweifel, daß dann auch Seleukos rasch zur Hand war, was Demetrios aufgab, sich anzueignen. Die Einnahme Athens war für diese Könige und nicht minder für Makedonien und Thrakien von sehr großer Bedeutung; Demetrios hatte lieber Koilesyrien preisgegeben[378] als auf die Bewältigung oder Befreiung Athens verzichtet. Wollte man ihn nicht übermächtig werden lassen, so mußte man eilen, ihm in Griechenland in den Weg zu treten.

Ptolemaios hatte mit seiner Flotte Athen nicht entsetzen können. Er hatte noch eine Waffe in seiner Hand, mit der er den kühnen Gegner schärfer zu treffen vermochte. An seinem Hofe war immer noch Pyrrhos von Epeiros; sein gewandtes und ritterliches Wesen hatte ihm die Gunst der königlichen Frauen erworben, und Berenike, die unter allen bei Ptolemaios den meisten Einfluß besaß, war ganz für ihn eingenommen; gewiß ihr Werk war es, daß Ptolemaios ihm ihre Tochter Antigone, die Schwester des Fürsten Magas von Kyrene, vermählte. Von nun an arbeitete sie daran, ihm die Mittel und die Gelegenheit zur Rückkehr in sein Erbland zu schaffen. Dort war Neoptolemos wegen seiner harten Regierung verhaßt; die Verwirrungen in Griechenland, die raschen Thronwechsel in Makedonien gaben ihm die lockendste Aussicht, und des kühnen und im Kriege gewandten Fürsten Seele dürstete nach Taten und nach Ruhm. Ptolemaios seinerseits mußte eilen, in Europa eine Macht zu begründen, die der des Demetrios entgegenzutreten vermochte; Makedonien war in den Händen eines Knaben, Lysimachos zu sehr für den eigenen und des Eidams Vorteil bedacht, der mit dem des ägyptischen Reiches keineswegs überall zusammentraf und dem gegenüber Ptolemaios durch Verlobung seiner Tochter Lysandra mit dem jüngeren makedonischen Prinzen Alexandros nur eben einigen Einfluß gewann. Freilich Pyrrhos war als Geisel nach Alexandreia gesandt, aber es wird entweder im Gang der Ereignisse sich eine Differenz ergeben haben, die man als Bruch des Vertrages von seiten des Demetrios deuten konnte, oder Demetrios selbst erklärte die Sendung der ägyptischen Flotte nach Attika dafür; genug, Pyrrhos ging, von Ptolemaios mit Geld und Truppen unterstützt, nach Epeiros; er schloß, damit nicht König Neoptolemos sich um Hilfe bittend an eine auswärtige Macht wendete, mit demselben einen Vertrag, nach dem sie die Regierung gemeinschaftlich führen wollten14. Für den Augenblick vermochte er noch nicht, gegen Demetrios aufzutreten. Um sogleich gegen denselben eine Macht aufbringen zu können, scheint Ptolemaios mit Sparta in Verbindung getreten zu sein; es wäre[379] sonst unbegreiflich, wie dieser Staat, der, seit der Niederlage von 330 völlig ohnmächtig, auf der Bühne der Politik nicht mehr erschienen war, jetzt einen Kampf mit Demetrios hätte wagen und Jahre hindurch hätte fortsetzen können. Die Spartaner unter Befehl ihres Königs Archidamos müssen ausgerückt sein und den Krieg begonnen haben; denn Demetrios, der von Athen aus gegen sie zog, fand sie bereits in Arkadien, unfern von Mantineia. Der waldige Lykaiosberg im Südwesten der Stadt trennte die Heere; die Truppen des Demetrios waren in nicht geringer Sorge, da sie, mit den Hohlwegen dort nicht bekannt, fürchten mußten, von den Spartanern aus dem Dunkel des Bergwaldes her überfallen oder umgangen zu werden. Es war ein wüstes Wetter, heftiger Nordwind; Demetrios, der auf der Nordseite des Berges stand, befahl, den Wald anzuzünden; mit furchtbarer Heftigkeit griff die Feuersbrunst um sich, die Spartaner mußten eilen, sich zurückzuziehen. Nun folgte Demetrios auf den offenen Wegen ihnen nach; ohne daß es zum förmlichen Kampfe kam, wichen die Spartaner wie besiegt in die Nähe ihrer Stadt zurück, die sie in der Eile – denn bisher hatte sie nur die im Jahre 317 gegen Polyperchon errichteten Mauern – mit Wällen, Gräben, Palisaden befestigten. Demetrios folgte ihnen; im Tal des Eurotas kam es zum Gefecht, in dem die Lakedaimonier geschlagen wurden, 500 Tote, 200 Verwundete verloren; es schien, daß die Stadt selbst in Feindeshand fallen müsse, sie konnte nur geringen Widerstand leisten.

Selten hat das Glück einem Fürsten so seltsame Wechsel gebracht wie Demetrios; eben jetzt, da er im Begriff stand, durch die Einnahme von Sparta seine Eroberung der Peloponnes zu vollenden, hatte er alles verloren, was er außerhalb Griechenlands besaß. Die Städte in Asien, die noch in seinem Besitz gewesen waren, namentlich Ephesos15, hatte Lysimachos an sich gerissen, Seleukos die Landschaften Kilikien und Phoinikien besetzt16, Ptolemaios die Insel Kypros in Besitz genommen[380] bis auf die Stadt Salamis, in der die edle Phila mit Demetrios' Kindern belagert wurde. Von Makedonien aus, wo sich unter den Söhnen des Kassandros Streit erhoben hatte, war Demetrios zu Hilfe gerufen worden; er hatte, mit dem Kampf gegen Sparta beschäftigt, sie nicht sofort leisten können; jetzt erfuhr er, daß Pyrrhos ihm zuvorgekommen sei, daß er einen Teil des Landes an sich gerissen habe, daß er um einen Frieden unterhandle. Kam es zu diesem Frieden, so hatte die Aussicht, die sich für Demetrios mit einer Intervention in Makedonien bot, ein Ende. Seine überseeischen Besitzungen zu retten, war für ihn nicht mehr möglich; es hätte ihn den kaum errungenen Besitz Griechenlands, den Ersatz, der ihm eine Machtgründung in Europa schaffen mußte, gekostet. Er eilte, hier zu retten, was noch zu retten war; namentlich Makedonien mußte sein Augenmerk sein. Sein Rückzug aus Lakonien glich einer Flucht, die Spartaner brachen aus der Stadt hervor, verfolgten ihn, verwundeten viele aus der Nachhut; schleunigst durchzog Demetrios einen Engpaß, ließ dann in demselben sämtliche Packwagen auffahren und warf Feuer hinein; die Flamme hielt die Verfolgenden so lange auf, daß seine Marschkolonne den nötigen Vorsprung gewann. Nun zog er schnell durch Arkadien, über den Isthmos, nach Boiotien; er sandte einen Herold an den Boiotischen Bund, der ihm feind war, demselben den Krieg anzukündigen; am Tage, nachdem der Herold das Schreiben seines Herrn den Boiotarchen in Orchomenos übergeben hatte, stand Demetrios schon in Chaironeia; die Boioter mußten sich fügen. Nur Theben, so scheint es, leistete ihm Widerstand; dorthin hatte sich Lachares geflüchtet. Demetrios mochte sich nicht die Zeit nehmen, die Stadt zu belagern; was in Makedonien geschah, nötigte ihn zu eilen, denn noch war der Friede des Pyrrhos nicht beschworen.

Pyrrhos hatte sich verpflichtet, mit dem König Neoptolemos gemeinsam zu regieren. Bald genug wurde dies Verhältnis gestört; was davon überliefert wird, immerhin kleinlich und anekdotenhaft, gibt eine bezeichnende Vorstellung der molossischen Zustände. Neoptolemos war bei den Epeiroten verhaßt, und der junge und herrschsüchtige Pyrrhos fühlte sich durch den Mitregenten überall beengt und gehemmt. Nach alter Sitte kamen die Könige in dem molossischen Orte Passaron alljährlich mit den Untertanen zusammen, opferten dem Zeus Areios, schwuren, daß sie nach den Gesetzen regieren wollten, nahmen vom Volk den Schwur entgegen,[381] daß sie das Königtum nach den Gesetzen der Väter bewahren würden. Beide Könige kamen auch diesmal mit den Freunden, opferten und schwuren, gaben und nahmen Geschenke; vor allem machte sich des Neoptolemos getreuer Anhänger Gelon viel um Pyrrhos zu schaffen, schenkte ihm auch zwei Gespanne schöner Pflugochsen. Myrtillos, der Mundschenk des Königs, stand dabei und bat den König, ihm die Stiere zu schenken, und da sie der König einem andern gab, wandte er sich zürnend hinweg. Gelon trat zu ihm, lud ihn ein, mit ihm in sein Gehöft zu kommen; der Anblick des schönen Jünglings hatte ihn ganz gefesselt, und er hätte alles um seine Gunst getan. Nun tranken sie, beieinander sitzend, und von Wein und Liebe erhitzt sprach Gelon: »Bist du nicht im tiefsten gekränkt? Er ist allen verhaßt, laß uns das Volk befreien; du ja reichst ihm den Wein.« Myrtill stellte sich, als gehe er auf alles ein, doch als das Mahl geendet war, vertraute er Pyrrhos, was geschehen sei; der lobte ihn, befahl ihm, er möge dem Gelon auch noch den Obermundschenk mit ins Vertrauen zu ziehen raten, damit der Zeugen mehr wären. Gelon aber berichtete alles an seinen Herrn: bald, hoffe er, werde die Tat geschehen sein; und Neoptolemos konnte seine Freude nicht verbergen, er vertraute es seinen Freunden, und als er bei seiner Schwester Kadmeia zu Gaste war, sprach er auch ihr davon; er meinte, es höre sie niemand; es war auch sonst niemand zugegen als die Frau des Samon, der über Neoptolemos' Herden und Wiesen gesetzt war; diese lag im Bett, sie wandte ihr Gesicht gegen die Wand und schien zu schlafen, sie hörte aber alles. Und tags darauf ging sie zu der Königin Antigone und entdeckte ihr, was sie gehört hatte; diese berichtete es ihrem Gemahl. Für den Augenblick gebot Pyrrhos zu schweigen. Die Vornehmsten der Epeiroten waren ihm zugetan; wiederholt hatten sie ihn aufgefordert, sich nicht mit einem Teil des Königtums zu begnügen, sondern das Königreich zu vereinigen, dessen Erbe er sei und zu dessen Führung ihn nicht minder das Recht als sein kühner Geist und sein Feldherrntalent berufe. Jetzt konnte er geltend machen, daß seine eigene Sicherheit eine schnelle Tat gegen Neoptolemos fordere, bevor dessen mörderischer Anschlag gelinge. Er lud ihn zu einem Opfermahl; beim Gelage ließ er ihn ermorden. So war das molossische Königtum wieder vereinigt und in der Hand des Fürsten, unter dem es seinen höchsten Glanz gewinnen sollte.

Nach dem eben erzählten Vorgang sieht man, wie altväterisch und bäuerlich noch die Zustände des Landes waren, wie weit noch hinter der Zeit und ihrer Bildung, ihrer höfischen und militärischen Courtoisie zurück. Das Neue scheint dem Lande mit Pyrrhos gekommen zu sein; in seiner Umgebung ist ein Obermundschenk, eines der vielen Hofämter, wie wir sie am Hofe von Alexandrien kennen; wie dort erscheint bei ihm[382] die Würde der »Freunde«, der »Leibwächter«. Er teilt mit den übrigen Königen den Eifer, neue Städte zu gründen; zu Ehren seiner Schwiegermutter baut er auf der epeirotischen Chersones die Stadt Berenike. Seine eigene Ausbildung ist im wesentlichen die soldatische; in der Kunst und den Wissenschaften des Krieges ist er ausgezeichnet, wie seine theoretischen Schriften über die Taktik bewiesen. Hannibal hat ihn den größten unter allen Feldherren genannt, und der alte Antigonos soll auf die Frage, wen er für den tüchtigsten Feldherrn halte, gesagt haben: »Pyrrhos, wenn er wird älter sein.« Daß er geeigneter war, Schlachten zu schlagen, als sich mit den weitläufigen Arbeiten des Hauptquartiers zu mühen, lag in seinem Charakter. Er war kühn, heftig, von plötzlichem Entschluß, im Moment der Gefahr rasch zu anderen Wegen, anderen Zielen überzuspringen, vor allem immer vorwärts stürmend. Er hörte sich gern den »Adler« nennen. Sein Äußeres war kriegerisch, sein Blick fest und Schrecken einflößend; die zusammengewachsene Reihe der Oberzähne gab ihm ein wildes Ansehen; sein festeinwurzelnder Schritt, die Heftigkeit seiner Bewegungen, die ganze Haltung seines Körpers erinnerte an den Alexander der Schlachten; doch hatte er nicht minder Güte und Milde, wo es galt, zu gewinnen, und er verstand es, durch solchen Zauber fremde Völker an sich zu ziehen und in ihnen das Verlangen zu erwecken, daß er ihr König wäre. Minder galt ihm, was erworben war, zu behaupten, und die gewonnenen Anhänger zu fesseln bemühte er sich nie. Die emporgekommenen Fürsten seiner Zeit waren mit Schmeichlern und Schranzen umgeben, Pyrrhos hatte Freunde und warb um das Herz der Besten; jene hatten in ihren eigenen Familien tödliche Feinde, und Verräter in Hof und Heer; Pyrrhos' Hausstand war glücklich und die Treue seiner Epeiroten fortan unverbrüchlich. Als er die Römer kennenlernte, wie er weder sie sich vorgestellt, noch geahnt, daß ein Volk in seiner Zeit sei, vergaß er, daß der Krieg sie zu seinen Feinden mache; er erglühte von Leidenschaft für sie, er wähnte sie gewinnen zu können, indem er das Gefühl seines Herzens laut werden ließ. Und dieser ritterliche König, durch so viele Schicksale von Jugend an hin- und hergeworfen, durch jede Art von Gefahr und Unglück früh gestählt, war nun alleiniger Herr eines Volkes, das ihn bewunderte, eines Landes, das, den Verwirrungen in Griechenland und Makedonien nahe, über beide seine Macht zu verbreiten ihm günstig lag. Bald genug fand sich der äußere Anlaß17.[383]

In Makedonien war seit dem Tode des jungen Königs Philippos entsetzliches Wirrsal in dem Hause des Kassandros. Sein zweiter Sohn, Antipatros, hatte das Reich erhalten; kaum dem Knabenalter entwachsen, mochten er und sein Bruder Alexandros noch unter der Obhut ihrer Mutter Thessalonike, der Tochter des großen Philipp, stehen; schon jetzt waren sie vermählt, der ältere, Antipatros, mit Lysimachos' Tochter Eurydike, Alexandros mit Lysandra, der Tochter des Ptolemaios. Bald entstand zwischen den jungen Brüdern Eifersucht und Zwietracht; Antipatros beklagte sich, die Mutter suche den Vorteil ihres Lieblings Alexandros, ihm wolle sie das ganze Reich zuwenden; er ermordete seine Mutter, die letzte aus König Philipps Geschlecht. Dies mag im Anfang des Jahres 295 geschehen sein. Alexandros rettete sich durch die Flucht; er wandte sich an Demetrios, ihn um Beistand zu bitten; den fesselten für den Augenblick noch die hellenischen Angelegenheiten. Nun floh Alexandros nach Epeiros; Pyrrhos sagte ihm Hilfe zu, forderte aber dafür von den altmakedonischen Ländern Tymphaia und Parauaia, von den neuerworbenen Akarnanien, Amphilochien und Ambrakia, die größte der griechischen Städte in jener Gegend. Alexandros willigte ein, Pyrrhos besetzte die Landschaften, so wie er bereits durch Vermählung mit Lanassa von Syrakus Korkyra erworben hatte; sein Reich erstreckte sich vom Acheloos bis zu den keraunischen Bergen. Darauf zog er mit Heeresmacht aus, Alexandros nach Makedonien zu führen; Antipatros flüchtete mit seiner Gemahlin nach Thrakien, bei ihrem Vater Lysimachos Beistand zu finden. Mit den Geten im Kampfe, vermochte Lysimachos nicht, Hilfe zu gewähren; er wünschte um jeden Preis den Frieden wiederhergestellt, bevor Demetrios sich einmischte. Alexandros wurde leicht gewonnen, aber wie den jungen »Adler« im Fluge hemmen? Durch einen Betrug eigener Art hoffte Lysimachos es zu können: er wußte, wie großen Einfluß Ptolemaios über Pyrrhos hatte; er schrieb einen falschen Brief unter Ptolemaios' Namen an Pyrrhos, in dem er diesen aufforderte, gegen dreihundert Talente, die Antipatros zahlen werde, vom Kriege abzustehen. Pyrrhos erkannte sogleich den Betrug, denn statt des gewöhnlichen Grußes des Ptolemaios: »Der Vater seinem Sohne«, war geschrieben: »Der König Ptolemaios dem König Pyrrhos seinen Gruß.« So aufgebracht Pyrrhos über den Betrug des Lysimachos war, er schloß den Frieden; ihn zu beschwören, kamen die drei Könige zusammen; man brachte einen Stier, einen Widder und einen Bock zum Opfer, aber der Stier fiel, ehe[384] ihn das Beil traf; die anderen lachten, dem Pyrrhos widerriet sein Seher Theodotos den Frieden: jenes Zeichen bedeute, daß einer der drei Könige sterben werde, weshalb Pyrrhos den Frieden nicht beschwor. So wird erzählt; Pyrrhos konnte gute Gründe haben, das Zeichen der Götter als Vorwand zu benutzen, um seinerseits die freie Hand zu behalten. Die beiden Brüder scheinen Makedonien geteilt oder gemeinsam besessen zu haben.

Jetzt kam Demetrios mit Heeresmacht aus Griechenland herangezogen. Wie gern wäre Alexandros des Helfers los gewesen, den er vor wenigen Monaten selbst gerufen! Er hatte des Molossers Hilfe teuer genug bezahlt; jetzt war er mit seinem Bruder in Frieden, ein neuer Krieg konnte nur neue Verluste bringen. Schon war Demetrios in Thessalien, schon über die Pässe des Tempetales hinaus; der junge König eilte ihm an die Südgrenze nach Dion entgegen, empfing ihn dort mit höchsten Ehrenbezeigungen: er danke den Göttern, daß der Zwist mit seinem Bruder ausgeglichen sei, es bedürfe der Hilfe nicht weiter, die ihm Demetrios zu bringen gekommen sei. Gegenseitige Höflichkeiten verbargen kaum den bangen Argwohn auf Alexandros', das Gefühl getäuschter Erwartungen auf Demetrios' Seite. Von Alexandros zu einem Gastmahl geladen, erfuhr Demetrios von einem jungen Manne, daß man ihm nach dem Leben trachte, daß er über Tafel ermordet werden solle. Demetrios beschloß dennoch zu gehen; er befahl seinen Hauptleuten, das Heer unter die Waffen treten zu lassen; dann ging er mit seinen königlichen Pagen hin, nahm sie mit in den Saal, gebot ihnen, dort zu weilen, bis er von der Tafel aufstehe. Alexandros hatte der Begleiter eine geringere Zahl; er wagte nicht, was er gewollt hatte. Demetrios stand bald von der Tafel auf: er befinde sich nicht so, noch viel zu trinken. Andern Tages gab er Befehl zum Aufbruch: gewisse Nachrichten zwängen ihn zurückzukehren; Alexandros möge es nicht mißdeuten, daß er so schnell hinwegeile, er hoffe zu anderer Zeit mit mehr Muße und länger bei ihm zu weilen. Der junge König sprach seine Freude aus, daß Demetrios aus freiem Antrieb und ihm wohlgesinnt von hinnen ziehe; er bat um die Ehre, ihn mit seinem Heere nach Thessalien begleiten zu dürfen; seine Absicht war, durch den Schein des Zutrauens, indem er bei Demetrios und inmitten seines Heeres bleibe, desto sicherer Gelegenheit zur Ausführung seines Planes zu finden. Demetrios kam ihm zuvor; sie waren nach Larissa gekommen, dort lud er Alexandros zur Tafel; Alexandros kommt, man speist; dann steht plötzlich Demetrios auf; Alexandros, in der Furcht, dies sei das Zeichen, steht mit auf, folgt Demetrios auf dem Fuße nach, der Türe zu; hinaustretend ruft dieser den Wachen zu: »Trefft den hinter mir«, und geht hinaus; umsonst versuchen Alexandros' Begleiter, ihn zu retten; im Saale[385] werden sie mit ihm ermordet; sterbend verwünscht er es, daß er nicht bis zum andern Tage gelebt, da würde Demetrios statt seiner hier liegen.

Die Nacht darauf war alles in Aufregung und wirrer Hast; die Makedonen, die mit dem jungen König gekommen waren18, fürchteten, Demetrios werde auch sie niederhauen lassen. Am Morgen ließ ihnen der König sagen: sie möchten nichts fürchten, er wünsche zu ihnen zu sprechen und sich über das Geschehene zu rechtfertigen. Er kam: allerdings sei König Alexandros auf seinen Befehl ermordet; aber die eigene Sicherheit habe ihn dazu gezwungen; von dem jungen König zu Hilfe gerufen, sei er gekommen; statt des Dankes habe ihm der Tod werden sollen; schon in Dion habe Alexandros ihm nach dem Leben getrachtet, jetzt in Larissa wäre, wenn er einen Tag länger gezögert hätte, sein Tod unvermeidlich gewesen; Mord und Verrat seien heimisch im Hause des Kassandros; was bedürfe es der Beweise? Habe nicht Antipatros schon das teure Geschlecht Philipps und Alexanders verfolgt und geschändet? Habe nicht er durch seinen Sohn Iolaos dem großen König den Gifttrank reichen lassen? Sei nicht Kassandros der Mörder der Olympias, der Roxane, des königlichen Knaben, den sie geboren? Sein schnödes Ehebündnis mit der letzten Erbin des königlichen Hauses habe den Muttermörder Antipatros geboren, ob sie denn den zu ihrem König haben wollten? In seinem Vater Antigonos und in ihm selbst habe das Geschlecht Alexanders stets die treuesten Vertreter gefunden, und die Rache gegen Antipatros, gegen Kassandros habe er an dessen Söhnen zu erfüllen, damit Makedonien nicht länger unter dem Joch der Familie schmachte, durch welche es seines Ruhmes und seiner Ehre, seines großen Königs beraubt worden sei; die Manen Alexanders und Philipps würden nun erst zur Ruhe kommen, wenn sie das Haus der Mörder vertilgt, wenn sie ihr Reich in den Händen ihres Rächers sähen. Dies und ähnliches mochte der König zu den Makedonen sprechen; schon daß er ihrer nach solchen Vorgängen geschont und daß er vollkommene Amnestie verkündete, mochte ihre Stimme leiten; sie riefen Demetrios zum König der Makedonen aus und geleiteten ihn als solchen in sein neues Reich. War Antipatros in seinen Anteil Makedoniens bereits zurückgekehrt, so eilte er jetzt gewiß wieder Hilfe suchend zu Lysimachos. Sofort fällt das ganze Land dem König Demetrios zu. Überall wird er gern aufgenommen, niemand will für den Muttermörder Partei ergreifen; von König Demetrios und seinem jungen Sohn Antigonos,[386] der sich schon im Heere des Vaters hervortut, dem Sohn der vielgefeierten Phila, hofft man endlich bessere Tage für Makedonien.

So war Demetrios König in Makedonien geworden; freilich war ihm alles verloren, was er von asiatischen Besitzungen aus dem Untergang des großen väterlichen Reiches noch gerettet hatte; selbst Salamis auf Kypros war endlich gefallen, seine Gemahlin und seine Kinder Ptolemaios' Gefangene; aber er war Herr von Makedonien und Griechenland, er hatte eine Macht, größer als die, mit welcher einst Alexander die Welt zu erobern hatte wagen können. Schon hatte er begonnen, durch eine volle Amnestie für die Anhänger des Kassandros und seiner Söhne sich eine Popularität zu erwerben, die ihm bei seiner persönlichen Liebenswürdigkeit, bei dem Ruhm, den er besaß, und bei dem kriegerischen Stolz der Makedonen, dem seine großen Pläne schmeicheln mußten, zu steigern und zu befestigen leicht werden mochte; je tiefer Makedonien unter der Herrschaft dreier Knaben gesunken sein und sich erniedrigt fühlen mußte, desto stolzer schien es nun sich erheben zu können unter dem Szepter des Helden von Kypros und Rhodos, des Königs, dem sein Vater das große Anrecht auf das ganze Reich Alexanders vererbt hatte. Denn darauf war fortan Demetrios' ganzes Streben gerichtet, und sein abenteuerlicher Sinn ließ ihn in den kühnsten Hoffnungen schwelgen.

Aber freilich gab es für jetzt noch in Europa der dringendsten Geschäfte genug. Pyrrhos hatte einen guten Teil des makedonischen Westens in seinem Besitz. Zu Lysimachos war der vertriebene Antipatros geflüchtet und drängte ihn mit immer neuen Bitten, ihm sein väterliches Erbe zurückzugeben; und Demetrios hatte mit Recht Besorgnis vor dem König von Thrakien und Kleinasien, den er und der ihn auf das bitterste haßte. Endlich war Griechenland und die Peloponnes noch keineswegs so gesichert, daß Demetrios hätte unbesorgt sein dürfen; Pyrrhos stand mit den Aitolern in engem Waffenbündnis; die Spartaner hatten durch den glücklichen Widerstand, den sie geleistet, neue Kraft gewonnen und begannen mit Theben, das noch nicht bewältigt war, in Verbindung zu treten; selbst in Athen gingen besorgliche Dinge vor, es war zu befürchten, daß Ptolemaios alles mögliche tun werde, um Griechenland in einem Zustand der Aufregung zu erhalten, der Demetrios an jedem weiteren Unternehmen hindern mußte. Zwar hatte Ptolemaios die Gefangenen von Salamis, seiner Gemahlin Schwester und die Kinder des Demetrios, nicht bloß mit höchsten Ehren aufgenommen, sondern auch freigegeben und mit reichen Geschenken zurückgesandt; indes mochte dies um seiner eigenen Tochter willen, der Witwe des Alexandros, die sich wohl noch in Demetrios' Händen befand, geschehen sein; er hatte ein zu großes Interesse dabei, Demetrios' Macht in Europa nicht sich befestigen zu lassen.[387]

Auch der kluge Ptolemaios durchschaute nicht die Natur seines unberechenbaren Gegners. Warum gelang es ihm nicht, diesen Proteus zu fassen und zu binden? Andere sind groß im Erwerben, andere im Erhalten des Erworbenen; Demetrios hat, wie einst Alkibiades, die in der Tat geniale Kraft, sich sofort, wohin ihn auch sein Schicksal schleudert, von neuem zum belebenden Mittelpunkt der Verhältnisse zu machen, sich ihnen anzuähneln, als seien sie ihm von Anfang her gewohnt, mit ihnen weiter und weiter zu arbeiten, als wären sie die notwendigen und allein möglichen Organe für seinen Willen und seine Pläne; überall sind es die positiven, die tätigen, die Elemente der Bewegung, die er zu ergreifen, zu leiten, zur Tat zu führen weiß. Emporklimmend stürzt er tief hinab, ergreift dann irgend einen günstigen Zufall, sich wieder emporzuschwingen, kommt mit neuer, doppelter Kühnheit aufwärts, um doppelt tief zu stürzen und aus dem Sturz sich mit neuer staunenswürdiger Keckheit emporzuschwingen; nie ist er so tief gestürzt, daß er den Mut verlöre, nie so hoch auf den gefährlichen Klippenwänden des Glückes, daß er Sorge hätte, sich zu halten; er gehört ganz dem Moment an, und mit dem Moment wechselt sein Charakter, sein Glück, seine Pläne.

Weniges sagen die Überlieferungen von Demetrios' Verhältnissen zu den Makedonen, und dies wenige gehört den letzten Jahren seiner kurzen Regierung an. Gar anders müssen die ersten gewesen sein; es ist nicht möglich, daß die Bevölkerung Makedoniens schon jetzt in die Indolenz der unterworfenen Völker Asiens versunken sein konnte; Demetrios kann nicht mit seinen wenigen tausend Soldknechten in der Heimat Alexanders und Philipps das Feldlager eines Condottiere aufgeschlagen haben; er muß sich zu der Nation verhalten, muß die Elemente ihres Lebens, die Impulse ihrer nur zu schnöde mißachteten großen Vergangenheit erfaßt, sie in nationalem Sinne wieder zu erwecken gewußt oder mindestens einige Zeit hindurch versucht haben. Freilich hat die Geschichte der Makedonen die Analogie mit der ihres großen Königshauses, daß auch sie und ihre Macht von Stufe zu Stufe hinabgedrängt, erniedrigt, zerrieben, endlich vernichtet wird. Doch liegt dieser Verlauf über zwei Jahrhunderte hingestreckt, und die Diadochenzeit enthält nur die ersten Stadien dieses traurigen Verlaufes. Unter Kassandros ist dies welterobernde, dies Weltvolk wieder in die beschränkte und beschränkende Sphäre einer Politik zurückgedrängt, die schon nicht mehr über den engen Bereich der philippischen Zeit hinausreicht; schon hat es dem epeirotischen Nachbarn bedeutendes Gebiet abtreten, schon seinen Einfluß über Griechenland preisgeben, sich von den Reichen, die es selbst erobert, in den Schatten gestellt sehen müssen. Nun wird es sich von neuem erheben; jenes Königs, der das große Reich der Eroberungen noch einmal zu vereinigen angestrebt hat,[388] der unterlegen ist, weil er es ohne Zustimmung der makedonischen Heimat gewagt hat, jenes Königs Sohn ist nun anerkannter König der Makedonen; er hat die Ansprüche des Vaters geerbt und wird sie, auf die Macht und den Stolz des immer noch kriegsgewaltigen Volkes gestützt, geltend zu machen wissen; er ist Herr in den griechischen Landen und wird sie wieder dem makedonischen Namen unterwerfen, unter ihm wird Makedonien, die verlorenen Eroberungen wieder zu erobern, kämpfen, – und das vollkommene Mißlingen des Wagnisses wird den Beweis geben, daß die Zeit eines einigen makedonischen Reiches über Europa und Asien für immer vorüber ist.

Die Überlieferungen geben kaum einzelne Momente aus diesem Zusammenhang der seltsamsten Entwicklung. Des Königs Demetrios erstes Unternehmen von Makedonien aus wandte sich nicht gegen Lysimachos, nicht gegen Pyrrhos, sondern gegen Griechenland. Kleonymos, der Abenteurer aus dem spartanischen Königsgeschlecht, war mit einem Heere in Boiotien eingerückt und von der Stadt Theben aufgenommen worden, in der sich Lachares, der geflüchtete Tyrann von Athen, aufhielt; die boiotischen Städte, aufgeregt durch den Thespeier Peisis, der als bewährter Kriegsmann und kluger Berater in ihrem Bunde sehr viel vermochte, brachen den Frieden, den sie ein Jahr vorher mit Demetrios geschlossen. Schleunigst eilte der König herbei, ließ seine mächtigen Belagerungsmaschinen vor Theben auffahren, begann die Belagerung der Stadt; da entfloh Kleonymos, Lachares verbarg sich in einer Kloake und entwischte nach Delphi, um sich nach Thrakien zu flüchten; und die Boioter unterwarfen sich. Demetrios legte Besatzungen in die Städte, brandschatzte die Landschaft, der er zum Verweser und Harmosten den Kardianer Hieronymos, des Eumenes Freund, den Geschichtsschreiber, setzte. Man hatte besorgt, Demetrios werde Theben, wie einst Alexander, zerstören; er verzieh das Geschehene; den mächtigen Peisis bemühte er sich für seine Sache zu gewinnen, er ernannte ihn zum Polemarchen über Thespiai; als Herr seiner früheren Mitbürger schien er Anhänger der Macht werden zu müssen, gegen welche sie sich aufgelehnt hatten.

In Athen hatte sich, wohl nicht ohne Einfluß der Spartaner oder der auswärtigen Macht, in deren Interesse sie handelten, eine Verschwörung gebildet, die nichts Geringeres bezweckte, als die Besatzung, die Demetrios im Peiraieus gelassen hatte, zu vertreiben und die Freiheit, die jetzt doch nur ein leerer Name war, in Wahrheit erstehen zu lassen. Die Verschworenen traten mit einem Söldnerhauptmann der Besatzung, dem Karer Hierokles, in Verbindung und verabredeten mit ihm, daß er nachts die Tore öffnen und sie einlassen sollte; Hipparchos und Mnesidemos leiteten die Sache. Hierokles aber berichtete den ganzen Plan an den Befehlshaber Herakleides; dieser befahl, die Verschworenen einzulassen. In der Stille[389] der Nacht kamen sie, 420 Mann stark; Herakleides ließ 2000 Bewaffnete sie empfangen, sie wurden größtenteils erschlagen19. Demetrios nahm hiervon Anlaß, gegen Athen so zu verfahren, wie es sein jetziges, das makedonische Interesse forderte; ihm wurden alle diejenigen, die gegen ihn, den bisher so eifrigen Beschützer der ungebundensten Demokratie, in den Volksversammlungen gesprochen und Krieg gefordert hatten, ausgeliefert; er gab sie frei: Verzeihen sei besser als Strafen; er gestattete den früheren Anhängern des Demetrios von Phaleron, auch Theophrastos, die Rückkehr, Männern, die ebensosehr ihren Theorien wie ihren Gewohnheiten nach Gegner der Demokratie waren und mit deren Wiederauftreten in der Stadt, wenn auch die demokratischen Formen fortbestanden, die Kraft des Demos gebrochen war. Endlich legte Demetrios in die Stadt selbst eine makedonische Besatzung, für welche das Museion, der Felsen am Eingang der langen Mauern, befestigt wurde. Im Grunde war Athen jetzt eine makedonische Provinzialstadt.

Währenddessen waren im thrakischen Königreich Dinge vorgefallen, welche dem neuen Königtum des Demetrios und seinen weiteren Plänen überaus günstig zu werden versprachen. Lysimachos hatte schwer genug jenseits des Haimos gegen die verbündete Macht der Pentapolis und der Geten an der unteren Donau zu kämpfen gehabt; er scheint die fünf Griechenstädte nicht dauernd unterworfen zu haben, und das Getenreich unter dem König Dromichaites behauptete sich. Aus den dürftigen Notizen, die uns erhalten sind, ist nicht zu ersehen, von welchen Dingen in Anspruch genommen Lysimachos bei den Kämpfen des Demetrios in Hellas und Makedonien so untätig blieb. Aus den Münzen der späteren bithynischen Könige erhellt, daß mit dem Jahre 298/7 die Ära dieses Königreiches beginnt; eben da wird der Dynast Zipoites den Königstitel angenommen haben, und wenn er sein Gebiet erweiterte, so kann es zunächst nur auf Kosten des Lysimachos geschehen sein, dessen Herrschaft Bithynien fast rings umschloß. Die nächste Tatsache, die angegeben wird, zeigt Lysimachos in neuem Kampf gegen die Geten. Er hatte seinen Sohn Agathokles gegen sie gesandt; der Feldzug endete damit, daß Agathokles gefangen genommen wurde. Die Geten sandten ihn mit Geschenken dem[390] Vater zurück; sie hofften dadurch des Königs Freundschaft und die Zurückgabe des ihnen entrissenen Gebietes zu gewinnen, da sie daran verzweifelten, den mit den mächtigsten Herrschern nah und fern verbündeten König bezwingen zu können. Aber nach solchem Erfolg war die Macht der Geten im Rücken des Lysimachos bedeutend genug, um ihn von jedem Versuch, den er bei den Wirren in Makedonien für den zu ihm geflüchteten Antipatros, seinen Schwiegersohn, hätte machen können, zurückzuhalten. Er wies die immer neuen Bitten der Tochter und ihres jungen Gemahls, ihnen die Heimkehr zu erkämpfen, zurück; sein erstes, sobald er freie Hand hatte, mußte sein, die Geten zu demütigen; er schloß mit Demetrios einen Frieden, in dem er ihn als König von Makedonien anerkannte und ihm Antipatros' Anteil des makedonischen Landes förmlich abtrat.

So endlich war er in der Lage, den Kampf gegen Dromichaites zu erneuen; auf welchen Anlaß oder Vorwand, wird nicht berichtet. Lysimachos scheint mit besonders großer Heeres macht aufgebrochen zu sein, der junge Klearchos von Herakleia war mit ihm. Ein Befehlshaber des Getenheeres kam als Überläufer in des Königs Lager: er wolle einen Weg zeigen, auf dem man den Feind überfallen könne. Man traute ihm; er führte das Heer in weite Wüsteneien, bald war Mangel an Wasser, an Lebensmitteln; die Geten umschwärmten das Heer, vergeblich suchte man sich ihrer zu erwehren, das Elend wuchs bis zur Verzweiflung. Die Freunde rieten dem König, sich zu retten, wie er könne, das Heer preiszugeben; er antwortete, es sei nicht gerecht, mit dem Verrat gegen das Heer und die Freunde eine schnöde Errettung zu erkaufen. Da endlich keine Aussicht mehr blieb, gab er sich mit seinem Heere kriegsgefangen; als ihm nun ein Trunk Wasser gereicht wurde; rief er aus: »Wehe über meine Feigheit, daß ich um einer so kurzen Lust willen ein so schönes Königtum dahingegeben habe.« Dann kam Dromichaites, begrüßte und küßte den König, nannte ihn Vater, führte ihn mit seinen Söhnen in die Stadt Helis.

Auf die Nachricht von der Niederlage des Lysimachos war Demetrios mit Heeresmacht ausgezogen, in dessen Reich einzubrechen, das er unverteidigt zu finden hoffte. Die Kunde davon gelangte gewiß zu den Geten, und Dromichaites war nicht so Barbar, daß er nicht seinen Vorteil hätte erkennen sollen. Die Geten strömten zusammen, forderten, daß der gefangene König ihnen zur Strafe übergeben werde, denn es gebühre dem Volk, das die Gefahren geteilt habe, darüber zu entscheiden, was mit den Gefangenen zu machen sei. Dromichaites entgegnete ihnen: es sei zu ihrem Nutzen, den König zu retten; denn wenn sie ihn töteten, würden sich sofort andere seines Reiches bemächtigen und ihnen leicht gefährlichere[391] Nachbarn werden als Lysimachos; wenn sie aber seinem Rat folgten, so würden sie nicht allein Lysimachos zur ewigen Dankbarkeit verpflichten, sondern auch die von ihm eroberten Landstriche zurückerhalten und hinfort in ihm einen Freund und getreuen Nachbarn haben. Dem gaben die Geten ihren Beifall; darauf ging Dromichaites, rief aus den Kriegsgefangenen die Freunde und Hofbedienten des Lysimachos auf und führte sie zu ihrem König. Dann die Opfer bereitend, lud er ihn mit seinen Freunden sowie die Vornehmsten des eigenen Landes zum Mahl. Es waren zweierlei Tafeln bereitet, die Sitze bei denen für die Fremden mit köstlichen Teppichen, die man erbeutet hatte, bedeckt, bei denen für die Barbaren schlechte Matten, auf den Boden ausgebreitet; für die Fremden silberne Tische mit vielen und ausgesuchten Speisen und Leckerbissen nach hellenischer Weise, für die Geten Fleisch und Gemüse, kärglich nach heimischer Sitte, auf den bloßen Holzplatten der kunstlosen Tische; dann wurde Wein gebracht, für die Fremden in goldenen und silbernen Bechern, für die Geten in hölzernen Krügen und Trinkhörnern. Und als sie schon reichlich getrunken hatten und der König Dromichaites das große Trinkhorn füllte und es Lysimachos reichte, sprach er: »Scheinet dir, o Vater, der Makedonen Mahl königlicher oder unser thrakisches? « Und Lysimachos antwortete: »Freilich das makedonische!« Und Dromichaites: »Wie denn nur, o Vater, hast du, ein so reiches und herrliches Leben verlassend, hierher kommen können zu uns Barbaren, die wir wie die wilden Tiere leben, und in unser Land, das rauh und winterlich und an Ackerfrucht arm ist? Wie hast du deine Heere wider ihre Natur in Gegenden führen können, in denen sie unter freiem Himmel zu übernachten nicht imstande sind und den kalten Reif und die stürmischen Nächte nicht ertragen können?« Und Lysimachos antwortete: »Ich kannte die Beschwerden eures Landes und die Gefahr solchen Krieges nicht; nun aber bin ich dir zu ewigem Danke verpflichtet und werde dir ein treuer Bundesgenosse sein; und so du willst, führe die schönste meiner Töchter als Braut heim, daß zwischen dir und mir des Bündnisses ein dauerndes Zeugnis sei.« So schlossen sie Frieden und Freundschaft, Lysimachos gab dem Getenkönig die Landstriche zurück, die er ihm entrissen, die Donau sollte ihrer Reiche Grenze sein. Dromichaites aber küßte den König, band ihm das Diadem um sein Haupt und entsandte ihn reich beschenkt mit seinen Freunden in die Heimat.

So war freilich Lysimachos mit seiner nächsten Umgebung gerettet; aber militärisch bedeutete er für den Augenblick nichts; selbst wenn er seine kriegsgefangenen Truppen auslösen durfte, was nach gewissen Andeutungen in der obigen Erzählung nicht eben wahrscheinlich ist, so bedurfte es doch geraumer Zeit, ehe das so zerrüttete Heer wieder formiert[392] war. Lysimachos hätte sein Reich gegen die Invasion des Demetrios nicht; verteidigen, er hätte ihn nicht zurücktreiben können, wenn nicht eine Bewegung im Rücken Makedoniens zur rechten Zeit Hilfe gebracht hätte.

Die Boioter, denen vor kurzem erst eine Empörung verziehen war, erhoben sich von neuem; gewiß nicht ohne Einwirkung von außen: Pyrrhos, der treue Verbündete des Lagiden, ist gleich darauf auch mit einem Heere in Marsch; und für den Lagiden war es von höchstem Interesse, das thrakische Reich vor Demetrios zu retten.

Auf die Kunde von dem Abfall der Boioter gab Demetrios den thrakischen Feldzug auf, um so mehr, da er auch Lysimachos' Rückkehr erfuhr; er eilte durch Thessalien nach Boiotien, er fand die Boioter bereits von seinem Sohne Antigonos zu Paaren getrieben, nur Theben hielt sich noch. Sofort wandte sich Demetrios zur Belagerung der festen Stadt.

Indes war Pyrrhos in Thessalien eingefallen, bereits bis an die Thermopylen vorgedrungen. Diese mußten um jeden Preis gerettet werden; Demetrios ließ seinen Sohn vor Theben, eilte mit dem größeren Teil des Heeres, den Paß zu erreichen; Pyrrhos wich ihm aus, zog sich zurück; Demetrios ließ nun 10000 Mann Fußvolk und 1000 Reiter zur Deckung Thessaliens zurück und ging nach Boiotien, die Belagerung Thebens fortzusetzen; die Stadt wurde eng eingeschlossen, eine Helepolis errichtet, eine Belagerungsmaschine von so ungeheurer Größe, daß man sie in zwei Monaten kaum 600 Schritt vorwärts zu schieben vermochte. Die Boioter wehrten sich auf das tapferste, die Belagerer erlitten mannigfache Verluste, um so mehr, da Demetrios oft genug zwecklos, aus Laune oder Ungeduld kämpfen und stürmen ließ. Da wieder in einem solchen nicht notwendigen Gefecht viele Menschen gefallen waren und Antigonos dem Vater Vorstellungen über so nutzloses Hinopfern tapferer Truppen zu machen wagte, soll Demetrios gesagt haben: »Was kümmerst du dich? Brauchst du den Gefallenen noch Brot und Lohn zu geben?« Auf das tollkühnste setzte er sich selber den Gefahren aus, war oft unter den Stürmenden der ersten einer; bei einer solchen Gelegenheit erhielt er eine Pfeilwunde am Halse, die lebensgefährlich war. Die Belagerung scheint sich sehr in die Länge gezogen zu haben; endlich mußte die Stadt sich ergeben; die Thebaner erwarteten das Äußerste; sie gedachten des Wortes eines klugen Mannes: Kassandros habe Theben für einen zweiten Alexander wiedererbaut. Daß Demetrios auch jetzt unerwartet milde verfuhr, war des Antigonos Verdienst, in dem zuerst die mildere und gehaltenere Stimmung einer neuen Zeit ihren Vertreter fand; der Vater begnügte sich mit der Hinrichtung von zehn oder dreizehn Männern und der Verbannung der übrigen, die besonders schuldig waren; er gab der Stadt ihre Verfassung wieder; natürlich blieb auf der Kadmeia eine Besatzung so[393] gut wie auf dem Museion in Athen. Die Zeiten waren vorüber, in denen mit Demetrios' Namen der der freien Demokratie unzertrennlich verbunden war; als König von Makedonien mußte er denselben politischen Grundsätzen folgen, die er Kassandros gegenüber so oft bekämpft hatte. Er war in der Tat jetzt König über Hellas, das ihm mit Ausnahme von Sparta und Aitolien unterworfen war.

Ob und in welcher Weise Sparta den Kampf gegen Demetrios fortsetzte, ist nicht zu erkennen. Die Aitoler, begünstigt durch die Nachbarschaft des epeirotischen Reiches und mit demselben im Bündnis, zeigten sich fortwährend als verwegene Feinde des Demetrios und des ihm untertänigen Griechenlandes. Die benachbarten Lokrer waren mit ihnen vereinigt; sie hatten Delphoi besetzt, und als im Herbst des dritten Jahres der 122. Olympiade das große pythische Fest zu feiern war, sperrten sie die Pässe des sogenannten Dreiweges und hinderten die übrigen Hellenen, zu den pythischen Spielen zu kommen. Demetrios verordnete: da der Durchzug nach Delphoi von den Aitolern gesperrt sei, die Feier des Apollon namentlich den Athenern zukomme, denen er der väterliche Gott und der Ahnherr des Volkes sei, so sollten hinfort die Pythien mit den dazu gehörenden Spielen, Wettkämpfen, Theorien, Festopfern und allem anderen nach Athen verlegt, die Pythien dieses Jahres bereits in Athen gefeiert werden. Wirklich wurde diese seltsame Neuerung für dies Jahr 290 in Ausführung gebracht, vielleicht das erste Beispiel in der Geschichte der hellenischen Kulte, daß eine religiöse Zeremonie, die ihrer Gründung, ihrem Mythos, der Gewohnheit vieler Jahrhunderte gemäß durchaus an die bestimmte Örtlichkeit geknüpft war, willkürlich und rationellerweise anderswohin verlegt wurde.

Nach dieser Feier in Athen kehrte Demetrios zum Winter nach Makedonien zurück. Schon begannen die Makedonen schwer zu klagen; die Truppen waren zügellos, händelsüchtig, gegen alle bürgerliche Ordnung frech und aufsässig, eine Plage für Bürger und Bauer; der König selbst gefiel sich in unverhohlener Liederlichkeit und wüstem Prassen; von allem, was man Großes von ihm gehofft haben mochte, erfüllte sich nichts, nicht einmal die von Pyrrhos genommenen Landschaften wurden wieder erworben, und die Kämpfe in Griechenland brachten dem Lande keinen Gewinn, kaum Ruhm; man sah die anderen Königreiche an Festigkeit, Wohlstand und Glanz zunehmen, Makedonien sank, statt zu erstarken. Er achtete dessen nicht; seine Gedanken waren voll immer neuer, weitaussehender Projekte. Der alte Agathokles von Syrakus sandte an ihn seinen Sohn Agathokles, mit ihm Bündnis und Freundschaft zu schließen; Demetrios nahm ihn höchst ehrenvoll auf, schmückte ihn mit königlichem Gewande, beschenkte ihn reichlichst; er sandte mit ihm Oxythemis, der[394] Freunde einen, zurück, den Schwur des geschlossenen Bündnisses dort entgegenzunehmen; er gab ihm geheimen Auftrag, die Angelegenheiten in Sizilien zu erforschen, zu sehen, ob dort etwas zu machen sei, jedes Mittel zu benutzen, um für Makedonien dort Einfluß zu gewinnen20. Um dieselbe Zeit sandte Lanassa, des Agathokles Tochter, Gemahlin des Pyrrhos, an Demetrios: es sei ihrer nicht würdig, daß sie mit Barbarinnen; des Epeirotenkönigs Lager teilen solle; habe sie es auch ertragen, neben Ptolemaios' Tochter zu sein21, so wolle sie doch nicht um der Kebsweiber willen, der Tochter des Räubers Bardylis, des Paionen Audoleon, mißehrt sein; sie habe Pyrrhos' Hoflager verlassen, sie sei in Korkyra, dem Eiland ihrer Mitgift; dorthin möge Demetrios kommen, der Freund ihres Vaters, mit ihr das Beilager feiern.

Wie weite Fernsichten eröffneten sich ihm mit diesen Anknüpfungen! Sah er die Griechen Kleinasiens in Lysimachos', die von Libyen in Ptolemaios' Gewalt, was lag dann näher, als daß er zu seinem Besitz, dem Makedoniens und des eigentlichen Griechenlands, auch den der italischen und sizilischen Griechen hinzufügte, um dann jenen großen Krieg gegen die Punier im Westen, an den schon Alexander gedacht, zur endlichen Ausführung zu bringen22. Eroberungen nach dieser Seite hin waren vielleicht leichter, gewiß nicht minder rühmlich als ein Kampf im Osten, zu dem sie eine desto größere Macht gewähren konnten. Mit dem Volke der Römer, dessen Macht sich in Italien auszubreiten begann, hatte Demetrios bereits Beziehungen angeknüpft, die ihrerzeit nützlich werden konnten; er hatte römische Seeräuber, die er in den hellenischen Gewässern aufgebracht, heimgesandt »der Verwandtschaft wegen, in der die Römer zu den Griechen ständen«23. Seine Heeresmacht machte den Krieg notwendig, sein stehendes Heer mußte seiner Größe nach in bedenklichem Mißverhältnis zu der Größe des Gebietes sein, das ihm gehörte; er bedurfte eines Krieges, um es zu ernähren, zu beschäftigen, zusammenzuhalten, um das Land von der Plage einer anmaßlichen und gewalttätigen Armee zu befreien.

Solche Rücksichten, solche Hoffnungen mochten es sein, mit denen Demetrios den Krieg des Jahres 289 begann. Sollte eine Expedition nach Westen gewagt werden, so mußte Makedonien vor allem auf dieser Seite[395] sicher sein; Pyrrhos hatte noch makedonische Landschaften in Besitz, war mit den Aitolern im Bunde, deren Waffen bis an die Ostseite des Parnassos herrschten. Gegen beide wandte sich zunächst der Krieg, zu dem die Sperrung des Delphischen Dreiweges seitens der Aitoler den Vorwand geben konnte. Demetrios brach in ihr Land ein und verwüstete dasselbe; wie auch sonst, mögen die Aitoler sich mit Weib und Kind in die Berge geflüchtet haben. Um ihre Unterwerfung zu vollenden, blieb ein Teil des Heeres unter Pantauchos im Lande stehen, dem erprobten Strategen24, der mit ungemeiner Körperkraft und Gewandtheit die größte persönliche Tapferkeit und das stolze Selbstgefühl eines alten Soldaten verband. Demetrios ging, da, wie er erwartet, Pyrrhos seinen Bundesgenossen zu Hilfe heranzog, mit dem größeren Teil seines Heeres ihm entgegen, durch den Weg, den er einschlug, den Gegnern den Beistand, den sie voneinander erwarteten, unmöglich zu machen. Beide Könige verfehlten sich; während Demetrios verwüstend und plündernd Epeiros durchzieht, dann, ohne sich zu kümmern, wohin der ihm entgangene Gegner sich gewandt, nach Korkyra hinübersegelt und sein Beilager mit Lanassa feiert, rückt Pyrrhos in Aitolien ein. Er trifft auf die Vorposten des Pantauchos, beide lassen ihre Heere in Schlachtordnung rücken; das Treffen beginnt; Pantauchos sucht den König, er ruft ihn zum Zweikampf;

und Pyrrhos, der keinem an Kraft und Kühnheit weicht, eilt durch die Reihen der heftig Kämpfenden dem riesigen Pantauchos entgegen. Sie kämpfen mit den Speeren, bald sind diese zersplittert, sie fallen einander mit dem kurzen Schwert an, Leib an Leib fechten sie mit höchster Gewandtheit, mit heftigster Erbitterung; Pantauchos trifft des Königs Hand, Pyrrhos des Gegners Hüfte, sie ringen mit steigender Wut, eine Halswunde endlich streckt den Feldherrn zu Boden, die Freunde reißen den Schwerverwundeten hinweg. Die Epeiroten stürzen sich auf die makedonischen Phalangen, durchbrechen sie, siegen vollkommen; die Makedonen fliehen in völliger Auflösung. So der Ausgang dieses Tages, an dem 5000 Makedonen allein zu Kriegsgefangenen gemacht worden sind. Aitolien ist befreit; an der Spitze seines siegreichen Heeres kehrt Pyrrhos, der Adler, wie ihn seine Truppen begrüßen, nach Epeiros zurück, um dem Heere des Demetrios zu begegnen; Demetrios hat es auf die Kunde jener Niederlage eiligst aufbrechen lassen, ist nach Makedonien zurückgekehrt.

Für Demetrios ein verhängnisvoller Anfang; nicht bloß seine Pläne für die überseeischen Eroberungen, seine Hoffnung auf den Wiedererwerb[396] der einst makedonischen Landschaften sind gescheitert; schlimmer ist, daß der Nimbus des Sieges von seinen Waffen gewichen ist. Auch auf die Makedonen beginnt der Name des Adlers seinen Zauber zu üben; Pyrrhos, heißt es nun, sei der einzige unter den Königen, in dem man die Kühnheit Alexanders wiedererkenne, er allein gleiche ihm an Besonnenheit und Mut; die anderen seien eitle Nachahmer des großen Königs, die ihm zu gleichen meinten, wenn sie den Kopf auf die Seite neigten wie er, wie er den Purpur trügen und sich die Leibwächter nachtreten ließen; Demetrios sei wie ein Komödiant, der heute den Alexander spiele und morgen wohl den landesflüchtigen König Oidipus vorzustellen haben könne.

Demetrios ließ sich solche Stimmungen nicht kümmern. Er trieb – wenigstens ist so Plutarchs Schilderung, die aus Duris stammt – die Pracht und den Aufwand seines Hofes nur immer höher; er zeigte sich nie anders als in vollem Prunk mit Doppeldiadem, Purpurschuhen, golddurchwirktem Purpurmantel; schon Jahr und Tag wurde an einer Chlamys für ihn mit den kunstvollsten Darstellungen gewebt; er schwelgte in täglichen Gelagen, deren Luxus alles überbot, was man bisher möglich geglaubt hatte. Er war unzugänglich für alle, die nicht zu seinem Hofstaat gehörten, und auch diese nahten sich ihm nur in den Formen des devotesten Hofzeremoniells; Bittende erhielten selten Zugang zu ihm, und wenn er sie endlich empfing, war er hart, hochfahrend, despotisch; eine attische Gesandtschaft war zwei Jahre bei Hofe, ehe sie vorgelassen wurde, und die Athener waren noch unter allen Hellenen die bevorzugtesten25. Sonst waren die Makedonen, Volk und Adel, gewohnt, mit ihren Königen in vertraulicher Beziehung zu sein, frei mit ihnen zu sprechen und zu verhandeln; jetzt sollten sie sich gewöhnen, ihn, von dem servilen Schwarm der Höflinge umringt, wie einen Sardanapal prassen und Willkür üben zu sehen; ihr Herkommen, ihre Rechte, alles, was ihnen wert war, sahen sie ihn verachten, verletzen, beiseite werfen. Als er einst ausritt und freundlicher als sonst zu sein schien und sich viele herandrängten, ihm Bittschriften zu überreichen, nahm er diese entgegen und hieß die Leute folgen; und als er an die Axiosbrücke kam, schüttete er sämtliche Bittschriften in den Fluß. Geflissentlich schien er der bösen Stimmung, die sich schon tief genug eingefressen hatte, Hohn zu bieten; man gedachte des Königs Philipp, der jedem Bittenden willig das Ohr geliehen, man[397] pries der Epeiroten Glück, einen rechten Helden zum König zu haben; selbst die Zeiten des Kassandros schienen noch glücklich gegen das schnöde Regiment des Demetrios; immer allgemeiner wurde das Gefühl, daß es nicht lange so gehen könne, daß auf den heimatlichen Thron kein asiatischer Despot gehöre, daß es nur einer Gelegenheit bedürfe, um Demetrios' Herrschaft zu stürzen.

Da erkrankte Demetrios; er lag zu Pella an das Siechbett gefesselt. Die Nachricht davon veranlaßte Pyrrhos zu einem Einfall nach Makedonien; er wollte nur plündern, als aber die Makedonen scharenweise zu ihm kamen und Dienst bei ihm nahmen, drang er weiter vor, bis Edessa. Demetrios eilte, sobald nur irgend seine Krankheit nachließ, seine Scharen, die durch massenhafte Desertionen zusammengeschmolzen waren, zu ergänzen; er rückte gegen Pyrrhos aus, der, nicht auf entscheidende Schlachten vorbereitet, sein Heer zurückführte; es gelang Demetrios, ihn in den Bergen einzuholen, einen Teil des feindlichen Heeres zu vernichten.

Wieder hatte sich die Federkraft seines Charakters, seine, wenn es galt, an Mitteln unerschöpfliche Genialität bewährt; trotz der allgemeinen Mißstimmung im Volke, trotz des Abfalls von Tausenden war es ihm wie im Fluge gelungen, den Feind von dannen zu jagen. Er wird es nicht der Mühe wert gehalten haben, nun auch die entfremdeten Gemüter zu beruhigen und zu gewinnen. War es Hochmut, Leichtsinn, Ekel an den Menschen, Demetrios ließ das Nächste und Notwendigste außer acht. Wieder waren es neue Phantasien, neue Abenteuer, die seine Gedanken aufregten.

Er schloß mit Pyrrhos Frieden; nicht bloß, um für ein neues Unternehmen seines Rückens sicher zu sein; es lag ihm daran, einen solchen Kriegsmann und Feldherrn als Helfer und Genossen zu gewinnen. Gewiß trat er ihm jetzt die beiden makedonischen Landschaften förmlich ab; vielleicht verabredete er mit ihm, daß, wie er selbst den Osten, so Pyrrhos den Westen erobern möge, wo bereits am Hofe zu Syrakus durch Oxythemis vorgearbeitet, Agathokles umgebracht, alles in solcher Verwirrung sei, daß ein dreister Angriff den sichersten Erfolg verspreche26; dann[398] werde der große Gedanke einer gleichzeitigen Welteroberung, die zur Zeit der beiden Alexander von Makedonien und Epeiros nur zur Hälfte geglückt, unter Demetrios und Pyrrhos sich ganz verwirklichen, dann die hohe Bestimmung, zu welcher die aneinander lehnenden Reiche Makedonien und Epeiros durch ihre Weltstellung berufen schienen, sich erfüllt haben.

Demetrios selbst verwandte den Winter 289/8 zu den ausgedehntesten und in Wahrheit ungeheuren Rüstungen. Plutarch sagt: seine Kriegsrüstungen waren um nichts geringer als seine Hoffnungen und seine Pläne; er brachte ein Heer von 98000 Mann Fußvolk und fast 12000 Reitern auf die Beine; er ließ Schiffe bauen im Peiraieus, in Korinth, in Chalkis und Pella, er ging selbst auf die Werften, gab Anweisungen, legte Hand mit an; es wurde eine Flotte zusammengebracht, wie sie die Welt noch nicht gesehen; fünfhundert Kriegsschiffe zählte sie, unter diesen Fahrzeuge von fünfzehn und sechzehn Ruderbänken, Riesengebäude, welche mehr noch als durch ihre ungeheure Größe dadurch in Erstaunen setzten, daß sie vollkommen leicht bewegt und sicher geführt werden konnten.

Angaben, die freilich in Erstaunen setzen. Ein Elfruderer war bisher das größte Fahrzeug, das man gesehen hatte; Demetrios hatte es bauen lassen, die größte Zeder des Libanon von 130 Fuß Länge und drei Mannsklafter Dicke hatte den Kiel gegeben; die Herakleoten hatten auf ihrem Achtruderer, dem Löwenträger, 1600 Ruderknechte; nach einem sehr mäßigen Anschlag und wenn man den größten Teil der Schiffe für Fünf- und Vierruderer nimmt, bedurfte Demetrios über 100000 Ruderknechte; man wird seiner tyrannischen Art und des gesetzlosen Charakters jener Zeit eingedenk sein müssen, um möglich zu finden, daß eine solche Zahl von Matrosen gepreßt werden konnte. Die gesamte Menschenmasse, die er zu seinem ungeheuren Unternehmen zusammenbrachte, war gewiß nicht viel unter 300000 Köpfen, und er hatte nur Makedonien, Thessalien, den größeren Teil der hellenischen Landschaften; Verhältnisse, die alle statistischen Möglichkeiten zu überbieten scheinen, zumal wenn man erwägt, wie die seit mehr als vierzig Jahren fortgesetzten Kriege und Kolonisationen das Menschenmaterial dieser Lande heruntergebracht haben müssen. Nicht furchtbar genug kann man sich die Zerrüttung denken, die das Ausheben solcher Menschenmenge hervorbringen mußte, nicht furchtbar genug den Zustand Makedoniens und Griechenlands, wenn gar der größere Teil dieses Kriegs- und Seevolkes aus Söldnern,[399] Fremdlingen, Vagabunden bestand, die sein Werbegeld dahin lockte. Wäre nichts als der Bericht dieser Rüstungen über Demetrios' Regiment überliefert, so wäre der schon allein ein Beweis von dem unbeschreiblichen, mehr als mongolischen Despotismus, mit dem er herrschte. Erwägt man, welche Geldmittel er zu solchen Werbungen, solchen Schiffsbauten, dem Material an Holz, Eisen, Tauwerk, Proviant usw. verwenden mußte, so ist schwer zu begreifen, woher er sie genommen haben kann; und hätte er noch alle Schätze beieinander gehabt, die sein Vater aus den oberen Landschaften heimgebracht oder in seinem Reiche erpreßt hatte, sie würden nicht gereicht haben; was der Vater zusammengescharrt, war teils in Kriegen draufgegangen, teils in Feindes Hand gefallen, und Demetrios hatte das Seinige getan, den Rest zu vergeuden; nur zu wahrscheinlich ist es, daß er von den Untertanen in Griechenland und Makedonien erpreßte, was er brauchte, daß er sie zwang, ihm die Schiffe zu bauen und auszurüsten; es ist über alle Beschreibung, was Griechenland und Makedonien damals gelitten und geopfert haben müssen; der grenzenlose Haß gegen Demetrios, der bald sich zu äußern Gelegenheit finden sollte, wird so begreiflich.


Quelle:
Johann Gustav Droysen: Geschichte des Hellenismus. Tübingen 1952/1953, Band 2, S. 363-400.
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